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Südtirol - eine Insel der Seligen?
AUF DER SUCHE NACH ANTWORTEN HABEN WIR UNS AN PETER KOLER GEWANDT, PSYCHOLOGE, PÄDAGOGE
Auf unsere Frage zu den neuesten Jugendstudien, die ja im Großen und Ganzen das Bild einer unbeschwerten Jugendgeneration zeichnen, räumt Koler ein, dass es natürlich auch in Südtirol Problemfelder gibt, wie etwa die „NEETs“ (Akr. Not in Education, Employment or Training), junge Menschen, die sich sowohl von der Bildung als auch von der Arbeitswelt distanziert haben. Was die Entwicklung der persönlichen Identität Jugendlicher betrifft, ruft uns der Leiter des Präventionsforums in Erinnerung, dass eine solche Identität heute unweigerlich auch eine digitale Dimension aufweist.
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Wie sieht Koler Wendy? Sie ist eine Hauptfigur im neuen Peter Pan, die die Realität durch einen digitalen Filter wahrnimmt, der von schönen, und erfolgreichen Influencerinnen geprägt ist oder eben von Charakteren wie Peter Pan, die ihr all das sagen, was sie hören will. Dabei kommt sie auch mit Themen in Berührung, die die dunklen Seiten unserer Welt aufzeigen, wie beispielsweise Selbstverletzung und Drogenmissbrauch. In Peter Koler weckt dies Assoziationen zu Alice im Wunderland, die Jugend sei eine Zeit, in der sich viele Türen in alle möglichen Welten öffnen.
„Es gibt natürlich selbstverletzendes Verhalten und ja, einige Jugendliche ritzen sich. Bei weitem nicht alle. Dasselbe gilt für Drogen: Tatsächlich sehen wir einen Anstieg, und nicht nur bei Cannabis. Doch es gibt immer die einen, die es beim Maturaball beim Alkohol bewenden lassen, andere hingegen machen weiter, bis hin zum Missbrauch bewusstseinserweiternder Substanzen. Wieder andere finden sich in der Welt des Rave wieder oder sehr viele auch im Internet, wo sie möglicherweise einen Avatar nutzen. Eine Weiterentwicklung der Gedankenwelt und des Bewusstseins geschieht bei allen Heranwachsenden, im Guten und im Schlechten. Dieses jugendliche Universum liegt jenseits der Erwachsenenwelt und beinhaltet auch Überlegungen zur sexuellen Identität, die heute auch sehr komplex sein können. Auffällig ist, dass diese Entwicklungsphase sehr viel später endet als früher. Sie beginnt etwa mit 13 Jahren und endet für viele Jugendliche erst nach zehn Jahren, also mit 23/24 Jahren, wenn sie eine gewisse Stabilität zurückgewinnen und verstehen, wer sie eigentlich sind.“
Bekanntlich gibt es in der Geschichte von Peter Pan zwei Verhaltensmuster, zwei Strömungen, die völlig gegensätzlich sind: Auf der einen Seite stehen die Erwachsenen, wie der Autor der Geschichte, J. M. Barrie, die sich wünschen, wieder Kind zu sein oder Kind zu bleiben, und auf der anderen die Jugendlichen, die es nicht erwarten können, erwachsen zu werden. Zu diesem Thema überraschen uns Peter Kolers Überlegungen. Der Direktor des Forums Prävention ist nämlich überzeugt, dass Jugendliche in der heutigen Welt gar nicht die Chance bekommen, erwachsen zu werden.
„Sie bleiben in ihrer Entwicklung stehen, weil sie in eine Erwachsenenwelt, in der sie ihre Fähigkeiten und Kompetenzen ausbauen könnten, gar nicht integriert werden. Sie dürfen keine Verantwortung übernehmen. Wir erleben sehr oft, dass die Jugendlichen nicht an die Erwachsenen glauben. Junge Leute haben jede Menge Ideen und Potenzial. Natürlich wollen sie tanzen gehen und Partys feiern, daran ist auch gar nichts verkehrt. Aber sie haben auch das Gefühl, dass man ihnen keinen Raum gibt, ihnen nicht zuhört und nicht an ihre Fähigkeiten glaubt. Wir hören vielfach, dass die einzige Sorge der Erwachsenen sei, dass sie vor etwas davonliefen, gewalttätig würden oder sich verletzten. Wir stigmatisieren Jugendliche. Wir bringen sie mit allen Schwachstellen dieser Welt in Verbindung, was ihnen nicht dabei hilft, heranzuwachsen. Wir nehmen einfach zu wenig Rücksicht auf sie, was dazu führt, dass sie sich Parallelwelten schaffen. In diesen Kontexten oder Dimensionen haben sie die Möglichkeit, sich auszutesten, manchmal mit weniger, manchmal mit mehr Risiko.“
Ein letztes wesentliches Thema, das sich in der Geschichte von Peter Pan findet, sind Erwachsene, die Kinder und Jugendliche ausnutzen und missbrauchen. In diesem Zusammenhang findet Koler, dass die gesellschaftliche Aufmerksamkeit nicht nur auf sexuelle Übergriffe beschränkt sein sollte – die sich, wie man in den Tageszeitungen leider allzu oft lesen muss, zumeist innerhalb der Familie, im Freundes- oder Verwandtschaftskreis ereignen –, sondern in besonderem Maße auch auf die Wirtschaft gelenkt werden müsste.
„Erwachsene führen Umfragen zu den grundlegenden Bedürfnissen von Jugendlichen durch und verwerten die Ergebnisse dann in Form von Produkten, mit denen sie sich selbst bereichern. Dazu benutzen sie im großen Stil die Kanäle der Sozialen Netzwerke“, kritisiert Koler.