Felix Koltermann Fotografie und Konflikt Rezensionen und Kritiken
FELIX KOLTERMANN Fotografie und Konflikt Rezensionen und Kritiken
© 2019 Felix Koltermann Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt ISBN: 978-3-7386-1671-2 Satz und Layout: Felix Koltermann Alle Rechte vorbehalten Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
INHALT
Vorwort
7
Ausstellungsrezensionen Kriegsfotografie im Spiegel der Zeit 13 Der forensische Blick auf die Welt 17 Trainieren für den Krieg 20 To whom it may concern 23 Dem Krieg auf der Spur 26 Inmitten des Krieges 31 Der O-Platz und die Fotografie 35 Ein Blick von Innen auf den Irak 39 Begegnung auf Augenhöhe 43 Buchrezensionen Kairo. Offene Stadt 49 Politische Fotografie und sozialer Protest 54 Spuren des Vergangenen 57 Wessen Träume, Wessen Düfte? 60 Hello Camel 64 Anadolu und das Putsch-Narrativ 67 Die Wahrheit ist das Beste Bild 70 Hinter der Linse des Fotojournalismus 73 Über den Autor 81 5
VORWORT
Fünf Jahre ist es her, dass ich im Eigenverlag über Books on Demand ein erstes Buch unter dem Titel "Fotografie und Konflikt" veröffentlicht habe. Damals war der Ausgangspunkt der Wunsch, Texte meines Blogs zu den Themenbereichen Fotografie und Konflikt auch in gedruckter Form herauszubringen. Der erste Band hatte den Untertitel "Texte und Essays" und ging schon damals auf die vage Hoffnung zurück, dass daraus in Zukunft vielleicht eine Serie entstehen würde. Zwei Jahre später kam dann 2016 tatsächlich ein zweiter Band mit dem Untertitel "Interviews und Gespräche", dem 2018 "Glossar und Literatur" folgte. Mit "Rezensionen und Kritiken" liegt jetzt nun der mittlerweile vierte Band vor. Die Frage nach dem Reihencharakter der Publikation hat sich damit erübrigt. In diesem Band geht es vor allem um die Werke von Anderen, um Ausstellungen, Fotobücher und wissenschaftliche Publikationen, über die ich Rezensionen und Kritiken verfasst habe. Noch beim ersten Band hatte ich mich dagegen entschieden, einige dieser Texte mit aufzunehmen. Das zentrale Argument war damals, dass es ohne Bilder, ohne eigenen Blick in die Ausstellung oder die Bücher schwer ist, meine darauf bezogenen Gedankengänge nachzuvollziehen. Grundsätzlich ist dies immer noch ein relevantes Argument, auch wenn ich mich jetzt darüber hinwegsetze. Dies hat vor 7
allem damit zu tun, dass in den letzten vier Jahren viele neue Rezensionen und Kritiken dazugekommen sind. Und ich bin überzeugt, dass diese einen guten – wenn natürlich auch subjektiven und damit auch selektiven – Blick auf Ausstellungen und Bücher werfen, die sich in den letzten Jahren mit dem Themenfeld Kriegsfotografie und Fotojournalismus beschäftigt haben. Darüber hinaus bieten sie in dieser Bandbreite die Möglichkeit, noch besser meinen Zugang zu diesen Themen und meine zentralen Fragestellungen und Kritikpunkte nachvollziehbar zu machen. Ich hoffe, dass die Leser*innen dies ähnlich sehen. Da zu fast allen Ausstellungen auch Publikationen erschienen sind und diese ebenso wie die besprochenen Bücher fast alle noch erhältlich sind, gibt es auch die Möglichkeit, sich selbst einen vertiefenden Einblick zu verschaffen. Für die erneute Publikation in diesem Band wurden die Texte sprachlich leicht überarbeitet. Im Vordergrund stand dabei die Les- und Vergleichbarkeit zwischen den Texten. Wie in den vorgangegangenen Publikationen habe ich die Texte nicht gegendert. Die männliche Form ist also als Geschlechtsoffen zu lesen. Auch wenn ich heute prinzipiell alle neuen Texten gendere, so habe ich im Sinne einer einheitlichen Sprach- und Textgestaltung innerhalb der Reihe darauf verzichtet. Dies sei mir verziehen. Für über die hier besprochenen Ausstellungen, Bücher und Projekte hinaus sei für weitere Recherchen auf die ausführliche Bibliographie im Band "Glossar und Literatur" verwiesen. Felix Koltermann, Sommer 2019
8
AUSSTELLUNGSREZENSIONEN
KRIEGSFOTOGRAFIE IM SPIEGEL DER ZEIT
