Fine Das Weinmagazin 1|2013-Leseprobe

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DA S WEI NMAGA ZIN

Bl au bu rg u nder au s Sßdtir ol Deu t s c her Spä tbur g un der Pinot Noir in Or eg on

Frauen im Wein: Caroline Frey

J Ăź r g e n D ol l a s e i m Ven d Ă´ m e

Dom PĂŠrignon RosĂŠ 2002

Stuart Pigott Ăźber Silvaner

We i n sta d t Tr i e r

Château Lafite

Die BrĂźder Haag von der Mosel

Di e Domain e M ĂŠ o- C amuzet

Umkämpfte GrÜsse: Brunello A

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Range RoveR

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1/2013

Seite 60 Caroline Frey von Jaboulet Aîné

Seite 30 Blauburgunder aus Südtirol

Seite 80 Dom Pérignon Rosé 2002

Seite 46 Pinot Noir in Oregon

Seite 54 Château Lafite

Seite 146 Die Brüder Oliver und Thomas Haag


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I N H A LT Seite 16

Die Domaine Méo-Camuzet

Seite 122 Weinstadt Trier

Seite 38 Deutscher Spätburgunder

Seite 90 Marchese Piero Antinori

Seite 104 Umkämpfte Größe: Brunello

11

FINE Editorial

Thomas Schröder

16

FINE Bourgogne

Die Domaine Méo-Camuzet

30

FINE Südtirol

Blauburgunder aus Südtirol

38

FINE Tasting

Deutscher Spätburgunder

46

FINE Oregon

Pinot Noir in Oregon

54

FINE Bordeaux

Château Lafite (II)

60

FINE Frauen im Wein

Caroline Frey von Jaboulet Aîné

70

FINE Wein & Speisen

Jürgen Dollase im Vendôme

78

FINE Reiner Wein

Anne Zielke: Welcome to the Weinberg

80

FINE Champagne

Dom Pérignon Rosé 2002

86

FINE Die Pigott Kolumne

Dem Silvaner eine Chance

90

FINE Toskana

Marchese Piero Antinori

98

FINE Das Große Dutzend

Toskana

104

FINE Toskana

Umkämpfte Größe: Brunello

122

FINE Wein und Zeit

Weinstadt Trier

128

FINE Die schönen Dinge

Der Montblanc

130

FINE Lifestyle

Wein über den Wolken

136

FINE Weinwissen

Über Hefen

138

FINE Champagne

Das Gästehaus von Veuve Clicquot

146

FINE Mosel

Die Brüder Oliver und Thomas Haag

156

FINE Das Bier danach

Bernd Fritz: Über den Wert des Wassers

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FINE Abgang

Ralf Frenzel

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Verehrte Leserin, lieber Leser, können wir uns einen Augenblick über die Eitelkeit unterhalten, diese mal mehr, mal weniger augenfällige Eigenschaft von uns Menschen – eine Eigenschaft übrigens, die uns bei andern wohl nur darum so unerträglich ist, weil sie die eigene beleidigt? Ja, sagt aber der geistreiche La Rochefoucauld und bietet ihr und uns ironisch eine Ehrenrettung, »die Tugend ginge nicht so weit, wenn ihr nicht die Eitelkeit Gesellschaft leistete«. Und wenn es eine Tugend ist (wie jedenfalls der Volksmund tönt), sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, will ich hier, den Anwurf des Eigenlobs nicht scheuend, unumwunden bekennen: Heute bin ich ein wenig stolz. Warum und worauf? Geradeheraus: Ich bin stolz auf Fine. Mit dieser Ausgabe halten Sie, verehrte Leserin, lieber Leser, das zwanzigste Heft unseres Weinmagazins in Händen, das nun seinen fünften Jahrgang vollendet. Fünf Jahre Fine – das scheint nicht gerade viel im Angesicht der Ewigkeit; aber mit Blick auf die nicht nur hierzulande immer schwieriger werdende Lage für Zeitschriften und Zeitungen wollen wir dies kleine Jubiläum doch einen Grund zum Feiern nennen. Denn einiges haben wir mit und für Fine Das Weinmagazin getan und erreicht: Seine Gründung war ein, wenn auch genau bedachter, so aber eben auch beherzter Sprung ins kalte Wasser. Doch rasch hatte sich die Auflage auf erfreuliches Niveau gehoben und sich dort auskömmlich stabilisiert. Fine hat, dürfen wir daraus schließen, die Wertschätzung seiner Leserschaft gefunden, eine Tatsache, die uns zugleich glücklich macht und anspornt, nicht in unseren gern geleisteten Anstrengungen nachzulassen, die Welt der großen Weine zu erhellen. Und zwar nicht mit Tabellen und Statistiken, sondern passioniert und lustvoll mit Reportagen und Erzählungen, Analysen und, um stets auf dem neuesten Stand zu sein, aussagekräftigen Verkostungen. Kompetent und engagiert schwingen sich Autoren und Fotografen mit

packenden Berichten und großartigen Bildern in den Weinenthusiasmus unserer ebenso kenntnisreichen wie wissbegierigen Leserinnen und Leser ein. So hat sich Fine auch unter den Winzern und Weinmachern Europas und, in besonderem Maß, Deutschlands den verlässlichen Ruf eines kritischen Begleiters erworben, der dann nicht mit Anerkennung spart, wenn außergewöhnliche, authentische Leistung zu erkennen ist. Dass wir die Geltung des deutschen Weins von Anfang an mit nicht geringer Wirkung auf die Agenda gesetzt haben, wurde und wird von ihnen mit Respekt vermerkt, von der jungen Generation der Winzer zumal. Dass Sie, unsere Leserinnen und Leser, diesen Weg mit uns gegangen sind, erfüllt uns mit Genugtuung. Auch in diesem Jubiläumsheft widmen wir uns in einem Doppelporträt bedeutenden jungen deutschen Weinmachern, den Brüdern Oliver und Thomas Haag von der Mosel, und verkosten, in einer umfangreichen Dokumentation internationaler Pinot Noirs, reife Spätburgunder. Ein weiterer Schwerpunkt gilt den Weinen der Toskana, darunter Geschichte und Schicksal einer noch jungen italienischen Weinspezialität, des Brunello. Dies und vieles mehr aus der Welt der großen Weine und Champagner fächern wir auf wie immer, und wie immer auch in bester Qualität. Für zumindest die kommenden fünf Jahre soll unser Anspruch an Weine und Winzer hoch, unser Engagement an das Außergewöhnliche stark und unser Eifer, Ihnen ein lesenswertes, genussvolles Magazin zu bieten, wach bleiben. Wäre da nicht eher der Verzicht auf Eitelkeit und Selbstlob, wäre nicht eher Bescheidenheit vor so großen Aufgaben angemessen? Vorsicht: Bescheidenheit, merkt Oscar Wilde an, ist nur die extremste Form der Eitelkeit. Was also tun? Ach, trinken wir doch einfach ein Glas Wein darauf!

Thomas Schröder Chefredakteur

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Sorglich im warm gedimmten Licht des Kellers entnimmt Jean-Nicolas Méo einer neuen Eichen-Pièce mit der gläsernen Pipette eine Probe. Der Pflege des jungen Pinots gilt schon seit fast fünfundzwanzig Jahren seine passionierte Zuwendung.

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Ein Pariser in Burgund

Im Geist seines Mentors zu eigener Grösse gefunden Jean-Nicolas Méo von der Domaine Méo-Camuzet in Vosne-Romanée

Von Armin Diel Fotos Marc Volk

Als Henri Jayer, eine der legendären burgundischen Winzerpersönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts, seine vormals gepachteten Weinberge an die Domaine Méo-Camuzet zurückgab, wurde in der Geschichte des Gutes ein neues Kapitel aufgeschlagen. Es begann im Jahr 1989, als der in Paris aufgewachsene, damals fünfundzwanzigjährige Jean-Nicolas Méo nach Vosne-Romanée kam, um den Ruf des väterlichen Weinguts aufzupolieren. Unter der Obhut seines Mentors Jayer wurde damit der Grundstein für eine der bemerkenswertesten Erfolgsgeschichten der Côte d’Or gelegt.

