Forum Alpbach Re:think Austria 2018 7.-9.6.2018, Bildungshaus St. Magdalena Dr. Erwin Wenzl Haus, Schatzweg 177, 4040 Linz
Re:think Austria agiert als ein einzigartiges politisches Erneuerungsprojekt in Österreich. Mit dem Innovationslabor, das jedes Jahr stattfindet, soll ein politischer Reformdialog angetrieben werden. Re:think Austria 2018 fand von 7. bis 9. Juni 2017 in Linz (OÖ) statt und wurde vom Europäischen Forum Alpbach gemeinsam mit Kovar & Partners und freims:contemporary veranstaltet. Thematisch stand der gesellschaftliche Zusammenhang im Mittelpunkt: Was kann Europa den zentrifugalen Kräften entgegensetzen? Welche politischen Handlungsspielräume haben wir angesichts übermächtig erscheinender globaler Dynamiken wie Klimawandel, Migration und Digitalisierung? Welche der großen Herausforderungen für die österreichische Gesellschaft wollen und müssen wir als erste bewältigen? Diesen Fragen stellten sich 58 AkteurInnen aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, allesamt Menschen, die im weiteren Sinn auch politisch aktiv oder mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen befasst sind. Grundlage der kreativen Auseinandersetzung war zum einen die Arena Analyse 2018, die unter anderem in der Stärkung der Zivilgesellschaft ein Mittel zur Schaffung von Zusammenhalt sieht. Zum anderen lieferten Angus Robertson und Philipp Belcredi Impulse, denen in gemischten Kleingruppen konkret nachgegangen wurde. Das wesentliches Ziel von Re:think Austria 2018 wurde damit erreicht, nämlich abseits herkömmlicher Konferenzformate grundlegende Fragen in einer Weise zu behandeln, durch die alle TeilnehmerInnen Erfahrungen und Impulse in ihre normale politische Arbeit mitnehmen können.
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Inhalt Liebe Leserinnen und Leser! ...................................................................... 3 Wir und die anderen – Die Arena Analyse 2018 ....................................... 5 Die Kraft des Positiven: Angus Robertson ................................................. 9 Die 12. Frau zum Elfer-Team ................................................................... 12 Systemtheorie und neue Führungskultur: Philipp Belcredi .....................15 Wie machen wir Österreich besser? ......................................................... 20 Leadership: Franz Fischler und Caspar Einem ....................................... 26 Anhang 1: Keynote speech by Angus Robertson ...................................... 28 Anhang 2: Angst in sozialen Systemen – Verständnisgrundlagen, Phänomene und ein Lösungsansatz......................................................... 32
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Liebe Leserinnen und Leser! Das Europäische Forum Alpbach hat zwischen 7. und 9. Juni bereits zum sechsten Mal das Innovationslabor „Re:think Austria“ veranstaltet. Thematisch haben wir uns heuer den politischen Handlungsspielräumen gewidmet. Die dreitägige Klausur wurde genutzt um herauszufinden, wo heutzutage politische Handlungsspielräume zur Verfügung stehen und wie diese gestaltet werden können. Warum organisieren wir Veranstaltungen wie diese und was wollen wir damit bewirken? Das Europäische Forum Alpbach versteht sich als Impulsgeber für gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Es ist uns ein Anliegen Politikerinnen und Politiker, Vereine, NGOs und Institutionen auch während des Jahres zusammen zu bringen. Daraus ist die Initiative „Re:think Austria“ entstanden. „Re:think Austria“ zeichnet sich insbesondere durch kreative bzw. partizipative Arbeitsprozesse und Veranstaltungsformate aus. Und es geht auch immer darum, aktuelle gesellschaftspolitische Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Mit dem Ziel, engagierte Menschen aus allen politischen Lagern sowie Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger miteinander zu vernetzen. Österreich besser machen Die Globalisierung, der zunehmende Klimawandel und seine Folgen, sowie Migration und Digitalisierung werfen Frage auf wie: Welche Handlungsspielräume haben wir noch und wie können wir diese zum Nutzen des Gemeinwohls gestalten? Die Formate des diesjährigen Innovationslabors ermöglichten es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den größten Herausforderungen in unserer Gesellschaft zu arbeiten und nach Lösungen zu suchen. Auf recht unkonventionelle Weise galt es, in neue Rollen zu schlüpfen. In Kleingruppen wurden Ängste wie Zukunftsperspektiven in Österreich diskutiert. Persönliche Erfahrungen wurden ausgetauscht und viele BestPractice-Modelle für ein besseres Österreich gesammelt.
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Unser Dank gilt insbesondere den engagierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern von „Re:think Austria“ 2018. Sie alle haben mit kreativen Ideen, Erfahrungen und ihrem Wissen das Innovationslabor bereichert. Und wir sind uns sicher: Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind mit neuen Ideen und Anregungen für die künftige Gestaltung von politischen Handlungsspielräumen im Gepäck wieder heimgekehrt.
Franz Fischler Präsident Europäisches Forum Alpbach
Caspar Einem Vizepräsident Europäisches Forum Alpbach
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Wir und die anderen – Die Arena Analyse 2018 Eine der thematischen Grundlagen für das Nachdenken und Diskutieren bei Re:think Austria ist Jahr für Jahr die Arena Analyse von Kovar & Partners. Sie trug 2018 den Titel „Wir und die anderen“ und widmete sich dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Arena Analyse ist eine Studie, die von Kovar & Partners seit 2006 jährlich in Kooperation mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ und seit 2014 auch mit der Tageszeitung „Der Standard“ durchgeführt wird und das Ziel verfolgt, sogenannte ‚Emerging Issues‘ aufzuspüren. Es geht darum, wichtige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, während sie noch unter der Oberfläche der allgemeinen Aufmerksamkeit schlummern. In Kreisen von ExpertInnen der jeweiligen Disziplinen werden sie aber bereits diskutiert, weshalb die Entwicklungen durch gezielte Fragetechniken auch identifizierbar sind. Das große Auseinanderdriften Der große, beunruhigende Befund, der aus den Beiträgen der ExperInnen gewissermaßen herausdestilliert werden konnte: Unsere Gesellschaft, unser Europa, unser Land verliert an Zusammenhalt. Auf EU-Ebene ist die Entwicklung am deutlichsten. Von stärker Kohäsion oder Vertiefung ist schon lange keine Rede mehr, stattdessen gilt es, alle möglichen „Exits“ abzuwehren und nationale Alleingänge hintanzuhalten. Neuer Nationalismus nach dem Motto „My country first“ kommt derzeit besser an als die Idee eines starken gemeinsamen Europa. Doch die Nationalstaaten sind keineswegs die Gewinner dieses Umbruchs. Im Gegenteil, sie sehen sich selber mit inneren Spannungen konfrontiert. Regionale Egoismen machen die Konsensfindung auf nationalstaatlicher Ebene mindestens ebenso schwer wie die Einigung auf eine gemeinsame Politik auf EU-Ebene. Auch die separatistischen Phantasien, die 2017 etwa in Katalonien und in der fiktiven norditalienischen Region Padanien zu eskalieren drohten, sind längst nicht ausgestanden, sogar im Herzen der EU, nämlich in Belgien, gibt es mit Flandern und Wallonien zwei Regionen, die laufend beweisen, dass sie das Trennende gern über das Gemeinsame stellen. 5
Die Regionen wiederum (alle Regionen) erleben, wie sich Stadt und Land auseinanderentwickeln. Urbane und ländliche Bevölkerung haben unterschiedliche Lebensstile, unterschiedliche Interessen, zeigen unterschiedliches Wahlverhalten und misstrauen einander, wenn es um die Lösung von Konflikten geht. In den Städten wiederholt sich das Schema, sie zerfallen in Bezirke und Stadtviertel, deren Wohnbevölkerung so unterschiedliche Lebenswirklichkeiten repräsentieren, dass sie kaum eine gemeinsame Sprache finden. Wie uns die Digitalisierung entzweit Aber ist denn das Gerede über Nationen und Regionen nicht völlig überholt, wenn wir doch längst im Zeitalter des Internet leben, wo jede Person völlig unabhängig von Raum und Zeit mit jeder beliebigen anderen kommunizieren kann? Leider leben sich die Online-Communities ebenfalls heftig auseinander. Das Globale Dorf ist in der Realität keine idyllische Gemeinschaft, sondern ein Nebeneinander von Gruppen, wenn nicht gar verfeindeten Stämmen, die sich in ihren Echo-Kammern einigeln, und wehe dem, der da mit einer abweichenden Meinung einzudringen wagt. Risse in der Gesellschaft Alle diese Beispiele illustrieren eine paradoxe Situation: Die Gesellschaft driftet deshalb auseinander, weil die Menschen näher zusammenrücken wollen. Wir fühlen uns verängstigt durch die Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft, und wir reagieren darauf, indem wir die Reihen schließen und uns abkapseln. Die Probleme da draußen, bei denen wollen wir nicht dabei sein, bleiben wir lieber unter uns. Nur verstärkt dieses vermeintliche Zusammenrücken dummerweise das ursprüngliche Problem: Der Wunsch nach Geborgenheit in der kleineren Einheit vergrößert die Risse, die quer durch unsere Gesellschaft verlaufen. Welche Umbrüche sind es, die all diese Ängste ausgelöst haben? Was sind die Gründe für das tiefsitzende Gefühl, dass Offenheit gefährlich wäre? Mit dieser Frage hat sich die Re:think Austria-Runde sehr gründlich befasst. Die Arena Analyse 2018 hat ihrerseits bereits drei große Schocks identifiziert, die fundamentale Veränderungen in der Selbstwahrnehmung der Europäer und Europäerinnen ausgelöst haben: die Finanzkrise von 2008, die Migrationskrise von 2015 und die digitale Revolution. Die Finanzkrise hat uns mit dem bleibenden Eindruck zurückgelassen, dass wir den ungezähmten Kräften der 6
