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Wir sind Christen” - Gemeinschaft in der christlichen Kirche

und später immer noch in der eigenen Armut und Bedürftigkeit. Es ist das WIR, das immer wieder wahrgenommen werden will, im Großen und im Kleinen, welche Mittel auch immer wir zur Verfügung haben. Erzbischof Robert Zollitsch kam auf dieses WIR in seiner Predigt zum Abschluss des Osnabrücker Katholikentages zu sprechen, als er sagte: „Eine Gesellschaft, die denen nicht aufhilft, die aus eigener Kraft nicht durchs Leben gehen können, und eine Weltordnung, die eigensüchtig und unter wenigen aufteilt, was Gott in Liebe für alle geschenkt hat, werden zerbrechen... Was wir lebensnotwendig brauchen, ist eine solidarische Gemeinschaft. Die erste Frage einer solidarischen Gemeinschaft heißt nicht, was sollten andere für mich tun. Die erste Frage ist, was kann ich für den anderen, für die Gesellschaft, für die Kirche tun.“ Auf dass wir nicht nur die Pflicht zum WIR spüren, sondern vor allem die Überzeugung dazu bewahren und nicht erst zuletzt die Freude, die aus dem Dienst des Respekts und der Würdigung aneinander entsteht - auf dass wir uns und die anderen auch so in einem Wort von Martin Buber wiederfinden: Wer das helfende Wort in sich aufruft, erfährt das Wort. Wer Halt gewährt, verstärkt in sich den Halt. Wer Trost spendet, vertieft in sich den Trost. Wer Heil wirkt, dem offenbart sich das Heil!

Katholische KrankenhausHilfe im Bistum Osnabrück - Elisabethbrief 2008

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Foto und Text: P. Bernhard Leisenheimer OSC

„Wir sind Christen!“

Gemeinschaft in der christlichen Kirche

Das Wort „Wir“ benutzen Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsame Interessen, Vorlieben oder Wünsche zu verwirklichen. Solche Gemeinschaften entstehen aus sportlichen, wirtschaftlichen, politischen, beruflichen oder freundschaftlichen Beziehungen. Und

wie sieht es mit dem „Wir“ im religiösen Bereich aus? „Wir sind Christen.“ Aber innerhalb der Christen gibt es unterschiedliche Gruppierungen, die sich zum Teil weit von einander entfernt haben, ja sich feindlich gegenüberstehen oder -standen; bis zu Glaubenskriegen. Und auch innerhalb einer Gruppe wie der römisch-katholischen Kirche gibt es Untergruppen bis hin zu den Pfarrgemeinden. Jesus wollte die Menschen zum Eins-Sein führen. Deshalb ermahnt er nach dem Neuen Testament diejenigen, die sich ihm zugesellen: „Seid einig.“ „Wer groß sein will, soll der Kleinste sein.“ „Verzeiht einander.“ „Ihr sollt Salz der Erde sein und das Licht der Welt.“ Wie sollte die Wir-Gruppe aussehen, die mit Jesus unterwegs ist? Wenn wir uns auf die Anfänge des Christentums besinnen, finden wir bei 1 Kor 12,12-31 die Beschreibung einer solchen Muster-Gemeinde, die ein „Wir“ entwickelt, das dem Glauben an Jesus entspricht. Paulus vergleicht in dem Brief dieses „Wir“ der Christen mit dem menschlichen Körper. Er spricht vom „Leib Christi“, in dem Christus das Haupt ist. Wir alle sind Glieder eines Leibes. Der Leib hat viele verschiedene Teile: Organe, Knochen, Weichteile, Nerven- und Blutbahnen, von denen alle wichtig sind und alle eine besondere Aufgabe und dazu die entsprechenden Fähigkeiten haben: Ein Auge hat eine andere Aufgabe als der Magen oder der Fuß. Deshalb soll das Auge nicht versuchen, Ohr zu sein, und der Magen soll nicht Hand sein wollen. Selbst der kleine Zeh hat seine Bedeutung, und wenn er leidet – so Paulus –, leidet der ganze Körper mit. Der Apostel führt entsprechend aus: Wer predigen kann, der predige; wer heilen kann, der heile; wer lehren kann, der lehre; und wer dienen kann, der diene… So entsteht Einheit in Vielfalt, denn keiner kann oder leistet alles und keiner nichts. Aber alle sind Glieder dieses einen Leibes, nicht gleichartig, aber gleichwertig.