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s war an einem verschneiten Novembertag des Jahres 1989, nur wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer. Auf meiner alljährlichen Verkostungstour durch Burgund machte ich erstmals Station in der Domaine Méo-Camuzet, von der man sich zuraunte, dass dort seit der Ankunft des jungen Jean-Nicolas Méo ein erstaunlicher Wandel im Gange sei. Mit dabei war der Kaiserstühler Winzer Wolf-Dietrich Salwey, der damals häufiger nach Burgund reiste, um sich Anregungen für die eigene Rotwein-Erzeugung zu holen. Mit einer gläsernen Pipette reichte Jean-Nicolas Méo uns Fassweine des Jahrgangs 1988, die größtenteils in funkelnagelneuen Pièces gelagert waren. Obschon die französische Presse den Jahrgang mit reichlichen Vorschusslorbeeren bedacht hatte, waren wir skeptisch. Etliche Weine fielen durch

ein ungewöhnliches Bukett auf, bei einigen machte sich eine gewisse Strenge im Abgang bemerkbar. Mir fiel auf, dass Wolf-Dietrich Salwey sein Glas immer wieder aufs Neue zur Nase führte und dabei das Gesicht verzog. Während Méo den nächsten Wein holte, flüsterte er mir zu: »Riechst du denn nicht den deutlichen Böckser?« Das ist ein an faule Eier erinnerndes Reduktionsaroma, welches bei jungen Weinen durch die Anwesenheit schwefelhaltiger Substanzen entstehen kann. Der Name rührt daher, dass der Geruch mitunter an Ziegenbock erinnert. »Sei bloß still«, zischte ich Wolf-Dietrich an, »ich möchte schließlich wiederkommen dürfen!« Doch der ließ nicht locker: Beim nächsten Wein ließ er unbemerkt einen Kupferpfennig in sein Glas fallen und schnupperte intensiv daran. Triumphierend hielt er es

mir entgegen, und tatsächlich präsentierte sich der Wein jetzt glockenklar, der kleine Fehlton war gänzlich verschwunden. »Das ist ein gutes Zeichen«, dozierte der Kaiserstühler Winzer mit sonorer Stimme, »mit einer minimalen Kupferschönung kann man das in Ordnung bringen!« Ich bestand weiterhin darauf, diese heikle Frage nicht mit dem jungen Méo zu diskutieren, der unseren kleinen Disput diskret verfolgte. Zunächst war mir unklar, ob er die Details unserer Diskussion verstanden habe, was mir einigermaßen peinlich gewesen wäre. Meine Befürchtung wurde zur Gewissheit, als Jean-Nicolas Méo sich mit dem folgenden Satz in beinahe akzentfreiem Deutsch und mit leicht verschmitzter Miene verabschiedete: »Wir werden unsere Weine ganz gewiss nicht mit Kupfer schönen, Monsieur Diel!«

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Terroir für Pinot Noir: Auf der Domaine Drouhin in Dayton in den Dundee Hills hat der Bourgogne-Winzer Frédéric Drouhin ideales Klima für amerikanischen Spätburgunder gefunden.

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Spätburgunder in Oregon

»Unsere Leidenschaft für Pinot Noir darf nicht an Landesgrenzen enden« : Vier Winzerporträts ” Von Rainer Schäfer

Fotos Gerrit Callsen

Oregon, im Westen der Vereinigten Staaten, war lange Zeit vor allem bekannt für seine Haselnüsse und Douglastannen, die als Weihnachtsbäume die heimische Wirtschaft stützten. Erst 1965 begannen Winzer wie David Lett Reben zu pflanzen, unter dem Spott des benachbarten Weinlandes Kalifornien. Inzwischen gilt Oregon weltweit als eine der geeignetsten Regionen für den Anbau von Pinot Noir. Sogar einige Winzer aus Burgund haben das erkannt und Rebflächen in Oregon erworben, um Pinot Noir zu kultivieren. Eine Rebsorte, die als kapriziös und anspruchsvoll gilt und den Winzern am meisten abverlangt. Zugleich aber kann sie Weine von unerhörter Eleganz und mythischem Ausdruck hervorbringen. Im kühlen und feuchten Klima Oregons muss die Rebe ums Überleben kämpfen, aber gerade hier zeigt sie die besten Resultate. In den von mächtigen Cabernet Sauvignons dominierten Vereinigten Staaten bildet Oregon eine kleine Enklave, wo entspannte und sympathisch verschrobene Pinot-Stilisten ihren eigenen Weg gefunden haben.

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Mike Etzel, Beaux Frères Winery, Newberg

» Es ist bescheuert, in Oregon fette Weine machen zu wollen«

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ike Etzel hat etwas gewagt, was sich nicht viele trauen: Er hat sich mit seinem Schwager angelegt. Das ist nicht irgendein Schwager, es ist Robert Parker, der einflussreichste Weinkritiker der vergangenen Jahrzehnte. Parkers Vorliebe für üppige, vom Eichenfass geprägte Weine ist bekannt. Mit seinen Bewertungen, den begehrten und zugleich verhassten Parker-Punkten, hat er Winzer zu Stars befördert und andere ruiniert. Je nachdem, zu welcher Geschmackslandschaft der Weinwelt sie sich bekannten. Parker hat viele Attribute bekommen, die seine Machtposition unterstreichen sollten. »Weinpapst« ist noch eines der freundlichen. Parker ist es gewohnt sich durchzusetzen, dabei kenne er auch keine Verwandten mehr. Aber Mike Etzel hat den Familienfrieden riskiert, und natürlich ging es dabei um Wein. Mike Etzel steht in seinem Weinkeller in der Nähe von Newberg. Es ist nicht einfach, sein Weingut mit der Hausnummer 15155 zu finden, das in einem dieser abgeschiedenen Seitentäler im Norden Oregons liegt, mit runden grünen Hügeln und jeder Menge Tannen und Haselnussbäumen. Es bleibt schattig an diesem Morgen, die Sonne traut sich nicht hinter dicken Regenwolken hervor. Besonders mutig sieht der Winemaker nicht aus, wie er da steht in Jeans und grünem Baumwollhemd und mit der roten Lesebrille, die er wie ein Buchhändler um seinen Hals baumeln lässt. Er redet bedächtig, fast ein wenig gelangweilt. Aber das ist auch seine Art zu zeigen, dass er gut damit umgehen kann, was zwischen Parker und ihm geschehen ist, Weinpapst hin oder her. Es hat lange gedauert, bis er sich von seinem dominanten Schwager emanzipiert hat, den er Bob nennt. Aber er hat sich aus Parkers mächtigem Schatten herausbewegt, entgegen aller Erwartungen und Prognosen. In der Beziehung der Schwäger gab lange der sieben Jahre ältere Parker den Ton an. Der hatte sich als Weinkritiker schon einen Namen gemacht, da verkaufte Mike Etzel noch Wein und Spirituosen in Colorado. Wein, das war die Kette, die sie aneinander band. 1986 beschlossen sie, gemeinsam ein Weingut in Oregon zu gründen. Sie fuhren durch die Gegend, auf der Suche nach geeigneten Flächen. Im Norden des Willamette Valleys wurden sie fündig, auf dem Land stand eine Schweinefarm. Ihr Weingut tauften sie Beaux Frères, französisch für Schwäger. Damals ahnte keiner von beiden, dass es besser passende Namen gegeben hätte für ein Projekt, das nicht immer harmonisch verlaufen ist. Robert Parker investierte etwas Geld, Mike Etzel pflanzte Reben und baute die Farm nach und nach zum Weingut um. Um über die Runden zu kommen, arbeitete er nebenbei als Holzfäller. Seinen Geschäftspartner Bob bekam er nur selten zu sehen. Mike Etzel füllte die ersten Weine von Beaux Frères 1991 ab, es waren Weine mit mächtigem Körper, in dem sich die zarte Seele des Pinot Noir nicht entfalten konnte. Heute gibt er zu, dass er so ziemlich alles falsch gemacht habe, was man falsch machen konnte. Er hat seine Weine entsäuert und mit Enzymen gearbeitet, auch um dem Weinideal seines Schwagers nahe zu kommen, der sogar den von Natur aus filigranen Pinot Noir zu einem Bodybuilder-Wein formen wollte. »Unsere Weine«, sagt er, »waren viel zu mächtig.« Zum Beweis schenkt er zwei Gläser ein, mit den Jahrgängen 1994 und 2007. Der

