About Baroque Dezember 2014

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A b o u t

Baroque Das Magazin des Freiburger Barockorchesters

DEZember | 2014

Das FBO als „orchestra in residence“

Was macht eigentlich…

„Herr Mozart wacht auf “

beim Musikfestuttgart

…Thomas Quasthoff ?

von Eva Baronsky

Thema

Vom Blatt gelesen


Ihringer Barriqueorchester

Einblick

Liebe Freunde des Freiburger Barockorchesters, vor Ihnen liegt die zweite Ausgabe unseres Magazins About Baroque. Nach dem Ausblick des vorangegangenen Heftes, der sich bis zum Sommer 2015 erstreckte, nehmen wir nun einen tiefen Einblick in Projekte unserer Musiker aus den vergangenen Monaten, unterhalten uns mit faszinierenden Persönlichkeiten, die dem FBO nahestehen, und betrachten einige ausgewählte Themen, von denen wir meinen, dass sie Sie sicherlich interessieren werden. Versierte Leser unseres früheren Newsletters werden in diesem Magazin einige Rubriken wiedererkennen, auch wenn wir sie für das neue Format ein wenig überarbeitet haben. So bildet weiterhin der Klangspiegel den Abschluss von About Baroque: eine Mischung aus „Klangspektrum“ und „Pressespiegel“, die sich der Beschreibung von Aufnahmeprojekten des FBO und ihrer Rezeption durch die internationale Presse widmet. Anders als bisher werden wir aber die einzelnen Pressestimmen nicht mehr bloß für sich sprechend abdrucken, sondern sie als Illustration in einen Text einbetten, der die Hintergründe des jeweiligen CD-Projekts genauer erläutert. Die Eröffnung von About Baroque mit einem prominenten Thema ist ebenfalls eine Newsletter-Tradition, die wir gerne weiterpflegen: In der vorliegenden Ausgabe widmet es sich der erstmaligen Orchesterresidenz des FBO beim MusikfeStuttgart im September 2014. Schließlich möchte unser Magazin genauso wenig auf die vertraute Pinnwand verzichten, an die wir auch weiterhin für Sie Zettel mit kurzen Termininfos und aktuellen Mitteilungen heften werden. Im Gespräch mit Isabelle Faust haben wir einiges über ihre erste Begegnung mit dem FBO im Rahmen eines ungewöhnlichen Schumann-Projekts erfahren, in dem sie mit ihren Kollegen JeanGuihen Queyras und Alexander Melnikov die drei Solokonzerte des Romantikers mit seinen drei Klaviertrios kombiniert hat. Und wie sich Schumann Im Trio auf historischen Instrumenten anfühlt, hat unser Autor Georg Rudiger die drei während eines Probenbesuchs in Freiburg gefragt. Außerdem hat er sich auf die Spurensuche nach einem langjährigen musikalischen Partner des FBO begeben und beantwortet nun für uns die Frage: Was macht eigentlich Thomas Quasthoff? Neu in About Baroque ist eine Rubrik, die sich der Besprechung musikalischer Bücher widmet. Dabei kann es sich sowohl um Belletristik als auch um Sachbücher handeln. Zum Auftakt haben wir Eva Baronskys Roman Herr Mozart wacht auf für Sie Vom Blatt gelesen. Alles möchten wir Ihnen an dieser Stelle nicht verraten – blättern und lesen Sie einfach selbst! Einen harmonischen Jahresausklang und einen inspirierten Jahresanfang wünscht Ihr FBO

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DR. HEGER

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Musikalische Horizonte 6 | 11 Thema Das FBO als „orchestra in residence“ beim MusikfeStuttgart 12 | 14 Im Gespräch… …mit Isabelle Faust 15 Pinnwand Aktuelles vom Freiburger Barockorchester 16 | 18 Im Trio… …mit Isabelle Faust, Jean-Guihen Queyras und Alexander Melnikov 20 | 24 Was macht eigentlich… …Thomas Quasthoff ? 25 Ohne Worte 26 | 27 „FBO for families“ Das erste Familienkonzert im Ensemblehaus 28 | 30 Vom Blatt gelesen „Herr Mozart wacht auf “ von Eva Baronsky 31 | 33 Klangspiegel Die neueste CD vom FBO in der Presse

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Das FBO als „orchestra in residence“ beim MUSIKFESTUTTGART

Seit fünfzehn Jahren unterhält das Freiburger Barockorchester inzwischen neben den eigenen Konzertreihen in Freiburg und Berlin eine Abonnementkonzertreihe in der Stuttgarter Liederhalle. Im vergangenen Sommer konnten die Stuttgarter die Musiker des FBO nun mit drei Konzerten in einem anderen Kontext erleben: als „orchestra in residence“ beim MUSIKFESTUTTGART.