Globalisierung machtlos gegenüberstehen. Turbulenzen an den Finanzmärkten können ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen. Ist es da nicht vielleicht besser, sich abzuschotten, sich aus dieser Globalisierung herauszuhalten? Soll doch die nächste Krise ohne uns stattfinden. Die Flüchtlingskrise hat für Europa das bewirkt, was in den USA 9/11 getan hat – diese These vertritt der in Wien forschende bulgarische Politologe Ivan Krastev in seinem Buch „Europadämmerung“, mit dem er ziemlichen Staub aufgewirbelt hat. Seit 2015 weiß Europa, dass es verwundbar ist, dass Kriege in Westasien und Failed States in Nordafrika zu einer direkten Bedrohung der eigenen Sicherheit werden können. Zudem hat diese Krise das moralische Werte-Fundament untergraben, das bis dahin gesichert schien. Die Genfer Konvention, die Menschenrechte, der Imperativ des Helfens – große Teile der Bevölkerung sehen darin nur mehr gefährliche Illusionen und fürchten, dass die Zuwanderer Europa kulturell bis zur Unkenntlichkeit verändern sowie sozial über das bewältigbare Maß an belasten könnten. Schließlich verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt in beängstigendem Ausmaß und beängstigendem Tempo. Die neuen Jobs, die uns versprochen werden? Da fallen uns nur die Fahrradboten ein, die Pakete von Online-Shops oder Zustell-Menüs in Plastikboxen ausliefern. Oder die Uber-Taxifahrer. Unser eigener Job, in dem wir gut sind und Erfahrung haben, wird vielleicht in ein paar Jahren von Robotern erledigt werden. Bis dahin bewirken Handy und Laptop, dass wir sieben Tage die Woche das Büro immer dabeihaben und sogar noch im Urlaub irgendwie erreichbar bleiben. Was lässt sich gegen das immer stärkere Auseinanderdriften der Gesellschaft tun? Die Arena Analyse hat mehrere Ansätze gefunden: Bildung ist ein starker Hebel für die Ermöglichung von Teilhabe. Zudem kann ein gut konstruiertes Bildungssystem viel für gesellschaftlichen Ausgleich tun, wenn es einen fairen, von den jeweiligen sozialen Ausgangsbedingungen unabhängigen Zugang zu Bildung (und damit Aufstieg) ermöglicht. Das österreichische Schulsystem mit seiner frühen Differenzierung in unterschiedliche Schultypen schneidet in dieser Hinsicht nicht sehr gut ab. Mehr und bessere politische Partizipation führt ebenfalls dazu, dass sich die Menschen stärker mit dem Gemeinsamen identifizieren, weil sie dadurch selber daran mitwirken. Letzteres gilt noch stärker für zivilgesellschaftliches Engagement. In Vereinen und Initiativen aller Art finden Menschen zusammen, 7
die sonst in unterschiedlichen Welten leben. Zudem kommt auch das Ergebnis der gemeinsamen Freizeittätigkeit meist der Gemeinschaft zugute. So werden ganz praktisch und ohne pathetischen Überbau Verantwortung und Zusammengehörigkeit geübt. Genau an dieser Stelle setzte die Arbeit des Re:think Austria 2018-Wochenendes an, deren Teilnehmer sich Gedanken über Ursachen und Hintergründe von sozialen Spaltungen machten und schließlich Projekte vorstellten, die dieser Entwicklung entgegen arbeiten. Andreas Kovar, Walter Osztovics
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Die Kraft des Positiven: Angus Robertson Der erste tiefe Denkanstoß für das Re:think Austria-Wochenende kam von Angus Robertson. Robertson ist Schotte, der für die Unabhängigkeit seines Landes von Großbritannien eintritt, legt aber zugleich Wert darauf, kein Nationalist zu sein, sondern im Gegenteil überzeugter Europäer. Von 1999 bis 2017 war er als aktiver Politiker für die Scottish National Party (SNP) tätig, errang 2001 einen von fünf Sitzen seiner Partei im House of Commons in London, den er in drei Wahlen verteidigte, ehe er 2017 seinen Sitz verlor. In Schottland leitete Robertson drei Wahlkampagnen für die SNP, darunter auch die Kampagne für das Unabhängigkeitsreferendum 2014. Auf den Erfahrungen mit diesen Kampagnen baute seine Botschaft an die Gruppe in Linz auf, die nämlich lautete: Positive Botschaften sind langfristig erfolgreicher. Dass die SNP ihre Sitze im Schottischen Parlament mehr als verdoppeln konnte (2003 hatte sie 27 von insgesamt 129 Mandaten inne und steigerte sich bis 2011 auf eine absolute Mehrheit von 69 Sitzen; aktuell hält die SNP bei 63 Sitzen und stellt mit Nicola Sturgeon die Landes-Hauptfrau), führt Robertson auf das konsequent durchgehaltene Prinzip des Positive Campaigning und des positiven Auftretens auch zwischen den Wahlgängen zurück. Noch um die Jahrtausendwende wurde die SNP als nörglerische, ständig kritisierende Partei wahrgenommen. Danach verordnete sie sich einen fundamentalen Paradigmenwechsel, der lautete: Wir wollen ohne Ausnahme nur mehr positive Botschaften absenden. In der Folge änderte sich zunächst die Außenwahrnehmung. Die SNP erhielt ein sympathisches Image, auf das Attribut „sympathisch“ folgte bald das Attribut „attraktiv“, das sich in der Folge auch in Wahlerfolge ummünzen ließ. Das Prinzip „be positive“ musste auch innerhalb der Partei und innerhalb des Wahlkampfteams erst mühsam erlernt werden. Es ging schließlich nicht einfach darum, andere Botschaften zu entwerfen, sondern tatsächlich um eine veränderte Haltung. Als Instrument von hohem pädagogischem Wert erwies sich in diesem Zusammenhang der „Penny Jar“: Wann immer jemand in einem Meeting eine negative oder pessimistische Bemerkung machte, musste er eine 9
Münze in einen eigens dafür aufgestellten Krug werfen. Kritik war und ist natürlich erlaubt, aber die selbstgewählte Verpflichtung zum Positiv-Handeln bewirkt, dass solche Kritik immer aus einer konstruktiven Grundhaltung erfolgt. Es macht einen großen Unterschied, ob jemand kritisiert, weil er sich als Verhinderer oder Bedenkenträger positionieren will, oder ob er helfen will, die von ihm kritisierten Ideen zu verbessern und dadurch noch leichter zu ermöglichen. Die positive Haltung führt langfristig zu einer höheren Lösungskompetenz, weil sie Kooperationen über ideologische Gräben hinweg erleichtert. Positives Handeln kann zwar nichts an einem der fundamentalen Merkmale der Parteiendemokratie ändern, dass nämlich die politischen Akteure untereinander im Wettbewerb stehen. Vor allem in einem System mit Mehrheitswahlrecht wie in Großbritannien gehört daher immer auch das Scheitern des anderen zu den eigenen Zielen. Doch bedeutet die Abwahl einer Person oder einer Partei nicht zwangsläufig, dass deren Ideen nicht weiter wirksam bleiben können. Das Positiv-Prinzip liefert somit die besseren Voraussetzungen, Veränderungen anzugehen. Das ist besonders wichtig in einer Epoche wie der gegenwärtigen, in der besonders viele und besonders vielfältige Umbrüche bevorstehen. Angus Robertson zitierte einen befreundeten Wissenschaftler mit der Vorhersage: In den nächsten 20 Jahren wird es mehr an technologischen Revolutionen geben als in der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte. Diese Prognose stammt nicht aus irgendeiner Kristallkugel, sondern ergibt sich aus einer simplen Extrapolation: Wenn die derzeitige Entwicklung auch nur linear weitergeht, dann stehen uns schon bald neue Möglichkeiten in der Gentechnik, in der Medizin, in der Computertechnik oder in der Robotertechnik zur Verfügung, die das tägliche Leben ähnlich massiv verändern werden, wie es das Internet schon heute tut. Darauf mit Ängstlichkeit, Abwehr oder Aggression zu reagieren, wäre psychologisch verständlich, trägt aber nichts zur Lösung der Probleme bei, die bei Umbrüchen dieses Ausmaßes zwangsläufig auftreten müssen, und die vor allem der Politik ein hohes Maß an schwierigen und kontroversiellen Entscheidungen abverlangen werden.
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Abschließend formulierte Angus Robertson vier Ratschläge an alle Personen, die in der Politik tätig sind oder sich aus Funktionen in der Zivilgesellschaft politisch engagieren: 1. Die meisten politischen Karrieren enden mit einem Scheitern (es gilt das „Stabhochsprung-Prinzip“). Achte deshalb darauf, wie du andere Menschen auf deinem Weg nach oben behandelst. Du wirst sie auf dem Weg nach unten wieder treffen. 2. Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest. 3. „Play the ball not the man” – ein Satz, dessen aphoristische Kraft bei einer Übersetzung verloren geht: Attackiere die Sache, nicht die Person. 4. Be positive.
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Die 12. Frau zum Elfer‐Team Welches sind die größten Herausforderungen für Österreichs Gesellschaft in den kommenden Jahren? Mit dieser Frage wurde die Re:think Austria-Runde am Ende des ersten Tages in den Abend entlassen. Der Auftrag lautete, beim Abendessen in den jeweiligen Tischrunden über diese Frage zu reflektieren und sich auf maximal drei Themen zu einigen. Im Gesamtergebnis kam, wie nicht anders zu erwarten, eine nahezu vollständige Sammlung der Ängste und Bedrohungen heraus, die uns in der Gegenwart heimsuchen. Aufs Wesentliche konzentriert und zusammengefasst einigte sich die Runde auf fünf Cluster, wie im folgenden Schaubild dargestellt.