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erste ist unausgewogen, wie eine schöne Frau mit dem Bizeps eines Bauarbeiters. Der andere steht für den Stil, für den sich Mike Etzel entschieden hat: »Der Charakter meiner Weine hat sich verändert, sie sind eleganter als früher.« Oregon gilt als bevorzugter Ort für Cool-Climate-Weine, die nicht mit ihren Muskeln protzen wie viele in der Neuen Weinwelt. »Es ist bescheuert, in Oregon fette Weine machen zu wollen«, sagt er. Beaux Frères schmeckt inzwischen ganz anders, als sich Robert Parker große Weine vorstellt. »Natürlich würde Bob den alten Stil bevorzugen«, räumt er ein, aber die Faszination für die filigrane Seite des Pinot Noir übertraf das Bedürfnis nach familiärer Harmonie. Heute bearbeitet Mike Etzel seine zwölf Hektar Rebland nach Kriterien der Biodynamie, die Vorgaben des Mondkalenders sind ihm wichtiger als KritikerPunkte. Für ihn ist Pinot Noir »der emotionalste Wein überhaupt«, den will er mit größter Sorgfalt und auf möglichst natürliche Weise erzeugen. Manipulationen im Keller lehnt er inzwischen entschieden ab. Er orientiert sich an Henri Jayer, einem der Virtuosen des Pinot Noir aus dem Burgund, der ihn kurz vor seinem Tod 2006 in Oregon besucht und dabei mächtig beeindruckt hat. Das Verhältnis zu Parker habe sich übrigens entspannt, erzählt er. »Wir diskutieren über unsere Weine, aber wir streiten nicht mehr. Es muss nicht immer nach Bobs Geschmack gehen.«


Jason Lett, Eyrie Vineyards, McMinnville

Âť Pinot Noir registriert alles. Sogar die Musik, die du ihm vorspielstÂŤ

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er hinter der Keimzelle des Weinbaus in Oregon Prunk und Pomp erwartet, wird enttäuscht: Es ist ein schlichter Holzschuppen, aus Tannen gezimmert, der ein wenig verloren im Industriegebiet von McMinnville zwischen Werkstätten, Bungalows und Autohäusern steht. Bevor die Eyrie Vineyards 1970 hier einzogen, wurden in der HolzhĂźtte Truthähne ausgenommen und verarbeitet. ÂťMein Vater hatte kein Geld fĂźr ein Château in den WeinbergenÂŤ, sagt Jason Lett. ÂťEr hat sich fast ruiniert mit dem Weinbau.ÂŤ Er trägt Gummistiefel, eine Brille und eine Baseball-Cap auf dem beinahe kahlen Kopf. Er ist ein wacher Typ, der seine Sätze mit feiner Ironie wĂźrzt. Sein Vater David war einer der Ersten, die ahnten, dass Reben in Oregon wachsen kĂśnnten. Er stammt aus einer Mormonenfamilie, die aus den Fugen geraten war. Sein GroĂ&#x;vater hatte fĂźnf TĂśchter, die ihrer Farm in der Nähe von Salt Lake City den RĂźcken kehrten, um in Chicago gemeinsam eine Jazzband zu grĂźnden. Ein Skandal erster GĂźte fĂźr den Mormonenclan, in dem Jazz und Alkohol als Werkzeuge des Teufels gegeiĂ&#x;elt wurde. Das nächste Familiendrama provozierte David Lett, der Zahnarzt werden sollte. Als er zufällig in Sonoma unterwegs war, sah er einen Winzer, der im Freien Holzfässer reinigte. Spontan hielt er an und begann mit anzupacken, Regen fiel ihm ins Gesicht, in diesem Moment spĂźrte er, dass er Winzer werden musste. Das GefĂźhl war so mächtig, dass er sich nicht widersetzen konnte und im kalifornischen Davis Weinbau zu studieren begann. Von da an war David Lett einer der Getriebenen, der Pinot Noir anbetete und monatelang durch Burgund reiste, um das Wesen der kapriziĂśsen Rebe zu verstehen. Guter Pinot Noir benĂśtige Bedingungen wie im Burgund, das hatte sein Professor in Davis ihm mit auf den Weg gegeben. Kalifornien hielt David Lett fĂźr zu heiĂ&#x;, aber in Oregon meinte er, die idealen Bedingungen fĂźr Pinot Noir vorzufinden. Er machte sich auf den Weg, mit langen Haaren, wild wucherndem Bart und dreitausend Rebpflanzen, besessen davon, in Oregon Pinot Noir von Weltformat zu erzeugen. Als er ankam, wurde er ausgelacht. Oregon war bekannt fĂźr HaselnĂźsse und Weihnachtsbäume. Weinbau hier war so unvorstellbar wie GemĂźse auf dem Mond. Die Banken jedenfalls weigerten sich, ihm Geld fĂźr sein Wahnsinnsprojekt vorzustrecken: ÂťDie hielten das fĂźr keine groĂ&#x;artige IdeeÂŤ, sagt Jason Lett mit einem ironischen Blitzen in den Augen. Aber der Widerstand trieb David Lett noch mehr an, er stromerte durch die Gegend, nahm Bodenproben mit einem Drehbohrer, der wie ein riesiger Korkenzieher aussah. In den Dundee Hills im Willamette Valley entdeckte er erodierte rote Vulkanerde. ÂťDad hat die besten Stellen gefundenÂŤ, sagt sein Sohn, Âťich hätte dieselben BĂśden ausgewählt.ÂŤ 1965 brachte er die ersten Reben in den Dundee Hills aus, das Weingut benannte er nach den Rotschwanzfalken, die in den Tannen Ăźber dem Weinberg nisteten. 1979 schockierte er die Weinwelt, als er auf der Weinolympiade in Paris mit seinem Pinot South Block Reserve aus dem Jahr 1975 Spitzenwinzer aus dem Burgund deklassieren konnte. Als Antwort darauf kauften Winzer von der CĂ´te d’Or und der CĂ´te de Beaune Land in Oregon.

David Lett wird von seinem Sohn als enorm leidenschaftlich, aber auch als schwierig beschrieben. Jason war schon mit drei Jahren dabei, wenn die Weine gekeltert wurden. Er beobachtete, wie die Trauben in einer alten Holzpresse gequetscht wurden und schlief im Pinot-Dunst glĂźcklich ein, auf einem alten Ledersofa im Holzschuppen. Er versuchte jahrelang, mit seinem Vater zusammen zu arbeiten, sie gerieten immer wieder aneinander. Frustriert beschloss er, Tischler zu werden und dem Vater aus dem Weg zu gehen. Aber vom Wein konnte er nicht lassen: 2002 fĂźllte er seinen eigenen Pinot Noir Black Cap, der unter Kennern hoch gehandelt wurde. ÂťMeine Mutter hat ihn lieber getrunken als die Weine von DadÂŤ, sagt er. Erst 2005 ist er zu Eyrie zurĂźckgekommen, als sein erkrankter Vater die Arbeit nicht mehr allein bewältigen konnte. Auf Fotos sieht man David Lett mit silbernem Haar und Bart, er war rastlos auf der Suche nach dem perfekten Pinot, er hat sich dabei verausgabt. ÂťPapa PinotÂŤ, wie er genannt wurde, ist im Oktober 2008 gestorben, seitdem fĂźhrt Jason Lett das Weingut. Er ist dabei nicht weniger – nennen wir es erfinderisch – als sein Vater. ÂťPinot Noir registriert alle EinflĂźsse. Er wird sogar von der Musik beeinflusst, die du ihm vorspielstÂŤ, behauptet er. Während der Vergärung lässt er im Keller entweder Musik vom Jazz-Saxophonisten John Coltrane oder von Hildegard von Bingen spielen. Seine Weine sind dicht, zugleich zart, beinahe schwebend. Sie lassen immer auch die Erde durchscheinen und nicht nur die Frucht. Jason Lett gehĂśrt einer Generation von Pinot-Spezialisten an, die aufgehĂśrt hat, ergeben nach Europa zu blicken, in das lange von den Vätern verherrlichte Frankreich. Warum auch? SchlieĂ&#x;lich sind Spitzenwinzer aus dem Burgund nach Oregon gekommen, um das Geheimnis seiner Pinot Noirs aufzuschlĂźsseln.