Ein Musikfest in der (schwäbischen) Landeshauptstadt von Baden-Württemberg mit dem Thema „Herkunft“? Da liegt die Einladung eines (badischen) Klangkörpers aus Freiburg als „orchestra in residence“ ja nahe. So könnte man über die Residenz der Musiker des FBO beim diesjährigen MUSIKFESTUTTGART kalauern. Aber natürlich steckte viel mehr hinter dieser Einladung.

Der großartige Abschluss der FBO-Residenz beim MusikfeStuttgart mit Händels Solomon im Beethovensaal der Liederhalle (Dirigent HansChristoph Rademann mit Konzertmeisterin Anne Katharina Schreiber).

Zunächst einmal muss man wissen, dass das jährlich im September von der INTERNATIONALEN BACHAKADEMIE STUTTGART veranstaltete Musikfest anders als ein typisches Festival neben zahlreichen Konzerten der Ausbildung und Präsentation des musikalischen Nachwuchses breiten Raum zugesteht. Zu diesem „öffentlichen Lehrauftrag“ gesellt sich ein akademisches Verständnis des Festspielgedankens, das sich nicht nur in einem übergeordneten Motto für das Musikfest, sondern auch in dem Bemühen der Programmmacher um vielschichtige musikalische Perspektiven äußert. Klingt das jetzt etwas trocken oder theoretisch? Ist es in der Praxis aber ganz und gar nicht. Das verhindern ein ziemlich buntes Programm und die Auswahl der unterschiedlichsten Aufführungsorte für die einzelnen Konzerte. Als Hörer kommt man so auch in den Genuss von Stuttgarter Örtlichkeiten, die man vorher entweder gar nicht gekannt hat oder zumindest nicht mit einem Konzertbesuch in Verbindung gebracht hätte. Einen Tag vor der offiziellen Eröffnung des Musikfests (und eine Woche vor der Ankunft der FBOMusiker) fand beispielsweise eine Art musikalischer Aperitif vor den Toren Stuttgarts statt, mit dem sich das Musikfest schon einmal auf leisen Sohlen ins Bewusstsein seiner Besucher schlich: „Wandelkonzerte zum Wein“ hieß die Veranstaltung in Uhlbach, mit drei ungewöhnlichen Konzertformaten im

Weinbaumuseum, in der Kelter des Collegium Wirtemberg und in der Andreaskirche. Jedes der knapp eine Stunde dauernden Konzerte beinhaltete die Verkostung und Erläuterung eines Weiß- und eines Rotweins, die man sich auch während der musikalischen Darbietungen (außer natürlich beim Konzert in der Kirche) in Ruhe zu Gemüte führen konnte. Da die Konzerte in direkter Nachbarschaft zueinander und immer zur vollen Stunde stattfanden, konnten die Zuhörer von einem zum andern schlendern und für sich selbst entscheiden, was sie als nächstes hören wollten. Ungewöhnliche Orte, ungewöhnliche Programme: Im Weinbaumuseum ließ sich das „Duo Seidenstraße“ mit Musik für Percussion und Gesang aus Fernost hören, während im stimmungsvollen Gewölbe der Kelter des Collegium Wirtemberg Cembalist Vital Julian Frey ein spritziges Tango-Programm nicht nur mitreißend spielte, sondern auch moderierte. In der Andreaskirche schließlich gab es Orgelimprovisationen von Dominik Susteck. Szenenwechsel, eine Woche später: Am 5. September kommen die Musiker des Freiburger Barockorchesters mit dem ICE aus Freiburg in Stuttgart an. Vom Hauptbahnhof geht es direkt in den Konzertsaal der Stuttgarter Musikhochschule. Dort ist schon alles vorbereitet für den Dirigierkurs von Bachakademieleiter Hans-Christoph Rademann. Im Rahmen der „Musikfest Akademie“ werden dieses Jahr Meisterkurse für Sänger, Hammerklavierspieler (Dozent: Kristian Bezuidenhout) und Dirigenten angeboten. Neu ist die erstmalige Mitwirkung eines Orchesters der Historischen Aufführungspraxis bei den Meisterkursen. Dabei handelte es sich um einen langjährigen Wunsch des Akademieleiters: „Ich habe immer schon davon geträumt, jungen Nachwuchsdirigenten

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„Wandelkonzerte zum Wein“: im Weinbaumuseum, vor der Andreaskirche und in der Kelter vom Collegium Wirtemberg.