Sind das also die großen Aufgaben, die auf Österreich in der nahen Zukunft warten? Ja und nein. Denn unmittelbar im Anschluss wurden die TeilnehmerInnen zu einem gründlichen Perspektivenwechsel eingeladen, und zwar mit einer aus dem Fußball entlehnten Analogie: Jedes Team besteht aus 11 Männern oder Frauen, sie bestreiten das Spiel, fokussieren sich auf ihre 12
Strategie, auf ihr technisches Können, auf ihren Einsatz. Selten denken sie dabei an den 12. Mann und die 12. Frau, die auf den Zuschauertribünen sitzen, die offenbar nicht mitspielen, obwohl es doch eigentlich gerade um sie gehen sollte. In einem Rollenspiel wurden daher alle TeilnehmerInnen dazu verleitet, die Frage nach den großen Herausforderungen nicht mit den Augen von Politikern, politiknahen Wissenschaftlern oder politisch engagierten und involvierten Aktivisten zu sehen – sondern aus dem Blickwinkel von ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin zog aus einer Urne per Zufall einen Zettel mit einer fiktiven Person – die Spannweite reichte vom Mechaniker aus Niederösterreich bis zum in Wien lebenden UNESCO-Mitarbeiter aus Nigeria und von der slowakischen Krankenpflegerin bis zum Gewerbetreibenden aus dem Burgenland. Nach einer kurzen Einstimmungs-Phase, in der alle die fiktiven Lebensläufe ihrer neuen Persona etwas ausschmücken durften, lautete die Frage: Welche Probleme, Hoffnungen und Erwartungen an die Zukunft hat mein neues Ich? Tatsächlich fiel die so erarbeitete Liste – von den TeilnehmerInnen wurde sie „Austrophobia-Liste“ genannt – doch ein wenig anders aus als die erste. Der größte Teil der Nennungen betraf die Sicherung des sozialen Status, die Sorge um die eigene Zukunft und die Zukunft der Kinder.
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Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass es sehr wohl Überschneidungen gibt zwischen den Szenarien aus der ersten Runde, die Top-down entwickelt wurden, und jenen Anforderungen, die (fiktive, aber realistisch konzipierte) Menschen außerhalb der Denker-Zirkel und der professionellen Politik an die Zukunft stellen. Die Aufgabe, die sich daraus ergibt, lautet: Schließen wir die Lücke zwischen den abstrakten Herausforderungen und den konkreten Ängsten. Damit sollte es möglich sein, ein höchst anspruchsvolles Ergebnis auf den Tisch zu legen, nämlich eine Agenda für ein besseres Österreich. In Kapitel 5 wird dieser Anspruch eingelöst.
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Systemtheorie und neue Führungskultur: Philipp Belcredi Eigentlich ist die Systemtheorie gar keine eigene Disziplin, sondern ein Rahmen für interdisziplinären Diskurs. Sie erlaubt es, Situationen auch dann zu verbessern, wenn wir keinen vollständigen Überblick über sie haben, denn „wir können immer herausfinden, was besser ist, selbst wenn wir noch nicht wissen, was gut ist“. Mit Erkenntnissen dieser Art verblüffte der Unternehmensberater Philipp Belcredi in seinem Impulsreferat. Belcredi baut sein Coaching und seine Beratungstätigkeit auf systemtheoretischen Ansätzen auf und verwendet dazu Wissen und Erfahrungen aus drei grundlegenden Ausbildungsgängen: einem Studium der Biologie, einem Studium der Betriebswirtschaftslehre und einer mehrjährigen Tätigkeit als Eishockey-Profi während und neben diesen beiden Studien. Subsysteme mit unterschiedlichen Codes Ständiges Leitmotiv der systemischen Beratung ist die Suche nach Möglichkeiten, interdisziplinär zu arbeiten, über die Zäune hinweg zu schauen, die sich im Zuge der industriellen Revolution seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts (und schon davor in den Handwerken) herausgebildet haben. Vor der industriellen Revolution war die (europäische) Gesellschaft hierarchisch starr gegliedert. Diese Stratifizierung wurde in der Moderne durch eine funktionale Differenzierung abgelöst, eine der Folgen war die Entwicklung von sozialer Mobilität, eine andere die Entstehung von sozialen Systemen, in denen jeweils unterschiedliche Regeln und unterschiedliche Spielarten von Entscheidungslogik gelten. Recht, Medizin, Wissenschaft, Wirtschaft, Medien – sie alle reagieren nach unterschiedlichen Codes auf Input von außen. Die Entscheidungslogik der Wirtschaft richtet sich entlang der Achse „Gewinn oder Verlust“, in der Medizin sind die Kriterien „macht gesund oder macht krank“ ausschlaggebend, für die Medien lautet die Kernfrage: „Erregt es Aufmerksamkeit oder nicht?“ – und so weiter, die unterschiedlichen Codes lassen sich für jedes beliebige Subsystem ausfindig machen. 15
Überwindung der Sprachlosigkeit In der Wissenschaft geht die funktional notwendige Spezialisierung so weit, dass es Vertreter unterschiedlicher Richtungen schwer haben, überhaupt miteinander zu reden, sich auf gemeinsame Begriffe zu einigen. Belcredi illustriert dies am Beispiel eines Meditationswochenendes in einem Kloster, wo das Nachdenken über das Phänomen „Zeit“ daran scheiterte, dass die Auffassungen davon, was Zeit eigentlich ist, zu unterschiedlich waren. Für Philosophen ist Zeit eine Grundkonstante der menschlichen Daseinserfahrung, während Physiker schlüssig begründen können, warum es Zeit als physikalische Entität gar nicht gibt. Biologen wiederum verweisen darauf, dass jedes Lebewesen entsteht, wächst und wieder vergeht und Zeit daher jedenfalls eine biologische Tatsache sein müsse. Um die so entstehende Sprachlosigkeit zu überwinden, wurde die Systemtheorie entwickelt. Ein System ist jede Gruppe oder Ansammlung von Elementen (Menschen, zum Beispiel), die untereinander interagieren. Wobei die Betonung auf dem zweiten Teil der Definition liegt: Eine bloße Menschenmenge ist noch kein System, sie wird dazu erst durch Verbindungen, die zwischen den Elementen entstehen, durch Kommunikation und wechselseitigen Austausch. Schnell ergibt sich daraus eine fundamentale Unterscheidung, nämlich die zwischen trivialen und komplexen Systemen. Triviale oder lineare Systeme sind solche, die bei einem bestimmten Input einen determinierten Output liefern – anders ausgedrückt, Systeme, in denen klare, überschaubare Ursache-Wirkungs-Beziehungen herrschen. Solche Systeme sind berechenbar und von außen bestimmbar: Wer auf den richtigen Knopf an der Kaffeemaschine drückt, kann stets vorhersehen, welche Flüssigkeit unten herauskommen wird, und wenn das gewünschte Ergebnis nicht eintritt, lässt sich schnell herausfinden, wo die Ursache liegt (kein Wasser? Strom abgedreht?). Co-Creation in komplexen Systemen Im Gegensatz dazu sind komplexe Systeme durch mannigfache Wechselwirkungen bestimmt – lebendige Organismen und soziale Systeme fallen in diese Kategorie. Während in trivialen System ein Auslöser eine Wirkung erzielt,
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herrschen in komplexen Systemen stets mannigfache Wechselwirkungen, „eins ergibt das andere, und das andere reagiert“. Jede Wirkung wirkt immer auf alle anderen Elemente im System zurück. Solche Systeme sind daher nicht berechenbar, sie sind unüberschaubar, der Output eines komplexen Systems ist nicht kausal linear durch den Input bestimmbar. Selbst geringe Veränderungen im System haben Auswirkungen auf alle anderen, und jedes Element muss auf jedes andere reagieren, um die Systemstabilität zu erhalten. Durch diese Wechselwirkungen kann sich das System selbst produzieren und reproduzieren. Der Fachausdruck für dieses „Selbst-Herstellen“ lautet Autopoiesis. Gleichzeitig lassen sich die im System ablaufenden Operationen gezielt für das Finden von Problemlösungen nutzen, und zwar in einer Weise, die treffend als „Co-Creation“ bezeichnet wird. Bei einer systemischen Herangehensweise wird die Lösung eines Problems nicht von außen oder oben verkündet, sondern entsteht aus der Gruppe, und zwar durch die gemeinsame Arbeit am Problem, und durch die Wechselwirkungen, die im Zuge dieser Arbeit entstehen. Wie der Begriff sagt, wird etwas Neues buchstäblich gemeinsam erschaffen. Damit wird zum einen ein inhaltlich besseres Ergebnis erzielt – die Gesamtheit der Menschen in einem Unternehmen (oder auch nur eine entsprechend große Gruppe) verfügt immer gemeinsam über mehr Wissen und Erfahrung als einer allein. Zum anderen muss die Lösung nicht erst mühsam und mit viel Überzeugungskraft durchgesetzt werden, denn sie ist ja schon a priori akzeptiert, weil sie von den Betroffenen selber stammt. Die Betroffenen werden zu Beteiligten. Mit Hilfe von Co-Creation kann ein System angestoßen werden, Lernprozesse durchzumachen, und zwar wiederum aus sich selbst. Es ist nicht nötig, einen „Lehrer“ von außen zu holen, der sein überlegenes Wissen einbringt, vielmehr wird das nötige Wissen im System generiert. „Lernen“ ist deshalb in der Systemtheorie einfach als „Bilden von Unterschied“ definiert. Ein System, das im Zuge einer Veränderung einen signifikanten Unterschied zur Situation davor erreicht, hat gelernt. Der systemische Ansatz macht sich daher immer auf die Suche nach dem signifikanten Unterschied.