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Frauen im Wein: Vierzehnte Folge

Ihr Zauberwort heisst »Mehr Balance« Mit Sensibilität und Demut verfolgt Caroline Frey, die Önologin der Domaines Paul Jaboulet Aîné an der Rhône, ihr Ziel: La Chapelle soll wieder zu den wahrhaft grossen Weinen zählen

Von Rainer Schäfer Fotos Marco Grundt

Auf Pferderücken, ganz hoch oben, wollen viele Mädchen sitzen und die Welt erobern, Caroline Frey war eines davon. Mit fünf Jahren fing sie an zu reiten, ein Kind mit Sommersprossen, zuerst auf einem Shetland Pony, bald auf Turnierpferden. Sie entwickelte dabei viel Geschick und Ehrgeiz. Hindernisse und Wassergräben nahm sie mit Elan, sie liebte die Momente der Anspannung, wenn Sekunden und Zentimeter über Sieg und Niederlage entscheiden. Caroline Frey zählte zu den französischen Nachwuchshoffnungen im Springreiten und gehörte drei Jahre lang dem Junioren-Nationalteam an. Noch mit achtzehn wollte sie Profireiterin werden. Doch dazu reichte es nicht ganz. Nüchtern kommentiert sie heute ihren Entschluss, mit zwanzig Jahren Önologie zu studieren: »Ich habe eine Leidenschaft gegen eine andere getauscht. Reiten schien mir ein unbeständiger Beruf zu sein.« Im Wein dagegen könne sie Leidenschaft und Berufsperspektive miteinander verbinden.

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Jab Majestätisches RhĂ´ne-Tal: La Chapelle, die Eremiten-Klause hoch Ăźber Tain l’Hermitage, gab dem groĂ&#x;en Wein der Domaines Jaboulet AĂŽnĂŠ den Namen. Zwischen dieser Spitzenlage und Weingärten bei Gigondas und Châteauneuf-du-Pape kultiviert der Betrieb zahlreiche ausdrucksstarke RhĂ´ne-Gewächse.

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hre Passion galt nun also dem Wein, und auch hier hat sie von Anfang an den

Anspruch, zu den Besten zu gehĂśren. Das Studium der Ă–nologie schloss sie

2003 als Jahrgangsbeste in Bordeaux ab, ihr Professor Denis Dubourdieu, eine

Kapazität auf seinem Gebiet, hält noch heute groĂ&#x;e StĂźcke auf sie. ÂťIch kann sehr hart arbeitenÂŤ, sagt Caroline Frey entschieden, als ob sie das eigens betonen mĂźsste. Disziplin und Härte gegen sich selbst, das hat sie sich im Reitsport antrainiert. Aber nicht alle trauen

ihr bei ihrem Familienhintergrund zu, mit eigenen Händen arbeiten zu kÜnnen. Sie kennt die Vorbehalte: Ihr Vater Jean-Jacques Frey ist in der Schweiz im Immobilienhandel und

in Frankreich im Champagner- Geschäft zu Geld gekommen. Einer attraktiven jungen

Frau mit reichem Vater wird leicht unterstellt, von Beruf nur die schĂśne Tochter zu sein.

Doch diesen Verdacht hat sie in wenigen Jahren grĂźndlich widerlegt. Sie ist erst vierunddreiĂ&#x;ig, und auf den Titelseiten franzĂśsischer Magazine wie dem ÂťL’ExpansionÂŤ wird sie

als neuer Star des franzÜsischen Weingeschäfts gefeiert.

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uf dem Berg Hermitage Ăźber der Kleinstadt Tain l’Hermitage an der nĂśrdlichen RhĂ´ne thront eine kleine Kapelle. 1235 hatte sich dort der Kreuzritter Gaspard de Sterimberg niedergelassen. Der kampfesmĂźde Ritter wollte hier hoch Ăźber dem Fluss zu Einkehr und innerer Ruhe gelangen. Syrah-Reben hatte der Eremit von seinem letzten Kreuzzug mitgebracht, die er auf den Granit- und lehmigen KreidebĂśden anpflanzte. Ob er ahnte, welch auĂ&#x;ergewĂśhnliches Terroir er ausgesucht hatte? Die gesamte Fläche, einhundertachtundzwanzig Hektar, ist ein makelloses Naturgeschenk und liegt so nach SĂźden geneigt, dass sie die Sonnenwärme maximal nutzen kann. Hermitage ist eine der berĂźhmtesten Appellationen Frankreichs, eine Wallfahrtsstätte fĂźr Liebhaber von RhĂ´ne-Weinen. Die schlichte Kapelle mit dem Kreuz auf dem Giebel hat die Jahrhunderte Ăźberdauert. 1919 kam sie in den Besitz der Familie Jaboulet; nach ihr ist seitdem der beste Wein der Domaine benannt,

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La Chapelle. ÂťDie Kapelle ist fĂźr mich das Symbol fĂźr groĂ&#x;e Weine von der RhĂ´neÂŤ, sagt Caroline Frey und lässt den Blick respektvoll Ăźber den spektakulären HĂźgel schweifen. Die junge Frau mit dem offenen Haar trägt einen grauen Pullover mit Silberpailletten an den Ă„rmeln, sie ist schlank und hat noch immer die KĂśrperspannung einer durchtrainierten Sportlerin. Unentwegt klingelt und blinkt ihr Smartphone, als Chef-Ă–nologin der Domaines Paul Jaboulet AĂŽnĂŠ sind ihre Meinung und ihre Anweisungen gefragt. Aus der Ruhe lässt sie sich nicht bringen, und sie hat tatsächlich noch den Blick fĂźr scheinbar Nebensächliches. Im Verkostungsraum hat sie am frĂźhen Morgen auf die linke Seite einer Holzkonsole ein Blumengesteck gestellt, auf die rechte zwei groĂ&#x;e Glasvasen. Jetzt stehen die Blumen in der Mitte. ÂťIch mache mir


boul morgens meine Gedanken, und wenn ich zurückkomme, ist alles verändert«, sagt sie. Freundlich, aber bestimmt lässt sie das Arrangement ändern. Jetzt hat alles seine Richtigkeit und Ordnung. Diese Frau weiß, was sie will. Das müssen inzwischen selbst ihre Kritiker und Neider eingestehen. Die haben gespöttelt, als sie 2004, mit dem druckfrischen Diplom in der Tasche, als Weinmacherin begann auf Château La Lagune im Médoc: Das sei ja, als wolle eine Nachwuchsmusikerin gleich in der Royal Albert Hall auftreten. Ihr Vater, Miteigentümer des Champagnerhauses Billecart-Salmon, hatte La Lagune im Jahr 2000 erworben, das als Troisième Grand Cru Classé klassifizierte Château. Caroline Frey sollte mit siebenundzwanzig Jahren und ohne Berufserfahrung die Verantwortung für diese Weine

übernehmen, konnte das gut gehen? »Das war nicht so schwierig«, erzählt sie mit ruhiger Stimme. »Ich arbeite gern im Team, ich habe genau zugehört und hingeschaut und dann Entscheidungen getroffen.« Etwa, den Weinen weniger neues Holz zu verordnen, mehr Ausdruck sollten sie bekommen. Vor allem: »Mehr Balance«, ein Ausdruck, den sie häufig gebraucht wie eine Zauberformel. La Lagune, das war die Bewährungsprobe, die sie mit Bravour bestand.

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er Härtetest sollte bald darauf folgen: 2006 erwarb die Familie Frey die alteingesessene und berühmte Domaine Paul Jaboulet Aîné in Tain l’Hermitage. Die Nachricht sorgte im Städtchen für Aufregung. 1834 hatte Antoine Jaboulet das Weingut gegründet, das er seinen Zwillingssöhnen

Paul und Henri überschrieb und nach dem Älteren der beiden, dem Aîné, benannte. Eine Generation folgte der anderen, als großer Künstler des Weinbaus aber erwies sich der international gefeierte Gérard Jaboulet. Er etablierte La Chapelle unter den begehrtesten Weinen: Der Jahrgang 1961 wurde zu einem der zwölf größten Weine des 20. Jahrhunderts gekürt. Gérard Jaboulet verstarb 1997, aber schon vor seinem Tod hatte die Qualität der Weine geschwankt. Weinkritikerin Jancis Robinson schrieb nach einer Verkostung von dreiunddreißig Jahrgängen aus den fünfziger Jahren bis 1999: »In den Neunzigern geschah etwas mit diesem legendären Wein. Der letzte wirklich aufregende Hermitage La Chapelle wurde 1991 gekeltert.« Nach dem Tod Gérard Jaboulets spitzte sich die Lage dramatisch zu: In der Familie stritt man

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Die Dollase Kolumne

Speisen

Jürgen Dollase bei Joachim Wissler und Mathieu Müller im Restaurant Vendôme, Schloss Bensberg, in Bergisch-Gladbach Fotos Guido Bittner

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Für die schönsten Überraschungen verlässlich gut: Joachim Wissler und sein Sommelier Mathieu Müller sind ein Traumgespann der deutschen Haute Cuisine. Wenn der Drei-Sterne-Koch auf seinen Chef-Sommelier verzichten muss, steht ihm und dem Gast Linda Elmlinger mit Charme und Fachkenntnis zur Seite.