die Chance zu geben, auch einmal vor einem Barockorchester zu stehen. Das ist ein ganz besonderes Erlebnis, und wann bekommen Dirigierstudenten schon mal so eine Gelegenheit?“, schwärmt Rademann. In seinem Dirigierkurs studieren die angehenden Maestri mit dem FBO und der Gächinger Kantorei Stuttgart Carl Philipp Emanuel Bachs „Magnificat“ Wq 215 ein; den anderen Kurs leitet der holländische Bachspezialist Jos van Veldhoven mit dem Bach-Collegium Stuttgart. Dort steht Vater Bachs „Jagdkantate“ BWV 208 „Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd“ auf dem Programm. Im „Magnificat“-Kurs dirigieren ungefähr ein halbes Dutzend Nachwuchsdirigenten im Wechsel das Freiburger Barockorchester, angeleitet von Hans-Christoph Rademann, mit dem die Musiker bisher noch nicht zusammengearbeitet haben. Eine spannende Situation. „Ich weiß ja“, sagt der Kursleiter bei der Begrüßung, „dass dieses Orchester am liebsten – und zwar fantastisch – ohne Dirigenten spielt. Sicherlich werden deshalb im Laufe des Kurses die einen oder anderen Fehler der Studenten automatisch vom Orchester ausgebügelt. Aber vielleicht schafft es das FBO ja, genauso zu spielen, wie die Kursteilnehmer dirigieren.“ Schwierig, denn Konzertmeisterin Anne Katharina Schreiber hat natürlich auch eine Partitur neben ihrem Pult liegen. Außerdem herrscht ständiger Blickkontakt unter den Musikern. Tatsächlich gibt es unter den angehenden Orchesterleitern schüchterne Naturen, die ihre Einsätze nur sehr zögerlich geben oder den groß angelegten Gesamtschluss des Chorwerks so zurückhaltend dirigieren, dass man als Zuhörer auf eine nicht vorhandene Fortsetzung warten möchte. In solchen Momenten huschen dann die Blicke der Musiker kurz zum Konzertmeisterpult… Doch der Lehrer sieht alles und hält seinen Schülern den Spiegel vor: „Wollen Sie wirklich dieses prachtvolle ‚Magnificat‘ mit

Impressionen vom Abschlusskonzert in Bad Cannstatt: das FBO und die Gächinger Kantorei unter der Leitung zweier Teilnehmer des Dirigierkurses.

einem Fragezeichen beenden – als wäre das alles gar nicht wahr?“ Nein, das möchte der Teilnehmer natürlich nicht. Bei einem anderen, sich sehr ausufernd bewegenden Studenten bietet sich Rademann als „Physiotherapeut“ an. Er stellt sich hinter ihn und hält ihn während seines Dirigats an den Schultern fest. Schon klingt alles anders. Natürlich geht es in einem Dirigierkurs um Handwerk. Wie schlage ich welche Sinneinheiten, wie zeige ich Melodiebögen an? Wichtig ist auch, dass der Dirigent mit Chor und Orchester atmet, richtig dosierte Impulse gibt – und zwar zum richtigen Zeitpunkt. Aber vor allem geht es darum, das, was man in einem Stück als wesentlich erkannt hat, was man als Dirigent künstlerisch ausdrücken möchte, nach draußen zu transportieren und auf die mitwirkenden Musiker zu übertragen. Das ist alles andere als leicht und fängt schon bei elementaren Dingen wie dem Umgang des Dirigenten mit seinen Musikern an. „Mit einer nachlässigen Handbewegung können Sie den Chor nicht mal so eben aufstehen lassen“, rät Rademann einem anderen Nachwuchschef. „Ich hatte mal einen Kollegen, der rief dem Chor in der Probe ein scharfes ‚Auf, auf !‘ zu. Danach wollte der Chor nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten“, erzählt er weiter. Gleiches gilt für einzelne Bläsereinsätze. Es ist erstaunlich, wie sehr ein Dirigent seine Körpersprache dosieren muss. „Wenn Sie nach rechts der Trompete einen Einsatz geben und zugleich nach links gucken, dann wird das nichts – dann gibt man keinen guten Impuls an den Musiker“, kommt es vom Tisch an der linken Bühnenseite, an dem sich der Kursleiter niedergelassen hat. Die Musiker des FBO spielen geduldig die Rolle eines „lebendigen CD-Spielers“. Bitte noch einmal von vorn… Können wir bitte ab Takt… Das Ganze nochmal, diesmal etwas

schneller… Am nächsten Tag kommen von ihnen auch erste Anregungen, Vorschläge und Nachfragen, so wie sie es von ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Dirigenten wie René Jacobs oder Ivor Bolton gewöhnt sind. Für die Kursteilnehmer sind das unbezahlbare Erfahrungen: einige Dinge, die sie sich im stillen Kämmerchen überlegt haben, scheinen nicht so einfach in der Praxis zu funktionieren. HansChristoph Rademann schmunzelt: Genau so hatte er sich das vorgestellt. Schnell kristallisiert sich heraus, wer von den Teilnehmern welchen Satz aus dem „Magnificat“ im Abschlusskonzert dirigieren wird. Gleiches gilt für die auszuwählenden Sängersolisten. Am Sonntag, den 7. September, ist es dann so weit: Im schön renovierten Kursaal von Bad Cannstatt (der ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt) findet das Abschlusskonzert der „Musikfest Akademie“ statt, an dessen Ende alle Beteiligten – Kursteilnehmer, Chor, Ensembles und Dozenten – vom Publikum frenetisch gefeiert werden. Parallel zum Dirigierkurs treffen sich gleich am ersten kursfreien Abend die Streicher und Bläser des FBO mit HansChristoph Rademann zu einer Orientierungsprobe von Georg Friedrich Händels Solomon. Das Oratorium ist nämlich das zweite gemeinsame Projekt von Bachakademie und Freiburger Barockorchester beim MUSIKFESTUTTGART. Die Proben für das große Werk beginnen aber erst richtig am Tag nach dem Abschlusskonzert in Bad Cannstatt. Ortswechsel in die Umgebung der Stuttgarter Liederhalle, in den erst kürzlich neu eröffneten Hospitalhof, eine geschmackvolle Kombination aus moderner Architektur mit den über 400 Jahre alten Grundmauern des ursprünglichen Klosters: Hier, im großen Saal, proben die Musiker des Freiburger Barockorchesters, die Gächinger Kantorei Stuttgart und die Sänger Susan Gritton,