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Angst in sozialen Systemen Ein Kommunikationsmedium von fundamentaler Bedeutung für alle sozialen Systeme ist die Angst. Während, wie oben gesagt, unterschiedliche Systeme nach unterschiedlicher innerer Logik funktionieren und daher bei der Interaktion sehr oft aneinander vorbeireden, ist Angst etwas, worauf sich alle verständigen können, das in jedem der Codes verstanden wird. Einer der Begründer der Systemtheorie und ihr wohl bedeutendster Theoretiker, Niklas Luhmann, sah in der Angst eine der fundamentalen Dimensionen der heutigen Gesellschaft und widmete ihr 1986 ein ganzes Buch mit dem Titel „Ökologische Kommunikation“, in dem er die damals aktuelle Furcht vor einer Umweltkatastrophe als Ausgangspunkt nahm. Dort findet sich der Satz: „Wenn moderne Gesellschaften überhaupt ein a priori haben, so ist es die Angst“. Angst erzeugt aus sich selbst immer wieder neue Angst, schreibt Luhmann, sie muss sich nicht rechtfertigen, kann nicht widerlegt werden und lässt sich auch nur schwer davon überzeugen, dass es gar keinen Anlass für sie gibt. Sie ist ein „selbstsicheres Prinzip“, denn sowohl Beschwichtigung als auch aufwändige wissenschaftliche Gegendarstellung wecken bloß den Verdacht, dass es etwas zu verbergen gibt. Wer dagegen öffentlich Angst eingesteht, gewinnt an moralischem Gewicht, vor allem, „wenn er für andere Angst hat“. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, mit dieser aufs Große angelegten und daher diffusen Angst umzugehen. Eine davon liegt im Wechsel der Betrachtungsebene und der detaillierten Reflexion. Eine solche führt zum Ergebnis, dass offenbar das Maß an Angst in einem sozialen System kaum mit dem Ausmaß der realen Bedrohungen korreliert. Die Neue Zürcher Zeitung nannte im Februar 2002 in einem Essay die Angst „eine der großen Paradoxien unserer Zeit: Sicherer zu sein, heißt nicht, sich sicherer zu fühlen. Wir fürchten uns in unserer wohlbehüteten westlichen Welt nicht weniger als Menschen in Krisengebieten“. Für diese Behauptung gibt es empirische Belege – Umfragen zeigen, dass sich die Menschen in den USA (selbst in wohlhabenden Suburbs) auf einer vorgegebenen Skala weniger sicher fühlen als befragte Personen in Nigeria oder im Libanon. Reflexion und die bewusste Wahl der Reaktion auf eine Information oder eine Wahrnehmung macht es möglich, dem nur scheinbaren Automatismus der Angst
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zu entkommen. Philipp Belcredi zitierte dazu abschließend den Wiener Neurologen und Psychiater Viktor Frankl, der mit seiner von ihm begründeten Logotherapie die Suche nach dem Sinn therapeutisch wirksam machte. Menschen sind Reizen ausgesetzt, so Frankl, doch es bleibt ihnen überlassen, wie sie darauf regieren. Die Freiheit ist gewissermaßen der Moment, wo ich entscheide, wie ich auf eine Kommunikation reagiere: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ Den gleichen Gedanken hat Frankl an anderer Stelle noch einmal etwas anders ausgedrückt: „Der Mensch ist nicht frei von seinen schicksalhaften Bedingungen, aber frei zu diesen Bedingungen Stellung zu nehmen.“
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Wie machen wir Österreich besser? Auf die Froschperspektive folgte der Helikopterflug. Nach der Sammlung und Sichtung der Sorgen der ÖsterreicherInnen musste der nächste Schritt darin bestehen, den großen Überblick zu gewinnen: Was ist nötig, um Österreich nachhaltig besser zu machen? Wo können Initiativen zur Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ansetzen? Zunächst einmal wünschen sich die TeilnehmerInnen einen kräftigen Schub an jenen Qualitäten, die für eine starke Zivilgesellschaft Voraussetzung sind: Mut und Zivilcourage, Lernbereitschaft und Fehlerkultur, Dialogfähigkeit und Streitkultur, die Bereitschaft zu Engagement und Kooperation. Politisches System Eine umfangreiche Gruppe von Verbesserungswünschen betraf das politische System. Die demokratischen Mechanismen, so die einhellige Überzeugung, müssen verbessert werden. Dazu gibt es eine Reihe von konkreten Vorschlägen oder Forderungen. 1. Ein aktiveres Parlament › Politische Entscheidungen sollen stärker im Parlament erarbeitet und entschieden werden, nicht wie derzeit vorwiegend auf Regierungsebene. › BürgerInnenforen sollen die Arbeit der Abgeordneten unterstützen › Besserer Zugang zu Informationen – BürgerInnen sollen den gleichen Wissensstand wie Abgeordnete haben können. 2. Partizipation stärken › Völlig unabhängig von der Stärkung des Parlamentarismus braucht es mehr Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv an der Politik zu beteiligen. › Solch Beteiligungen müssen nicht unbedingt direktdemokratische Entscheidungsprozesse sein. Fast noch wichtiger sind Beteiligungsmöglichkeiten in der Konzeptphase von politischen Prozessen – Konsultationen, BürgerInnen-Räte, Dialogmöglichkeiten.
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› Eine neue Sozialpartnerschaft könnte entstehen, wenn Organisationen der Zivilgesellschaft systematisch in die Abstimmung von politischen Plänen einbezogen werden. Die „Sozialpartnerschaft der Zivilgesellschaft“ soll nicht nur Gesetzesentwürfe begutachten, sondern auch Aufträge zur Ausarbeitung von Vorschlägen erhalten oder mit Verhandlungen zum Ausgleich von Interessengegensätzen betraut werden. 3. Qualitätssteigerung der Politik › Mehr Wissen in die Politik bringen: Think Tanks finanzieren, Partizipation zur Ideengenerierung nutzen (z.B. Grünbücher in Online-Prozessen erarbeiten) › Evidence based politics und Zulassen von politischen Experimenten, bzw. Probeläufen. Beispiel: Finnland startete Anfang 2017 einen Feldversuch mit 2000 Arbeitslosen zur Erprobung der praktischen Auswirkung von bedingungslosem Grundeinkommen. Leider wurde das Experiment im April 2018 vorzeitig gestoppt, war also ein Misserfolg, doch findet die Re:think Austria-Runde, dass die Idee solcher Praxis-Tests weiterverfolgt werden soll. › Mehr Transparenz in Politik und Verwaltung führt zu verstärkter öffentlicher Kontrolle und damit zu höherer Qualität. 4. Vielfalt, Solidarität und Humanität als politische Kategorien Allen TeilnehmerInnen, ohne jede Ausnahme, machte die Zunahme von autoritären Strömungen in Europa Sorgen. Autoritäre Strömungen gewinnen an Rückhalt unter den WählerInnen, immer öfter erringen politische Gruppierungen mit stark autoritären Programmen oder zumindest deutlich autoritärer Rhetorik beachtliche Wahlerfolge. Wie kann verhindert werden, dass auf ganz regulär demokratischem Weg die Demokratie abgewählt wird? Was lässt sich den autoritären Strömungen entgegenhalten?