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ir sind in dieser Folge in einem der ganz großen Restaurants des Landes zu Gast, bei Joachim Wissler im Vendôme im Schlosshotel Bensberg. Da ist es selbstverständlich, dass man nicht nur Höchstleistungen in der Küche, sondern auch in der Weinbegleitung erwarten darf. Gerade die ausgetüftelten Kreationen moderner Spitzenköche verlangen eine große Weinauswahl und die Unterstützung durch Mitarbeiter, die damit bestens umzugehen wissen. Das ist wesentlich für eine Grande Maison und mit geringerem Aufwand nicht realisierbar. So weit, so gut. Doch müssen sich auch die Gäste unbedingt auf die Möglichkeiten eines solchen Hauses einlassen wollen. Die gute alte französische Sitte, zu zweit eine Flasche und vielleicht noch einen Aperitif und ein Glas Süßwein zum Dessert zu bestellen, wird dem Differenzierungsgrad einer solchen Küche eigentlich nicht gerecht. Unsere Sommeliers haben mittlerweile ein jahrelanges Training in der präzisen Anpassung der Weine an die einzelnen Gerichte hinter sich. Wer sich ihren Erfahrungen öffnet, kann sich eine ganz neue Genussebene erschließen. Mit dem Sommelier kann man reden; man kann sich die Gründe für dessen Wahl erläutern lassen, um sie sofort auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und vielleicht sogar Details zu entdecken, die darüber hinausgehen. Nichts gegen die wunderbare Kombination eines übersichtlichen Essens aus der eher bürgerlichen Gourmetküche mit einem großen Wein. Aber den enormen Substanzgewinn durch die Kombination einer so hoch entwickelte Küche mit einer adäquaten detaillierten Weinbegleitung sollte man sich nicht entgehen lassen.

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Das Essen Restaurant Chefkoch Sommeliers

Vendôme im Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach Joachim Wissler Mathieu Müller und Linda Elmlinger

Joachim Wissler (50) ist über die letzten Jahre gesehen der international bedeutendste deutsche Koch. Seine stabilen Platzierungen in der Spitzengruppe internationaler Rankings und seine immer wieder auch von seinen Kollegen bestätigte führende Position in Deutschland sprechen eine klare Sprache. Seit seinem Umzug von Schloss Reinhartshausen ins Vendôme im Jahr 2000 hat er sich stetig und konsequent weiterentwickelt; der dritte Stern von 2006 markierte bei weitem nicht das Ende seines Weges. So ist er zum Beispiel der erste deutsche Koch, der in die kreative Weltspitze vorgedrungen ist – er beherrscht nicht nur das ganze Spektrum der neuen Kochtechniken, sondern hat auch eine ganze Reihe markanter eigener Impulse gesetzt (zum Beispiel mit seiner radikal modernisierten Regionalküche). Über allen Techniken und Stilen steht bei Wissler aber immer seine enorme Finesse in den Details, die hochfein abgestimmte Struktur seiner Kompositionen, die ihn ganz selbstverständlich zu einem Vorbild für die jüngere Köchegeneration gemacht hat. Mathieu Müller kam im Frühjahr 2012 ins Vendôme; er hatte es nicht weit: Seine letzte Arbeitsstelle war das Gut Lärchenhof in Pulheim bei Köln, wo er Herr über Peter Hesselers enorme Weinsammlung war. Zweifellos eine gute Voraussetzung, auch die rund achthundertfünfzig Positionen der Vendôme-Karte in den Griff zu bekommen. Linda Elmlinger ist ein Nachwuchstalent, das schon nach relativ kurzer Zeit den Sprung ins Vendôme geschafft hat. Bei diesem Menü hat sie für den kurzfristig verhinderten Mathieu Müller die Detailabstimmung und Präsentation übernommen.


Still-Leben im Herbst Der Wein

Reaktionen

Ein 2011er Riesling Auslese trocken, Niersteiner Hipping, Steilhang vom Weingut Seebrich, Nierstein/Rheinhessen. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 10 Grad Celsius bei einer Raumtemperatur von 23 Grad serviert. Eine Erwärmung auf 13 Grad im Verlauf der Degustation brachte keine signifikanten Veränderungen. In der Nase besticht er mit einer sortentypischen kräftigen Frucht, die aber – schon hier zu bemerken – elegant abgefangen wird. Am Gaumen zeigt sich, dass an dieser Eleganz auch ein Hauch von RestsĂźĂ&#x;e beteiligt ist. Das Aromenspektrum wird wesentlich breiter, die Fruchtnoten differenzierter; es ergibt sich eine interessante Zweiteilung zwischen einer jugendlichfrisch wirkenden Säurebasis und den davon deutlich getrennten Fruchtnoten.

Die Kombination des Weins mit den Erdmandeln und dem Nussaroma der Eichel bringt im Kern eine harmonische gegenseitige Ergänzung, im Nachhall aber eine leichte VerkĂźrzung fĂźr den Wein. Die Nachhaltigkeit der NĂźsse am Gaumen und die damit verbundene teilweise Blockierung des einen oder anderen Rezeptors ist immer ein Aspekt, worauf bei der Weinbegleitung zu achten ist. Zu der Kombination von TrĂźffelerde und Herbsttrompeten, die ausgesprochen pilzig schmeckt, gibt es aromatisch begrenzte Reaktionen, dafĂźr aber eine Verstärkung der Säurebasis. Auch mit den weiteren Elementen ergeben sich jeweils neue BezĂźge. Zur Schinkencreme und dem FichtenGel wirkt der Wein mittiger, weil Teile seines Aromenspektrums Ăźberlagert werden. Zusammen mit Nuss, Pilzaromen und Schinkencreme gewinnt er wieder an Frische. Weit im Hintergrund – aber ohne wirkliche Probleme – macht sich bei der Schinkencreme ein Hauch von Fettreaktion bemerkbar. Nach diesen unterschiedlichen Detailreaktionen erstaunt die Souveränität des Weins beim Vollakkord. Er blĂźht regelrecht auf und wird in Teilaspekten sogar weiter angereichert.

Das Essen Joachim Wissler präsentiert mit diesem ÂťWaldspaziergangÂŤ eine der in den letzten Jahren beliebt gewordenen ÂťLandschaftenÂŤ. Ă„hnlich wie beim Trompe-l’œil in der Malerei werden bestimmte Dinge mehr oder weniger täuschend echt nachgeahmt. Das kann zu einem gewissen aromatischen Ăœbergewicht der Bindemittel (oder Sekundäraromen) fĂźhren. Nicht so bei Wissler, der es schafft, in allen Teilen eine exzellente aromatische Qualität zu realisieren. Es gibt also unter anderem eine TrĂźffelerde, ÂťRindeÂŤ aus Herbsttrompeten, ein Gel mit einem intensiven Fichtenaroma, eine nachgebildete Eichel aus einer Haselnusscreme, Zuckerblätter, die keineswegs penetrant sĂźĂ&#x; schmecken, Erdmandeln, nachgeahmte Pilze mit einem ebenfalls konzentrierten Aroma und eine Schinkencreme. Die Präsentation signalisiert langsames, vorsichtiges Probieren der einzelnen Elemente. Dabei wird deutlich, dass das aromatische und texturelle Spektrum sehr breit ist, beispielsweise schmecken die Erdmandeln in jedem Zusammenhang ausgesprochen nachhaltig.

Kommentar Wegen des groĂ&#x;en aromatischen Spektrums und der nachhaltigen Textur der Erdmandel ist dies ein eher schwieriger Teller fĂźr die Weinbegleitung. Man kann hier nur eine Art Mischkalkulation aufmachen, also in Kauf nehmen, dass Details zu VerkĂźrzungen fĂźhren und dafĂźr die komplexeren Akkorde gut mit dem Wein harmonieren. Dass der Wein im Detail schwankend reagiert, in der Summe aber wieder glänzt, liegt daran, dass sich beim Essen nicht alle Elemente so durchsetzen kĂśnnen, wie in einer auf wenige Elemente beschränkten Degustation. Im Vollakkord werden also Spitzen abgeschliffen; der Wein wird nicht mehr so stark bedrängt.