Johanna Winkel, Anke Vondung, Lothar Odinius, Peter Harvey unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann Händels Solomon. Schnell ist ein guter Draht untereinander gefunden, man verständigt sich ohne viele Worte und geht zügig durch das Mammutwerk. Denn die Zeit ist knapp! Erneuter Ortswechsel, diesmal nach Freiburg: Während am Montag nach dem Konzert in Bad Cannstatt die erste SolomonProbe mit voller Besetzung in Stuttgart stattfindet, probt im heimatlichen Ensemblehaus das Freiburger BarockConsort, die Kammerformation des FBO, angeleitet von Petra Müllejans und Torsten Johann, mit den Sängern Carolyn Sampson (kurzfristig für die erkrankte Anna Lucia Richter eingesprungen), Maarten Engeltjes und André Morsch drei Weimarer Kantaten von Johann Sebastian Bach. Zu den bekannten Solokantaten „Mein Herze schwimmt im Blut“ BWV 199 (für Sopran) und „Widerstehe doch der Sünde“ BWV 54 (für Alt) kommt im Programm der Freiburger noch eine sehr selten zu hörende und äußerst reizvoll instrumentierte Kantate für Sopran und Bass hinzu: „Tritt auf die Glaubensbahn“ BWV 152, für Blockflöte (Isabel Lehmann), Oboe (Susanne Regel), Viola d’amore (Gottfried von der Goltz), Viola da Gamba (Hille Perl) und Basso continuo (Lee Santana und Torsten Johann). Am nächsten Tag geht es morgens mit dem ICE nach Stuttgart. Das Konzert findet mittags in der Stiftskirche statt und gehört zur Musikfest-Reihe Sichten auf Bach, die, abgesehen von dem Weimarprogramm des Consorts, in zwei weiteren Konzerten Kantaten aus Bachs Mühlhausener und aus seiner Leipziger Zeit präsentiert. Um 13 Uhr sind die Kirchenbänke der Stiftskirche voll besetzt, auch mit einigen FBO-Musikern, die in ihrer mittäglichen Probenpause die Kollegen hören möchten. Es folgt eine intime

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„Sichten auf Bach“ in der Stuttgarter Stiftskirche mit dem Freiburger BarockConsort (links); „Solomon“ in der Stuttgarter Liederhalle (unten).

und klangschöne Stunde, voll mit virtuoser und zugleich andachtsvoller Musik, an deren Ende vor allem die Einspringerin Carolyn Sampson gefeiert wird. Markus Dippold von der Stuttgarter Zeitung ist begeistert: „Unbestrittener Star an diesem Mittag in der Stiftskirche ist Carolyn Sampson. Die kurzfristig eingesprungene Engländerin flutet bei der großen Solokantate ‚Mein Herze schwimmt im Blut‘ BWV 199 den Kirchenraum mühelos mit ihrem goldfunkelnden Timbre, das sie von schmerzhaftgeraden Tönen in der ersten Arie ‚Stumme Seufzer‘ über fahle Zerknirschung in ‚Tief gebückt und voller Reue‘ bis hin zu überschwänglichem Koloraturjubel in ‚Wie freudig ist mein Herz‘ flexibel gestalten kann. Punktgenau gelingt ihr mit dem technisch und gestalterisch souverän agierenden Freiburger Barockconsort die Entfaltung des jeweiligen Affekts.“ Und die Stuttgarter Nachrichten befinden: „Das ist höchste Interpreten-Kunst.“ Zurück zum großen Barockorchester, dessen Musiker nach dem Konzert ihrer Kollegen noch den ganzen Tag im Hospitalhof weiterproben. Tags drauf zieht die gesamte Oratoriumsbesetzung in den Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle um, wo vormittags eine dreistündige Generalprobe und abends dann das Konzert stattfindet. Werden Chor, Solisten und das Orchester mit seinen historischen Instrumenten es schaffen, diesen riesigen Saal mit Händels Musik zu füllen? Und ob! Nach dem Konzert kennt die Begeisterung der Zuhörer keine Grenzen. Und das, obwohl Solomon keins von Händels typischen Oratorien ist, in denen eine dramatische Handlung immer für starke Wirkungen gut ist. Stattdessen reflektiert dieses Werk menschliche Seelenzustände, beschreibt die Macht der Musik und kommt fast ganz ohne Handlung aus. Auch die Kritik ist schier aus dem Häuschen: „Mit dem

