Fine Das Weinmagazin 2|2010 - Leseprobe

Page 1

E u r o p e a n

F i n e

w i n e

Deutschland · Österreich · Schweiz ·

m a g a z i n e

S k a n d i n av i e n

· G r o s s b r i t a n n i e n · U S A · A u s t r a l i e n

2 / 2 010   Deutschl and € 15

Österreich € 16,90 I ta l i e n    € 18, 5 0 Schweiz chf 3 0,00

Das

W ei n m aga z i n

Frauen im Wein: Tomoko Kur i ya m a

Château Angélus

Koehler-Ruprecht

Ca’Marca n da

Champagne Veuv e C l ic qu ot

Blaufränkisch

P

o

r

t

w

e

i

n


E

Das

10

F I N E

2 / 2 01 0

U

R

O

P

E

A

N

F

I

N

E

W ein m a g a z in

W

I

N

E

MAGAZ

I

N

E

2/2010

Seite 34 Bordeaux 2009: Die Primeurs

Seite 52 Gaja in der Maremma: Ca’ Marcanda

Seite 64 Champagne Veuve Clicquot Ponsardin

Seite 120 Der Weinkeller von Bayer Leverkusen

Seite 128 Prof. H. R. Schultz über Wein im Klimawandel

Seite 134 Bernd Philippi: Welt-Winzer aus der Pfalz


D

I

E

G

R

O

SS

E

N

W

E

I

N

E

D

E

R

W

E

LT

I n h a lt Seite 46 Ornellaia-Kunst

Seite 116 Blind verkosten

Seite 102 Tomoko Kuriyama

Seite 16 Douro: Portwein aus dem Tal der Visionäre

Seite 74 Blaufränkisch: Österreichs Super-Star

13

Fine Editorial

Thomas Schröder

14

Fine Degustation

Die Fine-Kriterien

16

Fine Portugal

Douro: Portwein aus dem Tal der Visionäre

34

Fine Bordeaux

Bordeaux 2009: Die Primeurs

46

Fine Wein-Kunst

Ornellaia: Kunst der Vignette

52

Fine Toskana

Gaja in der Maremma: Ca’ Marcanda

60

Fine Die Pigott Kolumne

Lemberger – keine Chance neben Blaufränkisch?

64

Fine Champagne

Champagne Veuve Clicquot Ponsardin

74

Fine Österreich

Blaufränkisch: Österreichs Super-Star

86

Fine Die Dollase Kolumne

Wein & Speisen: Gästehaus Erfort

96

Fine Das Große Dutzend

Château Angélus

100

Fine Die Zielke Kolumne

Reiner Wein: Die Trophäen verraten den Mann

102

Fine Frauen im Wein

Tomoko Kuriyama

108

Fine Weinprobe & Kunst

Château Mouton Rothschild 2000 bis 2003

116

Fine Wein-Fragen

Blind verkosten

120

Fine Weinkeller

Der Weinkeller von Bayer Leverkusen

128

Fine Interview

Prof. Hans Reiner Schultz über Wein im Klimawandel

134

Fine Pfalz

Bernd Philippi: Welt-Winzer aus der Pfalz

146

Fine Abgang

Ralf Frenzel

F I N E

I n h a l t

11


Das Tal der Er ist wieder im Kommen: Der Aufschwung der Weine aus dem Douro-Tal verhilft auch dem Port zu neuem Glanz Text: STEFAN QUANTE Fotos: RUI CAMILO

A

drian Bridge springt beherzt in die Badewanne – mit Schuhen, Anzug und Krawatte. Der Chef von Taylor’s freut sich wie ein kleiner Junge darauf, dass sie bald in seinem neuen Hotel The Yeatman in Porto eingebaut wird. Einstweilen ist sie noch Bestandteil eines Musterzimmers in den weitläufigen Gebäu-

F I N E

2 / 2 01 0

den des Portwein-Imperiums Taylor’s. Seine Ehefrau Natasha, die das nötige Familienvermögen mit in die Ehe gebracht hat und das geschmackvolle Dekor verantwortet, schmunzelt nur: »Boys’ toys …« Ihr Nachbar Dominic Symington steht hinter seinem blank gescheuerten Degustationstresen

beim Platzhirsch Graham’s und schenkt ein paar seiner Schätze aus: Und dann zieht es ihn und er uns durch die Küche in einen überdimensionalen bis dato etwas vernachlässigten Veranstaltungssaal. Hier lässt er in den nächsten Monaten ein zeitgemäßes Restaurant für die vielen Besucher seiner picobello gepflegten Lodge bauen, mit


Visionäre

großer Terrasse und Paradeblick über den Douro und die Altstadt von Porto. Seine Hoffnung: »Der enorme Run auf die trockenen DouroWeine wird dem etwas aus der Mode geratenen Port zu neuem Glanz verhelfen.« Verena Niepoort behält die Übersicht im geordneten Chaos ihres stattlichen Büros. Früher

war sie mal Bürokraft bei Siemens. Jetzt hält sie ihrem Bruder Dirk den Rücken frei. Unter den Visionären des Douro gilt er als der große Kreative. Er hat das Potential der Rotweine im Tal als erster erkannt und mit seinem preiswerten Tinto Fabelhaft einen Marken-Welterfolg hingelegt, dessen Ertrag ihm erlaubt, seiner großen

geerbten Leidenschaft zu leben – dem Port. Am Telefon (er ist an zweihundertfünfundsechzig Tagen des Jahres im Ausland unterwegs) stellt er mir gleich die ihm wichtigste Frage: »Waren Sie schon im Douro-Tal?« Erst dann könne man ihn und seine Begeisterung für den Port verstehen. Auf geht’s.

F I N E

P O R T U G A L


Dominic Symington sitzt über den historischen Folianten der Kellerbücher in der fünfhundert Jahre alten Quinta do Vesuvio wie in einer anderen Welt.

Symington Family Estates

Graham’s, Dow’s, Warre’s

D

er Douro schlängelt sich gemächlich durch den Morgennebel. Kein von Menschen und Maschinen erzeugter Laut dringt an unser Ohr. Das Tal ist fast autofrei, denn es gibt zum Glück keine Uferstraßen. Wer hierher kommen will, nähert sich dem UNESCOWeltkulturerbe quasi von hinten. Weit jenseits der mächtigen Hügel­rücken verläuft jetzt eine Art Autobahn, von der nur vereinzelte Stich­ straßen ins Tal führen. In zwei Stunden ist die Fahrt leicht zu schaffen. Und drei Mal am Tag rattert gemächlich die pitto­reske Dampflok aus ­Porto hier hoch. Ich stehe auf der Terrasse der Quinta dos Malve­ dos, einem von dreiundzwanzig Portweingütern der Familie Symington. Der ver­zweigte Clan herrscht jetzt in der fünften Generation über neunhundertfünfzig Hektar Rebfläche – aus denen rund ein Drittel aller Premium-Portweine der Welt stammen. Dominic Symington führt mir vor Augen, wie viel entlegener ­dieser magische Ort in seiner Kindheit war: »Wenn wir einmal im Monat hier raus fuhren, war das immer eine fünfstündige Autofahrt. Unsere Eltern haben deshalb immer ein Picknick in den Bergen eingeplant.« Trotzdem wollten die kleinen Sym-

18

F I N E

2 / 2 01 0

ingtons nicht so recht in das abgeschiedene Tal – es gab dort keinen Fernseher und bis 1970 nicht einmal Strom. »Aber einmal dort, waren wir die glücklichsten Kinder, die man sich vorstellen kann.« Der Douro ist schon durch seine geografische Lage eine Welt für sich. Die bis zu vierzehnhundert Meter hohen Berge der Sierra do Marão schirmen ihn gegen den Atlantik und damit gegen Wind und Regen ab. Im Sommer erreicht das Thermometer, je näher man der Grenze zu Spanien kommt, nicht selten die Vierzig-GradMarke. Schon die Römer haben hier Terrassen angelegt. Aber erst in den vergangenen drei Jahrhunderten hat sich die einzigartige Weinbaulandschaft mit vielschichtiger Terrassierung entwickelt. Ein Zufall der Weltgeschichte war dafür der Auslöser – die britisch-französischen Handelskriege im 17. Jahrhundert. Französischer Wein war in England verboten und später ­extrem hoch besteuert. Britische Kaufleute ­fanden im befreundeten Portugal einen geeigneten Ersatzstoff für ihre weindurstigen Landsleute. Um die in der großen Hitze schnell ver­gärenden dunklen Weine für den Schiffstransport zu rüsten, gab man ihnen kurzerhand


eine kräftige Dosis Brandy mit auf die Reise. Eng verknüpft ist der Aufstieg des Dourotals mit dem Marquis von Pombal. Der Tatkraft des absolutistischen Premierministers verdankt ­Portugal nicht nur den Wiederaufbau nach dem verheerenden Erdbeben von 1755, sondern ein Jahr später auch die strenge Reglementierung von Appellationen und Handel. Die erste präzise Klassifizierung der Weinbaugeschichte! Die Symingtons kamen erst rund hundertdreißig Jahre später hier an. Ursprünglich waren sie Wollhändler. Der junge Andrew James ­wurde einem säumigen Schuldner auf den Hals gehetzt. Statt Barem waren bei dem Mann aber nur drei Fässer mit unbekanntem Inhalt zu holen. Der junge Mann schickte das Zeug seinen schottischen Verwandten und bekam postwendend Bescheid: »Gar nicht schlecht – besorge mehr davon!« Sein Schicksal war besiegelt – er blieb, heiratete in eine britisch-portugiesische Wein­ familie ein und legte den Grundstein für den größten aller Port-Konzerne. Dass der heute einen anderen Namen trägt, hat seinen Grund: Den noch traditionsreicheren Portweinfürsten der Familie Graham gingen 1970 die geeigneten Familienmitglieder aus und ihr Imperium stand zum Verkauf. Die Marken Dow’s und Warre’s gehören heute ebenfalls den Symingtons. ie wichtig der familiäre Zusammenhalt im Weingeschäft im Allgemeinen und bei der Portproduktion im Besonderen ist, macht ­Dominic Symington mit wenigen Worten klar: »Es gibt hier rund achtzig verschiedene Rebsorten, und in die ­meisten Blends fließen verschiedene Jahrgänge ein. Ganz zu schweigen von den vielen Lagen und Mikroklimata. Ein Einzelner wäre mit den viel­ fältigen Verkostungen und Entscheidungen ziemlich überfordert. Wir treffen uns regelmäßig mit zehn Familienmitgliedern. Die Alten stehen mit ihren jahrzehntelangen Erfahrungen den Jungen zur Seite.« Passive Familienmitglieder werden ausgezahlt, damit Geschäft und Kompetenz nicht erodieren. Und auch der ­Kontakt zu den Port produzierenden ­Kollegen sei ausgezeichnet, beteuert der agile ­Mit­t­fünfziger: »Wir sind mit fast allen gut befreundet.« Dieses sehr spezielle Douro-Gemeinschaftsgefühl drückt sich ganz sichtbar auch bei der Weinlese aus. Das Lesegut wandert in die berühmten knapp hüfthohen Lagares – ­gewaltige Gär­ becken aus Granit. Schulter an Schulter, Arm in Arm treten die Erntehelfer das sensible Lesegut in der Nacht nach der Lese. Zuerst im »corte«, ­quasi militärisch in Reih und Glied nach einem festen Rhythmus, danach gleichsam tänzerisch zu Gesang oder Musik vom Band – »­libertad« heißt diese Phase. Schonender lassen sich ­Trauben kaum pressen. Dominic Symington hat sich in seiner Jugend auch so manche Nacht damit vertrieben. Aber das Dourotal steckt mitten in einer gewaltigen Renaissance, was die Steigerung von Qualität und Produktion betrifft.

Die Rebfläche hat sich von vierundzwanzig­ tausend Hektar vor dreißig Jahren auf heute gut vierzigtausend erhöht. Da sind geeignete Ernte­helfer längst Mangelware geworden, und die tradi­tionellen Lagares kommen seltener zum Einsatz. Bei Graham’s hat der neue Chef­ önologe Charles Symington vor ein paar Jahren so genannte Robotic Lagares entwickelt. Edelstahl statt Granit, Silikon-Stempel statt menschlicher Füße und ein Computerprogramm statt Tanzschritten – so sieht der Fortschritt am ­Douro aus. Das Geheimnis liegt im erzeugten Druck – ­zwanzig Kilogramm pro Quadratzentimeter müssen es sein – so viel wie beim Menschen. Noch einen Vorteil hat die ­moderne Technik: Die Temperatur kann während der Fermentation präzise gesteuert werden. Ein unschätzbarer Vorteil im heißen Dourotal: Im Hitzejahr 1963 etwa hat Dominic Symingtons Vater in ­seiner Not einfach das Dach der Kelter­halle abdecken lassen, um die ­Temperatur ein wenig in den Griff zu bekommen. Eile ist bei der Portwein­produktion ­geboten, denn für die Fermen­tation ­bleiben nur höchstens ­achtundvierzig ­Stunden Zeit, sonst hat sich zu viel Zucker in Alkohol umgewandelt.

W

F I N E

P o r t u g a l

19


Portwein, wie hier im Fasskeller von Graham’s, muss lange ruhen, damit ein alter Tawny so funkelnd im Glas steht.

Die Gärung wird mit siebenundsiebzigprozentigem Brandy gestoppt. ­Beide Tank-Welten stehen auf Malvedos nur durch eine Wand getrennt im bruch­steinernen Keller aus dem Jahr 1870. Die Symingtons nennen noch ein wert­volleres Kleinod ihr eigen – die Quinta do ­Vesuvio mit ihrer fünfhundertjährigen Geschichte. Kaum ein Weingut im Dourotal hat so viel Zauber und Charme. Mit einem Motorboot ­kommen die meisten Besucher über den hier seit 1960 angestauten Douro an. Im Blick der eigene ­kleine Bahnhof, Trauerweiden am Ufer, Pampel­musen­ bäume, Palmen im Hof und die neo­barocke Familienkapelle der Ferreiras, denen die Quinta bis 1989 gehört hat – besser gesagt, einer Erbengemeinschaft aus neunundsechzig Mitgliedern der Familie. Seither haben die Sy­mingtons hier viele Millionen Euro investiert – vor allem in die Weinberge. Neunzig der ­heute einhundertfünfzig Hektar Rebfläche wurden neu gepflanzt. Ein Drittel macht allein die Reb­sorte Touriga ­Nacional aus, ertragsarm, aber extrem aromatisch – der ganze Stolz von Portu­gals Weinwelt. Der einzige Port, der von der ­Quinta do Vesuvio auf den Markt kommt, ist Vintage Port. Seit 2007 produziert die ­Quinta auch Rotweine, etwa den Pombal do Vesuvio (60 Prozent Touriga Franca, 30 Prozent ­Touriga Nacional und 10 Prozent Tinta Amarela). Kraft­strotzende, fruchtstarke, noch etwas raue Gesellen sind das, deren Alterungspotential noch niemand so recht voraussagen möchte. as Herrenhaus, ein Vierzig-ZimmerPalast aus dem 19. Jahrhundert, wirkt immer noch wie aus einer anderen Zeit: An der Garderobe ein paar patinierte Strohhüte, im Wandschrank am Kamin im repräsentativen Salon stehen historische Keramiken neben einer

