Phantasie in Kultur und Wirtschaft 2012

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Erna Lackner (Hrsg.) Phantasie in Kultur und Wirtschaft


Band 12 der Reihe „Kultur und Wirtschaft“, herausgegeben von Erhard Busek


Erna Lackner (Hrsg.)

Phantasie in Kultur und Wirtschaft

Gedächtnisstiftung Peter Kaiser (1793–1864), Vaduz

StudienVerlag Innsbruck Wien Bozen


© 2013 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck E-Mail: order@studienverlag.at Internet: www.studienverlag.at Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen. ISBN 978-3-7065-5728-3 Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder Satz: Studienverlag/Roland Kubanda Umschlag: Studienverlag/Karin Berner Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at


Inhaltsverzeichnis Erhard Busek Vorwort Ein Plädoyer

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Kapitel 1 Zur Lage. Und die Aussichten. Die Eröffnungsrede

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Bazon Brock Phantasie in der Ohnmacht – Wirklichkeitssinn durch Möglichkeitssinn

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Kapitel 2 Der zündende Funke

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Marianne Gruber Einleitung: Was aber ist Phantasie?

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Felix de Mendelssohn Die Freud’schen vier Urphantasien

29

Oliver Handlos Eine Idee zu haben ist nicht schwer, sie umzusetzen jedoch sehr

33

Markus Hinterhäuser Ein Rest Geheimnis bleibt immer

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Kapitel 3 Phantasieprodukte in der Wirtschaft

41

Brigitte Kössner-Skoff Einleitung: Wie funktioniert Kreativität?

43

Christian Bartenbach Phantasieprodukte brauchen Vorgaben und Ausdauer

45

Hannes Erler Haben wir genug Phantasie, um eine gute Zukunft zu gestalten?

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Heidi Glück Phantasie und Kreativität in Kommunikation und Politik

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Valentine Troi Peer Gynt, die Triebfedern und der Schweiß

55

Michael Thurow Creative Turnaround Now!

59

Kapitel 4 Die Rolle der Phantasie in der Kunst

65

Hellmuth Matiasek Einleitung: Die Kunst, ein Phantasie-Gipfel?

67

Peter Edelmann Von den Tönen im Kopf des Sängers zu den Schwingungen im Zuhörer

69

Maximilian Fliessbach gen. Marsilius Phantasie und Kreativität als Spiel mit der Inspiration

73

Olga Flor Fantasie als eine schöne Kunst betrachtet

(nur in der Print-Version enthalten)

Kapitel 5 Der Reiz des Bösen in der Phantasie

81

Christoph Mader Einleitung: Was ist die menschliche Natur?

83

Rudolf Burger Zur Ästhetik des Bösen

85

Dietmar Ecker Das Böse und das Kurzzeitgedächtnis

89

Reinhard Haller Das Böse aus der Sicht der Psychiatrie

95

Rainer M. Köppl Austria vampyriosa. Maria Theresia, Dracula und Freud

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Kapitel 6 Phantasie in Wissenschaft und Technik – Ergänzung oder Widerspruch?

105

Rudolf Bretschneider Einleitung: Was diszipliniert die Phantasie?

107

Karlheinz Töchterle Phantasie gehört zum Wesen der Wissenschaft

111

Peter Zoller Die Querverbindungen sind entscheidend

113

Renée Schroeder Wissensschaffung braucht Vorstellungskraft und kontrollierte Phantasie

115

Sonja Hammerschmid Kreative Kombination erzeugt Mehrwert

121

Kapitel 7 Ergebnisse einer Repräsentativ-Studie der GfK Austria Sozialforschung

125

Angelika Kofler Denken, Fühlen und Wollen in Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft Das österreichische Verständnis von Phantasie

127

Kapitel 8 Die Abschlussdiskussion

143

Personenverzeichnis 161 Danksagung 164



Erhard Busek

Vorwort

Ein Plädoyer Wer über Kultur spricht, muss selbstverständlich wissen, welche bedeutende Rolle die Phantasie darin spielt. Wir hätten kein künstlerisches Schaffen und keine Musik, keine Bilder, keine Romane, kein Theater, gäbe es nicht die Begabung zur Phantasie, für Träume oder auch die Wege ins Irreale. Aber was hat Phantasie mit Wirtschaft zu tun? Natürlich sehr viel. Gerade auch die Wirtschaft braucht Phantasie, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Es geht dabei nicht nur um die Phantasie, wie man Märkte erschließen kann, das ist nur ein vordergründiges Beispiel, sondern auch um die Phantasie, wie man neue Produkte und Dienstleistungen erfindet, entwickelt und anbietet. Auch Forschung und Wissenschaften stehen am Anfang dieser Kette, in der sich die Phantasie in vielen Gestalten manifestiert: vom Geistreichtum und Genieblitz über Ideen und Innovationen bis hin zum kaufmännischen Talent. Der Erfolg der Wirtschaft im Lauf der Menschheitsgeschichte ist nichts anderes als das Ergebnis von umgesetzter, realisierter und materialisierter Phantasie. Phantasie gehört eben nicht nur zu den schönen Künsten, sondern sie gestaltet auch das Wirtschaftsgeschehen und unseren Alltag auf eine beachtliche Weise mit. Kultur und Wirtschaft als einen Gegensatz zu denken, ist daher unangebracht. Vielmehr brauchen wir die permanente Auseinandersetzung über die Wechselwirkungen zwischen den beiden Bereichen. Dazu trägt die Reihe „Kultur und Wirtschaft“ des Europäischen Forums Alpbach mit Unterstützung der Gedächtnisstiftung Peter Kaiser (1793–1864) seit Jahren bei und vertieft jeweils ein aktuelles, vom Programmkomitee als wichtig erachtetes Thema, um mit dessen speziellen Aspekten die Beziehungen zwischen den beiden Welten auszuleuchten. Diesmal also: Phantasie in Kultur und Wirtschaft. Denn gerade in Zeiten der vielfach beschriebenen Krise gehört der Phantasie in Wirklichkeit ein noch größerer Raum gegeben! Wer befürchtet, dass mit Phantasie Realitätsverlust verbunden sei, dem muss entgegengehalten werden, dass eben das Phantasievolle oder gar das 9


Phantastische uns neue Wirklichkeiten eröffnet – die wir notwendig brauchen. Wir sind zwar sehr phantasievoll im Herbeireden von allen nur möglichen Krisenszenarien, weniger jedoch in der Vermittlung von Lösungen oder gar Hoffnungen. Aber genau diese Perspektive ist von entscheidender Bedeutung, denn nur mit irgendeiner Aussicht, mit einem gewissen Optimismus kann man manche Krisensituation oder Schwierigkeit bewältigen, ja: vielleicht auch nutzen, um zu neuen Ergebnissen und Angeboten zu kommen. Die Themenwahl selbst ist also auch schon ein Plädoyer für Phantasie, der in der öffentlichen Diskussion zu wenig Raum gegeben wird. Mit zielgerichteten Auseinandersetzungen über die per se unermessliche Phantasie sind dem Europäischen Forum Alpbach an der Leopold Franzens-Universität Innsbruck wieder reichhaltige Tage gelungen. Natürlich liegt es, bei diesem Thema vielleicht noch mehr als sonst, in der Natur der Sache, dass nicht alle Facetten ausgeschöpft werden konnten – aber die weiteren Ergänzungen und Gedankenflüge können wir ruhig auch der Phantasie der Tagungsteilnehmer und der Leser überlassen. Wir freuen uns, diesen Band, den 12. der Reihe „Kultur und Wirtschaft“ präsentieren zu können und danken allen, die es uns wieder ermöglicht haben: den Referenten und Autoren, den Programmgestaltern und Sponsoren, aber insgesamt auch allen Menschen, die bereit sind, der Phantasie freien Lauf zu lassen, um daraus Schöpferisches für unsere Welt zu gewinnen. Dr. Erhard Busek Europäisches Forum Alpbach

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Kapitel 1 Zur Lage. Und die Aussichten. Die Erรถffnungsrede



Bazon Brock

Phantasie in der Ohnmacht – Wirklichkeitssinn durch Möglichkeitssinn „Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, daß er seine Daseinsberechtigung hat, dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehn; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften In Anknüpfung an das Musil-Zitat kann man sich leicht vorstellen, was bei einer Systematisierung dieses Ansatzes herauskäme: nämlich parallel zur Geschichte bzw. anstelle der Geschichte des faktisch Geschehenen eine Geschichte des Nichtgeschehenen zu setzen. Diese Geschichte des Nichtgeschehenen bezöge sich aber nicht einfach auf das, was nicht stattfand, sondern vielmehr darauf, was durch eine andere Aktionsform bestimmt wäre, zum Beispiel durch die Aktionsform des Unterlassens als eine Art des Handelns. Denken Sie etwa an die Entwicklungen gegen bestimmte faktische Gegebenheiten im Wirtschaftsleben, sagen wir in der Plutoniumwirtschaft, etabliert in den Atomkraftwerken; denken Sie an die Bewegung dagegen, dann verstehen Sie, was mit der Geschichte des Nichtgeschehenen gemeint ist: die Ereignishaftigkeit dessen, was unterlassen wurde. Wie Sie alle wissen, verlangt das zu Unterlassende oft viel mehr Aktionsfähigkeit oder Phantasie, Vorstellungsvermögen und Aktionslust als das tatsächlich Geschehene. Sie brauchen nur an Ihre Leidenschaft als Raucher zu denken: Zu rauchen ist für den Raucher eine großartige Sache, aber nicht zu rauchen, verlangt ihm eine höhere Anstrengung ab als das Rauchen selbst. Und das gilt prinzipiell für alles historische Tun. Das Unterlassen ist inzwischen die entscheidende Form des Handelns geworden. Es ist nicht: nichts tun, sondern nicht tun – wobei wir die ältesten Traditionen, etwa den Buddhismus mit Laotse als Autor rund 500 v. Chr., mit verschiede13


nen Traditionen anderer Zeiträume ohne Weiteres in Übereinstimmung bringen können. Das bedeutet nun, dass wir unsere Untersuchung im Hinblick auf den Möglichkeitssinn und auf die Phantasie in einer anderen Weise zu führen haben. Wir können nicht mehr der Naivität folgen, die 1968 forderte: Phantasie an die Macht! Die Herrschaften, die das gefordert haben, sind heute im Pensionsalter und beziehen durchschnittlich 20.000 Euro Monatssalär, etwa als Europaabgeordnete und Pensionäre lokaler Parlamente – so dass man ihnen nur bestätigen kann, Phantasie an die Macht hieß: an die Töpfe zu kommen, an die sie schließlich auch angeschlossen worden sind. Die höchsten Repräsentanten – denken Sie nur an einen Mann wie Joschka Fischer – sind heute Großverdiener unter all denen, die damals gefordert haben, die Alternative als der Möglichkeitssinn, also die Phantasie habe endlich anerkannt zu werden. Und man kann nun nur bestätigen: Wer 18.000 oder 20.000 Euro für einen Vortrag bekommt, der hat wirklich die Phantasie auf seiner Seite! Alles, was er sagen kann, müsste das Publikum ja nur auffordern, sich die Rede selbst zu halten – denn das bisschen Geschnurre, das der Redner vorträgt, ist keine 800 Euro wert. Mein zweiter Aspekt der alltäglichen Anschauung für die Phantasie in Wirtschaft und Kultur stammt aus jüngster Erfahrung, sagen wir aus den letzten fünf Jahren. Es ist doch wohl so, dass die große Krise – mit all ihren verschiedensten Nachfolgekrisen –, die die gesamte westliche Welt erfasst hat, durch zu viel Phantasie entstanden ist. Die Finanzindustrie hat das Desaster durch eine unglaubliche Phantasie beim Entwerfen strukturierter Produkte entwickelt. Diese Produkte waren so phantasievoll, dass sie schließlich von niemandem mehr beherrscht werden konnten – und dazu den Vorteil hatten, dass niemand für sie verantwortlich gemacht werden konnte, weil sie aus der Hand der Akteure in das Medium der technischen Realisateure, der Hochgeschwindigkeitsrechner in den Börsen, übergegangen waren. Phantasie an die Macht ist also einerseits eine Aufforderung, sich an den Fleischtöpfen der Gesellschaft zu bedienen, und andererseits die Aufforderung zu einer Form legaler Kriminalität. Wir müssen feststellen, dass sich zwischen diesen beiden Großbereichen das Auf-die-KackeHauen – eine deutsche Redewendung, aber hoffähig, also die Sau rauslassen, mal richtig zeigen, was man alles kann – Allmachtsphantasien entwickeln, wie wir sie etwa beim Führer eines unserer großen Verlagshäuser und anderswo sahen. Der Betreffende hat seine Phantasie für dieses Superding, das Höchste aller Vorstellbarkeiten auch in der Erfindung eines Namens entwickelt: In Arcandor knüpfte er das Arkanische und Or, das Gold, zusammen, er wollte also ausdrücken, dass das, was diese Manager des Empire, was diese Herrscher der Welt zustandebringen, wirklich den Ausdruck des Höchsten, Kostbarsten in der europäischen Geschichte darstellt. Arkanisches Wissen von vergoldeter Qualität, also 14


von Angeboten, die man nicht ablehnen kann. Genau das kennzeichnet ja die legale Kriminalität. Wie Sie wissen, ist die Geschichte nicht bestimmt durch Auseinandersetzungen zwischen Rassen, Klassen, Geschlechtern und Ähnlichem, sondern zwischen legaler und illegaler Kriminalität. Der Staat ist auf der Seite der legalen Kriminalität, denn was er tut, ist per se legal und alle anderen, die dasselbe tun, aber in Gegnerschaft zum Staat, sind damit illegal. Eine alte Weisheit lautet: Zwischen einer kriminellen Bande und einem legalen Staat gibt es keinen Unterschied außer den, dass das eine legal ist und das andere illegal. Das führt, aus der Konsequenz dieses Pathos, die Phantasie an die Macht. Es gibt heute keinen Bereich, in dem die Phantasie so stark an der Macht ist wie in dem der Kriminalität. Und das beweist eigentlich wirklich, dass man mit dieser Forderung sehr leichtfertig umgegangen ist, ja vielleicht sogar in bewusster Absicht provokativ, um zu zeigen, was denn tatsächlich die Wirksamkeit von Phantasien bedeutet – nämlich ein Entkopplungsgeschehen, das auf der anderen Seite natürlich mit dem Kopplungsgeschehen verwandt ist, also zur Anthropologie unserer Fähigkeit gehört, Verbindlichkeiten zu erzeugen. Das eine ist die menschliche Fähigkeit, zu antizipieren, also im Voraus virtuell und gedanklich abzuschätzen, was wohl die Konsequenzen einer bestimmten Handlung sein könnten. Wenn vor 25.000 Jahren in einer Höhle 18 Männer zwischen 15 und 24 Jahren saßen und eine entsprechende Anzahl von Frauen mit Kindern, dann musste Nahrung herbeigeschafft werden. Die war nur zu beschaffen, wenn sich die fünfzehn- bis vierundzwanzigjährigen Männer zusammensetzten und ununterbrochen antizipierten, sich also vorstellten, was passieren würde, sobald einer von ihnen den Kopf aus der Höhle heraussteckte. Man weiß das heute aus großen Sammlungen in Südafrika, wo es ganze Pyramiden von Scalps, Schädeln und Knochen gibt, an denen man noch die Spuren der Greiftatzen sieht, die dem ersten, der unvorsichtigerweise nicht antizipierend den Kopf aus der Höhle steckte, sofort den Scalp abgezogen haben. Man musste also lernen zu antizipieren, das heißt, alles zu erwarten, was als Konsequenz des Herausgehens aus der Höhle möglich wäre, um durch die Erwartung des Schlimmsten – im späteren Johanneischen Sinne heißt das dann: apokalyptisches Denken – die Fähigkeit zu gewinnen, dem Schrecken zu widerstehen. Denn nur wer mit dem Schlimmsten rechnet, kann überhaupt irgendeinen Optimismus begründen, dem schlimmsten drohenden Möglichen, dem größten Unfall begegnen zu können, indem er damit auf eine sinnvolle Weise umzugehen lernt. Mit anderen Worten: Wir sind prinzipiell von der Fähigkeit abhängig, zu antizipieren, was die Konsequenzen einer koordinierten, also im Sozialverband entwickelten wie auch von den Individuen getragenen Handlungsabsicht darstellt. Die Menschen verknüpften immer schon das Tun mit den Konsequenzen des Tuns unter bestimmten Bedingungen, bei einem Erdrutsch, einem reißenden Bach, wilden Tieren, Schlangen, bei 15


giftigem Kraut, mit dem man zu rechnen hatte, wenn man auf die Jagd ging. Und nur wenn man mit dem Schlimmsten rechnete, hatte man die Chance, tatsächlich zurückzukommen. Dieses Verhalten wird heute noch von jedem Trainer für Rennfahrer, Hochgeschwindigkeitsleister oder auch Tennisspieler gelehrt und angewendet. Bei Tennisspielern geht die Antizipationskraft so weit – aber das funktioniert erst nach tausenden Trainingsstunden –, dass sie einen Schlag des Gegners bereits antizipieren können, bevor er ausgeführt wird. Damit beginnt das Profi-Tennis. Bei den Rennfahrern ist dieses Verhalten ebenfalls einsehbar; denn wer sich in einen Wagen setzte, um loszufahren und Rennfahrer zu werden, hätte keine Chance – er wäre tot, bevor er irgendetwas gelernt hätte. Er muss also vorweg antizipieren, was es eigentlich bedeutet, sich mit einem solchen Gefährt unter bestimmten Bedingungen auf einer Strecke zu bewegen. Wenn er das tausende Male virtuell im Kopf getan hat, bis hinein in die letzten zehn Zentimeter des Straßenbelags, in alle Kurvenführungen und sonstigen Bedingungen, lässt man ihn zum ersten Mal in einen Rennwagen einsteigen, um dann tatsächlich mit der kalkulierbaren Chance rechnen zu können, dass der Mann am Ende der Strecke, wenn auch nicht nach optimalen Leistungen, aber immerhin lebend aus dem Wagen herausgehoben werden kann. Bei der Antizipation verkoppelt sich also das beabsichtigte Tun mit den erwartbaren Konsequenzen des Handelns. Beim Gegenmodell, das wir normalerweise Traumgeschehen nennen und das auch eine bestimmte Ausformung der Phantasie ist, wird hingegen entkoppelt; die eingeschliffenen Konsequenzen, die Folgen eines Handelns werden aufgehoben, damit eine Abkopplung bestimmter Vorstellungen oder erwartbarer, interpsychischer Vorgänge (wie etwa die Bewertung virtuell angenommener Folgen) ermöglicht wird – so dass der Mensch nicht mehr auf ein starres Reaktionsschema fixiert ist. Durch dieses Entkoppeln lässt sich eine Freiheit gewinnen, die allerdings durch erneute Vermittlung und Verknüpfung von Handlungen und Folgen wieder zu einer Art von Verkopplung von Erfahrung führen muss. Dadurch lässt sich ein Wechselspiel zwischen Antizipation und Phantasie entwickeln, das Anthropologen sehr gut beschrieben haben. Der erste historische Höhepunkt dieser Beschreibung ist das Johannesevangelium. Im Bericht des Johannes auf Patmos wird beschrieben, was dieses Vorgehen anthropologisch bedeutet – nämlich das Einüben von apokalyptischem Denken. Apokalypse heißt auf Griechisch nichts anderes als der Vorschein des Endes, also der Konsequenzen der Handlungen. Apo kalypsein heißt nichts anderes, als: Ich beginne mit dem Ende. Das wird von Johannes ganz einfach beschrieben. Wer einen Tisch bauen will, kann nicht Holz herumschmeißen und einfach drauflossägen und -nageln. Das führt zu nichts. Er muss mit dem Ende der Operation, einen Tisch herzustellen, beginnen, also mit der Vorstellung des Tisches. Das Modell des Tisches ist der Anfang der vernünftigen Arbeit 16


eines Tischlers. Apokalypse meint hier die Fähigkeit, vom Endpunkt – den Konsequenzen des Handelns – auszugehen und damit den Beginn zu begründen. Das ist in diesem Sinne mit dem lateinischen Wort initium oder Initialkraft, wie Augustinus das genannt hat, verbunden. Man kann erst wirklich wirksam werden wollen, wenn man diese Zusammenhänge beherrscht, nämlich seine Annahme des erfahrungsgemäßen Risikos jedes Handelns unter bestimmten Bedingungen, weil man nicht Herr der Welt ist, sondern immer abhängig ist von einer Reihe von Bedingungen. Man kann sich selbst den Mut oder den Humor, wie es damals schon hieß, oder eben die Positivität der Einstellung nur zutrauen oder aneignen, wenn man mit dem Schlimmsten gerechnet hat, das heißt mit dem Ende, das jeden Handelnden am meisten schreckt: dass er nämlich seine Intention, seinen Willen nicht durchsetzen kann, dass er scheitert. Mit anderen Worten, die normale Voraussetzung für die Initiativkraft des Handelns ist die Möglichkeit des Scheiterns. Wer nicht mit der Möglichkeit des Scheiterns rechnet, ist ein Idiot, ein Kölner, heißt es auf Deutsch. „Es hätt noch immer jot jejange“, sagen die Kölner. Es ist immer gut gegangen – bis dann eben das Stadtarchiv eingestürzt ist und damit das Gedächtnis ausgelöscht wurde. Und das finden die Kölner auch noch gut, das ist auch „jot jejange“. Jetzt weiß keiner mehr Bescheid über die Machenschaften des Klüngels in Köln – Gottseidank hat die Erde alles verschlungen, ist alles der Hölle anheimgefallen. Es gibt also eine Restriktion für unser Generalthema „Phantasie an die Macht“. Das ist nicht die freie Phantasiefeier dieser kindlichen Vorstellung der Achtundsechziger, es ist auch nicht die Aufforderung, sich wie die Banker besonders phantasievolle Produkte auszudenken, um die Kunden auf legale Weise kriminell übers Ohr zu hauen. Sondern es geht um eine bestimmte Art der Vermittlung zwischen der Initiativkraft im Sinne der Entwicklung neuer Handlungsstrategien und der Möglichkeit, Verantwortung für dieses Handeln zu übernehmen – weil man den Bereich der Möglichkeiten, der sich aus dem Handeln ergibt, auch in Rechnung stellt. Es ist nämlich gar nicht klar, mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Handlungsfolgen zu gewärtigen sind. Das nehmen wir natürlich alle in Anspruch, wenn wir zum Beispiel sagen: „Das habe ich nicht gewollt. Ich wollte etwas ganz anderes, aber leider ist das dabei herausgekommen“. Nach 1945 ist das in Deutschland ein bekannter Entlastungstopos gewesen. Es kommt also darauf an zu kapieren, dass es um ein Spektrum von möglichen Handlungsfolgen geht, die man antizipieren muss – und auf die man sich aber nicht im Sinne einer Mechanik des Abkoppelns von Handlungsfolgen verlassen kann, so dass es wie von selbst zu einer traumhaften Entlastung käme. Im Traum finden Sie natürlich die Fähigkeit, sich von jeder Art von Bedingtheit der Verhältnisse zu entfernen. Das Traumerlebnis ist ja gerade die Erfahrung der Entkopplung zwischen Handlung und Konsequenzen oder verschiedenen anderen Determinan17


ten, so dass man dann eine neue Ebene der Bewältigung entwickelt kann, die hier in Österreich – wie Herr Busek schon gesagt hat – am intensivsten von Robert Musil in die Debatte eingebracht wurde. Nicht, dass das nicht vorher diskutiert worden wäre, in den Sprachwissenschaften gerade in Österreich wurde es das schon sehr lange, von Freud und vielen anderen, aber derartig prägnant, wie es Musil im Hinblick auf den Möglichkeitssinn gemacht hat, war es davor jedoch noch nicht geschehen. Diese neue Lösung der Vermittlung zwischen den Ebenen lässt sich auch auf das Verhältnis von Kunst und Wissenschaften übertragen – wobei ich darauf aufmerksam mache, dass in dem Generalthema gar nicht vorkommt, was wir hier ausnehmend behaupten: dass Kunst und Wissenschaft die Phantasie, die Kreativität besonders fördernde Disziplinen seien. Kunst und Wissenschaft zeichnen sich doch dadurch aus, dass sie aus dem kulturellen Kontext ausgegliedert wurden; seit 1400 erst gibt es Kunst und Wissenschaft, die nicht mehr kulturell bestimmt werden. Wer Chemie betreibt, kann sich nicht auf seine kulturelle Identität berufen. Ob er Jude, Schwarzer, Grüner oder Blauer ist, spielt für die Tatsache, dass er Chemie betreibt, keine Rolle. Wer Chemie als Wissenschaft betreibt, ist prinzipiell aus jeder Art von kultureller Legitimation entlassen. Das Gleiche galt für die Künstler. Beide sind sozial koevolutioniert. Die beiden – Kunst und Wissenschaft – haben sich als parallele Strategien entwickelt, zur Entlastung von kulturellem Druck. Hier, auf diesem Podium, gibt es nur Kultur und Wirtschaft. Aber die passen tatsächlich zusammen, denn, wie Sie wissen, haben ja alle Wirtschaftler nebenbei eine Corporate Culture, bekennen sich also zum Suprematie-Schema der kulturellen Distinktion, auch im wirtschaftlichen Handeln; insofern ist die Kopplung richtig. Wieso behandeln wir jetzt Kunst und Wissenschaft wieder als die exklusiven Fächer, die uns vermeintlich all die alternativen Strategien eröffnen? Das geht nicht einfach, indem immer nur behauptet wird, die Künste seien ja so wahnsinnig kreativ. Das ist alles Schmockes! Die Wissenschaftler sind genauso kreativ, auch die Wirtschaftler sind genauso kreativ, mitsamt der Fähigkeit, sich am Abkopplungs- und Entkopplungsgeschehen beziehungsweise an der Verbindlichkeitsstiftung von Handeln und Konsequenzen zu beteiligen. Alle Disziplinen sind an das prinzipielle Vermögen der Menschen gekoppelt und diesbezüglich nicht nach Sparten unterscheidbar. Man kann sogar behaupten, dass es sehr kreative Straßenfeger gibt. Es kommt nicht nur darauf an, in welchem Spektrum sich diese Fähigkeit äußern können, sondern darauf – das ist das Neue an der Entwicklung dieser Strategie –, dass man zwischen dem Wirklichkeitssinn und dem Möglichkeitssinn nicht mehr im Sinne der bloßen Kontingenz unterscheidet, „es könnte auch alles anders sein, ist aber leider nicht zu ändern“. Alles ist auf irgendeine Weise historisch zufällig entstanden – kann sich aber doch ändern lassen, wie unsere Sitten, 18


unsere Moral etcetera. Das möchte ich in Ihrer Alltagsphantasie wieder verankern. Wenn Sie achtzehn- bis zwanzigjährig Ihre sozialen Erfahrungen dahingehend gemacht haben, dass Sie vielleicht zehn junge gegengeschlechtliche Menschen kennengelernt haben, von denen Sie sagen würden, mit denen könnte ich mich auf längere Zeit zusammentun, eine Ehe schließen, eine Sozialpartnerschaft entwickeln, dann werden Sie sich schließlich für eine unter diesen zehn Möglichkeiten entscheiden. Das Entscheidende bei einer funktionierenden Partnerschaft, einer Ehe, ist dann, dass in dieser faktischen, wirklich gegebenen Beziehung alle anderen Möglichkeiten, die jemand vor seiner Entscheidung hatte, erhalten bleiben. Und zwar als Möglichkeiten, die wir als eine Art von phantasievoller Orientierung akzeptieren. Sexualphantasien sind das bekannteste, aus Wien stammende Beispiel für diese Art der Orientierung. Und wehe der Ehe, bei der die Partner sich wechselseitig nicht erlauben, sich auf alle Zeiten auch potentiell auf alle anderen Formen der Beziehung einzulassen! Aber als Möglichkeiten! Nicht so wie Liz Taylor, die nach dem ersten Mann den zweiten heiratet, dann den dritten, vierten, fünften, sechsten, siebten, achten und am Ende dasteht und sagt: „Wo ist die Alternative? Ich habe keine gefunden. Alle sind ja völlig gleich.“ Welche Wahl auch immer, die entscheidende Fähigkeit sollte darin bestehen, das, was wirklich ist, als solches zu erkennen und zu akzeptieren und dadurch fähig zu sein, sich auf den Möglichkeitshorizont zu orientieren und ihn in Hinblick auf das Mögliche zu aktivieren, damit das Wirkliche seine Bestimmungen erhält: nämlich, uns von beliebigen Wahnhaftigkeiten zu unterscheiden. Denn wenn alles wirklich wäre, was wir für möglich halten, im Sinne einer bloßen Durchsetzung einer Strategie, wären wir alle psychiatriereif. Davor schützt uns Gott sei Dank die Bürokratie. Das ist eine von den römischen Institutionen geschaffene Fähigkeit, den Mutwillen der Durchsetzung von etwas für möglich und wünschbar Gehaltenem unter Kontrolle zu bringen. Das heißt, es wäre furchtbar, wenn es uns gelänge, auf ein Fingerschnipsen hin zu realisieren, was wir uns wünschen können. Dann wäre die Welt innerhalb von vierzehn Tagen ruiniert. Das wussten die Römer und haben deswegen dem individuellen Mutwillen und der Übersetzung von Möglichkeiten in Wirklichkeiten die Bürokratie entgegengesetzt, die strikt nach Regeln kontrolliert, welche Art von Übertragung aus dem Möglichkeits- in den Wirklichkeitsbereich denkbar ist und wie dann, sobald eine Möglichkeit realisiert wird, das Wirkliche nicht gleich gelöscht wird, sondern man dafür sorgen muss, dass etwas übrig bleibt. Damit erfand man auch die grandiose Institution des Museums. Im Museum landet nämlich alles, was in diesem Sinne als Abfall oder strahlender Müll im großen atomaren Bereich übrig bleibt. Der strahlende Müll als das eigentliche Problem der atomaren Wirtschaft, der Energiewirtschaft, muss unter Containment gestellt werden. Das heißt, 19


der Gedanke des Museums zeigt uns, wie ungeheuer intelligent es ist, die nicht mehr in der bloßen Konfrontation mit den Möglichkeiten wahrgenommenen, sondern durch die Realisierung von Möglichkeiten abgelöschten Wirklichkeiten unter Verwahrung zu stellen, damit sie sozusagen im Containment gebannt werden und nicht als Gespenster wiederkehren können – wie heute der Feudalismus, der als Gespenst in die nicht mehr demokratische Verfasstheit westlicher Gesellschaften zurückkehrt. Amerikanische Sozialwissenschaftler haben übereinstimmend festgestellt, dass Amerika keine Demokratie ist, sondern eine Oligokratie. Das wäre also ein wiedergekehrtes Gespenst, in diesem Falle zurückführend auf Aristoteles, der die Definitionen dieser Verhältnisse gegeben hat. Um das Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit neu zu bestimmen, ließe sich auch das Verhältnis von Theologie und Technologie ausleuchten. Alles, was die Theologie je postuliert hat bis in die 1400er Jahre, ist durch die Technologie realisiert worden. Denken Sie nur an so etwas wie das Inkarnieren der Welt, das Aufnehmen der Welt. Da muss man kein katholisches Wandlungsläuten mehr zelebrieren wie „Jetzt wird das Wasser zu Wein und der Wein zum Blut Christi, die Oblate zum Körper“, sondern das sagt man heute zu jedem Hasenbraten oder jedem Salathäppchen. Wenn man dazu nicht sagt, „Werde mein Leib, werde mein Blut!“, ist man schlicht nicht lebensfähig. Mit anderen Worten, die Theologie hatte damit schon die Anthropologie definiert, und die Definition der Theologie als Anthropologie wurde von der Technologie realisiert. Es ist gar keine Frage, dass beispielsweise so etwas Komplexes, wie die Auferstehung technologisch durch die Repeat-Taste gelöst ist. Marlene Dietrich ist jetzt etwa vierzig Jahre tot. Ich drücke auf die kleine Taste und die DVD spielt mir die lebendige Marlene Dietrich in jedem Format vor, sogar in 3D, so dass ich Schwierigkeiten habe zu unterscheiden, welche Variante das Real-Life-Erlebnis vor 40 Jahren gewesen ist, falls ich die Chance hatte, sie zu erleben. Mit anderen Worten, es gibt keinen einzigen theologischen Satz der Durchdringung der Welt durch Spiritualität, der nicht durch die Technologie eingeholt worden ist. Das führte zu einem ungeheuren Triumph der Technologie, bis ungefähr 1900, 1905, 1910, als dann plötzlich die Reaktion einsetzte, dass nämlich Max Weber sagte, durch diese Art der Verwirklichung von Theologie durch Technologie sei die Welt entzaubert worden. Wo bleiben die Götter, wenn wir sie doch hier auf der Bühne vorführen können? Wenn wir alles, Telepathie, Telekommunikation – das ist nichts anderes als die Gottesbeziehung–, wenn wir das alles auf kürzestem Wege für uns realisieren können. Max Webers These von der Entzauberung der Welt bedeutete nichts anderes, als dass die theologische Dimension durch die technologische Verwirklichung der Theologie verloren gegangen ist. Darauf setzte eine Gegenbewegung ein, es wurde gesagt: Jetzt müssen wir diese Theo-Technologie, also die Umsetzung der Theologie durch Technologie, wieder in eine Techno-Theologie verwandeln. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass 20


die ganz normalen technischen Vorgänge von wunderbaren Phantasien, von spirituellen Seancen begleitet werden. Es setzte dann eine Bewegung ein, die Wassily Kandinsky und andere vor genau hundert Jahren in der Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ beschrieben haben. Sie sahen in banalsten Vorgängen wie im Lichtan­ machen oder im Fotoapparatbedienen so etwas wie Aura, Phantasma­gorie, Wiederkehr eines Spiritualleibes. Die Technologien wurden benutzt, um eine neue Theologie aufzubauen. Und in dieser Bewegung befinden wir uns noch heute. Sie können auf der Welt tausende von Kommunen finden, die jede Art von technischer Besonderheit in den Mittelpunkt von Kulten gestellt haben, die Phantasien mobilisieren. – Was ich also hier als meine Forderung, als meine Empfehlung abgeben würde, wäre: In welchem Verhältnis befinden sich grundlegende Bewegungen? Ist die Verwirklichung der Theologie durch Technologie und ist die Theologisierung der Techno­logie als Gegenbewegung heute schon in dem Stadium, in dem wir sie wieder auf die Ebene der gut beschreibbaren Vorgaben von Antizipation und traumhafter Entkoppelung zurückbinden können? Muss die Entkoppelung in den Vordergrund gestellt werden? Das wäre eine surrealistische Phantasie, das wäre künstlerische Erzeugung von Fragmentarismus, von Singularitäten aus dem Bruch, aus der Zusammenhanglosigkeit. Wo der Zusammenhang so fest geworden ist, dass er fesselt, muss man ihn zerstören. Das sind also alte Praktiken der Entkoppelung, die es jetzt seit achtzig Jahren systematisch gegeben hat. Wenn das nicht mehr zieht, wenn man die Aussage, „Der Künstler möchte mit seinen Arbeiten unsere eingefahrenen Sehweisen verändern“ und diesen ganze Schmockes, der aus dem Feuilleton kommt, nicht mehr hören kann, dann ist die Frage: Was kommt dann an Stelle dieser Art von techno­-theologischer Begründung? Bloßes Verändern der Sehgewohnheiten? Wie also wäre jetzt dieses Verhältnis zu beschreiben? Es ist nicht in der kulturpessimistischen Sicht von bürokratischer Fixierung hier und Chaos dort zu beschreiben. Das wird zwar immer wieder vorgegeben, hat aber angesichts der Banalität des Wunders eigentlich eine andere Dimen­ sion als herkömmlich angenommen. Die Technik war ja das größte Wunder von allen; in der Telekommunikation findet sich die Gottdefinition des „Fernen“, des „Dunklen“, des „Abwesenden“, des „nicht Erreichbaren“; und jetzt ist auch diese Gottdefinition technologisch phantastisch realisiert. Wenn wir es also tatsächlich als nötig empfinden würden, das Verhältnis von Technologie und Theologie zu beschreiben, wenn in dieser Banalität der theologischen Gedanken, realisiert als Technologie, die Sehnsucht nach einer neuen Verklärung der Welt in eine Art von Vielwertigkeit, Vieldeutigkeit zurückgegeben wird, wir aber andererseits gar nicht zulassen können, dass jeder seine Beliebigkeiten in Hinblick auf die Gesetzesordnung entwickelt – was heißt das, wohin führt das? Die Misere dieser Art setzt sich in dem Begriff „Multikultur“ fort. Es ist geradezu schandhaft, was man betreibt, wenn man von Multikultur 21


spricht. Eine Kultur wird dadurch definiert, dass eine Sozialgemeinschaft Verbindlichkeiten schafft im Hinblick auf die Gesetze, nach denen sie operiert. Souverän ist sie im Hinblick darauf, dass sie ihre materielle, physische Reproduktion selber bestimmen kann. Wir können also heute bestenfalls von Multifolklore sprechen anstatt von Multikultur. Multifolklore, also einerseits Schleier, andererseits Seppelhosen, ist uns aus dem Varieté, aus der Amüsierbranche und den phantastischen Phantasialändern der Disneybranche längst bekannt, führt aber zu nichts. Da muss man schon neu denken, was eigentlich gemeint sein könnte mit diesem Nebeneinander des Unterschiedlichen in der autonomen Orientierung einer Gesellschaft als Kultur. Es geht also um eine neue Definition von Zivilisation. Das ist ein Projekt, das seit zweitausend Jahren läuft. Unsere Probleme hatten die Römer zu Augustus’ Zeiten genauso: 184 verschiedene Sprachen in hunderten von Kulturgemeinschaften, die vom römischen Imperium alle gleichermaßen auf der Ebene der steuerrechtlichen Orientierung befriedigt werden mussten. Da musste man sich etwas Neues einfallen lassen. Das Neue hieß und heißt Zivilisation. Es geht um die Frage, wie viel Phantasie, wie viel Möglichkeitsdenken wir angesichts unserer heutigen Wirklichkeit entwickeln müssen, um diesen Weg in die europäische Zivilisation oder sogar Weltzivilisation anzustreben. Vorgaben sind gemacht: dieselben wissenschaftlichen Standards im Luftverkehr der ganzen Welt, im Kommunikationssystem der ganzen Welt, im Handel etcetera. Und dennoch will es nicht gelingen, das auf der Basis bloßer Standardisierung technologischer Realisationsmöglichkeiten zu sehen. Was heißt – und das ist wiederum eine Eröffnung des Möglichkeitssinns – überhaupt „Einheit in der Verschiedenheit“, die ja doch die Grundlage für unterschiedliche Vorstellungen auf begrenzten Territorien ist? Was heißt es, mit unterschiedlichen Ansprüchen kultureller, religiöser Herkünfte friedvoll zusammenleben zu können? Das wäre meiner Ansicht nach eigentlich das Ziel für eine solche Konferenz. Das verlangt wirklich, sich darauf zu orientieren, was noch nicht gedacht ist, denn wenn es schon gedacht wäre, wüsste man ja, wie man weiterkäme. Es weiß aber keiner, wie man weiterkommt. Man steht an der Grenze der Bearbeitung eines Problems, bei dem man sagt, es gibt vorerst keine Lösung. Inzwischen wird jedem normalen Menschen zugemutet: Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Ein Herzmittel ist zwar hilfreich für die Beseitigung der Herzinsuffizienz, wird Ihnen aber einen Nieren- und Leberschaden bringen. Sie selber müssen also entscheiden, wie Sie sich im Hinblick auf die Wechselwirkungen zwischen bewusstem, gewolltem Nutzen und erwarteten Nebenwirkungen positionieren, wie Ihre Medikamententreue oder Ihre Therapietreue aussieht. Da verlangt es jetzt Phantasie im Sinne eines Möglichkeitshorizonts – der nicht bedeutet, dass wir jederzeit beliebig unsere jetzt gegebene Wirklichkeit verändern können –, wenn wir uns 22


im Hinblick auf die Bedrohung einen neuen Ansatz, Initiativkraft geben wollen. Insofern verstehe ich das Thema auch als Frage: Was sind die Ini­ tiativkräfte, unter denen wir heute diesen ungeheuer schwierigen Anforderungen, dem Gedanken nach, überhaupt gewachsen sein können, geschweige denn, dass wir das auch durchführen? In der Geschichte des Nichtgeschehenen steckt mehr Macht als in der Geschichte des Geschehenen. Es reicht, wenn wir dazu kämen, uns das jetzt vorstellen und antizipieren zu können, um dann auf die tatsächliche Umsetzung zu warten, in welcher Weise auch immer. Das wäre für mich die Aufgabe.