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Bachkrebse – Tonda di Chioggia, Zitronen, Kefir Der Wein

Reaktionen

Ein 2010er Sauvignon blanc vom Weingut Strohmeier, St. Stefan, Weststeiermark/ Österreich. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 9 Grad serviert. Ein Anstieg der Temperatur auf 12 Grad hatte keine Folgen. Durch Nachschenken wurde die Temperatur relativ stabil gehalten. Schon in der Nase zeigen sich originelle, wie von verschiedenen Blütenaromen angereicherte Noten, die vom klassischen Bild eines Sauvignon blanc deutlich abweichen. Der Wein wirkt verführerisch und rund. Am Gaumen entwickelt sich die Aromenpalette etwas normaler, also mit Noten von Holunder, Stachelbeere, Kiwi oder Litschi. Die Frucht bleibt bis zum Nachhall präsent. Die Säure wirkt eher begrenzt, und gegen Ende entsteht so etwas wie eine fruchtige Erdigkeit mit leichten Anklängen an Moosaromen.

Die Reaktionen sind überraschend und ungewöhnlich, aber immer von hoher Qualität. Zu den Bachkrebsen mit ein paar Würfeln von Gelber Bete und etwas Sud gibt es eine sensationell strahlende Reaktion. Der Wein wird erheblich angereichert und zudem wesentlich nachhaltiger. Zu Krebsen plus Chioggia-Rübchen und Vogelmiere entwickelt sich ein auffallend natürlich wirkendes Bild, das durch die fein gehobelten Rübchen ein wenig herzhafter ausfällt. Nimmt man danach einen Schluck von der Krebsbouillon, wirkt diese zuerst einmal süßlich wie eine Prise Kokos. Der Wein hat hier im ersten Moment ein wenig Mühe, kommt dann aber deutlich zurück. In der Länge wird er etwas beschnitten, weil der Sahneanteil der Suppe (die eben keine klare Bouillon ist) etwas länger am Gaumen bleibt und so die Wahrnehmung des Weins im Nachhall beeinträchtigt. Der Vollakkord ist üppig und satt, wobei die Vogelmiere für eine ganz besondere Reaktion sorgt. Wie bei vielen Kräutern, die als komplette Blätter eingesetzt werden, schließt sich das Aroma erst recht spät auf. In diesem Fall scheint die Vogelmiere genau in das Spektrum des Weins zu passen und ergibt einen regelrechten Aromen-Flash. Ohne die Vogelmiere ist die Reaktion deutlich begrenzter.

Das Essen So farbig, leicht und harmonisch diese Komposition aussieht, so sehr hat sie es im Detail in sich. Der Hauptgrund ist die Verwendung von roh marinierten Chioggia-Rüben (Tonda di Chioggia) im Kontrast zu milden Bachkrebsen. Joachim Wissler scheint hier beweisen zu wollen, dass alle Aromen miteinander kombinierbar sind – vorausgesetzt, man findet die richtige Schnittstelle. Das gelingt ihm mit Glanz und Gloria und mit Hilfe feinstens auf einer Microplane-Reibe gehobelter Rüben, einer Kefir-Creme, eines Suds von Weißer Bete, von Würfelchen aus Gelber Bete und von Vogelmiere. In einer Tasse wird zusätzlich eine Krebsbouillon Berliner Art serviert, die enorm süffig schmeckt, eine leichte Süße und eine große Tiefe hat. Die Akkorde funktionieren hier zum Teil über versetzte zeitliche Verläufe. Die ermöglichen es, dass die ausgesprochen zart und zurückhaltend schmeckenden Bachkrebse gegenüber den rohen Rübchen und dem zitronig angereicherten, recht expressiven Sud ihren Platz finden. Der Vollakkord zeigt eine prächtige, dabei geradezu zarte Balance mit großer Länge durch den zitronigen Sud.

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Kommentar Eine exzellente Empfehlung, die für überraschende und hochwertige Reaktionen sorgt. Hier ist der Wein nicht nur Essensbegleiter, sondern sozusagen gleichberechtigter Partner. Die Wirkung der Vogelmiere beweist wieder einmal, dass auch winzige, scheinbar nur dekorative Details für die Weinbegleitung von großer Bedeutung sein können.


Salziges Wasser – Kabeljau, Zitronenbutter, Arroz Bomba Der Wein Ein 2009er Arbois »Les Corvées sous Curon« von der Domaine de la Tournelle, Evelyne und Pascal Clairet, Arbois, Jura/Frankreich. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 12 Grad serviert. Eine Erhöhung auf 15 Grad spielte keine Rolle, unter anderem auch deshalb, weil die Raumtemperatur inzwischen auf 25 Grad angestiegen war. Die relative Weintemperatur sollte man immer im Auge behalten. In der Nase zeigt der Wein originelle, leicht pfeffrige, auch an Quitte und Algen erinnernde Noten. Er wirkt deutlich zweigeteilt – in eine relativ gering ausgeprägte Säurebasis und die Fruchtnoten. Am Gaumen zeigt sich das Holz (von neuen und gebrauchten Sechshundert-Liter-Fässern) und eine gewisse Reife. Die Zweiteiligkeit ist verschwunden und macht kräftigen Fruchtnoten Platz. Sie sind in sich durchaus differenziert, haben aber ein vergleichsweise begrenztes Spektrum. In Abgang und Nachhall bleibt der Wein relativ stabil und ohne besondere Ausprägungen.

Das Essen Ein Gericht, das in seiner souveränen Machart typisch für Joachim Wissler ist. Im Mittelpunkt steht ein äußerst schonend gegarter Kabeljau von exzellenter Qualität. Er liegt – klassisch – auf einer Beurre blanc, die durch etwas Zitrone präsenter wirkt und dadurch vor allem eine bessere Verbindung zu den anderen Elementen auf dem Teller eingehen kann. Das sind der leicht geräucherte Arroz-Bomba-Reis, unterschiedlich behandelte Wintergemüse von Radicchio bis Puntarelle, etwas gepuffter Reis und dünne Streifen von der Schwimmblase des Kabeljaus – ein hochfein abgestimmtes Bild, das sowohl aromatisch als auch texturell dem Fisch immer genügend Raum lässt. Die Räuchernote vom Reis wirkt sich zum Beispiel vor allem auf die herben Noten des Gemüses aus, die Streifen von der Schimmblase wirken durch ihre hauchfeine Textur, und der gepuffte Reis sorgt zunächst für einen

begrenzten Textureffekt und ergibt im Nachhall ausgesprochen natürlich wirkende, getreidige Noten.

Reaktionen Mit Fisch und etwas Sauce entsteht sofort eine prächtige Variante des klassischen Chardonnay-Beurre-blanc-Akkords. Das Spektrums des Weins wird einerseits verstärkt, andererseits aber auch mit diversen »seriösen« Noten angereichert. Nimmt man Fisch plus Puntarelle, blockiert das Gemüse (allerdings recht dezent) einen Teil des Weinspektrums. Bei einem Gemüsemix aber sorgen die diversen vegetabilen Aromen für eine Verstärkung des Fruchtspektrums. Bei Fisch und Reis steht dann wieder die Anreicherung im Vordergrund. Und so geht es immer ein wenig hin und her – je nachdem, wie viel und welches Gemüse man auf der Gabel hat. Der kulinarisch beste Akkord ist zum Beispiel der von Fisch, Reis und Fenchel. Für den Wein bedeutet er allerdings je nach Dosierung des Fenchels eine kleine Einbuße, weil Teile seines Spektrums belegt werden.

Kommentar Die Kombination ist interessant, aber nicht wirklich stabil. Die kulinarisch spannende Mischung aus einer eher klassischen Sauce und einer modernen Auffassung von Gemüse und Texturen löst differenzierte und schnell wechselnde Reaktionen aus, die den Genießer fordern. Ein Optimum an Wirkung lässt sich nur mit einem wachsamen Hin und Her zwischen unterschiedlichen Speisenkombinationen und Wein erzielen. Eine Verlegung der Kontaktstelle ist dabei übrigens wenig sinnvoll, weil die Aromen des Essens zwar mild, aber durchaus nachhaltig sind.