D

20

F I N E

2 / 2 01 0

Dose Insektenspray und an den Wänden hängen ein paar gelb­stichige Familienfotos. Beim Lunch ­genießen wir eine der zahllosen Bacalhao-Variationen Portugals, als Auflauf. Dazu knallt die Haus­hälterin in ihrer Kittel­schürze eine ­Flasche ­92-er ­Colheita auf die Tafel als sei es ­billigster Tischwein. Dabei haben wir eine ­Rarität im Glas – der Wein kam nie auf den Markt und darf nach den strengen Regeln des Portweininstituts außer auf der Quinta nirgend­wo verkauft werden. Unfiltriert und scheinbar unkompliziert passt er sich dem salzbetonten harten Ziegenkäse perfekt an. Die lange Lagerung im Holzfass hat ihm eine Aromendichte beschert, die sich erst auf den zweiten Schluck offenbart. Im offenen Kamin prasseln trockene Rebstöcke, ein alter Buchhaltertisch samt Stehhilfe hält die alten Zeiten lebendig, als engbeschriebene dicke ­Folianten ungefähr die Rolle spielten wie heute Excel-Tabellen mit Erntemengen, Preisen und Daten. »Mobiltelefone kriegen hier keinen Empfang«, sagt Dominic ­Symington, »und einen Fernseher haben wir nur in der Küche. Dies soll eine andere Welt bleiben. Deshalb haben wir hier auch keine automatischen Lagares – alles hier ist Hand- und Fußarbeit.« Die acht riesigen Granit-Becken aus dem Jahr 1827 sind also ­keine Museumsstücke, sondern während der Lese echte Arbeitsplätze für rund fünfzig Erntehelfer. In den Weinbergen bis zu vierhundert Meter über der Quinta wird die Andersartigkeit noch greifbarer. Außer dem Blöken einer Herde ­Schafe dringt kein Laut an unser Ohr. Zu sehen ist nur der Schäfer, der einzige Mensch weit und breit, obwohl diese Kulturlandschaft im Laufe der Jahrhunderte so sehr von Menschenhand gestaltet wurde wie kaum eine andere. Die ­Ruine eines uralten Aufseher-Hauses über-

schaut die Windungen des Flusses und die Terrassen mit ihren sieben Mikroklimata – auch für Douro-Verhältnisse eine ungeheure Vielfalt. In schwierigen, besonders heißen Jahren kann Chefönologe Charles Symington damit vieles ausgleichen – etwa in höhere Lagen aus­weichen, wenn die Sonne unten am Fluss zu sehr brennt. Wir sind hier ganz im Osten des ­Douro, nur fünfundvierzig Kilometer von der spanischen ­Grenze entfernt. urück im Westen, in Vila de Nova Gaia, wo sich seit Jahrhunderten ein Portweinhaus an das andere reiht, schenkt mir Dominic ­Symington einen ein – besser gesagt sechs. Einen LBV (Late bottled vintage) und einen Six Grapes, eine junge Cuvée aus den wichtigsten Rebsorten des Douro. Und dann vier unterschiedlich reife Tawnys, zehn, zwanzig, dreißig und vierzig Jahre alt. Schon faszinierend zu sehen, wie das Rot aus dem Port weicht, ihn zunächst heller werden lässt, um dann immer tiefer ­werdenden Braun­tönen mit grünen Reflexen zu weichen. Am Ende des Reifeprozesses stehen dann ­dichte Aromen von Banane, Mandelbisquit, Rosinen und Trockenobst. Nicht wenige Port-Aficionados ziehen einen so alten guten ­Tawny den oft deutlich teureren Vintage Ports vor. Zum Abschied verrät mir der Hausherr noch, mit welcher Frage man sich in Porto am schnellsten disqualifizieren kann: »Wie lange hält sich eine geöffnete Flasche Port, wollen vor allem Besucher aus Deutschland gerne wissen. Die ­Antwort? Natürlich auch nur höchstens zwei oder drei Tage wie bei jedem anderen Wein auch. Aber wieso soll man das wissen wollen? Wenn sie einmal geöffnet ist, trinkt man die ­Flasche doch sowieso aus ...«

Z


F I N E

P o r t u g a l

21


22

F I N E

2 / 2 01 0


Taylor, Fladgate & Yeatman

Adrian Bridge und Natasha Robertson, die Erbin aus PortUradel, wollen ihren Wein auch jungen Leuten zugänglich machen. Die alte Pracht der großen Douro-Familien ­entfaltet sich im Herrenhaus in Vila Nova de Gaia.

Taylor’s, Fonseca, Croft

D

er Weg führt mich nur zwei Straßen weiter, zu Taylor’s, dem stärksten Rivalen der ­Symingtons, was Größenordnung und Renommee der Produkte betrifft. Adrian Brigde leitet die ­Geschicke des zweitgrößten Port-Imperiums seit zehn ­Jahren. Der agile Sechsundvierzigjährige hat eine erfolgreiche Karriere als Investment­banker in der Londoner City hinter sich. Durch die Ehe mit Natasha Robertson wurde er in ein ­völlig neues Leben katapultiert. Befreit von jahrhundertealtem Traditionsdenken hat er zum Entsetzen mancher Portgranden auch keinerlei Problem, mit einem Pink Port ausgerechnet seiner Marke Croft (gegründet 1678!) auf einen Zeitgeistzug zu springen. Inzwischen gibt es sogar schon den einen oder anderen Nach­ahmer. »Damit wollen wir junge Leute gewinnen und an Portwein heranführen. Die sollen sagen – Pink Port würde mein Vater nie im Leben ­trinken. Deshalb will ich es!« Adrian Bridge hat ziemlich klare Ansichten. Vielleicht liegt es an seinen sechs Jahren beim königlichen Militär in Sandhurst. Eines hat er schnell begriffen: »Wein ist ein unglaublich kom­plexes Geschäft – von der Beere bis zur Ab­füllung ist es

ein langer Weg. Trotzdem oder vielleicht ­gerade deshalb sind vier der zehn ältesten ­Firmen der Welt Weinfirmen.« Aber in Zeiten, da alles kurzlebiger geworden ist, muss man sich anpassen: »Jeder hat Angst vor zu großen und vollen Lagern.« Und was die anderen machen, beobachtet man in Vila Nova de Gaia sehr genau: »Wir haben jeden Monat Blindproben mit den ­Weinen unserer Wettbewerber.« Wir, das sind bei Taylor’s elf Degustateure. In der Regel wird ein friedlicher Konsens erzielt, aber wenn nicht, entscheidet Adrians Ehefrau Natasha. Sie hat als Tochter der Robertsons, Port-Uradel seit fast zweihundert Jahren, die Kompetenz in die Wiege gelegt bekommen und leitet heute das Blending-Team für die Marken Taylor’s, ­Fonseca und Croft. Sie ist eine der wenigen Frauen in der kleinen Port-Society am Douro. Das önologische Alltagsgeschäft indes liegt in den Händen von David Guimaraens. Seine Vorfahren haben das legendäre Portwein-Haus Fonseca 1822 gegründet. Heute gehört es zu The Fladgate Partnership. Er spricht ebenso gern wie detailliert über die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte im Dourotal. Bis 1970, so meint er, habe vor allem empirisches Wein-

F I N E

P o r t u g a l

23


U

David Guimaraens ist Önologe bei Taylor’s. 1822 haben seine Vorfahren das Portweinhaus Fonseca gegründet.

verständnis geherrscht. Seither hat sich vieles geändert. Überall wurde nach einer Alter­native zu den traditionellen Granit-Lagares gesucht, Rebsorten wurden erstmals getrennt vinifiziert, die fast ausgestorbene, aber für gehobene Quali­tät ungeheuer wichtige Rebsorte Touriga Nacional (»A pig of a variety!«) wurde trotz geringer Erträge verbreitet. Das wachsende Verständnis für die Unterschiedlichkeit der zahllosen Rebsorten des Douro ermöglicht es inzwischen auch in vermeintlich schlechten ­Jahren wie dem extrem heißen 2003, guten, sogar sehr guten Port zu machen. Erst seit Beginn des Jahrtausends hat nach Überzeugung des Önologen so etwas wie eine Revision dieser Modernisierungstendenzen eingesetzt. Seit dem Jahr 2000 macht er

24

F I N E

2 / 2 01 0

zum ­Beispiel keine rebsortenreine Fermen­tation mehr – das erste Blending im Gärtank bringe einfach bessere, harmonischere Ergebnisse. Überhaupt werde heute, nicht nur bei Taylor’s und ­Fonseca, wieder zu Dreivierteln nach den Methoden von früher, als nur die Empirie zählte, gearbeitet. Generell sei die Qualität heute besser – das hört man überall im Dourotal. Auch der Klima­wandel bereitet David Guimaraens keine schlaflosen Nächte: »Erstens sind wir an große Hitze gewöhnt. Zweitens können wir in höhere Lagen ausweichen. Drittens haben wir Rebflächen in allen Himmelsrichtungen. Viertens erstreckt sich die Region über rund hundert Kilometer, und fünftens können wir beim Blending einiges ausgleichen.« nd dann ist da noch die Sache mit den Destillaten zum Aufspritten und Stoppen der frühzeitigen Gärung. Bis 1991 waren die Port­häuser verpflichtet, ihren Bedarf an Sprit beim Staat zu decken. Seitdem ­pflegen David Guimaraens und seine Kollegen ihre Brennereien in Portugal, Spanien oder Frankreich, arbeiten mit ihnen, zahlen mehr als früher und bekommen dafür ungleich bessere Qualitäten. Außerdem macht ein gutes Destillat den Port viel früher zugänglich. Während wir ­darüber sprechen, haben wir im Tasting Room das Portfolio der gesamten Gruppe vor uns. Was nachhaltig in Erinnerung bleibt, ist ein Port der Top Quinta Vargellas aus dem Jahr 2001 mit atem­ beraubender ­D ichte und einem intensiven Rubinrot. Mit großem Vergnügen jetzt schon trinkbar, aber gemacht für ein langes Leben. Und dann ist da noch der 1996-er Vintage Port von Fonseca ­Guimaraens, der ein schönes Zusammenspiel aus Nuss- und Mandelaromen mit eindrucksvoller Tannin­struktur zu bieten hat. Guimaraens nicht ohne familiären Stolz: »­Unsere Eltern wussten eben auch schon, was Terroir ist, bevor sie das Wort dafür kannten!«


S

päter beim Lunch im repräsentativen Herrenhaus der Familie hält es den Chef­ önologen nicht länger: »Wann fragen Sie endlich, warum wir keinen Tafelwein machen?« Die Antwort scheint ihm wichtig zu sein: »Wir müssen das nicht auch noch machen. Unsere Kernkompetenz ist eben seit Jahrhunderten der Port, vor allem der vom oberen Ende der Skala.« Das sagt jemand, der viele Jahre seines Lebens fern vom Portwein, in Australien, verbracht hat und genau weiß, zu welchen Spitzen­ leistungen auch junge Weinregionen fähig sind. Die bloße Erwähnung des legendären Old Block Shiraz von St. Hallett (wo er einige Zeit gearbeitet hat) löst ein genießerisches Zungeschnalzen bei ihm aus.

Auch Natasha und Adrian Bridge sind jetzt dabei. Beiden liegt aktuell ihr neues Hotel am Herzen, das Yeatman. Auf einem Sechsundzwanzigtausend-Quadratmeter-Grundstück, das sie zum Teil dem Bischof von Porto abgekauft haben, entsteht das erste Luxushotel der Zwei-Millionen-Stadt. Mit Panoramablick über die Port-Lodges von Vila de Nova Gaia auf den Douro und die Altstadt, mit einem Pool, der wie eine Dekantierkaraffe geformt ist, mit dem größten Korken der Welt als Hingucker und einem romantischen Bett in einem alten Weinfass. Natürlich glauben die beiden fest an den Erfolg ihres Projekts. Denn Porto ist eine der schönsten Städte Europas, hat aber Nachholbedarf, was Top-Hotels und -Restaurants betrifft.

Besser werdende Flugverbindungen und steigende Touristenzahlen begründen ihren Optimismus und ihren unternehmerischen Wagemut. Das Büro von Adrian Bridge selbst hat wenig von dem für das Hotel geplanten Glamour. Funktionelle, etwas abgenutzte Möbel, wenig Platz, aber ein erstklassiger Blick. Unweit von hier hat er vor zweiunddreißig Jahren seine Port­initiation erlebt: mit vierzehn auf Klassenfahrt in Portugal. Er erzählt mit cooler britischer Selbstironie von einer morgendlichen, offenkundig umfangreichen Schnell-Degustation in der Sandemann-Lodge. Ein kleiner Lunch in einer Hafenkneipe schloss sich an, dazu zwei Bier, und der große Chef von heute hatte den ersten eindrucks­vollen Rausch seines Lebens.

F I N E

P o r t u g a l

25


Dirk van der Niepoort sprüht vor Ideen und ist der kreative Erneuerer im Douro-Tal – doch noch mehr als andere schätzt er auch die Werte der Tradition.

Niepoort

E

twa zu dieser Zeit war einer seiner gleich­a ltrigen Nachbarn von heute schon ein Stück weiter – Dirk van der Niepoort. Ein leicht verblichenes Farbfoto aus den frühen Achtzigern im Büro ­seiner Lodge zeigt einen jungen Mann mit damals noch braver Frisur unter einem riesigen Hut, gehüllt in ein altmodisches Mantelcape. Daneben sein Vater Rolf und eine Phalanx weiterer Port-Granden im nämlichen Outfit – Dirks Aufnahme in die ehrwürdige Confreira do Vinho Porto. Heute kokettiert der Mann mit der inzwischen wilden Lockenmähne damit, dass er ein Chaot sei, aber: »Vor fünf Jahren war ich noch viel chaotischer. Das geht heute nicht mehr.« Bedauern schwingt da nicht mehr mit, eher ein gewisser Stolz auf die inzwischen erreichte ­Größe. Dennoch ist Niepoort im Gefüge des sich in immer weniger Gruppen konzentrierenden Portgeschäftes einer der Kleinsten. Keimzelle seines wirtschaftlichen Erfolges ist ein unkomplizierter, aber Douro-typischer Rotwein für den kleinen Geldbeutel, der in Deutschland den Namen Fabelhaft trägt. Vor vierzehn ­Jahren mit vierzigtausend Litern gestartet, ­steuert Niepoort heute schon fast auf die sagenhafte ­Menge von

26

F I N E

2 / 2 01 0

einer Million Flaschen zu. Verkauft werden sie in vierzehn Länder der Erde, mit witzigen Etiketten, die für jedes Land völlig unterschiedlich aussehen. In Deutschland ruft der trinkfreudige Rabe von Wilhelm Busch Kindheitserinnerungen wach, während in Südafrika die Tiere der Savanne über das perforierte ­Etikett ziehen. Und für Frankreich ist ein Mann mit Fliegenklatsche angedacht – mit dem Spruch »Le vin tue« (Der Wein bringt einen um). Das Klirren der Flaschen beim Etikettieren und Verpacken dringt durch die erstaunlich unaufgeräumt wirkenden Keller – heute ist Abfüll- und Versandtag. Gleich nebenan lagern Schätze aus einer völlig anderen Welt – rund drei­tausend Demi-Johns, große bauchige Riesen­ballons aus dem 18. Jahrhundert. Jeder ein Unikat und jeder mit unterschiedlichen Volumina zwischen elf und dreizehn Litern gesegnet. Diese Ports haben ein Jahr in Pipes (kleinen Holzfässern) hinter sich. In den Demi-Johns bleiben sie etwa dreißig Jahre, um dann abgefüllt noch ein paar ­Jahre in der Normalflasche zu ruhen. Resultat sind ebenso fruchtige wie filigrane Ports, die ihresgleichen suchen. Dirk van der Niepoort hat ­diese extrem aufwändige Spezialität von


F I N E

P o r t u g a l

27


seinem Großvater übernommen. Die seltenen Garra­feira-Ports erzielen Preise um die vierhundert Euro, etwa für den 1952-er. Der jüngste Jahrgang 1977 kam erst vor gut einem Jahr auf die Flasche – in einer Auflage von nur zweitausend Stück. Ein Produkt, das es nur in einem inhabergeführten Betrieb geben kann. In einem Konzern würde es den ersten Besuch eines Controllers nicht überleben. Eine Gewinnerzielungsabsicht liegt hier nämlich eher nicht vor, aber eine tiefe Leidenschaft für das Familienerbe: »Mein Herz schlägt für trockenen Wein ebenso wie für Port, aber während beim Port nur kleine Korrekturen möglich sind, musste bei der Weinerzeugung am Douro erst mal eine Revolution erfolgen.« Wenn man es wirtschaftlich betrachtet: Der Überraschungserfolg mit dem einfachen Tafelwein Fabelhaft erlaubt es Dirk van der Niepoort, seine geerbte Leidenschaft zu pflegen. ber Port kommt wieder: Im vergangenen Jahr hat Niepoort seine Wein­umsätze um fünfzehn Prozent gesteigert. Die bei den Portweinen jedoch um neunzehn ­Prozent! »Viele Kunden kommen über den Rotwein zum Port. Ich ­nenne das den Fabelhaft-Effekt.« Niepoort knüpft bei seiner Arbeit eher an die Techniken seines Großvaters als an die seines Vaters an: »Als ich 1987 anfing, waren Granitlagares ein Zeichen für Armseligkeit, und fast alle ­hatten damit aufgehört. Heute ­arbeiten wir im Prinzip wieder so wie in den zwanziger bis vierziger Jahren, vielleicht nur etwas präziser.« Und mit besserem Traubenmaterial, denn zu Niepoorts inzwischen neunundvierzig Hektar eigenen Weinbergen zählt seit 2003 auch eine Lage, von der er immer geträumt hatte – ­Pisca. Niepoort verschweigt nicht, dass die Rückbesinnung auf das Erbe der Vorväter mit etlichen Tiefschlägen verbunden war: »Erst mal ist vieles schief gegangen. Mit dem Zurück-zur-Natur-Gedanken haben wir es sicher zunächst übertrieben. Aber seit 2000 sind die Probleme gelöst.« Das Resultat sind leichte und filigrane trockene Rotweine, die eher an Burgund als Bordeaux erinnern. Die Kellertour im unscheinbaren Stammhaus mache ich mit Niepoorts Keller­meister Nick Dela­force. Ein bescheidener Mann der Weintechnik und damit der ideale Gegenpart zu seinem eher visionären Chef. Hinter einem betagten Wellblechtor herrscht gewolltes Durcheinander, weshalb es hier auch keine ­Führungen gibt. Hier ruhen die alten Colheitas (bis 1963), die ­Reserven für gereifte Tawnys und

A Kellermeister Nick Delaforce hütet die Schätze in den alten Demi-Johns für die Garrafeiras. Das moderne Gutshaus zeugt von Weitblick.