Der Text folgt dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Kapitel 2 Der z端ndende Funke



Marianne Gruber

Einleitung: Was aber ist Phantasie? Der zündende Funke – jeder von uns kennt ihn. Ein Problem erfährt plötzlich eine Lösung, eine Idee taucht auf, die Vorstellung von etwas, das noch nicht (da) ist, die sich der Phantasie verdankt. Man hat ihr die Gestalt eines geflügelten Pferdes, des Pegasus oder eines Einhorn zugewiesen. Aber was ist Phantasie? Schon Aristoteles beschäftigt sich mit dieser Frage. Jaques Lacan nennt sie eine Narbenspur in uns. Von dem Philosophen Ulrich Sonnemann ist der Ausspruch erhalten, Phantasie sei die Bewegungslust des Geistes – eine Formulierung, die an einen ungarischen Philosophen und Mathematiker, Literatur- und Erkenntnistheoretiker des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts erinnert, an Melchior Silberstein, ungarisch Menyhért Palágyi. Er spricht von einer Bewegungsphantasie und meint, dass beim vorausschauenden, planenden Wollen Phantasie nötig sei. Goethe, der sich zu Kant sonst nicht geäußert hat, meldet sich zu Wort, als Kant als die drei Grundvermögen der Seele das Denken, Fühlen und Wollen benennt, und der Dichter fordert die Phantasie als vierte Kategorie ein, spricht aber im Zusammenhang mit den exakten Wissenschaften auch von exakter Phantasie. Wenn man im Lexikon nachschlägt, findet man als Synonyma für Phantasie: Vorstellungskraft, Einbildungskraft, Einfallsreichtum, Trugbild, Traumgebilde. Hier zeichnet sich eine Linie ab, vom Konkreten weg zu etwas hin, das zu schweben scheint. Phantasie tritt mehrdeutig auf und folgerichtig als amoralisch. Das Einhorn kann auch böse sein. Moral mag sie beschneiden, ist jedoch in keiner Weise ihr Thema. Eine andere Theorie beschreibt sie als Kraft, als eine Kraft, die von innen nach außen strebt, die auf Weltergreifung ausgerichtet ist. Anfangs noch ein blindes Welt-Begehren, eignet sich diese Kraft auf dem Weg in die Welt alles an, was wir anzubieten haben: unsere Geschichte, unsere Erfahrungen, unsere Begabungen, unser Wissen. Seelische Befindlichkeiten sind ebenso darunter wie Ängste, Phobien und Hoffnungen. Dieses Material befreit die Phantasie insofern von ihrer Blindheit, als sie sich Ziele setzen kann, also zunehmend konkreter wird. In diesem Modell ist die Phantasie jedoch nicht – wie Goethe gemeint hat – eine vierte gleichrangige Kategorie zu den Kant’schen Grundvermögen, sondern wäre diesem Grundvermögen noch unterlegt und nahe an Freuds Libido-Theorie. 27


Von Interesse scheint weiters die Frage zu sein, wie die Ergebnisse der Phantasie in die Welt treten und was sie dort bewirken. Sollen wir alles, was wir zu er-phantasieren imstande sind, umsetzen? Es sind also offensichtlich auch Realitätsprüfungen angesagt, die ihrerseits die Frage nach der Verantwortung nach sich ziehen: Dürfen wir alles? Darf Kunst alles? Im Falle der Kunst sage ich: ja. Darf auch die Wirtschaft alles? Das Dilemma besteht darin, dass Phantasie einerseits frei gedacht wird, andererseits Beschränkungen unterliegt. Wenn sie unseren Innenraum verlässt, sind Sachzwänge wahrscheinlich die größte Beschränkung: die Abhängigkeit von ökonomischen Verhältnissen, vom Verständnis derer, denen man das phantastische Produkt vorzustellen versucht, von der umgebenden Sozietät. Wie frei ist also unsere Phantasie und wie frei kann, soll, muss sie sein? Das wird letzten Endes von völlig verschiedenen Ausgangssituationen bestimmt – und kann pauschal nicht beantwortet werden.

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Felix de Mendelssohn

Die Freud’schen vier Urphantasien Mein Zugang zur Phantasie ist natürlich durch meine klinische und theoretische Arbeit begründet, deshalb werde ich dazu einige psychoanalytische Gedanken anführen. Auch die vorhin gemachte Erwägung, ob Phantasie mit F oder mit Ph geschrieben werden soll, hat mit diesen grundlegenden Kategorien zu tun, nämlich mit den Orten der Phantasie­ tätigkeiten, mit der Frage: Woher kommt die Phantasie überhaupt und wohin führt sie? An welche Orte in der Psyche? Bekanntlich hat Sigmund Freud drei Orte in der Psyche ausgemacht: das Bewusste, das Unbewusste und dazwischen das Vorbewusste. Und auch die Unterschiede in der Schreibweise, Phantasie oder Fantasie, lassen sich diesen Bereichen zuordnen: Die Fantasie – wenn etwas bewusst fantasiert wird – ist allein dem bewussten Bereich zugehörig, während Phantasie mit Ph ein unbewusster Vorgang ist. Über diese Phantasie weiß ich selber nichts, dennoch ist sie in mir wirksam. Selbst wenn ich sie verdränge oder mit anderen Formen abwehre, ist diese Phantasie in mir. Die bewusste Fantasie ist für mich als Psychoanalytiker ein bisschen langweilig – die beste, anregendste Ausprägung davon wäre noch die Lüge, die Fantasiegeschichte, bei der man sich etwas ausdenkt wie ein Kind, zu dem dann kurz gesagt wird: „Geh, du erzählst doch nur eine Fantasiegeschichte!“ Die unbewussten Phantasien sind interessanter. Speziell Freud ist von wahrscheinlich vier Urphantasien ausgegangen; wobei wir nicht nur von der Ontogenese reden, nämlich davon, wie jedes Individuum sich von Geburt an entwickelt, sondern auch von der Phylogenese: Wie entwickelt sich die Menschheit? Nach Freud sind die vier Urphantasien quasi vererbt. Das sei Lamarckismus, entgegneten die Darwinisten, es gehe gar nicht, dass erworbene Eigenschaften weitervererbt werden können. Aber Freud hing an seinem Gedanken, dass diese Urphantasien irgendwie an uns weitervererbt werden, dass wir sozusagen ab der Geburt eine innere Bereitschaft dafür haben. Zu diesen vier Phantasien zählt erstens die sehr bekannte „Urszene“, die Urvorstellung des elterlichen Geschlechtsverkehrs. Die Urszene kann auch tatsächlich irgendwo im Haus stattfinden; man kann sie hören, vermuten, riechen, vielleicht auch durch die Tür schauen und spähen. Aber gemeint ist hier mehr als das tatsächlich Vorkommende, nämlich auch die erste philosophische Frage des Kleinkindes: Woher komme ich denn eigentlich, wieso bin ich da? Die Frage wird verknüpft mit diesen zwei großen Wesen, die irgendetwas machen, um mich zu produzieren. 29


Wie machen sie das? Diese Urphantasie findet man in allen möglichen Schöpfungs­geschichten und Mythologien – mit Donner und Blitz, mit gewaltigen Bergen, die sich plötzlich auftun, mit Geräuschen, ähnlich denen, die man vielleicht als kleines Kind mit dem elterlichen Beischlaf verbinden konnte. Und natürlich wiederholen sich diese Urszene-Phantasien in sexuellen Beziehungen, in großen dramatischen Werken, aber auch in den Tragödien der Geschichte. Zwei weitere Urphantasien sind die Verführung und die Kastration. Die Verführung kennen wir seit dem Garten Eden. Es gibt die sexuelle, die libidinöse Verführung nicht nur in der jüdisch-christlichen Mythologie, sondern auch in vielen anderen Traditionen. Der Trieb wird erweckt, es ist irgendetwas da, nach dem der Mensch sich sehnt. Und die Kastration ist die Strafe dafür, voran in der Bibel, aber auch in anderen Überlieferungen. Kastration ist hier nicht nur der schreckliche Gedanke, dass der Penis abgeschnitten werden könnte, sondern auch, dass man aller möglichen Dinge verlustig gehen könnte. Auch die Geburt ist eine Art Kastration, weil ich dabei den Mutterleib verliere. Bald danach erfolgt der Verlust der Mutterbrust. Alle möglichen Verluste und Mangelerscheinungen – wenn mir etwas fehlt oder etwas weggenommen wird – können wir diesem Begriff der Kastration zuordnen, der oft auch mit dem Gedanken der Bestrafung verknüpft wird. Schließlich gibt es eine vierte Urphantasie, auf die Freud später gekommen ist: den Wunsch wieder einzutauchen in den Mutterleib, in das intra-uterine Leben. Der lässt sich gut vorstellen, wenn man in der Badewanne liegt und mit dem Walkman Musik hört – also in einer narzisstisch abgeschlossenen Situation. Aber auch beim schnellen Autofahren, Skifahren oder Ähnlichem kann so ein schwebendes, narzisstisches Gefühl der „Freiheit in der Geborgenheit“ entstehen. Diese vier Urphantasien finden wir also in allen möglichen Topoi, auch im Wirtschaftsleben, vor allem in der Werbung tauchen sie immer wieder auf. Woher nun kommen in der Ontogenese die ersten Phantasien? Freud sagt ziemlich deutlich: aus der Frustration. Wenn wir nämlich alles bekommen würden, was wir uns wünschen, bräuchten wir gar nicht zu phantasieren, denn dann hätten wir ja die unmittelbare Triebbefriedigung. Es ist die Frustration, die uns dazu bringt Phantasietätigkeit auszuüben. Freud spricht von einer halluzinatorischen Wunscherfüllung. Simples Beispiel: Die Mutterbrust ist gerade nicht da, also halluziniere ich im Inneren – das sind stets unbewusste Strömungen –, die Brust jetzt zu haben, befriedigt zu sein und einschlafen zu können. Von diesem Daumen-im-Mund-Bild können wir weitergehen zum Teddybären oder zur ersten Schmusedecke, die für das Kleinkind zu einem Objekt von phantasievoller Spieltätigkeit wird, wobei auch etwas verschoben wird von der Beziehung zwischen Mutter und Kind, welche die ursprünglichste und 30


vitalste Beziehung – auf Leben und Tod – für den Säugling ist. Dieses „Übergangsobjekt“ wird auch kein harter, kantiger Gegenstand sein, sondern etwas Weiches und Angenehmes, an dem man gewisse sadistische Regungen ausprobieren kann. Viele von uns haben die Teddybären auch aufgeschlitzt um zu schauen, was drinnen ist – dadurch können auch die sadistischen Phantasien, in den Mutterleib hineinschauen wollen, woher die Babys überhaupt herkommen, durchgespielt werden. Sie werden einfach auf ein Objekt verschoben. In diesem potentiellen Raum lernt das Kleinkind also spielen, und das lernt es von keinen Eltern, sondern von sich aus. Nur manche Kinder werden daran gehindert, das sind dann oft schwer gestörte Kinder, die später eine sehr schwierige Entwicklung haben; ich habe mit vielen dieser Kinder gearbeitet. Diese Spieltätigkeit ist also der Ort, wo wir innere und äußere Realität langsam voneinander trennen und wissen: Hier habe ich einen Innenraum, das ist Spiel, das ist nicht Wirklichkeit – und dort ist die äußere Realität. Und damit beginnt auch ein lebenslanger Konflikt zwischen Lustprinzip und Realitätsprinzip. „Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit“ heißt es bei Nietzsche. Und das Realitätsprinzip sagt dazu „Nein“. Zum Realitätsprinzip gehört der Tod. Und es gibt viele Dinge, die eben einfach gar nicht gehen – ich sehe ein hübsches Mädchen auf der anderen Straßenseite und ich würde sie gerne verführen, würde sie gerne besitzen, aber wenn neben ihr Arnold Schwarzenegger geht, dann sagt mir das Realitätsprinzip: Ich muss etwas anderes machen. Und hiermit kommt das Prinzip der Sublimierung ins Geschehen – es gibt nämlich viele Möglichkeiten mit diesen Phantasien sexueller oder destruktiver Natur, die laut Freud immer erotisch oder thanatoid sind, zurechtzukommen. Wenn sie zu stark werden, ist immer die Angst da, dass sie mich überfluten. Sind sie zu schwach, wurden sie mir schon von einem strengen Über-Ich verboten, und ich kann sie verdrängen. Aber die Phantasien tauchen immer wieder auf, in unangenehmen Situationen oder plötzlich in Beziehungen, in denen ich sie dann unbewusst ausagiere. Ich kann diese Phantasien rationalisieren oder intellektualisieren und mir sagen: Schon gut, das oder jenes geht eben in der Realität nicht. Ich kann die Phantasien auch somatisieren, viele somatische Erkrankungen oder psychosomatische Krankheitserscheinungen haben mit Phantasien zu tun, die nicht verbalisiert und formalisiert werden können und dann in Symptomen blockiert sind. Oder ich kann Phantasien auch projizieren und auf die Anderen zeigen, bis hin zur Paranoia – alle greifen mich an, ich werde verfolgt –, die aber mit meiner eigenen inneren Aggressionsbereitschaft zu tun hat. Sublimierung ist also ein gangbarer Weg. Wenn ich das Mädchen nicht haben kann, mit dem Arnold Schwarzenegger spazieren geht, kann ich ihr ja ein Liebesgedicht schreiben. Wenn ich meine Mutter nicht aufschneiden kann um zu schauen, wo die Babies herkommen, kann ich Chirurg werden. 31


Kunst, Wissenschaft, vielleicht auch Wirtschaft bieten Bereiche, wo ich diese ganz ursprünglichen, kindlichen Wünsche umsetzen kann in einer sozial verträglichen Form, die auch mir keinen Schaden zufügt. Der letzte Punkt ist also diese Verwirklichung von Phantasien. Dazu möchte ich nur noch eine kleine Anekdote anbringen, die auch zum Stichwort Traum passt, zu dem vorhin schon gesagt worden ist: Die unbewussteste Phantasie findet sich am stärksten und am unvermitteltsten im Traum. Ende des achtzehnten Jahrhunderts war man sehr mit dem Erfinden einer Nähmaschine beschäftigt und es ist keinem so richtig gelungen. Auch ein englischer Ingenier, Elias Howe, versuchte zwanzig Jahre lang, diese Nähmaschine zu bauen, er verschuldete sich dabei enorm, seine Frau und seine Familie waren schon sehr böse auf ihn, die Gläubiger klopften an die Tür, aber dann hatte er einen Traum. In diesem Traum war er festgebunden an einen Marterpfahl, Ureinwohner kamen mit erhobenen Speeren auf ihn zu und wollten auf ihn einstechen. Ein Albtraum, ein Verfolgungstraum, in dem die Wilden immer näher rücken, er sieht die Speere überdeutlich – und merkt plötzlich, diese Speere sind seltsam, sie haben ein kleines Loch in der Nähe der Spitze. Da wacht er auf und hat die Lösung für seine Nähmaschine, die seitdem Millionen von Schneidern und Hausfrauen das Leben einfacher macht. In diesem Traumbild war enthalten, was bisher niemand gesehen hatte: dass für eine erfolgreiche Nähmaschine das Nadelöhr, durch das man den Faden zieht, an der Spitze – und nicht am Ende der Nadel wie beim Nähen mit der Hand – angebracht werden muss. Selbstverständlich waren auch andere Elemente seiner Lebenssitua­ tion im Traum zu sehen: die Gläubiger an der Tür als die ihn verfolgenden Wilden und so weiter. Aber der geniale und in der Folge auch ökonomisch nützliche Kern des Traumbilds war etwas, was bislang nicht gedacht werden konnte. Auf so etwas kommt man nur im Schlaf.

Der Text entspricht dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Oliver Handlos

Eine Idee zu haben ist nicht schwer, sie umzusetzen jedoch sehr Ja, ich komme von der ganz anderen Seite. Doch Werbung ist natürlich wenig akademisch, aber weitaus ernsthafter als man gerade im deutschsprachigen Raum allgemein annimmt. Wahr ist: Das Image der Werbung ist irgendwo zwischen Politiker und Banker. Und das ist das Gegenteil von gut. Die meisten von Ihnen werden nicht Fans von Werbung sein, und der Werber gilt generell als der Phantast in der Wirtschaft, der Kreative ist generell immer der ohne Krawatte. Eigentlich ärgere ich mich fast, dass ich heute keine Krawatte trage, denn mit Krawatte hätte ich etwas gegen das Klischee arbeiten können. Aber keine Krawatte zu tragen, ist natürlich nicht das, woran sich Kreativität festmacht. Es geht nicht darum, dass man verrückt aussieht oder verrückt auftritt – oder dass man das Wort Phantasie in einer verspielten Schrift setzt. Kreativ ist, eine Idee zu haben – manchmal sogar eine gute – und diese auch umzusetzen. Ideen kommen überall, manchmal sogar im Schlaf. Ich träume auch ab und an Ideen, dann schreibe ich die manchmal tatsächlich auf, noch im Halbschlaf. Wenn ich jedoch am nächsten Tag darauf schaue, denke ich immer nur „oje“. „Eine Idee zu haben ist nicht schwer, sie zu verwirklichen jedoch sehr“ – das reimt sich nicht nur, sondern ist leider auch wahr. Unsere Gesellschaft erzieht die Menschen, kreativ zu sein, aber bereitet sie nicht darauf vor, wie schwer es ist, ungewöhnliche, neuartige Ideen umzusetzen. Alle haben wir heute sogenannte Creative-Tools wie Laptop, iPhones, iPads, iPods mit Tausenden von Apps. All diese Dinge bewirken, dass man sich irgendwie kreativ fühlt – dann hat man eine Idee, bemerkt dann aber plötzlich: Da draußen ist ein Bollwerk, das gegen meine Idee gewendet ist. Egal, wie gut eine Idee erscheint, am Ende des Tages ist sie so gut wie keine Idee, wenn man sie nicht umsetzt. Ich gehe jetzt einmal ein bisschen unwerblich akademisch vor: Creare heißt auf Latein „erschaffen“ und eben nicht „einbilden“. Das ist der entscheidende Punkt. Es geht darum, etwas zu verwirklichen. Es geht nicht darum, eine Idee zu haben und sich dann zurückzulehnen und zu sagen: „Leute, hier ist meine super Idee, jetzt findet sie bitte alle toll“. Die Menschen verlassen sich immer darauf: Wenn sie eine Idee haben, dann wird sie ihnen schon irgendjemand entreißen und für sie verwirklichen. Das ist leider in der Geschichte der Kreativität selten der Fall gewesen. 33


Um zu verstehen, warum das so schwierig ist mit den Ideen, ein bisschen Metaphorik. Eine Idee ist wie ein zündender Funke. Aber schauen Sie auf dieses Feuerzeug: Wenn ich hier am Rädchen drehe, dann passiert gar nichts – drücke ich aber auf den Knopf, um das Gas zu entlassen, dann kommt die Flamme. Sie merken: Der zündende Funke allein bringt gar nichts, man braucht auch Brennmaterial. Ich muss etwas im Gegenüber oder in der Umwelt vorbereiten, das ich entfachen kann. Ich muss mein Gegenüber, dem ich die Idee vermitteln will, erst einmal auf die Idee vorbereiten. Und ohne Brennmaterial, kann keiner – um die Metapher weiter zu strapazieren – Feuer und Flamme werden. Was ist eine Idee noch? Auch ein bisschen eine abgedroschene Metapher: die Spitze des Eisberges. Ja, die Metapher ist klar, es ist nur die Spitze, darunter aber liegt ein vielfach größeres Volumen, der eigentliche Eisberg. Was ich aber von meiner Idee zumeist kommuniziere, ist eben nur die Spitze. Und dann denkt der andere: „Naja, weißt du, das ist eigentlich nicht so richtig aufregend“, schaut auf die Uhr, und ich merke, dass ich ihn nicht gepackt hat. Ich trage zwar mit mir diesen ganzen Ideen-Unterbau herum, habe mich damit auseinandergesetzt, vielleicht schon viele Wochen oder Monate lang, aber dem Gegenüber erzähle ich das dann eventuell zwischen Tür und Angel. Wenn er gerade seine Steuererklärung im Kopf hat – oder die Champions League. Der denkt an alles, aber nicht an den Unterbau meines Eisberges, und er hat kein Brennmaterial, er kann nicht entfacht werden, er versteht meine Idee nicht. Hat man also eine Idee, dann sollte man erst einmal kritisch sein und sich selbst fragen: Ist es wirklich eine frische, gute Idee? Die Antwort kann folgende Definition liefern: Eine gute Idee ist eine simple Antwort – auf eine Frage, die sich viele stellen. Eine schlechte Idee ist eine komplexe Antwort, auf eine Frage, die sich keiner stellt. Wenn Sie damit Ihre eigenen Ideen oder die der anderen überprüfen, dann werden Sie merken: Da ist was dran. Die beste Idee ist simpel gesagt: einfach, aber mutig. Und mit dem letzten Wort beginnt eben das Problem: mutig! Nun, was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Ich komme ursprünglich aus dem Schwabenland, da gibt es viele Bauernregeln – und das ist eine, die sehr wahr ist. Auch bei Nicht-Landwirten. Oder um einen alten Filmklassiker zu benutzten – den Film „Angst essen Seele auf “ von Rainer Werner Fassbinder: Dieser Titel beschreibt treffend die Befindlichkeit des mittleren Managements, das sind meistens die Leute, welche über Ideen entscheiden. Wer seine Idee dem mittleren Management präsentiert, riskiert seine Idee. Denn sein Gegenüber muss sich nach oben hin verantworten. Und es herrscht die Angst vor Neuem, Angst vor etwas, was noch nicht dagewesen ist. Obwohl es genau das ist, was eine Idee, eine Innovation ausmacht. Unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft im Allgemeinen, ist nicht so risikofreudig, wie sie es gerne wäre. Die Menschen werden überall stimuliert kreativ zu sein, aber am Ende werden sie nicht mit der Zähigkeit aus34


gestattet, die es braucht, diese Kreativität umzusetzen. Der Friedhof der Ideen, die nicht umgesetzt wurden, ist riesengroß. Es wird viel gefunkt, aber wenig brennt, und am Ende ist die Wunderkerze aus und man wagt es kaum noch, an jemand anderen mit einer Idee heranzutreten. Ich habe eine gute und eine schlechte Idee, ich weiß nur nicht, welche nun welche ist. Das ist das Dilemma. Welches ist die Idee, die ich verfolgen soll, für die ich alles tun soll, um sie zu verwirklichen. Die Suche nach der ganz großen Idee verkrampft – zu dieser Suche nach einer Vision hat der deutsche Altbundeskanzler Schmidt einmal gesagt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“. Das ist richtig. Eine Vision ist zu groß und vage, um realisierbar zu sein oder jedenfalls so auszusehen. Eine Idee, wie ich schon eingangs sagte, ist hingegen simpel, aber mutig. Um eine Idee umzusetzen, sollte man sich einfach sagen: Jetzt verwirkliche ich erstmals eine kleine Idee und dann sehe ich weiter. Es ist tatsächlich so, dass man dann die besten Ideen hat, wenn man nicht die besten Ideen haben muss. Um noch extremer zu formulieren: Man hat dann die besten Ideen, wenn man sich zugesteht, auch eine schlechte Idee haben zu dürfen! Die kleine, schwache Idee ist oft die Tür zu etwas viel Größerem. Ein Beispiel ist das iPhone. Die Ursprungsidee des iPhones vor fünf Jahren war ganz simpel: Lasst uns ein Mobiltelefon entwickeln, das anstelle kleiner Tasten einen Touchscreen hat. Die Deutsche Bahn hat schon vor zehn Jahren Touchscreens gehabt, aber sie ist weit davon entfernt, den Sex zu haben wie das Unternehmen Apple. Die eigentlich ziemlich simple Erfindung, einen großen Touchscreen anstelle irgendeiner Tastatur zu bauen, hat Folgendes bewirkt: Auf einmal hatte man eine große Fläche, einen Bildschirm, auf welchem man auch etwas anderes zeigen konnte als nur Wörter und Zahlen. Nämlich sogenannte Apps, Applications, kleine Icons eben – Zeichen für Programme –, und diese Programme ermöglichten zum ersten Mal tatsächlich das Mobile Computing im wörtlichen Sinne. Hunderttausende Apps gibt es inzwischen, und viele dieser Apps haben Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von neuen Großunternehmen ermöglicht. Eines der jüngeren Zeit ist das Unternehmen „Square“ – ein Kreditkartenleser, ein kleiner Adapter, Würfel, ein Square, den man dort hineinsteckt, wo man sonst den Kopfhörer anschließt, und damit kann man heute die Kreditkarten der Kunden lesen. Allein dieses Gerät hat im letzten Jahr zehntausende Unternehmensgründungen in den USA ermöglicht, weil Kleinstunternehmer, entkoppelt von der Infrastruktur der Großen, auf einmal auch in der Lage waren, saubere Abrechnungen und unternehmerische Buchhaltung idiotensicher durchzuführen, ohne kostspieliges Know-How einkaufen oder Buchhalter einstellen zu müssen. Eine simple Idee hat einen riesigen Output erzeugt. In New York, wo ich lebe, gibt bei mir in der Nähe, in Brooklyn, einen Flohmarkt. Was von außen nur wie ein ganz normaler Flohmarkt aussieht, ist aber in Wahrheit ein Multimillionen-Dollar-Geschäft: mit handgedrehten 35


Kerzen und selbstgemachter Marmelade. Denn durch den Wandel von privaten Flohmarktständen zu Unternehmern, dank Online-Präsenz, digitaler Abrechnung und Buchhaltung durch Square, hat sich daraus eine Art Organic Market Place–Plattform entwickelt, die jetzt gerade von der großen amerikanischen Whole Foods-Kette für 25 Millionen Dollar aufgekauft wurde. Eine Idee öffnet die Tür zu wieder ganz neuen Ideen. Suchen Sie sich also schnellstens Verbündete für Ihre Idee, bevor sie jemand anders hat. Präsentieren Sie Ihre Idee so hoch wie möglich, wenn Sie an jemanden herantreten, der Sie fördern soll. Der Hierarchieoberste muss sich niemandem mehr verantworten, meistens jedenfalls. Deswegen sind die inhabergeführten Unternehmen die mutigsten und auch die innovationsfreudigsten Unternehmen. Wenn Sie präsentieren, dann seien Sie altruistisch und machen Sie Ihre Idee zu der Idee der Anderen, Ihres Gegenübers. Versuchen Sie, auch den Eisberg-Unterbau zu vermitteln, bevor Sie die Spitze des Eisbergs zeigen. Und wenn Ihre Idee dann trotzdem nicht gefällt, dann sagen Sie nicht: „Ja, aber die Idee ist doch gut“ oder „Ja, aber“ – das ist nämlich die häufigste Antwort, wenn eine Idee nicht angenommen wird; nur selten wird nachgefragt, warum die Idee nicht gefällt. Fragen Sie einfach: „Interessant, und warum finden Sie die Idee nicht gut?“ Und dann hören Sie genau zu. Denn jetzt setzt sich Ihr Gegenüber wahrscheinlich zum ersten Mal tatsächlich mit Ihrer Idee auseinander. Denn er muss jetzt erklären und argumentieren. Alleine durch diesen Prozess wird es wahrscheinlicher, dass er am Ende Ihre Idee doch gut findet, als wenn Sie mit Ihrer Ja-aber-Reaktion auf Konfrontation gegangen wären. Selbst wenn Sie am Ende des Tages Ihre Idee nicht verkauft haben, Sie haben es versucht und dazugelernt. Denn vergessen Sie nicht: Man bereut viel eher das, was man nicht getan hat, als das, was man getan hat. Haben Sie also viele Ideen – und vor allem: Setzen Sie einige davon um.

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Markus Hinterhäuser

Ein Rest Geheimnis bleibt immer Ich habe in gewisser Weise zwei Leben: das eine, das des Pianisten, zeigt sich zur Zeit deutlich bescheidener, das andere, das des Intendanten, umso gebieterischer. Beide Leben haben mit dem zu tun, womit wir uns heute beschäftigen: der Phantasie. In dem einen Fall mit gestalterischer und klanglicher – im anderen Fall mit einer etwas zeitgeistigen, jedem Intendanten zur Ehre gereichenden Wortschöpfung: der „planerischen Phantasie“. Ich habe, wenn ich so sagen darf, das Glück, dass vieles von dem, was ich tue, auch bestimmten Parametern zu folgen hat. Mir ist es nämlich gar nicht unangenehm, mich in einem gewissen Rahmen bewegen zu müssen, ich empfinde das auch gar nicht als Einschränkung. Wenn ich nämlich für ein Festival wie die Salzburger Festspiele oder die Wiener Festwochen verantwortlich bin, steht für mich auch fest: Es gibt einen Rahmen und dieser Rahmen ermöglicht mir auch eine gewisse – entschuldigen Sie das Wort, es ist nämlich sehr phantasielos – „Behaglichkeit“ in meinen Möglichkeiten des Denkens, weil ich weiß: Die Gesetzmäßigkeiten sind gegeben, ich kann sie bis zu einer gewissen Weise flexibel halten, aber sie haben auch ihre sehr schnell erfahrbaren Grenzen und darüber hinaus geht es eben nicht. Das ist ein Rahmen, der mir gut tut – mir persönlich gut tut, weil ich diszipliniert werde. Aber ich muss auch dazusagen: Ich habe es in solchen Rahmen natürlich mit etwas ganz Wunderbarem zu tun – ob es Robert Schumann ist oder Gustav Mahler oder Pierre Boulez oder John Cage oder Morton Feldman oder wer immer sich auf dieser Höhe des Geistes und der Phantasie aufgehalten hat – ich habe es, salopp gesagt, mit Leuten zu tun, die wirklich Phantasie gehabt haben! Nur: ausschließlich Phantasie zu haben, ist auch nicht wahnsinnig interessant. Das hat in der allgemeinen Wirkungsmacht mittlerweile auch etwas sehr Schickes. Alle haben wir Phantasie zu haben. Und wenn wir sie nicht haben, versuchen wir möglichst an Orten Phantasie zu finden, die auch unsere unmittelbare Umgebung in gewisser Weise adelt, ihr die Aura des Außerordentlichen gibt und die eigene geschmackliche Durchschnittlichkeit vergessen machen kann. Als nur ein Beispiel: Ich war unlängst in einer großen Ausstellung in Wien, über Künstler aus Gugging, die heute auf dem Kunstmarkt so unglaubliche Preise erzielen, dass sich letztlich nur eine ganz bestimmte Gesellschaft den „Eintritt“ in die Kunst von psychisch kranken Menschen – die in der Psychiatrie zu leben haben und von den Ärzten aufgefordert werden, sich phantastisch-kreativ zu 37


betätigen – leisten kann. Diese Werke landen dann in Galerien und nach den Galerien schließlich in einem Ambiente, dem diese Explosion der Phantasie, dieses Manifest des nicht mehr Steuerbaren nur noch als Behübschung der eigenen vier Wände dient. Für die Entstehung eines Werkes, das dann vielleicht auch ein Kunstwerk ist oder nach einer gewissen „Inkubationszeit“ als solches gesehen wird, für diese „Anrufung der Phantasie“, wenn man es so nennen will – dafür muss man auch die nötige Disposition schaffen, und die hat viel mit Disziplin zu tun. Das ganze Romanwerk eines Thomas Mann beispielsweise, ob man das jetzt mag oder nicht, ist auch das Resultat eines ungeheuer disziplinierten Vorgangs, ob es sich um den „Doktor Faustus“ oder die „Buddenbrooks“ handelt – es gab einfach ein bestimmtes Raster, in dem Thomas Mann sich aufgehalten hat, in dem er das gemacht hat, was er machen wollte und was er machen musste. Oder Peter Handke, in jeder Zelle seines Körpers anders, und doch ähnlich diszipliniert! Das heißt nicht, dass sich bei Handke diese ganzen Dinge, die er aufzuschreiben vorhat, nicht schon lange Zeit zuvor formen, irgendwo, irgendwie, etwa auf seinen unendlichen Spaziergängen – aber der Vorgang, sie zu Papier zu bringen, hat mit Disziplin zu tun, hat mit Disposition zu tun. Und für eben genau diese Disposition sind wir in hohem Maße eigenverantwortlich. Es gibt völlig gegensätzliche Prozesse, Phantasie zum Ausdruck zu bringen, sie gewissermaßen „freizulassen“. Zum Großartigsten und Erstaunlichsten, was an Musik im zwanzigsten Jahrhundert geschrieben worden ist, gehört das Werk einer immer noch viel zu unbekannten russischen Komponistin, ihr Name ist Galina Ustwolskaja. Man muss sich vorstellen, das Gesamtwerk dieser Frau – es ist da gar nicht so unterschiedlich zu dem von Anton von Webern, obwohl natürlich die musikalische Grammatik eine gänzlich andere ist –, das Gesamtwerk besteht aus nicht einmal zwei Dutzend Stücken. Darunter sind sechs Klaviersonaten, die erste Sonate ist in den vierziger Jahren, die letzte Ende der achtziger Jahre entstanden. Und zwischen der vierten und der fünften Klaviersonate ist etwas passiert, das ungeheuerlich ist, nämlich: eine Stille von mehr als fünfundzwanzig Jahren. Natürlich hat sie weiter geschrieben, weiter komponiert, aber diese gewaltige Architektur der Klaviersonaten hat eine Unterbrechung von mehr als einem Vierteljahrhundert erfahren. Und danach bricht es aus ihr heraus, mit einer solchen Gewalt, einer unfassbaren Kraft bricht etwas aus dieser Frau heraus, nach Jahrzehnten der Stille – das ist einfach nicht erklärbar! Aber es hat natürlich etwas stattgefunden in dieser langen Zeit. Ein vermeintlicher Rückzug, ein In-Sich-Zurückgehen, ein In-Sich-Hineinhorchen muss nicht notwendigerweise etwas mit Verlust zu tun haben – überhaupt nicht. Das kann auch eine große Bereicherung sein! Es ist also etwas passiert in diesen vielen Jahren und das hat auf den Bruchteil einer Sekunde, auf einen Moment, vielleicht auf einen Moment der Gnade gewartet, um sich Gehör zu verschaffen, um herauszubrechen. 38


Es gibt ganz wenige Gespräche mit dieser Komponistin, und in einem dieser Gespräche spricht sie eben genau diesen Begriff an, den man, wenn man ihn denn falsch verstehen möchte, vielleicht auch esoterisch interpretieren könnte: die Gnade. Galina Ustwolskaja sagte: „Ich komponiere in einem Zustand der Gnade“. Aber was heißt Gnade in diesem Fall? Gnade heißt, dass etwas über einen kommt. Es kommt über mich, ich kann es nicht steuern, ich weiß den Urgrund nicht, ich weiß nicht, woher es kommt. Etwas romantisiert könnte man auch von „Inspiration“ sprechen. Aber in jedem Fall gilt: Alle diese Dinge, ob man sie steuern kann oder ob man sie nicht steuern kann, ob sie mit schwierigen seelischen Konstellationen oder auch mit sehr gesunden zu tun haben, ob man ausufernd ist oder in sich gekehrt – alle künstlerischen Prozesse brauchen eine Disposition, brauchen in letzter Konsequenz ein Handwerk. Sie müssen gestaltet werden können. Wenn wir in weiterer Folge über Kunst reden: Kunst ohne Form ist nicht Kunst. Und Form entsteht auch durch das, was man „Handwerk“ nennt, entsteht durch Wissen und durch Geist. Phantasie allein – und schon überhaupt Phantasie als eine möglichst schicke Beigabe zu einem sonst reichlich überschaubaren, trostlosen Dasein – finde ich völlig uninteressant. Und um noch einmal zurückzukommen auf die Frage von Marianne Gruber: „Wie machen SIE das mit dem zündenden Funken?“: Ich habe vorhin gesagt, dass ich das Glück habe, mich in einem Raster bewegen zu müssen, der mich daran hindert, zu ausschweifend zu werden, der mich dazu zwingt, definiert zu sein, präzise zu sein. Meine Ideen oder das, was man als Ideen bezeichnen kann – ich kann einfach nicht sagen, wie sie entstehen. Also: Ich kann mich definitiv nicht hinsetzen und nachdenken, das schaffe ich nicht. Ich bin sehr auf Anregungen angewiesen, auf Menschen, die inspirierend sind, deren Gedanken Räume öffnen, deren Denken im schönsten Sinne großzügig ist. Das kann sich, oder sollte sich idealerweise mit dem koppeln, was man Wissen nennt – man sollte also etwas wissen über die Materie, mit der man sich beschäftigt, sonst geht es überhaupt nicht. Und es gibt noch etwas, etwas Entscheidendes, man kann es vielleicht als „intuitive Intelligenz“ bezeichnen: ein sehr entwickeltes Sensorium für Konstellationen, für Menschen und – wenn wir hier über Kunst reden – natürlich für die Künstler, die man zusammenbringen möchte, im Sinne eines Entstehens, eines faszinierenden Zusammentreffens. Aber diese intuitive Intelligenz allein wäre auch nicht rasend interessant, wenn sie nicht ein Fundament hätte. Der Phantasie als ja, nennen wir es Fetisch oder der Phantasie als etwas Allein-Seligmachendes stehe ich eher reserviert gegenüber. Auch wird man, und da bin ich ganz bei Bazon Brock, das Kreative oder die Phantasie nicht auf künstlerische Prozesse allein reduzieren können. Ich habe mich allerdings in meinen Ausführungen auf das Phänomen der Phantasie im Zusammenhang mit künstlerischen Fragen beschränkt – 39


denn das ist es, was mein Leben ausmacht, das ist das, womit ich mich auseinandersetzen will und auseinandersetzen muss. Zur „Idee“ oder zum „zündenden Funken“ mag es ja unzählige Erklärungsversuche und Definitionen geben, aber ein Rest Geheimnis bleibt immer – was für eine schöne und auch beruhigende Tatsache!

Der Text folgt dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Kapitel 3 Phantasieprodukte in der Wirtschaft



Brigitte Kössner-Skoff

Einleitung: Wie funktioniert Kreativität? Phantasie bezeichnet eine kreative Fähigkeit des Menschen. Als Vorstellungskraft beziehungsweise Imagination ist mit Phantasie vor allem jene Fähigkeit gemeint, innere Bilder zu erzeugen. Phantasie ist somit auch eine wesentliche Voraussetzung für Kreativität und Kunst. 1950 begannen, ausgelöst durch den Psychologen Joy Paul Guilford, intensive empirische Forschungen zum Wesen der Kreativität. Kreativität ist somit laut Guilford jede neue, noch nicht da gewesene, von wenigen Menschen gedachte und effektive Methode, ein Problem zu lösen. Es werden Faktoren wie Problemsensitivität, Ideenflüssigkeit, Flexibilität und Originalität miteinbezogen. Kreativität wäre demzufolge die zeitnahe Lösung für ein Problem mit ungewöhnlichen, vorher nicht gedachten Mitteln (einer Originalität) und mehreren Möglichkeiten der Problemlösung. „Definiert man den Begriff der Phantasie als starke Einbildungs- oder Vorstellungskraft, dann führen Erkenntnisse, verbunden mit Visionen, die schon einen realen Trend aufweisen, zu kreativen Ansätzen“. So leitet Christian Bartenbach, der sich in seinem Lichtlabor der Erforschung des Lichts widmet, in das Thema Phantasieprodukte ein. Kommunikationsexpertin Heidi Glück bezeichnet Phantasie als Treibstoff der Innovation. Für sie beginnt Phantasie träumerisch und endet real. Zuerst eine Art „Hirngespinst“ im positiven Sinn, wird sie dann zu einem Produkt, einer Strategie, einem Design, einer konkreten Idee. Hannes Erler, Innovationsmanagement-Spezialist bei D. Swarovski, sieht die Wirtschaft als Mitgestalter unserer Kultur. Die medialen neuen Zugänge zur Phantasie und die schöpferischen Potentiale des Individuums eröffnen ungeahnte Chancen für Innovation, Problemlösung und nachhaltiges Wirtschaften. Valentine Troi, Gründerin und Geschäftsführerin der Firma superTEX, wurde mit mehreren Patentanmeldungen für einen neuartigen Verbundwerkstoff aus faserverstärktem Kunststoff Innovationspreisträgerin. Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wird es für Unternehmen interessant, Phantasie und künstlerisches Schaffen in das Unternehmen zu integrieren und neue kreative Unternehmensprozesse so zu entwickeln, dass sie auf der einen Seite dem Unternehmen eine neue Originalität sichern, um sich von der Konkurrenz abzuheben, und auf der anderen Seite auch der Kunst und Kreativität neue Entwicklungen ermöglichen. Stimmige Partnerschaften zwischen Wirtschaft und Krea43


tivität sowie besondere Erlebnisdimensionen kreativen Schaffens werden in Zukunft besonders gefragt sein. Individuelle, strategisch abgestimmte Kreativkonzepte sind ebenso wichtig wie die professionelle, vernetzte, zügige Umsetzung mit Unternehmen, also neue „kreativwirtschaftliche“ Beziehungen. Dass die Kreativwirtschaft zum bedeutungsvollen Wirtschaftsfaktor geworden ist, beweisen bereits gewichtige Zahlen gesellschaftlicher Produktivität: Schon 2003 waren in der Kultur- und Kreativwirtschaft europaweit 6 Millionen Menschen tätig. Der Umsatz betrug im gleichen Jahr mehr als 650 Milliarden Euro. Auch die österreichische Kreativwirtschaft zeigt interessante ökonomische Entwicklungen: Wie der dritte österreichische Kreativwirtschaftsbericht 2008 zeigt, erwirtschaftete der Sektor 2006 Erträge und Erlöse in der Höhe von € 17,7 Milliarden und erreichte damit ein Plus von 7,3 Prozent gegenüber 2004. Zwischen 2008 und 2010 verzeichnete die Branche mit einem Plus von 6 Prozent überdurchschnittliche Wachstumsraten in Bezug auf die Zahl der Unternehmen, die auf 38.400 stieg. Damit ist die Zahl der Kreativunternehmen dreimal so stark gewachsen wie jene in der Gesamtwirtschaft. Aber auch in Bezug auf Arbeitsplätze legten die Kreativen zu: mit einem Plus von rund 3 Prozent auf 130.500 Beschäftigte in Österreich. Damit sich das Potenzial der Kreativwirtschaft als Wachstumssektor und Arbeitsplatzmotor weiter entfalten kann, werden künftig in der Wirtschaftspolitik auch spezielle Fördermaßnahmen notwendig werden. Allen voran neue Finanzierungsmodelle, eine gezielte Innovationspolitik mit der Förderung und Stimulierung von Potenzialen, die mit viel Phantasie neue Produkte und die Herausbildung von Alleinstellungsmerkmalen eines Wirtschaftsstandorts fördern.