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Dynamisches Oberhaupt der italienischen Wein-Aristokratie: Marchese Piero Antinori hat wie stets die Zukunft im Visier.

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Marchese Piero Antinori

»Der Wein besiegt geheimnisvoll die Zeit« Von Glück und Tüchtigkeit eines Florentiners Von Heinz-Joachim Fischer

Fotos Thilo Weimar

»Fortuna, fortuna« sei es gewesen, sagt Marchese Piero Antinori

erstaunlich hohen – Umsatz von rund 150 Millionen Euro.

mehrmals und mit Nachdruck. Glück, dass er eines der renom-

Vielleicht braucht man tatsächlich Glück, um Spitzenreiter im

miertesten Weinhäuser der Welt habe schaffen können – mit

Premium-Segment des italienischen Weins zu werden und von

so ruhmvollen Rotweinen wie Tignanello und Solaia, mit

der Toskana aus ein Familien-Weinreich zu regieren, in dem

Guado al Tasso oder Badia a Passignano und einigen anderen

die Sonne nicht untergeht, von Neuseeland (mit dem jüngeren

edlen Tropfen mehr. Damit erzielt das Unternehmen Marchesi

Bruder Lodovico, der hier seinen eigenen Wein macht) über

Antinori einen – in der Klasse ausgesuchter Top-Produkte

Europa bis in die beiden Amerika.

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Stolzer Chef einer uralten Wein-Dynastie: Sein Schreibtisch im edlen Florentiner Palazzo dient nun als Rückzugsort für Marchese Piero Antinori. Zentrum der Aktivität ist das riesige neue, architektonisch wie önotechnisch höchst beeindruckende Weingut bei Bargino in den malerischen Hügeln nahe Florenz.

er dabei, mit jetzt vierundsiebzig Jahren. Ein professioneller Manager, der nicht müde geworden ist, trotz all der grandiosen (und alltäglichen kleinen) Erfolge im Weinberg und auf der Weltbühne des Weins. Auch trotz all der Misslichkeiten, Irrtümer und Rückschläge, die in diesem gnadenlosen Geschäft wohl unvermeidlich sind. Der Marchese zählt die sechs P seiner Lebens- und Wein-Prinzipien auf: Pazienza und Perseveranza, Geduld und Beharrlichkeit, Previdenza, fromme Vorsehung oder tatkräftige Vorsorge, Precisione, Genauigkeit – schlampen darf man in keiner Phase, nicht im Weinberg, nicht im Keller –, Profitto – Gewinn muss sein, schon als Anerkennung der Leistung und für Investitionen in die Zukunft – und immer wieder Passione, unermüdbare Hingabe. Das ist der Motor, der ihn antreibt, und der wurde immer wieder auf harte Proben gestellt. Seit bald fünfzig Jahren. Seit Piero Antinori 1966 die Leitung der Firma übernahm. »Im Schicksalsjahr«, sagt er und meint damit nicht nur die katastrophale Überschwemmung in Florenz, die erhebliche Schäden im Palazzo verursachte, aber vielleicht auch den Beginn eines Aufschwungs markierte: Es war das Jahr seiner Hochzeit mit Signora Francesca und der Geburt von Albiera. 1971 folgte Allegra und vier Jahre später Alessia. Wer heute die drei Töchter mit dem absichtsvollen Triple-A im Namen an der Arbeit in verschiedenen Sektoren des Unternehmens sieht, freut sich nicht nur, dass eine vielerwünschte Frauenquote hier schon übererfüllt wurde, sondern sinniert gern über die weibliche Note in der WeinSphäre. Nicht immer muss ein Sohn der Erbe sein; und der klangvolle Name Antinori, Musik in den Ohren der Kenner, bleibt natürlich erhalten.

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iero Antinori ist Toskaner, so wie die Dichter Dante und Boccaccio, wie die Universalkünstler Leonardo da Vinci und Michelangelo, wie der radikal-fromme Mönch Savonarola, der durchtriebene Politologe Machiavelli und der geniale Naturwissenschaftler Galilei in der Vergangenheit – darüberm Stammhaus der Familie, einem Palazzo mitten in Florenz, hinaus ist er Florentiner: Leidenschaftlich, »con passione«, sitzt uns der Padrone an einem großen, festen Holztisch und nüchtern-rechnend, »con ragione«; genial und pingegegenüber und meint es ernst mit dieser Fortuna. »Warum lig, schlau und charmant, fromm und frivol; Künstler und gerade wir?«, fragt er noch immer stolz-erstaunt. Nach einer Krämer, Handwerker und Händler, Geizkragen und Genießer. Untersuchung des amerikanischen Family Business Magazine Vor allem aber ist ihm wichtig: Fortuna nicht allein zu lassen, gehören die Antinori zu den zehn ältesten Unternehmer- sondern sie mit beiden Händen zu packen, die günstigen Dynastien der Erde – nach den anderen berühmten Floren- Umstände mit Herz und Verstand, mit List und Lust zu nutzen. tiner Wein-Adelsfamilien der Ricasoli und Frescobaldi, deren Natürlich war ihm das Schicksal hold: Am 16. Juli 1938 Umsätze jedoch weit geringer sind, und einem japanischen wurde Piero Antinori in einem Palazzo zu Florenz in eine eineinhalb Jahrtausende alten Tempelbauer-Clan. Eine noble Familie hineingeboren, die seit sechsundzwanzig Generaanspornende Konkurrenz! »Der Wein besiegt geheimnisvoll tionen – 1385 zum ersten Mal erwähnt – mit Wein geschäftig die Zeit«, meint der Marchese vieldeutig. Dynamisch wirkt ist und nicht nur die landwirtschaftliche Erzeugung auf den

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eigenen Gßtern im Chianti-Gebiet, sondern in Florentiner Tradition auch eifrig und erfolgreich den Handel damit pflegt. Vater Niccolò (Jahrgang 1898), der seit 1928 mit der noblen Marke Villa Antinori selbst schon Neuerungen in der Weinerzeugung praktizierte, hat dem gerade achtundzwanzig Jahre alten Piero schon frßh das Familienunternehmen anvertraut. In den sechziger Jahren erlebte auch Italien sein Wirtschaftswunder; mit der Abschaffung der Mezzadria (Halbpacht) fand auf dem Land eine Revolution statt, die zu direkter Verantwortung fßr die Grundbesitzer und damit zu mehr wirtschaftlichen Innovationen fßhrte; die junge Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ermÜglichte Reformen, durch kräftige Zuschßsse. Es musste, es konnte etwas geschehen. Der Wein durfte und sollte besser werden.

Damals wurde der in groĂ&#x;en Mengen produzierte ChiantiWein, traditionell nur aus Sangiovese-Trauben, noch in bauchigen Korbflaschen abgefĂźllt. Die Fiaschi mit dem Bast erfreuten sich bei unseren Eltern und GroĂ&#x;eltern groĂ&#x;er Beliebtheit – bei den Männern wegen des alkoholreichen Inhalts, bei den Hausfrauen wegen der mĂśglichen Verwendung als betropfte Kerzenhalter. Nicht wenige erlagen jedoch auch der Versuchung, fĂźr eine Flasche Rotwein im Bordelais-Format – was Form und Qualität angeht – mit einem hĂśchst eleganten Etikett der Villa Antinori einiges mehr auszugeben. Damals sprach man noch nicht vom Preis-Leistungs-Verhältnis, aber es lief auf ein gĂźnstiges hinaus. Da kam es zu meiner ersten Begegnung mit ÂťAntinoriÂŤ: in einem kleinen Verkaufsladen an der Autobahnraststätte von Incisa, sĂźdlich von Florenz im

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Generationen von Toskana-Freunden ließen sich von der klassischen Schönheit der Landschaft um Montalcino bezaubern – seit einem guten Jahrhundert bezaubert auch der Klassiker Brunello die Liebhaber toskanischer Weine.

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»Die Zeit hat uns Recht gegeben« In Montalcino ringen die Winzer um die Identität des Brunello und um seinen Platz im Geschichtsbuch des italienischen Weins Von Ulrich Sautter

Fotos Thilo Weimar

Der Brunello di Montalcino ist als Klassiker aus der Toskana bekannt, als einziger Rivale des Barolo um die Krone des italienischen Rotweins. Schon 1980 wurde er vom italienischen Staat in den höchsten Stand erhoben: als einer von damals nur fünf DOCG-Weinen. Seit einigen Jahren ist das pittoreske Montalcino Schauplatz erbitterter Richtungskämpfe. Das Gesetz verlangt, dass Brunello reinsortig aus Sangiovese bereitet werden muss – so wie ihn die Familie Biondi Santi vor einhundertdreißig Jahren erschaffen hat. Doch da der Sangiovese eine schwer anzubauende Traube ist, haben sich in der letzten Dekade nicht alle Produzenten an diese Spielregel gehalten.