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Auf diese drängenden Fragen gibt es keine einfachen Antworten und kein Patentrezept. Ein Vorschlag lautet, dass Vielfalt, Humanität und Solidarität zu expliziten politischen Kategorien gemacht werden, so wie Wirtschaftswachstum, Umweltschutz oder Soziale Sicherheit. Im Extremfall können solche Kategorien als Staatsziele in die Verfassung geschrieben werden. Ein Nahziel könnte immerhin sein, in der politischen Bildung stärker auf ihre Bedeutung hinzuweisen. Best practice-Beispiele Die TeilnehmerInnen wurden aufgefordert, Beispiele für Initiativen zu nennen, die in ihren Augen als vorbildlich im Hinblick auf die gesellschaftliche Kohäsion sowie auf ein gelungenes Miteinander gelten können. Dieser Aufruf löste eine wahre Lawine an Nennungen aus und machte sichtbar, wie stark die Zivilgesellschaft in Österreich tatsächlich schon heute ist. Zwar wird die Partizipation auf der Ebene der nationalen Politik (und erst recht auf EU-Ebene) als unbefriedigend empfunden. Doch bei der Lösung konkreter Probleme spielen Eigeninitiative und Selbstverantwortung offenkundig eine viel größere Rolle, als üblicherweise in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Nicht alle der im folgenden aufgezählten Ideen stammen aus Österreich. Die ausländischen Vorbilder werden trotzdem genannt, weil sie leicht auf österreichische Verhältnisse übertragen werden können. Überdies enthielt die Sammlung zu guter Letzt auch eine Reihe von noch nicht existierenden, aber wünschenswerten Projekten – die also erst zur Best practice werden müssen. Solche „Bitte gründet so etwas“-Vorschläge sind kursiv gedruckt. apolitical.co: Eine amerikanische Web-Plattform zur Unterstützung von politischen Initiativen. Sie hilft bei der Vernetzung mit anderen Aktivisten, die anderswo auf er Welt ähnliche Ziele verfolgen, unterstützt den Erfahrungsaustausch und bietet Expertise an. Bernstein: Die burgenländische Gemeinde hat eine ganze Reihe von Aktionen erdacht, um im Alltag Bewegung und Gesundheit zu fördern. Unter anderem gab es eine Aktion, bei der Mütter gemeinsam die Kinder von Kindergarten und Volksschule abholen und mit ihnen zu Fuß nach Hause gehen. 22
CO2-Uhr: Ein Wunsch, kein vorzeigbares Beispiel. Eine öffentlich aufgestellte Anzeigetafel, die – ähnlich wie die an vielen Orten stehenden WeltbevölkerungsAnzeigen – die Zunahme der CO2-Konzentration in der Atmosphäre anzeigt, oder aber den aktuellen CO2-Ausstoß weltweit. Datenschutz: Die spanische Datenschutz-Behörde darf Einnahmen aus Strafen für ihr eigenes Budget behalten. Sie ist daher wesentlich besser ausgestattet als Behörden in anderen Ländern, um den Kampf gegen Hacker (die inzwischen auch für Geheimdienste anderer Länder oder aber für NGOs tätig sind) aufzunehmen. Fremde werden Freunde: Eine Initiative zur Integration von geflüchteten Menschen – Wanderungen, Sprachkurse, Begegnungen. Gapsquare: Eine britische Web-Plattform, die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen aufzeigt und Empfehlungen für die Überbrückung des Gender-Gap macht. Habibi und Hawara: Ein Restaurant in Wien, das zur Gänze von Menschen betrieben wird, die erst vor kurzem Asylstatus erhalten haben. Kein Förderprojekt, sondern eins, das sich auf ökonomisch solider Basis selbst trägt und wegen des Erfolgs als Franchise vervielfältigt werden soll. Kahn Academy: Eine nicht-kommerzielle Website mit Lehrmaterial. Angesiedelt in Mountainview, Kalifornien, will diese Online-Akademie Bildung für alle vermitteln. Die Website enthält über 4000 Lehrfilme über Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte und Wirtschaft. Dazu gibt es einen eigenen YouTube-Kanal. Kolpinghäuser: Die Kolpingorganisation betreibt traditionell Wohnhäuser für junge Menschen. Vor kurzem wurde das Konzept erweitert. Unter dem Motto „Gemeinsam leben“ wird die Möglichkeit geschaffen, dass Studenten, junge Menschen mit Kindern und ältere (meist pflegebedürftige) Menschen zusammenleben. Kinderbetreuung wird organisiert. Lech am Arlberg: Die Wintersportgemeinde litt im Winter unter stark belasteter Luft durch Heizungen. Kommunale Heizwerke lösten nicht nur das Problem, sondern ermöglichen auch eine Wärmeversorgung, die zu 98% aus erneuerbarer Energie stammt.
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Mimikama: Die 2011 gegründete, rein private Initiative betreibt Aufklärung über Internetmissbrauch. Mimikama startete die speziell auf Facebook betriebene Initiative ZDDK (Zuerst denken – dann klicken), mit der auf die Gefahr der unvorsichtigen Preisgabe von Daten hingewiesen wird. Orte des Respekts: Ein Wettbewerb, ausgeschrieben vom Verein respekt.net gemeinsam mit der Raiffeisen Bank International. Ausgezeichnet werden Menschen, die durch Eigeninitiative und Engagement die Zivilgesellschaft nachhaltig gestalten und stärken. Otelo – offenes Technologie Labor: In Gmunden in OÖ wurde die Idee erfunden, Kreativen und Hobby-Technikern große und gut ausgestattete Räume zur Verfügung zu stellen. In den Otelos bilden sich Gruppen, die an derselben Aufgabe arbeiten, zum Beispiel dem Bau von 3-D-Druckern oder der Veranstaltung von Elektrotechnik-Workshops für Kinder. Ottensheim: In der Mühlviertler Kleinstadt wurde mit Hilfe der Gemeinde eine Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt unter dem Namen „Radamt“ gegründet. Analog dazu gibt es das „Sackamt“, eine Einrichtung zur Vermeidung von Plastikverpackung: BürgerInnen bringen alte Leinen- oder Jutesäcke, die werden dort gewaschen und stehen wieder zur freien Entnahme bereit. Wer einkaufen geht (vor allem zum Markt am Freitag) holt sich dort eine Tasche und braucht keine Plastiksackerl. Am Montag kann er sie wieder zurückbringen. Superar: Musik als Vehikel zur Überwindung gesellschaftlicher Risse. Bei Superar können Kinder gratis Musikunterricht nehmen und mit anderen Kindern musizieren. Unbundling der Internet-Infrastruktur: Eine Forderung, (noch) kein Best-practice-Beispiel. Wie bei den Strom- und Gasnetzen sollen auch bei Breitband- und Glasfasernetzen die Anbieter von Provider-Diensten nicht selber Eigentümer der Infrastruktur sein dürfen. Nur so ist fairer Wettbewerb möglich. Vollpension: Eine Wiener Initiative, aus der mittlerweile ein boomendes Café geworden ist – SeniorInnen backen für ein zahlendes Publikum jene Kuchen und Torten, die sonst nur den Lieblingsenkeln vorbehalten bleiben. Abgesehen vom geschäftlichen Erfolg sorgt die Vollpension auch für Austausch und Verständnis zwischen den Generationen sowie für Beschäftigung von älteren Menschen mit Wunsch nach Kontakten. 24
Vorarlberger Gemeindewahlrecht: Das Landesgesetz sieht die Möglichkeit vor, dass bei Gemeinderatswahl keine Wahllisten (Parteien) antreten, sondern lediglich Personen. Die WählerInnen erhalten ein Blatt Papier, auf dem mehrere Dutzend Namen stehen. Sie dürfen davon so viele ankreuzen, wie der Gemeinderat Sitze hat. Bisher wenden nur wenige Gemeinden diese Form der Direktwahl an, eine davon ist Lech am Arlberg. Weil wir dich lieben: Eine Imagekampagne der Berliner Verkehrsbetriebe dient als lobenswertes Beispiel für positive campaigning im Sinne von Angus Robertson. Wiener Baugruppen: Eine Initiative, die in Zeiten steigender Immobilienpreise leistbares, individuelles Wohnen im urbanen Bereich möglich machen soll. Private Personen schließen sich zusammen, um gemeinsam ein Wohnhaus zu bauen. Solche Gruppen umfassen 40 oder mehr Personen, gebaut werden typischerweise keine Einfamilien- oder Reihenhäuser, sondern mehrstöckige Stadthäuser. Zeit-Polster: Freiwillige Arbeit in der Betreuung pflegebedürftiger älterer Menschen (oder auch nur von Menschen, die Gesellschaft brauchen) wird auf einem lebenslangen Konto gutgeschrieben. Im Alter können diese Zeitguthaben dann für die eigene Betreuung zurückgefordert werden. Zukunftsausschuss: Im österreichischen Nationalrat soll ein eigener Zukunftsausschuss gebildet werden, wie es ihn im Bundesrat bereits gibt. Angesichts des Umfangs und der Vielfalt an Projekten wurde der Wunsch geäußert, diese bereits bestehenden Initiativen ebenso wie die Ideen, die noch auf Verwirklichung warten, in einer Datenbank zu sammeln. Diese Datenbank soll für jedermann offen zugänglich sein und ermöglichen, dass sich Initiativen vernetzen, dass interessierte BürgerInnen teilnehmen können, und dass die gewaltige geleistete Arbeit ein größeres Maß an Öffentlichkeit findet. Für diese Idee meldeten sich umgehend Interessenten unter den TeilnehmerInnen, so soll umgesetzt werden.
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Leadership: Franz Fischler und Caspar Einem Nachdenken über die Zukunft geschieht fast immer im Konjunktiv. Es ist zwar gewiss wertvoll, Möglichkeiten und Szenarien durchzuspielen, die Vor- und Nachteile gründlich zu diskutieren. Doch irgendwann sollte auf das „man könnte…“ und „man sollte…“ ein entschlossenes „wir werden jetzt…“ folgen. Der Schritt von der Analyse zur Umsetzung erfordert Leadership, eine Qualität, die gerade in der Politik ebenso sehr gefragt wie selten anzutreffen ist. Leadership ist die Voraussetzung für gezielte, positive gesellschaftliche Veränderung. Deshalb widmeten die beiden Präsidenten des Europäischen Forums Alpbach, Franz Fischler und Caspar Einem, einen kurzen und sehr pointierten Impulsvortrag diesem wichtigen Phänomen. Ihre zentralen Thesen: Leadership ist das Gegenteil von autoritärem Führertum. Leadership beruht vielmehr auf Überzeugung. Ein Leader geht voran, aber er oder sie befinden sich stets auf gleicher Augenhöhe mit denen, die ihm/ihr folgen. Eine Gesellschaft aus lauter Leadern kann nicht funktionieren. Leader können per Definition nur wenige sein, daher muss Leadership immer in Verbindung mit einem Team oder einer Gruppe gedacht werden, die ein gemeinsames Ziel verfolgt. Nicht jeder ist zum Leader berufen. Um diese Funktion ausfüllen zu können, sind bestimmte Qualitäten und Persönlichkeitsmerkmale erforderlich: ›
Leader brauchen Offenheit, Ehrlichkeit und Bereitschaft zur ständigen Kommunikation. Eine Gruppe mit Tricks und Hintergedanken in eine gemeinsame Aktion zu locken, funktioniert bestenfalls kurzfristig.
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Leader ergreifen die Initiative. Sie sehen zwar mögliche Risiken und Hindernisse ebenso wie die anderen, sie reagieren darauf aber nicht mit Zurückschrecken, sondern gehen darauf zu.
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Leader verstehen es, anderen Vertrauen einzuflößen und sie damit an Bord zu holen. Selbst die entschlossensten Leader können nötige Veränderungen schließlich nicht allein in Gang setzen, sondern brauchen eine Gruppe, die sich ihnen anschließt und am selben Strang zieht.