Bilder vom Krieg sind allseits präsent in den deutschen Medien und Teil der tagtäglichen Medienroutine. Eine unkonventionelle Perspektive auf die Bildgeschichte des Kriegs will die Ausstellung „Conflict, Time, Photography“ bieten, die von April bis Juli 2015 im Essener Folkwang Museum zu sehen ist. Die in Kooperation mit dem Londoner Museum Tate Modern entstandene Gruppenausstellung will dabei nicht die Geschichte der Kriegsfotografie erzählen, sondern nach künstlerisch-fotografischen Bewältigungsstrategien von Krieg und Gewalt fragen. Dafür hat der Kurator Simon Baker ca. 125 Werke aus mehr als 150 Jahren fotografischer Kriegsdarstellung ausgewählt, die auf 13 Räume verteilt sind. Darunter sind Arbeiten international bekannter Fotokünstler wie Nobuyoshi Araki, Simon Norfolk, August Sander, Stephen Shore oder Taryn Simon. Am Anfang des Ausstellungsrundgangs hängt das Porträt eines Soldaten. Es ist ein vom amerikanischen Fotografen Don Mc Cullin im Jahr 1968 angefertigtes Bild aus dem Vietnamkrieg. Der Soldat starrt mit leeren Augen vor sich hin, geschockt von einem Raketeneinschlag. Hier ist der Krieg unmittelbar zu sehen, in der Person des Soldaten der sein Gewehr umklammert hält sowie in seiner apathischen, traumatisierten Reaktion auf das Kriegsgeschehen um ihn herum. Als Aufmacherbild der Ausstellung wirkt es verstörend und weckt doch gleichzeitig Interesse für das, was kommen mag. Umso erstaunlicher ist, 13
dass die Ausstellung mit Ausnahme von Don McCullins Porträts so gut wie vollständig auf Porträts und vor allem Bilder von Kriegsopfern verzichtet. Im Vordergrund der bildnerischen Auseinandersetzung im Museum Folkwang stehen stattdessen die Folgen des Krieges für die Landschaft und die Infrastruktur. Das Konzept der Ausstellung ist dabei der Rückblick auf Konflikt und Krieg aus unterschiedlichen Zeitintervallen: Momente, Tage, Wochen, Monate, Jahre und Jahrzehnte später. Nicht die Art und Weise der fotografischen Darstellung oder das Konfliktgeschehen stellen damit das Ordnungsprinzip dar, sondern der Zeitpunkt der Rückschau. Ziel ist nicht eine Geschichte der Kriegsfotografie zu erzählen, sondern unterschiedliche fotografischkünstlerische Strategien zur Bewältigung von Krieg und Gewalt aufzuzeigen. Dies gelingt der Schau durch das Zusammentragen beeindruckender fotografisch-künstlerischer Arbeiten aus verschiedenen Epochen. Sophie Ristelhubers 1991 in der kuwaitischen Wüste entstandene Arbeit „Fait“ besteht aus Luftaufnahmen der Schlachtfelder des Irakkrieges. Schützengräben und Panzerspuren erscheinen hier wie ein abstraktes Gemälde im Wüstensand. Die allseits bekannte amerikanische Dokumentarfotografin Susan Meiselas reiste 25 Jahre nachdem sie den Bürgerkrieg in Nicaragua dokumentierte, zurück ins Herz Zentralamerikas um großformatige Abzüge an genau den Stellen zu präsentieren, an denen ihre Bilder einst entstanden waren. Das großformatige Bild „Patio Civil“ des französischen Fotokünstlers und ehemaligen Fotojournalisten Luc Delahaye dagegen zeigt Knochen in einem exhumierten Massengrab aus dem spanischen Bürgerkrieg und wirkt aufgrund seiner Flächigkeit fast wie ein klassisches Gemälde.
14
Auch Klassiker der Kriegsfotografie dürfen in der Ausstellung nicht fehlen, wie Roger Fentons berühmtes Bild „Das Tal des Todesschatten“ aus dem Krimkrieg der 1850er Jahre. Ein ganzes Kapitel ist in Essen dem Blick auf das von Flächenbombardements zerstörte Ruhrgebiet gewidmet. Hierzu wurden Bilder aus den Archiven regionaler Museen der Londoner Schau hinzugefügt. Die Folgen des Krieges in der Berliner Stadtarchitektur der 1980er Jahre hingegen zeigt die Arbeit „Berlin nach 45“ des im letzten Jahr verstorbenen Fotografen Michael Schmidt. An einigen Stellen zeigen sich jedoch auch die Schwächen des kuratorischen Konzepts. So finden sich Simon Norfolks großformatige Fotografien des zerstören Kabul in der Sektion „Tage später“, obwohl die gezeigten Ruinen aus der Zeit des afghanischen Bürgerkriegs stammen. Ähnliche Unstimmigkeiten finden sich auch bei einer Arbeit von Diana Matar. Damit wird die Einteilung der Zeitphasen beliebig. Aus den Bildern selbst lässt sich oft nicht erschließen, zu welchen Zeitpunkt der Rückschau sie aufgenommen wurden. Die eigentlich spannende Frage, was sich in der Landschaft, bei den Menschen und im urbanen Raum mit zunehmender Distanz zum Kriegsgeschehen verändert, was bleibt und was verschwindet, was sichtbar und was nicht sichtbar ist und was die Gründe dafür sein könnten, bleibt damit unbeantwortet. So stellt die umfangreiche Ausstellung trotz der zum Teil bewegenden Arbeiten, mehr Fragen als dass sie Antworten gibt. Der Krieg zeigt sich in den ausgestellten Arbeiten zum Großteil seltsam abstrakt, wie in Luc Delahayes Bild aus dem Afghanistankrieg, das eine Rauchwolke am Horizont Momente nach dem Einschlag einer Bombe zeigt. Konflikt und Gewalt werden zu einem Gegenstand künstlerisch-konzeptioneller Auseinandersetzung. Damit passen sie hervorragend in einen 15
intellektualisierten Diskurs Ăźber die Ă„sthetik des Krieges. Der von der Ausstellung transportierte, abstrahierende und abgrenzende Blick aus der Distanz ist typisch fĂźr Gesellschaften, deren eigene Erinnerung an den Krieg am verblassen ist.
16