Freiburger Barockorchester musizierte ein Originalklangensemble, das in Artikulation und Phrasierung nicht nur jeder Facette der reichen Partitur Form und Ausdruck gab, sondern die Spannweite der Atmosphären und Affekte mit charakteristischer Klanggebung erfasste. Pulsierende Agilität prägt dieses gestaltenreich durchhörbare Orchesterspiel, das ebenso Konzentration fürs Feine und Leise bewies – bis hin zu den trefflich ziselierten Vogelstimmenimitationen im bukolischen Schlusschor des ersten Akts“, schreibt beispielsweise Martin Mezger in der Esslinger Zeitung. Und sein Kollege Götz Thieme von der Stuttgarter Zeitung wird in seinem Lob sogar grundsätzlich: „Hans-Christoph Rademann setzte einen Grundstein, auf dem sich künftig etwas errichten ließe, wenn Bauherren und Ausführende so mitziehen wie der musikalische Architekt sich das vorstellt, etwas, das in der Republik wieder den Ruf auslöst: Wenn du Händel (und anderes) auf der Höhe der Zeit hören willst, musst du nach Stuttgart fahren.“ Mehr Worte braucht es nicht. Die Residenz beim MUSIKFESTUTTGART hat sich gelohnt.

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Im Gespräch mit Isabelle Faust

Isabelle Faust und ihre „Dornröschen“-Stradivari von 1704 bei der Aufnahme von Schumanns Violinkonzert mit dem Freiburger Barockorchester.

Im vergangenen April stand die Geigerin Isabelle Faust zum allerersten Mal mit dem Freiburger Barockorchester auf der Bühne, und zwar mit einem für das FBO gänzlich untypischen Werk: Robert Schumanns Violinkonzert. „Schumann pur“ hieß das Programm, das unter der Leitung von Pablo HerasCasado auf einer Tour mit zehn Konzertauftritten neben dem Violinkonzert Schumanns Cellokonzert, das Klavierkonzert und das Orchesterstück „Ouvertüre, Scherzo und Finale“ op. 52 präsentierte. Nach der Konzerttournee ging’s dann noch ins Berliner Teldex-Studio zur Aufnahme.

Auch wenn die erste Zusammenarbeit zwischen Dir und dem FBO noch gar nicht so lange zurückliegt: musikalisch begegnet – mit einer CD oder in einem Konzert – bist Du unseren Musikern doch sicherlich schon viel früher. Wie sah diese Begegnung aus? Ich bin seit langem ein großer Fan des Orchesters, sowohl im Konzert als auch auf CD. Ein paar Eurer Musiker kenne ich sogar noch persönlich aus meinen frühesten Geigen-Anfängen, andere hatte ich inzwischen in gemeinsamen Kammermusikprojekten näher kennengelernt. Es wurde auf jeden Fall Zeit, endlich in den Genuss der gesamten Gruppe zu kommen! Und wie war es dann, mit ihnen zusammen Musik zu machen? Ich denke, dieses Schumann-Projekt wird eines der glücklichsten, intensivsten und aufregendsten meines Musikerlebens bleiben! Wir wussten ja alle nicht so recht, was da auf uns zukommen würde, für das Orchester war Schumann eine neue Erfahrung, inklusive teilweise extra hierfür gebauter Instrumente, eines anderen Stimmtons von 440 Hz, neuen Solisten... Wir drei solistischen Gäste hatten diese Stücke mit Pablo ja nie zuvor gearbeitet, dazu kam die Extraherausforderung der Darmsaiten und des originalen Érard-Flügels: Es war also alles wirklich sehr spannend! Dennoch hat es sofort gefunkt, wir waren alle glücklich, dass wir gemeinsam diese komplexe Musik ganz neu entdecken, überdenken und erfühlen durften, frei von Vorurteilen wie „Oh, dieses Stück ist sowieso unspielbar und eigentlich nicht wirklich überzeugend“, die zumindest dem Violinkonzert anhaften. Während des gesamten Monats, über den sich dieses Projekt erstreckte, konnten wir uns immer mehr in Schumanns Welt und miteinander zurechtfinden, unsere Begeisterung und Eindrücke austauschen,