28

F I N E

2 / 2 01 0


Vintage Ports seit dem Jahr 1927. Und in einem separaten Raum die Demi-Johns für die Garra­ feiras. Echte Ordnung herrscht nur in einem ­kleinen Verschlag, in dem Dirk van der Niepoorts Vater geblendet hat. Säuber­lich aufgereiht stehen hier noch alle ­Flaschen in weißen Regalen, aus denen der Senior-Chef sich dabei bedient hat. ie Probe machen wir in einem etwas altfränkisch anmutenden Kellergelass. Ein zehn ­Jahre alter weißer Port bildet den Auftakt – bernsteinfarben, weich und rund, aber mit frischer Säure. Ein eleganter LBV aus dem Jahr 2005 schließt sich an. Und, was für ein Aromenfüllhorn, ein 1995-er Colheita. Vorsichtig öffnet und dekantiert der Kellermeister dann noch einen ­1983-er Vintage Port mit einem leichten Touch von ­Cognac und dem Geschmack von reifen Feigen. Nicht zu fassen – Weine, die sich in den besten Restaurants dieser Erde finden, sind in einem verstaubten Kellerlabyrinth ohne Namensschild zu Hause.

D

Danach will ich von Dirk van der Niepoort wissen, was das Beste ist, das er je gemacht hat? Er zögert keine Sekunde. Der Vintage Port 2005. Erst dann fallen ihm seine extrem limitierten Rotweine Charmes und Batuta ein, besonders der Jahrgang 2007. Preislich liegen alle drei etwa auf demselben Niveau – um die siebzig Euro. Immer noch eher wenig für einen »Super ­Douro« im Vergleich zu den »Super Tuscans«. Und was die Vintage Ports, Colheitas und Garrafeiras betrifft, so gelten sie ohnehin als preiswerteste aller High-End-Weine der Welt. Dabei ist ihre Produktion so ziemlich das Komplexeste, was es in der Weinwelt gibt, und allenfalls mit der Herstellung der besten Champagner-Cuvées vergleichbar. Rätselhaft bleibt diese Welt auch nach ein paar Tagen im Douro-Tal immer noch. Dirk ­van der Niepoort gibt mir noch etwas zum Nachdenken mit auf den Weg: »Hier ist Eins plus Eins nicht Zwei. Es kann auch Fünf sein oder minus Zwei.« Wenn das kein Grund zum Wieder­ kommen ist ... >

F I N E

P o r t u g a l

29


Die Grosse Port-Degustation FINE Das Weinmagazin lud zur Verkostung von 19 Jahrgängen Vintage Port, von 1857 bis 2007 Verkostung am 31. Mai 2010 Veranstalter FINE Das Weinmagazin Ort Restaurant Margaux, Berlin Präsentiert von David Guimaraens, Dirk van der Niepoort und Paul Symington Verkoster Till Ehrlich Fotos Maria Jauregui Ponte Die Verkostung fand in vier Flights in Gläsern der Manufaktur Zalto statt. Der 1857-er Fonseca wurde separat gereicht.

Gäste: José Caetano da Costa Pereira (Botschafter Portugals in ­Berlin), Susanne Balthasar, Till Ehrlich, Ralf Frenzel, Ann-Kathrin Grauel, Ronald de Groot, David Guimaraens, Michael Hamann, Josef Karner, Juha ­Lithonen, Amanda Lloyd, Tom Marthinsen, Dirk van der Niepoort, Pekka ­Nuikki, ­Stefan Quante, Stephan Reinhardt, Thomas Schröder, Marie-­Louise ­Schyler, Paul Symington, Christian Volbracht, Peter Winding Zwischen den Flights servierte Michael Hoffmann, Chef des Margaux, vier zu den Ports komponierte Teller, ein großes Diner im Anschluß an die Degustation.

2007 Dow’s

1992 Taylor

95 P

Pechschwarze, undurchdringliche Farbe, am Rand in ein sattes ­PurpurViolett. Das Bukett ist in jeder Hinsicht bemerkenswert süß, darin ­Aromen, die an kandierte Veilchen denken lassen, an vollreife ­Trauben und Waldbeeren. Am Gaumen noch weitgehend verschlossen, wirkt überaus kompakt. Ein Wein zum Kauen. Zugleich fokussierte Tannine und Säure, die das Biest zähmen. Ein moderner Vintage mit endlosem Finale, dessen schier unglaubliche Konzentration sehr fein balanciert ist.

1989 Offley Boa Vista 2003 Taylor

91 P

88 P

Schwarze Farbe, die am Glasrand einen bläulichen und granatroten Ton zulässt. In der Nase erdig duftender Reichtum mit Graphit, Zedernholz und ätherischen Noten. Am ­Gaumen eine schöne süße Fülle. Im Hintergrund zeigt sich eine weiche, fast überreiche, Fruchtaromatik, balanciert von jugendlicher Schärfe. Dennoch sehr elegant. Mittlerer Abgang.

Im Kern noch schwarz, am Rand jedoch von transparenter, rubinähnlicher Farbe. In der Nase ist die Reife gut zu erkennen. Anis, aber auch herbe, strenge Töne, die an Graphit denken lassen. Am Gaumen üppige Süße. Ausgeprägte schokoladige Noten, Rumpflaumen und Orangen­marmelade. Die Aromen sind schön, aber nicht so dicht und raffiniert gewoben, wie man es in dieser Liga erwartet. Im Finish etwas einfach.

1994 Warre’s

1985 Fonseca

92 P

Undurchdringliches Schwarz, am Rand in transparentes Rubinrot übergehend. Die Nase zeigt angenehme Spuren von beginnender Reife. Ein Hauch Jod, geröstete Nüsse, gekochte Waldbeeren und ein wenig Harz. Am Gaumen überraschend weiche Textur, intensive Süße und seidige ­Tannine. Im ­Finale wirkt die gewaltige Süße nicht dominant. Mittlerer Abgang mit wunderschönen Schokonoten, die süchtig machen.

30

94 P

Im Kern undurchsichtig und tintig, am Rand rubinrot. Kompaktes Duftbild mit einer Spur Jod, Graphit und einem Hauch Stangensellerie. Im Mund grandiose, dominante Süße mit einem köstlichen Ton von Waldbeer­gelee. Strukturiert von feiner Schärfe. Dieser eindrucksvolle Vintage kommt nach fast 20 Jahren langsam in die Nähe der Reife, was seine Komplexität erleben lässt. Weicher langer Abgang.

F I N E

2 / 2 01 0

94 P

Schwarze Farbe, am Rand Granatrot mit leichter Transparenz. Betörendes Bukett. Der Duft ist ebenso fein wie dicht gesponnen: Subtile, aber entschieden auftretende Gewürztöne wie Vanille, Zimt und Fenchel. Im Mund tief, weich und grandios. Es beginnt mit fein gereiften Frucht­ aromen, ­später kommt eine Strenge zum Tragen. Köstliches Finish mit Bitter­schokolade und einer Spur Orangengelee. Langer Abgang.


1960 Ferreira

93 P

Durchsichtiges Granatrot. Rauchige Nase mit kräuterigen, herben Tönen. Ein Hauch süße rote Beeren. Am Gaumen breitet sich eine rosinige Süße aus, gefolgt von Frische, und seidigen Tanninen. Im Finale ein köstlicher Schokoladengeschmack. Langer Nachhall. Ein wonniger Wein.

1958 Sandeman

89 P

Durchscheinendes Granat, am Rand ziegelrot. Frisches Duftbild, durch­ woben von würzigen und strengen Noten. Im Mund überraschend feingliedrig. Schokoladig getönter, süßer Körper. Sehr angenehm zu trinken, dennoch erreicht er nicht die Intensität, auf die man in der Königs­klasse hofft.

1955 Graham

95 P

Ein flüssiges Monument aus dem ersten großen Jahrgang nach der Portdepression zu Beginn der 1950-er Jahre. Wurde damals fast verschenkt für etwa 20 Schilling die Flasche. Heute einer der vinophilen, kost­baren Höhepunkte des 20. Jahrhunderts. Durchscheinendes Rubingranat. Intensive, fast ätherische Nase mit Wildkräuterduft, Jod und Graphit. Am ­Gaumen tief, delikat, unaufgeregt. Er nimmt sich Zeit, um seine Schönheit zu entfalten. Vanillig, schokoladig, fruchtig. Langes Finale mit ­reicher Süße und Intensität.

1952 Ramos Pinto 1980 Dow’s

91 P

Schwarze Farbe, am Rand rubinroter Schimmer. Elegante Nase, von beginnender Reife gezeichnet. Köstliche Minznoten und Graphit. Etwas ­spritig. Am Gaumen üppige Süße, die weich, sanft und warm wirkt. ­Köstlicher Fruchtgeschmack. Im Finish kommen die seidigen, reifen ­Tannine zum Vorschein, die eine betörende Schokonote auf der Zunge hinterlassen.

94 P

Transparentes Ziegelrot. Reiches Bukett mit gerösteten Mandeln, ­Nüssen und Vanille. Im Hintergrund Wildkräuter und Jod. Am Gaumen dicht, ­voller Finesse. Die Süße wirkt lebendig und nicht so süß. Im Finale eine Spur von dunkler Schokolade. Haucht im Finish ganz langsam seine Köstlichkeit aus.

1945 Croft 1977 Fonseca

92 P

Transparentes Rubingranat. Leicht spritige Schärfe in der Nase. Dann ein Strom feiner Düfte: Jod, geröstete Mandeln und Waldbeermarmelade. Im Mund präsentiert er sich mit ausgesprochen feiner Textur. Grandioser Geschmack: üppig, intensiv und trotzdem elegant. Im Finish huscht ein frischer Hauch über die Zunge. Langer Abgang.

1970 Niepoort

94 P

Durchsichtiges, funkelndes Rubingranat. Charmante Nase mit Nüssen, Pfeffer, Vanille und einem Hauch Jod. Im Mund beginnt das Geschmacks­ erleben mit schmelziger Süße, die sich in alle Richtungen auszu­breiten scheint. Je länger man dem süßen Wahnsinn nachschmeckt, desto „­trockener“ wirkt die Wahrnehmung seiner immerhin gewaltigen Süße. Die Zeit hat sie komplex und feinnervig werden lassen. Ein perfekt integrierter Vintage.

95P

Ziegelrot, das zum Rand hin verblasst. Der 65-Jährige überrascht mit Vitalität. Raffinierte Düfte mit Anis und frisch gepflückten roten Beeren. Im Mund fest, tief, delikat. Fülle mit feinen Konturen. Anhaltende Süße im langen Abgang.

1942 Niepoort

97 P

Himmlischer Nektar aus einem Kriegsjahrgang, der nichts von den ­Schrecken der Zeit verrät, in der er entstanden ist. Der Großvater von Dirk Niepoort hat ihn produziert. Kam aus einer geschwungenen ­Flasche aus dickem, dunklem Glas. Die Farbe des Weins changiert zwischen Granat­ rot und hellem Bernstein. Im Duft komplex, tief, feingliedrig. Dunkle Waldbeeren, geröstete Mandeln, Vanille. Am Gaumen unglaublich komplett. Die Süße ist intensiv, doch leichtfüßig, tänzelnd. Raffinierte, schoko­ladige Tannine. Eine Fülle des Wohlgeschmacks.

1924 Ramos Pinto 1967 Noval and Noval Nacional

91 P

96 P

Dunkles, dichtes Rubingranat. Gut entwickeltes, reiches Duftbild. Ge­dörrte Früchte, Wildkräuter, Vanille, Jod. Im Hintergrund etwas Schärfe. Am ­Gaumen reiche Süße, dezent schokoladig und appetitanregende Fruchtsäure. Mittlerer Abgang. Ein voll ausgereifter Vintage, der Intensität mit Eleganz zu verbinden weiß.

Rotes Bernstein, rubinroter Schimmer. Tiefer, komplexer Duft, der Zeit braucht, um sich zu öffnen. Am Anfang wirkt er wie eine Fläche, die sich später in unzählige Punkte aufzulösen scheint. Je länger man sich mit dem Wein beschäftigt, desto feingliedriger wirkt er. Im Mund reich. Lebendiger Körper und Textur. Vanille, etwas Jod. Schmeckt kaum Süß. Wirkt ernst, schmeckt im Finale frisch und „trocken“. Ewiger Abgang.

1966 Graham’s

1857 Fonseca

97 P

Lebhaftes Rubinrot mit veritablem Glanz. Delikates Bukett. Der reichhaltige Duftstrom erinnert an Ingwer, Lakritze und schweren Blütenduft. Hinzu tritt ein strenger Hauch von Graphit. Im Mund wird man von einer Fülle empfangen, die sprachlos macht. Wundervoller Körper und Textur. Feingefächert und tief, fest und schwerelos zugleich. Endloser Abgang. Ist das die Vollkommenheit des Port?

97 P

Ein Wein aus jenem Jahr, in dem der Maler Max Klinger geboren ­wurde und der Dichter Joseph von Eichendorff starb. Dunkles Bernstein mit einem Hauch Mahagoniröte. Balsamisches Bukett mit Wildkräuterdüften, Jod und einem süßen Schatten. Am Gaumen überraschend lebendig mit intensiver Süße und herben, kaffeeartigen Tönen. Ein Wein, der trotz ­seines Alters Vitalität und Großzügigkeit ausstrahlt.

F I N E

P o r t u g a l

31


2009 4))·)B)o)r)d)e)a)u)x)·))$ Vom Guten zum Besten, vom Besten zum Allerbesten Armin Diel auf dem VerkostungsMarathon des Primeur-Tastings 2009 im Bordelais Text: ARMIN DIEL  Fotos: JOHANNES GRAU

Bordeaux, Ende März. Angelockt von der Nachricht, die Weinbarone an der Gironde ­hätten diesmal ganz bestimmt den besten Jahrgang aller Zeiten in ihren Fässern, pilgern rund sechstausend Fach­besucher aus Handel und Gastronomie sowie mehr als zwei­hundert Journalisten aus der ganzen Welt in den Süd­westen Frankreichs. Jedoch konnte sich gerade mal die ­Hälfte davon bei der Union des Grands Crus, der Vereinigung der Bordelaiser Spitzen­winzer, für die Semaine de Presse akkreditieren und sich damit den Vorzug separater Verkostungen und Unterbringung in den verschiedenen Schlössern sichern. Mit ­dreißig Weinnasen bildeten die Franzosen das größte Kontingent, gefolgt von sechzehn Engländern und elf Amerikanern. Auffallend war die große Anzahl von zehn Journa­listen aus China, die das zunehmende Interesse für edle Rotweine im Fernen Osten signalisiert.