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Christian Bartenbach

Phantasieprodukte brauchen Vorgaben und Ausdauer Bei meinen Gedanken zum Thema der Phantasie und ihrer Produkte werde ich mich auf den visuellen Bereich beziehen, weil ich aus dieser Welt komme und mich in unserem Lichtlabor sehr mit Wahrnehmungsforschung beschäftigt habe. Phantasie wird bejahend als Einbildungskraft und Vorstellungsvermögen definiert, und beides ist natürlich notwendig, um kreative Prozesse in Gang zu bringen und neue Produkte zu schaffen – aber auch viele andere Faktoren spielen dabei eine wesentliche Rolle. Aus meiner Sicht braucht die Phantasie einen Vorlauf, das heißt, ich muss bewusst oder auch unterbewusst schon ein gewisses Wissensfeld haben, oder auch als Aufgabenfeld spüren, dass ich Visionen und innovative Ansätze bilden kann. Solche Gegebenheiten sind also die Voraussetzung, dass der kreative Vorgang beginnen kann. Eine weitere Voraussetzung für Phantasieprodukte ist, dass die Wirtschaft funktioniert und dass Produktionsvorgänge in ausreichendem Umfang stattfinden, was auch die Qualität der Arbeitsabläufe mitbestimmt. Die Fertigungsindustrie steht heute unter einem permanenten Druck, neue Produkte zu schaffen, um auf dem Markt ihre Aktualität beizubehalten und die notwendigen Umsätze zu bringen – und dies bedeutet häufig Wachstum. Deshalb sind immer schneller neue Produktideen gefragt – die einen entsprechenden Wissensstand voraussetzen. Um diesen ständig zu erweitern, sind Forschungs- und Entwicklungsabteilungen unabdingbar. Die Wirtschaft ist also äußerst schnelllebig geworden, die Zeitspannen, um neue Produkte auf dem Markt zu platzieren, werden immer enger. Eine der Ursachen dieser Schnelllebigkeit und Beschleunigung ist die „kulturelle Evolution“, die den Wissensstand progressiv erweitert und auch die Zeiträume für die Suche nach Neuem verkürzt. Dazu kommt, dass der Zugang zum Wissenspotential durch die elektronischen Möglichkeiten sehr breit und einfach geworden ist. Die andere Seite des progressiv wachsenden Wissens und der unkomplizierten Wissensvermittlung ist aber, dass diese Wissensproduktion uns übermannt. In unserer biologischen Begrenztheit können wir das Gesamte nicht mehr erreichen. Es entsteht zuviel Wissen, wir bekommen zuviel Wissen, gerade auch durch die elektronischen Medien. Und die Gefahr dabei ist, dass dieses viele neue Wissen Diffusität erzeugt. 45


ENTSTEHEN VON INNOVATION - INNOVATIONSVORAUSSETZUNG

ENDOGEN (von innen, autonom)

EXOGEN (von außen, real)

Phantasie

Anregungen

Ahnung

Erlebnisse

Erscheinungen

Aufgabenstellungen

Vorstellungen

Projekte Aufträge

Zeitdruck

Abb. 1: Aus der Notwendigkeit, sich Neuem zuzuwenden, muss man das Gewohnte immer wieder aufs Neue in Frage stellen und gegebenenfalls verlassen. Dieser Prozess ist die Innovationsvoraussetzung, die auf endogenen (von innen kommenden) Vorgängen basiert und auf Phantasie oder auch Erscheinungen beruht. Phantasie benötigt Einbildungskraft und Vorstellungsvermögen und fällt in den psychologischen Bereich des Vorbewusstseins. Dieses kann auch durch exogene (von außen kommende) Vorstellungen, Anregungen, Erlebnisse, Aufgabenstellungen sowie durch bestehende Projekte und Aufträge angeregt und erweitert werden.

Für die Industrie, in der die immer kürzere Entwicklungszeit für Produkte ein großes Problem darstellt, ist es daher notwendig, auch schon die kreativen Prozesse effektiv zu fördern, in denen man sich dann auf bestimmte Wissenspotentiale konzentrieren kann. Bei Phantasievorgängen kommen, wie schon eingangs gesagt, Visionen zustande – aufgrund der Vorstellungskraft und des gesammelten Wissens, und natürlich auch aufgrund der Forderungen der Firmengruppierungen mit ihren Forschungsbereichen, die ebenfalls Vorgaben und Anregungen machen. All diese Vorstellungen werden in der Phantasie verstärkt, sie können auch zu Illusionen führen, denn wenn ich mich zum Beispiel nicht konzentrieren kann, werden Phantasien diffus. Sobald ich mich aber konzentrieren kann, sind die Bewusstseinsvorgänge gekoppelt an Erkenntnisse, Erfahrungen und Aufmerksamkeitsprozesse, die eine Aussortierung der überflüssigen Reize ermöglichen. Natürlich kann ich auch dabei fehlgeleitet werden, aber in einem mit einer Zielvorstellung ausgerichteten Bereich 46


INNOVATIONSVORAUSSETZUNG

INNOVATIONSVORGANG

Innovationsvorgang Produktvorstellung

Projektvorstellung

Zielsetzung Themenstellung Forschung Visuelle Wahrnehmung

Technische Entwicklung

Analyse Konzepte

Design/Techn. Entw./Produkte

Projektgruppe/Workshops

Anwendungsstudie Lichtakademie

BLL/F&E/Projektgruppe

Abb. 2: Der Innovationsvorgang setzt Produktvorstellungen voraus. Der Vorgang des Kreierens (die Fähig­ keit, sich in andere Situationen als in die gewohnten zu versetzen) setzt Phantasie voraus. Im Weiteren ist durch gerichtete Aufmerksamkeitsvorgänge die Bewusstseinsbildung zu beeinflussen, so dass man zu einer Zielvorstellung kommt, welche die Voraussetzung für die Themenfindung wird. Diese kann durch Forschungsergebnisse analysiert und konkretisiert werden. Daraus entstehen Konzepte als Grundlage für die Produktentwicklung und das damit verbundene Design.

kann ich die Phantasie doch so lenken, dass der kreative Vorgang sich mit der Bewusstseinslage verknüpft – und diese dann auch erweitert. Dabei kommt es auch sehr darauf an, Prozesse zu unterbrechen oder Situationen aufzulösen, die zur Gewohnheit führen. Wir alle neigen dazu, an Gewohnheiten festzuhalten, aber die Kreativität, gekoppelt mit der Phantasie, enthält die großartige Möglichkeit, sich davon zu befreien. Das ist einer der Hauptvorteile dieser Verbindung, dass ich damit in der Lage bin, die vorhandenen Strukturen zu verlassen, um auf neue Ideen und Innovationen zu kommen. Aber dafür sind eben auch Wissen und Bewusstseinsbildung nötig; dieser Phantasievorgang in der Wirtschaft hat also eine sehr starke Verbindung zu realen Überlegungen und Abläufen. Um die Phantasie in der Produktentwicklung anzuregen, muss man also insgesamt einen starken hypothetischen Ansatz haben. Wenn man diese Innovationsvorgänge durchgestanden hat und sie mit der mental nötigen Energie und auch Ausdauer schließlich zu einer 47


Realisierung, einem Prototyp, einer Produktneuheit und/oder einem neuen Design geführt haben, dann ist im Wirtschaftleben natürlich noch die Durchsetzung dieser Produkte notwendig – und das darf man nicht unterschätzen! Wenn ich nämlich Gewohnheiten durchbreche, habe ich meistens intern, aber auch extern Widerstände, mein neues Wissen in die Welt zu bringen und zu realisieren. Dieses Wissen oder auch neue Produkte auf dem Markt durchzusetzen braucht noch einmal sehr viel Energie, einen sehr starken Glauben und sehr viel Optimismus!

Der Text folgt dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Hannes Erler

Haben wir genug Phantasie, um eine gute Zukunft zu gestalten? Die Fähigkeit, die kreative Leistung beim einzelnen Mitarbeiter zu fördern und nutzenstiftend auf die Zukunft hin zu übersetzen, ist im unternehmerischen Sinne eine der zentralsten Leadership-Herausforderungen. In der Wechselwirkung von Mode, Trends und Technologien geht es, unterstützt durch Inspirationen und Erkenntnisse aus Kunst und Wissenschaft, immer um die Übersetzung der Phantasie in ein wirtschaftlich tragfähiges Produkt oder eine Dienstleistung. Schon Freud beschreibt, dass jeder kreative Prozess eine sich für alles öffnende Phase und eine bündelnde, auf Auswahl und Umsetzung ausgerichtete Phase braucht. Und tatsächlich hängt die Innovationsfähigkeit in der Wirtschaft davon ab, wie es den Unternehmen gelingt, diese beiden Phasen, man kann sie auch als die explorative und die exploitative bezeichnen, zu verwirklichen und dabei doch gedanklich zu trennen. In einer von Beschleunigung und zunehmender Komplexität geprägten Wissensgesellschaft entstehen ungeahnte neue Möglichkeiten, die Weisheit des Einzelnen in den sozialen Austausch mit gleichgesinnten und komplementären Lösungspartnern zu bringen. Die Social Media-Revolution, mit Twitter, Facebook, Linked-in, Web 2.0, hat die Möglichkeiten des gemeinsamen Lernens radikal verändert. Sie ermöglicht uns komplett neue Zugänge zur Nutzung der Phantasie und des schöpferischen Potenzials für Innovation. Ich möchte im Folgenden auf die Rahmenbedingungen eingehen, die Industriebetriebe setzen müssen, um den neuen Herausforderungen im Bezug auf Leadership und Strukturen gerecht zu werden. Dabei will ich mich nicht auf die strategischen Hausaufgaben wie Unternehmensstrategie, Businessziele oder Handlungsfelder beschränken. Diese sind die ureigenste Aufgabe der Unternehmensleitung und des Top-Managements, und sie sind die wichtigste Rahmenbedingung, um Innovationen von innen heraus entstehen zu lassen. Es braucht also eine vertikale Integration für Top-Down-Vorgaben und eine horizontale Vernetzung im mittleren Management. Soll die „Weisheit der Vielen“ nutzbar gemacht werden, geht es darum, die strategischen Innovations-Suchfelder in den Tauschhandel der Ideen und Lösungen einzuschleusen. Dafür benötigt man ein gut verankertes Ideenmanagement, welches es ermöglicht, Ideenströme von außen und innen zu verarbeiten und zu fokussieren. Innovationsnetzwerke haben die Aufgabe, die richtigen Teilnehmer und 49


potenziellen Innovationstalente sowie Fachexperten intern und extern bereitzustellen und deren Vernetzung und Wissensaustausch zu fördern. Eine Studie von McKinsey beschreibt den Aufbau von Innovationsnetzwerken und Subnetzwerken sowohl als Kunst als auch als Wissenschaft. 94 Prozent der befragten Senior Executives geben an, dass menschliche Werte sowie die Unternehmenskultur die bedeutendsten Treiber für Innovation sind. Dies bedeutet, dass Unternehmenskultur und zentrale Werte des menschlichen Miteinanders anzupassen oder möglicherweise völlig neu zu definieren sind. Auf der Suche nach den menschlichen Motivationsfaktoren und den dazu passenden Steuerungselementen stoßen wir sehr schnell auf drei verschiedene Ebenen, die schon vom Soziologen Niklas Luhmann beschrieben wurden. Die erste Ebene ist der wirtschaftliche Erfolg, das zugehörige Steuerungselement ist: Geld. Fehlt dieses, entstehen finanzielle Krisen sowie der Verlust von Motivation und Loyalität. Die zweite Ebene ist menschliche Nähe, das zugehörige Steuerungselement ist Offenheit und Vertrauen. Fehlt das, entstehen sehr oft Konflikteskalationen, Ausgrenzungen und innerlicher Rückzug. Die dritte Ebene hat mit Lernfähigkeit und dem Schaffen von Wissen zu tun. Das zugehörige Steuerungselement ist Erkennen, Lernen und Erfahren. Fehlt diese Ebene, besteht die Gefahr von kurzsichtigen Entscheidungen, Fehlinvestitionen und Gewinnverlust. Wir müssen bedenken, dass die beschriebenen Ebenen sogenannte Subrationalitäten in Unternehmen darstellen, also von Hierarchie zu Hierarchie unterschiedlich wahrgenommene Faktoren sind. Zusammen mit unseren Wertesystemen bilden sie jedoch die Grundlage für eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens – und damit für die Fähigkeit, Phantasie und Kreativität in eine zukunftsfähige Richtung zu lenken. Im Sinne der Fragestellung, nämlich der Rolle der Phantasie in der Wirtschaft, kann somit zusammengefasst werden: Wenn es eine „Weisheit der Vielen“ gibt, dann wird es wohl auch eine „Phantasie der Vielen“ geben müssen. Wir kennen sicherlich noch nicht alle Leadership-Antworten auf diese Frage. Wenige Antworten liegen jetzt schon auf der Hand und jedes Unternehmen wird seine eigene, kulturell passende Antwort darauf zu suchen haben. Dies bleibt wohl die spannendste Aufgabe und Herausforderung für alle Innovationssysteme.

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Heidi Glück

Phantasie und Kreativität in Kommunikation und Politik Die Ecke, aus der ich komme, ist nicht gerade ein Dorado der Phantasie und auch keine Domäne der Kreativität. Ich komme aus der Kommunikation und aus der beratenden Politik und hier spielen Phantasie und Kreativität leider in der Tagesarbeit nur eine untergeordnete Rolle. Man könnte im Gegenteil die These aufstellen, dass das politische System sich fast hermetisch abschotten möchte gegen Querdenker, gegen Unkonventionelle, gegen Nonkonformisten und gegen alle, die ausgetretene Pfade verlassen möchten und neuen Ideen zum Durchbruch verhelfen wollen. So kommt es in Österreich aus Angst vor lästigen Störvariablen aller Art eher zu einem Diktat der Berechenbarkeit, und dem müssen sich alle Akteure beugen – bestes Beispiel: der parlamentarische Klubzwang. Ideen könnten ja die eigene Ideenlosigkeit bloßstellen, Querdenken könnte die Schein-Idylle gefährden und frische Ansätze könnten Wähler irritieren. Einen schweren Stand haben Phantasie und Kreativität allerdings auch im weiten Feld der Kommunikation im Allgemeinen. Vom Wahlkampf bis zum Waschmittel dominiert der Kult der Wiederholung. Die Botschaften müssen simpel sein und bis zum Abwinken getrommelt werden. So konventionell wie die Inhalte sind, so konventionell sind auch die Formen. Deshalb schreiben immer mehr Zeitungen immer öfter bloß mehr das, was die Vorurteile des Lesers bestätigt. Deshalb spielen immer mehr TV-Programme nur mehr den ausgetesteten Mainstream-Geschmack. Deshalb ist die Personalisierung die beliebteste Methode zum Transport von Botschaften jeglicher Art geworden. Strahle-Image, Populismus und ein Schuss antrainiertes Charisma sind eben das am leichtesten konsumierbare Vehikel von Content, man will die Leute ja nicht überfordern, sie haben wenig Zeit, können sich in der Informationsflut nicht mehr lange konzentrieren und ziehen die einfache, schnelle und anspruchslose Message vor, gekonnt serviert von einem Kopf am Bildschirm, der gut aussieht und kompetent wirkt. Das kann aber doch nicht die ganze Wahrheit sein. Suchen wir Trost bei Victor Hugo: „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“. Also haben Ideen doch eine Chance? Das meint auch Albert Einstein: „Phantasie ist wichtiger als Wissen. Wissen ist begrenzt. 51


Aber Phantasie umfasst die ganze Welt.“ Und Truman Capote geht sogar so weit zu sagen: „Alle Menschen haben die Anlage, schöpferisch zu sein. Nur merken es die meisten nie“. Das kreative Potenzial ist also vorhanden – auf unterschiedlichen Niveaus. Auch wenn es Phantasie und Kreativität in vielen Bereichen des täglichen Lebens durch die beharrenden Strukturen schwer haben, so sind sie doch die Königsdisziplin der Menschheit. Von Platon bis Kant, von Bach bis Mozart, von Tizian bis Monet, von Dante bis Shakespeare sehen wir, wozu der Mensch fähig ist, wenn er seine Fesseln abstreift, wenn er das vollkommen Neue wagt. Kreativität ist Basis des gesamten Fortschritts, auch die ganze Evolution ist ja ein kreativer Prozess und heute sprechen die Neurobiologen schon beim frühen Kind von einer „Plastizität des Gehirns“, das – sich selbst organisierend – im ständigen kreativen Austausch mit der Umwelt steht. Zwischen dieser biologischen Fähigkeit der Lebensbewältigung und Lebensaneignung und den Spitzenleistungen der Kreativität ist natürlich ein weites Feld. Aus dem Gesetz der „Kognitiven Dissonanz“ wissen wir, dass Menschen Informationen entlang ihrer Einstellungen filtern und bestätigende Elemente eher wahrgenommen werden als dissonante, konträre Inhalte und Meinungen. Diese Einsicht ist auch für die Rolle von Kreativität und Phantasie in der Kommunikation wichtig. Neuer, ungewohnter, phantasievoller Content muss erst Barrieren überwinden, bis er akzeptiert wird. Und da sind wir auch schon am Kern des Themas: Chancen von Kreativität in der Kommunikation. 1. Kreativität und Kommunikation sind kein Widerspruch. Sie sind im Gegenteil ein Erfolgsgespann. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Kommunikation ist Kreativität. Die Gefäße der Kommunikation – also zum Beispiel die Medien – mit Inhalt füllen, ist ein permanenter kreativer Prozess. Kommunikation braucht deshalb besonders viel Phantasie, weil der Kampf um das volatile Gut der Aufmerksamkeit mit Phantasie gewonnen werden kann, mit Originalität, mit Einfällen, mit Überraschungen. Der moderne Mensch wird von Reizen überflutet und deshalb herrscht ein Verdrängungswettbewerb unter den Kommunikatoren: Wie komme ich mit meiner Botschaft über die Wahrnehmungsschwelle. Die Phantasie der Formulierung ist eigentlich das Marketing dafür, was ich sagen will oder wofür ich werbe. Die Inhalte können dabei beides sein: konventionell oder selbst phantasie-generiert. 2. Die Rolle der Phantasie für die Durchsetzungskraft einer Kommunikation betrifft sowohl den Inhalt als auch die Form. Das heißt, auch die Formen der Kommunikation können und sollten immer wieder neue Wege gehen, Schablonen und Routinen überwinden, mutig und experimentell 52


sein. Die Tools der phantasievollen Kommunikation sind zahlreich. Die ganze Internet-Industrie tut nichts anderes, als immer wieder neue Kommunikationsformen zu erfinden. Aber phantasievoll kommunizieren kann man auch auf einem T-Shirt. Oder auf dem grenzenlosen Feld der Kunst. 3. „Phantasie ist etwas, was sich manche Leute gar nicht vorstellen können“ sagt ironisch der Autor Gabriel Laub. Damit sind wir bei einer weiteren Schnittmenge von Phantasie und Kommunikation: Der bewussten Suche nach dem noch nie Dagewesenen, der gezielten Provokation, dem Tabubruch, der Überschreitung der Norm. 4. Kommunikation ist auch insoweit eine Voraussetzung für Phantasie, weil Kommunikation die Basis der Phantasie schafft, nämlich das Wissen. Je mehr man Informationen aufnimmt und speichert, je mehr man Erfahrungen im wahrsten Sinn des Wortes „sammelt“, desto mehr Manövriermasse für den kreativen Prozess hat man. Der kreative Funke kann nur das entzünden, was schon vorhanden ist. Neue Vorstellungen schaffen also neue Sinnbezüge und vereinen bisher nicht sinnvoll und logisch verbundene Gedanken. Kreativität kann man also üben. Thomas Alva Edison, der Erfinder der Glühbirne meinte: „Genie ist ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.“ 5. Nach dem Genieblitz kommt die Knochenarbeit. Die geniale Eingebung ist nichts ohne die entsprechende Umsetzung. Ohne solides Handwerk wird die beste Kampagnenidee ein Rohrkrepierer. Professionalismus tut auch deshalb besonders not, weil gerade phantasiebetonter Content wie schon gesagt ein außerordentliches Engagement erfordert, um anzukommen und um als sympathisch und relevant zu wirken. 6. Nicht übertreiben. Man sollte außergewöhnlich kreative Ideen dosiert einsetzen und nicht inflationär. Ich schließe den Kreis und kehre noch einmal zum Thema Politik zurück. Dass sie ein Kreativitätsdefizit hat, ist evident. Das liegt paradoxerweise daran, dass es uns immer noch sehr gut, zu gut geht. Würde man sich in Punkto Kreativität und Phantasie in der Wirtschaft ebenso wenig Gedanken machen, wie Produkte kreiert, designt und verkauft werden, würde ein Unternehmen nicht lange überleben können. Denn dort ist der Erfolg im Wettbewerb vor allem eine Frage der Kreativität, wie wir es von meinen Vorrednern ja auch schon gehört haben. Aber gerade die zunehmende Volatiliät der Wähler, neue Mitkonkurrenten am politischen Markt, die abnehmende Mobilisierungskraft der Funktionärsgarde und das Aufkommen neuer Medien mit ganz neuen 53


Kommunikationsformen wird auch die Parteien rasch zu kreativeren, Kommunikationsansätzen zwingen. Mit einer Spur mehr Phantasie in den Erklärungsmustern komplexer Zusammenhänge ist dann vielleicht auch wieder mehr Spannung für die Wähler zu erwarten.

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Valentine Troi

Peer Gynt, die Triebfedern und der Schweiß Ich sehe mich zum Thema Phantasie und Wirtschaft tatsächlich und wunderbarerweise als ein Fallbeispiel, also werde ich erzählen von dieser Erfindung, die mich zur Unternehmerin gemacht hat, wie es überhaupt dazu gekommen ist, ob es ein Fluch oder eine Gabe ist. Seit ich sieben Jahre alt bin, seit ich mich erinnere, habe ich mich immer wieder auf Themen eingelassen, die mich kurzfristig, manchmal auch länger überfordern – allerdings macht es dennoch Spaß! Und es führt immer wieder zu Erfolgen und wird honoriert, so dass es auch Triebfedern zu immer neuem Schaffen gibt. Im Jahr 2009 war ich als Architekturassistentin an der Universität Innsbruck der Meinung, die Architekten müssen auch beginnen, selbst Materialien zu entwickeln, weil das keiner für uns tut, obwohl es dafür einen spannenden Markt gibt. Es kamen nämlich diese neuen Faserverbunde auf; damals für mich noch ein Mysterium. Weiche Faserelemente, die schließlich mit Harz gehärtet werden, das heißt: Architekten könnten mit Werkstoffen arbeiten, die ihnen die begehrte freie Formbarkeit ermöglichen. Als ich mit Studenten an dem Projekt zu arbeiten begann und bald merkte, „Uh, da braucht es Geld, wir müssen diese Materialien ja auch finanzieren“, stellte ich den ersten kleinen Forschungsantrag und bekam als Antwort zwei Gutachten, eines vernichtend – „Das können nur Chemiker!“ – und das andere euphorisch: „Wunderbar, dass sich auch Architekten darum kümmern!“ Also machte ich weiter, wir haben sukzessive Geld aufgetrieben, um größere Prototypen zu bauen. Man hat mich dann auf die Idee gebracht, ein Patent anzumelden und mit dieser Idee ein Unternehmen zu gründen. Somit war der Samen gesetzt, ich habe mir natürlich sofort mein Super-Unternehmen vorgestellt (heute: superTEX composites GmbH, Telfs), habe entsprechend gerne gearbeitet, und bald haben wir diesen Verbundwerkstoff präsentieren können. Es ist ein schlauchformartiger Werkstoff, den man wie einen Gartenschlauch biegen kann, und zum Schluss kommen hochleichte Strukturelemente heraus – konzipiert für Architekturanwendungen. Aber schon bei einer der ersten Messen kamen dann BMW-Leute zu unserem Stand und kommentierten, „Ha, wie frech ihr seid!“ Ob wir uns auch ganz darüber im Klaren seien, die Ersten zu sein, die ein funktionierendes Prinzip für frei formbare Carbonrohre entwickelt haben. Autos bestehen zu bestimmten Teilen schon aus CFK, dem Kohlenstofffaserverstärkten Kunst55


stoff, aber die Rohre sind immer noch aus Metall. Sie lobten unseren ziemlich gelungenen Wurf. Natürlich haben wir uns gleich auch um diese Industrieteile gekümmert, sind mittlerweile mit der GmbH auch Industriepartner in Entwicklungsprojekten für ORMs, die im Jahr 2015 Millionenumsätze generieren könnten, wenn wir wie bisher weiter kommen. Wir sind also tatsächlich von der Idee „Architekturanwendung“, mit Architektur als Zielkunden, hin zu diesen großen Industriekunden gekommen. Deshalb möchte ich jetzt auf ein Zitat in meiner Diplomarbeit verweisen, das Peer Gynt spricht – Henrik Ibsens Weltenbummler, der auf sehr originelle Art und Weise immer wieder etwas Neues probiert. In einem Fall, das Zitat stammt aus dem vierten Akt, geht es darum, dass er als Prophet gescheitert ist und beschließt, dann halt wieder etwas anderes zu machen, sich vielleicht als Historiker zu versuchen, allerdings, sinniert er, habe er davon gar keine Ahnung, sagt aber dann: „Doch, pah! ist der Ausgangspunkt der Fatalste, so heimst man zum Schluss das Originalste. Wie erhebend ist’s doch, sich ein Ziel zu ersehn, und wie Stahl und Feuerstein durchzustehn.“ Und Peer Gynt ist dann von sich selbst sehr bewegt. Meine Diplomarbeit war eine Architekturinszenierung des Peer Gynt. Da ich damals auch Querflöte gespielt habe in einem Orchester, überlegte ich, auch etwas mit der Musik zu machen, sonst wäre diese Mühe ja für den Hugo gewesen, und ich kam dann bei Peer Gynt auf diese wunderschöne Soloflötensituation in der Morgenstimmung. Und erstaunlicherweise stellte sich dieser Peer Gynt auch als eine phantastische Architektur-Persönlichkeit heraus, leicht narzisstisch, sehr selbstdarstellerisch, von einem Projekt zum anderen, und immer wieder neue Kraft schöpfend für neue Ideen. Und dieses Zitat hat dann auch etwas sehr Wahres. Immer wieder, wenn man in Situationen rutscht und das Gefühl hat, überfordert zu sein, eigentlich wenig Ahnung vom Ganzen zu haben, dann kann man auch davon ausgehen, dass, wenn man genügend Kraft hat, vielleicht genau das auch ein Potential ist – und man dadurch leichter, weniger schwerfällig und origineller reagieren und etwas entwickeln kann. Im Grunde genommen ist es genau das, was unser Unternehmen zum jetzigen Standpunkt auch ausmacht; nach wie vor leben wir von diesem Überraschungseffekt, von der Verwunderung darüber, wie Architekten so schnell zu der funktionierenden Technologie gekommen sind. Aber dennoch bin ganz eins mit vielen Erfinder-Vorgängern – ohne mich natürlich in diese Liga einordnen zu können –, die stets mehr die Transpiration als die Inspiration in den Vordergrund stellten. Thomas Edison hat zum Beispiel gesagt: „Genius is one percent inspiration and 99 percent perspiration“. Also: Die Idee macht 1% aus, die dann schwitzend mit 99% Einsatz weiterzubringen ist. Es ist mir relativ 56


schnell nahegelegt worden, nämlich beim Schreiben meines ersten Business­plans, dass diese gute Idee nur die Triebfeder ist. Die macht Spaß, dafür bekommt man Schulterklopfen, aber der andere Teil ist natürlich Arbeit, bei der man permanent überfordert ist und aus der man sich nicht rausbringen lassen darf. Da muss man dran bleiben, dafür gibt es auch Tricks; wichtig für mich ist, entlang des schon zitierten Satzes „Ist der Ausgangspunkt der Fatalste, heimst man zum Schluss das Originalste“, dass man sich nicht so schnell niederbügeln lässt in Standards. Das gilt zum Beispiel auch beim Businessplan, wobei man sich natürlich dessen bewusst ist, wie wichtig er ist. Wir stehen schon auch unter Umsatzdruck, sind aber nach wie vor ein Forschungs- und Entwicklungsunternehmen, in dem es Spaß macht, Probleme zu lösen. Auch für kleine Probleme kann man, selbst wenn man jeweils nicht der absolute Spezialist ist, mit eigenen Entwicklungen und Erfindungen oft gute Lösungen finden. Es ist mir im Leben immer wieder passiert ist, dass ich eine Idee gehabt habe, zu der dann natürlich immer eine extrem idealistische Vorstellung im Kopf kam, die ich dann umsetzen wollte. Mit sieben Jahren wollte ich den Sonnengesang des heiligen Franziskus vertonen, damals lernte ich gerade Gitarre spielen und dachte mir: „Ha, wenn ich diese Griffe mache, dann geht ja das Komponieren ganz leicht“. Meine Eltern haben es super gefunden, aber sie haben mich nie motiviert, es jemandem vorzuspielen; es war wohl nicht ganz so gelungen. Ganz spannend ist es mit dem Erfinden natürlich in der Architektur geworden: im Kopf Konzepte und Modelle entwickeln und sie dann materialisieren – eine phantastische Situation, ich war begeistert. Aber die gebauten Modelle sind nie so geworden, wie ich sie mir vorgestellt hatte – und das ist natürlich schon auch ein Kampf, wenn die Dinge nicht so gelingen, wie man sie im Kopf hat. Aber man lernt und heute mit fünfunddreißig Jahren komme ich auch schon in der Vorstellung, ohne dass es gefährlich langweilig ist, in Richtung Realität. Und weil Herr Bartenbach auch auf diesem Podium sitzt, muss ich das erwähnen: Einer meiner ersten Glücksmomente, bei denen es darum ging, dass Ideen von mir auch honoriert worden sind und ich sie nicht nur für mich selber ausgeführt habe, war ein Wettbewerb, bei dem es um den Bartenbach’schen Freiform- oder Facettenreflektor ging. Ich habe als Studentin in einem Tag den Wettbewerbsbeitrag erarbeitet, also relativ schnell, es war eine recht gute Idee, mit der ich dann tatsächlich diesen Preis gewonnen habe. Ich bekam für diese gute Idee tausendfünfhundert Euro! Und schwebte einen Tag lang auf Wolken – dass es möglich ist, für eine Idee honoriert zu werden, dass aus ihr wirklich etwas werden kann. Ich glaube, es ist in unserer Forschungs- und Wirtschaftswelt wichtig, dass man Anerkennung bekommt, mit seinen Ideen immer weiter und weiter gehen kann, so dass man im System nicht ermüdet. Mir geht es momentan sehr gut, ich werde immer wieder mit Preisen, Fördergeldern und Aufträgen für die Arbeit, die wir tun, honoriert – und es geht mir wahrscheinlich besser als den meisten Architekten, die in der klassischen 57


Architektur geblieben sind. Und ich bin mittlerweile schon wieder darauf aus, mich im Unternehmenskonstrukt aus dem Business-, Personal- und Finanzierungsbereich etwas zur체ckzuziehen, weniger Gespr채che zu f체hren und Angebote zu schreiben, aber wieder mehr zu Produktentwicklungsthemen zu kommen. Auch dieses Erkennen ist wichtig im Wirtschaftsleben: Wo liegt jetzt die spezielle Power, wo liegt die eigene Kraft?

Der Text folgt dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Michael Thurow

Creative Turnaround Now! 1. V om pragmatischen Idealismus zur angewandten Phantasie Phantasie und Wirtschaft: Passt das zusammen? So oder so ähnlich geht es vielen, die versuchen diese beiden Begriffe in Zusammenhang zu bringen. Dabei ist gerade Phantasie – dieses unerschöpfliche Reservoir an Intuition, Bildern und Ideen – das, was uns Menschen besonders macht. Ohne Phantasie – ob größenwahnsinnig oder kontemplativ – gäbe es nicht die Visionen, nicht die Entwicklungen, nicht die Artefakte, die Ausdruck unserer ständigen Weiterentwicklung sind. Insbesondere die letzten Jahrzehnte sind geprägt von Umbrüchen und Unsicherheiten. Eine Vielzahl ungeahnter, neuer Möglichkeiten, umwälzende politische Veränderungen, die Beschleunigung von Kommunikation und Interaktion, sind Ausdruck des auf Wachstum ausgerichteten Denkens der Nachkriegsjahrzehnte. Trotz des Fortschritts und der wirtschaftlichen Entwicklung werden wir ständig vor neue Probleme gestellt. Ob nun Umweltprobleme, demographische Entwicklungen oder die Finanzkrise, wir sind mit einem Spannungsfeld konfrontiert, das nur durch eine neue Herangehensweise gelöst werden kann, denn unsere Verantwortung für nachfolgende Generationen ist groß. Unternehmen müssen sich diesen und anderen Problemen stellen und pro-aktiv Antworten auf drängende Fragen finden. Aktiv am Markt zu agieren und nicht nur zu reagieren lautet die Devise. Herausforderungen, wie die genannte Krise in all seinen Ausprägungen, technologische Entwicklungen der Mitbewerber, die Notwendigkeit maßgeschneiderte Lösungen und Angebote für individuelle Kundenwünsche anzubieten, oder ein – zum Glück – stärker werdendes Umweltbewusstsein in der Gesellschaft setzen viele Unternehmen unter Druck. Viel zu oft wird mit einer quantitativen Steigerung der Leistungsangebote reagiert, frei nach dem Motto: mehr, mehr, und nochmals mehr! Vordergründig bedeutet dies zwar ein größeres Angebot für den Kunden, die Aufrechterhaltung und Verwaltung dieses Leistungsangebots wird aber überproportional aufwendiger. So entstehen Leistungsangebote, die irgendwann kein eindeutiges Markenversprechen darstellen und dadurch austauschbar werden. Als letzter Ausweg wird dann mit Preisreduktion reagiert. Eine Abwärtsbewegung, die schwer umzukehren ist, und dem Nachhaltigkeitsdenken zuwider läuft. 59


Die rein kaufmännische Sichtweise muss hier durch eine kreative Sichtweise ergänzt werden, um Angebote zu schaffen, die sich vom reinen Preis- Leistungs-Denken lösen. Es ist Zeit für eine neue Herangehensweise! Es ist Zeit für einen „Creative Turnaround“, das zielgerichtete Verbinden strategischer und kreativer Ansätze, um neue, zukunftsorientierte Lösungen zu finden. Mit mehr Emotion und Phantasie.

2. Was ist aber Phantasie? Und welche Bedeutung hat Phantasie in der Wirtschaft? Phantasie ist vergleichbar mit dem Universum, beide sind: unendlich und grenzenlos. Wenn man jedoch die Leistungen unserer Phantasie betrachtet (in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft usw.) erkennt man, dass wir mit Phantasie noch viel weitläufigere Dimensionen erschaffen und erdenken können. Gedankenuniversen, in die noch nie ein Mensch zuvor vorgedrungen ist. Jeder Traum, jede Idee, jedes Konzept, jede noch so scheinbar abstruse Phantasie schafft neue Gedankenräume, die Sprungbretter für unsere Weiterentwicklung und neue Erfindungen sind. Phantasie wird oft synonym mit Kreativität verwendet. Hier muss jedoch eine Begriffsabgrenzung erfolgen. Zieht man das Bild des Universums für Phantasie heran, so verhält sich Phantasie zu Kreativität, wie das Universum zu darin fliegenden Raumschiffen. Während das Universum scheinbar unergründlich und grenzenlos ist, so fliegt das Raumschiff ein konkretes Ziel an. Kreativität ist damit zielgerichtet und zweckorientiert. So wird Kreativität zu einem wesentlichen Asset für Unternehmen der kommenden Jahre – um sich zu differenzieren und um wirtschaftlich zu überleben. Kreativität ist angewandte Phantasie, und somit das Werkzeug für innovative Unternehmen.

3. Was ermöglicht ein Creative Turnaround? Neben frischen Inputs liefert Kreativität vor allem eines: zielorientierte Innovation, das Erschaffen von zukunftsfähigen Angeboten. Gut gemacht, richtig gesteuert mit einem großen Ziel: Begeisterung beim Kunden schaffen durch sinnvolle Angebote. Ob dies nun in verstärkte Aufmerksamkeit durch eine gelungene Marketingkampagne, in Produktinnovation durch die Kombination von Technologie und Produktdesign, oder in Nachhaltigkeit durch eine geschickte Kombination von bestehenden Funktionen mit umweltschonenden Werkstoffen mündet, das entscheidet jedes Unternehmen individuell. Ein Kunde von tm concepts wurde beim Ausbau des Produktportfolios mittels einer umfassenden Designstrategie begleitet, und innerhalb von 60


drei Jahren war die Produktentwicklungsrate durch eine Professionalisierung der Design Prozesse um 400 Prozent gesteigert worden. Diese quantitative Intensivierung ging gleichzeitig einher mit einer qualitativen Leistungssteigerung, die durch mehrere Designpreise bestätigt wurde.

4. Werkzeuge des Creative Turnaround Da Kreativprozesse weitgehend unbewusst ablaufen, sind die Ergebnisse von Kreativität weder prognostizierbar noch augenblicklich abrufbar. Zudem ist das Gedankenspiel ein wesentliches Element der Kreativität, wodurch das Setting innerhalb einer Organisation die Kreativität entweder unterstützen, im schlimmsten Fall ihr aber auch zuwiderlaufen kann. Kreativität im Unternehmenskontext will zu einem gewissen Grad gesteuert sein, sollte zumindest mit der Unternehmensstrategie korrespondieren! Das Kreativmanagement ist ein wesentlicher Bestandteil für den Erfolg in einem Unternehmen. Dazu braucht es Spezialisten, die die strategische Ebene verstehen, und die Schätze der Kreativität erkennen und heben können. Somit erfordert ein Creative Turnaround eine Expertise, die es aufzubauen bzw. durch externe Experten zu integrieren gilt. Eine mögliche Methode, um Kreativität in Organisationen zu steigern, erklärt Philippe Greier von Playmakers Industries:„Gamification ist eine Methode, um mit Mechanismen des Spielens und der Entwicklung von Spielszenarien Alltagsprobleme zu lösen und Menschen zu mobilisieren. Laut dem Spielentwickler Jesse Schell ist der Begriff Gamification nur die Spitze des Eisberges einer Idee, die eine weitaus größere Auswirkung auf die Gesellschaft haben wird. Kollaboration und soziale Innovationen werden durch den spielerischen Zugang gefördert und Räume geschaffen, in dem sich die Spielregeln automatisch den Anforderungen anpassen. Wenn wir spielen, hören die Regeln der Wirklichkeit auf zu gelten. Durch Gamification werden tief verwurzelte und primitive Neigungen und Ausrichtungen, die über die Zeit und durch die Evolutionen geformt wurden, um unsere Chancen auf das Überleben zu steigern, wieder offensichtlich“.

5. Und wie arbeiten Kreativpartner? Spielerisch. Innerhalb der Kreativwirtschaft gibt es viele unterschiedliche Anbieter. Um das volle Potential der Kreativarbeit zur Entfaltung zu bringen, muss die Kreativleistung mit den Möglichkeiten des Auftraggebers so synergetisch wie möglich verbunden werden. Eine aussagekräftige Zieldefinition des Auftraggebers bildet ein entscheidendes Fundament für die Suche nach dem optimalen Kreativpartner. 61


Der Kreativ-Workshop auf der Tagung „Phantasie in Kultur und Wirtschaft“ wurde unter dem Motto „Angewandte Phantasie – Paradox oder Weg zur Gestaltung?“ vom Hub Vienna durchgeführt – mit dem Kreativteam Philippe Greier, Milo Tesselaar und Rainer Zoglauer. Das Hub Vienna ist ein sogenannter Coworking Space, der neben Social Entrepreneurs auch vielen Kreativen als Arbeitsplatz und Ort des Austausches und Netzwerkens dient. Neben Designern, Grafikern, Fashion Designern oder anderen „klassischen“ Kreativen sind es gerade auch Mitglieder des Hubs wie Rainer Zoglauer, die zeigen, mit welchen Mitteln Kreativität in Organisationen und Unternehmen ermöglicht werden kann. Rainer Zoglauer, Schauspieler und Trainer, sagt über Improvisationstheater: „Auf den ersten Blick wirkt improvisiertes Theater wie das diametrale Gegenteil der Geschäftswelt. Improtheater ist abenteuerlich, oft politisch unkorrekt, kindisch, risikoreich und sehr spontan. Improspieler sind wahre Meister darin, Unzusammenhängendes zu verknüpfen, mit anderen Menschen kreativ zusammenzuarbeiten, schnell zu reagieren und seinen Partnern mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen. Improspieler kreieren Geschichten aus dem Nichts; in Gegenseitigkeit. Diese Geschichten werden voll von Missverständnissen und ‚Fehlern‘ sein. Eine Improtheatershow sollte aber für den Zuschauer fehlerfrei, klar nachvollziehbar und unterhaltsam sein. Dafür brauchen wir Möglichkeiten und Tricks, mit diesen Anomalien umzugehen. Improspieler verwandeln Fehler in Chancen, aus denen Neues, Unerwartetes entsteht. Improspieler trainieren an ihrer Fehlertoleranz und wissen, wie sie ihren Partner fordern, aber nicht überfordern können. Genaues Zuhören und die Fähigkeit, mit seiner ganzen Person im aktuellen Moment präsent zu sein und sich entspannt und aufmerksam zu beteiligen, sind wichtiger als die eigene ‚geniale‘ Idee. Im Zentrum steht vielmehr die Frage, wie ich meinen Partner zu einem Genie mache. Inhalte können spielerisch behandelt werden, und im geschützten Rahmen lernen Menschen wieder zu spielen. Denn der spielende Mensch lernt, zumindest bis zum Schuleintritt ist Lernen auch immer ein Spiel. Leider wachsen viele Menschen aus ihrem Spieltrieb heraus in den ‚Ernst‘ des Lebens, und viele Möglichkeiten des Ausprobierens, Scheiterns und nochmaligen Ausprobierens gehen dabei verloren. Improspieler sind dazu da, diese Möglichkeitsräume wieder zu öffnen. Spielen, scheitern, lernen, weiterspielen“.