es war wie ein wunderbarer Zauber, der sich über alle zu legen schien. Von Routine oder Müdigkeit war bis zum letzten Konzert in der Berliner Philharmonie keine Rede. Wirklich ein beglückendes, einmaliges Erlebnis! Schumanns Violinkonzert ist ein riesiges Klangmeer, das man sich als Solist alleine und dann auch noch zusammen mit dem Orchester erst einmal erschließen muss. Hinzu kommt ein erstes Kennenlernen mit dem Orchester, und auch den Dirigenten Pablo Heras-Casado kanntest Du vorher noch nicht. Dazu dieses für ein Barockorchester höchst ungewöhnliche, romantische Violinkonzert. Terra incognita auf mehreren Ebenen! Wie muss man sich denn Eure gemeinsame Entdeckertour im „Kontinent Schumann“ so vorstellen? Ich hatte mit Pablo im Vorfeld schon ein paar interpretatorische Knackpunkte diskutiert, zum Beispiel die umstrittenen Tempo-Angaben des Komponisten. Wir waren uns sofort einig, dass es sich hier um ernstzunehmende und konsequente Metronom-Angaben handelt und wir diese möglichst einhalten wollten. Überhaupt war Pablo für alle drei Solisten ein extrem engagierter und gleichzeitig sehr aufnahmebereiter, geduldiger Partner. Es muss für viele Dirigenten ein Albtraum sein, einen Monat lang drei Solisten auf einmal am Hals zu haben, und noch dazu drei, die nicht locker lassen! Pablo hat sich geradezu in diese Werke gestürzt, war von Konzert zu Konzert immer noch begeisterter, präziser und energetischer. Das Orchester hat sich sicher gut aufgehoben gefühlt, zumal er auch Raum ließ für die starken Qualitäten einer Gruppe, die es gewohnt ist, ohne Dirigenten zu arbeiten, und in der alle ständig selbständig mitdenken und Dinge hinterfragen. Das Violinkonzert ist von allen drei Konzerten natürlich das all13 12


Pinnwand

Anspielprobe vor dem Konzert im Reitstadl von Neumarkt am 10. April 2014.

gemein umstrittenste und auch am wenigsten bekannteste. Aber es ist allen Musikern auf der Tour so ans Herz gewachsen, dass am Ende niemand wirklich verstehen konnte, wie so ein anrührendes, zutiefst aufrichtiges, einmaliges Stück zu solch zwiespältiger Reputation gelangen konnte. Ganz besonders hilfreich für das Verständnis dieses Stücks war natürlich auch, dass wir uns während des ganzen Projekts nicht ein einziges Mal gedanklich und musikalisch aus der Schumannschen Welt herausbewegen mussten, dass wir eben (durch das „Schumann pur“-Programm) nur von Schumann umgeben waren, und zwar von seinem früheren und seinem Spätwerk. Ich denke, Schumann braucht seine Zeit, er möchte wieder und wieder gehört und studiert werden, und dann kommt ein Moment, in dem einen diese Musik einfach nicht mehr loslässt. Du spielst ja auf einer Stradivari, genauer gesagt auf der „Dornröschen“ Stradivari von 1704. Hast Du sie für dieses besondere Schumann-Projekt eigentlich anders besaitet als sonst, einen anderen Bogen verwendet…? Ja, natürlich, mit einem Orchester wie dem Euren ist es absolut normal, auf Darm umzusatteln und ein ähnliches Timbre, dieselbe Artikulation und Transparenz anzustreben! Mit Metallsaiten wäre das ein Widerspruch in sich, und es würde hinten und vorne nicht wirklich passen. Mein Francois Xavier Tourte-Bogen bildete dazu obendrein die perfekte Ergänzung.

Hattest Du das Schumann-Konzert eigentlich schon vorher mit einem anderen Orchester gespielt? Ich habe das Stück vor ungefähr 8 Jahren gelernt und seither immer sehr gerne gespielt, unter anderem mit den Berliner Philharmonikern sowie Frans Brüggen und seinem Orchestra of the Eighteenth Century. Letzten Sommer habe ich es in

Luzern mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Herrn Haitink aufgeführt, für den es sage und schreibe das erste Mal war mit diesem Werk und der es sofort in sein Herz geschlossen hat. Auch wenn dieses Violinkonzert immer noch ein Nischendasein im Konzertleben fristet, sind in letzter Zeit einige Aufnahmen von ihm erschienen. Würdest Du sagen, dass gerade die Aufnahme auf historischen Instrumenten diesem Konzert nochmal eine ganz andere, neue musikalische Dimension hinzufügt? Mir persönlich hat diese Erfahrung nochmal wirklich neue Türen zu Schumann geöffnet. Viele Aspekte dieses Stückes wurden viel schlüssiger und realisierbarer als mit modernen Instrumenten, und ich denke, dass alle meine Kollegen diesen Eindruck hatten. Es bleibt jetzt zu beobachten, ob der Funke auch auf unsere Zuhörerschaft überspringen wird…

Aufgenommen Anfang Mai wurden Robert Schumanns Solokonzerte für Violine, Violoncello und Klavier aufgenommen, Ende August folgte die Einspielung seiner Klaviertrios (alles im Berliner Teldex-Studio): mit Isabelle Faust, Jean-Guihen Queyras, Alexander Melnikov und dem Freiburger Barockorchester unter der Leitung von Pablo Heras-Casado. Am 13. März 2015 erscheint nun bei Harmonia Mundi France die erste von drei CDs. Sie enthält das Violinkonzert und das Klaviertrio op. 110.