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In Summe ergibt sich daraus eine verblüffend einfache Definition von Leadership. Ein Leader ist ein Mensch, der oder die sagt: „Diese Aufgabe traue ich mir zu, und deshalb gehe ich sie jetzt an.“
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Anhang 1: Keynote speech by Angus Robertson Thanks for the opportunity to take part in Rethink Austria 2018, and my sincere appreciation to the organisers from the world renowned Alpbach Forum Austria as well as to all of the participants. The program of this seminar is hugely impressive and I wish I had had the chance to attend an event like this at the start of my political career. How we do politics is as important as what we do! However the nature of competitive democracy and political dynamics make this extremely difficult. Politics and the political process is often brutal and unforgiving. We are conditioned to think that we are always (or mostly always) right while political opponents are always wrong, that my Party is good while the others are bad. This is tribal thinking, and is sadly the norm in democratic politics. Politics is a 'contact sport’ and like football or rugby that can be really tough. It can be personal and perceived weakness is punished. The drivers are to relentlessly remain ‘on message’ and ‘on target’, to squeeze the maximum advantage out of the political circumstances. Meanwhile, all of these factors are under enormous time pressures and the electoral cycles, where just as soon as you’ve got through one election contest you’re immediately catapulted into the next. In most European democracies we have an election at municipal, regional, national or European level every single year. This then leads to a series of inconvenient pressures and unintended consequences; including the difficulty of remaining focused on big challenges which is problematic enough when you are trying to find answers to complicated issues, given that the political pressures lead to short term-ism and that collaborative working is rare because of the constantly competitive environment. My background in politics started when I became involved in Scotland’s proindependence party, the SNP, at the age of 15. Like most young political activists I was hugely passionate and committed, attending endless meetings, taking part in every demonstration and volunteering in every election campaign. I loved the cause I had signed up for: to make my country a better and fairer place by 28
improving the way we are governed and ensuring the decisions about our country are made by the people we elect. Scotland is often governed at a UK level by the Conservatives who have not won a majority in Scotland since 1955. I became active in politics when the controversial Tory Prime Minister Margaret Thatcher was in power and was especially unpopular in Scotland. We had a huge democratic deficit and I wanted to play a part in fixing it. I loved the cause, I couldn’t understand why others didn’t. I idolised my senior Party colleagues, and didn’t believe that senior political figures in other parties were as likeable or able. Meanwhile I learnt how to campaign. SNP activists and volunteers were and continue to be hugely committed and talented when it comes to political campaigning, in particular when it comes to identifying and mobilising its voters. In parallel to my political interests I progressed through university, graduating in Politics and International Relations, and became a journalist and communication consultant. In effect I honed my interest and skills in how to to persuade, how to present, how to think strategically and be open to new approaches. When I returned from a decade working in Vienna, where I was a news reader for Austrian Radio and the BBC correspondent, I was able to apply these lessons to electoral politics. In 2001 I was elected to the British parliament aged 31, becoming the youngest parliamentarian from Scotland. Fortunately I was given some excellent advice from political colleagues and foes alike. It was transformational. That advice included lessons like: treating others as you would like to be treated yourself, get to know people in other parties, play the ball - not the opponent, find common ground, be gracious and be positive. While I’m sure I haven’t always lived up to those lessons, I have never forgotten them and have tried to apply them as best as I can. I’ve had the good fortune to be involved in building democracy in other parts of the world like the South Caucuses and with the John Smith Trust, set up to continue the international work of the talented Labour leader who died before having the chance to become Prime Minister. These were great projects to learn about the common values shared across mainstream politics, and not just concentrate on party politics. 29
Having said that, my greatest political achievements have been in helping my party, the SNP become electable and win successive national elections. I organised a series of key meetings involving colleagues, focussed on changing our political, cultural and organisational approach. These meetings started in the Scottish village of Craigellachie in the heartland Scotch whisky producing Speyside region which I represented in parliament. These Craigellachie meetings were key for participants believing that change was possible, especially that we could transform the SNP into a party able to win nationally. This involved a change program, understanding the importance of positive thinking, positive campaigning and thinking more strategically and long-term as a party that could and should change the country for the better. What followed these meetings has been more than a decade of unprecedented electoral success for the SNP. In 2007 the SNP won its first historic elections for the Scottish Parliament, by one seat, forming a minority government. In the 2011 Scottish Parliament elections the SNP went on to win an absolute majority in a proportional electoral system, and secured a mandate to hold an independence referendum in 2014. Using the same positive application as in recent parliamentary elections, the ‘Yes’ campaign raised the level of support for independence from between 20-30% to a near majority. Despite not delivering independence in 2014, the SNP won an unprecedented 56 out of 59 Scottish seats in the UK parliament only one year later. I had the good fortune to be the SNP campaign director in these contests, became the SNP leader in the Westminster parliament, including two years as the head of the third largest party in the House of Commons, and was also elected as Deputy SNP Leader to First Minister Nicola Sturgeon. Looking back on 16 years as an elected parliamentarian I am really pleased that I learnt early on about the important lessons which has stood me in good stead. Even although political aims are crucial, how you pursue them is just as important.
Treat others as you would like to be treated yourself – Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest.
Get to know people in other parties – Versuche, Menschen in anderen politischen Parteien kennenzulernen. 30
Play the ball, not the opponent – Tritt den Ball nicht den Gegner
Find common ground - Gemeinsamkeiten finden
Be gracious – Sei wohlwollend.
Be positive – Sei Positive eingestellt.
At a time when conventional mainstream politics is being challenged from the extremes I think it is important to remember these lessons. They have been valuable lessons for me and the cause that I support. They could and should be just as important to all others as they start off on their political journey. I wish success to all who live by them in making the world a better place. Angus Robertson +++++++++++++++ Angus Robertson was the SNP member of the UK parliament for Moray from 2001-16. As SNP Campaign Director he helped secure the biggest electoral successes in SNP history and became its parliamentary leader in Westminster and Deputy Leader of the SNP nationally. Described as the ‘effective leader of the opposition’ in the House of Commons, his skills have been widely praised across the political and media spectrum. Left-wing Guardian columnist Kevin McKenna wrote: “The most formidable campaign organiser of any political party in the United Kingdom” while Conservative commentator Tim Montgomerie said that Angus Robertson is: "one of the UK's most formidable political strategists. Perhaps the most formidable”.
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Anhang 2: Angst in sozialen Systemen – Verständnisgrundlagen, Phänomene und ein Lösungsansatz Artikel in Anlehnung an Philipp Belcredis Beitrag zum Innovationslabor Re:think Austria 2018 des Europäischen Forum Alpbach Soziale Systeme und Gesellschaften befinden sich in stetem Wandel: Werte verändern sich, Strukturen variieren, Regeln werden umgestellt, Menschen verlassen uns, andere kommen dazu. Was bleibt dennoch und wird als soziales System bezeichnet? Dazu gibt es verschiedene Sichtweisen und wissenschaftliche Modelle. Schon der Begriff System führt zu Auseinandersetzungen. Ein wenig Entwicklungsgeschichte zum Systembegriff bringt uns Verständnis. Nach der industriellen Revolution Ende des 18 Jahrhunderts setzte sich in vielen Bereichen die mechanisch-technologische Denkweise gegenüber der ErkenntnisPhilosophie durch. Im Zuge dessen fand eine Trennung der Gesellschaftsbereiche statt, die bei vielen interdisziplinären Fragen den Weg zu Lösungen versperrt hat. Bei dem Versuch einer Zusammenfügung der Disziplinen hat man oft mit Kommunikationsbarrieren zu kämpfen. So benutzt zum Beispiel die Biologie andere „Codes“ als die Elektrotechnik, die wiederum anders kommuniziert als die Psychologie. Einzelne gesellschaftliche Teilbereiche emanzipieren sich von externer Kontrolle und entwickeln ihre eigene Logik und es bilden sich Subwelten um bestimmte Themen. Eine funktional differenzierte Gesellschaft entsteht. Der Vorteil dieser funktional differenzierten Bereiche ist die Konzentration der Ressourcen auf bestimmte Themen und die daraus folgende Komplexitätsreduzierung. Diese ermöglicht eine erhöhte Leistungsfähigkeit dieser SubWelten. Der Nachteil dieser Aufteilung ist, dass die ausschließlich auf ein Thema zentrierten Subsysteme andere Themen nicht mehr berücksichtigen bzw. sich auf sie nur insoweit einstellen können, als sie in ihre Eigenlogik übersetzbar sind. So ist z.B. Ökologie für die moderne Ökonomie per se kein Thema. Die Ökonomie 32