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6. Und das Kreativmanagement steuert den Output Der kreative Output muss natürlich so gesteuert sein, dass er zur Marke, zu vorhandenen Kompetenzen und bestehenden Portfolios passt. Die oft kritisierte Selbstverwirklichung von Kreativen ist hier fehl am Platz. Im Design- und Kreativmanagement – der Steuerung, Koordinierung und Kommunikation kreativer Prozesse – liegt der Schlüssel, die Phantasie aller Beteiligten in konkrete Ergebnisse zu übersetzen.

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Kapitel 4 Die Rolle der Phantasie in der Kunst



Hellmuth Matiasek

Einleitung: Die Kunst, ein Phantasie-Gipfel? Auf unserem Alpbacher Phantasie-Gipfel scheint die Titelheldin bislang eine gute Figur gemacht zu haben. Und erstaunlich präsent durfte sich die Phantasie zeigen in Bereichen, wo man sie gemeinhin gar nicht vermutet hatte, und wo sie gar nicht hingehört, wie Manche meinen, nämlich auf die mit Nüchternheit bebauten Felder Technik, Wissenschaft und Wirtschaft. Nun aber nach der Rolle zu fragen, welche die „Phantasie in der Kunst“ zu spielen gedenkt – und das ist unser Thema in diesem Kapitel –, grenzt schon an Fragwürdigkeit. Denn ist die Kunst nicht fraglos schon ein Phantasie-Gipfel für sich? Ist Kunst denn ohne Phantasie überhaupt denkbar? Ihre Identitäten überschneiden sich in einem Ausmaß, das an Tautologie erinnert und Ross und Reiter in Verwechslungsgefahr bringt. Welche Rolle also spielt sie? Nicht nur die Hauptrolle. Die Antwort müsste lauten: alle Rollen! Ganz nach Shakespeare: „Lasst mich den Löwen auch spielen!“ Meine Referentinnen und Referenten, allesamt Künstler, verstehen Phantasie als „Grundtalent“, als „Göttlichen Funken“, als „innere Stimme“, meinen, Phantasie sei selber eine „schöne Kunst“, sie sei der „Kraftstrom für den Motor der Kunst“ und „ähnlich wie die Liebe ein sehr intimes Erlebnis“. Der Religionsphilosoph Romano Guardini sieht in ihr gar die unmittelbare Ausstrahlung des „Heiligen Geistes“. Dass die Musik von Phantasie gezeugt und getragen wird, gilt als unbestritten. Aber auch die Tänzer, Regisseure und Lightdesigner wollen beweisen, dass der Phantasie-Anteil der interpretierenden Künste vergleichbar hoch ist. Und wahre Traumtänze sind zu feiern, wo sie in die Phantastik überbordet, wie in den literarischen Figuren bei Franz Kafka und E.T.A. Hoffmann, in den Phantasmagorien eines Hieronymus Bosch oder Salvador Dalí. Wird die Phantasie demnach als Voraussetzung, als Vorstufe der Kunst beansprucht, so kann sie für den Kunsthistoriker, der die Ergebnisse der Phantasie-Entwürfe zu sammeln, zu ordnen und zu beschreiben hat, kaum im Brennpunkt seines Interesses stehen. Die Vielfalt der Phantasie-Gebilde, die wie in einem Gärungsprozess auf die unterschiedlichen Kunstsparten einwirken, scheint uferlos zu sein. Und auch für uns ist es in einem Anderthalb-Stunden-Kolleg weder möglich noch zumutbar, einen theoretisch fundierten Überblick über dieses weite Feld zu geben. 67


Wir wenden uns an drei ausübende Künstler, um etwas von deren intimem Umgang mit der Phantasie zu erfahren. Was sie vor allem legitimiert, ist das innige Verschränkt-Sein ihrer Phantasie mit dem Handwerk. Zum Handwerk gibt es die legendäre Aussage des klassischen Bildhauers, „die Skulptur existiere ja bereits obskur als Phantasiegestalt in dem Marmorblock, und er brauche ja nur noch mit Hammer und Meißel weg zu hauen, was nicht wie ein Löwe aussieht“. Solche Werkstattberichte erschienen uns aussagekräftiger als alle Theorie aus den Vorworten der Kunstwissenschaftler und Funktionäre, die über Kunst reden und schreiben. Deshalb ist uns der Entschluss leicht gefallen, als Referentinnen und Referenten Künstler einzuladen, die selber malen, singen oder schreiben und von dieser Tätigkeit leben. Von ihnen wollen wir erfahren, welchen ganz persönlichen Weg ihr Traumstoff Phantasie hin zum Kunstwerk führt. Vielgestaltig, zugleich amorph erscheint uns die Phantasie zumeist als unnahbare Allegorie. Einer der phantasievollsten österreichischen Dichter, Ferdinand Raimund, hat ihr aber eine konkrete Gestalt verliehen, in seinem Zauberspiel „Die gefesselte Phantasie“. Er zeigt sie als androgyne Figur im kurzen Hemdchen, mit zwei weißen Flügeln auf dem Rücken, wie alle Genien sie tragen. Eigentlich unterscheidet sie sich nicht vom kleinen Bogenschützen Gott Amor. Sollte die Phantasie etwas mit Liebe zu tun haben? Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte …

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Peter Edelmann

Von den Tönen im Kopf des Sängers zu den Schwingungen im Zuhörer Da ich hier die „musikalische Fraktion“ vertrete, werde ich speziell über die Phantasie in der Musik nachdenken. Anfangs meinte ich, da ich ja „nur“ nachschöpferisch tätig bin, wenig zum Thema beitragen zu können. Bei näherem Hinschauen aber muss ich die Sänger doch als überaus phantasiebegabte Musiker und Künstler bezeichnen. Anders als die Instrumentalisten müssen doch die Sänger das Instrument im eigenen Körper bei jedem Ton, den sie von sich geben, zum Funktionieren bringen. Ohne Phantasie geht das nicht. Von den ersten Gesangsstunden an, die ich hatte, musste ich mir, bevor der Ton entstand und erklang, diesen erst vorstellen, ihn imaginieren. Die zu produzierenden Töne entstehen im Kopf, im Gehirn, erst dann werden diese Gedanken zum Klingen gebracht. Natürlich braucht man dazu die nötige Technik, um diese abrufen zu können. Auch jetzt nach bald dreißig Jahren im Berufsleben, muss ich mir die Töne, die ich singen soll, zuerst vorstellen. Dies schon einmal zur Tonproduktion. Sehr spannend ist es nun natürlich auch, in meiner neuen Aufgabe als Gesangslehrer an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, mit Studenten aus allen Kontinenten zu arbeiten und so zu sehen, wie das kulturelle Umfeld, die Erziehung, die Sprache, und schließlich nicht zuletzt die zu entwickelnde Phantasie in die Tonproduktion – und das ist das Singen zunächst einmal – hineinspielt. Viel Phantasie braucht man dann auch, um die Gesangsstücke, seien es Lieder oder ganze Opern, so wiederzugeben, dass sie das Publikum erreichen und zwar möglichst so, dass der Zuhörer bewegt wird, quasi in „höhere Sphären“ gehoben wird. Natürlich möchte ich beim Publikum erreichen, dass ihm mein Singen gefällt, dass es bei ihm etwas auslöst und dass letztlich seine Phantasie angeregt wird. Es sollte dem Zuhörer ein ähnliches Gefühl geben wie es ihn beim Betrachten eines Bildes befällt: sich auf dem Bild „daheim“ zu fühlen und auf ihm, in Gedanken natürlich, spazieren gehen zu können. Sehr genieße auch ich selbst den Kunstkonsum, kenne also die Gefühle, beflügelt zu werden, gehoben zu werden über die Erdenschwere, auch beim Betrachten von bildender Kunst oder beim Lesen eines Buches. Eines ist sicher: Die eigene Phantasie und die verschiedensten Gedankengänge, die durch die Kunst angeregt werden, sind die stärksten Gefühle, die ich kenne, vergleichbar vielleicht nur mit dem Gefühl der Liebe! 69


Als ich acht oder neun Jahre alt war, nachdem ich bereits fünf Jahre Geige gelernt habe, begann ich intensiv klassische Musik zu hören. Zuerst war Beethoven mein Liebling. Bald aber, wahrscheinlich durch das Aufwachsen im Hause meines weltberühmten singenden Vaters Otto Edelmann entdeckte ich die Oper für mich. Meine damalige Lieblingsoper war Wagners „Der Fliegende Holländer“. Ich hörte die Oper zu Hause oft an und zu der Geschichte entstanden im Kopf die phantastischsten Bilder. Als ich dann die Oper erstmals live erlebte, geschah etwas Seltsames. Ich war zutiefst enttäuscht. Obwohl es eine klassische, durch und durch realistische Inszenierung war, mit allem was dazugehörte, konnten es die Bilder nie und nimmer mit den in meiner Phantasie entstandenen aufnehmen. Durch meine Tätigkeit als Gesangsprofessor sehe ich jetzt, dass viele junge Sänger nicht mehr, oder viel weniger als früher, die eigene Phantasie und Vorstellungskraft benutzen. Sehr oft verlassen sie sich auf das Abhören und somit letztlich auch Abschauen und Kopieren von anderen Sängern. Von einer einzigen Arie, einem einzigen Lied, lassen sich auf Youtube per Knopfdruck unzählige Versionen anschauen und anhören! Somit wird aber auch die eigene Gestaltungskraft blockiert oder zumindest sehr beeinflusst und der „wahre Ton“ in einem wird niemals gefunden. Auf der anderen Seite wird die individuelle Persönlichkeit von Sängern und Musikern heute gar nicht mehr so gewollt. Ich denke, da wurzelt auch der oft gehörte Ausruf: „Es gibt heute keine echten Persönlichkeiten auf der Opern- und Konzertbühne!“ Für Sänger ist es unerlässlich, mit perfekt studierter Rolle, sowohl musikalisch als auch was Rollencharakter betrifft, zur Probe zu kommen, aber oft passiert es, dass man am ersten Tag beim Konzeptionsgespräch dem Regisseur lauscht und das Gefühl hat, eine völlig andere Rolle in einem ganz anderen Werk gelernt zu haben. Die Regisseure ändern willkürlich Zeit, Schauplatz und Handlung der Opernlibretti und erschweren so die Arbeit von Sängern erheblich. Man steht oft zwischen zwei Paar Schuhen! Einerseits will man werktreu sein und die Intentionen von Komponisten und Librettisten möglichst genau umsetzen. Andererseits will man den Job nicht verlieren, indem man sich mit dem Regisseur anlegt. Die Regisseure stülpen gerne ihr Rollenbild über die Sänger und lassen meistens gar keine anderen Ideen gelten. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, wenn behauptet wird, dass „moderne“ Inszenierungen, also in das Heute versetzte Inszenierungen, das junge Publikum mehr ansprechen und die jungen Leute in die Theater und Opern locken. Die Aussagen meines Sohnes beweisen absolut das Gegenteil! Liebe, Eifersucht, Rache, Trauer et cetera berühren einen heute genauso wie vor vierhundert oder hundert Jahren! Heutzutage ist es unerlässlich, dass Sänger versuchen, sich, bis zu einem gewissen Grade natürlich, selbst zu managen. Das Angebot für Auftritte ist groß, aber die Zahl gut ausgebildeter, „hungriger“ Sänger ist wesentlich grösser. Wer zuhause sitzt und auf den berühmten Anruf, der ein 70


neues Engagement bringt, wartet, hat oft das Nachsehen. Wer als Sänger Erfolg haben, und noch viel wichtiger und letztlich entscheidend, von seiner Kunst leben möchte, muss sehr gut organisiert, überaus diszipliniert, immens fleißig, von Natur aus gesund sein und einen dementsprechenden Lebenswandel haben. Er sollte sehr flexibel sein, was den Ort seiner Auftritte und Engagements betrifft und bereit sein, im Privatleben und bei der Familie große Abstriche zu machen. Unerlässlich ist es, Partner an seiner Seite zu haben, die einen hundertprozentig unterstützen. Aussagen von bildenden Künstlern, die dann ein Bild malen und künstlerisch aktiv werden, wenn sie sich danach fühlen und Lust dazu haben, gelten für Sänger überhaupt nicht! Aber noch einmal zur Phantasie: Für Sänger gibt es keine schöneren und erfüllenderen Augenblicke als im Moment des Singens auf der Bühne mit Hilfe der eigenen Phantasie die Phantasie und Gedanken der Zuhörer zu berühren und diese im wahrsten Sinne des Wortes in „Schwingungen“ zu versetzen. Nur darum geht es letztlich in unserer Kunst.

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Maximilian Fliessbach gen. Marsilius

Phantasie und Kreativität als Spiel mit der Inspiration Spiel ist Phantasie. Phantasie ist Spiel mit der Inspiration. Dieser göttliche Funke der Beseelung von Vorstellungen entzündet sich in der Ungerichtetheit, in der Freiheit, in der Neugier, wiederum in dem Spiel. Somit ist Phantasie wie auch das Spiel ein grundlegendes Charakteristikum des Menschen. Nicht weiter rückführbar, eine unbedingt primäre Lebenskategorie. Ein Brennstoff, der gezielt eingesetzt, in den Prozess des Schöpferischen führt, der Kreativität. Kreativität ist materialisierte Phantasie, und in allen Bereichen, die den Menschen betreffen, auch immer notwendig. Im Geistigen, Technischen, Wirtschaftlichen, Politischen und Künstlerischen. Der Bereich das Spielfeld, kann noch so abgesteckt und eingegrenzt sein, es bleibt immer genug Raum, um Phantasie und Kreativität walten zu lassen, um neue, andere Ufer zu entdecken. Phantasie ist frei, bedarf aber nicht zwingend de Freiheit, um zu wirken. Als Vorspiel und Einleitung meines Vortrags über die Phantasie wählte ich bewusst den Bereich des Dilettierenden, des sich Erfreuenden an der Paraphrase über das Thema aus Claude Debussys impressionistischem Werk „Der Nachmittag eines Fauns“. Der 150. Geburtstag des Komponisten, veranlasste mich in diesem Frühjahr zu einer Auseinandersetzung mit diesem Musikstück; in einer Ausstellung in München mit 25 graphischen Blättern und sieben Gemälden, eine Verbindung von Musik, Text und Malereien – in meinem Metier als Maler. Die Lust und die Freude am Spiel, am Klavierspiel, bewogen mich, auch heute den Bereich der Musik aktiv einzubeziehen, auch wenn ich kein Profi bin, nur ein Dilettant, ein sich Erfreuender. Das soll verdeutlichen, dass alle Phantasie, alle Vorstellungskraft, die „Imagination“, das Sich-ein-inneres-Bild machen, anfangs in der spielerischen, der freien und der sich frei entwickelnden Sphäre verbunden ist und sich stets fließend neu gebiert – wenn man das zulässt. Und hier kommt es weniger auf das Können an als auf das Machen. Improvisation ist der passende Begriff für diesen Akt des Schöpferischen in der Musik, aber er kann auch auf alle andere Bereiche angewandt werden, in denen man der Intuition vertraut und der Empathie, der Gabe sich in Anderes hinein zu versetzen, sich fallenzulassen, loszulassen, um etwas zuzulassen, was organisch aus sich selber entsteht und sich entwickelt. Dabei spielt auch der Bereich der Aleatorik, des Zufälligen, eine we73


sentliche Rolle. Die Tatsache, dass einem etwas zufällt, ist entscheidend an die Bereitschaft geknüpft, auch offen zu sein, zu empfangen. Sich aus dem großen Universum des Chaos ein Stück zu greifen und es im Begreifen zum Kosmos, zur gebundenen Gestalt zu machen. Das Gedankenspiel beim „Brainstorming“ hat viel mit dieser Art von Phantasie zu tun, sich intuitiv, subjektiv, assoziativ und vor allem spielerisch frei und ohne Vorurteil mit dem zu beschäftigen, was sich an neuen Ideen aufdrängt. Angeregt natürlich durch die innere und äußere Auseinandersetzung mit dem Objekt des zu Bewegenden, mit dem Anlass oder der Problemlösung, und ohne den orientierenden Druck nach Leistung und Erfolg. Aus meiner Arbeit als Maler und Bildhauer, aber auch als Theaterschaffender weiß ich um das Phänomen, dass allein durch eine konzentrierte geistige bzw. handwerkliche Beschäftigung mit einem Themenfeld sich alle Facetten von Umsetzungen ergeben können – aus der die passende sich dann irgendwann herauskristallisiert. Es ist wie eine Kiste, ein kreativer Fundus, der geöffnet wird, um das geeignete Gebilde herauszunehmen und es zu Kunst zu vollenden. Ein menschliches Kunstwollen steckt dahinter. Dennoch: Der direkte Draht zum Göttlichen, zum universal Waltenden, ist für mich als Erfahrung des Künstlerischen im Schaffensprozess immer wieder ein Faszinosum. Die auch immer wieder gestellte Frage, wann und wie oft einen die Muse küsst, sich künstlerische Ideen via Inspiration einstellen, um derentwillen man dann kreativ wird, kann ich nur abwendend beantworten. Man sollte sich auf diese Dame nicht verlassen. Zu unstet ist ihr Wirken. Viel mehr bewirkt der Akt des Tuns, der Prozess der Umsetzung an sich, und sei er noch so unwissend tastend. Denn in diesem angespannten Umfeld sind sowohl Träume als auch Geistesblitze vorhanden, die Visionen zaubern und ein schöpferisches Feuer entfachen können. Der Maler malt, um dieses Feuers dann irgendwie Herr zu werden, es zu bändigen und in überschaubare Bahnen zu bannen: auf die Leinwand und auf das Blatt Papier. Phantasie ist somit der Brennstoff, damit der Motor der Kreativität zum Laufen kommt. Obwohl es Kollegen gibt, die diesen Brennstoff nicht mehr benötigen, da sie einen Motor geschaffen haben, der von alleine läuft. Auch wenn er sich dann zu Tode läuft, da er immer nur in eine Richtung fahren kann. In Richtung Mainstream. Aber das nur am Rande. Man sollte mit Phantasie auf alles reagieren, was einem fremd und unbekannt ist, und sich der ureigenen menschlichen Neugier stellen. Wie ein Kind lernt man intuitiv schnell, sagt auf, imitiert, wenn man nicht behindert wird. Geführt ja, aber nicht behindert. Das Handeln und Denken muss eben frei sein. Sinnfrei, nicht sinnlos. Zwanglos und um seiner selbst willen. Aus diesen Gegebenheiten entwickelte sich in allen Kulturen das künstlerische Potential: aus dem Spiel geboren und zum Kult erwachsen. Und darin liegt ein Appell an alle gesellschaftlich relevanten Bereich des Menschen: die Phantasie zulassen. Sie ist zusammen mit der Krea74


tivität unser größter Beweger, unser größtes Vermögen. Und dieses liegt so oft so brach und wird vernachlässigt, gleichgültig als nutzlos belächelt, da es scheinbar unfassbar ist, unkontrollierbar, zufällig, dem Subjektiven hörig, dem Spielerischen nah, dagegen der Welt möglicherweise fern. Dabei sind alle Entwicklungen, Entdeckungen, Erfindungen aus der Vision geboren: der Phantasie. Der Gabe, sich etwas vorzustellen, was noch nicht ist. Um sich dann auf den Weg zu machen, zu suchen und zu finden. Nicht umsonst werden in der Wirtschaft, gerade auch im Industriebereich, immer wieder Quereinsteiger und Querdenker eingesetzt – denen die Scheuklappen der instrumentalisierten Fachverbildung des Insiders fehlen, die dafür aber mit unorthodoxen, frischen, neuen Ansätzen und Methoden verblüffen, welche in Kompatibilität mit der Kenntnis an der Sache gebracht, dann aber innovativ wirken und zum Erfolg führen, da sie flexibel verfestigte Strukturen einfach durchbrechen und neue Kombinationen von Informationen und Lösungen anbieten: die dann viel gepriesenen und werbewirksam kommunizierten „Innovationen“. Die Quereinsteiger als Phantasten, Visionäre oder gleich als Spinner in die Ecke zu stellen, hieße ihre komplexen Fähigkeiten völlig zu ignorieren. „Ich suche nicht, ich finde“, lautet ein berühmter Ausspruch von Picasso. Aber dieser hatte die Begnadung des Genies, arbeitend immer spielerisch unterwegs zu sein und arbeitend immer seine künstlerischen Spuren zu hinterlassen. Seine Kunst war eine eingespielte Tätigkeit und das Ergebnis eines alltäglichen kreativen Prozesses. Dabei ist Phantasie und Kreativität keineswegs allein von der Kunst gepachtet, ebensowenig wie die Ethik und Moral von der Religion. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, sagt Beuys und meint damit genau diesen Aspekt, dass jeder Mensch die Gabe der Phantasie in sich trägt, die nur darauf wartet, in Erscheinung zu treten, um das griechische Wort Phantasie einmal wörtlich zu nehmen. Und sei es auch nur, um sich führen und inspirieren zu lassen, das Geheimnis einer Welt der Phantasie zu entdecken, die Künstler einem anbieten, um sich dann darin frei und assoziativ selbständig zu bewegen. Der Anspruch und das Können unterscheiden den Künstler vom normalen Menschen, nicht die Befähigung zu Phantasie. Die hat jeder, durch subjektives Erfahren, nicht durch objektives Verstehen. Die Wege, Phantasie zuzulassen, sind vielfältig und ausbaubar. Und damit lernbar. In der Wahrnehmung und der Begegnung mit der Natur west die Aura entspannender Kräfte, die inspiriert und zu eigener Vorstellung animiert. Anima, die Seele, wird berührt und lässt sich vom Licht einer anderen Welt bescheinen, auf dass eigene Ideen zu wachsen beginnen. Die Meditation als fortschreitendes Beruhigen des Geistes zur Stille hin, ist eine gewinnbringende Erfahrung. Wie überhaupt in der Kontemplation und Reflexion über einen selbst, alle Antworten sich finden und ins Bewusstsein kommen. Wir können mit der Kraft der Intuition alles erspüren und es offenbart sich alles wie eine plötzliche Einsicht. 75


„Bitte, so wird euch gegeben!“, sagt ein Jesuswort und beschreibt sehr schön, diesem Potential, der Phantasie und dem oben erwähnten Zufall, zu vertrauen, denn es hält alle Lösungen parat. Dieses Vertrauen ist die Fähigkeit, sich dem Unbekannten und Ungewissen zu öffnen und sich auseinanderzusetzen in Form von Kreativität. Denn einem vollkommen sicheren System braucht man sich nicht mehr mit Phantasie und Kreativität zu nähern. Nur die Ereignisse der Vergangenheit sind uns bekannt, die gegenwärtigen und zukünftigen nicht – und diese erfordern somit Phantasie, Kreativität, Neugier, Risikobereitschaft und Selbstvertrauen. „Bittet, so wird euch gegeben!“ spricht die völlige Offenheit und Unvoreingenommenheit an, die notwendig ist, damit sich etwas entfalten kann, was förderlich ist in Richtung Phantasie, Kreativität und Innovation. Sei es im Bereich der Kultur, der Wissenschaft oder der Wirtschaft. Es liegt in unserer menschlichen Begabung, immer wieder kreativ das Zusammenspiel in der Dialogfähigkeit zu leben, die uns gemeinsam immer neue Wege gehen lassen kann. Und damit sind steinige Wege, Holzwege, Sackgassen, Umwege und Hindernis-Parcours genauso gemeint wie die breiten Autobahnen sicherer Erkenntnisse. Denn sie führen uns vor Augen, dass auch der Irrtum, der Versuch oder ein Scheitern zum Ziele führen kann, wenn man flexibel, engagiert und ehrlich genug ist, sich dies als Chance einzugestehen, um mit neuem Anlauf, neuen Ideen, auf neuem Wege mit Ausdauer darauf zu reagieren. Da viel auf dem Spiel steht, gäbe es momentan genügend Betätigungsfelder, um Phantasie ins Spiel zu bringen.

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Kapitel 5 Der Reiz des Bรถsen in der Phantasie



Christoph Mader

Einleitung: Was ist die menschliche Natur? Die Phantasie der Menschen ist – jedenfalls nahezu – unbegrenzt. Kultur und Wirtschaft wären ohne Phantasie und ihre Weiterentwicklung in die Sphären der Realität gewissermaßen embryonal geblieben. Im Guten wie im Bösen hat sich dabei die Phantasie ihre eigenen Welten erobert und gestaltet. Thema unseres Kapitels ist allerdings nicht das Böse an sich, sondern der Reiz, den die „böse Phantasie“ auf die Menschen, jedenfalls auf sehr viele, ausübt. Was ist also dieser Reiz der bösen Phantasie? Dazu ein paar einleitende Fragen und Anmerkungen. Ein ideales Medium, in dem sich die Phantasie austoben kann, sind die bewegten Bilder. Die böse Phantasie im Film, wo beginnt sie? Recht banal beispielsweise beim klassisch altmodischen Fernsehkrimi, etwa der international erstaunlich erfolgreichen Derrick-Serie: Hinter – oder vor? – dem Wunsch nach Klärung eines Falls und des Sieges der „guten Sache“ steht das angenehm prickelnde Wissen um ein Tötungsdelikt, das zumeist gar nicht als Handlung gezeigt, sondern nur als Faktum beschrieben wird. Da geht es in der großen Filmindustrie schon deutlich heftiger zur Sache. Thriller, Psychothriller, Gewaltfilme, Francis Ford Coppola, Oliver Stone, Quentin Tarantino: Natürlich können diese – beispielhaften – Regisseure nicht über einen Leisten geschoren werden, aber gemeinsam ist ihnen die Faszination, die das Böse und Furchtbare, das richtig Gemeine in ihren Filmen auf ein riesiges Publikum ausübt. Auch sogenannte Anti-Kriegsfilme zählen dazu. Und bereits am hellen Vormittag werden heute in einschlägigen Fernsehsendern Musikvideos gezeigt, deren „böse Phantasien“ – mit jungen Darstellern für ein jugendliches Publikum – an Drastik wenig zu wünschen übrig lassen. Auch Vampirgeschichten und -filme sind verlässliche Renner, vor allem bei Teens, und vor allem dann, wenn sie mit einem ordentlichen Schuss Romantik angereichert werden. Splatterfilme, in denen das Blut nur so spritzt, erfreuen sich ebenso großer Beliebtheit. Warum eigentlich braucht es vor dem Happy End so viel Grausamkeit und wohligen Schauder? Und damit sind wir keineswegs am Ende: Sexualität und Gewalt, SM bis hin zu Tötungsphantasien, Gewalt-Comics und -Mangas, Pornovideos mit exzessiver Brutalität: Das „brauchen“ anscheinend sehr viele – durchaus zivilisierte, und diesbezüglich persönlich nicht aktive – Zeitgenossen. 83


Ist die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde vielleicht die beste Parabel für die menschliche Natur, auch wenn sich der Reiz des Bösen bei den meisten Menschen auf die Phantasie beschränkt? Ist der „janusköpfige Mensch“, der das Gute und das Böse in sich einschließt – auch wenn es sich nur in der Phantasie (als Blitzableiter?) manifestiert – ein Produkt seiner Evolution: vom Sammler und Jäger, vom Bauern und Krieger zum modernen Menschen, dessen Intelligenz ihm die großartigsten Leistungen und abscheulichsten Perversionen ermöglicht? Theologie, Philosophie, Psychologie und Psychiatrie haben sich ebenso wie Genetik und Hirnforschung mit diesen Phänomenen auseinandergesetzt. Für die Künste war die zwischen Gut und Böse oszillierende Natur des Menschen ohnehin immer ein zentrales Thema, nicht zuletzt auch im sakralen Bereich: von Kain und Abel als Beginn des Bösen über die Schuld und Sühne umkreisenden griechischen Tragödien bis zu den Gut und Böse miteinander kämpfen lassenden Mythen der meisten Kulturen. Dass auch heute noch die Darstellungen von Martyrien, grausamen Geschichten und phantasievoll-schaurigen Szenen vom Jüngstem Gericht mit fürchterlichen Höllenqualen bei Museumsbesuchern eine stattliche Verweildauer bewirken, rundet dieses Bild nur ab. Unsere Fassungslosigkeit angesichts der Attraktivität des Bösen in den faschistischen und kommunistischen Vernichtungsideologien des zwanzigsten Jahrhunderts bis dato setzt heute vielleicht gewisse moralische Grenzen – überwindet aber nicht die Lust am Schrecklichen. Natürlich mag es auch sein, dass die allmähliche Auflösung des Gegensatzes von Gut und Böse im Libertinismus und letztlich im Nihilismus beigetragen hat zu dieser Lust am Schrecklichen.

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Rudolf Burger

Zur Ästhetik des Bösen Syllabus Gegen das Verdikt Hegels, der eine Ästhetik des Bösen, das „in sich kahl und gehaltlos“ sei, für unmöglich erklärte, „weil aus demselben nichts als selber nur Negatives, Zerstörung und Unglück herauskommt, während uns die echte Kunst den Anblick einer Harmonie bieten soll“, entfaltete sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine eigenständige Ästhetik des Bösen, das, vorbereitet durch Burkes Erhabenheitsästhetik, mit der deutschen Frühromantik eine neue Verbindung mit dem Schönen eingeht. Eine „Theorie der diabolischen Gedichtart“ zu entwickeln, sei das Gebot der Stunde, schreibt Friedrich Schlegel 1797; nach Kant ist aber das „Diabolische“ – oder das „Teuflische“ – das, was das Böse um des Bösen willen tut! Die ästhetische Nobilitierung des Bösen (in all seinen Spielarten: des Intriganten, des Perfiden, des Grausamen, des Perversen etc.) wurde möglich durch den Zerfall der traditionellen platonisch-christlichen Metaphysik, denn im Prozess der Aufklärung löst sich das Böse von seiner funktional-privativen Stellung im Gefüge einer fundamental guten Weltordnung, die es auch in der Leibnizschen Theodizee-Konstruktion noch hatte, und gewinnt eine eigenständige positive Dignität. In einem nachmetaphysischen Zeitalter kann es entweder geschichtsphilosophisch refunktionalisiert (Hegel und die marxistische Ästhetik von Lukács bis Adorno) oder ästhetisch affirmiert werden (die nachromantische Autonomieästhetik von Poe und Baudelaire bis Littell). Im letzteren Fall – der Option der Moderne – löst das Böse als Phantasma sich von seinem traditionellen Bündnis mit der Didaxie und wird zu einer moralisch nicht mehr belangbaren ästhetischen Kategorie: Es entsagt seiner kathartischen Rechtfertigung und wird zum „Tonikum“ (Nietzsche).

Erläuterung Goyas „Capricho 43“ aus dem Jahre 1799 zeigt einen an einem Tisch sitzenden Mann, den Kopf auf die Arme gelegt, neben sich Papiere, die er wohl beschrieb, bevor er über seiner Arbeit einschlief. Aus dem nächtlichen Dunkel, das ihn umgibt, tauchen einige unheimliche Tiere auf, Eulen, Fledermäuse und eine Katze. Die erläuternde Bildunterschrift lautet: „El sueňo de la razón produce monstruos“. Es gibt zwei Deutungen des 85


Bildes, die einander schroff widersprechen, denn das Wort sueňo kann „Schlaf “ bedeuten, aber auch „Traum“. Je nach dem, welche Bedeutung man wählt, hat das Bild eine aufklärungsaffirmative oder, im Gegenteil, eine aufklärungskritische Bedeutung: Schläft die Vernunft, ist sie also untätig, so tauchen aus der Tiefe der Seele die unheimlichen Gestalten des Bösen auf; träumt die Vernunft, so zeugen ihre Ideen selbst die Gespenster, welche sie als aufklärerische zu verscheuchen versprach. Beide Deutungen sind insofern „realistisch“, als sie das spezifisch „Ästhetische“ verfehlen. Denn im ersten Fall enthielte Goyas Radierung als aufklärungsaffine eine Anklage gegen die obskuren Mächte des klerikalen Spanien um 1800, im zweiten Fall eine aufklärungskritische Warnung vor der terroristischen Hybris abstrakter Rationalität, die damals als revolutionäre nördlich der Pyrenäen gerade ihre Blutspur gezogen hatte. Wegen dieser semantischen Ambiguität ist das Capricho 43 auch immer wieder als Allegorie für die „Dialektik der Aufklärung“ gedeutet worden, die seit Horkheimer und Adorno ein geläufiger Topos ist. Gegen diese, heute schon orthodoxe gesellschaftskritische bzw. geschichtsphilosophische Lesart hat K.H. Bohrer eine ästhetische bzw. phantasietheoretische angeboten: Danach ist es die freie Imagination des Künstlers – Goyas Schlafender oder Träumender ist vermutlich ein Dichter, der nächtens über seinen Manuskripten eingeschlummert ist –, welche die Schreckgespenster der Nacht als Phantasiegebilde in die Welt gesetzt hat! Hier produziert der Geist das Böse nicht über den geschichtlichen Umweg einer Dialektik der Aufklärung, und er vertreibt es auch nicht als wacher aus der Realität, sondern er schafft seine eigenen Dämonen als poetische Gebilde. Die orthodoxen Dichotomien der Bilddeutung: Vernunft versus Unvernunft, Rationalität versus Aberglaube, Aufklärung versus Obskurantismus werden durch das romantische Prinzip der Phantasie, der Imagination, das dezidiert antirealistisch ist, durchbrochen, und es wird eine neue ästhetische Dimension erschlossen: „In Konsequenz hätte man den ganzen Zyklus nicht bloß als eine Kritik Goyas an der spanischen Gesellschaft zu lesen, sondern als eine hintergründige Phantasieschrift über die menschliche Natur, ja konsequenter noch: überhaupt nicht mehr als einen Kommentar zu dem, was ist, sondern die reine Evokation einer phantastischen Vorstellungskraft“ (K.H. Bohrer). Dieser „Ästhetik des Bösen“, die mit der Romantik zur Welt kommt und die der Verstandesaufklärung opponiert nicht mehr im Namen der Gegenaufklärung, sondern im Namen der Phantasie, hat Friedrich Schlegel 1797 in seinen „Kritischen Fragmenten“ das Programm gegeben, als er erklärte, eine „Theorie der diabolischen Gedichtart“ zu entwickeln, sei das Gebot der Stunde.

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Obwohl „das Böse“ in seinen vielfältigen Erscheinungsformen und Amalgamierungen – als das Schreckliche, das Grausame et cetera – seit je, in der klassischen Kunst wie in der christlichen, in den homerischen Gesängen und der attischen Tragödie, in den biblischen Weltuntergangsvisionen, bei Dante, Shakespeare und Milton, Gegenstand poetischer Phantasie, künstlerischer Produktion und ästhetischer Faszination gewesen ist, war es doch, bis herauf zur Schwelle der künstlerischen Moderne, funktional eingebunden geblieben in eine sinnvolle, und allein deshalb fundamental gute Weltordnung; als deren Verletzung oder Unterbrechung eine, wenn auch in privativer Gestalt („malum privatio boni“), wesentlich moralische Kategorie, nicht eine primär oder gar ausschließlich ästhetische: Das Entsetzen als ästhetische Reaktion war immer Begleitphänomen einer moralischen Erschütterung. Der klassische Ausdruck dieses Sachverhalts ist die aristotelische Katharsistheorie. E contrario gilt das selbst noch für die monströsen Schriften de Sades, die vor allem einen moralischen Protest gegen die sittliche Weltordnung darstellen, indem sie ihre Wertigkeiten mit kalter Logik präzise invertieren. Erst in dem Augenblick, als im Gefolge der Aufklärung die mit der klassischen Substanzmetaphysik fixierte Idee einer moralisch objektiv gegebenen Seinsordnung zusammenbricht, verliert das Ästhetische als sinnliches Phänomen seine bis dahin unauflösliche Bindung an die Moralität; beide Sphären gründen nunmehr ausschließlich in der Autonomie des Subjekts, was ihre absolute Trennung ermöglicht. Damit wird das Böse in der Kunst von seiner kathartischen und pädagogischen Funktion entlastet und ästhetisch lizensiert. Gleichzeitig aber wird durch die Kantische Autonomiephilosophie, welche mit der Möglichkeit der Ablehnung des Sittengesetzes das radikal Böse in der menschlichen Natur erkennt, eine grundsätzlich pessimistische Anthropologie etabliert: „Der Mensch ist von Natur böse“, heißt es in seiner späten Schrift, „Über das radikale Böse in der menschlichen Natur“ von 1792; und weil das, was am Menschen menschlich ist, der Verstand ist, wird Schelling ihm in dieser Diagnose folgen, wenn er schreibt: „Böse ist der Mensch deswegen, weil er Geist hat, nicht weil ihm dieser mangelt. Der Verstand gibt das Prinzip des Bösen her.“ Seit dem Ausgang des Deutschen Idealismus ist daher eine Welt ohne Böses nicht mehr denkbar denn als eine Welt ohne Menschen – genau an diese Erkenntnis schließt die Kunst der Romantik ästhetisch an. Seither findet das Böse in der phantastischen Literatur nicht erst sein Medium, sondern diese baut es selber auf als Quelle der Lust im Raum des Imaginären – trotz des Einspruchs Hegels und der nachhegelschen Moralphilosophie. Wenn Baudelaire in der Einleitung zu den „Blumen des Bösen“ schreibt, der „Ennui“ gebiere „Träume von Blutgerüsten“, so folgt er darin E. A. Poe, in dessen Novelle „The Black Cat“ es heißt: „Diesen Geist hat die Philosophie noch gar nicht zur Kenntnis genommen: Doch so gewiss ich bin, dass meine Seele lebt, – nicht weniger bin ich, 87


dass die Perversität einer der Urtriebe des menschlichen Herzens ist“. „Es (ist) dies unerforschliche Verlangen der Seele, sich selbst zu quälen – der eigenen Natur Gewalt anzutun –, unrecht zu handeln allein um des Unrechts willen.“ Ergänzend dazu schreibt Poe in seinem Essay „The Imp of the Perverse“: „Und dieser überwältigende Drang, das Unrechte zu tun um des Unrechten willen, lässt keinerlei Analyse, keinerlei Zerlegung in anderweitige, tiefer gelegene Elemente zu. Er ist selber ein Grund-, ein Urtrieb – ist selber elementar.“ Indem Poe die Lust am Abgrund des Perversen als einen Akt ästhetischer Ekstase beschreibt, formuliert er die Grundsatzerklärung einer neuen Ästhetik – Baudelaire wird ihm darin folgen und der gesamte moderne „Ästhetizismus“.