34

F I N E

2 / 2 01 0


Jacques Thienpont höchstselbst entnimmt mit der Pipette die Fassprobe Le Pin 2009 für die Journalisten.

F I N E

B o r d e a u x

35


N

ach drei Tagen ausgiebiger Verkostungen während der Grands Jours de Bourgogne mache ich mich in Dijon am Samstagmorgen auf den Weg nach Bordeaux. Dort warten die mit großen Vorschusslorbeeren bedachten Weine des Jahrgangs 2009. Bei allen Strapazen, die solche Verkostungen mit sich bringen, spüre ich so etwas wie Vorfreude und gespanntes Interesse: Sollten die Weine tatsächlich besser sein als legendäre Jahrgänge wie 1982, 2000 und 2005? Gut sieben Stunden dauert die erwartungsvolle Fahrt quer durch Frankreich; genügend Zeit, um die Eindrücke der vergangenen Tage Revue passieren zu lassen und die Geschmacksknospen langsam von Chardonnay und Pinot Noir auf Cabernet Sauvignon und Merlot umzustellen. Doch die Zeit drängt schon wieder, denn bis sechs Uhr abends sollte ich in Saint-Emilion eintreffen, um den Schlüssel für La Mondotte abzuholen, wo ich die ersten drei Nächte untergebracht bin. Mit lässig um die Schulter gebundenem Pullover öffnet mir Stephan Neipperg die Tür. Den aus dem schwäbischen Schwaigern stammenden Grafen kenne ich seit fünfundzwanzig ­Jahren, als er das von seinem Vater gekaufte Château CanonLa-Gaffelière aus dem Dornröschenschlaf wachküsste. Wir begrüßen uns herzlich, trinken ein Glas Champagner und sprechen über dies und das. Sehr präzise wird er allerdings, als die Sprache auf die Auswirkungen der weltweiten Wirtschafts­ krise kommt: »Wer behauptet, er spüre davon nichts, der lügt!« Vor allem in England und in den Vereinigten Staaten habe das Geschäft nachgelassen, gottlob habe Asien aber einiges davon kompensiert. Seine Frau Sigweis schaut diskret zur Uhr, es ist Zeit für den Aufbruch.

36

F I N E

2 / 2 01 0


Alain Vauthier kredenzt Château Ausone 2009.

Zum Abendessen führt mich mein Weg ins Envers du Décor in Saint-Emilion, ein erstklassiges Weinbistro mit herzhafter regionaler Küche und einer superben Weinkarte. Am Nachbartisch tagt schon eine weinselige Runde, in deren ­Mitte ich François Mauss erkenne. Der in Bordeaux lebende umtriebige Luxemburger hat vor fünfzehn ­Jahren eine international besetzte Verkostungsrunde mit dem imposanten Namen Grand Jury Européen gegründet, der unter anderem auch die beiden Deutschen Markus del ­Monego und Otto Geisel angehören. Da wir uns von ­vielen gemeinsamen Verkostungen kennen, fragt ­François Mauss mich augenzwinkernd: »Was machst du morgen, hast du Lust mit uns zu ­Ausone, Pavie, ­Angélus und zu Michel Rolland und Stéphane Derenoncourt zu kommen?« Die Aussicht, schon vor Beginn der eigentlichen Verkostungswoche einige der besten Weine ins Glas zu bekommen, lassen meine vagen Pläne für einen geruhsamen Sonntag schnell in Vergessenheit geraten. Ich sage also zu. Der Sonntagmorgen beginnt mit einer Dehnungsübung des Gaumens auf Château HautCarles in Saillans oberhalb von Fronsac. Dort hat

der so genannte Cercle Rive Droite sein Quartier aufgeschlagen für die Presse-Vorstellung von etwa achtzig Rotweinen vom rechten Ufer der Garonne, also aus Saint-Emilion, ­Pomerol und den darum gelegenen Orten. Der kalte Saal ist durch Vorhänge in zwei Hälften geteilt: Im linken Teil sitzen die Kollegen, die – aus welchen Gründen auch immer – blind verkosten möchten, im rechten Teil die anderen. Obschon hier praktisch nur die zweite ­Garde der jeweiligen Appellation vertreten ist, wird bald klar, dass wir es bei den 2009-er Weinen in der Tat mit außerordentlichen Qualitäten zu tun haben. Nie zuvor habe ich etwa einen solch annähernd konzentrierten Rotwein von Château Barde-Haut aus Saint Emilion verkostet. Hervorragend präsentieren sich auch die Weine des gastgebenden Château Haut-Carles und von MoulinPey-Labrie aus der benachbarten Appellation Canon-­Fronsac. Ganz zu schweigen von dem Schweizer Silvio Denz, dessen wunderbar nach Sandelholz duftender Peby-Faugères eine ­meiner größten Entdeckungen dieser Woche sein soll. Nach einer kleinen Stärkung am kalten Büffet geht es zu der Verabredung mit der Grand Jury

auf Château Ausone. Es ist erstaunlich genug, dass es François Mauss gelingt, Inhaber Alain Vauthier dazu zu bewegen, seine bunt zusammengewürfelte Verkostungstruppe am heiligen Sonntag zu empfangen, obendrein auf einer Riesenbaustelle, wo kein Stein auf dem anderen steht. Der ­2009-er Wein ist verdammt gut: Zwar buhlen Schwarz­ kirsche und Preiselbeere noch um die Vorherrschaft im Bukett, aber am Gaumen offenbart der Wein schon jetzt Struktur und große Finesse. Die nächste Station ist Château Pavie, wo Inhaber Gérard Perse die Gäste begrüßt. In den ersten Jahren nach dem Erwerb durch den ­Pariser Kaufmann führten die etwas zur Opulenz ­neigenden Weine zu einer heftigen Kontroverse in der internationalen Weinkritik. Auf der einen Seite der Amerikaner Robert Parker, dem man gern nachsagt, er habe eine ganze ­Generation von Weinmachern mit seiner Vorliebe für allzu ­üppige Tropfen zu einem Stilwandel veranlasst – weg von der Eleganz, hin zur Opulenz. Eine Stilistik, die nicht überall auf Gegenliebe stößt, etwa bei ­britischen Kollegen, die seit jeher den eleganteren Bordeaux-Typus bevorzugen. Die angesehene englische Weinautorin Jancis Robinson hielt denn auch mutig dagegen, als sie den 2003-er von Château Pavie, einer von Parkers Lieblingsweinen, mit

Im Park von Château La Gaffelière gruppieren sich Mitglieder der Grand Jury Européen um ihren Präzeptor François Mauss.

F I N E

B o r d e a u x

37


Gérard Perse strahlt im Keller seines Château Pavie.

12 von 20 möglichen Punkten regelrecht abkanzelte. Zwei Jahre später legte sie noch einmal kräftig nach: Den 2005-er Pavie bezeichnete sie als »überkonzentrierten Muskelprotz« und stellte die süffisante Frage, wer davon, bitteschön, ein zweites Glas trinken möge? Der 2009-er Pavie ist wieder ein sehr eindrucksvoller Wein, bei dem sich die geschmackliche Fülle und die seidigen Tannine womöglich eines Tages zu einer großartigen Symbiose vereinen werden. »Der kann fünfzig Jahre und mehr reifen«, sagt Gérard Perse dazu. Wie wohl Jancis darüber denkt? Zu Château Angélus sind es dann nur wenige Kilometer, wo Mitinhaber Hubert de Boüard die an diesem Tag auf dreißig angewachsene Grand Jury schon erwartet. Wie üblich beginnt die Verkostung im Probierraum auf der Beletage des Gutes mit den stets sehr guten Weinen von ­Lafleur de Boüard, einem zwanzig Hektar großen Gut in Lalande de Pomerol. Im Jahrgang 2009 ragt die kraftvollere Prestige-Cuvée Le Plus de Boüard heraus. Einig sind sich dann nahezu alle ­Verkoster, dass der 09-er Wein von Château Angélus eine großartige Karriere vor sich hat. Allerdings wird auch dieser tiefdunkle, mit schwarzen Kirschen und viel neuem Holz beladene Wein etliche Jahre

Geduld fordern, bis er seine optimale Trinkreife erreicht hat. Den Besuch bei Michel Rolland, übrigens seit langen Jahren auch ein Freund von Robert ­Parker, kann man nur als Ereignis betrachten. Unweit ­seines weitläufigen Laborbetriebs in Maillet empfängt uns der einflussreichste Oenologe der Welt in Privataudienz auf seinem Pomerol-Weingut Le Bon Pasteur. Flankiert von seiner gertenschlanken Frau Dany gibt sich der joviale Rolland bestens gelaunt und stellt den adrett gekleideten Schwieger­sohn als Dirécteur-Général von ­Rolland Collection vor. Die 2009-er Weine sind von verlässlicher Güte, gewiss! Aber wieso schafft es der große Meister bloß nicht, ausgerechnet seinen eigenen Weinbergen interessantere Tropfen zu entlocken? Gleich danach treffen wir Stéphane Derenon­ court, der die Neue Schule der oenologischen Weinberatung in Bordeaux verkörpert. Im Gegensatz zu Rolland versucht er stets einen eleganteren Weinstil herauszuarbeiten, etliche der von ihm betreuten Güter bearbeiten ihre Wein­berge nach ökologischen Prinzipien. Anlässlich der Primeur-Woche versammelt er seine Kunden zu einer gemeinsamen Präsentation in Château La

Michel Rolland, der berühmteste Önologe der Welt, gilt als graue Eminenz des Bordelais.

38

F I N E

2 / 2 01 0

Gaffelière in Saint-Emilion. Drei Weine ragen an diesem Nachmittag heraus: Château LarcisDucasse ist sehr konzentriert im Duft, wirkt dabei aber sehr belebend und offenbart eine geradezu tänzerische Eleganz. Während das Bukett des Pavie-Macquin von einer feinen Sandelholzsüße hinterlegt ist und die Frucht eine perfekte Balance mit den Tanninen bildet, ist der Wein von ClosFourtet ein wahrer Wonneproppen, was Cassisfrucht und schwarze Kirsche anbelangt. Der Montagmorgen beginnt bei strahlendem Sonnenschein mit einer der wichtigsten Verkostungen der Primeur-Woche im Hause JeanPierre Moueix in Libourne, das einen Großteil des Geschäfts auf dem rechten Ufer kontrolliert, unter anderem seit 1964 auch die Distribution von Château Pétrus. Eskortiert von seinem Sohn Edouard empfängt Christian Moueix die Gäste höchst­persönlich und in feinem Zwirn. Obschon hier längst nicht jede Anfrage mit einem Termin bedacht wird, drängen sich die Verkoster dicht an dicht in dem holzvertäfelten Raum. Wo aber ist denn der Pétrus? Bislang stand er stets am Ende der Moueix-Kollektion, in diesem Jahr musste man sich erstmals um einen separaten Termin im


Stéphane Derenoncourt, Kopf der Neuen Schule der önologischen Weinberatung, versucht mit eleganteren Weinen Michel Rolland einen anderen Stil entgegenzusetzen.

Weingut bemühen, was längst nicht alle Wein­nasen mitbekommen hatten. Oje! Auf Pétrus ­werden die Besucher von Jean-Claude Berrouet, dem langjährigen Kellereidirektor des Gutes, und dessen Sohn und Nachfolger ­Olivier souverän über die Vorzüge des 2009-ers aufgeklärt. »Ja, es ist wirklich ein toller Jahrgang«, sagt Vater Berrouet, der nach fünfundvierzig Jahren nun den verdienten Ruhestand genießt und den Filius nur mehr berät. Der Wein ist, wie ­könnte es anders sein, ­grandios! Die schmeichelnde Süße bildet einen genüsslichen Kontrapunkt zu den fein­würzigen Tanninen. Ein Wein für die Schatzkammer! Nur ein paar hundert Meter von Pétrus entfernt treffe ich Jacques Thienpont in Pomerol zur Kostprobe des Le Pin 2009. Vor zwanzig Jahren war der belgische Patron während der PrimeurWoche nur selten da, und auch danach hatte man das Gefühl, dass er nur eine Handvoll ausgewählter Verkoster empfangen wollte. Diesmal ist alles anders: Gleich am Anfang des schmalen Feldwegs weist ein kleines Schild »Dégustation Le Pin« in eine ungewohnte Richtung: Nicht zu jenem einfachen Bauernhaus, das über drei Jahrzehnte die Heimat des berühmtesten Garagenweins war und nun abgerissen und durch einen spektakulären

Neubau eines bekannten belgischen Architekten ersetzt werden soll. Stattdessen wird in einem improvisierten kleinen Kelterhaus verkostet, das Jacques Thienpont für zwei Jahre als Ausweichquartier für die Vinifikation seiner superteuren Rotweine hergerichtet hat. Der 2009-er Le Pin ist das Musterbeispiel eines perfekten Merlots, bei dem sich die belebende Frische auf das vorzüglichste mit den exotischen Fruchtkomponenten vermählt. Am Montagabend steht mit dem so genannten Dîner d’Acceuil auf Château La Dominique das erste gesellschaftliche Ereignis für die ausgesuchte Journalisten-Fraktion an. Diese Veranstaltung ist ein wahrer Jahrmarkt der Eitelkeiten, der fast immer nach demselben Muster abläuft. Die Winzer versuchen, die vermeintlich wichtigsten Schreiber an ihren Tisch zu ­dirigieren, wo sie dann – sehr originell – aus der Vielzahl der bereitstehenden Flaschen ausgerechnet ihren eigenen Wein kredenzen. Der Service legt vom ­Feinsten vor: Carpaccio von Jakobsmuscheln, Millefeuille von Kalbfleisch mit Steinpilztapenade und neben dem obligatorischen Käse natürlich auch ein ­üppiges Dessert. Wie auf Kommando

erhebt sich die Gesellschaft um kurz nach zehn, weil es am nächsten Tag schon früh mit dem Verkosten weitergeht. Am Dienstagmorgen sind dunkle Regenwolken aufgezogen. Die Journalistenschar hat Gelegenheit, auf Château Cheval-Blanc den 2009-er zu verkosten. Man muss wissen, dass die Union des Grands Crus die Weine ihrer einhundertzweiunddreißig Mitglieder in regionalen Verkostungen vorstellt. Da aber ausgerechnet die berühmtesten Güter dort fehlen, muss man sich außerhalb des offiziellen Programms um individuelle Verkostungstermine auf den Schlössern bemühen. Drei berühmte Güter indes nehmen in der ­Union den Sonderstatus als Ehrenmitglieder ein und bieten den Journalisten deshalb eine koordinierte Form der Verkostung an: Mouton-Rothschild, Yquem und eben Cheval-Blanc. Keine Frage für mich, dass der Cheval Blanc einer der besten Weine des Jahrgangs 2009 ist. Dieses Schmuckstück von einem Rotwein offenbart seidige Tannine und eine Extraktsüße, wie man sie nur aus den allerbesten Jahren kennt. Unwillkürlich fällt mir der legendäre 1947-er ­Cheval-Blanc ein!

Kosten, werten und beschreiben ist bei den Primeurs für die Wein-­Journalisten aus aller Welt harte Arbeit.

F I N E

B o r d e a u x

39


Christian Moueix hat die Schlüsselgewalt über Château Pétrus.