kann also auf die Notwendigkeit, die natürlichen Grundlagen der Gesellschaft zu bewahren, erst dann reagieren, wenn dieses Thema in die Sprache der Wirtschaft übersetzt ist – etwa wenn es Ökosteuern gibt, Ökoprodukte einen Markt haben oder politische Vorgaben gemacht werden (vgl. Stingl de Vasconcelos, 2012). Aus den Bemühungen heraus, die Erkenntnisse vieler verschiedener Disziplinen aufzugreifen und nach Gemeinsamkeiten zu suchen, entstand die Systemtheorie. Ludwig von Bertalanffy, Biologe und Philosoph, und Norbert Wiener, Kybernetiker, gelten als die „Urväter“ der modernen Systemtheorie. Bertalanffy erhob den Anspruch eine allgemeine Systemtheorie zu schaffen, oder so wie er es ausdrückt: „A theory, not of systems of a special kind, but of universal principles applying to systems in general.” Systemtheorie ist also in gewisser Weise eine Folge-Reaktion zur funktionalen Differenzierung um einen Weg zu finden interdisziplinär oder trans-disziplinär eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu finden. Andere wichtige Überlegungen und Erweiterungen zum Systembegriff stammen von den Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela (Autopoiesis) und vom Rechtswissenschaftler und Soziologen Niklas Luhmann (soziologische Systemtheorie). Systemtheorie ist keine eigenständige Disziplin, sondern ein weit verzweigter und heterogener Rahmen für einen interdisziplinären Diskurs, der den Begriff System als Grundkonzept führt. Soziale Systeme Soziale (lebende) Systeme sind komplexe Systeme, die – im Unterschied zu trivialen Systemen – schwer analysierbar und praktisch nicht berechenbar sind. Analysen von sozialen Systemen sagen bestenfalls etwas darüber aus, warum etwas ist wie es ist. Anders als bei trivialen, „maschinellen“ Systemen, wo man fehlerhafte Stellen finden und reparieren kann, bringt uns die Analyse von sozialen Systemen nicht weiter in Richtung Lösung, weil die Lösung in einem lebenden (komplexen, sozialen) System im Unterschied zu einer Lösung in einem trivialen (linearen, technischen) System zeit-, blickwickel- und kontextabhängig ist. Lebende, soziale Systeme erfinden sich aus sich heraus ständig neu (Autopoiesis). Wie der Volksmund sagt: „Das Eine ergibt das Andere“. 33
Nach Luhmann ist ein Sozial-System die Verkettung von kommunikativen Operationen. Im Allgemeinen werden soziale Systeme heute als Einheiten gesehen, die ihre eigenenGrenzen zur Umwelt andauernd erzeugen und somit (durch die Differenz zur Umwelt) erkannt werden können. Wenn wir also von der „amerikanischen Gesellschaft“ sprechen, sprechen wir nicht von etwas, das selbstgegeben ist, sondern nur in Differenz zu allen anderen Gesellschaften existiert. Die Lederhose beispielsweise wird erst in Differenz zu anderen Bekleidungsformen in anderen Regionen der Welt zum Kulturgut. Einerseits werden soziale Systeme also von Kommunikationen aufrecht erhalten, andererseits können sie nur in Differenz zu anderen Systemen wahrgenommen werden. Kommunikation In der Kommunikation wird davon ausgegangen, dass die Vorgangsweise einer Person (oder eines Systems) eine getroffene Auswahl (Entscheidung) aus mehreren möglichen Vorgangsweisen ist, und je nach Reaktion des Kommunikationspartners angepasst wird (auf den Kommunikationspartner ausgerichtet wird). (Vgl. Stingl de Vasconcelos, 2012). Ein Mensch der kommuniziert, wählt aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, was und wie er etwas sagen könnte, eine Möglichkeit aus. Dabei geht es nicht um den Inhalt dessen was kommuniziert wird. Entscheidend für ein soziales System ist die Anschlussfähigkeit, im Sinne dessen eine Resonanz auszulösen und sicher zu stellen, dass die Kommunikation weitergetragen (kommuniziert) wird. So kann sich ein soziales System weiter erhalten. Wenn man etwas sagt, sagt man nicht nur etwas darüber aus, was man sagt, sondern initiiert auch Interpretationen darüber, was man nicht sagt. Je nachdem was Menschen aus dem nicht Gesagten interpretieren (wahrnehmen), kann die Wirkung bisweilen beachtliche Ausmaße erreichen. Je nach Eigenständigkeit des Empfängers kann dies, von einer unabhängigen Meinung bis hin zu Massenphänomenen reichen. Wenn also viele Menschen die ausgesagte und die nichtausgesagte Auswahl ähnlich verstehen (interpretieren), kann eine enorme Kraft daraus entstehen, die gesellschaftliche Bedeutung hat. Dieses Phänomen kann über Massenmedien genutzt, und wie alles, auch missbraucht werden. Damit Kommunikation fortgesetzt wird, muss sie anschlussfähig bleiben. Um die Anschlussfähigkeit zu sichern werden Kommunikationen im Verhältnis zu den 34
Ergebnissen (was wird aufgenommen und weiter kommuniziert) kontrolliert. Die Struktur einer Kommunikation wird vom sozialen System im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit gebaut. Was funktioniert, also aufgenommen und weiter kommuniziert wird, wird weiter ausgebaut. Was nicht funktioniert, also nicht aufgenommen und nicht weiter kommuniziert wird, wird unterlassen. Angst als universales Kommunikationsmedium Soziale Systeme können nur über das Aufrechterhalten des Kommunikationsflusses überleben. Themenbereiche, die leicht anschlussfähig sind, dienen dafür als Kommunikationsmedium (= die Kommunikation ist anschlussfähig und kann leichter aufrecht erhalten werden). Ein solcher Themenbereich ist Angst! „Über Angst kann die Muslima mit der Sekularistin, der liberale Zyniker mit dem verzweifelten Menschenrechtler sprechen“ (vgl. Bude, 2014). Man verständigt sich bewusst oder unbewusst gut über Angst. Angst ist das Kommunikationsmedium. Über Angst kann ich eine Gruppe schnell verbindlich machen (vgl. Bude 2014). Im Hinblick auf gesellschaftspolitische Systeme halte ich das für eine Betrachtungsweise, die doch einigen Einfluss hat. Handlungsleitende Phänomene, haben Auswirkungen in Systemen (bzw. Kommunikationen). Angst wird nach Bude als Kraft beschrieben, die quer durch soziale Hintergründe, Kulturen, sogar Religionen zu gebündeltem Interesse und entsprechender Handlungsleitung kanalisiert werden kann. Die Geschichte zeigt uns konkrete Beispiele dafür. Ähnliches schreibt Niklas Luhmann. Angst sei demnach „Das einzige A-Priori moderner Gesellschaften, auf das sich alle Gesellschaftsmitglieder einigen können. Angst ist das Prinzip, das absolut gilt, wenn alle Prinzipien relativ geworden sind“ (vgl. Luhmann, 2004 , Seite 158ff). Angst als absolutes, elementarstes Prinzip, auf das sich größte Unterschiedlichkeiten einigen können. Anspruch auf einen Lösungsansatz zu dieser Urgewalt ist bei Luhmann nicht zu finden. Er beschreibt ein geschlossenes System im Rahmen seiner Definitionen. Innerhalb dieses Rahmens denkt Luhmann die Dinge aber, im Vergleich zu anderen Systemtheorien, zu Ende. Laut Luhmann kann man Angst weder verbieten noch verhindern. Man kann zwar Gewalt durch Gewalt bekämpfen, aber nicht Angst durch Angst, so Luhmann weiter. 35
Die Angst vor Schlimmerem in der Politik kehrt als politischer Faktor in die Politik zurück. Der Spielraum für Resonanz wird dadurch nicht erweitert. Im Gegenteil: Es gibt nur wenige Möglichkeiten mit Angst umzugehen. Die Gegenstände der Politik direkt anzugehen läuft auf Verhinderungspolitik hinaus. Die Limitationen des politischen Systems setzen sich dann als Beschränkung aufs Blockieren durch und das kann nur durch Prinzipien, nicht aber durch Folgeverantwortung gedeckt sein (vgl. Luhmann, 2004). Mit dieser Sichtweise bietet Luhmann, der grundsätzlich keine Lösungen, sondern eine Theorie anbietet, aber bereits einen Lösungsansatz an: Folgeverantwortung. Uns dazu zu positionieren ist eine freie Wahl, die wir haben. Aspekte von Macht in der Angst „Angstkommunikation ist immer authentische Kommunikation, da man sich selbst bescheinigen kann, Angst zu haben, ohne dass andere dies widerlegen können. Angst widersteht jeder Kritik der reinen Vernunft“(Bude 2014). Wer Angst als Begründung seines Dagegenseins in Anschlag bringt, setzt sich ins Recht. Insbesondere dann, wenn das im Namen von anderen, die sich nicht trauen, keine Sprache haben oder die Lage noch nicht übersehen können, geschieht. Stellvertretend zum Ausdruck gebrachte Angst kann der Führung eines Staates, eines Unternehmens oder einer zivilen Organisation schwer zu schaffen machen. Mit anderen Worten: die Annoncierung von Angst kann einen privat schwach und öffentlich stark machen (vgl. Bude 2014). Nach Heinz Bude kommt Angst daher, dass alles offen aber nichts ohne Bedeutung ist. Angst-Stress ist Sinnstress, wovon einen kein Staat und keine Gesellschaft erlösen kann. Hieraus lassen sich Gedanken ableiten, die für die Organisationsberatung und die Arbeit mit Systemen relevant sind und einen entscheidenden Unterschied im Ansatz generieren können. Potentiell kann – den obenstehenden Ansätzen nach – Nutzen für Menschen oder Interessensgruppen daraus generiert werden, über Angst zu argumentieren. Das Bemerkenswerte daran ist nicht der simple Umstand, dass man wie fast alles Andere auch Angst missbrauchen kann. Die Besonderheit ergibt sich vielmehr daraus, dass der Argumentation über Angst auf der inhaltlichen Ebene nichts entgegengesetzt werden kann! 36
In Konsequenz muss die Bearbeitbarkeit also auf einer anderen Ebene ermöglicht werden als die Berechtigung für die Angst argumentiert wird. Voraussetzung bleibt das entsprechende Reflexionsvermögen oder vielmehr der Reflexionswille dazu. Das lässt sich nicht erzwingen. Dazu können wir nur einladen. Womit wir bei der Haltung ankommen, die meines Erachtens mit dem Ansatz der Arbeitsweise zusammenhängt. Mit anderen Worten kann die Bearbeitung der Angst in sozialen Systemen nicht auf derselben (inhaltlichen) Ebene gelingen, auf der mit Angst argumentiert wird. Die Kunstfertigkeit der Bearbeitung steht also in einem Zusammenhang mit der Einladung, die Ebene oder die Betrachtungsweise zu verändern. Ein Argument für systemische Arbeitsweise und Haltung, bei der wir ausgeschlossene Ebenen einbeziehen und überlagerte Kontexte sortieren können. Von der Bearbeitbarkeit lebender Systeme (systemische Arbeitsweise): Im Wesentlichen heißt systemisch zu arbeiten, Ausgeschlossenes einzubeziehen, und Vermengtes zu sortieren, mit anderen Worten: die Ordnung wiederherzustellen, die ein lebendes System braucht, um im Zustand höchstmöglicher Ressourcen und Stabilität zu sein. Ein Vergleich früherer, inhaltsbasierter systemischer Arbeitsweisen und zeitgemäßer, syntaktischer, unterschiedsbasierter Arbeitsweisen hilft zu verstehen, wie wir die elementarste Einheit von Lernen – die Unterschiedsbildung – nutzen um den relevanten Unterschied zu finden, der vom System (dessen Menschen) als nützlich (Verbesserung) erachtet wird. Unterschiedsbildung ist elementarer als inhaltliche Kenntnis und eröffnet neue Wege zu Lösungen, denn:
Damit ist die Abstraktion komplexer Sachverhalte auf die relevanten Grundunterschiede besser, schlechter, gleich möglich und
man kann herausfinden „was besser ist, ohne zu wissen was gut ist“ (vgl. Varga v. Kibéd, 2002).