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Dietmar Ecker

Das Böse und das Kurzzeitgedächtnis Seit fünfundzwanzig Jahren beschäftige ich mich in meinem Beruf mit Öffentlichkeitsarbeit und Massenkommunikation. Wenn man nun eingeladen wird, über die Phantasie und den Reiz des Bösen zu sprechen, dann muss man sich zuerst fragen: Kann man heute über das Böse ohne Bezugnahme auf die Ereignisse in der Nazizeit diskutieren? Natürlich kann man das – weil es vom eigenen Menschenbild abhängt. Glaubt man an das Gute im Menschen? Oder hält man es wie Schopenhauer, der die Natürlichkeit des schlechten Menschen hervorhebt. Ich bin durch meine Berufsjahre eher zu Schopenhauer gewandert. Die zweite Frage dazu ist: Halten wir es für möglich, dass so etwas wieder passiert? Denn das Böse tritt ja nicht nur individuell auf, sondern auch in sozialen, also gesellschaftlichen Situationen. Ich denke „ja“, halte es also für möglich. Ich stelle mich aber nicht auf den moralischen Standpunkt, indem ich mich immer wieder frage: „Wie hättest denn du dich verhalten in dieser Zeit?“ Ich kann mich auf keinen Sockel stellen und kann mit Sicherheit keine Antwort geben. Daher werde ich hier keine Moraldiskussion führen, sondern Eindrücke aus meiner Berufspraxis geben. Gleich zu Beginn eine erste Feststellung im Kontext meiner Arbeit und unseres Themas: Wenn Sie eine Massenkommunikationskampagne machen, dann muss es sowas wie „gut“ und „böse“ geben – das ist äußerst substantiell. Eine Massenkampagne, die nicht gut und böse trennt, funktioniert nicht. Denn Sie brauchen in der Regel einen „guten“ Absender, der glaubwürdig ist, der eine moralische Autorität ist. Und da kommen Sie in meinem Beruf aufgrund der Entwicklung der letzten zwanzig Jahre schon in die erste größere Problemstellung. Wenn wir kurz rekapitulieren: Die Politik hat sich durch die Privilegiendiskussion der achtziger Jahre und durch die Preisgabe der Handlungsspielräume an das internationale Finanzkapital in den jüngsten Jahren eigentlich jeder Autorität enthoben. Schauen wir zu anderen Institutionen und Berufsgruppen, beispielsweise zu den Priestern, der katholischen Kirche sowie deren Umgang mit den Pädophilievorwürfen. Dieser Umgang hat die Kirche als moralische Instanz auf viele Jahre zurückgedrängt, um es vorsichtig zu formulieren. Und die Manager, vor allem die Finanzmanager, die vor wenigen Jahren immer noch auf den Titelseiten der großen Magazine als große Helden porträtiert worden waren? Ich muss Ihnen nicht schildern, 89


welche Popularität sie heute haben – sie sind mit den Journalisten und den Politikern ganz tief unten bei den Werten Glaubwürdigkeit und Popularität. Kommen wir noch zu einer der letzten Bastionen für Glaubwürdigkeit und Autorität: den WissenschafterInnen. Auch diese Bastion beginnt jetzt zu bröseln. Wenn Sie genau hinschauen, kratzt die Gutachterdiskussion über gekaufte Gutachten und Expertisen gewaltig an deren öffentlicher Glaubwürdigkeit. Und quasi als Mitnahmeeffekt kommt die heimische Justiz in eine ähnliche Diskussion über die Frage, ob sie die Reichen schützt; denn die Reichen richten sich den Sachverhalt durch gekaufte Gutachten. Also, Sie bekommen in meinem Beruf schön langsam ein Problem beim Aufstellen einer Massenkampagne. Wo ist ein „guter“ Absender? Wenn nur noch Leute und Institutionen zur Verfügung stehen, die nicht mehr „gut“ sind oder für „gute“ Werte stehen, dann wird es aber in vielen Dimensionen problematisch. Denn dann entsteht auch ein Werte-Vakuum. Kommunikation spielt immer mit Werten, mit Orientierungsmustern und mit emotionalen Ereignissen. Wenn ich keine Autoritäten mehr habe, die für das „Gute“ stehen, muss ich mich auch sonst fragen, was geschieht dann? Und wer oder was tritt dann an die Stelle der „Guten“? Nun, es gibt drei Ereignisse, die eintreten. Das Erste ist, dass die Gesellschaft, die sich selbst als „gut“ beschreiben will, in eine Regel- und Verbotswut verfällt, um das Gute wenigstens mittels Normen zu fassen und zu definieren. Heute lese ich auf der Fahrt hierher: Chanel No.5 soll jetzt verboten werden, denn darin sind Stoffe enthalten, die vielleicht irgendwann einmal Allergien auslösen können. Radfahrverbote, Autoverbote, Rauchverbote, Verbote von großen Bechern für Coca Cola, das Verbot von Pferdekutschen in Deutschland, weil der Mist stinkt – alles Beispiele aus den letzten Monaten. Dazu noch die Müllsheriffs und die selbsternannten Rauchsheriffs. Die Gesellschaft selbst gibt sich ununterbrochen Regeln, um sich damit als „gut“ empfinden zu können. Sie merken schon, was da passiert: Als Nichtraucher bin ich „gut“. Es werden damit also „gute“ Identitäten in einer orientierungslosen Welt erzeugt – das ist ein ganz wichtiger Faktor für meinen Beruf. Und das Zweite, das neben dieser gesellschaftlichen Regelwut in dieses Vakuum an Autoritäten getreten ist, ist die Unterhaltungsindustrie. Der Krimi, der Horror, der gewaltbereite Film. Unglaublich, wenn Sie sich die Zahlen der letzten fünfzehn Jahre anschauen! Das ist geradezu eine Explosion an Konsumation. Und diese Unterhaltung ist auch sehr wichtig für die „gute“ Identitätsbildung, denn das Böse wird abgegrenzt, als Mörder oder Monster definiert, so dass das Individuum sich als „gut“ definieren kann. Damit wird also wiederum eine gesellschaftliche Stabilisierungsleistung erbracht. Das dritte Ereignis, das wir in diesem Kontext beobachten, ist der allgemeine Kontextverlust. Durch das Internet, durch Massensender, durch Massenzeitungen, entsteht eine Gleichwertigkeit der Ereignisse – und da90


mit ein Verlust der Zusammenhänge. Es gibt nichts mehr, über das nicht berichtet wird. Das impliziert aber, wir verlieren den Bedeutungshorizont! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie die Zeitung aufschlagen oder das Fernsehen anschauen: Die amerikanische Präsidentenwahl hat gerade eine kurze Aufregung in den Medien verursacht, aber schon morgen hat einer in Amstetten hundert Tomaten gegessen und ist Weltmeister im Tomatenessen. Mit den scheinbar gleichwertigen Ereignissen im medialen Raum geht nicht nur ein Kontextverlust einher, sondern vor allem auch ein Geschichtsverlust – eine äußerst gefährliche Sache. Warum? Weil damit ausschließlich das Kurzzeitgedächtnis im Mittelpunkt steht und die Einordnung der Erinnerung und der Zusammenhänge irrelevant wird. Ich bemerke auch, wie stark ich inzwischen in der Massenkommunikation mit dem Kurzzeitgedächtnis kalkulieren kann und muss. Wenn Ereignisse nicht mehr in einen Kontext eingeordnet werden, kann ich kurzfristig Emotionen hochfahren lassen, die am nächsten Tag schon wieder ganz anders sein können. Dazu noch eine wichtige Bemerkung: Mit dieser Entwicklung fehlen uns aber immer mehr die zusammenhängende Geschichte. Und mit diesem gesellschaftlichen Prozess verschwimmt automatisch auch das, was ich, wie schon gesagt, in meinem Beruf brauche: das „Gute“ und das „Böse“ als Orientierungsfaktoren. Nun sind wir wieder am Anfang. Wo und wie passiert nun diese notwendige Orientierung? Sie findet heute sehr stark über „Rankings“ statt. Wenn ich irgendetwas in der Massenkommunikation pushen möchte, dann arbeite auch ich mit – Rankings. Und wenn wir schon über das Böse reden, in einer Wiener Stadtzeitschrift gibt es sogar ein „Ranking des Bösen“. Aber sonst überall: die beliebtesten Bücher, die beliebtesten Filme, die beliebtesten Schauspieler, die beliebtesten Autos, Weine, Lokale etcetera. Wir reißen also alles aus dem Kontext, machen eine situative Analyse und sagen dann: Das ist die Wirklichkeit! Wenn diese Entwicklungen so sind, dann können Sie zu Recht fragen: Lieber Kommunikationsmann, in welchem Bild scheint dann heute das „Böse“ auf? Nun, das Böse war lange Zeit klar definiert: Hitler, Stalin, Pol Pot, der Drache in der Höhle und der Teufel in der Hölle. Jedes „Böse“ hatte seinen Ort und ein Gesicht. Der „Gute“ war folglich der Anti-Stalinist, Anti-Faschist, Gottgläubige, Ritter etcetera. Wir haben jedenfalls klare Gesichter für das Böse gehabt und Ideologien haben immer wieder dazu beigetragen, das Böse einer Hautfarbe, einer Nation, einer Sprache, einer Gesichtsform zuzuordnen. Von Hannah Arendt, auch wenn sie dabei vielleicht die Rehabilitation von Heidegger im Hinterkopf hatte, bekamen wir in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts einen neuen, sehr bedeutenden Aspekt des Bösen geliefert – den von der Banalität des Bösen. Sie hat sich anlässlich der Beobachtung des Eichmann-Prozesses gewehrt, Eichmann als 91


das logischerweise große böse Monster zu beschreiben. Im Gegenteil, für Arendt war er eigentlich ein gewöhnlicher Hanswurscht, und erst das mache ihn so gefährlich, sagte sie. Arendt war also die erste, die pointiert begonnen hat zu sagen: Das Böse schaut nicht so böse aus wie wir uns das hinlänglich vorstellen mögen, sondern es kommt ziemlich trivial daher. Einige Jahre später machte Romero mit seinen Zombiefilmen Ähnliches, siedelte seine Zombies nicht irgendwo in der Hölle an, sondern sie kamen in die Einkaufszentren und waren also mitten unter uns. Solche Erkenntnisse und Beobachtungen sind für meinen Beruf sehr wichtig, denn bedenken Sie, in meinem Beruf bin ich so etwas wie ein Fassadenbauer – wir konstruieren mit Massenkampagnen Wirklichkeiten über das „Gute“ und das „Böse“, die solange halten, bis nichts Gegenteiliges passiert. Wenn aber nun der Durchschnittsmensch, der unauffällige Typ, der angepasste Nachbar von nebenan eigentlich das Böse ist, dann wird er erst zum Bösen, wenn er aufgedeckt wird. Das ist neu, denn bislang war der Teufel grundsätzlich böse, immer böse, war als solcher auch optisch leicht erkennbar. Der Herr Fritzl aus Amstetten ist ein, ich muss es so sagen, „schönes“ Beispiel dafür, dass es heute anders ist. Als seine Taten schon einige Tage lang bekannt waren, gab der Bezirkshauptmann ein sehr betroffenes Interview, aber er war nicht primär betroffen über die Verbrechen, sondern darüber, dass Fritzl eigentlich ein so netter Mensch ist, der ein Haus besitzt und alle Menschen in Amstetten so nett grüßt. Der Bezirkshauptmann schloss damit, sich nicht vorstellen zu können, dass Fritzl etwas Böses tun kann. Was bedeutet das? Das Böse wird erst zum Bösen, wenn es entdeckt wird oder wenn es plausibel ist. „Die Jagd“, der empfehlenswerte Film von Thomas Vinterberg zeigt eine andere Konsequenz aus dem Verlust der Zuordnung des „Bösen“. Ein kleines dänisches Kind beschuldigt einen ganz normalen, gut integrierten Kindergärtner des sexuellen Missbrauchs – und die Gesellschaft beginnt ihn zu jagen. Ob der Vorwurf stimmt oder nicht, ist irrelevant. Unterscheidungskriterien werden nicht mehr beachtet. Hauptsache ist, dass die Gesellschaft sich für „gut“ halten kann. Und das ist für unser Thema unglaublich wichtig! Wenn wir da genauer hinschauen, ist es oft geradezu brutal, Fakten und öffentliches Bild klaffen schon enorm aus­ einander. Wo passieren die meisten Gewalttaten? Genau, in der Familie! Mit anderen Worten: Die „Bösen“ sind neben und mitten unter uns. Oder der Pflegebereich: Die Dunkelziffer für Brutalität bei der Pflege ist erschreckend, erreicht zweistellige Tausenderhöhen. Die Quäler sind also unter uns. Noch ein Beispiel für die soziale Wirklichkeit abseits der öffentlichen Proklamation, aus meiner eigenen Erfahrung als Pressesprecher des damaligen Finanzministers Ferdinand Lacina: Anfang des Jahres 2000 hat er gebeten, eine Kampagne zur Besteuerung der Zinserträge vorzubereiten. Laut Meinungsforschung war die Bevölkerung sehr ablehnend, weil – so das öffentliche Bild – die Menschen Angst davor hatten, dass die Finanz dann jederzeit auf ihr Bankkonto zugreifen könnte. 92


Als wir aber näher hingeschaut haben, ergab sich ein völlig anderes Bild. Bei der größten Gruppe der Gegner, der älteren Generation, bestanden enorme Befürchtungen, dass die eigenen Kinder und Enkelkinder in Zukunft zur Bank gehen und fragen könnten: Was hat denn die Oma oder der Opa auf dem Sparbuch? Das Misstrauen in der Familie, die ein zentraler Wert in unserer Gesellschaft ist, ist in Wahrheit wahnsinnig groß. Das Böse ist also ziemlich nahe, und es betrifft auch die engsten Verwandten. Schöne heile Welt! Lassen Sie mich in diesem Kontext noch etwas erwähnen: Das Böse hat auch ein Medium gefunden: das Internet! Wobei ich betone, dass ich natürlich die positiven Seiten des Internets sehe und schätze. Dennoch hat das Böse im Internet ein Medium gefunden, weil vor allem durch die anonymen Postings permanent diskreditiert, gemobbt, beschuldigt und ruiniert wird. Dabei geht es nicht um die wirtschaftlichen oder politischen Eliten, sondern um die Zerstörung von einfachen Leuten von nebenan. Es ist unglaublich, was diesbezüglich abläuft. Die Reputation von Mächtigen und vor allem von vielen Unmächtigen lässt sich im Internet in Rekordzeit kaputtmachen – weil eben auch nichts mehr stabil ist, weil wir „gut“ und „böse“ nicht mehr auseinanderhalten können und daher jeder alles zu glauben bereit ist. In dieser Orientierungslosigkeit nehmen wir dann gerne die Strohhalme, die uns selbst als „gute“ Menschen bestätigen und damit im Leben stabilisieren; und sei es mit dem Preis, dass dabei Andere unreflektiert als „böse“ abgestempelt werden. Zum Abschluss fasse ich zusammen: Die Zerstörung der gesellschaftlichen Autoritäten bringt ein Vakuum an Orientierung und Zusammenhängen mit sich, in das die Unterhaltungsindustrie massiv mit Krimis und Horrorgeschichten eindringt. Gleichzeitig entsteht eine kleinbürgerliche Verbotsgesellschaft, die mit immer mehr Regeln Stabilität und Orientierung erzeugen will. Die Massenkommunikation, in der jedes Ereignis eine scheinbar gleichwertige Bedeutung bekommt, fördert die Tendenz zum Bedeutungsverlust und damit zum Kollaps von Geschichten und Geschichte, zum Zusammenbruch des Kontextes. Das Böse hat zu allem Überdruss noch ein perfektes Medium bekommen: das Internet mit seinen anonymen Möglichkeiten. Das Bild des Bösen ist heute ganz unauffällig, gibt nicht viel mehr her als Angepasstheit und Normalität – könnte der Nachbar oder die Nachbarin von nebenan sein. Das Böse hat ein harmloses Gesicht, das Böse ist immer und überall. Erst wenn es entdeckt wird, stellen wir fest: Es ist das Böse.

Der Text folgt dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Reinhard Haller

Das Böse aus der Sicht der Psychiatrie Die Psychiatrie tut sich mit dem Begriff des Bösen schwer: Zu wenig fassbar, nicht wissenschaftlich und allzu moralisierend scheint ihr das, was damit gemeint ist, zu sein. Das Böse falle in den Kompetenzbereich von Philosophen, Theologen, allenfalls von Verhaltensforschern und Biologen, aber nicht in jenen einer medizinischen Disziplin. Tatsächlich kommt aber kein Fach sosehr mit den verschiedenen Formen des Bösen in Berührung wie die Psychiatrie. Besonders die Unterdisziplin der Forensik, welche sich mit der Begutachtung von psychisch abnormen Straftätern befasst, hat sich tagtäglich mit der Frage „mad or bad“ zu befassen. Obwohl jeder weiß, was mit dem „Bösen“ gemeint ist, bleibt der Begriff unklar und verschwommen, ganz im Gegensatz zum Eigenschaftswort „böse“, welches sehr spezifisch verwendet wird. Hinter dem hauptwörtlichen Begriff verbergen sich alle Formen des „Unguten“ wie Verbrechen, Sünde, Krankheit, Destruktivität, Hass und Niedertracht. Es zeigt sich in Lieblosigkeit und emotionaler Kälte, in Verachtung und Unterdrückung, in Quälen und Mobben, in Verbrechen und Gräuel, vor allem aber im Krieg, der alle Formen des Bösen beinhaltet. Die Menschheit hat sich seit jeher bemüht, für das Böse, das ebenso wie sein Gegenteil – das Gute – zum Wesen des Menschen gehört, einen Namen und eine Erklärung zu finden. Man sah das Böse in Geistern und Gnomen, in Naturerscheinungen und Katastrophen, in Krankheit und Krieg. Später hat man versucht, das Böse in Teufeln und Hexen zu inkarnieren. Mit Beginn der Neuzeit wurde das Böse in historischen Schreckensgestalten wie Kaiser Nero, Ivan dem Schrecklichen, Robespierre, Adolf Hitler, Josef Stalin oder Pol Pot personifiziert. Die Religionen sahen das Böse im Versuch, Gott gleich sein zu wollen und sich zum Herrn über Leben und Tod zu erheben, eine Betrachtungsweise, die in moderner Zeit bei der Beschreibung des Serienmörders eine bemerkenswerte Parallele findet. Als Preis der Freiheit definiert die Philosophie das Böse, das heißt, wenn der menschliche Wille nicht wirklich determiniert sein soll, muss er sich in beide Richtungen – zum Guten und zum Bösen – entscheiden können. Die Soziologie sieht das Böse in der Unterdrückung und Aus95


grenzung der Mitmenschen, die Psychologie in fehlgeleiteten und unterdrückten Sexual- und Aggressionstrieben. In der evolutionsbiologischen Forschung wird das „sogenannte Böse“ als Aggression, welche der Fortpflanzung und dem Überleben dienen soll, beschrieben. In neuerer Zeit sucht man die Wurzeln des Bösen in den menschlichen Genen, in abnormen Hirnstrukturen oder in krankhaften neurobiologischen Prozessen. Gefunden wurde aber weder das „Mörder-Gen“ noch der „Ort des Bösen“ in unserem Gehirn. Von Seiten der Psychiatrie hat man versucht, eine Beschreibung der „bösen Persönlichkeit“ zu liefern und hat dabei das Konzept des „malignen Narzissmus“ entwickelt. Mit diesem auf den weltweit führenden Psychoanalytiker, den österreichstämmigen New Yorker Psychiater Otto Kernberg zurückgehenden Syndrom meint man eine psychopathische Persönlichkeit mit sadistischen, gemütsarmen Zügen, mit steter Missachtung gesellschaftlicher Normen und wahnhaftem Misstrauen. Der diesen Charakter beherrschende Narzissmus ist durch Entwertung der Mitmenschen geprägt, das heißt, der äußerlich unauffällige Täter erarbeitet sich seine herausragende Position durch das Niederdrücken aller anderen. Solche Persönlichkeitskonstellationen hat man bei fast allen sexuellen Serienkillern, bei vielen Massenmördern und bei den meisten Diktatoren nachweisen können. Die Prozesse gegen die großen NS-Verbrecher haben die erschreckende Erkenntnis von der „Normalität des Bösen“ gebracht, die Gräueltäter waren demnach keine Monster und keine abartigen Bestien, sondern – wie dies die berühmte jüdische Philosophin und Schriftstellerin Hannah Arendt nach Beobachtung des Eichmann-Prozesses ausdrückte – sie waren „Jedermänner“. Mit anderen Worten heißt dies, dass das Böse in jedem von uns schlummert, und jenseits der Fassade der Normalität stecken kann. „Ich habe Menschen kennen gelernt, die arbeitsam und opferbereit andere Menschen umbrachten, uneigennützig, pflichtbewusst und pünktlich ihre Nächsten denunzierten, diese redlich und fleißig folterten und dabei eine vorbildliche Sauberkeit und Sorgfalt an den Tag legten“, schreibt der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski, der das KZ Sachsenhausen überlebt hat. Die berühmten Milgram-Experimente haben bewiesen, dass etwa 60 Prozent Menschen in der Lage sind, unter der Bedingung autorisierter Gewalt Unschuldige zu töten. „Das Böse bedarf keiner Krankheit, um auf die Welt zu kommen, es bedarf keiner Ungerechtigkeit und auch keiner dunklen Mächte – es bedarf lediglich des Menschen“, lautet dazu die Analyse eines bekannten Psychiaters. Die wissenschaftliche Forschung ist sich also nicht einig, ob der Mensch als „universell böses“ Individuum geboren und erst durch Erziehung, Sozialisation, Milieueinflüsse und Lebenserfahrungen zu einem humanen 96


Individuum geprägt wird, oder ob umgekehrt der Mensch als tatsächlich unschuldiges Kind zur Welt kommt und erst durch Lieblosigkeit, Entwicklungsdefizite und schlechte Umgebung negativ geprägt wird. Man kann es sehen wie man will, die entscheidende Frage ist nicht jene, ob das Böse im menschlichen verankert ist, sondern vielmehr, unter welchen Bedingungen es in Erscheinung treten kann. Hat doch der bekannte Psychoanalytiker Erich Fromm gemeint: „Der Mensch ist das einzige Tier, das Destruktivität irrational einsetzt“. Unter den Konstellationen, die Böses bewirken, sind in erster Linie Kränkungen zu nennen. Der Mensch ist ein kränkbares Wesen, und was kränkt, macht nicht nur krank, sondern auch kriminell. Weitere Risikofaktoren sind negative Emotionen wie Eifersucht, Erregung und Zorn. Im aufgeschaukelten Streit oder in der Hitze des Gefechts kann das Böse bei sonst unauffälligen, kontrollierten Menschen in elementarer Wucht durchbrechen. Selten können auch psychische Störungen, obwohl die Gesamtheit der psychisch kranken Menschen keineswegs gefährlicher ist als die Normalbevölkerung, verhängnisvoll sein. Insbesondere fanatische oder wahnhafte Ideen, sexueller Sadismus oder der Einfluss mancher Rauschmittel setzen Aggressionen frei. Eine weitere Voraussetzung für das Böse ist die einseitige Machtverteilung, die es zulässt, dass sich ein überstarker Täter an der Hilflosigkeit seiner Opfer weidet und diese entwürdigt. Das Böse unter den Menschen kommt nur zustande, wenn das Einfühlungsvermögen in andere, die Empathie, fehlt, und die Opfer nicht mehr als menschliche Wesen betrachtet werden: Der Täter sieht sie als seelenlose Gebilde, Schädlinge, unnütze Esser oder Angehörige einer minderwertigen Rasse. Der Schweregrad einer bösen Tat hängt von der Planungsgenauigkeit, dem Einsatz von Instrumenten, der Ungleichheit der Kräfteverhältnisse und den Folgen für die Opfer ab. Das Böse zeichnet sich durch detaillierte Planung, kalte Berechnung und radikale Durchführung aus. Stets muss der in jedem Menschen seit jeher verankerte „Moralinstinkt“ überwunden werden, das ist jener Hemmfaktor, der uns fühlen lässt, was verantwortbar und was verwerflich, was menschlich und unmenschlich, was letztlich gut und böse ist. Ob wir wollen oder nicht, das Böse wird immer vorhanden sein, es wird sein Gesicht und sein Auftreten ändern, aber niemals aus der menschlichen Gesellschaft verschwinden. In neuerer Zeit zeigt sich das Böse in erweiterten Morden, Familientragödien, Terroranschlägen oder Amokläufen. Wir können eine „Virtualisierung des Verbrechens“ beobachten, das heißt, viele Formen des Bösen, etwa politischen Radikalismus, Kinderpornographie oder Mobbing, die sich ins große Netz verlagern. Das Wort von Friedrich Dürrenmatt, wonach „die Liebe ein Wunder, das 97


immer wieder möglich und das Böse eine Tatsache, die stets vorhanden ist“, wird von zeitloser Gültigkeit sein. Wie kann man dem Bösen begegnen? Durch Kunst und Kultur, durch Sport und friedlichen Wettbewerb, durch Weiterentwicklung der emotionalen Intelligenz und durch Achtsamkeit, sagen die Experten. Am wirksamsten wird aber wohl sein, wieder mehr nach der goldenen Regel, welche Empathie und Mitmenschlichkeit in so treffender Weise beinhaltet, zu leben: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“.

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Rainer M. Köppl

Austria vampyriosa. Maria Theresia, Dracula und Freud 1. Die Kaiserin und die Vampyre Es lebe der Zentralfriedhof (Wolfgang Ambros, 1975) In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, etwa zu Beginn der Regierungszeit Maria Theresias, stand es nicht nur an den Rändern des Habsburger-Reiches auf der Tages- oder vielmehr Nachtordnung, dass Dorfbewohner auf den Friedhof stürmten und Gräber aufrissen, wenn sich in ihrem Dorf ein paar rätselhafte Todesfälle ereignet hatten oder Vieh plötzlich krank geworden und krepiert war. Die aufgebrachte Meute war auf der Jagd nach dem Vampyr oder der Vampyrin, die für das Unglück verantwortlich war. Historische Dokumente zeigen, dass – nach Ansicht der Zeitgenossen – in den Gräbern tatsächlich immer wieder blutgefüllte Untote gefunden wurden; in Berichten an Maria Theresias Hof war verschämt von „wilden Zeichen“ die Rede, die man an den (Un)-Toten gesehen haben wollte, womit man wohl ausdrücken wollte, dass der Penis eines im Sarg liegenden Untoten erigiert, d.h. mit dem Blut, das der Vampyr seinem Opfer ausgesaugt habe, gefüllt gewesen sei.1 Diese erschreckenden „Vampyr“-Diagnosen wurden sogar von österreichischen Militärärzten offiziell bestätigt. Die (Un)-Toten wurden nach der Untersuchung, geköpft, gepfählt und verbrannt, weswegen es auch so schwer ist, heute noch Spuren der historischen Vampyre zu finden, man kann sich aber auch ohne Beweise gut vorstellen, welche Unruhe die Kombination von Aberglaube, Angst, Gewalt, Blut, Feuer und wohl auch Alkohol bei diesen nächtlichen Tumulten auf den Friedhöfen und in den Köpfen der Menschen auslöste.2 Der Wiener Gerichtsmediziner Dr. Christian Reiter hat in zahlreichen Vorträgen und Publikationen auf die medizinischen Ursachen der vermeintlichen Vampyr-Epidemien hingewiesen und auch auf die Tatsache, dass die Ärzte damals bei ihren Untersuchungen von (Un)-Toten nur dann eine Art Gefahrenzulage bekamen, wenn sie amtlich bestätigten, dass es sich „tatsächlich“ um einen Vampyr handelte. 1 Vgl. Rainer M. Köppl, Der Vampir sind wir (St. Pölten, Residenz 2010) 2 In der internationalen Universums-Produktion Die Vampirprinzessin (Erstausstrahlung: 16.1.2010), an der ich mitgearbeitet habe, wird ein derartiger rarer Fund gezeigt.

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Dass die Todesfälle rational erklärbare Ursachen hatten und die Vampyr- Hysterie nicht zuletzt aus finanziellen Interessen künstlich angefacht worden war, konnte Maria Theresia nicht wissen. Sie wollte, dass wieder Ruhe bei den Toten und erst recht bei den lebenden Untertanen einkehre und beauftragte den klügsten Kopf an ihrem Hof, ihren Leibarzt, den Freimauerer, Illuminaten, Philosophen und Politiker Dr. Gerard Van Swieten, mit der Aufklärung der mysteriösen Vorfälle. Wie ein früher Sherlock Holmes überprüfte Van Swieten die Zeugenaussagen und Vorfälle skeptisch-rational, was ihn alsbald zur Schlussfolgerung führte, dass das Auftreten der Vampyre indirekt proportional zum Bildungsstand der Dorfbewohner war: je dümmer die Leute desto stärker ihr Aberglaube. Allerdings scheute er sich, seine Erkenntnisse schriftlich zu publizieren, möglicherweise aus Angst, selbst zum Opfer einer Verfolgungsjagd zu werden, wenn er Schwarz auf Weiß behauptete, dass Vampyre den Naturgesetzen widersprächen und daher unmöglich existieren könnten. Schließlich herrschte damals die Meinung, ein allmächtiger Gott könne jederzeit durch Wunder in den Lauf der Welt eingreifen und daher – wenn es ihm (oder dem Teufel) denn gefalle – zweifellos auch Vampyre schaffen. Maria Theresia war von Van Swietens beruhigender Erkenntnis, dass es keine Vampyre in ihrem Reich gebe, so beeindruckt, dass sie einen Erlass veröffentlichte, in dem den Priestern, Badern, Scharlatanen und natürlich dem dummen Volk verboten wurde, ohne behördliche Genehmigung Leichen auszugraben und damit nächtlich ihr Unwesen zu treiben. Van Swieten, der auch das Zensurwesen in Österreich reformierte, wollte –als Zangenangriff auf den Vampyraberglauben – zusätzlich auch noch die Literatur aus den Bibliotheken entfernen lassen, die Schauergeschichten von Gespenstern, Teufeln und Dämonen erzählte. Damit war der Glaube an Vampyre in Realität und Fiktion offiziell untersagt, – aber die Vampyre lassen sich nicht so einfach verbieten.

2. Die Twilightisierung der Populärkultur: ein Tsunami der Untoten Das Hinstarren auf das Unheil hat etwas von Faszination. Damit aber vom geheimen Einverständnis (Horkheimer/Adorno, 1947) Wie wir wissen, haben sich die Menschen ihre Angst vor und die Lust am Irrationalen weder von der Aufklärung noch von der Obrigkeit austreiben lassen. Im Gegenteil, auf die reale Vampyrhysterie im frühen 18. Jahrhundert folgt eine literarische Vampyrwelle, die ihren Höhepunkt 100


im späten 19. Jahrhundert in Bram Stokers Dracula (1897) findet. Aber schon im 19. Jahrhundert hat der Vampyr alle Genres und Gattungen unsicher gemacht, wie z.B. in der 1828 in Leipzig uraufgeführten Oper Der Vampyr von August Heinrich Marschner, die mehr als 150 Jahre später als Vampyr-Soap-Opera sogar in der Britischen BBC fröhliche Urständ feierte. Bei meinen „vampyrologischen“ Forschungen ist mir immer wieder aufgefallen, dass Österreich in der frühen Vampyr-Literatur eine überaus wichtige Rolle spielt. Am bekanntesten ist Sheridan Le Fanus Roman Carmilla (1872), in dem die steirische Vampyrgräfin „Carmilla von Karnstein“ in der Nähe von Graz bevorzugt über junge Mädchen herfällt; die Steiermark ist in diesem Text gleich zu Beginn als „lonely and primitive place“ beschrieben, was wieder auf Van Swieten zurückverweist, der wie erwähnt schon früh den Zusammenhang zwischen Unbildung und Aberglauben erkannt hatte. Bram Stoker hatte seinen untoten Blutsauger ursprünglich nach dem Vorbild von Carmilla in der Steiermark angesiedelt und „Count Wampyr“ getauft, wie aus Stokers Notizen, die ich in der Rosenbach Library in Philadelphia einsehen konnte, ersichtlich ist. Erst spät hat Stoker sich entschieden, seinen blutsaugenden Grafen „Wampyr“ auf „Dracula“ umzutaufen, womit er eine Blutspur von seinem literarischen Helden zu dem historischen Unhold Vlad Tsepes legt, der zwar selbst gepfählt aber wohl kaum gebissen hat und sicher kein Untoter war. Mit dem Medium Film, das gleichzeitig mit Dracula seinen Siegeszug antrat (erste professionelle Filmvorführungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts), brach einen neue Vampyr-Welle los, wofür nicht zuletzt der genial-verrückte Bela Lugosi verantwortlich war, der seine Lebensrolle Graf Dracula mit transsylvanisch-exotischem Akzent und erotischer Noblesse verkörperte. Mit den berüchtigten Hammer-Filmen der 60er -Jahre drängte der blutrünstige-orgiastische Aspekt des Vampyrmythos inhaltlich und visuell immer spektakulärer auf die Leinwand; die sexuelle Revolution rückte die zarte weiße Haut der Mädchen in den Blick, durch die technische Entwicklung zum Farbfilm war deren Blut nun endlich nicht mehr grau (wie im Schwarzweißfilm) sondern blutrot; von nun an sickerte, floss und spritzte es beim Pfählen in immer größeren Mengen. Im 21. Jahrhundert ist die globale Populärkultur von Grund auf „vampyisiert“, wie ein Blick in das Kino- oder Fernsehprogramm sowie auf nationale und internationale Bestsellerlisten bzw. Box-Office-Rankings zeigt. Die Nouvelle Vampyr Vague hat in der Twilightisierung der Jugendkultur ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden; die Filme der Twilight – Saga New Moon (2009), Eclipse (2010), Breaking Dawn, Part I (2011) und Part II (2012) sind alle unter den Top 60 der weltweit erfolgreichsten Filme aller Zeiten, wenn man Erfolg mit Einspiel-Ergebnissen gleichsetzt. Die Untoten verkaufen sich besser denn je. 101


3. Alptraum-Deutung I’ll let you be in my dreams if I can be in yours (Bob Dylan, 1963) Es hat mich immer fasziniert, dass Sigmund Freud und Bram Stoker gleichzeitig – und ohne etwas von einander zu wissen – an ihren wichtigsten Texten gearbeitet haben. Während Stoker an Dracula schreibt, der 1897 erscheint, arbeitet Freud an seiner Traumdeutung, die 1899 fertiggestellt und publiziert wird. Freud besteht bekanntlich darauf, als Erscheinungsdatum 1900 anzugeben, damit sein Meisterwerk ein Buch des 20. Jahrhunderts werde. Wenn man Dracula und die Traumdeutung parallel liest, bekommt man den Eindruck, sie wären für einander geschrieben worden. Dracula ist das perfekte Illustrationsmaterial zu Freuds Theorien, Freuds Ansichten bieten analytische Einblicke in die Welt von Dracula. Wer psychoanalytisch an den Vampyrmythos herangehen will, muss sich fragen, wen er denn nun auf die Couch legen möchte: die AutorInnen (wie Bram Stoker, Anne Rice, Stephenie Meyer), die Figuren (wie etwa den Vamprjäger Van Helsing oder die schöne Bella, die sich in den Vampyr Edward verliebt), die Verkörperungen des Bösen (Nosferatu, Dracula) oder das Publikum, das den Untoten wie gebannt in die Buchhandlungen und ins Kino nachläuft. Für eine Psychoanalyse des Publikums scheint mir das Freud’sche Grundgesetz aus seiner Traumdeutung entscheidend zu sein, dass jeder Traum ein verhüllter Wunschtraum ist. Folgt man darin Freud, der an mehreren Stellen betont, dass jeder noch so furchterregende Alptraum ein – wenn auch von uns/vor uns selbst verkleideter – Wunschtraum ist, so wird der Vampyr vom manifesten Alptraum zum latenten Wunschtraum, der sich nur deshalb nicht offen als Begehren zeigen darf, weil die in uns selbst wirkende Zensur es „nicht einmal im Traum“ erlaubt, dass unsere wilden Wünsche unverhüllt in unser Bewusstsein gelangen. Nach Freud ist das Ich nicht einmal Herr im eigenen Haus; eine in uns selbst wirkende psychische Zensur-Instanz sorgt für die Verkleidung unserer unzivilisierten Begierden, damit sie uns sogar im Traum noch Angst machen, wenn unser Begehren uns als Albtraum entstellt erscheint. Freud schreibt in seiner bekannten Abhandlung über die Dichter, dass sie „Tagträumer“ seien3. Romane und Filme können nach Freud als fremde und für das Publikum offene Träume gesehen werden, an denen wir schamlos teilnehmen können, ohne dass unser eigenes Über-Ich anund ausdauernd Zensur ausüben muss. Wenn wir uns in fremde fiktionale Alpträume hineinversetzen, können wir unverschämt träumen, ein Vampyr zu werden, ein untoter Übermensch, der sich lustvoll weigert, 3 Sigmund Freud, „Der Dichter und das Phantasieren“, Neue Revue. Halbmonatschrift für das öffentliche Leben 1 (1907/08). S. 716–724

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den gesellschaftlichen Konventionen zu gehorchen, wenn er seine Opfer anfällt, aufreißt und sie mit seinem Aufruhr ansteckt, anstatt lustlos „Kulturopfer“ zur bringen, wie es bei Freud heißt. Wenn die Sonne der Vernunft, der Aufklärung, der Rationalität, des Über-Ichs untergegangen ist, nimmt der Vampyr sich, wen und was er will; nicht einmal den Naturgesetzen will dieser chronisch ungehorsame Untote sich unterwerfen, er zeigt Gott und der Welt das „wilde Zeichen“, wenn er sich störrisch aus dem Grab erhebt, – was nach Ansicht der (kirchlichen) Obrigkeit bislang nur Jesus Christus – und uns frühestens am Jüngsten Tag – zusteht. Gegen Ende der Romane und Filme können wir die Identifikationsfronten wechseln und träumen, einer wie Van Helsing zu werden, der als fanatischer Eugeniker (wörtlich: Lebensverbesserer) nie aufhören wird, die Rasse der Vampyre auszurotten zu wollen. Dass die – wie in Träumen üblich – sexuellen Elemente des Vampyrmythus kaum verhüllt sind, passt zur Freud’schen Lesart dieser Figur: die Pfählung, der Höhepunkt(!) klassischer Vampyrfilme, ist eine Vergewaltigung, bei der blutend-zuckendes Fleisch (angeblich im Dienst der Aufklärung, Vernunft und Religion) in Szene gesetzt wird. Davon träumt das Publikum. Dass Van Helsing ein von allen guten Geistern verlassener, pervertierte Nachfahr von Van Swieten ist, wird im kollektiven Traum der Populärkultur vergessen, denn die Janusköpfigkeit des Vampyrmythos (Der Vampyr jagt die Opfer, Van Helsing hetzt Dracula) verdoppelt seine Anziehungskraft als „Hetz(e)“ zwischen dem Lebenstrieb der Vampyre, die sich um jeden Preis fortpflanzen und ihre Rasse am Leben erhalten wollen, und dem destruktiven Todestrieb, der von den Vampyrjägern verkörpert wird. So kann ES seine dunklen Triebe zwiefach ausleben, ohne sich vor sich selbst schämen zu müssen – es ist ja ein fremder Albtraum und damit fremdes Begehren, ein fremder / entfremdeter Wunsch. Natürlich ist das Böse auch deswegen anziehend, weil es dramatisch und spektakulär ist, weil in der Hölle in vielen Varianten gebraten, gepiesackt, geröstet, geschnitten und gehackt wird, während man im Himmel immer bloß jubiliert. Natürlich bietet das Böse mehr Action und Spannung als das Gute, aber die Lust, dem bzw. den Bösen zuzusehen, ließe sich damit allein nicht erklären. Auch die Theorie, dass die hysterischen Twilight-Teenager sich nur mangels politischer Alternativen weltfremd metaphysischen Zwischenwelten zuwenden (nach dem Motto: rote Blutkörperchen statt der Roten Armee Fraktion), erklärt die seit Maria Theresia anhaltende Attraktivität des Genres nicht. Man muss schon den Freud’schen Schlüssel finden, um Draculas Schloss zu öffnen: wir wollen schamlos und unverschämt böse sein (dürfen) – und sei es auch nur für ein paar Stunden, deswegen zieht ES (das Freud’sche ES) uns ins Kino.

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Kapitel 6 Phantasie in Wissenschaft und Technik – Ergänzung oder Widerspruch?



Rudolf Bretschneider

Einleitung: Was diszipliniert die Phantasie? Wahrscheinlich fehlt auf diesem Podium zum Thema „Phantasie in Wissenschaft und Technik“ infolge des häufigen Doppelbegriffs „Wissenschaft und Technik“ eine Vertretung der Sozialwissenschaften – in der die Phantasie leider sehr oft eine wenig rühmliche Rolle spielte und spielt. Da diese Wissenschaften durch meine Person als Moderator aber doch hier sind, voran ein paar Bemerkungen zur Phantasie auf diesem Feld: Ich erinnere mich an „Die Hexenmeister der Sozialwissenschaften“ von Stanislav Andreski, das 1974 erschienene Buch mit dem Untertitel „Missbrauch, Mode und Manipulation einer Wissenschaft“, in dem der polnische Soziologe die teilweise wirklich „phantastischen Theorien“ der Anthropologie, der Soziologie und der Psychologie mehr als kritisch beleuchtet – vor allem die „dunklen Wolken schweren Wortschwalls“, die in diesen Wissenschaften durchaus üblich sind und die oft mehr verdunkeln als erhellen. Oder die Neologismen, die Tiefe vortäuschen, wobei genaue Beschreibungen der Oberfläche fehlen, sowie auch die fehlerhafte Übertragung mathematischer Zeichen auf soziale Sachverhalte, die vorschnelle Entwicklung weitreichender Theorien, die sich empirischer Prüfung weitgehend entziehen. Andreski nimmt u.a. das Werk von Claude Lévi-Strauss, von Talcott Parsons und auch Sigmund Freud aufs Korn beziehungsweise auf die polemische Schaufel. Tatsächlich ist es in den Sozialwissenschaften besonders bedenklich, „wenn die Sprache feiert“ und zu phantasievollen Konstrukten verführt. Nun, auch die Sozialwissenschaften haben, zumindest manche ihrer Zweige, Methoden entwickelt, die die schöpferischen Entwürfe, die mehr oder weniger phantasievollen Modelle, die sich aus einem Begriffsapparat entwickeln lassen, „disziplinieren“ sollen – Disziplin hat ja etwas mit geistig zergliedern und erfassen zu tun. In der Psychologie ist eine solche Disziplinierungsmethode häufig das Experiment, in der Soziologie die Anwendung statistischer Methoden des Zählens und Analysierens. Aber auch diese sind teilweise der Kritik ausgesetzt (unter anderen wegen der Trivialität der Ergebnisse oder auch wegen der Vortäuschungen von Exaktheit). Trotzdem ist die Kontrolle der Phantasie gerade auch in den Sozialwissenschaften ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Wenn man davon ausgeht, dass „wissenschaftliche Phantasie“ mit bisherigen Erfahrungen arbeitet, sie neu kombiniert, extrapoliert, neue Behauptungen und Hy107


pothesen entwickelt, dann sollten diese so beschaffen sein, dass sie mit anerkannten Methoden kontrolliert werden können und in neue Erfahrungen münden – und eben auch von anderen Forschern und Forscherinnen überprüfbar sind. (Aber versuchen Sie das einmal mit Sigmund Freuds „Totem und Tabu“ oder seiner „Traumdeutung“, da wird es relativ schwierig.) Einer der Väter des modernen Wissenschaftsbetriebs, Francis Bacon im 17. Jahrhundert, hat – nicht zuletzt wegen der Gefahr der von ihm so genannten „Idole“ – dringend empfohlen, zunächst viel zu beobachten, zu experimentieren, zu vergleichen und nicht zu schnell zu komplexen Begriffen und großen Theorien vorzudringen und überzugehen. „Phantasie“ hat Francis Bacon durchaus gehabt, was die künftige Rolle der Wissenschaft betrifft, wie er sie verstand. Er plädierte für eine Abkehr vom „alten“, bloß theoretischen Denken – und empfohlen hat er dafür „piecemeal engineering“, also stückweises Vorgehen. Nun, das Haus der Wissenschaft hat viele Räume, und in den verschiedenen Wohnungen werden ganz unterschiedliche Gewerbe betrieben – die „Gegenstände“, die „Fakten“ und was als „matter of fact“ betrachtet wird, sind höchst verschieden, und verschieden sind auch die als gültig anerkannten Methoden zur Annäherung an die Wahrheit; und selbst diese unterliegen, wie die Wissenschaftsgeschichte zeigt, einem Wandel. Nach einer Botschaft von Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, der als Rektor jahrelang Gastgeber dieser Veranstaltung war und in seinem jetzigen Haus die vielen Räume der Wissenschaften zu beobachten und zu fördern hat, haben wir drei Menschen auf dem Podium, die nicht für die Sozialwissenschaft, sondern für mehr oder weniger naturwissenschaftliche Fächer stehen: Professor Renée Schroeder, Dr. Sonja Hammerschmid, Professor Peter Zoller. Ihre Beiträge werden deutlich machen, wie groß oder wie klein die Rolle ist, die Phantasie in ihrer Forschungsroutine und/oder in ihren außerordentlichen Forschungsvorhaben spielt, was ihre Bausteine sind – und wo die Phantasie enden muss, weil, wie es schon bei Nestroy heißt, auch „der Hypothesenflug irgendwann ein Sprisserl finden muss, auf dem er sich niedersetzen kann“. *** Zusammenfassend zitiere ich noch Georg Christoph Lichtenberg, der eine umfassende Vorstellung von der Rolle der Wissenschaften hatte. Er war Mathematiker und Physiker, der auch die Astronomie liebte – und das Nachdenken über den menschlichen Geist und seine oft seltsamen Erscheinungsformen. Lichtenberg versuchte stets auf der Höhe seiner Zeit zu bleiben, war skeptisch gegenüber Wortneubildungen und – in der Wissenschaft selber gegenüber der ausufernden Phantasie. Die „folgerichtige“ Phantasie, die gezügelte, die ihre Schritte jeweils prüft, hielt er aber für sehr wertvoll und fruchtbar; in seinen Gedankenexperimenten 108


machte er intensiven Gebrauch von ihr. Wobei er auch wusste, dass man sich selbst auch nicht recht trauen kann: „Es ist eine Zeit, da glaubt man alles ohne Gründe, dann glaubt man eine Zeit mit Unterschied, dann glaubt man gar nichts, und dann glaubt man wieder alles und zwar gibt man Gründe an, warum man alles glaube“. Ich glaube, wir kennen alle diese Phasen, die schon Lichtenberg durchlaufen hat.