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Als Erbe der Familie, die auf der Tenuta Il Greppo 1888 den ersten Brunello kelterte, ist Franco Biondi Santi ein prinzipienfester Traditionalist. Er hĂźtet das Gesetz der Sortenreinheit.

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ine kunstvolle Schriftenmalerei prangt an der Wand: ÂťCantinaÂŤ steht da in Rot auf gelbem Grund. Dass die Lettern ein wenig verblichen sind, steigert noch die atmosphärische Wärme, die von dieser Gebrauchskunst ausgeht. Stilisiertes Weinlaub mit Ranken und Träubchen bildet den Ăœbergang zu den Konturen einer skizzierten Papyrusrolle, auf deren zum Spruchband ausgebreiteten Fläche man liest: ÂťIn vino rident omniaÂŤ. Es ist Montalcinos ältester und wohl auch immer noch bedeutendster Weinbaubetrieb, der seinen Besuchern dieses Motto mit auf den Weg in den Keller gibt: das Weingut Biondi Santi. ÂťHat

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man Wein getrunken, lachen einen alle Dinge anÂŤ – so lieĂ&#x;e sich die lateinische Spruchweisheit frei Ăźbersetzen. Biondi Santi – diese Familie prinzipienfester Traditionalisten gilt manchem als sprĂśde und streng. Dabei geht es ihr seit mehr als einhundertfĂźnfzig Jahren fast ausschlieĂ&#x;lich um den Wein, dies von Herzen und – wie man an der Inschrift Ăźber der KellertĂźr sieht – durchaus auch mit Humor. Franco Biondi Santi, einundneunzig Jahre alt, ist ein Herr, hager, mit aristokratischem Antlitz. Er hat zum Gespräch in seine Stadtwohnung nach Siena gebeten. Nach einer gerade Ăźberstandenen

Influenza ist ihm der einstĂźndige Weg nach Montalcino und in die Tenuta Il Greppo zu weit. Im Salon der offenbar zweigeschossigen Wohnung in einem Palazzo der Innenstadt nimmt er Platz auf dem Sofa. Und beginnt, ein Privatkolleg Ăźber Brunello zu halten, eindringlich und doch unaufdringlich. Wache Augen verfolgen die Wirkung seiner Worte auf sein GegenĂźber, während er die HĂśhepunkte der Familiengeschichte streift, das Klima Montalcinos erĂśrtert (und zwar das soziale ebenso wie das meteorologische) und Bodentypen ihrer Eignung nach klassiert, fĂźr verschiedene Weintypen vom Rosso bis zur Riserva. Und dann sagt Franco Biondi Santi einen Satz, der sich anhĂśrt wie die Ăœberschrift zu einer episch aufgemachten Familienchronik: ÂťIl tempo ci ha dato ragioneÂŤ. Die Zeit hat uns Recht gegeben. Dabei bringt seine Haltung, zurĂźckgelehnt auf dem Sofa, den Gehstock neben sich, mindestens ebensoviel RechtfertigungsbedĂźrfnis zum Ausdruck wie Stolz. Eine Gemengelage, die die Familiengeschichte vielleicht schon von Anbeginn begleitet hat: das GefĂźhl, etwas zu tun, was nur wenige verstehen und zu schätzen wissen. SchlieĂ&#x;lich standen schon ganz zu Beginn einsame Entscheidungen: In den Jahren 1888, 1891, 1925 und 1945 fĂźllte die Familie einen Wein ab, den sie ÂťBrunelloÂŤ nannte – in einer Region, die sonst nur namenlose Tischweine fĂźr den sofortigen Konsum produzierte, als Lebensmittel. Bis 1945 blieben die Biondi Santi die einzigen Erzeuger von Brunello, und selbst 1960 hatten sich erst zehn weitere Produzenten hinzugesellt, die gesamte Anbaufläche betrug dreiundsechzigeinhalb Hektar. Erst als die Ă–ffentlichkeit im Lauf der sechziger Jahre von der GrĂśĂ&#x;e der alten Biondi-Santi-Jahrgänge Notiz nahm, begann der Weinbau in Montalcino an Bedeutung zu gewinnen: 1970 erzeugten fĂźnfundzwanzig Betriebe Brunello, 1980 waren es dreiundfĂźnfzig, zehn Jahre später siebenundachtzig, und heute sind es zweihundertfĂźnfzig. Noch deutlicher wird der Boom in Hektarzahlen: Aus den dreiundsechzigeinhalb Hektar des Jahres 1960 sind in nur fĂźnfzig Jahren zweitausendeinhundert geworden. Doch allein sind die Biondi Santi irgendwie immer noch. Denn die auf den ersten Blick zuweilen karg wirkende SchĂśnheit des Sangiovese


Franco Biondi Santi Biondi Santi

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Quel honneur! Ein Tag im Hôtel du Marc, dem Gästehaus der Maison Veuve Clicquot Ponsardin in Reims Von Susanne Kaloff Fotos Alex Habermehl

Ich stehe am Flughafen Charles de Gaulle und warte auf mein Köfferchen und auf den Chauffeur, der mich in einen Ort bringen soll, dessen Namen ich auch nach zehn Jahren Schulfranzösisch nicht aussprechen kann: Reims. Ich bin nicht sicher, ob man das S am Ende einfach fallen lässt oder unauffällig mit nasalem Schwung mitnimmt: Rhäääs? Nun ja, der Fahrer versteht mich offenbar trotzdem, nickt und fährt schweigend los. In einer schweren Limousine gleiten wir lautlos durch die Landschaft, hutzelige Orte, ländliche Straßen, ausgestorbene Dörfer, nur ein paar Männer mit Baguette unterm Arm sind unterwegs, alles sehr französisch. Es regnet, und das schimmernde Paris entfernt sich immer mehr. Eigentlich schade, denke ich.

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Getrennte Wege Mit dem vom Vater ererbten Winzertalent erzeugen die Brüder Oliver und Thomas Haag Mosel-Rieslinge der Spitzenklasse – jeder auf seine Art –‹•›– Von Ulrich Sautter Fotos Christof Herdt –‹•›–

Hier also entstehen einige der größten MoselRieslinge: in einer ganz und gar unspektakulären Einfamilienhaussiedlung am Ortsrand von Brauneberg. In der Dusemonder Straße parke ich meinen Wagen und trete in die Dunkelheit und Kälte dieses Novemberabends – dem Lichtschein entgegen, der aus einem großen Tor fällt. Stimmen und Arbeitsgeräusche aus dem Innern des Gebäudes deuten darauf hin, dass dies wohl wirklich ein Weingut ist, ein Kelterhaus. Und dann ist sie auch schon zu hören: die sonore Stimme Wilhelm Haags, des Altmeisters, der am vorletzten Tag der Lese hier und da kleine Anweisungen gibt, während sein Sohn Oliver nur kurz durchs Bild huscht – mit Dreitagebart und merklich unter Strom. Schließlich ist er es, der hier in der Pflicht steht.

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gemeinsames Ziel

Altmeister mit jungen Kรถnnern: Wilhelm Haag und seine Sรถhne Oliver und Thomas haben in der Brauneberger Juffer gutgelaunt Verschiedenes im Blick.

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Mit Gaggenau gewinnt die Kunst der Zurückhaltung Ausdruck.

Der Unterschied heißt Gaggenau. Scheinbar Widersprüchliches zu verbinden, ist eine Kunst, die wir perfekt beherrschen. Unser unverwechselbares Design zeigt selbst in kompromissloser Reduktion Charakter. Wie die neue Backofen-Serie 200, eine Komposition in den Gaggenau Farbtönen Anthrazit, Metallic oder Silber, die sich stilvoll in jedes Ambiente einfügt. Ausdruck und Zurückhaltung erweisen sich nicht als Gegensatz, sondern vereinen sich in vollkommener Harmonie. Informieren Sie sich unter 01801 1122 11 (3,9 Ct./Min. a. d. Festnetz der Telekom, Mobilfunk max. 0,42 €/Min.) oder unter www.gaggenau.com.


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