Demo-Coaching Es folgt eine kurze Anleitung zu einem Demo-Coaching zur Veranschaulichung syntaktischer, systemischer Arbeitsweise. Es geht dabei darum relevante Unterschiede zu finden. Zur Bearbeitung eines Anliegens kann eine dafür 37
hilfreiche Einstiegs-Frage die folgende sein: „Auf einer Skala von 0 bis 10 – wo stehen Sie jetzt?“. In der Großgruppe wurde mit allen ca. 55 Anwesenden im Raum des Innovationslabors Re:think Austria 2018 zeitgleich binnen weniger Minuten anschaulich gemacht, dass die richtigen Fragen zu relevanten Unterschiedsbildungen (= Lernen) führen können, ohne, dass der Fragende dazu die Inhalte des Anliegens der Befragten kennen oder verstehen muss. Die Vorteile zeitgemäßer, syntaktischer Arbeitsweise ist ihre Präzision, ihre Ressourcenorientierung und dass damit leichter und schneller höhere Prozessund Ergebnissicherheit erreicht wird. Sprache und Ressourcen In Begriffen der Angst wird deutlich, wohin die Gesellschaft sich entwickelt, woran Konflikte sich entzünden, wann sich bestimmte Gruppen innerlich verabschieden und wie sich mit einem Mal Endzeitstimmung oder Verbitterungsgefühle ausbreiten. Hier hilft uns eine Arbeitsweise, die auf gesprochene Worte und Signale achtet. „Angst erschöpft. Im Kern handelt es sich bei der Angst um die Reaktion auf die Wahrnehmung einer Gefahr.“ Wer von Angst getrieben ist, vermeidet das Unangenehme, verleugnet das Wirkliche und verpasst das Mögliche. Angst macht die Menschen abhängig von Verführern, Betreuern und Spielern. Angst führt zur Tyrannei der Mehrheit, weil alle mit den Wölfen heulen, sie ermöglicht das Spiel mit der schweigenden Masse, weil niemand seine Stimme erhebt, und sie kann panische Verwirrung der gesamten Gesellschaft mit sich bringen, wenn der Funke überspringt (Bude, 2014). So das Ziel sich aus den oben beschriebenen Zuständen entwickelt, liefert uns Heinz Bude mit dieser Beschreibung klare Argumente dafür, Ressourcen als Basis in den Mittelpunkt der Arbeit mit Menschen zu stellen und unsere Haltung und unseren Blick auf Menschen und deren Systeme zu richten. René Rhinow, Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes, sagt in einem Artikel der neuen Züricher Zeitung, 2016: „Angst hat einen großen Stellenwert in unserer Gesellschaft. (...) Und weil sie, besonders in unserem Zeitalter der Informationsflut, diffus ist, weiß man nicht recht, wie man mit ihr umgehen soll. (...) Dabei ist die virulente Angst vor dem anderen, dem Fremden besonders dann stark, wenn es keinen konkreten Grund gibt. (...) Liebgewonnene 38
Sicherheiten werden ständig von neuer Seite infrage gestellt. (...) Angst ist immer da, ein seelischer Tinnitus. (...) Schuld ist auch unsere Freiheit, die immer mehr Möglichkeiten eröffnet und uns mit ebenso vielen, oft widersprüchlichen Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert. Die Freiheit, theoretisch alles tun zu können, ist auch eine Belastung“ (NZZ, 2016). Das zu lesen unterstreicht, welchen Anker, welche wohltuende Sicherheit wir in der Kenntnis von Strukturen in Systemen und der systemischen Arbeitsweise finden können. Widersprüchlichkeiten und (Wahl-) Möglichkeiten können uneingeschränkt begrüßt werden, weil wir durch die Kenntnis prototypischer Strukturen in Systemen in einer Haltung des Probe-Handelns und Erkundens abwägen und ausbalancieren können, um das Maß zu finden, welches für das jeweilige Anliegen einen guten nächsten Schritt, in die gewünschte Richtung, ermöglicht. Die Größe des Schrittes ist dabei dosierbar. Damit bietet sich uns jede Menge Sicherheit auf der Strukturebene – eine Sicherheit, die nicht weniger wird, wenn wir sie nützen. Das alles auch noch auf Basis der Ressourcen, die wir in und um uns zu Verfügung haben, und derer wir uns im Prozess der Lösungsfindung besinnen. Erklärungen, Begründungen, Bestätigung der Ausweglosigkeit – das erzeugt kein gutes Gefühl. Im Land der Möglichkeiten zu leben fühlt sich deutlich besser an. Und die Kraft, die wir dazu brauchen, um in unsere Gestaltungs-Verantwortung zu kommen, können wir jederzeit aus unseren eigenen Ressourcen schöpfen, sobald wir uns diese vergegenwärtigen. Was ich hier argumentiere ist kein naiver Optimismus, sondern eine der erfolgreichsten Arbeitsweisen mit Menschen, die je heraus gearbeitet wurde (vgl. Steve de Shazer). Ressourcen-basierte Arbeit mit lebenden Systemen führt nachweislich deutlich schneller und wirkungsvoller zu nützlichen, gewünschten Ergebnissen, als die Analyse von Problemen. Dabei wird lebenden Systemen (Menschen) bewusst, wie nahe sie dem schon sind, wo sie hin wollen, und was realistisch ist. Der halbe Schritt, den wir für den verbesserten Zustand noch brauchen wurde nur (vor lauter Analyse und Problem- Trance) noch nicht so klar gesehen wie nachdem wir a) uns unsere Ressourcen vergegenwärtigt haben und wir b) konkret beschrieben haben, was ich / wir als nächstes tun. Ich beschäftige mich lieber damit und genieße dabei auch die Freude daran, was ich selbst in die Hand nehmen, tun und umsetzen 39
kann. Es beginnt bei mir. Ist das nicht eine wunderbare Alternative? Darauf haben wir Einfluss! Jede(r) von uns. Fazit In manchen der hier ausgewählten und zitierten Text-Teile sehe ich eine klare Bestätigung für systemische Arbeitsweise, die bewusst von der Subjektivität des Anliegen-Bringers ausgehen kann, anstatt zuerst eine Objektivität zu suchen, die es – wie wir spätestens seit den Konstruktivisten (H. von Förster, N. Wiener etc.) wissen – so gar nicht gibt. Die Kenntnis von den Strukturen in Systemen bietet uns die Sicherheit, aufgrund derer wir uns das leisten können, weil wir sicher navigieren können, ohne inhaltlich recht behalten zu müssen oder den Anspruch haben, etwas besser zu wissen als die Menschen, mit welchen wir arbeiten. Was immer inhaltlich gegenständlich ist – über die Strukturen dahinter behalten wir die Orientierung (Kontrolle) um nützliche Unterschiedsbildungen sicher zu stellen. Damit bleibt – und da ist das Wesentliche – der Gesprächspartner inhaltlich in der Verantwortung und souverän. Jeder Einzelne von uns hat ständig – bei jeder menschlichen Interaktion – die Wahl, ob man Menschen ermutigt, ermächtigt, Ihnen etwas vorlebt woran sie sich aufrichten können, oder ob man deren Ängste schürt. Zweiteres ist freilich die einfachere Übung. Aber die Erstere macht (aus meiner Sicht) deutlich mehr Freude und stiftet einen anderen Sinn. Philipp Belcredi +++++++++++++++ Literaturverzeichnis Bude, H. (2014). Gesellschaft der Angst. Hamburg: Hamburger Edition Luhmann, N. (2004). Ökologische Kommunikation: kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdung einstellen? Wiesbaden: Springerverlag NZZ (Neue Züricher Zeitung), Roth, J. (2016) „Jedem seine Angst“ (online) https://www.nzz.ch/lebensart/gesellschaft/angst-und-aengste-jedemseineangst-ld.84909 (14.05.2018)
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Stingl de Vasconcelos, T. (2012) „Begehrtes Wissen. Eine systemtheoretische Reflexion zu Wissens- und Entscheidungskulturen in Organisationen“ Heidelberg: Carl-Auer Verlag Varga von Kibéd, M. im Sparrer, I. (2002) „Wunder, Lösungen und Systeme. Lösungsfokussierte Systemische Strukturaufstellungen für Therapie und Organisationsberatung.“ Heidelberg: Carl-Auer-Systeme
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