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Karlheinz Töchterle

Phantasie gehört zum Wesen der Wissenschaft Das Wort „Phantasie“ kommt aus dem Griechischen vom Verbum φαίνέςθαι – „sich zeigen, erscheinen“ – und bedeutet „Erscheinung“ beziehungsweise „Vorstellung“. Es beschreibt eigentlich schlicht das, „was sich zeigt“, wird aber gerne mit Kreativität, dem Mut, quer und anders zu denken, und auch mit Innovationskraft konnotiert. Phantasie ist die antreibende Kraft der Neugier. Mit ihrer Hilfe können Gedankenexperimente, Hypothesen, Modelle entwickelt werden. Phantasie ist antreibende Kraft des Versuchens, des Verbindens, des Schaffens sowie des Scheiterns. Phantasie entspricht somit auch in vielerlei Hinsicht dem Wesen von Wissenschaft und Forschung. Die bedeutendsten Erfindungen der Menschheit wie zum Beispiel den Buchdruck, den Computer oder auch die Glühbirne verdanken wir der Phantasie von kreativen Wissenschaftlern und Technikern. Es war wohl Phantasie, die Benjamin Franklin 1752 dazu gebracht hat, einen Schlüssel an einem Drachen zu montieren und diesen bei Gewitter steigen zu lassen – diesem Versuch verdanken wir unter anderem unsere heutigen Blitzableiter. Leonardo da Vinci behauptete von sich, die Idee mehr zu lieben als deren Ausführung. Dennoch standen seine Ausführungen seiner Phantasie um nichts nach. Für Albert Einstein war Phantasie wichtiger als Wissen, denn Wissen sei begrenzt. Phantasie helfe, Grenzen zu überschreiten und manchmal das Unmögliche möglich zu machen. In diesem Sinn erscheint Phantasie grenzenlos, aber natürlich stößt auch sie manchmal an Grenzen, wie zum Beispiel, wenn es um die Vorstellungskraft der Unendlichkeit des Universums geht. Nicht selten mündet die kreative Nutzung von Erkenntnissen in wissenschaftlichen Grundlagen, aber auch in Anwendungen und erzeugt somit wichtige gesellschaftliche, kulturelle und ökonomische Weiterentwicklungen. Dass ein Mangel an Phantasie den Tod der Wissenschaft bedeute, wusste schon Johannes Kepler. In diesem Sinne wird Phantasie nie Widerspruch, sondern stets Essenz menschlicher Neugier und damit forschender Prozesse sein. In diesem Sinne wünsche ich dieser Tagung, dass sich ihr möglichst vieles „zeige“ und sie auch sonst ergebnisreich sei. 111



Peter Zoller

Die Querverbindungen sind entscheidend Diese Gesprächsrunde steht unter dem Titel „Phantasie und Wissen­­ schaft“. Ich bin Physiker, theoretischer Physiker, und betreibe Quantenphysik an der Universität Innsbruck. Für mich als Physiker ruht die Naturwissenschaft auf zwei Säulen: Die eine ist das Wissen. Wir schaffen eine Sammlung von Fakten und damit auch Wahrheiten – oder was wir für Wahrheiten halten. Die andere Säule der Wissenschaft ist die Phantasie und die Kreativität, wobei letztere für mich hauptsächlich die Kunst ist, die richtige Frage zu stellen. Es gibt ein bekanntes Zitat von Albert Einstein, der einmal gesagt hat: „Phantasie ist wichtiger als Wissen. Wissen ist begrenzt, Phantasie aber umfasst die ganze Welt“. Manche Leute missinterpretieren diese Aussage, wenn sie sagen, dass man nur Phantasie brauche und kein Wissen. In der Naturwissenschaft ist es genau umgekehrt, wir haben beide Säulen: das Wissen und die Phantasie. Phantasie ist dabei etwas, das auf dem Wissen aufbaut und sozusagen die neuen Wahrheiten schafft. Die entscheidende Frage ist meiner Meinung nach in diesem Kontext, was Phantasie oder Kreativität in den Naturwissenschaften ganz konkret bedeutet. Wenn man das Wort Phantasie ins Englische übersetzt, dann würde man vielleicht versuchen, es mit „Fantasy“ zu übersetzen, was natürlich falsch ist. Das richtige Wort ist „Imagination“, und dieser Begriff trifft es deutlich besser. Was man damit meint, nämlich die Vorstellungskraft, die Kreativität in den Naturwissenschaften, ist also ein zweckorientiertes, imaginatives Denken, das neues Wissen erzeugt. Es hat einen Mehrwert und ist nicht nur unterhaltend, wie zum Beispiel „Fiktion“ im Sinne von „Fiction“. Wenn Sie in der Physik fragen, was eine gute Forscherin oder einen guten Forscher ausmacht, dann würde ich also sagen, es ist die Kreativität. Natürlich, viele von uns wissen vielleicht da und dort etwas mehr oder weniger, aber ich glaube, es ist wirklich die Fähigkeit, Querverbindungen herzustellen, die die einen Forscher eben von den anderen unterscheidet. In Innsbruck arbeiten wir zum Beispiel auf einem solchen Gebiet der Querverbindungen. Wir versuchen Quantencomputer zu bauen – und das sogar recht erfolgreich. Man hat vor ungefähr fünfzehn Jahren erkannt, dass es einerseits die sehr etablierte Quantenphysik und auf der anderen Seite die Informatik gibt. Heute werden nun Versuche unter113


nommen, hier Querverbindungen zu finden, Brücken zu schlagen, durch die sich diese Bereiche gegenseitig befruchten und wodurch dann qualitativ wirklich Neues entsteht. Und dann gibt es natürlich auch Kreativität auf einer Ebene, die fundamental ist. Albert Einstein und Erwin Schrödinger haben wirklich fundamental neue Theorien und neue Ideen entwickelt. Das passiert so aber vielleicht nur einige wenige Male in einem Jahrhundert. Eine Frage, die mich besonders interessiert, ist die: Wie Kreativität in der Naturwissenschaft konkret zustande kommt? Das kann harte Arbeit sein, Logik, Genie, vielleicht Zufall, auch dass Dinge in der Luft liegen. Wenn Sie das Buch „Guns, Germs, and Steel“ von Jared Diamond lesen – es hat vor einigen Jahren den Pulitzer-Preis erhalten –, dann wird dort zum Beispiel die Frage gestellt, warum die Schrödinger-Gleichung gerade in der westlichen Welt niedergeschrieben worden ist und nicht in China. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass Kreativität irgendwie vom sozio-kulturellen Umfeld abhängig ist. Man kann die Dinge in der Wissenschaft nicht abstrahieren, sie sind eingebettet in eine konkrete Umgebung. Eine weitere Frage ist, ob Kreativität erlernbar ist. Kann man es lernen, ein guter Wissenschafter oder Physiker zu sein? Ich möchte an dieser Stelle damit abschließen, dass ich Folgendes anmerke: Wir sehen, dass Kreativität relativ viel mit Exzellenz zu tun hat – und jeder von uns kennt die Debatte über Exzellenz in der Wissenschaft. Kreativität und Exzellenz sind letzten Endes vom freien Wettbewerb abhängig. Ich glaube, es ist wichtig, dass sich die Politik in diesen freien Wettbewerb nicht einmischt. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir in Österreich die sogenannte Exzellenz-Universität in Gugging haben, wo von oben herab Exzellenz quasi verordnet wird. Jeder von uns als Steuerzahler, der da über die nächsten zehn Jahre insgesamt 1,4 Milliarden Euro hineinzahlt, sieht das natürlich mit der großen Hoffnung, dass dort dann auch entsprechend tolle Dinge passieren. Aber ich glaube grundsätzlich, dass sich die Politik nicht in diesen „darwinistischen“ Wettbewerb der kreativen Köpfe einmischen sollte. Mit dieser Bemerkung möchte ich hier schließen.

Der Text folgt dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Renée Schroeder

Wissensschaffung braucht Vorstellungskraft und kontrollierte Phantasie Wie entsteht Wissen? Sobald ein Mensch erwacht und seine Umwelt wahrnimmt, beginnt er sich ein Bild zu machen, um alle seine Beobachtungen in Einklang zu bringen. Er entwickelt sein Weltbild. Das erscheint anfänglich ein unmögliches Unterfangen zu sein. Ist es auch! Aber es lohnt sich trotzdem daran zu arbeiten, um einem immer kohärenteren Weltbild zuzustreben. Eine Annäherung an die Realität! Wirklich nur eine Annäherung, denn auch die Realität ändert sich ständig – deswegen werden wir nie ankommen. Es gibt also kein Ankommen. Wozu auch? Was würden wir dann dort tun? Die Evolution und die Entwicklung des Seins sind nicht gerichtet. Deswegen gibt es auch kein Ziel (außer man schafft sich eines). Diese erste Erkenntnis, dass es kein absolutes Ziel gibt, ist eine wesentliche Voraussetzung, um unbefangen an die Erforschung der Welt heranzugehen. Wissensschaffung bedeutet die Entdeckung und Beschreibung von Tatsachen mit einer möglichst genauen Angabe der Bedingungen, bei denen diese Tatsachen gültig sind. Am Anfang jedes wissenschaftlichen Prozesses steht eine Beobachtung: eine Irritation, gefolgt von einer Frage. Irgendetwas passt nicht ins Bild. Dann wird diese Beobachtung immer konkreter und mündet in einer klaren Überlegung: Warum ist die Banane krumm? Falls es eine brauchbare Frage ist, sollte eine Bearbeitung und teilweise Beantwortung möglich sein. Wie beantworten wir diese Fragen? Was brauchen wir dafür? Wir sammeln dazugehörige Fakten, machen Messungen, denken nach und entwickeln eine Hypothese. Diese wird dann getestet, getestet, getestet, getestet, und getestet. Und irgendwann nimmt die Überzeugung zu, dass man die Antwort gefunden hat. Kann ich daraus etwas voraussagen? Trifft das dann auch zu? Wann trifft es nicht zu? Und so weiter.

Bei welchen dieser Schritte brauchen wir Phantasie? Zuerst möchte ich etwas zum Begriff Phantasie erwähnen: Ich mag den Begriff „Phantasie“ hier überhaupt nicht. Phantasie ist mir etwas zu un115


kontrolliert und darunter verstehe ich eher Prozesse, die frei in den Gedanken passieren und gar keinen Bezug zur Realität haben müssen. Für die Wissensschaffung ist das zu wenig und zu gefährlich. Bei der Wissensschaffung geht es ja um Wahrheitsfindung und diese braucht Strategie, damit es nicht zum sogenannten „Wishful Thinking“ kommt. In der Biologie zum Beispiel sind Wahrnehmungsfähigkeit und Beobachtungsfähigkeit viel wichtiger als Phantasie. Das genaue Hinschauen, um Prozesse und Phänomene zu erkennen, die gut analysiert werden müssen – um daraus gültige Erkenntnisse gewinnen zu können. Anstatt in den Himmel und in die Unendlichkeit zu starren, sollte man eher konkrete Dinge und Prozesse genauer beobachten. Man muss zum Beispiel kleine Variationen bemerken können. Dazu braucht man natürlich Phantasie und eine starke Vorstellungskraft, aber eben auch eine gute Kenntnis des Normalzustandes. Ich möchte ein wunderschönes Beispiel aus der Entwicklungsbiologe bringen: Die NobelpreisträgerInnen Christiane Nüsslein-Volhard, Edward Lewis und Eric Wieschaus haben nach Genen gesucht, die den Entwicklungsprozess von der befruchteten Eizelle zum vollständigen Organismus steuern. Dazu haben sie als Modellsystem die kleine Fruchtfliege Drosophila melanogaster verwendet. Sie haben diese Fliegen mit mutagenen Stoffen behandelt und haben nach Veränderungen gesucht, die in entwicklungsspezifischen Genen zu Störungen in der Entwicklung führen. Um diese zu finden, mussten sie tausende und abertausende Fliegen beobachten und kleine Variationen bemerken. Um solche winzigen Veränderungen überhaupt zu sehen, braucht man Phantasie – aber viel wichtiger war auch hier eine genaue Kenntnis der normalen Entwicklung und der Fliegenmorphologie selbst. Für mich ist es fast unvorstellbar, wie sie in ihrem Gefäß, wo die vielen Fliegen herumgeflogen sind, die einzelnen Mutanten überhaupt erkannt haben – den Phänotyp gesehen haben. Und diese veränderten Formen bekamen dann sehr beschreibende Namen, wie „gurken“, „hunchback“ oder „zerknüllt“. Diese Namen haben die Entwicklungsbiologie geprägt und die mutierten Gene, deren Produkte und Wirkungsmechanismen werden bis heute intensiv erforscht. Das heißt, man sieht tausende Fliegen und muss bei einer stutzen und aufmerksam werden: „Aha, diese eine Fliege ist ein bisschen anders, da steht der Flügel ein bisschen verdreht oder die Form eines bestimmten Organs ist ein bisschen anders!“ Es sind oft nur kleinste Veränderungen. Und um diese Veränderungen wahrnehmen zu können, braucht man ein enormes Wissen über den Normalzustand der Fliege. Man muss sehr viel Faktenwissen haben, außerdem muss man sehr offen sein, um Dinge zu bemerken, die nicht ganz ins Konzept passen: Was ist jetzt anders oder was ist irgendwie nicht ganz erklärbar? Man muss also auch die richtige Frage stellen.

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Was braucht ein Wissenschaftler? Es gibt ein sehr schönes Zitat von Egon Friedell zum fünfzigsten Geburtstag von Peter Altenberg. Er hat eine Ansprache gehalten mit der Überlegung: Wer ist Peter Altenberg? Ist er ein Kaffehausliterat, ein Philosoph, ein Poet oder was ist er eigentlich? Und Friedell ist zu dem Schluss gekommen: Altenberg ist eigentlich Wissenschaftler. Da haben alle gestaunt: Warum eigentlich Wissenschaftler? Weil er immer Dinge sieht, die andere nie gesehen haben. Erst in dem Moment, wo er sie gesehen hat und sagte: „Schaut mal!“ – sahen es alle anderen auch. Und für mich ist eben diese Beobachtungsgabe, dieser offene Blick für Dinge, wie sie eigentlich wirklich sind, und das gekoppelt mit der Fähigkeit, das Beobachtete richtig zu benennen und daraus eine richtig gute Frage zu stellen, das Um-und-Auf der Wissensschaffung. Wichtig sind einfache Fragestellungen. Denn wenn man Fragen zu komplex stellt, dann hat man keine Möglichkeit eine Hypothese zu entwickeln, um diese Frage zu analysieren und keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Hypothese stimmt. Phantasie ist hier zwar schon angebracht und könnte hilfreich sein – aber Vorstellungskraft, sehr viel Wissen und die Fähigkeit, die Wissensfakten richtig in Zusammenhang zu bringen, ist viel wichtiger – ja essentiell. Das sind die Grundfähigkeiten des Wissenschaftlers. Hier noch einmal das mögliche Szenario, wie Wissen in den Naturwissenschaften entsteht: Man hat etwas bemerkt, hat eine kleine Irritation, man weiß einiges dazu, braucht ein Grundwissen, um die Irritation überhaupt wahrnehmen zu können, dann beginnt man die Zusammenhänge zu erkennen und muss diese Zusammenhänge in eine Form bringen, um die Gedankenprozesse auch umsetzen zu können. Das ist der eigentliche Prozess. Und es ist, glaube ich, gefährlich, wenn man seiner Phantasie freien Lauf lässt und irgendwelche Luftschlösser aufbaut. Wenn man nicht wirklich Stein für Stein an den richtigen Platz setzt, dann bricht die Gedankenkonstruktion ein. Wenn man nicht vorsichtig, gewissenhaft und mit allen möglichen Kontrollen Stein auf Stein setzt, dann ist auch die Gefahr zu groß, dass später einmal alles zusammenbricht, denn das ist nicht sehr produktiv. In der Kunst ist es meines Wissens anders, aber nicht ganz anders. Künstler suchen auch nach der Wahrheit und versuchen diese mit verschiedenen expressiven Mitteln zu vermitteln. Bei der Kunst kann und soll die Phantasie grenzenlos sein. Für die Naturwissenschaften ist eine extreme Disziplin wichtiger und auch notwendig. Da darf man sich nicht in eigene Hypothesen verlieben und diese aus Eitelkeit verteidigen. Der Wissenschaftsprozess ist eine Annäherung an die Realität, ein evolutionärer Prozess mit vielen Fehlern und Sackgassen, genau wie die Evolution selbst. Und genau wie alles in dieser Welt, gibt es kein Ende, kein Ziel, sondern nur eine Annäherung an Undefiniertes. Das Ziel ist offen! 117


Ganz essentiell ist hier auch die Einsicht, dass bei aller Vorsicht und Genauigkeit immer wieder Fehler passieren, falsche Interpretationen oder ungenaue Messungen gemacht werden. Vor diesen Fehlern muss man nicht zurückschrecken oder gar handlungsunfähig werden, sondern sich nur immer bewusst sein, dass Fehler ein Teil des Systems sind. Einen Fehler sollte man aber nicht machen: ein „Wishful Thinking“ oder irgendeine bevorzugte Vorstellung zu haben, die man dann sehr attraktiv findet, sich in eine Idee zu verlieben und dann unbedingt wollen, dass diese wahr wird. Man muss die Modelle mit Begeisterung und auch mühevoller Arbeit Baustein für Baustein aufbauen. Das ist nicht so attraktiv, wie man sich das vorstellt, aber es ist natürlich umso effizienter je gewissenhafter man vorgeht. Aber auch hierbei gibt es den freien Flug der Gedanken …

Das berühmte Heureka Das Zusammentragen von Beobachtungen und Messungen zur Erstellung des Grundwissens ist also harte Arbeit, erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit der Materie. Der nächste Schritt kommt dann als Erkenntnis des Zusammenhangs der einzelnen Bausteine und Beobachtungen: das sogenannte Aha-Erlebnis, das Heureka. In welchen Situationen hat man diese Aha-Erlebnisse? Das geschieht meistens so: Man schleppt sehr viel Faktenwissen mit sich herum, man versteht es nicht unbedingt ganz, man hängt zu nah dran, um einen Überblick zu gewinnen. Dann passiert das Typische: Man geht spazieren, fährt Rad oder steht unter der Dusche – und auf einmal fällt einem ein Bild ein. Ein kreativer Gedankenblitz, der viele der Fakten in Einklang bringt und eine neue Idee entstehen lässt. Das Puzzle kommt zusammen – und dann hat man ein gutes Bild, das es möglich macht, weitere Gedanken zu haben und weitere Experimente vorzuschlagen. Man macht noch ein Experiment, überlegt sich weitere Kontrollen, das Bild passt immer besser, wird auch konkreter und schärfer. Das ist für mich die kreative Phantasie in der Wissenschaft – sie ist also eher eine Assoziationskraft als ein freier Flug von Gedanken. Die Dinge, die zuerst nicht ins Bild passen, weil das Bild noch zu ungenau ist, werden Schritt für Schritt in ein erweitertes und verbessertes Bild eingepasst. Da gibt es aber noch eine gemeine Falle: Man hat viele Beobachtungen gemacht und nach dem Zusammenhang all dieser Beobachtungen gesucht. Doch es kann auch leicht so sein, dass es gar keinen Zusammenhang gibt. Die Beobachtungen können alle nur Korrelationen und Zufälle sein und keinen kausalen Zusammenhang haben. Das ist sogar sehr oft der Fall! Das sind die sogenannten gescheiterten Projekte. Leider, aber diese sind auch sehr wichtig; man lernt daraus und macht den gleichen Fehler (hoffentlich) kein zweites Mal. 118


Zusammenfassend möchte ich vorsichtig die These aufstellen, dass Phantasie in der Wissenschaft speziell bei zwei Schritten wichtig ist: bei der ursprünglichen Irritation, also der Beobachtung eines Phänomens, und dann gegen Ende, wenn viele Fakten zusammengetragen worden sind, bei der Zusammenfügung der Fakten zu einem neuen Bild. Man braucht also für die Wissensschaffung sehr viel Vorstellungs- und Assoziationskraft.

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Sonja Hammerschmid

Kreative Kombination erzeugt Mehrwert Nachdem ich Genetikerin bin, kann ich alles unterschreiben, was meine zwei Vorredner ausgeführt haben. Ich möchte unterstreichen, dass jede Formulierung einer wissenschaftlichen Hypothese sehr viel Kreativität, Phantasie und Neugier braucht. Diese muss in einem zweiten Schritt natürlich bewiesen werden mit den jeweiligen empirischen Methoden, um der Wahrheit einen Schritt näher zu kommen. Ich habe aber ganz bewusst einen anderen Ansatz für dieses Podium gewählt, weil ich ja nicht immer Rektorin war, sondern ein Vorleben in der Wirtschaft hatte und über zwanzig Jahre hinweg sehr viel mit anderen Branchen – vor allem mit innovationsgetriebenen Branchen – zu tun hatte: Technologie-Branchen, Life Sciences, aber auch mit den Creative Industries, der sogenannten Kreativwirtschaft, wozu Bereiche wie Design, Mode, Musik, Architektur gehören. Daher möchte ich mich hier dem Thema aus einer anderen Perspektive nähern. Dafür habe ich aktuelle Daten mitgebracht aus einer Studie, die kürzlich veröffentlicht wurde – nämlich die „Global Innovation 1000 Study“ von Booz & Company. Die Studie untersucht seit 2005 tausend weltweit forschende Unternehmen und deren F&E-Ausgaben. Diese Ausgaben werden in Relation zu den Umsätzen und anderen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen gesetzt. Klar ist, oder schön ist vielmehr, dass sich die Forschungsausgaben über die letzten zwei Jahre – von 2010 auf 2011 – ganz massiv gesteigert haben. Diese Steigerung beläuft sich auf über neun Prozent, sodass wir mittlerweile weltweit bei F&E-Ausgaben von 603 Milliarden US-Dollar stehen. Und es sind drei Sparten, die hier ganz besonders in die Forschung investieren. Es sind – wenig überraschend – die pharmazeutische Industrie, die Automobilindustrie und die Computer- und IKT-Branche. Warum investieren diese Branchen so intensiv in Forschung und Entwicklung? Nun, die Produkt- und Innovationszyklen haben sich über die letzten Jahre ganz massiv verkürzt. Viele von Ihnen sind stolz darauf, das neue iPhone zu haben, und nicht das Dreier-Modell, sondern das allerneueste. Bei vielen anderen technischen Geräten ist das genauso der Fall. Wir alle streben danach, die schönsten, die besten und die tollsten Innovationen in Form von Produkten in Händen zu halten. Die Unternehmen sind natürlich bestrebt, die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden bestmöglich zu erfüllen. 121


Der medizinische Bereich definiert sich über den Medical Need, der unendlich zu sein scheint, denn die Anzahl an Erkrankungen ist im Steigen begriffen. Zum Stichwort alternde Gesellschaft oder Zivilisationskrankheiten: Hier sind es vor allem die Patentlaufzeiten, die die Produktzeiten definieren. Aber auch die rasanten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die neuen Erkenntnisse und das Verständnis der Entstehung von Krankheiten ermöglichen innovative und gezieltere Diagnostik- und Therapieansätze. Die Ethik gebietet es, diese Erkenntnisse dem Patienten nicht vorzuenthalten, sondern für ihn zugänglich zu machen. Wachstumsmärkte liegen für solche Unternehmen naturgemäß – wir leben ja mittlerweile in einer relativ „gesättigten Welt“ – eher in den Schwellenländern Indien und China. Gerade diese Länder investieren massiv in Forschung und Entwicklung, denn sie haben längst verstanden, dass das eine Investition in die Zukunft ist. Indiens und Chinas Unternehmen steigerten ihre jährlichen Investitionen (von 2010 auf 2011) in Forschung und Entwicklung im Durchschnitt um unglaubliche siebenundzwanzig Prozent. In dieser Studie wurden aber auch die Führungskräfte nach den innovativsten Unternehmen weltweit befragt. Es haben sich ganz klar drei Unternehmen deutlich vom Rest abgesetzt: Apple, Google und 3M. Das Ergebnis war sehr deutlich. Diese drei Unternehmen sind die „gefühlten Innovatoren“ weltweit. Wenn man aber die Zahlen von Apple näher analysiert, dann sieht man, dass Apple 2,2 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert – nur 2,2 Prozent. Das hat in der pharmazeutischen Industrie eine ganz andere Dimension. Apple bewerkstelligt mit einem relativ geringen Forschungs- und Entwicklungsinvestment vergleichsweise einen unglaublichen Output. 2,2 Prozent ist bei Apple dennoch sehr viel und ein beeindruckender Betrag, weil der Umsatz zig Milliarden ausmacht. Aber im Verhältnis ist es wenig. Was tun die, was macht Apple anders? Apple gelingt ein perfekter Brückenschlag – nämlich die Kombination von technologischer Entwicklung, Design, exzellentem Marketing und natürlich auch Software-Entwicklung. Diese Kombination macht das Produkt erlebbar und fühlbar Apple, befriedigt auf diese Weise nicht nur Kundenbedürfnisse, sondern ist in der Lage, diese auch zu kreieren – eine neue Dimension. Jeder kennt den iPod: die MP3-Technologie, entwickelt von Fraunhofer, gibt es mittlerweile schon seit Jahrzehnten. Viele haben versucht, diese MP3-Technologie in Geräte, zum Musikhören zu verpacken. Mit wenig Erfolg am Markt. Der Erfolg und Durchbruch kam erst mit dem iPod. Und auch hier war es wieder die Kombination aus Technologie, Design, einfache Nutzbarkeit und Funktionalität – eingebettet in ein geniales Vermarktungskonzept über iTunes. Diese Kombination hat den Riesenverkaufserfolg ausgemacht. Und dasselbe gilt für das iPad. Jeder, der mal ein iPad in den Händen hatte, lässt seinen Laptop am Tisch stehen und verwendet ihn nicht. Es ist also diese kreative Kombination, die 122


den Mehrwert erzeugt und die auch der Wirtschaft einen unglaublichen Aufschwung geben kann. Technologie und Wissenschaft zu verbinden mit Kreativität, mit Design, mit multimedialen Funktionen, diese Kombination schafft es, zu neuen Funktionalitäten und Kundenbedürfnissen zu kommen, emotionalen Kundenbedürfnissen. Apple Fans campieren vor jeder Apple-Filiale, wenn neue Versionen herauskommen. Emotionalität lässt sich auch übertragen auf die Autoindustrie und andere Branchen. Die Kreativwirtschaftsbranchen, Design, Multimedia, Musik, Mode et cetera sind auch wichtige Impulsgeber für die Wissenschaft. Sie fragen Technologien nach und sie machen den Erfolg von Forschung oftmals erst verwert- und verkaufbar. Zusammenfassend möchte ich betonen, dass Wissensgenerierung an den Universitäten per se natürlich einen Wert für die Gesellschaft darstellt. Aber dieses Wissen der Universitäten nutzbar zu machen, indem Forschungserkenntnisse zu verwertbaren, sprich verkaufbaren Produkten weiter entwickelt werden, erzeugt einen besonderen Mehrwert. Das gelingt besonders gut, wenn die kreativen Köpfe der Wissenschaft sich mit den kreativen Köpfen der Kreativwirtschaft zusammentun und gemeinsam agieren. Und sie „ticken“ ja auch ähnlich. Wolf Lotter, ein Redakteur des Wirtschaftsmagazins „Brand eins“, hat Kreative als Querdenker – und liebevoll als „Gestörte“ – bezeichnet und klar gesagt: Kreative Menschen passen nicht in die Strukturen der industrialisierten Welt – mit geregelten Arbeitszeiten, mit ganz klar vorgegebenen Pausen und Mittagszeiten, und um fünf Uhr ist dann Schluss. Kreative Köpfe brauchen Freiräume. Sie brauchen die Möglichkeit, ihre Kreativität zu entfalten. Universitäten bieten diese Rahmenbedingungen. Mein Anliegen ist es, unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzuladen, die Grenzen zu überschreiten, querzudenken, kreativ zu denken und dies auch mit anderen möglichst interdisziplinär zu tun, um diesen Mehrwert, den ich zu skizzieren versucht habe, zu heben. Dies wird für viele Branchen unterschiedlich gestaltet sein müssen. So skurril es auch erscheint: Die Universität für angewandte Kunst arbeitet sehr eng mit den Naturwissenschaften, sowohl mit Wissenschaftlern vom Vienna Biocenter wie auch aus meinem Haus, der Vetmeduni Vienna – und Sie glauben gar nicht, welch tolle Ideen bei solch interdisziplinären Unternehmungen entstehen können.

Der Text folgt dem auf dem Podium gesprochenen Wort

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Kapitel 7 Ergebnisse einer Repr채sentativStudie der GfK Austria Sozialforschung



Angelika Kofler

Denken, Fühlen und Wollen in Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft Eine Repräsentativstudie? Über Phantasie? Auf den ersten Blick möchte man meinen, dass sich Phantasie für alles Mögliche eignet, aber doch nicht für eine quantitative, also in Zahlen ausgedrückte Analyse basierend auf einer Repräsentativbefragung. Es scheint ein Widerspruch in sich zu sein, aber gerade ein abstrakter, schwierig zu operationalisierender Begriff wie Phantasie legt einen strukturierten Zugang und empirische Forschungsbegleitung nahe, um Diskussionen darüber möglichst vielseitig und effizient widerspiegeln zu können. In diesem Verständnis entstand die vorliegende Studie1 als empirischer und auch interaktiver Beitrag für die „Kultur und Wirtschaft“-Tagung 2012 des Europäischen Forums Alpbach in Zusammenarbeit mit der Gedächtnisstiftung Peter Kaiser (1793–1864). Es sollte um die intra-individuellen Dimensionen des Denkens, Fühlens und Wollens als definierenden Rahmen, ebenso wie um die kollektiv erlebten Bereiche Kunst und Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft gehen. In diesem Sinne wurden die Forschungsfragen um Themenblöcke herum konzipiert, die zunächst •• das Verständnis von Phantasie explorierten, anschließend •• die Wertungen und Differenzierungen von Phantasie in den verschiedenen Bereichen •• und schließlich die Motivatoren und Demotivatoren für Phantasie untersuchten. Die Ergebnisse der Repräsentativstudie wurden schließlich noch dem – zwar nur explorativ und punktuell – vor Ort erfassten Feedback der Tagungsteilnehmer gegenübergestellt.

Das österreichische Verständnis von Phantasie Ein zentraler Themenkomplex der Repräsentativstudie war zunächst das Verständnis von Phantasie, das über Fragen nach ganz konkret attribuierten Eigenschaften, über Spontanassoziationen der über 2.000 Befrag1 GfK Austria Sozial- und Organisationsforschung, Befragung von n=2.000 Personen, repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 15 Jahren, durch CAWI (ComputerAssisted Web Interviews)

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ten und über Fragen zum semantischen Umfeld, also der Nähe bestimmter Begriffe zu Phantasie, erhoben wurde. Ein zentrales Ergebnis zum Verständnis von Phantasie ist, dass der Begriff ganz deutlich positiv besetzt ist. Das zeigte sich sowohl an Hand der Erhebung des Polaritätsprofils von Eigenschaften (semantisches Differenzial) wie auch an den häufigsten spontanen Assoziationen, die mittels multivariater statistischer Verfahren geclustert und in weiterer Folge als semantisches Netz2 dargestellt wurden, ebenso wie bei der gestützten Abfrage nach zu Phantasie passenden Begriffen.

Etwas Schönes, aber für manche bedrohlicher als für andere Gefragt nach den Gefühlen, die sie am ehesten mit Phantasie verbinden, wurden den Befragten Eigenschaften als Polaritätsprofil zur Auswahl angeboten. Im semantischen Differenzial zeigt sich das emotionale Verständnis von Phantasie mehrheitlich positiv und in erster Linie als verbunden mit „schön“ (87 %), „erstrebenswert“ (85 %), „anregend“ (84 %), „gesund“ (81 %), „dynamisch“, „befriedigend“, „hell“ (je 73 %) und „beglückend“ (71 %). Keiner der alternativ zur Auswahl stehenden negativen Begriffe – „beängstigend“ (6 %), „passiv“ (3 %), „unbefriedigend“, „betäubend“ (je 2 %), „abstoßend“, „krank“, „dunkel“, „hässlich“ (je 1 %) – wurde auch nur annähernd so oft mit Phantasie assoziiert. Zwar kann man darüber diskutieren, warum „passiv“, „dunkel“ oder „hässlich“ notwendigerweise als etwas Negatives gelten müssen, aber im Zusammenhang betrachtet spiegeln diese Begriffe ohne Zweifel normative (Ab-)Wertungen recht präzise wider. Wo die Ausprägungen der als Polaritätsprofil erhobenen Dimensionen nicht ganz so überwältigend eindeutig, sondern etwas ambivalenter ausfallen, schlägt das Pendel trotzdem immer noch sehr deutlich in eine der Richtungen aus, nämlich in Richtung „erregt“, „weiblich“ und „beherrschbar“ – statt in Richtung „ruhig“ (minus 38 Prozentpunkte), „männlich“ (minus 24 Prozentpunkte) oder „übermächtig“ (minus 9 Prozentpunkte). Abgesehen von diesen globalen Trends differenzieren die mit „Phantasie“ verbundenen Gefühle im Detail je nach Bildung, Alter, Geschlecht und Familienstand: Höher Gebildete haben besonders deutlich ausgeprägte positive Emotionen in Verbindung mit Phantasie, umgekehrt 2 Ein semantische Netzwerk visualisiert Spontanassoziationen und zeigt, wie häufig und stark bestimmte Emotionen, Bilder und Vorstellungen mit einem Begriff verbunden sind, welche Emotionen, Bilder und Vorstellungen miteinander verknüpft sind und welche unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Erlebniswelten im Zusammenhang mit dem Begriff bestehen.

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steigt mit geringerem Bildungsniveau das Gefühl der Bedrohlichkeit. Interessant ist auch, dass Menschen mit Partnerverlusterfahrungen, konkret die Geschiedenen/Getrennten/Verwitweten, mit Phantasie häufiger Gefühle von „beherrschbar“ einerseits und „anregend“ andererseits verbinden. Das lässt natürlich noch nicht den Umkehrschluss zu, dass Ledige oder Menschen in Zweierbeziehungen es öfter als die „Beziehungsverlierer“ mit „übermächtigen“ und „betäubenden“ Gefühlen in Sachen Phantasie zu tun hätten. Die Dimension der erlebten Kontrollierbarkeit von Phantasie am Kontinuum zwischen „übermächtig“ und „beherrschbar“ polarisiert bei Teenagern auch nach Geschlecht: Berichten weibliche Teenager, dass sich Phantasie besonders häufig „übermächtig“ anfühlt, denken männliche Teenager besonders oft, dass, ihrem Gefühl nach, Phantasie „beherrschbar“ wäre. Ob dieses Gefühl der Stärke als Testosteron-Nebenwirkung gelten kann, sei dahingestellt.

Phantasie ist deutlich positiv besetzt Semantisches Differenzial - Polaritätsprofil Mittelwerte

1 erstrebenswert

2

3

dynamisch

abstoßend passiv 2,50

männlich

1,74

krank dunkel

1,92

hell

hässlich

1,63 3,95

beängstigend anregend

ruhig

2,67

weiblich

befriedigend

beherrschbar

1,95

erregt

schön

5

3,13

übermächtig

gesund

4

1,73

1,96 1,71

beglückend unbefriedigend betäubend

Frage 1: Wie würden Sie die Gefühle, die Sie persönlich mit dem Begriff „Phantasie“ verbinden, am ehesten beschreiben? 1 bedeutet, dass die linke Eigenschaft zutrifft, 5, dass die rechte Eigenschaft zutrifft, dazwischen können Sie abstufen. Basis: Total (n=2.000) © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

Phantasie heißt Träumen Die Exploration des semantischen Umfelds des Begriffs Phantasie in der gestützten Abfrage, d. h. gefragt mit vorgegebenen Antwortkategorien, die ausgewählt werden konnten, zeigte, dass im Empfinden der ÖsterreicherInnen vor allem Begriffe wie „Träume(n)“ (für 88 %), „Kreativität“ und „Einfallsreichtum“ (je 82 %) zu Phantasie passen und kaum (nur für 4 bzw. 6 %) potenziell dunkle Ausprägungen des Phänomens wie „Perversion“ oder „Verfolgungswahn“. Zwischen diesen Extremausprägungen fügen sich im Verständnis der ÖsterreicherInnen, in absteigender Rei129


henfolge, zwischen 53 und 19 %, die Begriffe „Romantik“, „Improvisation“, „Utopie“, „Verführung“ und „Hirngespinst“. Außerdem kristallisieren sich bei einer Reihe von mit Phantasie assoziierten Begriffen recht deutliche soziodemografische Profile heraus: „Romantik“ assoziieren besonders oft Kinderlose, Ältere, vor allem Frauen und RespondentInnen aus niedrigen Sozialschichten mit Phantasie. TV-Programmplaner finden hier vermutlich Parallelen zum Kernpublikum von Rosamunde-Pilcher-Sagas. „Utopie“ ist vor allem dem Phantasie-Verständnis von Männern, ab 50-Jährigen, höheren Sozialschichten sowie Befragten ohne Kinder nahe. Phantasie und „Verführung“ passen am öftesten für die Ledigen und am wenigsten für „Beziehungsverlierer“, also Getrennte/Geschiedene/ Verwitwete, zusammen, für die offenbar das Leben nach dem Happy End präsenter ist als der Weg zum Jawort „Bis-dass-der-Tod-euch-scheidet“. Als „Hirngespinst“ gilt Phantasie öfter im Dorf oder in der Kleinstadt als im urbaneren Umfeld, wo alle möglichen Formen von Devianz sich auch eher der sozialen Kontrolle entziehen können. Nach Geschlecht analysiert fällt auf, dass für Männer öfter als für Frauen „Perversion“ zu Phantasie passt, während Frauen öfter als Männer an „Träume“, „Kreativität“ und „Romantik“ denken oder vielleicht auch nur weniger Hemmungen als Männer haben, solche Softie-Gedanken zuzugeben. Nach Altersgruppen betrachtet ist auch interessant, dass Teenies öfter als die älteren Befragtengruppen „Verfolgungswahn“ in die Nähe von Phantasie rücken. Solche Empfindungen des Alleinseins gegen den Rest der Welt erklären sich vermutlich aus der Pubertät, wo sich die individuelle Identität und die Ablösung von den Eltern entwickelt und abspielt. Zwischen 30 und 39 Jahren scheint „Einfallsreichtum“ ein Tief zu erleben, jedenfalls findet diese Altersgruppe den Begriff am seltensten als zu Phantasie passend und ist möglicherweise gerade zu beschäftigt sich in der Abteilung „Ernst des Lebens“ von beruflichem Aufbau und Familiengründung zu bewähren, um sich Phantasieren zu erlauben. Höhere Bildung korreliert mit häufigeren Nennungen von „Kreativität“ und „Improvisation“, aber auch von „Perversion“.