Das Rad kann ein Bild für die Wir-Gemeinschaft Christi sein: Alle Speichen treffen in der Mitte, in Christus also, zusammen. Gleichzeitig sind sie auch untereinander verbunden. Noch deutlicher scheint mir das „Wir“ zu sein, wenn Menschen Fäden zueinander spannen, die durch eine starke Mitte laufen. Nach außen ist die Verbindung offen, um weitere in die Wir-Gemeinschaft aufzunehmen. Helfen uns solche sprachlichen oder bildlichen Vorstellungen? Unsere Kirche in Europa scheint diesem Vorbild nicht mehr zu entsprechen. Viele Glieder haben vor allem in den letzten Jahren innerlich oder äußerlich das „Wir“ verlassen. Die deutschen Bischöfe luden gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken zu einem gemeinsamen Weg ein. Er soll der Aufarbeitung von Fragen dienen, die sich im Herbst 2018 nach der Veröffentlichung der Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche ergeben haben. Der auf zwei Jahre angelegte Prozess wurde am 1. Dezember 2019 eröffnet. Engagierte wie auch suchende und zweifelnde Menschen waren eingeladen, diesen Synodalen Weg durch Stellungnahme und Gebet zu begleiten. Die erste Präsenzsitzung, die nach den coronabedingten Zoom- Konferenzen stattfand, endete vorzeitig ohne ein Ergebnis. In Deutschland scheinen momentan Forderungen und Vorwürfe im Vordergrund zu stehen und den Weg zu versperren. Papst Franziskus hat vor einigen Wochen die Kirche weltweit zu einer „Synodalen Erneuerung“ aufgerufen. Er hat die erste Weltsynode der katholischen Kirche eröffnet mit Begriffen wie „Gemeinschaft“, „Teilhabe“ und „Sendung“. Sie stehen für einen neuen dialogischen Umgangsstil. Konkrete Themen sollen erst später folgen. Wichtigster Akteur sei, so sagt der Papst, der Heilige Geist. Neue Gedanken, die von allen Seiten kommen, können bedacht und erwogen werden. Wenn ich solche Texte aus Rom an die Weltkirche lese, scheint es mir um ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl um den Mittelpunkt Christus zu gehen. Nur eine solche Ausrichtung kann sich den idealen Vorstellungen nähern, wie sie Paulus beschreibt. Dann dürfen auch Probleme wie Priestertum der Frau oder Aufhebung des Zölibats nicht ausgeschlossen werden. Viele sind mit dem hierarchischen Zustand der Kirche unzufrieden und erwarten Änderungen. Anderen fällt es schwer, ihre Privilegien aufzugeben. So manche Kritik ist berechtigt. Mit einem bloßen „Weiter so wie bisher“ gehen der Gemeinschaft der Kirche kostbare Charismen verloren. Wir Menschen sind nicht vollkommen und werden Vollkommenheit hier im irdischen Leben nicht erreichen, aber es sollte ein Ziel sein, dem Ideal näher zu kommen. Papst Franziskus hat eine Tür aufgestoßen, nun müssen wir hindurchgehen.

Sr. Lucia Schäckel osu

Bilder: 1. Der Apostel Paulus beim Schreiben, St. Gallen, frühes 9. Jahrhundert. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, HB II 54 – Wikimedia commons 2. wheel-953624 - cocoparisienne - Pixabay 3. Papst Franziskus öffnet die Heilige Pforte 2015 - Wikimedia commons

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