Ausgezeichnet Das Freiburger Barockorchester und der Dirigent Pablo Heras-Casado sind für ihre bei Harmonia Mundi France erschienene Einspielung von Franz Schuberts dritter und vierter Sinfonie am 26. Oktober in der Philharmonie am Gasteig mit einen ECHO Klassik 2014 in der Kategorie „Sinfonische Einspielung des Jahres“ ausgezeichnet worden. FBO-Intendant Hans-Georg Kaiser und Maestro HerasCasado nahmen die begehrte Auszeichnung in München persönlich entgegen (Foto). Für das Orchester ist es der vierte ECHO in Folge. Die anderen drei hatte das FBO 2011 für die CD „Ombra cara“ (mit Bejun Mehta und René Jacobs), 2012 für „Mendelssohn Concertos“ und 2013 für „Mozart: Piano concertos K.453 & 482“ (beide jeweils mit dem Pianisten Kristian Bezuidenhout) erhalten, die alle ebenfalls bei harmonia Mundi France erschienen sind.

Gefeiert Am 11. Oktober haben die Musiker und Büromitarbeiter des Freiburger Barockorchesters ihren Intendanten HansGeorg Kaiser und seine fünfundzwanzigjährige Arbeit für das FBO gefeiert. Neben einem leckeren Büffet und einer zünftigen Geburtstagstorte (Foto) gab es ein paar musikalische Schmankerl, die man von einem Barockorchester nicht oft zu hören bekommt: Johann Strauss’ „Kaiserwalzer“ (natürlich), die Romanze für vier Violinen und Klavier op. 43 von Josef Hellmesberger (mit Torsten Johann am Yamaha-Flügel!) und humoristische Trios von der österreichischen Gruppe „Triology“, in denen der „Radetzky“Marsch veralbert und ein Hackbrett-Stück imitiert wird (u. a. mit Essstäbchen auf den Saiten: Anne Katharina Schreiber, Lotta Suvanto und Ute Petersilge).

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Im Trio mit Isabelle Faust, Jean-Guihen Queyras und Alexander Melnikov

Als sich Jean-Guihen Queyras, Alexander Melnikov und Isabelle Faust Anfang 2014 mit den Klaviertrios und Konzerten von Robert Schumann beschäftigten, begaben sie sich auf eine lange Reise. Zunächst mussten Quellen gelesen, Noten studiert und Instrumente ausgewählt werden. Welche Saiten verwende ich auf dem Cello? Welcher Flügel bringt Schumanns Musik zum Leuchten? Mit welchem Bogen nähere ich mich der historischen Aufführungspraxis an? Alle diese Fragen mussten geklärt werden, ehe sich die drei Musiker in Freiburg trafen, um die musikalische Reise zu beginnen. GEORG RUDIGER hat sie zu Beginn des Projekts in einer Probe besucht. Und nach der großen Konzertournee nochmals mit Jean-Guihen Queyras über seine Erfahrungen gesprochen.

Draußen scheint die Sonne, drinnen wird geprobt. Schon den ganzen Tag sitzen Jean-Guihen Queyras, Alexander Melnikov und Isabelle Faust in Queyras’ Unterrichtszimmer an der Freiburger Musikhochschule, um sich intensiv mit Klaviertrios von Haydn, Beethoven und Schumann zu beschäftigen. Auf den Notenständern liegt Schumanns letztes Trio in g-Moll op. 110. Den markanten Sextsprung zu Beginn des zweiten Satzes kostet Isabelle Faust an der Violine mit fein dosiertem Vibrato aus. Jean-Guihen Queyras wiederholt die Geste zwei Takte später mit einem großen Crescendo auf der A-Saite. Der Streicherklang ist voll und intensiv. Alexander Melnikov zaubert am Flügel Farben und Stimmungen. Jeder ist ganz bei sich. Und doch eröffnet sich im Zusammenspiel eine lebendige, intime Kommunikation. Man spürt beim Spielen und beim Sprechen die große Vertrautheit miteinander – die Interpretation entsteht im Dialog. Es geht um Feinheiten wie die Gestaltung eines Übergangs oder dynamische Korrekturen. Die Diskussionen auf Deutsch und Englisch sind kurz – dann sitzen die drei wieder an ihren Instrumenten und machen Musik.

Isabelle Faust, Alexander Melnikov und Jean-Guihen Queyras bei einer TrioProbe in der Freiburger Musikhochschule.