Kleine Welten entstehen: Phantasie in Assoziationsclustern Die RespondentInnen wurden auch nach ihren spontanen Assoziationen mit Phantasie gebeten, d. h. es waren keine Antwortkategorien zur Auswahl vorgegeben. Auch dann dachten die über 2.000 Befragten am häufigsten an Träume. Rund um diese häufigste Spontanassoziation finden sich weitere Begriffe, die gemeinsam gedankliche Cluster ergeben. In allen dieser Cluster ist eine Vermengung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, auch Politik, und Emotion, feststellbar. Die Phantasie verbindet also eher, 130


was sich auf den ersten Blick in einander ausschließende Kategorien teilt. So ranken sich um die Assoziation von Phantasie mit „Träumen“ auch „Wünsche“ und „Alternativen zum Alltag“, also ein gewisser Eskapismus. Zu „Kino im Kopf “ kommt abermals der Eskapismus, in Form der Assoziationen mit einem „besseren Leben“, einer „schöneren Welt“ und dem Gefühl „Beglückendes“ zu empfinden. Zur Assoziation von Phantasie mit „Erotik“ gesellten sich auch die gedanklichen Verknüpfungen mit „Geld“ und „Urlaub“, also gewissermaßen das Gesamtpaket eines förderlichen Umfelds, gleich mit dazu. Zum führenden Begriff der „Vorstellungskraft“ fügen sich nicht nur „Kreativität“, „Ideenreichtum“, „Wunschdenken“, „Visionen“, „Utopien“, „Gedanken“ und „Irreales“, sondern auch „Angst“. Wer Phantasie hat, ist natürlich auch befähigt, sich auszumalen, was (ihm/ihr) alles passieren könnte. „Wer keine Angst hat, hat auch keine Phantasie“, war schon Erich Kästner aufgefallen. Ob Angst ein guter Ratgeber ist, ist eine andere Frage. Zur Spontanassoziation „schön“ gehört gleichzeitig auch „anregend“ und „lebenswichtig“. An der Biologie orientierte Disziplinen würden diesen speziellen Cluster vielleicht auf einen Hormonmix reduzieren und um Vokabeln wie Adrenalin und Oxytoxin herum formulieren. „Kunst“ steht ebenfalls nicht im leeren Raum, sondern gehört eng zusammen mit „Neuerung“ und „Innovation/Fortschritt“, wird also gewissermaßen zusammengelegt mit Begrifflichkeiten, die eher in der Wissenschaft und Wirtschaft vertraut klingen – um nur einige Beispiele zu nennen.

Cluster – vor allem rund ums Träumen Assoziationen zum Begriff Phantasie (dargestellt als semantisches Netz)

Angst

entspannend Tagträume

nicht real/ unwirklich/Utopie Wunsch Visionen Kreativität Gedanken denken Ideenreichtum

neue Mögl. Freiheit Zukunftspläne bringt m. weiter Neuerung Kunst Innovation/ Fortschritt

Vorstellungskraft

Phantasie

Erotik Geschichte Geld andere Welt Meer/Natur Urlaub bunte Farben/ kindlich Regenbogen

Wünsche Träume/träumen Alternative z. Alltag besseres Leben schönere Welt Kino im Kopf beglückend

schön anregend lebenswichtig

Frage 2: Bitte geben Sie an, was Ihnen spontan zu dem Begriff „Phantasie“ einfällt. © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

131


Wertungen und Differenzierungen Während das Verständnis von Phantasie also für überwältigende Mehrheiten, von denen Politiker, jedenfalls in Demokratien, nur träumen können, ein recht klares, nämlich positives Bild ergibt, differenzieren die Wertungen der Bedeutung von Phantasie aber ganz deutlich, je nachdem, ob Einschätzungen auf der Individual- oder der Kollektivebene bzw. in den Bereichen Kunst/Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft, nach Berufsprofilen oder Alltagsaktivitäten gefragt waren.

„Die Gesellschaft“ weiß Phantasie nicht genug zu schätzen Spannend ist zunächst, dass die ÖsterreicherInnen die gesellschaftlichen Emotionsnormen, kulturell geprägte „feeling rules“, wie es die Pionierin der Emotionssoziologie Hochschild3 nennt, bezogen auf Phantasie als Diskrepanz zum eigenen Empfinden erleben. So verbinden zwar 84 % persönlich positive Gefühle mit Phantasie, gleichzeitig nehmen aber nur 36 % an, dass Phantasie in unserer Gesellschaft positiv gesehen würde. In der Wahrnehmung der vorherrschenden gesellschaftlichen Norm überwiegt die Zuschreibung von Ambivalenz, d. h. 52 % denken, dass Phantasie in der Gesellschaft sowohl positiv als auch negativ gesehen wird. Die positivsten eigenen Gefühle verbinden 30 bis 39-Jährige bzw. die Generation X (geboren 1961–1975), Selbständige und RespondentInnen in Führungspositionen und höher Gebildete mit Phantasie. Männer sehen die Gesellschaft weniger separiert von der Position der eigenen Person und neigen öfter als Frauen dazu zu projizieren, also anzunehmen, dass die Gesellschaft Phantasie ebenfalls positiv sehen würde. Außerdem zeigt sich generell eine Wechselwirkung zwischen den eigenen Gefühlen und dem normativen Verständnis: Wer selbst Phantasie positiv empfindet, überträgt das auch auf seine Sicht der Gesellschaft und nimmt daher verstärkt an, dass es auch eine positive Sicht der Gesellschaft auf Phantasie geben würde; und vice versa.

3 Arlie Russell Hochschild, The Managed Heart: Commercialization of Human Feeling, University of California Press, Berkley, 2003.

132


Persönlich werden mit Phantasie mehrheitlich positiv Gefühle verbunden, aber gesellschaftliche Normen werden als ambivalent wahrgenommen Persönliche affektive Wertung vs. normative Wahrnehmung Persönliche affektive Wertung 0 1 15

Normative Wahrnehmung 0 12

4

32

44

40

Mittelwert

52

1,73 sehr positiv(e) (1,00)

2,74 eher positiv(e) (2,00)

sowohl als auch (3,00)

eher negativ(e) (4,00)

Frage 4: Wenn Sie den Begriff „Phantasie“ hören, welche Gefühle verbinden Sie damit? Frage 5: Wie denken Sie, wird Phantasie in unserer Gesellschaft gesehen? Basis: Total (n=2.000) Angaben in % © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

Kunst darf, Wissenschaft und Wirtschaft sollten mehr Phantasie haben Sinn und Anspruch an Phantasie in den kollektiv erlebten Bereichen Kunst und Kultur (in ihrer Einmaligkeit), Wissenschaft (mit ihrem Kernthema der Verifizierbarkeit) und Wirtschaft (mit dem impliziten Ansinnen an Innovation) werden recht unterschiedlich bewertet, obwohl es abermals den einen gemeinsamen Nenner gibt: Positive Wertungen überwiegen. Differenziert nach diesen Bereichen findet Phantasie aber vor allem in der Kunst und Kultur so gut wie vollständige Legitimation, während ihr in der Wissenschaft und Wirtschaft eine geringere Bedeutung beigemessen wird. Den ambivalentesten Stellenwert hat Phantasie in der Wirtschaft. Trotzdem, sagen die befragten ÖsterreicherInnen, würde es in Wissenschaft und Wirtschaft an Phantasie fehlen. Nur im Bereich Kunst wird das Ausmaß an Bedeutung einerseits und Praxis andererseits als stimmig wahrgenommen. Stellt man den wahrgenommenen Status Quo der Praktiken (ob in dem jeweiligen Bereich mit „eher viel“ oder „eher wenig“ Phantasie gearbeitet wird) und die attribuierte Bedeutung (ob Phantasie in den jeweiligen Bereichen „eher positiv“ oder „eher negativ“ wäre) gegenüber, sind Status Quo und Bedeutung nur im Bereich Kunst und Kultur stimmig. Neun von Zehn finden, dass Phantasie hier eine positive Bedeutung habe und ebenso, dass in diesem Bereich auch mit Phantasie gearbeitet werde (94 bzw. 96 %). Soll und Ist sind also gewissermaßen ident. In Wissenschaft und Wirtschaft finden die RespondentInnen zwar ebenfalls öfter, dass Phantasie eine positive als eine negative Bedeutung habe, aber in deutlich geringerem Ausmaß. 133


In der Wissenschaft überwiegt die angenommene positive Bedeutung die negative immerhin im Verhältnis 2:1 (65 % positiv, 33 % negativ). Was den wahrgenommenen Status Quo der Praktiken angeht, sehen alles in allem vor allem Männer umso mehr Phantasie in der Wissenschaft auch in Aktion, je gebildeter und je älter sie sind. Möglicherweise lässt sich das mit der größeren Affinität der Bildungsschicht zur Wissenschaft gemeinsam mit dem Umstand erklären, dass Wissenschaft traditionell und nach wie vor auch ein eher männlich dominierter Bereich ist, mit dem sich auch Männer häufiger identifizieren. Die Altersgruppe 50+ ist geteilter Meinung und meint je zur Hälfte, dass in der Wissenschaft mit „eher viel“ bzw. „eher wenig“ Phantasie gearbeitet werden würde. Aber unter den Teenagern traut nur noch weniger als ein Drittel der wissenschaftlichen Arbeit Phantasie zu, was die Frage aufwirft, ob das öffentliche Bild der Wissenschaft dem entspricht, das der Zukunft der Entwicklung in der Wissenschaft auch förderlich ist. Auch in der Wirtschaft sieht man die Bedeutung der Phantasie immer noch öfter positiv (in erster Linie Männer, ab 40-Jährige, die 68er-Generation und Hochschulgebildete) als negativ, aber schon deutlich ambivalenter als in den anderen Bereichen (56 % positiv, 42 % negativ). Männer meinen wie auch im Bereich Wissenschaft öfter als Frauen, dass Phantasie in der Wirtschaft de facto am Werk sei (21 % der Männer, nur 12 % der Frauen). Auch hier lässt sich vermuten, dass die Identifikation mit Wirtschaft nach wie vor bei Männern stärker ausgeprägt ist als bei Frauen.

Legitimiert oder suspekt? Phantasie vor allem in der Kunst wichtig, aber in Wissenschaft und Wirtschaft wäre sie trotzdem wichtiger als gegenwärtig üblich Status Quo

in der Kunst

96 44

in der Wissenschaft

in der Kunst in der Wissenschaft in der Wirtschaft

94

83

eher positiv

4 65 56

Frage 6: Wird Ihrer Meinung nach in den folgenden Bereichen eher mit viel oder eher mit wenig Phantasie gearbeitet? Frage 7: Finden Sie generell, dass Phantasie in den folgenden Bereichen eher positiv oder eher negativ ist? Basis: Total (n=2.000) Angaben in % © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

134

eher mit wenig

55 17

in der Wirtschaft

Bedeutung

eher mit viel

4

33 42

eher negativ


Banker und Ärzte: Hände weg von Phantasie. Das gilt auch für Priester, Verkäufer und Politiker Nun lässt sich argumentieren, dass Begriffe wie Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft ja recht global sind, auch wenn bereits auf dieser Analyse-Ebene deutliche Unterscheidungen festzustellen sind. Die Vorstellungen der Rolle von Phantasie in einer Reihe von konkreten Berufen differenzieren dann noch deutlicher: Die Mehrheit der ÖsterreicherInnen identifiziert klaglos Künstler und Phantasie als Einheit, in diesem Bereich ist die Phantasie unwidersprochen legitimiert. Aber auch Wissenschaftlern/Forschern und Lehrern wird sie abverlangt. Jeder Zweite hält Phantasie auch bei Journalisten und Unternehmern, aber nur noch jeder Dritte bei Politikern, Verkäufern und Priestern für notwendig. Phantasie bei Ärzten und Bankern findet kaum Freunde. Weitere Unterscheidungen in den Berufsimages in Sachen Phantasie finden sich nach Geschlecht, Alter, Bildung und Sozialschicht: Diese Subgruppen differieren vor allem bei Wissenschaftlern/Forschern – vor allem Männer, 50+-er und höhere Sozialschichten erwarten sich von diesen Berufsvertreten öfter Phantasie. Und eine Botschaft von Wählersegmenten: An Politiker stellen vermehrt Männer und die soziale A-Schicht Phantasie-Anspruch. Von Lehrern erwarten sich besonders Frauen, um sogar 21 Prozentpunkte öfter als Männer, und unter 30-Jährige mehr Phantasie. Es kann vermutet werden, dass Frauen und Jüngere häufiger und stärker im Schulbetrieb involviert sind. Bei Journalisten halten aber ebenfalls besonders oft Frauen und unter 30-Jährige Phantasie für angebracht, was vielleicht auf eine größere Akzeptanz von Unterhaltungs- versus Informationswerten bei journalistischen Ergüssen hindeutet. Unter 30-Jährige erwarten sich übrigens auch von Priestern überdurchschnittlich häufig Phantasie, obwohl ausgerechnet diese Berufsgruppe im sonstigen Meinungsbild der österreichischen Bevölkerung zu denen gehört, die besonders wenig Phantasie bräuchte. Kirchenvertreter könnten das durchaus als impliziten Tipp verstehen, dass die Jungen nicht gelangweilt werden wollen und den Anspruch stellen, dass man sich etwas einfallen lassen möge, um erfolgreich mit ihnen zu kommunizieren, wie suspekt auch immer einem der Infotainment-Ansatz sein mag. Bildungsabhängig zeigt sich generell eine deutliche Tendenz von höheren Phantasie-Erwartungen unter höher Gebildeten, vor allem bei Universitätsabsolventen. Dass vor allem Selbständige und Freiberuflicher überdurchschnittlich oft (73 % im Vergleich zu 46 % im Durchschnitt) bei Unternehmern Phantasie für nötig halten, überrascht nicht weiter, ist im Ausmaß des Unterschieds im Vergleich zum Durchschnitt, immerhin plus 27 Prozentpunkte, dennoch bemerkenswert.

135


Phantasie brauchen vor allem Künstler, aber nicht nur! Bedeutung nach Berufen Künstler

96

Wissenschaftler/ Forscher

58

Lehrer

58

Journalisten

49

Unternehmer

46

Politiker

34

Verkäufer

31

Priester

30

Ärzte Banker

13 7

Frage 8: In welchen der folgenden Berufe braucht man Ihrer Meinung nach „Phantasie“? Basis: Total (n=2.000) Angaben in % © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

Gut beim Sex, unproduktiv beim Putzen Und was bedeutet Phantasie im, auch privaten, Alltag? Wann wird sie als positiv, als hedonistischer Verstärker, vielleicht sogar als Bewältigungsmechanismus erlebt? Wo kann sie diese Kraft nicht entfalten und wird womöglich gar als Störfaktor empfunden? Ganz eindeutig: Beim Sex ist Phantasie etwas Positives, hier herrscht am meisten Konsens. Kochen und Kindererziehung punkten gleich dahinter. Phantasie beim Sport und beim Putzen weckt bei aller Phantasie keine Assoziationen. Hier sind Ziele und Spielregeln wohl am wenigsten verhandelbar, also wozu Phantasie entwickeln? Wie sich Phantasie in der sozialen Interaktion auswirkt, wird je nach Situation differenziert bewertet: Bei Konflikten sieht knapp die Hälfte (48 %) positive Folgen, ähnlich wie im Umgang mit Nahestehenden (45 %). Das berufliche Umfeld aber wird aber rational gesehen, denn im Umgang mit anderen im Beruf können nur noch 37 % bzw. im jeweiligen Beruf generell nur noch 30 % sehen, dass Phantasie sich positiv auswirken könnte. Beim Nichtstun hat Phantasie noch ein gewisses Potential, hier sehen noch 41 % positive Auswirkungen. In den Subgruppenanalysen kristallisieren sich Trends heraus, die zeigen, dass ein positiver Einfluss von Phantasie umso eher gesehen wird, je mehr die jeweiligen Aktivitäten der Selbstwahrnehmung oder dem Erleben der eigenen Person oder Lebensphase einerseits bzw. Normen für die eigene Person andererseits entsprechen. So verlaufen die attribuierten positiven Auswirkungen von Phantasie nach traditionellen geschlechtsspezifischen Domänen (normativ), wie auch nach altersbeding136


ten Entwicklungsstufen oder sozialen Schichten (individuelles Erleben) bzw. Anteilen der Komponenten, die soziale Schichten ausmachen4, das sind in diesem Zusammenhang vor allem Berufsmilieu und Bildung. Das positive Element Phantasie wird also überall dort verstärkt wahrgenommen, wo es sich mit der eigenen Person – sei es mit objektiven Merkmalen oder mit Identifikationen, Werten, Normen oder Stereotypen – besonders deckt. Besonders interessant sind Bewertungsverschiebungen nach Alter und Geschlecht, bei denen sich zeigt, dass Männer erst in späteren Jahren (im Beruf) oder auch über längere Zeiträume (beim Sex, während sich bei Frauen die Wichtigkeit der Phantasie mit den Jahren auf die Kindererziehung verschiebt) positive Auswirkungen entdecken. Frauen denken öfter – mit immerhin bis zu 15 Prozentpunkten Unterschied zu den Männern – bei traditionellen „weiblichen Aktivitäten“ wie Kochen, Putzen, Kindererziehung, im Umgang mit Nahestehenden, aber auch beim Nichtstun an positive Phantasie-Effekte. Männer hingegen sehen positive Auswirkungen von Phantasie öfter im Beruf per se, im Umgang mit anderen im Beruf und beim Sport, also den traditionell „männlichen Domänen“. Allerdings ist bei Beruf und Sport die Geschlechterdifferenz geringer als bei den traditionellen „weiblichen“ Aktivitäten. Es haben also Frauen schon mehr Potential für den positiven Einsatz von Phantasie in „männlichen Domänen“ entdeckt als Männer in den „weiblichen“. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass Frauen sich auch in der gelebten Praxis bereits mehr in Beruf und Sport etabliert haben als Männer beim Kochen, Putzen und Kinder erziehen. Recht interessant sind auch Resultate, die geschlechtsspezifische Unterschiede in bestimmten Entwicklungsstufen zeigen, die ein bei Männern und Frauen unterschiedliches und zeitverschobenes Erleben einzelner Lebensphasen nahelegen: Bei männlichen Befragten häufen sich die Annahmen positiver Auswirkungen von Phantasie im Beruf erst in späteren Jahren als bei Frauen (bei Männern zwischen 20 und 29 Jahren, bei Frauen schon im Teenager-Alter). Phantasie ist besonders für männliche Teenager eine deutlich seltener relevante Kategorie im Umgang mit Konflikten (30 % im Vergleich zu 37 % bei den weiblichen Teenies, zu 48 % im Durchschnitt aller Befragten und zu 53 % der Altersgruppe ab 60). Die Wahrnehmung von Phantasie als Qualität beim Sex boomt bei Frauen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren (für 85 %), bei Männern über einen längeren Zeitabschnitt hinweg (zwischen 20 und 59 Jahren, mit einem Spitzenwert von 88 % im Alter zwischen 30 und 39, während bei Frauen zwischen 30 und 39 die Phantasie bei der Kindererziehung boomt). So gesehen müssten eigentlich kinderlose Paare zwischen 30 und 39 das Potential für das aufregendste Sexleben haben, wenn sich die 4 Der Indikator „soziale Schichten“ (A bis E) wird aus den Werten von Berufsmilieu, Bildung und Einkommen errechnet.

137


männlichen und weiblichen „Blütezeiten“ ohne Ablenkung durch Kinder überlappen. Ob das tatsächlich der Fall ist, sprengt natürlich die Aussagekraft dieser Studie. Nach Altersgruppen betrachtet profitieren die mittleren Jahre am meisten von der Phantasie beim Sex, Teenies fehlt es am meisten an Phantasie bei Konflikten, und die Ältesten setzen besonders auf Phantasie im Umgang mit den „significant others“. Konkret werden „Bonuspunkte“ für Phantasie beim Sex am wenigsten von weiblichen und männlichen Teenagern und der ältesten Befragtengruppe (gleichermaßen Frauen und Männer ab 60) wahrgenommen. Polemisch formuliert könnte man sagen, die einen können oder wollen noch nicht, die anderen nicht mehr. Vor allem Teenies entdecken positive Auswirkungen von Phantasie beim Putzen, Nichtstun und Sport, aber dafür kaum welche bei Konflikten. Die Ältesten denken am öftesten, dass Phantasie im Umgang mit Nahestehenden Potenzial hat (53 %, im Vergleich zu 45 % im Durchschnitt), aber sehen, nicht weiter überraschend, besonders wenig davon im Beruf, aus dem sie ab 60, jedenfalls in Österreich, meist schon ausgeschieden sind. Nach sozialer Schicht (bzw. deren Komponenten Berufsmilieu und Bildung) fällt auf, dass sich eine regelrechte Schere in den wahrgenommenen positiven Auswirkungen von Phantasie im Beruf auftut (40 % der A-Schicht vs. nur 26 % der E-Schicht glauben an den Sinn der Phantasie im Beruf; 64 % bei Selbständigen/Freiberuflern und 47 % bei leitenden Angestellten/Beamten vs. nur mehr 25 % bei ungelernten Arbeitern; 56 % bei Hochschulabsolventen vs. gerade einmal 24 % bei Respondenten mit Pflichtschulabschlüssen). Wie es scheint, ist es ein Privileg, wenn im Beruf Phantasie ihren Platz findet. Sie wird also wohl nicht durch Zufall auch in der Wirtschaft vermisst, wo sie zwar in der Meinung der ÖsterreicherInnen nur beschränkt Platz habe, aber innerhalb dieses Rahmens immer noch zu wenig merkbar sei. In der Kindererziehung wird der Phantasie in den untersten Sozialschichten D und E der niedrigste Wert beigemessen, während sich die höheren Schichten liberaler positionieren. Je höher die Schicht, umso mehr wird Phantasie auch beim Nichtstun geschätzt. Es zeigt sich auch insgesamt, dass höhere Bildung und Berufsstatus mit einer höheren Legitimation von Phantasie einhergeht.

138


Bewältigungsmechanismus oder Störfaktor? Phantasie besonders positiv bei Sex, Kochen und Kindererziehung. Beim Putzen hilft auch Phantasie wenig Bedeutung/Erleben nach Aktivitäten beim Sex

75

beim Kochen

71

in der Kindererziehung

71

bei Konflikten

48

im Umgang mit Nahestehenden

45

beim Nichtstun

41

im Umgang mit anderen im Beruf

37

in meinem Beruf

30

beim Sport

24

beim Putzen keine Angabe

17 1

Frage 9: Auf welche der folgenden Aktivitäten wirkt sich „Phantasie“ Ihrer Meinung nach eher positiv aus? Phantasie wirkt sich positiv aus … Basis: Total (n=2.000) Angaben in % © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

Wann die Phantasie blüht … und welkt Es hat sich also herausgestellt, dass das Verständnis von Phantasie überwiegend positiv ist, ihre Wertung aber nach Kontexten und Bevölkerungssegmenten sehr differiert. Umso relevanter wird die Frage, was sie hemmt oder fördert, welche ganz praktischen Implikationen diese Erkenntnisse für Kunst und Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft und Individuen haben können, welche Mechanismen sind am Werk? Kurz gesagt, es gibt vieles, das die Phantasie beflügelt und drei Dinge, die sie mehr als alles andere gravierend hemmen – nämlich Leistungsdruck (so empfinden das 82 %), Müdigkeit/Erschöpfung, Traurigkeit (80 %) und Existenzbedrohung (80 %). Die beste Garantie für eine Phantasieblockade wäre da wohl Burnout, das zunehmend auch als volkswirtschaftlicher Faktor diskutiert wird. Allerdings lässt wenig darauf schließen, dass Phantasieblockaden erstrebenswert wären, weder in der Wirtschaft, noch in der Wissenschaft und schon gar nicht in Kunst und Kultur. Demotivatoren außer diesen „Big 3“ sind fast zu vernachlässigende Größen. Nur noch 26 % meinen, dass das Alleinsein die Phantasie hemmt, 18 % sehen Filme, also den passiven Konsum anderer Leute Phantasie, als Bremse, und 11 % interessanterweise auch Nachdenken, was auf eine klare kognitive Trennung von Verstand und Emotion hinweist. Noch weniger Befragte, nur noch zwischen 2 und 9 Prozent, halten andere Faktoren für Phantasie-Hemmer. Die Vielfalt dessen, was Phantasie fördert, ist hingegen groß. Es sind vor allem positiver oder ungebremster Affekt (gute Laune, Fröhlichkeit, 139


Glücksgefühle bzw. seinen Gefühlen freien Lauf lassen – für 74 bzw. 68 %) und Aktivitäten (Lesen, Nachdenken, Musik hören, spielen, spielerisch etwas machen – für 62 bis 67 %), die laut dem Meinungsbild der österreichischen Bevölkerung die Phantasie anregen würden. Kognitive Psychologie und Psychotherapie finden hier Bestätigung in ihren Postulaten, dass positive Interpretationen zu positiven Gefühlen führen und Aktivität statt Passivität Müdigkeit/Erschöpfung, Traurigkeit (Depressionen), einem der „Big 3“ Phantasie-Killer, entgegenwirken würden. Spinnt man den Gedanken weiter, ließe sich wohl spekulieren, dass die so positiv besetzte Phantasie ein rezeptfreies Antidepressivum und ein Wegweiser aus den Negativspiralen und zu mehr Lebensqualität sein kann. Betrachtet man einzelne Bevölkerungssegmente etwas genauer, fallen noch einige Muster auf: Fast alles fördert die Phantasie von Frauen öfter als die von Männern, was auch Hypothesen basierend auch „feeling rules“ für Frauen und Männer nahelegen würden. Die meisten Emotionen, außer Zorn, sind normativ für Frauen legitimierter als für Männer. Nur Nachdenken und übrigens auch Leistungsdruck halten Männer öfter als Frauen für Förderer von Phantasie. Auch hier zeigt sich ein Bild, das geschlechtsspezifische traditionelle Normen widerspiegelt. Phantasie als solches scheint für Männer eher legitimierbar zu sein, wenn es mit Ratio und Leistung in Verbindung steht. Es ändert sich auch im Lauf der Jahre, wie Phantasie erlebt wird. Verschiedene Altersgruppen sprechen auf verschiedene Phantasie-Booster eher an: Teenies fallen dadurch auf, dass sie überdurchschnittlich oft (52 % im Vergleich zu 36 % im Durchschnitt) das Alleinsein als phantasiefördernd erleben. Die seltenen Fälle, wo ausgerechnet einer der drei hauptsächlichen Phantasie-Killer, nämlich Müdigkeit/Erschöpfung und Traurigkeit, als Phantasie-Booster erlebt wird, ist umso wahrscheinlicher, je jünger die RespondentInnen sind. Der Weltschmerz hat also wohl eine entwicklungspsychologische Berechenbarkeit.

140


Vielfältige Inspiration, klare „Big 3“ als Hemmschuh Motivatoren vs. Demotivatoren AKTIVITÄTEN Lesen Nachdenken Musik hören Spielen, spielerisch etwas machen Filme ansehen EMOTIONEN gute Laune, Fröhlichkeit, Glücksgefühle seinen Gefühlen freien Lauf lassen der Wunsch, etwas für sich erreichen zu wollen der Wunsch, etwas für andere erreichen zu wollen Müdigkeit/Erschöpfung, Traurigkeit

67 66 63 62

74

68

SOZIALE SETTINGS Freizeit/Urlaub Gespräche/Austausch mit anderen Menschen alleine sein Existenzbedrohung Leistungsdruck

59

59 56

3 2 2

37

2 4 6

41

7

36

3 5 12

11

18

9

80

26

6

Motivatoren

74

82

Demotivatoren

Frage 10: Welche der folgenden Dinge fördern Ihrer Meinung nach Phantasie? Frage 11: Und welche der folgenden Dinge hemmen Phantasie? Basis: Total (n=2.000) Angaben in % © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

Der geschärfte Blick der Tagungsteilnehmer. Eine Exploration Die Ergebnisse dieser Repräsentativbefragung der österreichischen Bevölkerung wurden auch rein qualitativen Elementen – der Exploration des Meinungsbildes der Tagungsteilnehmer, einem spielerischem „Publikumsvoting“ vor Ort zu einigen der in der Studie gestellten Fragen – gegenübergestellt und in die Präsentation der Studie eingebunden5. Nach wissenschaftlichen methodischen Kriterien sind die Ergebnisse der Befragung der Tagungsteilnehmer zwar nicht als Vergleichsdaten zulässig, einige interessante grobe Trends zeigten sich aber dennoch. Auch für das laut unserer Hypothese besonders informierte, gebildete, intellektuelle Tagungspublikum fühlt sich Phantasie recht ähnlich, nämlich vor allem als etwas Erstrebenswertes und Dynamisches an. Auch das Tagungspublikum denkt häufig, dass Phantasie von „der Gesellschaft“ nicht ganz so positiv, sondern häufig ambivalent, als etwas sowohl Positives als auch Negatives gewertet wird. Auch die Vielfalt an Motivatoren zeigte sich für die Tagungsteilnehmer, sowie sich auch als dieselben „Big 3“ Müdigkeit/Erschöpfung, Traurigkeit und Existenzbedrohung herausstellten. Aber dennoch dachte das Tagungspublikum im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt seltener, dass Nachdenken, der Wunsch, etwas für 5 Für die Unterstützung dieser zusätzlichen „fliegenden Forschung“ vor Ort, für die Vorbereitung sowie Auswertung und Aufbereitung der Antworten des Tagungspublikums aus der Entfernung und über Nacht, gilt den Kolleginnen der GfK Austria Sozial und Organisationsforschung Studienleiterin Michaela Löffler und Tamara Mathä ganz besonderer Dank!

141


sich erreichen zu wollen, oder Freizeit die Phantasie motivieren, aber öfter, dass Existenzbedrohung es sehr wohl tue. Auch war für das Tagungspublikum Phantasie in der Wissenschaft und in der Wirtschaft um einiges deutlicher erkennbar als für die durchschnittlichen ÖsterreicherInnen. Bedeutung

Individuen

Wie denkt das Tagungspublikum!?*

vs. Gesellschaft

sehr positiv

eher positiv

sowohl als auch

eher negativ

sehr negativ

Frage 5: Wie denken Sie, wird Phantasie in unserer Gesellschaft gesehen? Basis: Total (n=2.000) * Kein Teil der Repräsentativstudie. Explorative Exkursion mit dem Tagungspublikum. Angaben in % © GfK Austria | Sozial- und Organisationsforschung 2012 | GfK Online 2000er – Phantasie

Zusammenfassend Phantasie ist eindeutig positiv besetzt, sowohl emotional, als auch in den Begrifflichkeiten und den damit verbundenen Assoziationen. Insofern lässt sich Phantasie geradezu als Brückenschlag über vieles, das in Polarität oder trennend erlebt wird – wie Kunst/Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, verschiedene Berufe oder Aktivitäten – erfassen. Differenzierungen sind dennoch mehr als deutlich. Die begehrte Phantasie hat idealerweise zwar fast überall ihren Platz, aber in unterschiedlichem Ausmaß für verschiedene Bevölkerungssegmente, und sie wird auch in unterschiedlichem Ausmaß als überhaupt vorhanden wahrgenommen. Wenige, dann allerdings einschneidende Faktoren hemmen sie. Die Bandbreite der Optionen, die sie fördern können, ist aber vielfältig. Es ist also tatsächlich mehr als legitim zu behaupten: „Phantasie ist nicht Ausflucht. Denn sich etwas vorstellen, heißt eine Welt bauen, eine Welt erschaffen.“ (Eugène Ionesco) 142


Kapitel 8 Die Abschlussdiskussion Es kommen zur Sprache: die Phantasie als wolkiger und schillernder Begriff, die Phantasie als präzise Vorstellungskraft, die ungleiche Zuordnung von Kreati­vität an Kunst und Wissenschaften, die nötige Disziplinierung der Phantasie, die Phantasie der Erotik und deren Darstellung in der bildenden Kunst, die Austreibung der kindlichen Phantasie in den Schulen, das Lernen an den Universitäten, ein erfolgreicher Schulversuch in Brasilien, der Homo ludens, das vernetzte Hirn, Erwin Schrödingers Interdisziplinarität, Hitchcocks fiktionale Phantasie, das Handy als phantastische Kommunikationsmaschine, und schließlich Antworten zur Frage: Was beflügelt Ihre Phantasie?

Moderation Erhard Busek: Meine Damen und Herren, die Abschlussdiskussion mit den Podiums­ teilnehmern und danach auch mit den Teilnehmern im Saal ist eine nun schon traditionelle Übung, dieses Follow-up überlässt die Summary der Tagung nicht den weisen Worten eines Vorsitzenden, sondern fordert alle Mitwirkenden zu einer kleinen Analyse auf: Welcher Aspekt wurde getroffen, welches Thema verfehlt, was kam kaum zur Sprache, welche Anregungen gibt es? Der Reihe nach, der „Chefkünstler“ auf dem Podium möge bitte beginnen: Maximilian Fliessbach gen. Marsilius: Die große Offenheit auf diesem Symposion, die Themenausleuchtung mit all den unterschiedlichen Ansätzen fand ich irrsinnig spannend. Teilweise waren es wissenschaftliche Herangehensweisen, teilweise war’s natürlich Selbstdarstellung, aber auch die ist in Ordnung – und dieses sehr Bunte und Offene hat dem Thema Phantasie ja auch genau entsprochen. Die über drei Tage gehenden Begegnungen mit so unterschiedlichen fachlichen Richtungen – Künstler treffen sich zwar nicht immer mit Künstlern, aber meistens bleibt man doch in diesen Kreisen –, dass man sich also auch mal mit einem Wissenschaftler über „Phantasie“ unterhalten konnte, wirkte auf mich sehr instruktiv, und so bekam ich auch noch Zündstoff für eigene Ideen. Erhard Busek: Und welchen Succus saugt der Vampirologe aus der Tagung? 143


Rainer M. Köppl: Dass das Etikett „Vampirologe“ so erfolgreich ist! Wenn ich in Diskussionen sage, dass ich mich für Kafka interessiere und den Roman „Das Schloss“ untersuche, dann fragt niemand neugierig: „Glauben Sie wirklich, dass es das Schloss irgendwo gibt?“ Wenn ich aber „Vampire“ als Stichwort gebe, dann sagen alle: „Was? Sie glauben wirklich an Vampire!? Na, Sie müssen verrückt sein!“ Mein Zugang zum Tagungsthema ist: Phantasie ist eine Droge. Das ist gut – und gefährlich: Ich kann mich zu Tode fürchten, ich kann mich in Phantasien verrennen, ich kann in Angstphobien ersticken, oder die Phantasie kann auch befreiend sein. Es ist immer die die Frage, wie man sie einsetzt. Wir können über die Phantasie und über das Böse ewig lang diskutieren, wir werden beides glücklicherweise nicht los – das wäre auch furchtbar. Slavoj Žižek sagte einmal über den Hitchcock-Film „Die Vögel“: Stellen Sie sich den Film einmal ohne die Vögel vor, was bleibt da übrig? Stellen Sie sich einmal das Leben ohne Phantasie vor und ohne Böses – da bleibt nichts über. Gut, dass es beides gibt. Rudolf Burger: Ich habe die Tagung genossen, soweit ich dabei sein konnte, weil es offensichtlich – aber vielleicht ist es ja doch geschehen, als ich nicht im Saal war –, nicht gelungen ist, diesen wolkigen, schillernden Begriff „Phantasie“ einigermaßen terminologisch zu fassen. Und das finde ich gut so. Ich finde auch gut, dass diese Begriffe durch unser aller Zerreden ineinanderfließen und die Zuordnung zu ganz bestimmten Berufsgruppen und Tätigkeitsfeldern irgendwie aufgelöst wurde. Wenn ich darf, erzähle ich kurz eine kleine Anekdote, die beleuchten wird, warum ich bei diesem Begriff und der Beschwörung der Phantasie und der Kreativität immer ziemlich unruhig werde und auch missgelaunt. Ein Redakteur vom „Stern“ hat mir einmal erklärt: „Die Kreativen machen bei uns das Layout“. Die Kreativität und die Phantasie werden also allgemein den Künstlern zugerechnet – aber nicht etwa den Wissenschaftlern. Ich erinnere mich, wie ein lieber alter Freund, leider schon verstorben, Professor Leopold Schmetterer, ein sehr berühmter Mathematiker und Statistiker, einmal ganz aufgeregt zu mir ins Büro kam und sagte: „Stellen Sie sich vor, der Große Fermat ist gelöst!“ Der Große Fermatsche Satz, die im siebzehnten Jahrhundert formulierte Vermutung, dass die Gleichung an + bn = cn keine ganzzahligen Lösungen hat, bei n grösser gleich zwei. Das ist eine Vermutung gewesen. Fermat, der früh gestorben ist, konnte das nicht mehr beweisen, sagte aber, er habe einen Beweis im Kopf. Aber er konnte ihn eben nicht mehr niederschreiben. Über Jahrhunderte haben Mathematiker dann darüber nachgedacht, ob Fermats Vermutung stimmt, und wenn sie stimmt, ob man sie beweisen kann. Und das ist vor einigen Jahren, 1995, gelungen. Stellen Sie sich vor, welche Phantasie, welche präzise Phantasie, auch welches Zusammenspiel an Zwängen und an Phantasie notwendig ist, um das zu lösen. 144


Und dann kommt einer daher, macht ein neues Layout und sagt, er sei der Kreative. (Lachen im Saal.) Dass also diese Zuordnung bei den Vorträgen und Diskussionen aufgelöst wurde, das finde ich wirklich ein großes Verdienst der Tagung. Aber was Phantasie ist, das weiß ich noch immer nicht. Erhard Busek: Vielleicht ist das auch die Herausforderung der Phantasie an die Phantasie, dass wir uns immer wieder neu überlegen, was sie denn eigentlich bedeutet. Die Endlosigkeit und die damit verbundene Mehrdeutigkeit des Begriffs wäre dann gar nicht so schlecht – das kann man ja auch mal eindeutig sagen. Den Damen ist in der Umfragestatistik der vorhin präsentierten GfK-Studie zur Phantasie interessanterweise das quasi bessere Verhältnis zur Phantasie nachgesagt worden. Frau Kofler, habe ich Recht? Stimme aus dem Auditorium: Was sich auch bei Konflikten durchaus positiv auswirkt. Angelika Kofler: Beim Thema Konflikt ist Phantasie grundsätzlich zwar etwas Positives, aber genau da gibt es eben keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Das ist insofern interessant, als ja Frauen nach wie vor eher legitimiert sind, diese sanften Begriffe wie Gefühle auszudrücken als Männer. In dem einen Fall ist das aber nicht so. Erhard Busek: Frau Professor Schroeder, was sagen Sie zur Phantasie in den Wissenschaften und deren Organisationsbereichen? Renée Schroeder: In der Wissenschaftsorganisation braucht man viel Phantasie, nämlich zur Problemlösung. Und zwar täglich, weil es immer irgendwo brennt und dann braucht man schon ein bisschen Kreativität. Für die Wissenschaft selbst ist es gut, wenn man unter Phantasie eher Vorstellungskraft versteht als ein grenzenloses Träumen, wenn man also Wahrnehmungskraft und Auffassungsgabe hat. Phantasie als ein Träumen passt für die Wissenschaft nicht. Wenn Phantasie aber bedeutet, mit der Vorstellungskraft viele Ereignisse in einen Kontext bringen zu können und daraus eine Theorie zu entwickeln, dann ist das genau die Phantasie, die man für die Wissenschaft braucht. Erhard Busek: Ich habe eine vielleicht blöde Frage … Renée Schroeder: Es gibt keine blöden Fragen. 145


Erhard Busek: Einverstanden! Überfällt es Sie, die Sie im Bereich der exakten Wissenschaften zu Hause sind, nicht doch ab und zu, sich zu wünschen, einmal nicht nur präzise sein zu müssen? Renée Schroeder: Naja, ich möchte eigentlich schon immer das Präzise finden. Das Problem, an dem ich momentan herumnörgle, ist: Das humane Genom besteht bis zu neunzig Prozent aus repetitiven Sequenzen, wo viele sagen, das sei nichts weiter als „Müll“. Ich wühle momentan in diesem Müll und ich möchte herausfinden, ob er eine Funktion hat und welche. Aber die Methoden, die wir bisher verwendet haben, sind nur für die kanonischen Gene entwickelt worden, das heißt, ich muss mir etwas anderes überlegen. Und darauf konzentrieren sich jetzt schon alle Gedanken, denn ich möchte eine präzise Antwort finden. Sonja Hammerschmid: Und genau in diesem Überlegen steckt doch schon die Phantasie! Das dann herunterzubrechen durch systematische Analyse ist der zweite Schritt. Aber der erste ist: Wie gehe ich es an? Und das braucht meines Erachtens Phantasie. Rainer M. Köppl: Was mir jetzt überhaupt nicht gefällt, ist diese Trennung: dass nämlich die Künstler Phantasie haben und Wissenschaftler nicht, wobei man meistens Naturwissenschaftler meint. Als Diskursivwissenschaftler, als Medienwissenschaftler, der dazwischen steht, kann ich nur sagen: ER hat die Rahmen und die Bilder gemacht! Wir nicht. Das kommt mir so vor wie diese übliche Trennung von Theorie und Praxis, wo man immer das Gefühl hat, der Theoretiker mit seinen zwei linken Händen kann gar nichts machen. Dazu sage ich: Der Theoretiker hat auch eine Praxis, er schreibt seine Theorien und Anschauungen nieder. Die Trennung von Phantasie, Wissenschaft und Kunst halte ich für ganz, ganz schlecht. Sie ist vielleicht ein Zentralproblem im deutschsprachigen Raum. Man denke an Umberto Eco, der ein Super-Wissenschaftler und Belletrist ist. Versuchen Sie bei uns als Wissenschaftler einmal, einen Roman zu schreiben! Dann sagt man gleich: Irgendeins davon muss einfach schlecht sein. Aber von Leonardo da Vinci ist die Haushaltsmaschine gut, die Kunst gut, die Theorie gut und alles gut. Ich bin nicht der Meinung, dass das nicht in einem Körper vereinigt sein kann. Erst wenn alles in einer Person zugelassen wird, kann das Befreiungspotential, das in der Phantasie steckt, auch wirksam werden. Renée Schroeder: Ich bin ein bisschen vorsichtig, da stehen jetzt Behauptungen im Raum – man muss sich auch Grenzen geben für Aussagen in der Wissenschaft. 146


Man kann nicht einfach das, was man jetzt gern hätte, behaupten und zu seiner Theorie machen. Da halte ich mich lieber an Wittgenstein, man soll nur etwas über Tatsachen sagen, wovon es nicht so viele gibt, und an die muss man sich halten. Rudolf Burger: Ich weiß nicht, ob ich Frau Schroeder richtig verstehe, aber soweit ich sie verstehe, stimme ich ihr sehr zu. Ich glaube, dass gerade in den exakten Naturwissenschaften, oder in denen, die kumulatives, empirisches, theoretisch verarbeitetes Wissen hervorbringen, auch historisch gesehen die Phantasie immer eine Rolle spielt, aber dass im Gegensatz zu dem, was man den Wissenschaften oft zuschreibt, der Prozess genau umgekehrt war. An Phantasie – sich etwa ausdenken, wie Naturphänomene funktionieren könnten – herrschte eigentlich nie wirklich ein Mangel. Das Problem war eher, diese Phantasie zu disziplinieren. Das Wort „Disziplin“ stammt ja sogar daher, das darf man nicht vergessen. Bei aller Sympathie für Interdisziplinarität, sie setzt doch Disziplinarität voraus. Sonst löst sich das in eine Sauce auf. Weil ich gestern auch ein bisschen, zumindest implizit, auf das Denken der Romantik angespielt habe: Es gab eine romantische Physik, die sich mit Naturphilosophie, Novalis zum Beispiel, beschäftigt hat – aber die hat mit der Physik oder mit den Naturwissenschaften schon seinerzeit auch schon gar nichts zu tun. An Phantasie gibt es eigentlich in den Wissenschaften kaum einen Mangel, das wuchert, würde ich meinen. Ich würde die Phantasie, die mir sympathisch ist, eher anderswo lokalisieren. Deswegen hat mich sehr dieses empirische Ergebnis der Studie interessiert, es ist kaum aufgetaucht, nur in zwei Grafiken: die Erotik oder die Sexualität betreffend. Ich hätte schon gehofft, dass dieses Thema ein bisschen öfter angesprochen wird. Und die Zuordnung, dass Männer eher erotische Phantasie haben, widerspricht ja … Ein kluger Mann hat einmal gesagt: Hätten die Frauen die sexuelle Phantasie der Männer, die Menschheit wäre schon lange verschwunden, in Wonne vergehend. Also dort wäre mir die Phantasie doch eher am Platz als in der Molekularbiologie. Renée Schroeder: Was soll man jetzt sagen? Was war jetzt eigentlich der Punkt? Na, sicher ist die Phantasie in der Erotik wichtig, denn sie ist ja schon einmal der Start jeder sexuellen Erregung, und die ist zuerst einmal im Kopf, in der Vorstellungskraft und erst dann – wird sie physiologisch. Rudolf Burger: Sie müssen nicht ins Detail gehen. Renée Schroeder: Nein, aber ich finde das ja interessant, denn diese so starke Vorstellungskraft in der Erotik ist wahrscheinlich der Grund, warum es viele Tabus 147


gibt und warum viele Dinge abgedeckt werden müssen, weil der Blick sofort etwas auslöst – durch die Vorstellungskraft. In der Erotik ist die Phantasie also der natürliche Auslöser. Wenn man die Sexualität rein physiologisch und mechanisch, also ohne Phantasie, starten kann, ist das, glaube ich, nicht so spannend. Erhard Busek: Der Blick geht also von der Wahrnehmung aus hin zur Phantasie? Renée Schroeder: Ja, da spielt sich etwas auf – und dazu ist ja auch interessant, dass sich Frauen in der Phantasie meistens den Partner-Mann vorstellen, Männer hingegen irgendwelche Frauenbilder. Und man könnte noch überlegen, welche erotischen Darstellungen in ihren Phantasien vorkommen. Erhard Busek: Also, das wäre eine interessante Thematik für eine nächste Tagung „Kultur und Wirtschaft, das Ökonomische daran“. (Lachen im Saal.) Renée Schroeder: Aber noch kurz dazu: Im Pariser Musee d’Orsay sah ich tolle erotische Darstellungen von Frauen, aus dem Blick des Mannes. Aber fast überhaupt nicht gibt es in der bildenden Kunst die erotische Darstellung des Mannes mit dem Blick der Frau. Nur eine französische Künstlerin, die Filmregisseurin Claire Denis, die das jetzt mit der Kamera versucht. Die in Wien gezeigte Ausstellung „Die nackten Männer“ finde ich überhaupt ganz unerotisch. Man kann sich also schon fragen: Haben die Frauen nicht die Phantasie, oder ist sie so anders, dass sie gar nicht das Bedürfnis haben, das körperlich darzustellen? Männliche Stimme aus dem Auditorium: Frau Professor, Sie sollten noch einen zweiten Lehrstuhl belegen. Renée Schroeder: Und zwar welchen? Nun, es bleibt die interessante Frage: Warum stellen Frauen den Mann in der Kunst nicht erotisch dar? Vielleicht ist die erotische Vorstellung der Frau nicht visuell? Ich weiß es nicht. Maximilian Fliessbach gen. Marsilius: Aber die Frau kommt in der Kunstgeschichte überhaupt kaum vor als Malerin und Bildhauerin. Erhard Busek: Umgekehrt sind auf Aktmalereien meistens Frauen zu sehen.