Aber nun geht die eigentliche Arbeit erst los: Die hundertzwanzig Journalisten, in fünf Gruppen à vierundzwanzig Verkoster eingeteilt, ­arbeiten sich in den nächsten Tagen nach einem ausgeklügelten System durch die verschiedenen Bordeaux-Regionen. Ich lande in Gruppe drei, zusammen mit einigen alten Bekannten wie dem ebenso gewichtigen wie gescheiten Peter Moser, Chefredakteur des österreichischen FalstaffMagazins, und Didier Ters, dem früheren Weinspezialisten der Zeitung Sud-Ouest, der jeden Morgen als letzter kommt und mit karierter Jacke durch die Verkostungshalle stolziert. Mit dabei sind auch Reva Singh, die elegante Herausgeberin eines Weinmagazins aus Neu Delhi, und ihr in New York lebender Sohn Shiv sowie der ­junge Niko Dukan, ein schlaksiger, stets gut gelaunter Typ aus Zagreb. Bei leichtem Regen geht es am Mittwochmorgen ins Médoc, wo die Cabernet-Sauvignon-Traube dominiert. Und 2009 soll ein ganz ­großes Cabernet-Jahr sein, wie Denis ­Dubourdieu anlässlich der Pressekonferenz der Universität von Bordeaux auf Château La Lagune versichert. Fünf Voraussetzungen seien vonnöten, doziert der Professor, um im Bordelais wirklich große

Hubert de Boüard, ­Mitinhaber von Château Angélus, ist ­freundlich zu seinem Hund wie zu den ­Journalisten.

40

F I N E

2 / 2 01 0

Rotweine zu erzeugen: Eine frühe und zügige ­Blüte, ­trockenes Wetter zum Fruchtschluss, sonnige Tage bei der Verfärbung der Trauben, ­warme und trockene Wochen im August und zu guter Letzt schönes Herbstwetter während der Lese. Obschon sich all diese Parameter 2009 auf beinahe ideale Weise ergänzten, ist dies für Dubourdieu aber noch keine Qualitätsgarantie. »Das ­Risiko ist in schönen Jahren sogar etwas größer, weil man in der Versuchung steht, die Lese allzu lange hinauszuzögern, vor allem, wenn der Nachbar noch nicht geerntet hat«, sagt er verschmitzt. Die Fruchtausprägung hänge ganz entscheidend vom Erntezeitpunkt ab, und im Jahr 2009 habe man durchaus auch gekochte Früchte ernten ­können. ­Spontan fallen mir bei diesen Worten ­einige zu fett ­geratene Merlots vom rechten Ufer ein, deren Alkoholgehalt nicht wesentlich unter 15 Volumenprozent liegen dürfte. Überdies ­werde der Charakter der Tannine sehr vom Ausbau der Weine geprägt, sagt Dubourdieu, der selbst zwei Weingüter besitzt und nebenher eine Vielzahl von ­Châteaux berät. Für die weißen Trauben, insbesondere den Sauvignon Blanc, sei es hingegen fast etwas zu

warm gewesen, um ihnen die Aromen und vor allem die Frische zu bewahren. Die perfekte Qualität vieler Sémillon-Trauben habe in der Sauternes-Region aber die Erzeugung außerordentlich guter edelsüßer Weine ermöglicht. Davon konnte man sich gleich im Anschluss an die Pressekonferenz in der Opéra von Bordeaux überzeugen, wohin Château d’Yquem zur Präsentation des neuen Jahrgangs geladen hat, in standesgemäßer Tenue de Ville. Im Parterre des Grand Théatre wird man von bildhübschen jungen Damen empfangen, deren schwarze ­Anzüge von einer goldgelben Schleife umschlungen sind. Sie geleiten die Gäste in die Salle Boireau im ­ersten Stock des imposanten Gebäudes. Die Vorfreude wächst! Inmitten des von vier riesigen Kristalllüstern beleuchteten Prunksaals, an dessen Decke große Komponisten wie Beethoven, Gluck und Mozart verewigt sind, servieren Sommeliers mit weißen Handschuhen den neuen Jahrgang: »Welch eine seidige Fülle, gepaart mit edelster Botrytis, fast so elegant wie eure Rieslinge in Deutschland«, schwärmt Michel Bettane, Frankreichs berühmtester Weinkritiker. Und welch ein Unterschied zu dem ebenfalls ausgeschenkten


Jean-Claude Berrouet, jahrzehntelang ­Kellermeister bei Pétrus, zeigt sich mit seinem Sohn und Nachfolger Olivier.

1989-er Yquem, einem von zuviel Holz und Alkohol dominierten Wein, der eher schwermütig im Glase liegt. In schier endlosen Wellen werden feine Kleinig­keiten aus dem Repertoire des ­Pariser Drei-Sterne-Kochs Yannick Aléno (Le ­Meurice) aufgetragen, der sich persönlich die Ehre gibt: Gelée de Boeuf au Caviar, Mascarpone à la ­Truffe, Hummerravioli mit Meeresfrüchtesauce, Röllchen vom Taschenkrebs und vieles mehr. Le Tout-­ Bordeaux schwelgt in vollen Zügen! Am Donnerstag scheint endlich wieder die Sonne. Neben den Verkostungen der Union stehen heute die Premiers Crus des Médoc im Focus sowie einige Super-Seconds des Médoc. Und nach

Dubourdieus Vortrag ist die Erwartungs­haltung nun besonders groß. Bei Château Mouton-­ Rothschild ist es Tradition, dass die Journalisten die vierhundert Meter von der Vinothek zum Verkostungsraum mit Golfwägelchen ­gefahren ­werden, was etwas Unechtes, ­geradezu Inszeniertes hat. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren gefällt mir von den beiden ebenfalls zum Besitz zählenden Cinquièmes Crus der Wein von ­Château d’Armailhac deutlich besser als Clerc Milon, der eine Spur zu alkoholisch daherkommt. Davon kann beim Mouton-Rothschild allerdings überhaupt nicht die Rede sein: Mit seiner breiten Aromen­palette zwischen Schwarzkirsche und ­Cassis und einem wohlstrukturierten Körper weist der Wein ein beachtliches Entwicklungspotential auf. Wegen Bauarbeiten im Château findet die Primeur-Verkostung von Lafite-Rothschild diesmal im Schwesterweingut Duhart-Milon-Rothschild im Ortskern von Pauillac statt. Der 2009-er Lafite offenbart zunächst eine äußerst robuste Tanninstruktur, die sich am Gaumen dann allerdings in einer strahlenden Frucht auflöst. Nirgendwo sonst wird im Bordelais ein größeres Tamtam um den Einlass in das Allerheiligste

gemacht als bei Château Latour. An der Zufahrt zum Gutsgelände befindet sich ein kleines Wärter­häuschen, in dem ein bedauerns­werter Mann sitzt. Er darf die Schranke erst dann ­öffnen, wenn er die Zahl der Autoinsassen mit der­jenigen der ursprünglichen Anmeldung abgeglichen hat. Fehlt nur noch, dass man beim nächsten Mal den Personalausweis vorlegen muss! Gottlob hat ­dieses Geplänkel absolut nichts mit der Qualität des Weins zu tun. Beim 2009-er von Château Latour ergeben die reifen Tannine und eine geradezu überschwängliche Frucht eine Symbiose, die man in Bordeaux gern als »Eiserne Faust im samtenen Handschuh« bezeichnet. An genau diesen Wein mag Professor Dubourdieu gedacht haben, als er von einem traumhaften Jahrgang für Cabernet Sauvignon gesprochen hat. Von Pauillac aus ist es nur ein Katzensprung zu Château Cos d’Estournel, das auf einem kleinen Hügel oberhalb von Lafite liegt. Nach zweijähriger Umbauphase präsentiert Cos erstmals seinen neuen Verkostungsraum, von dem aus man einen spektakulären Blick auf die kubischen Tanks des neuen Gärkellers hat. Selten zuvor habe ich hier einen besseren Wein als den 2009-er verkostet, der vor Kraft nur so strotzt, vor allem aber große Finesse vermittelt. Wie bei vielen anderen Weingütern im Bordelais beherrscht auch auf Château Montrose ein Baukran die Silhouette des Gutsgeländes, wo gerade ein neuer Barriquekeller entsteht. Der Platz wird dringend benötigt, denn nur ­wenige Tage zuvor wurde der fast zwanzig Millionen Euro ­teure Ankauf von einundzwanzig ­Hektar von Château Phélan-Ségur protokolliert. Die Gesamt­reb­ fläche umfasst damit stattliche neunzig Hektar!

Paul Pontallier, Gutsdirektor von Château Margaux, rühmt den Jahrgang 2009 als den besten, den er je im Faß hatte.

F I N E

B o r d e a u x

41


Der 2009-er Wein von Montrose bleibt seinem Stil als einem der robustesten Rotweine des Médoc absolut treu: Ein langlebiger Klassiker durch und durch. Ähnlich wie im Jahr 2000 dürfte Château Margaux wieder einmal Primus inter Pares der Premiers Crus im Médoc sein. Dem sonst so besonnenen Gutsdirektor Paul Pontallier ent­ locken wir eine Lobeshymne auf den Jahrgang 2009: »Seit 1982 bin ich nun für Château ­Margaux verantwortlich, aber noch nie habe ich einen solch vollkommenen Wein im Fass gehabt!« Ist es gar der Wein des Jahres? Man wird sehen. Am Freitag geht es schließlich in das GravesGebiet, der einzigen Bordelaiser Region, wo es sowohl weiße als auch rote Grands Crus ­Classés gibt. In beiden Kategorien ragen bei der UnionVerkostung drei Güter heraus: Domaine de ­Chevalier, Pape-Clément und Smith Haut ­Lafitte, wobei ich in beiden Disziplinen ein Faible für die Weine des Letzteren habe. Während der Rote mit großer Fülle, bestens eingebundenen Tanninen und Extraktsüße punktet, entfaltet der Weiße bei aller Opulenz auch eine erstaunliche Eleganz. Zum guten Schluss darf ein Besuch auf Château Haut-Brion natürlich nicht fehlen. Da dort

im Moment ebenfalls umgebaut wird, findet die diesjährige Verkostung im Schwester-Weingut La Mission Haut-Brion statt. Während die Weinhändler und Sommeliers in einem ­großen ­Dégustoir im Parterre verkosten, empfängt ­Direktor Jean-Philippe Delmas, der seit 2004 als Nachfolger seines Vaters Jean-Bernard beide Güter leitet, die Journalisten in einem etwas diskreten Rahmen im ersten Stock. Gewaltige Veränderungen gibt es im Programm von La ­Mission Haut-Brion und der dazugehörigen Marken: Der Rotwein des bis 2005 eigenständig firmierenden Château La Tour Haut-Brion ist nun inkorporierter Bestandteil von La Mission und dessen Zweitwein La Chapelle de La Mission. Der ­weiße ­Laville Haut-Brion firmiert seit 2009 als La Mission Haut-Brion Blanc, eine Bezeichnung, die übrigens schon einmal zwischen 1925 und 1930 gebräuchlich war. Dritte Neuerung ist ein weißer Zweitwein namens La Clarté, in dem nun die aussortierten Mengen von Haut-Brion und La ­Mission Haut-Brion vermählt werden. Während der süßlich anmutende 2009-er Haut-­ Brion Blanc ein idealer Wein für Powertrinker ist, kommt der Weißwein von La Mission erheblich eleganter daher. Die beiden roten Pendants sind

Heitere Feststimmung herrscht beim ­Dîner d’Acceuil und der Keller-­ Illumination auf Château La Dominique.

42

F I N E

2 / 2 01 0

wahnsinnig dicht und komplex. Aufgrund ihrer gewaltigen Tanninstruktur benötigen sie allerdings etliche Jahre, bis man sie mit Genuss trinken kann. Meine neugierige Frage, wie sich die Qualität dieses Ausnahmeweins denn nun auf den zu erwartenden Primeurpreis auswirken wird, bleibt hier ebenso unbeantwortet wie in allen anderen Weingütern rund um die Gironde. Über Preise mochte hier in dieser Woche überhaupt niemand sprechen. Eine Prognose sei gewagt: Viele unbekanntere Schlösser, die 2009 ihre besten Weine seit langem erzeugt haben, werden sich mit Preisaufschlägen zwischen zehn und zwanzig Prozent gegenüber dem Vorjahr begnügen müssen. Sie verleihen ihren Weinen damit aber ein äußerst attraktives Preis-Genuss-Verhältnis. Spätestens zur Vinexpo in Hongkong werden dann die bekannteren Güter versuchen, die Kurse zumindest auf das Niveau von 2005 zu hieven. Und trotz anhaltender Wirtschaftskrise sollte sich niemand auch nur der geringsten Illusion hingeben, dass es bei Kultweinen wie Lafite, Latour oder gar Pétrus ein einziges Schnäppchen zu machen gibt.  >


Armin Diels Favoriten Nach der Verkostung von knapp vierhundert Fassweinen des Jahrgangs 2009 billigt Bordeaux-Experte Armin Diel den folgenden Rotweinen ein optimales Potential von 95 bis 100 Punkten zu. Nie zuvor in den letzten dreißig Jahren war die Zahl seiner Auserwählten größer. Saint-Emilion

Graves

Pauillac

Château Angélus Château Ausone Château Cheval-Blanc La Mondotte Château Pavie Château Pavie-Macquin

Château Haut-Brion Château La Mission Haut-Brion Château Smith Haut Lafitte

Château Lafite-Rothschild Château Latour Château Mouton-Rothschild Château Pichon-Longueville Comtesse-de-Lalande

Margaux Château Margaux Château Palmer Château Rauzan-Ségla

Pomerol Château l’Église-Clinet Château Pétrus Château Lafleur Le Pin Château Trotanoy Vieux Château Certan

Saint-Estèphe Château Cos d’Estournel Château Montrose

Saint-Julien Château Ducru-Beaucaillou Château Léoville-Las-Cases

Armin Diels besondere Empfehlungen

Die nachfolgend genannten Weine, deren Qualitätspotential zwischen 91 und 95 Punkten liegt, fielen unserem Autor besonders positiv auf. Das jeweilige Weingut erzeugte 2009 den besten Wein der vergangenen Jahrzehnte. Saint-Emilion

Graves

Saint-Julien

Château Beauséjour-Bécot Château Canon-La-Gaffelière Château Clos-Fourtet Château Figeac Château Larcis-Ducasse Château Péby-Faugères Château Troplong-Mondot

Domaine de Chevalier Château Haut-Bailly Château Malartic-Lagravière Château Pape-Clément

Château Beychevelle Château Branaire-Ducru Château Gruaud-Larose Château Léoville-Poyferré Château Talbot

Pomerol Château Clos l´Église Hosanna Château La Conseillante Château La Fleur-Pétrus Château Rouget

Margaux Château Durfort-Vivens Château Giscours Château Lascombes Château Malescot-Saint-Exupéry Château Marquis de Terme Château Prieuré-Lichine

Pauillac Château Batailley Château Grand Puy-Lacoste Château Lynch-Bages Château Pontet-Canet

Saint-Estèphe Château Calon-Ségur Château Lafon-Rochet Château Meyney

F I N E

B o r d e a u x

43


128

F I N E

2 / 2 01 0


Wein im Klima-Wandel (V)

»Haut-Brion hat die Anpassung schon hinter sich« Interview: Uwe Kauss Fotos: Guido Bittner

Der Weinbau-Experte Professor Hans Reiner Schultz, Direktor der Forschungsanstalt Geisenheim, über die Kardinalfragen des Klimawandels, das Glück des Bordelais und die Optimumskurve großer Weine

F I N E

I n t e r v ie w

129


Riesling auf dem Prüfstand: Professor Hans Reiner Schultz in den Versuchspflanzungen unterhalb von Schloss Johannisberg im Rheingau.