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Eine weibliche Stimme: Der Mann hat Angst, der stellt sich nicht dorthin. Sonja Hammerschmid: Ich glaube, das hat viel mit unserer Gesellschaft und Rollenbildern zu tun. Da brauche ich jetzt nur die Klischees zu strapazieren. Die Darstellung der Erotik aus dem Blick des Mannes ist komplett selbstverständlich, aber vom weiblichen Blickpunkt aus war es immer ein Tabu, wurde es immer irgendwie gleichgesetzt mit schlecht. Wir haben das eben noch nicht gelernt. Renée Schroeder: Diese Phantasie hat sich in den Köpfen der Frauen noch nicht entwickelt. Sonja Hammerschmid: Die Phantasie vielleicht schon, aber nicht, sie zum Ausdruck zu bringen und zu visualisieren. Das wäre der nächste Schritt. Erhard Busek: Ja, aber das ist gesellschaftlich etikettiert als das Böse. Maximilian Fliessbach gen. Marsilius: Das ist die Leibfeindlichkeit der katholischen Kirche, dürfen wir das hier sagen? Renée Schroeder: Alle Religionen wollen das Sexuelle nicht. Erhard Busek: Im Hinduismus allerdings ist das etwas anders. Aber ich möchte jetzt einen Themenwechsel vorschlagen. (Lachen auf dem Podium.) Ja, es hat eine Faszination, das steht außer Frage. Gottseidank! Aber was hat beim Tagungsthema Phantasie noch gefehlt? Sonja Hammerschmid: Ich bin erst heute dazugestoßen, finde es allerdings extrem faszinierend, diesem breiten Bogen zu lauschen. Ich würde Vieles gerne vertieft wissen wollen, wir haben viele Dinge angerissen, zumindest im wissenschaftlichen Eck. Dieses Ineinanderfließen der Phantasie in Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft würde ich als den Beginn einer Serie sehen wollen. Erhard Busek: Ich möchte jetzt gern ins Auditorium gehen und um Kritik und Widerspiegelung bitten.

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Frau aus dem Auditorium: Eine Überlegung, nachdem wir Hochrangiges über Kreativität in Kultur und Wirtschaft gehört haben: Phantasie betrifft eigentlich unser ganzes menschliches Leben. Nicht nur in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft, sondern jeder Einzelne braucht für seine Lebensgestaltung jeden Tag viel Phantasie. Das ist jedenfalls wünschenswert, um das komplizierte Leben positiv zu gestalten. Mann in der ersten Reihe: Das bedeutendste wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Problem des achtzehnten Jahrhunderts, das Problem der Längengrade, hat ein völlig ungebildeter Mensch gelöst – ein Problem, womit sich zuvor die Größten der Großen, Newton und andere, geplagt haben, aber nur unzureichende Lösungen fanden. Und das war nur einem Zufall zu verdanken, weil die englische Admiralität einen Preis ausgeschrieben hat, so dass jemand, der nicht zur Elite gehörte, eine Lösung vorbringen konnte. Das war ein äußerst seltener Fall, dass sozusagen das Volk, einer aus dem Volk so eine Möglichkeit bekam. Wenn wir heute von Phantasie und Kreativität sprechen, denken wir natürlich an Kreative, die gebildet sind, und an Junge – weil die Alten sind meistens nicht kreativ –, die auf Kunstakademien und Universitäten waren. Aber das Hauptproblem ist doch: Wie schaffen wir es, diese Kreativität, die ja überall vorhanden ist, tatsächlich zu mobilisieren? Wie nutzt man sie? Und wie hört man auf, dass Kreativität und Phantasie nur einer bestimmten Elite zugeschrieben wird, und der Rest mit dieser Phantasie nur beglückt wird? Erhard Busek: Wie könnte man das schaffen? Renée Schroeder: Entscheidend ist vielleicht schon die Schulzeit – dass man den Kindern die Phantasie nicht abgewöhnt. Mein jüngerer Sohn hat in der Volksschule tolle Aufsätze geschrieben und kaum war er in der Mittelschule, bekam er einen genauen Rahmen und damit ist ihm die Lust vergangen. Dann hat er eigentlich überhaupt nie mehr tolle Aufsätze geschrieben. Ich glaube, man muss das auch trainieren: diese Umsetzung der Kreativität. Erhard Busek: Dieser Punkt muss festgehalten werden: die Lust auf Phantasie. Das ist ja generell das Problem, denn eigentlich wird ja Phantasie in der Gesellschaft mehrheitlich bestraft. Maximilian Fliessbach gen. Marsilius: Ich glaube, der Mensch ist ein Homo ludens, und der spielerische Akt ist entscheidend. Wenn man von Kindern ausgeht, die haben überhaupt 150


kein Problem mit Phantasie, überhaupt keines. Kinder nehmen einen Klotz und der ist dann ein Flieger, ein Baum oder ein Haus – vollkommen egal. Sie brauchen also nicht die Realität, sondern entscheidend ist dieses spielerische Element – und das ist unbegrenzt. Und das kann man natürlich fördern. Erhard Busek: Ich würde sagen, fördern ist der zweite Schritt. Zuerst ist wichtig, es zu ermöglichen, eben keine Grenzen zu setzen. Ich glaube, was Sie mit Recht die Schule betreffend sagen, ist, dass die Phantasie eigentlich von Haus aus etwas Verbotenes ist. Sonja Hammerschmid: Die Phantasie wird in den Schulen einfach in Bahnen gelenkt und geht dann sukzessive verloren, weil auch die Methodiken nicht dementsprechend sind. Aber nochmal zur Frage, was ein Impuls wäre: Ich glaube schon, dass in der Wirtschaft, im unternehmerischen Bereich wirklich nachgedacht werden muss über Arbeitswelten und das Regulieren von Arbeitswelten. Gerade bei Unternehmungen, wo es nicht um Massenund Sachgüterproduktion, sondern um Kopfarbeit geht, müssen wir neue Arbeitswelten definieren. Vor dieser Herausforderung stehen wir, es geht nicht von acht bis fünf. Und da muss man neue Systeme, Logiken und Freiräume schaffen – das ist die Herausforderung. Rainer M. Köppl: Spannend, wie die Diskussion sich plötzlich dreht. Haben wir nicht vor sieben Minuten noch einem Argument zugestimmt, das geheißen hat: Zuerst brauchen wir Disziplin, bevor wir interdisziplinär werden können – und jetzt, sieben Minuten später kommen wir drauf, dass die wirkliche Entwicklung ganz anders verläuft? Kinder, die in der Entwicklung der Kreativität vorbildlich sind, sind zuerst natürlich interdisziplinär! Das Kind denkt sich ja nicht: Es ist Geografie, wenn ich ins nächste Dorf gehe, oder Geschichte, wenn ich dort den Großvater frage, wie es früher war. Sondern erst die Schule ist die Disziplinierung. Erst dieses Schülerhafte trennt das natürlich Zusammengehörende. Heinz von Förster sagt – das werde ich nie vergessen –, die Schule verwandelt die Kinder in eine triviale Maschine, wo ich eine Frage reinwerfe, und dann kommt die Antwort raus. Alle Studien zur Bildungspolitik, zum Beispiel Absolventenstudien nicht nur in Österreich, sondern auch an Elite-Unis in Amerika sagen, dass ein Großteil des abgeprüften Wissens, wie bei der Matura, in kurzer Zeit verloren geht, einfach weg ist, was bedeutet: dass das Schul- und Uniwissen eine Trivialisierung des Wissens ist. Ich sage, davon muss man weg. Wenn man das aber wirklich ändern will, dann muss man auch die Bedingungen schaffen, dass an den Orten, wo die Phantasie und Kreativität meiner Ansicht nach hingehört, nämlich an den Universitäten eben 151


nicht nur triviale Maschinen gezüchtet werden, sondern wirklich kreative Leute, und da ist es ganz egal in welcher Disziplin. Das ist der entscheidende Punkt, über den man intensiv reden sollte. (Applaus im Saal.) Erhard Busek: Danke. Das muss man auch in die bildungspolitische Diskussionen bringen, was das Europäische Forum Alpbach auch immer wieder tut. Mann aus dem Auditorium: Die größte Problematik – ich unterrichte an der Publizistik der Uni Wien – ist dieses Bulimie-Wissen, das einem beigebracht wird. Das heißt: Alles hinein, bei der Prüfung wird es ausgekotzt und am nächsten Tag hat man davon überhaupt nichts mehr. Und darauf basiert auch unser Schulsystem, das läuft schon mit den Kindern so. Am Anfang unseres Lebens lernen wir zu gehen und zu reden und Fragen zu stellen, und ein paar Jahre später sagt man uns: Setz dich hin und halt den Mund. Du kriegst jetzt Antworten, und frag ja nicht zu viel! Deswegen meine ich, ein ganz wichtiger Faktor für die Phantasie ist der Mut. Wir müssen es schaffen, den Kindern nicht den Mut zu nehmen zu fragen und neugierig zu sein. Wenn wir das schaffen, dann lösen wir auch viele andere Probleme, weil diese Kinder werden auch zu mutigen Erwachsenen, die werden mutige Wirtschaftsführer und die werden mutige Politiker. Erhard Busek: Aber so, wie man oft aufgezogen wird, erlebt man das Gegenteil: „Wer viel fragt, geht viel irr“, ist zum Beispiel eine dieser Volksweisheiten, die einem vermittelt werden, wenn man zuviele Fragen stellt. Auf gut Deutsch: Frag ned! Mann aus der dritten Reihe: Und warum hat man nicht mit den hier so oft angesprochenen Kindern oder Jugendlichen gesprochen? Warum ist die Tagung so wenig bunt? Es war sehr anregend für mich, aber die Hautfarbe hier spiegelt unsere Gesellschaft nicht wider. Österreich ist viel bunter geworden als es hier zu sehen ist. Warum hat man nicht auch Kinder und Jugendliche eingeladen, Menschen anderer Hautfarbe, die vielleicht grundsätzlich anders denken? Es zeigte sich doch mehr oder weniger ein gewisser Mainstream während dieser drei Tage. Warum hat man nicht die Phantasie gehabt, den etwas stärker aufzubrechen? Erhard Busek: Ja, diese Kritik ist berechtigt, wobei ich dazusagen muss, dass es natürlich vor einer Tagung, beim Konzipieren schwierig ist, den ganzen, später ablaufenden geistigen Vorgang einzukalkulieren. Und wir sind schon froh, wenn Studenten da sind. Das ist auch der Grund, warum 152


wir die Tagung an der Universität Innsbruck veranstalten, wobei es aber von Haus aus nur ein gewisses Segment ist. Aber repräsentativ, gestehen Sie mir zu sagen, habe ich eigentlich noch nie eine Tagung erlebt; das funktioniert irgendwie nicht ganz. Auch diese Tagung hat eben ihr bestimmtes Publikum, aber sie wird frei ausgeschrieben, zur freien Teilnahme. Ansonsten müsste ich ja ganz gezielt wie der Rudi Bretschneider ein repräsentatives Segment der Bevölkerung einladen, und das müsste dann ein Zweitausender-Sample sein, ob das dann hier funktionieren würde, wäre die weitere Frage … Rudolf Burger: Ich möchte das Wort nicht aus dem Plenum nehmen, aber ich würde davor warnen, in eine Falle zu laufen, die man bei thematischen Tagungen sehr oft erlebt. Bei einem Symposion über Ökologie sind am Schluss alle Teilnehmer für die Ökologie und für den Umweltschutz, bei einer Tagung über Feminismus sind dann lauter Feministen da, und das können Sie fortsetzen. Und die letzten Bemerkungen haben mir ein bisschen so geklungen, zugespitzt: als ob man die Phantasie zu einem Unterrichtsgegenstand machen wollte. Ich habe seit meinen ersten Schultagen eine tiefe und sich über die Jahre noch mehr entwickelte Abneigung gegen Pädagogen aller Art. Aber ich glaube nicht, dass Sie phantasievolles Verhalten von Individuen mit irgendeiner veränderten Form von Curricula oder anderen Formen des Unterrichts fördern können. Ich halte das für wirklichen Quatsch. Wenn Sie sich vorstellen, was bei Künstlern oft für Lebensbedingungen geherrscht haben, die engsten Zwänge, die dennoch zu einer enormen Phantasie und künstlerischen Produktion geführt haben. Weil wir gestern über „das Böse“ gesprochen haben: Donatien de Sade war fast sein ganzes Leben arretiert, hat die engsten Verhältnisse gehabt, hat aber eine ungeheure – sie mag abstoßend sein – Phantasieproduktion entwickelt und Konvolute von Büchern geschrieben. Das Problem, das wir auf den Universitäten und in den Schulen heute haben, ist ein Problem des Kanons: Was wählt man aus, was ist wichtig, den Gschroppen und den Studenten beizubringen? DAS ist das Problem. Und die Kinder werden schon irgendwie fertig mit ihren Lehrern. Wenn Sie sich vorstellen, welche Schulbedingungen die ganze Geschichte hindurch Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler schon hatten, wie früh sie vor Jahrhunderten diszipliniert wurden – und die sind keine geistigen Krüppel geworden, sondern Monumente der Geistesgeschichte. Thomas Hobbes hat mit sieben Jahren Thukydides im griechischen Original gelesen. Der hat keine sehr freie Jugend gehabt. Aber wofür ich sehr bin, ist: dass die Gschroppen ihren Freiraum haben – aber nicht, damit sie kreativ sind, sondern dass sie einen Spaß haben können! 153


Sonja Hammerschmid: Spaß haben, heißt aber: Interesse haben an etwas. Genau deshalb hat man ja Spaß … Rudolf Burger: Naja, diese Pädagogen haben daran wieder ihr Interesse … Also, ER (der Schüler) selbst muss ein Interesse entwickeln, und das entwickelt er an seinen Problemen. Sonja Hammerschmid: Genau, ER muss es entwickeln, und eben deswegen verlange ich von einem Bildungssystem, dass genau dieses Interesse und diese Neugier gefördert werden. Deswegen versuchen wir auch mit Curricula-Änderungen und anderen Settings in der Wissensvermittlung einzuschreiten, damit Content-orientiert unterrichtet wird oder auch geschlechtsspezifisch, so dass genau diese Begeisterung wieder kommt. Das ist meine Forderung, und ich glaube schon, dass man da sehr viel tun kann. Renée Schroeder: Ja, der Meinung bin ich auch. Ich möchte Ihnen ein bisschen widersprechen, Herr Burger. Ich bin in Brasilien in die Schule gegangen und war in einem Schulversuch, wo wir als Frontalunterricht nur Portugiesisch und Mathematik hatten, und die Naturwissenschaften, Ciência, das war alles andere. Dazu bekamen wir alle vierzehn Tage eine Frage und mussten dann vierzehn Tage lang versuchen, diese Frage zu beantworten. Die erste Frage, die ich bekommen habe: Woher weiß man, dass die Erde rund ist? Mmmmh, dachte ich, die Erde ist also rund – woher weiß man das eigentlich? Dann habe ich herumgefragt, im Lexikon nachgeschaut, diverse Experimente nachvollzogen, und wusste dann wirklich, dass die Erde rund ist, und nach diesem Aufarbeiten musste ich das alles auch meinen Mitschülerinnen erklären. Das ist ein viel interaktiveres Lernen als sonst. Vor allem: Das Gehirn funktioniert ja nicht, wenn wir eine Information kriegen, die in der Luft hängt und keine Verbindung hat. Dann weiß das Gehirn nicht, mit welchem schon vorhandenen Wissen es die neuen Informationen verknüpfen soll, wo es sie hintun soll, und deswegen merken wir uns die dann nicht. Ein erfolgreiches Lernen basiert ja auf Erinnerungen, dem Wiedererkennen, noch einen weiteren Baustein dazubekommen und diesen in ein Kastel einordnen zu können. Wir wissen heute eigentlich, wie wir am besten lernen. Und Bildung ist heute natürlich ein ganz ein anderer Begriff als vor hundert Jahren, als es darum ging, Goethe oder Schiller zu zitieren oder die Musik zu kennen. Wir brauchen heute eine Bildung, mit der wir relativ viel Wissen parat haben und auch zu wissen, wo und wie wir zu den entsprechenden Fakten kommen. Und ich glaube nicht, dass es genügt, dass man einfach bei Wikipedia nachschaut, denn wenn wir assoziativ oder produktiv-kreativ denken 154


müssen, brauchen wir viele Fakten, die wir dann auch zusammenführen können im Gehirn. Deswegen sollte man so lernen, dass man ein Thema aus unterschiedlichen Richtungen erschließt. Ich finde auch ganz richtig, dass man in einem Curriculum zu Diabetes zuerst mal lernt, was ist überhaupt Zucker, wie wird ein Zucker gebaut, wie abgebaut, was ist ein Hormon und welche Krankheiten entstehen aus Hormonmangel, usw. – weil man so an den Kern von allen möglichen Seiten herangeht. Das bleibt dann auch viel besser im Gehirn sitzen – und ist dann von vielen verschiedenen Richtungen her abrufbar. Wenn Sie weniger neuronale Vernetzungen zu einem Faktum haben, dann werden Sie es auch nicht so leicht abrufen können. Deswegen glaube ich, dass sich die Lernmethoden sehr stark weiterentwickeln werden, es ist eine sehr sehr spannende Zeit – und für Pädagogen nicht einfach. Erhard Busek: Okay, das wäre dann eher ein Plädoyer fürs Interdisziplinäre … Renée Schröder: Disziplin hat ja mehrere Bedeutungen; Disziplin kann zum Beispiel das Fach „Physik“ sein, oder auch bedeuten, dass ich den Rahmen nicht sprenge. Deswegen liebe ich Erwin Schrödinger, weil er das Buch „Was ist Leben?“ geschrieben hat. Als Physiker, als Quantenmechaniker hat er sich Gedanken gemacht über die Biologie und ein enorm wichtiges Buch geschrieben – und sich schon im Vorwort entschuldigt, dass er als Physiker sich in biologische Fragestellungen einlässt. Das war früher eine Frage der Noblesse oblige, dass man das nicht tut, das waren die Regeln, es war so ausgemacht in den Wissenschaften, dass der eine dem anderen nicht auf die Füße steigt. Aber heutzutage haben wir dazu einen anderen Zugang, dass man nämlich von mehreren Disziplinen her auf eine Frage zukommen kann. Die Disziplin ist dabei eigentlich nicht wichtig, sondern auf die Fragestellung und die Problemlösung kommt es an. Rainer M. Köppl: Um anzuschließen: Die Disziplin ist ja eine Struktur, die sich zwar irgendwann von innen her entwickelt hat, von der Sache herkommt, sich dann aber verselbständigt hat und inzwischen oft von außen aufgestülpt wird. Wenn ich dazu konkret die Uni anschaue, dann kann ich ein Fach da studieren und anderswo nicht – wegen der gewachsenen Institutsgrenzen –, aber es ist nicht so, dass das wirklich immer mit der Sache zusammenhängt. Es ist ja schon bedenklich, wenn man sich heute entschuldigen und fragen muss: „Darf ich bitte über das Wetter reden, auch wenn ich kein Meteorologe bin?“ Denn das ist nicht Wissenschaft – aber wahrscheinlich genauso treffsicher. 155


Zum Einwand (von Rudolf Burger), dass wir uns davor hüten sollten, die Phantasie zum Unterrichtsgegenstand zu machen, sage ich natürlich genau das Gegenteil. Wenn ich nämlich eine Vorlesung zur Filmgeschichte abhalte, dann mache ich damit auch eine Vorlesung zur Geschichte der Phantasie – was ich einmal auch gemacht habe, aber das mussten wir abbrechen, weil zu viele Leute gekommen sind und das hat dann nicht mehr den Sicherheitsstandards der Uni Wien entsprochen. Wenn ich ankündige, über ein Jahr lang alle Filme von Hitchcock anzuschauen und zu besprechen – Hitchcock schrieb die Filmgeschichte vom Stummfilm bis zum Fernsehen mit und beeinflusste mit seinen Phantasien unsere Phantasie –, dann ist das auch ein Nachvollzug einer Geschichte der Phantasie. Kaum jemand von uns kann unter der Dusche stehen, unfurchtsam, wenn er „Psycho“ gesehen hat, das hat sich in der kollektiven Phantasie eingeprägt. Man könnte Phantasie aber auch zum Unterrichtsgegenstand machen, indem wir anbieten – was wir in den Theater-, Film- und Medienwissensschaften nicht tun –, was aber die Amerikaner tun mit „Creative Writing“. Drehbuchschreiben ist ein unglaublicher Magnet, genau das wollen die Leute lernen. Sie wollen einen Freiraum haben, wo sie die Phantasie austoben lassen können. Noch eine Bemerkung zum vermeintlichen Gegensatzpaar Kreativität und Theorie, dass nämlich der Theoretiker oder auch Naturwissenschaftler nicht kreativ sei bzw. die Kreativität nicht brauche. Natürlich ist er kreativ, wenn er seine Theorie aufschreibt! Oder wenn man nur ein bisschen reinliest in die Quantenphysik oder ins Paralleluniversum: Das ist doch superphantastisch! Da ist unheimlich viel Phantasie drinnen – und viel Verzweiflung, weil man das Universum offenbar gar nicht so einfach beschreiben kann, wie immer geglaubt. Zum Punkt Phantasie und Realität: Wenn man sich – jetzt muss ich die Wirtschaft einmal loben – die Geschichte des Science Fiction-Films anschaut, kommt sie einem so ähnlich vor wie die Geschichte der künstlichen Intelligenz, wo schon in den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren gesagt wurde: Jetzt kommt gleich der Computer, der alle Sprachen spricht und alles perfekt übersetzt, und nächstes Jahr der Computer, der den Schachweltmeister schlägt! Und es hat dann doch irrsinnig lang gedauert. Wenn man in Science Fiction-Filmen sieht, was da alles erfunden ist bis hin zu dreidimensionalen Taxis – aber eine Sache wie das Handy, das kommt fast nie vor, nur bei Star Trek ein bisschen. Aber eben nicht diese phantastische Maschine, die heute jeder eingesteckt hat: ein Kommunikationsapparat, mit dem man mit allen kommunizieren kann, eine Filmkamera, ein kleines Hollywood-Filmstudio und was immer das Handy alles kann; die meisten Benützer wissen es gar nicht. Das ist ein phantastisches Produkt, das die Phantasie so eigentlich nicht vorausgesehen hat. Das heißt, wir haben es mit zwei unterschiedlichen Arten der Phantasie zu tun. Ich sage also nicht, die fiktionale Phantasie sei besser. Es

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gibt auch reale phantastische Geschichten wie das Handy. Was ich damit auch sagen will: Der beste Wissenschaftler oder Künstler ist nicht der, der quasi im Keller und in Armut sein Werk schafft oder das Universum neu beschreibt. So hätte die Universitätspolitik das gerne, aber dazu sage ich, das kann es nicht sein, dann bin ich dann lieber kein Wissenschaftler. Christoph Mader: Um an der Universität auch seine eigenen Phantasien entwickeln zu können, müssten wir zuerst einmal den ganzen Bologna-Prozess abschaffen, mit allen damit verbundenen Zwängen und Studienzeiten zwecks Ansammeln von nötigen Punkten. Die jungen Leute haben ja gar keine Chance mehr, neben ihrem Hauptstudium irgendetwas anderes zu machen. Zu meiner Studienzeit konnte ich neben meinem normalen Studium, Geschichte und Alte Geschichte, alles Mögliche machen, bin in die Kunstgeschichte gegangen, in die Archäologie, Sprachen, Anglistik, Romanistik, Philosophie und so weiter. Da konnte man sich selber weiterentwickeln und die Dinge dann miteinander in Konnex bringen. Heute geht das aber nicht mehr, das finde ich schlimm. Mann aus dem Auditorium: Vielleicht kriegen wir gesellschaftlich noch so viel Phantasie zusammen, dass wir einen Verein gründen gegen das „die“. Ich bin zwar immer von Herzen gerne für etwas und nicht gegen etwas, aber ich bin gegen das „die“: Ich bin gegen „die“ Schule, die gibt es nicht, und es gibt auch nicht „die“ Pädagogen oder „die“ Politiker, denn man findet in allen Bereichen solche und solche, Gottseidank. Und wofür ich auch bin: für mehr Phantasie. Und ein bisschen despektierlich war das schon mit den für die Phantasie zuständigen Layoutern, Herr Professor Burger – ich glaube, man kann die Phantasie nicht einfach so separieren und die Phantasten dann abtun. Ich darf an Nietzsche erinnern, der sagte: Ohne Musik wäre mir das Leben ein Irrtum. Frau aus dem Auditorium: Herzlichen Dank für die spannende Diskussion, vor allem das Thema Schule und Phantasie kann ich absolut nachvollziehen – als Lehramtsstudentin an der Uni und zukünftige Lehrerin leide ich auch an dem rigiden Schulsystem mit so wenig Phantasie und so wenig Interdisziplinarität. Und meine Frage an die Sprecher auf dem Podium: Was regt Sie persönlich an, was unterstützt Ihre Phantasie in Ihrem Leben, aber auch für Ihre Projekte oder Forschungen? Erhard Busek: Das ist eine wunderschöne Aufforderung für eine Schlussrunde auf dem Podium. Wer beginnt? Was beflügelt Ihre Phantasie?

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Rainer M. Köppl: Ist das jetzt noch mit Live-Streaming …? (Lachen im Saal.) Maximilian Fliessbach gen. Marsilius: Bei mir ist es Musik, Natur, auch Literatur, das alles entzündet oder hat das Potential zu entzünden. Die Phantasie ist frei, braucht aber, um sich in etwas Kreativem zu manifestieren, eine gewisse Disziplin, sonst kommt dabei nichts raus. Aber grundsätzlich ist die Phantasie ein freies, vollkommen offenes, grenzenloses, damit auch uferloses Feld – und das ist das Schöne daran. Rainer M. Köppl: Natürlich scherzhaft wollte ich phantastisch antworten: alle Arten von legalen und illegalen Drogen, aber wenn das übertragen wird, dann darf man das natürlich nicht sagen. Um doch noch eine ernsthafte Antwort zu geben zur Frage, was meine Phantasie anregt: Meine Erfahrung ist, dass etwas Druck, ein paar Schranken oder Rahmen eigentlich ganz guttun. Eine gewisse Art von Disziplin, Grenze, Struktur ist nicht schlecht. Mit Phantasie verbinde ich also nicht, nur am Strand zu liegen und super zu träumen. Also, ich habe eher das Problem, dass ich fast nichts finde, was mich NICHT anregt. Am Beispiel Nationalfeiertag: Tag der Fahne hat man früher gesagt, wozu mir, weil ich gerade am Thema der Bedeutung von Zeichen arbeite, die alte Geschichte einfällt, dass die rot-weiß-rote Fahne eigentlich aus der Zeit der Kreuzzüge stammt, weil der Leopold die Heiden so gut geschlachtet hat, dass sein ganzes Gewand blutrot getränkt war, aber als er den Waffengürtel dann abgenommen hat, war die Mitte weiß. Seitdem sind wir also rot-weiß-rot, das heißt, am Tag der Fahne schauen wir eigentlich Blut an. Dazu fällt mir dann das Gewand vom Hermann Nitsch ein, nach seinen Aktionen. Und jetzt – so funktioniert mein Gehirn – kommt der Zirkelschluss: Gerade die Leute, die den Hermann Nitsch immer so angegriffen haben wegen seiner Blutgeschichten, halten quasi den christlichen, abendländischen Geist mit der rot-weißroten Fahne hoch und wissen nicht, dass es um ein und dasselbe geht. So ähnlich geht es mir bei allem, wo immer ich hinschaue, finde ich einen Grund, eine Geschichte zu erfinden oder zu untersuchen – und da helfen Strukturen dann schon! Erhard Busek: Mich tröstet bei der Geschichte mit der Fahne, dass das alles Mythologien sind – wir haben hier auf der Tagung vor zwei Jahren das Thema Mythen in Kultur und Wirtschaft behandelt –, und solche Mythen wurden eben zu einer bestimmten Zeit erfunden. Dabei gewesen sind wir ja nicht.

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Rainer M. Köppl: Klar, dass die Geschichte nicht die Wahrheit ist, sondern auch eine Phantasie, die erzählt wird. Erhard Busek: Wir leben in der Politik und in der Geschichtsschreibung – vor allem seit dem neunzehnten Jahrhundert, aber auch schon früher – von Überhöhungen. Die Habsburger hatten ihre Abstammung sogar auf Julius Cäsar zurückgeführt. Das möchte ich einmal genauer untersuchen, das wäre eine gute DNA-Frage. Renée Schroeder: Was motiviert mich, gewissen Dingen nachzugehen? Ich bin eine richtige Tüftlerin, die gerne Probleme löst. Also, ich bin nicht jemand, der Probleme antizipiert – wenn ein Problem sich stellt, dann löse ich es, und ich finde es enorm befriedigend, ein Problem gut gelöst zu haben, auch wenn es nur ein winziges war. Das heißt: Das Erfolgserlebnis ist für mich die Droge und die Befriedigung. Und das gilt auch für die wissenschaftlichen Fragestellungen im Labor. Zur Zeit fasziniert mich folgende Frage: Europa ist der erste Kontinent, der zu wachsen aufhören wird und mit seiner Bevölkerungszahl in eine Regressionsphase kommt. Quantitativ nehmen wir wahrscheinlich ab – aber qualitativ könnten wir zunehmen. Wie kann man sich dieses künftige Europa vorstellen? In welcher Welt werden wir leben? Europa hat ja auch eine Vorreiterstellung, die anderen Kontinente kommen zehn, zwanzig Jahre später ebenfalls in diese Situation. Wir müssen uns also neu erfinden, eine neue kulturelle Identität suchen, die nicht unbedingt auf Wachstum aus ist. Auch Bakterienkulturen, Zellkulturen haben ein reguliertes Wachstum – aber wie nun kann man ein gesellschaftliches Wachstum so regulieren, dass das auch funktioniert? Sonja Hammerschmid: Für mich ist wirklich wichtig, Freiräume zu haben und gestalten zu können. Deshalb habe ich auch immer Jobs gehabt in meinem Leben, wo genau das der Fall war und wenn es nicht mehr der Fall war, bin ich wieder gegangen. Mir kann nichts Schlimmeres passieren als Routine, dann werde ich sehr unrund. So gesehen brauche ich wie gesagt diesen Gestaltungsspielraum und das regt meine Phantasie erst richtig an. Ganz pragmatisch kann ich dazu sagen – weil heute bei der Studienpräsentation gesagt wurde, Sport und Phantasie passen nicht zusammen –, dass ich beim Laufen unglaublich gut in einen Zustand komme, wo auch die Gedanken wirklich freien Lauf haben, und das ist echt fein. So gesehen hat mich dieses Umfrageergebnis gewundert.

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Erhard Busek: Winston Churchill mit seinem Wort „No sports“ habe ich immer sympathisch gefunden – ich gehöre also dieser Kategorie an und kann nur sagen, bei mir entwickelt sich Phantasie oft beim Autofahren. Offensichtlich hat es die Bewegung an sich. Ob das für die Anderen gefährlich ist, ist eine zweite Frage. Die Schlussantwort gibt nun Rudolf Burger. Rudolf Burger: Die Frage war, was meine Phantasie anregt – wenn ich ganz ehrlich bin: die Langeweile. Wenn mir langweilig ist, dann phantasiere ich. Zum Beispiel beim Autofahren, wenn man so meditativ auf der Autobahn dahinrollt, wenn man nicht im Stau steckt, oder selbst, wenn man problemlos im Stau ist – die Langeweile ist mein Erreger. Erhard Busek: Ich hoffe, dass die Teilnahme an dieser Tagung nicht Langeweile für Sie bedeutet hat – selbst wenn das dann, wie bei Rudolf Burger, Phantasie kreiert haben mag. Ich sage ein Dankeschön an die Podiumsteilnehmer dieser Schlussrunde, die noch einmal ganz andere Gesichtspunkte zum Thema Phantasie eingefangen und betont haben, als sie in den Tagen zuvor zur Sprache kamen. Und ich möchte auch sonst Allen danken, die zu dieser Tagung beigetragen haben: den technischen Herrschaften, die uns begleitet haben – die nicht gesehen werden, aber alles sehen –, auch der Organisationschefin Katharina Moser und ihren Damen, die Sie in der Halle betreut haben, wobei wir da gleich auch das Buffet einschließen. Mein herzliches Dankeschön gilt natürlich auch allen Referenten der drei Tage, hier schließe ich auch Erna Lackner an, die aus den Vorträgen einen Tagungsband produzieren wird. Last but not least: Vielen Dank auch an den Programmbeirat für den Entwurf dieser Tagung! Dieser Dank ist allerdings gleich mit einer „Strafaktion“ verbunden, nämlich der Aufforderung zur Themenfindungssitzung für die Tagung im nächsten Jahr!

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Personenverzeichnis BARTENBACH Christian, Dr.h.c., Ing. Gesellschafter der Bartenbach Holding; Lichtakademie; Aldrans BRETSCHNEIDER Rudolf, Dr. Gesellschafter der GfK Austria; Wien BROCK Bazon, Dr. Professor emeritus, Lehrstuhl für Ästhetik und Kunstvermittlung, Ber­ gische Universität Wuppertal; Denkerei; Berlin BURGER Rudolf, Dr. Professor emeritus für Philosophie, Universität für angewandte Kunst Wien BUSEK Erhard, Dr. Vizekanzler a.D., Ehrenpräsident des Europäischen Forums Alpbach; Wien DE MENDELSSOHN, Felix, Dr. Dozent an der Sigmund Freud Privatuniversität; Psychoanalytiker; Wien/ Berlin ECKER Dietmar, Mag. Gründer und Eigentümer, Ecker & Partner Öffentlichkeitsarbeit und Public Affairs; Wien EDELMANN Peter Opernsänger; Professor für Gesang, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ERLER Hannes, Ing. Director Open Innovation Networks, Swarovski Professional; Wattens FLIESSBACH GEN. MARSILIUS Maximilian Maler, Bildhauer und Bühnenbildner; Bichl-Benediktbeuern FLOR Olga, Mag. Schriftstellerin; Graz GLÜCK Heidi Gründerin und Geschäftsführerin, media + public affairs consulting; Wien 161


GRUBER Marianne Autorin; Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Literatur; Wien HALLER Reinhard, Dr. Psychiater und Neurologe; Chefarzt der Klinik Maria Ebene; Frastanz HAMMERSCHMID Sonja, Dr. Rektorin, Veterinärmedizinische Universität Wien HANDLOS Oliver Creative Director, BBDO; New York HINTERHÄUSER Markus Pianist; Designierter Intendant der Wiener Festwochen; Wien KOFLER Angelika, Dr. Leiterin, Sozial- und Organisationsforschung, GfK Austria; Wien KÖPPL Rainer M., Dr. a.o. Professor und Studiengangsleiter, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität Wien KÖSSNER-SKOFF Brigitte, Mag. Geschäftsführerin, IWK – Initiativen Wirtschaft für Kunst; Wien LACKNER Erna Journalistin; Wien MADER Christoph, HR Dr. Vorstand der Kulturabteilung des Landes Tirol a.D.; Innsbruck MATIASEK Hellmuth, Dr. Staatsintendant a.D., Regisseur; München SCHROEDER Renée, Dr. Professorin, Institut für Biochemie und Molekulare Zellbiologie, Universität Wien THUROW Michael, DI Gründer von tm concepts, Agentur für Innovations- und Designmanagement; Vorstandsmitglied designaustria; Wien

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TÖCHTERLE Karlheinz, Dr. Bundesminister für Wissenschaft und Forschung; Professor für Klassische Philologie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck TROI Valentine, DI Architektin; Gründerin und Geschäftsführerin, superTEX; Telfs ZOLLER Peter, Dr. Professor, Institut für Theoretische Physik, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

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Danksagung Ein herzliches Danke für die Hilfen beim Verfertigen dieses Sammelbandes sage ich an: MMag. Andreas Staggl, dem Projektleiter im Studien­ Verlag, für die überaus umsichtige Produktion; Karin Berner und Mag. Roland Kubanda für die Feinheiten der grafischen Gestaltung; MMag. Katharina Moser, der Projektmanagerin im Europäischen Forum Alpbach, für die große und ganze Organisation; dem Technikchef Franz Mailer und seinem Team im Europäischen Forum Alpbach für die unabdingbare Tondokumentation; last but not least Iris Landsgesell für ihren Einsatz beim Transkribieren. Und natürlich gilt der große Dank auch an dieser Stelle allen 27 Vortragenden, Moderatoren und Autoren der Innsbrucker Phantasie-Tagung. EL

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