Professor Schultz, Sie beschäftigen sich schon seit Anfang der neunziger Jahre mit Weinbau und Klimawandel. Wann haben Sie denn wahrgenommen, dass sich etwas verändert? Bereits während meines Studiums habe ich mich mit Agrar-Meteorologie beschäftigt. Damals war viel mehr als heute das Thema Ozonloch und UV-Strahlung ein wichtiges Thema, obwohl die UV-Belastung heute viel höher als noch vor dreißig Jahren ist. Zu Beginn der neunziger ­Jahre kamen die ersten wissenschaftlichen Modelle und Diskussionen über den Klimawandel auf. Doch die waren noch nicht landwirtschaftsspezifisch ausgerichtet. Mich hat das Thema interessiert, da Weinbau eine sehr langlebige Kultur ist. Wer heute Rebstöcke pflanzt, will in vierzig oder fünfzig Jahren noch ernten können. Doch sie gehören zu den klimatisch sensibelsten Kulturen in der Landwirtschaft.

Welche Rolle spielt dabei das Bordelais als eines der größten Anbaugebiete der Welt und zugleich der Heimat ganz großer ­Weine? Es gibt Regionen, in denen über Jahrhunderte immer dieselben Sorten kultiviert wurden. Da fängt es an eng zu werden, wenn man in die Zukunft blickt. In den Diskussionen wird immer gesagt, man müsse dann halt ans Klima angepasste Sorten pflanzen. Aber das ist nicht einfach, wenn eine Region so spezialisiert ist wie

130

F I N E

2 / 2 01 0

Burgund oder das Bordelais. Berechnet man die Klimaaufzeichnungen seit Beginn der verlässlichen Datenreihen, beim Wein etwa vom 18. Jahrhundert an, so findet man kontinuierlich ansteigende Temperaturwerte, am stärksten seit den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Das Bordelais war daher ein interessanter Ansatzpunkt für Forschungen. Mein Freund Greg Jones von der University of South Oregon hat in den Neunzigern seine Dissertation über die Klimaveränderung im Bordelais geschrieben. Ihm fiel bereits damals auf, dass sich dort sehr viel verändert hat, obwohl die großen Châteaux, betrachtet man deren Philosophie, ja ausdrücklich nichts anders machen wollen. Schon beim Cool-Climate-Symposium 1999 in Melbourne wurde das Thema sehr intensiv diskutiert, es entstanden viele wissenschaftliche Publikationen. Damals habe ich eine umfassende Review darüber verfasst. Das hatte große Resonanz: Datenbanken mit langjährigen Klimadaten verschiedener Weinbauregionen wurden nun von Wissenschaftlern unter ganz neuem Blick­winkel angesehen. Von der internationalen Diskussion über Klimaveränderung im Bordelais ging letztlich die bis heute geführte Diskussion aus.

Welche Faktoren haben sich denn laut ­Ihren Erkenntnissen verändert? Die Durchschnittstemperatur des Bordelais ist um etwa ein Grad Celsius gestiegen. Früher hat man diesen Jahresdurchschnitt zur Betrachtung

herangezogen, aber die ist für Reben ja nicht relevant. Es kommt auf die Zeit zwischen April und Oktober an. Aber vor allem während der Vegetationsperiode ist es dort heute deutlich wärmer als vor dreißig Jahren. Die Jahrgänge sind kontinuierlich besser geworden.

Ist die zunehmende Wärme, wie oft diskutiert, für den Weinbau die ­substantielle Veränderung – oder sind andere Aspekte wichtiger? Es gibt viele weitere wichtige Faktoren. An die Wärmeentwicklung ist direkt der Wasserhaushalt des Weinbergs gekoppelt. Für Rotweine spielt er die entscheidende Rolle. Denn alles, was mit Terroir in Verbindung gebracht wird, hat direkt oder indirekt mit Wasser zu tun. Qualität kommt von Quälen: Die Rebe muss sich ein wenig quälen, und das betrifft fast ausschließlich den Rotwein. Wassermangel ist in einem bestimmten Zeitfenster sehr wichtig, um große Weine produzieren zu können. Die Beeren werden kleiner, die Inhaltsstoffe konzentrieren sich. So kommen mehr Tannine, mehr Phenole, mehr Farbe hinein. Erst diese Trockenphasen haben in Kombination mit mehr Wärme zu besseren Weinen geführt. Betrachtet man die Vorhersagen, so wird es allerdings in Zukunft im Sommer deutlich zu trocken.


Viele Winzer beobachten eine scharfe Trennung der Jahreszeiten: Feuchte Winter, trockene und heiße Sommer. Welchen Einfluss hat das auf den Wein? In manchen Regionen mag das zutreffen, aber man muss vorsichtig sein. Irgendwo in Süd­ europa verläuft eine fließende Grenze. Folgt man den Prognosen, werden viele südliche ­Regionen künftig weniger Niederschläge im Winter und zugleich weniger Niederschläge im Sommer verzeichnen. Das größte Problem, das auf uns zukommt, ist nicht die höhere Temperatur. Reben kommen mit einem heißeren und einem kühleren Jahr gut zurecht. Nur: ­Warme Luft kann Feuchtig­ keit deutlich besser ­halten als kühle. Die aktuellen Klimamodelle zeigen, dass in Deutschland und Frankreich, und damit auch im Bordelais, die Variabilität der Temperatur drastisch zunehmen wird. Schlagartige Abkühlungen ­führen dann zu sintflutartigem Stark­regen. Statistisch ist das bislang nur schwer ab­zu­sichern, aber die Tendenz zeigt klar, dass wir uns auf ­beide Extremsituationen einstellen müssen: Sehr lange Trockenphasen und schlagartige, ­extreme Niederschlagsereignisse. Die Schadens- und Fäulnisrisiken steigen in solchen Szenarien massiv an.

Über die Genauigkeit der Prognosen gibt es eine große Diskussion unter Klimaforschern und Kritikern. Wie ist Ihre Ansicht? Sämtliche für den Wein relevanten Klimamodelle haben eine große Unbekannte: Selbst die regionalisierten Berechnungen auf zehn mal zehn Kilometer können hervorragend die Entwicklung der Temperaturen prognostizieren. Sie können aber regionale Veränderungen des Wasser­haushalts nur unzureichend beschreiben. Im Sommer 2007 ist England fast ab­gesoffen, und in denselben Tagen hatten die deutschen Trauben Sonnenbrand. Bei der Oder-Flut im Jahr 2002 haben wir zeitgleich den Rüdesheimer Berg bewässert. Im globalen Kontext ist die Luftlinie von Rüdesheim bis an die Oder eine minimale Distanz. Die Grenze, in der das Klima in die eine oder andere Richtung ausschlägt, ist bislang nicht definiert. Es kann sein, dass die Veränderung für uns positiv ausgeht, es können aber ebenso diese unvermittelt umschlagenden Wetterbedingungen entstehen. Dann haben wir alle ein Problem.

Viele Winzer im Bordelais behaupten, die Klimaveränderung sei Panikmache. Wie begegnen Sie dem als Wissenschaftler? Bei einer Tagung sagte etwa der bekannte französische Weinmacher Michel Rolland, für ihn sei ein Effekt des Klimawandels auf den Wein nicht vorhanden. Höherer Alkoholgehalt ­werde nur durch besseres Weinbergsmanagement erreicht, und nur, weil man dies so wolle. Wir dagegen arbeiten mit sehr genauen Daten desselben Weinbergs über einen Zeitraum von fünfunddreißig Jahren und können zeigen, dass wir

heute – bei genau gleicher Bewirtschaftung wie damals – Trauben mit fast zwanzig Grad höherem Oechslewert ernten. Im Bordelais ist diese Zunahme etwas geringer, weil die Ausprägung umso stärker ist, je mehr man nach Norden geht. Am 50. Breitengrad ist die Zunahme sehr viel deutlicher spürbar als am 47. Aber die Veränderung ist ein Fakt.

Viele Winzer sehen sich als Gewinner der Klimaveränderung ... Es gibt eine Optimumskurve für großen Wein. In den vergangenen fünfzig Jahren haben wir uns aus einem suboptimalen Bereich sehr langsam in einen optimalen bewegt. Nur: Über dem Optimum folgt wieder ein Suboptimum. Der Charakter der Weine hat sich bereits verändert – gewollt oder ungewollt. Der Kunde ist dem gefolgt und hat seinen Geschmack ebenfalls angepasst. Der Alkoholgehalt vor ­dreißig Jahren beispielsweise war viel geringer als ­heute. Das Bordelais hat aber eine recht breite Optimumskurve. Das Glück des Bordelais ist es, dass Sorten wie Cabernet Sauvignon und ­Merlot eine große Spannbreite von Anbaubedingungen tolerieren. Deshalb sind diese Sorten ja auch weltweit so populär geworden. Sie vertragen eine Menge Wärme, obwohl die Weine damit einen anderen Charakter erhalten. Insofern wird sich im Bordelais tatsächlich zunächst nichts grundlegend ändern.

Was müssen die Winzer tun, um die Komplexität eines großen Weins zu erhalten? Ich glaube, die Weine haben sich bereits verändert. Das geschieht sehr langsam und schleichend. Uns ist das nicht bewusst, einfach, weil wir ja keine richtige Referenz besitzen. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Doch die ­Betriebe können gegensteuern. Ein Beispiel: Normalerweise wird eine Rebzeile in Nord-Süd-Richtung angelegt. So wird sie morgens auf der Ost­seite von der Sonne beschienen, abends von ­Westen. Im Sommer liegt aber im Westen eine ­enorme Hitzeladung auf der Laubwand und auf der Traubenzone. So entstehen Probleme mit Sonnen­ brand und vielem mehr. Wenn man nun die Rebzeile auf Basis der Daten einer Computer­ simulation dreht, kann man diese Nachmittagsspitzen herunterpegeln. Morgens wird es dafür etwas wärmer. Vereinzelt wird das im Bordelais bereits gemacht. So verändern die Güter auch den Wasserverbrauch ihrer Weinberge. Aber: Alles Gegensteuern dämpft das Problem nur. Auf den Status von vor dreißig Jahren wird ein Winzer seinen Weinberg niemals zurückbringen.

Viele Châteaux kompensieren die ­Schwächen eines Jahres einfach mit einer Anpassung der Cuvée. Es gibt überall, nicht nur im Bordelais, die Tendenz, alte Sorten wieder zu verwenden. Die Bordeaux-Winzer sind sehr traditionalistisch, sie tun

sich schwer, eine neue Sorte mit höherem Säure­ gehalt zu kultivieren. Petit Verdot ist so eine alte Sorte – der war hier immer schon beheimatet, nur waren die verwendeten ­Mengen sehr gering. Er brachte höchstens eine Nuance in den Wein. Aber wenn man mindestens drei Sorten nutzt, kann der Winzer gut damit spielen, um komplexe Weine zu machen. Die große Heraus­ forderung des Bordelais wird vor allem sein, die hohen pH-Werte ihrer Weine nicht noch weiter steigen zu lassen. Auch das hat sich schleichend verändert. Denn mehr Wärme während der Traubenreife führt zu weniger Säure. Das macht einen Wein mikrobiologisch problematisch und nicht sehr lange lagerfähig. In der Vergangenheit gab es dieses Problem fast nicht. Doch durch die höheren Sommertemperaturen müssen sich die Châteaux damit auseinandersetzen, zudem benötigen sie viel höhere hygienische Standards im Keller als früher. Sie dürfen dem Wein mittlerweile Säure zusetzen, und nur, um den pH-Wert zu stabilisieren. Ob zugesetzte Säure nach vierzig Jahren Lagerung irgendwelche Auswirkungen auf das Aroma hat, weiß man allerdings noch nicht.

Der französische Wissenschaftler Jean-­ Pierre Gaudillère vom Institut National de la Recherche Agronomique (INRA) in Bordeaux geht davon aus, dass sich in den kommenden fünfzig Jahren der Wein­typus hier grundsätzlich verändern wird. ­Weine des klassischen Bordeaux-Typus’ wird es demnach nur noch an der Loire ­geben, während im Bordelais ­alkoholreichere ­Weine mit südfranzösischem Einschlag ­erzeugt werden. Stimmen Sie dem zu? Zwischen Jean-Pierre Gaudillère und mir gibt es einen großen Unterschied im wissenschaftlichen Background. Er ist Bioklimatologe, und ich bin in diesem Fall Winzer. Wenn man wie er nur die wissenschaftlichen Modelle ansieht und berechnet, wo in einigen Jahrzehnten voraussichtlich die neuen Klimabedingungen herrschen werden, dann wird es demnach an der Loire ganz andere Bedingungen als heute geben. Möglicherweise ist das Klima dort dem heutigen Bordelais dann sehr ähnlich, also könnte man dort BordeauxSorten pflanzen und im Bordelais Syrah. Aber er berücksichtigt die weinbautechnischen Stellschrauben zu wenig. Winzer ­können sich anpassen, wenn sie wissen, was auf sie zukommt. Das erste Gut, das bereits eine Veränderung des ­Klimas erfahren hat, ist Château Haut-Brion. Dort misst man seit Jahrzehnten eine anderthalb Grad höhere Durchschnittstemperatur, weil die Rebflächen mitten in der Stadt liegen. Sie haben eine Klimaanpassung hinter sich, die die anderen noch vor sich haben. Haut-Brion ist ein gutes Beispiel, dass man damit gut umgehen kann. Im Bordelais gilt allerdings die Philosophie, nicht überreif wie in Australien zu ernten, sondern lieber früher. Üblich ist es, Trauben zu

F I N E

I n t e r v ie w

131


Wandelt sich dabei auch die Bedeutung der Kellertechnik?

Indikator: Im Rheingau am 50. Breitengrad ist die Klima­veränderung deutlicher spürbar als am 47. Grad nördlicher Breite im Bordelais.

ernten, die 11,5 Prozent Alkohol liefern und die fehlende Differenz durch Chaptalisieren auszugleichen. Zur Philosophie von Pétrus oder ­Cheval Blanc gehören eher 12,5 als 13,5 Prozent Alkohol, sie sind eher filigran als wuchtig. Es wird in Zukunft eine große Herausforderung für die Güter sein, diesen Stil so weiter zu verfolgen.

Was müssen sie nach Ihrer Ansicht dazu tun? Die Frage ist: Wie kann man den Reifeverlauf so verändern, dass die phenolische Reife zu einem Zeitpunkt erreicht wird, an dem die AlkoholAusbeute geringer ist? In der Historie haben wir ja genau umgekehrt gedacht. Das Ziel war, den Alkohol zu maximieren, um mehr Fülle zu erreichen. Und nun beginnen wir, diese Techniken umzukehren, um weniger Alkohol zu bekommen. Wer einfach zu früh erntet, erhält aber nicht die Inhaltsstoffe, die einen großen, komplexen Wein ausmachen. Wir forschen intensiv in diesem Bereich. Und dabei haben wir herausgefunden, dass man im Weinberg mit einigen unkonventionellen Schritten, die bislang nie gegangen wurden, viel erreichen kann. Ein Beispiel: Die Zuckermaschine des Rebstocks sind die Blätter. Wenn man nun bestimmte ­Sektionen entblättert – aber eben nicht die Trauben­zone – kann man die Maschine langsamer laufen lassen. Trotzdem bleiben die Rücklagerungen von Nährstoffen in die Traube voll erhalten. Derzeit sind wir am Ausloten, wie groß dieser Effekt ­tatsächlich ist. In einigen Jahren werden wir wissen, ob das auch in der Praxis funktioniert.

132

F I N E

2 / 2 01 0

Die Frage des Einsatzes bestimmter Hefen stellt sich. Hier in Geisenheim verfügen wir über eine umfassende Sammlung von Reinzuchthefen. Sie wurden in der Vergangenheit immer weiter entwickelt, um eine höhere Alkohol-Ausbeute zu erhalten. Die Australier haben an diesem Thema gearbeitet, die Franzosen, die Deutschen auch. Heute diskutieren wir, wie wir weniger Alkohol erhalten. Doch es gibt da nur sehr wenig Spielraum – selbst, wenn man sehr alte Hefestämme verwendet. Auch die gentechnisch veränderten Hefen waren nie darauf ausgerichtet, den Alkohol zu reduzieren. Es ging um ganz ­andere Eigenschaften. Heute wird an der Kombi­nation unterschiedlicher Hefearten gearbeitet, an neuen Selektionen. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis es Hefen geben wird, die an die ­Folgen des Klimawandels angepasst sind. ­Solche Lösungen entstehen nicht auf Knopfdruck. Und Gentechnik ist dabei auch nicht die Lösung. Wenn man den Weg zum Alkohol verändert, entstehen große Mengen Glyzerin. Das will niemand. Es gibt andererseits Techno­logien, um dem Wein Alkohol zu entziehen. Die sind aber ziemlich teuer und ebenfalls noch nicht hundertprozentig ausgereift.

Arbeitet die Forschungsanstalt mit großen Châteaux zusammen? Der maßgebliche Weinbau-Professor der Universität Bordeaux, Cornelis van Leeuwen, arbeitete früher als technischer Direktor bei ­Cheval Blanc. Ich kenne ihn sehr lange, und wir haben bereits einige gemeinsame Forschungs­projekte gemacht, etwa über den Wasserhaushalt der Region Bordeaux oder über Fragen des ­Terroirs. Die Fragestellungen sind dabei meist auf ­Château Cheval Blanc entstanden. ­Diese Kontakte sind bis heute sehr gut. Das Land ­Hessen ist außerdem mit der Region Aquitaine verschwistert, und so gibt es eine ganz enge Verbindung zwischen den Hochschulen in Bordeaux und Geisenheim. Wir arbeiten in bi­lateral finanzierten Projekten der beiden Regionen, etwa zu Aromaforschung, Trockenstress oder über Pflanzenkrankheiten. Die verändern sich auch mit dem Klimawandel: Je wärmer es wird, umso mehr verändern sich Abläufe und Zyklen von Epidemien oder Schädlingsbefall. Steigt mit der Wärme auch die Feuchte, steigt das Infektions­ risiko für die Reben deutlich. Wenn Deutschland und Frankreich künftig in einer Zone sehr hoher Klima-Variabilität liegen, dann könnte sich die Feuchte deutlich erhöhen. Mit allen Folgen.

Im Bordelais ist die Zahl unter­schiedlicher Mikroklimata und Terroirbedingungen fast unendlich groß. Wie genau sind die wissen­schaftlichen Methoden, um mit all diesen Unbekannten zurechtzukommen? Das ist die große Schwierigkeit. Die Wissen-

schaft arbeitet mit unterschiedlichen Modellen, die man auf unterschiedliche Weinbergsbedingungen abstimmen kann. Das lässt sich recht gut mit Wasserhaushalt und Wasserverbrauch machen. Aber wenn es in die Inhaltsstoffe oder eine Voraussage zum Weincharakter geht, werden die Modelle so komplex, dass man das nicht mehr seriös hinbekommt. Dasselbe gilt für Sorten­vielfalt oder Anbaumethoden. Das macht unsere Arbeit schwierig. Wir können immer nur einen Faktor nach dem anderen ­einzeln herausnehmen und untersuchen. Die Kardinalfrage hat in der Vergangenheit noch niemand angepackt: Was geschieht mit der Rebe bei höheren Temperaturen und höheren CO2-Gehalten? Um eine so hoch komplexe Fragestellung zu bearbeiten, hat den Instituten sehr lange das Geld gefehlt. Doch nun können wir anfangen.

Wie machen Sie das? Wir bauen derzeit das weltweit erste »Face«System für Sonderkulturen, zu denen auch der Wein zählt. Die Abkürzung steht für »free ­carbon dioxide enrichment«. Dazu können wir eine Million Euro investieren. Auf einem Areal von etwa einem Hektar Größe entstehen hohe, offene Ringe von etwa zwölf Metern Durchmesser. An deren Wänden sind Düsen angebracht, durch die Kohlendioxyd einströmt. Sie regulieren die CO2-Konzentration innerhalb des ­Feldes so, wie man sie für die Zukunft vorausberechnet hat. Wir pflanzen darin Riesling und Cabernet Sauvignon. Das macht es für ­andere Wissenschaftler attraktiv, dort Forschung zu betreiben – und unsere ersten Ansprechpartner sind die Forschungsgruppen in Bordeaux. Denn das Projekt soll die unterschiedlichen Interessen der Regionen befriedigen. Ende 2010 ­sollen die Bauarbeiten fertig sein. Denn es gibt im Weinbau in diesem Zusammenhang noch sehr viele unerforschte Bereiche: Wir wissen nichts über die Stickoxid-Ausgasung des Bodens beim Wein­anbau, wir wissen nicht, wie wir sie minimieren können. Wir wissen, dass manche Insekten auf den höheren CO2-Gehalt der Luft mit einer Veränderung des genetischen Codes reagieren, wir haben aber kein Wissen, wie die für den Weinbau relevanten Insekten reagieren. Was passiert mit der Zusammensetzung der natürlichen Hefen bei höherem CO2-Gehalt und höheren Temperaturen? Wir wissen zwar, dass sich die Hefepopulationen verändern, aber nicht, was genau passiert. Das ist für alle relevant, die mit Spontangärung arbeiten. Was verändert sich im Phenol-Stoffwechsel? Was verändert sich bei den Aromastoffen? Wie verändert sich das Traubenmaterial, was einen großen Einfluss auf den Wasserverbrauch hat? Mit dem Klimawandel hat sich eine große Zahl wichtiger Fragen ergeben, die weiter unbeantwortet sind. Wir Wissenschaftler müssen aber wenigstens eine klare Tendenz absehen können, um Handlungsempfehlungen geben zu können. >


Das Buch der deutschen Weinelite. September 2010.


Nicht schwer, aber gewichtig: Was Bernd Philippi auch anpackt, niemals überhebt er sich. Er liebt Dinge von Wert – seine Weine, seinen Porsche

Welt-Winzer E Lustvoll bei der Arbeit, grosszügig im Genuss: Bernd Philippi kennt keine Grenzen

Text: Martin Wurzer-Berger  Fotos: Johannes Grau

134

F I N E

2 / 2 01 0

in schwerer Riegel verschließt das alte Holztor. Es ­öffnet

sich knarrend und knarzend zwischen zwei mächtigen, sand-

steingefassten Häusern. Seine Stützrollen haben über ­lange Zeit

­Rillen in den Basalt des Kopfsteingepflastertes ge­arbeitet, wie man sie von antiken Straßen kennt. Die Toreinfahrt ist überbaut. Erste Schritte führen wie durch einen Tunnel. Der sich


aus der Pfalz öffnende Hof ist alles andere als großzügig; in der Kallstadter

Blattpaaren in die erste Etage. Die betagte Korbkelter dient nun

Innenstadt gibt es keinen Platz zu verschenken. Seine Anlage

als Pflanz­kübel für leuchtende Geranien. An der Wand gegen-

verdankt sich ­keinem Masterplan. In den Zeitläuften gewach-

über steht eine eichene Korb­presse, die jedem Weinmuseum zur

sen dient er zu nichts anderem, als die umstehenden Gebäude

Ehre gereichen würde. Auch sie ist mit ­Pflanzen dekoriert. Ein

zu erschließen und zu verbinden. Ein uralter, oberschenkeldi-

Hubwagen, mit einer leeren Gitterbox beladen, scheppert laut

cker Weinstock schickt seine ­Triebe mit den ersten saftiggrünen

über den harten Basalt. F I N E

P f a l z

135


Nie alt, aber historisch: Die Jahreszahl im Türbogen zum Keller ist bei weitem nicht das früheste Dokument. Das Weingut ­Koehler-Ruprecht ist mit seinen Gewächsen Teil der pfälzischen Geschichte

Deutschland ist ein dichtes Land, aber selten fächert sich seine Kultur so anschaulich auf wie bei der einstündigen Fahrt von der Frankfurt Paulskirche hierher. Flughafen, Hessische Bergstraße, Lorsch und Worms ziehen in südlicher Richtung vorbei. Dann führt der Weg vor Ludwigshafen und Mannheim westlich bergan, dem Pfälzer Wald entgegen. In seinem östlichen Schatten zieht sich die deutsche Weinstraße als Nord-Süd-Achse von Bockenheim bis nach Schweigen an der französischen Grenze. Dem Unkundigen ist sie, der Rüdesheimer Drosselgasse nicht unähnlich, Inbegriff weinseliger Deutschtümelei, Kundigen ist sie Pilgerweg zum Besten der deutschen Weinkultur.

N

ach wenigen Minuten ist Kallstadt erreicht. Die stark befahrene Hauptstraße säumen solide Häuser aus einer längst vergangenen Zeit. Zeichen veritablen Reichtums sind steinerne Erdgeschosse, denen Fachwerk aufsetzt ist. Die Region profitiert nicht erst seit gestern doppelt von ihrer geografischen Verortung: Regenschatten des Pfälzer Waldes und Nähe zur zentralen Lebensader Rhein sind harte Standortvorteile für die findigen, bodenständigen Pfälzer. Sie haben die einträgliche Kombination von Wein, Obst und Handel zu Nutzen gelernt. Das Weingut Koehler-Ruprecht blickt auf eine lebendige Weingeschichte zurück, vermutlich bis ins 13. Jahrhundert. 1556 steht über dem Sandsteinbogen des alten Kellers. Er blieb, nachdem der Dreißigjährige Krieg einigermaßen glimpflich an Ort und Haus vorbeiging, als einziger nach dem zerstörerischen Brand in den pfälzischen Erbfolgekriegen (1688 – 1697) erhalten. Den fälligen Neubau bewerkstelligte um 1700 die Familie Ruprecht. Sie war vom Kurfürst mit Steuererleichterungen in die zerstörte Pfalz gelockt

136

F I N E

2 / 2 01 0

worden. Auf-, Neu- und Umbauten, so scheint es, stecken den bemerkenswerten Persönlichkeiten des Guts im Blut. Der schwere Berner Sennenhund tänzelt, als Bernd Philippi auf den Hof fährt. In Südafrika hat Philippi einen Ridgeback »Riesling« und einen Jack Russell, der auf »Pinot« hört. Auch in Portugal hat er vier Hunde. Gelassen und konzentriert spielt er mit dem fünfjährigen Bubl. Die Ausstrahlung des kräftigen Mannes mit den grauen Haaren und dem grauen Schnäuzer ist ruhig, vielleicht manchmal etwas melancholisch. Er hat in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten das Weingut in die Spitzenklasse trockener deutscher Rieslinge und Spätburgunder geführt. Und doch reicht er das Kompliment weiter: »Opa hat das Gut hoch gebracht«. Dieser erste Koehler – wieder einmal gab es keine männlichen Erben –, kam aus einem rheinhessischen Ackerbaubetrieb mit fünf Brüdern und zwei Schwestern. Bernd Philippi charakterisiert seinen Großvater als einen gewieften Strategen, der das Gut zu einer ersten WeinBlüte brachte: Ende der 1950er Jahre wurde der

Gemischtbetrieb aufgegeben und komplett auf Wein gesetzt. 1957 baute er das Hotel und Restaurant »Weinkastell zum Weißen Ross«, mit dem sich das Weingut den Hof teilt. Es wird seit 1979 von seiner Enkeltochter Jutta und deren Mann Norbert Kohnke geführt. Auch politisch war der Großvater aktiv, in der Gemeinde wie als Landtagsabgeordneter. Pragmatisch, schlau, ein Freund de Gaulles, niemals laut, ruhig und beherrscht. Sein Enkel zeichnet ein ideales Vorbild. Aber er unterschlägt als guter Beobachter nicht die Schattenseite dieses gesellschaftlichen Engagements: die Allgemeinheit dankt es nicht. Wer würde erwarten, gerade hier den Geburtsort eines Weltenbummlers zu finden, eines Weinwissenden, dessen Können ihn der in der ganzen Weinwelt berühmt machte? Die Initialzündung für diese in Deutschland kaum wirklich wahrgenommene und gewürdigte Karriereleistung kommt unerwartet – und beschert sofort einen ersten Porsche. Aber der Reihe nach. Wir schreiben das Jahr 1974. Der junge Bernd Philippi kommt aus dem Büro seines Mentors


an der Geisenheimer Fachhochschule, Professor Dr. Helmut Becker. An der Tür begegnet er zwei Besuchern. Sie werden Becker nach einem geeigneten Kandidaten fragen, um in Amerika ein Weingut neu zu errichten; Philippi wird vorgeschlagen und auch zusagen. Das ist der Einstieg in eine einmalige Karriere. Geisenheim war 1971 – passend zum Eintritt des 20-jährigen Philippi – zur Fachhochschule aufgestiegen mit dem Diplom-Studiengang Weinbau und Kellerwirtschaft, Abschluss: Dipl.-Ing. (FH). Seiner eigenen Erinnerung nach verbrachte Bernd Philippi diese Jahre häufiger in der Jagdhütte geselliger Studienkollegen als im Hörsaal. Verschmitzt berichtet er, dass von fünfen immer einer

in Geisenheim nachzusehen hatte, ob denn etwas wichtiges passierte. Schlussendlich jedoch betreute der schon damals große und bedeutende Helmut Becker seine Diplomarbeit. Und die Tatsache, dass Bernd Philippi auch nach vielen gemeinsamen Projekten und Jahren nie in das vertrauliche Du wechselte, zeigt einiges von seiner Hochachtung dem Wissenschaftler und Menschen gegenüber, der die Weine des Rheingaus und der Pfalz über alles schätzte. Dann ging es ein erstes Mal über den großen Teich, nach Michigan. Dem Auftraggeber Edward O’Keefe, der sein Vermögen mit Altenpflegeheimen machte, stand ein Grundstück auf einer langen, schmalen Halbinsel zur Verfügung, die weit

in die Grand Travers Bay des Lake Michigan hinein reicht. Hier war nie zuvor Weinbau betrieben worden, aber die Pflanzen vor Ort waren dem jungen Winzer deutliche Anzeiger für ein geeignetes Mikroklima. Zudem versprach der sandig-lehmige Boden staunässefrei zu sein. In den kommenden vier Jahren verbrachte Bernd Philippi die Zeit zwischen April und September dort und baute das komplette Château Grand Travers. Ein Pionier im Land der ­Pioniere. Die Stelle war attraktiv dotiert. Neben einem üppigen Salär konnte er über ein Sommer­ haus und einen Porsche 914, auch »Volks­porsche« genannt, mit dem netten Nummernschild »­Michigan Grapes« verfügen: Was kann sich ein junger Mann anderes wünschen? Nachdem die harte Arbeit des Rodens vollbracht war, wurden mit schwerem Gerät 16 Hektar Süd-Ost-Lagen in den Hügel modelliert. 1976 schließlich gab es ein erstes Versuchsfeld mit Riesling, Chardonnay und Gamay Noir. Die deutschen Unterlagen und auch die Rieslingedelreiser aus Geisenheim (Gm 239) wurden zusammen mit den französischen Chardonnay- und Gamay-Reisern in einer abenteuerlichen Odyssee über Frankreich und Kanada in die Vereinigten Staaten gebracht. Das war damals definitiv illegal, ist aber heute verjährt und illustriert das Durchsetzungsvermögen des Weingutbauers aufs trefflichste. In diese frühen Jahre fällt die prägende Heranführung an den umfassenden sinnlichen Genuss. Mit leuchtenden Augen und wie immer phänomenalem Gedächtnis erinnert sich Philippi an Paul Manns legendäre Verkostung von 1961er Bordeaux-Weinen bester Provenienz. Er deckt sich in der Importdivision seines Auftraggebers zum täglichen Genuss mit den 1970-er DucruBeaucaillou-Magnumflaschen ein - zum sensationellen Preis von acht Dollar. Das prägt den Geschmack und ist überhaupt ein ganz neues Leben. Selbständigkeit, eigenes Haus, der Porsche,

F I N E

P f a l z

137


Die Arbeit lieben, das Leben genießen: Große Weine, schöne Frauen, starke Autos – nichts kann Bernd ­Philippi vom Aufbinden der Reben ablenken. Nicht das ­pittoreske Fassweibchen von 1832 noch der Porsche Cayenne im Weinberg

138

F I N E

2 / 2 01 0


lebensgenießende und großzügige Personen im Umfeld, üppiges Essen und Trinken, schöne Frauen. Diese Kombination lernt Philippi schnell zu schätzen. Sie war und ist noch heute sein kräftiger Lebensmotor: Genuss, Trinkfreude und Trinkspaß zählen zur menschlichen Kultur. Viel stärker, als dies die Neu-Prohibitionisten uns einreden wollen. In der Heimat ging es zu dieser Zeit ganz anders zu. Drei Generationen lebten unter einem Dach. Die guten Erinnerungen an seine Kinderzeit verbindet der 1951 geborene Bernd Philippi mit der von seinem Großvater geprägten Großfamilie. Zu deren Ritualen zählte der samstägliche Gang der Oma in den Pferch. Das ausgewählte Huhn wurde gebrüht, gerupft und gesengt, abends gab es die gebratenen Innereien für den Großvater, der Rest der Sippe trank Kakao zu süßen Wecken. Und sonntagmittags dann bekam am großen Tisch jeder seinen Teil vom knusprigen Hühnerbraten. Diese Familienidylle prägt Philippi bis heute und ist mit seiner Heimatliebe untrennbar verbunden. Ohne Spannungen indes war diese Welt nicht. Sein Vater als Obstbauer und Baumschuler hing stärker an seinen Pfirsichbäumen als am Weinbau. Konflikte zwischen Vater und Sohn waren an der Tagesordnung. Erst mit der Übernahme des Guts im Jahr 1986 konnte Bernd Philippi ganz nach seinen

eigenenVorstellungen walten und schalten. Die wichtigste Maßnahme war im direkt folgenden Jahr der Neubau des Kellers. Die Erfahrungen, die er bei vielen Planungen und Beratungen für andere Weingüter hatte sammeln können, machten den Schritt zwangsläufig und flossen jetzt mit ein. Beim Gang die stählerne Treppe hinunter wird schnell klar: hier hat kein Romantiker gebaut und auch kein ästhetikorientierter Architekt. Ein kühler Planer und Pragmatiker hat den Platz optimal und sachgerecht ausgenutzt. Unzählige Holzfässer, viele mit substanziellem Alter – das älteste stammt aus dem Jahr 1892 –, stehen in Reih und Glied. Jetzt, Anfang Mai, sind noch nicht alle Weine durchgegoren. Aber das wird in den nächsten Tagen und Wochen passieren, denn der Keller ist nicht mehr winterlich kalt. Ihr Alter verraten alte Fässer häufig an einer Punze oder einer eingeschnittenen Jahreszahl. Hier aber wirken auffallend viele alte Fässer an ihrer Frontseite wie neu. Der Blick Philippis verdüstert sich, wird doch die Erinnerung an einen der schwärzesten Tage des Guts geweckt. Am 24. Juni 1989, kaum ein Jahr nach der Fertigstellung des Kellers, ging über Kallstadt ein dramatisches Unwetter nieder. Geröll ergoss sich in die Straßen, und im schönen neuen Keller schwammen die Fässer im Schlamm. Ein unermesslicher Schaden. Damals wurde in einem Kraftakt jedes Fass nicht

nur gesäubert, sondern die Fronten fein säuberlich bis auf das frische Holz geschmirgelt. In der weiten Welt ging es für Philippi nahtlos weiter. 1979 folgte, gemeinsam mit Helmut Becker, die Quinta do Cotto in Portugal; in den Vereinigten Staaten war es mit den Nk‘Mip (Inkameep) Cellars in British Columbia das erste Weinbauprojekt in einem Indianerreservat. In good old Europe wartete von 1980 an eine Mammutaufgabe auf das Team: Die portugiesische Regierung musste ihre Weingesetze vor dem Beitritt EU-konform gestalten. Die Hauptarbeit war auf Madeira zu leisten: Dort lag die lange Tradition dieses ewig haltbaren Weins darnieder. Die großen Traditionssorten waren vernachlässigt worden, die Reben ausgelaugt und krank, die Weinbereitung katastrophal. Philippis Einschätzung nach gab es guten Madeira nur bis 1927. Danach sind nur Reste des einstigen Glanzes vorhanden. »Der Mensch ist faul«: Die traditionellen Rebsorten wie Malvasia, Bual, Verdelho und Sercial wurde vernachlässigt und ersetzt durch Kreuzungen mit amerikanischen Wildreben. Sie waren resistent gegen Mehltau und mussten eigentlich nur beschnitten und geerntet werden. Aber sie sind in der EU ebenso verboten wie die Praxis, auf den Etiketten die alten Rebsorten zu erwähnt, obwohl manchmal kein Tropfen dieser Sorten im Wein enthalten war; mindestens 85 Prozent der

F I N E

P f a l z

139


Herrliche Weine, große Lagen: Der Spätburgunder RR ist der Stolz von Bernd Philippi wie die 2008-er Riesling Auslese vom Kallstadter Saumagen. Unmißverständlich die Lagenmarkierung im Wingert

genannten Sorte müssen in der Flasche sein. Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: menschliche Schwäche in einem von der Natur reich beschenktem Land. Das Klima auf Madeira ist perfekt, und viele Generationen haben ein weit verzweigtes Kanalsystem entwickelt. Becker und Philippi suchten zunächst alte Stöcke in den Steilhängen, eine zeitraubende, anstrengende und auch gefährliche Aktion. 1984 legten sie einen Mutterweinberg an und begannen mit einer Mikrovinifikation. Diese Maßnahmen zur Qualitätssteigernung stießen nicht immer auf das Wohlwollen der Exportkellereien. Sie unternahmen 1990 den Versuch eines Traubenboykotts. Spätestes hier erarbeitete sich Philippi seinen Ruf als »troubleshooter«. In einem Kraftakt entstanden zwischen Juli und September Wiegestationen. Die Regierung konnte die Trauben der Erzeuger aufkaufen – und später mit Gewinn wieder verkaufen. Erst 2004, nach fast fünfundzwanzig Jahren, endete der Beratervertrag mit der portugiesischen Regierung. Anfang der 1980-er Jahre jagte ein Projekt das nächste: Ontario, Portugal, New Mexico, West Virginia, Nova Scotia. Bernd Philippi gründete mit dem Winzer Bernhard Breuer aus dem Rheingau die Roseneck Weinconsulting GmbH. Wehmut ist in Philippis Stimme zu hören, als er über seinen großen kleinen Freund spricht. Pat und Patachon seien sie gerufen worden. Er, der große kräftige Philippi, und Breuer, der kleine drahtige. Breuer habe den Genuss erst lernen müssen, und das sei mit der Zeit auch besser geworden. Mit ihm zusammen verwirklichte er im geliebten Portugal nach zehn Jahren Suche im Alentejo einen Traum: Im September 1989 deutete sich an, ein 8,5 Hektar großes Weingut mit sechs bis zehn Jahre alten Reben erwerben zu können. Am 16. Mai 2000 war die Quinta da Carvalhosa in ihrem Besitz. Und dann starb Breuer 2004. Den Verlust hat Philippi bis heute nicht verschmerzt. Fast auf der ganzen Welt hat Philippi seine Spuren hinterlassen: nur Australien und Neuseeland fehlen. So richtig interessant findet er sie als Weinländer auch nicht, riet anderen sogar davon ab, sich dort zu engagieren. Um ein Haar wäre China dabei gewesen. Die Verhandlungen waren schon weit fortgeschritten, aber das Massaker auf 140

F I N E

2 / 2 01 0

dem Tian’anmen-Platz zerschlug nicht nur seine Pläne. Kreta erwies sich als nicht durchführbar, ebenso wenig Buthan, das vielleicht spektakulärste Projekt in zweitausend Metern Höhe. In Argentinien beriet er Carlos Menem. Mont du Toit in Südafrika war sein erstes Weingut auf der Südhalbkugel. Von einer Fruchtfarm zum Weingut – nach einer Woche stand die Planung. Die harten Kriterien für eine erfolgreiche Konzeption sind von ihm schnell aufgezählt: Möglichst ein unterirdischer Keller, Ausbau nur in Holzfässern (kaukasische Eiche, etwas amerikanische Eiche, französische Eiche), im Weinberg Cordon-Erziehung, Pflanzdichte so hoch wie möglich, selbstverständlich Handlese. Bei der Vinifizierung ist auf die Maischestandzeiten zu achten und eine Säuerung verpönt; einen ph-Wert bis 4 hält Philippi für kein Problem, saubere Arbeit vorausgesetzt. Das bedarf einer sorgfältigen Schulung des Personals. Philippis bevorzugte Rebsorten halten neben den üblichen Verdächtigen Überraschungen bereit. Neben autochthonen portugiesischen Trauben nennt er an erster Stelle die unterschätzte

Alicante Bouschet, die 1855 vom berühmten Züchter Henri Bouschet de Bernard aus der Garnacha tinta und der Petit Bouschet gekreuzt wurde. Wie alle Winzer der Welt, die prägende Weine schaffen, hält auch Bernd Philippi die Weinbereitung nicht für ein Hexenwerk. Sein tiefenscharfes Reflexionsniveau wird durch seinen funkelnden Erfahrungsschatz bereichert. Da ist vor allem die Lese zu beachten. Das Vorgehen von Hubert de Villaine, der auf der Domaine de la RomanéeConti hundert Tage nach der Blüte zehn Tage liest, sei grundsätzlich richtig, ihm aber zu schematisch. Auch erntet Philippi nicht nach Mostgewicht. Entscheidend ist der Geschmack der Beeren. Hieraus hat sich von 1990 an für das Weingut KoehlerRuprecht ein einzigartiges Hierarchiesystem entwickelt. Das Bestreben ist nicht die Nivellierung der Jahrgänge. Ganz im Gegenteil: es geht um eine geschmackliche Differenzierung der besonders guten Jahrgänge. Aber nicht – wie üblicherweise – über den süßen Bereich, sondern innerhalb des trocknen Segments. Seine Hierarchie liest sich wie ein Gegenentwurf zum »Großen Gewächs« mit


seiner gewollten Fixierung auf nur einen trocknen »Kracher« aus einer Lage. In den besten Jahren – und nur in ihnen – lautet die Nomenklatur aus dem Kallstadter Saumagen: Kabinett (Qualitätsweine gibt es im Gut überhaupt keine), Spätlese, Auslese, Spätlese »R«, Auslese »R«, Spätlese »RR« und Auslese »RR«, mithin sieben trockne Rieslinge. Im Superjahrgang 2007 gab es dazu noch ein »A« wie Ausnahme: das beste Halbstück, reserviert für Bernd Philippi. Den Ernteverlauf skizziert Philippi mit einigen wenigen Federstrichen: Nach einer Vorlese werden zuerst die kleinen, nicht befruchteten Jungfernbeeren geerntet. Sie ergeben die Basis für die »R«- und »RR«-Weine. In der Folge wird von Gold über Gelb nach Grün gelesen; die Selektion findet im Wingert statt. Der Most wird scharf vorgeklärt; die Gärung der Weine ist bis Juni/Juli beendet. Ein grundsätzlicher Plan ist von Anfang an vorhanden, aber die Verkostung der Jungweine entscheidet letztendlich, was aus welchem Gebinde wird. Als Maxime gilt, dass auch die »R«-Weine nicht dick oder fett werden dürfen. Sie müssen saftig sein, eine gute Länge zeigen und Konzentration. Keinesfalls aber dürfen sie sättigen. Weine müssen leben. Philippis Weinen ist ein langes Leben beschieden. Die Praxis, die »R«-Weine erst in der Nähe ihrer Trinkreife in den Verkauf zu bringen, macht das überdeutlich. Sie kann sich bis zu acht Jahren hinziehen. Das Panorama der weiten Rheinebene liegt vor dem Betrachter. Das romantische Heidelberg scheint zum Greifen nahe. Der Saumagen westlich

von Kallstadt liegt im Vorhügelbereich und damit im Regenschatten des Pfälzer Walds. Bis Neustadt an der Weinstraße sind in dieser Zone die besten Lagen zu finden. Die vierzig Hektar Gesamtfläche setzen sich nach der Flurbereinigung von 1984 bis 1987 zusammen aus früher eigenständigen Wingerten wie Horn, Kirchenstück, Nill und natürlich Saumagen. Sie sind neben ihrer mikroklimatischen Bevorzugung geprägt durch sandigen Lehm und Kalkstein, mit dem ehemalige kleine Kalksteinbrüche verfüllt wurden. Gemeinsam ergibt sich ein Terroir von einzigartiger Qualität. Philippi bekennt selbstkritisch, sie selbst spät erkannt zu haben. Die Erinnerung, dass 1984 zu Beginn der Flurbereinigung der Quadratmeter für eine Deutsche Mark zu haben gewesen ist, wurmt ihn noch heute. Richtung Westen, auf die bewaldeten Hügel zu, finden sich die sechs Hektar des ummauerten »Clos« Annaberg. Hier hat der Boden einen Sandstein-Anteil. Bis weit in die 1970-er Jahre waren Winzer nur einfache Bauern und hatten in Deutschland keinen besonderen Ruf. In anderen Ländern war das schon anders: »Oh great. You are a winemaker!« Das hat sich gewandelt. Heute stehen Winzer und auch Köche in hohem Ansehen. Philippi sieht die Folgen nicht nur positiv; dem allzu selbstbewussten Auftreten junger Leute steht er skeptisch gegenüber. Ihre Arbeit steht unter seiner scharfen Beobachtung. Philippi hat keine Kinder, und auch seine Schwester ist kinderlos. Irgendwann einen Partner mit ins Boot zu nehmen ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Und so bereitet

er die Zukunft des Guts akribisch vor. Seit dem 1. Januar 2010 ist Dominik Sona im Betrieb, ein Pfälzer Junge. Aber für die Kunden ist Bernd Philippi immer da, ist ihr Ansprechpartner auch weil er sieht, wie sie an ihm hängen. Bernd Philippi ruht nicht. Ständig ist er unterwegs, meistens mit dem Flieger. Mont du Toit in Südafrika, Mas d’Andrum bei Nîmes, die Finca Ses Taiaoles auf Mallorca und natürlich das eigene Gut in Portugal, an dem seit 2003 auch Werner Näkel beteiligt ist – das ist nur die Spitze des ArbeitsEisbergs. Orte besuchen und Menschen treffen: dafür fliegt Philippi oft und gerne. Aber immer zieht es ihn nach Kallstadt zurück. Dann wohnt er in dem Rundbau, den sein Großvaters schon in den sechziger Jahren errichten ließ, damals noch mit dem jetzt verbauten Ausblick auf das Rheintal. Im anhängenden Weinkeller hat Philippi seine Weinschätze versammelt. Seine eigenen, die von den Weingütern, die er aufgebaut hat, und die, die er liebt, vor allem Burgunder in substanziellen Mengen. Kaum jemand auf der Welt kennt sich auch bei gereiften und alten Weinen so gut aus wie er. Und er weiß es zu genießen. Neue Aufgaben? Die müssten schon wirklich interessant sein. Aber wenn die richtige Aufgabe kommt? Dann wird er kaum zu bremsen sein. Gerade baut er wieder. Der Vorraum zum alten Weinkeller, über dem die Jahreszahl 1556 geschrieben steht, wird zu einem Probenraum umgestaltet. Und noch immer muss es ein Porsche sein. Denn das Familienmotto steht schließlich auf jeder ­Flasche: Wer rastet, der rostet.  >

F I N E

P f a l z

141


Mit Gaggenau beginnt perfekter Weingenuss schon vor dem Öffnen der Flasche.

Der Unterschied heißt Gaggenau. Zum Genuss gehört immer auch das Warten auf den per­ fekten Moment. Genau das wird mit unseren Weinklima­ geräten zum sinnlichen Erlebnis: Sie erfreuen das Auge und bestehen aus Materialien, deren besondere Güte fühlbar ist. Zudem reifen Ihre Schätze hier auf vibrations­ armen Flaschenablagen in separaten Klimazonen. Der Anspruch ist dabei der gleiche, den Sie auch an exzellente Jahrgänge haben: Perfektion für alle Sinne. Informieren Sie sich unter 01801.11 22 11 (3,9 Ct./Min. a. d. Festnetz der T­Com, mobil ggf. auch abweichend) oder unter www.gaggenau.com.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.