Auch wenn die Künstler mit der Einspielung von zwei Beethoven-Klaviertrios erst kürzlich ihre erste offizielle Trio-CD vorgelegt haben, kennen sie sich schon lange. 2004 waren sie schon gemeinsam auf Isabelle Fausts Dvořák-CD zu hören, auf der die Geigerin das Violinkonzert mit dem Klaviertrio op. 65 kombinierte. Auch Jean-Guihen Queyras verband seine Einspielung des Dvořák-Cellokonzertes mit dem DumkyTrio. Für ihn ist das Ensemblespiel mit den Kollegen eine „ideale Balance zwischen Kopf und Körper. Ich mag unsere Arbeit am Klang, aber auch an der Konstruktion – das geht immer Hand in Hand. Wir schauen uns die Quellen an, sind

aber letztendlich nicht dogmatisch.“ Melnikov schätzt den besonderen Streicherklang der beiden. „Stilistisch durchaus unterschiedlich, aber sehr organisch. Und ich bin immer zu laut“, bemerkt er lachend. „Unser Trio ist für mich ein absoluter Glücksfall“, schwärmt auch Isabelle Faust. „Wir empfinden sehr ähnlich, sind aber schon unterschiedliche Charaktere – sonst würde das auch schnell langweilig werden.“ Was die drei noch miteinander verbindet ist ihre Erfahrung mit historischer Aufführungspraxis. Die Wahl des richtigen Instruments, bei den Streichern auch die Frage des Bogens und der passenden Saiten spielt für alle eine große Rolle. Auch für das Schumannprojekt war dieser Aspekt wichtig. Die große Tournee mit dem Freiburger Barockorchester mit Robert Schumanns Konzerten für Violine, Klavier und Cello unter dem Dirigenten Pablo Heras-Casado steht an. Parallel dazu erarbeiten sie die drei Klaviertrios des Komponisten. Auf den bei harmonia mundi erscheinenden CDs wird dann je ein Konzert mit einem Klaviertrio kombiniert. Alexander Melnikov hat für das Projekt einen originalen Érard-Flügel von 1837 (aus der Sammlung von Edwin Beunk, Enschede) gewählt, der genügend Klangvolumen besitzt. Isabelle Faust spielt ihre „Dornröschen“-Stradivari mit einem Tourte-Bogen. Auch Queyras hat wie die Kollegin Darmsaiten auf sein Instrument aufgezogen. An der Musik Schumanns gefällt den Künstlern die Mischung aus emotionaler Tiefe und anspruchsvoller Konstruktion. „Schumann bringt uns zum Nachdenken“, sagt Alexander Melnikov. „Man ist sich nie ganz sicher. Es gibt so viele Anspielungen. Die Musik ist manches Mal so intim, dass man fast eine Scheu davor entwickelt, so weit zu gehen wie der Komponist. Schumann vereint Extreme in sich – das ist ungeheuer faszinierend.“ 17 16


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Jean-Guihen Queyras und das FBO im Berliner Teldex-Studio bei der Aufnahme des Schumann Cellokonzerts.

Di – Fr 11– 17 Uhr, So und Feiertage 11–17 Uhr Eintritt frei Ein halbes Jahr später ist Jean-Guihen Queyras noch immer ganz erfüllt, wenn er an das Schumannprojekt denkt. „Meine Erwartungen wurden auf allen Ebenen noch übertroffen. Die Zusammenarbeit mit Pablo Heras-Casado war außergewöhnlich. Jedes einzelne Konzert wurde zu einem echten Ereignis. Und das Zusammenwirken mit Isabelle Faust und Alexander Melnikov gehört zu den eindrücklichsten künstlerischen Erlebnissen in meinem musikalischen Leben.“ Auch zwischen den Solokonzerten und den Klaviertrios entstanden für Queyras auf einmal klare Zusammenhänge. „Als wir uns nach der Konzertournee wieder verstärkt mit den Klaviertrios beschäftigten, war uns Schumanns musikalische Sprache viel klarer.“ Und auch von der grundsätzlichen Zusammenarbeit mit dem Freiburger Barockorchester zeigt sich Queyras begeistert. „Das ist eine Form von Demokratie, die musikalisch hervorragend funktioniert. Jeder und jede einzelne ist extrem präsent und wach. Gemeinsam entsteht dann etwas ganz Besonderes.“

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Was macht eigentlich Thomas Quasthoff ?

Im Januar 2011 waren Thomas Quasthoff und die Musiker des FBO noch gemeinsam aufgetreten: bei der Salzburger Mozartwoche, mit einigen Opernarien Joseph Haydns von ihrer gemeinsamen CD. Anfang 2012, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, beendete der Ausnahmesänger seine Gesangskarriere, und die gesamte Klassikbranche reagierte mit Erstaunen und Bedauern. Zweieinhalb Jahre später hat GEORG RUDIGER den contergangeschädigten Bassbariton in seinem Berliner Haus besucht. Er traf dabei auf einen entspannten, ehrlichen Künstler, der mit sich selbst im Reinen ist. Ein Gespräch über den Verlust seiner Stimme, den Reiz des Kabaretts und die fehlenden Visionen der Klassikbranche.

Wenn Sie an die Zeit vor ungefähr fünf Jahren zurückdenken, als Sie mit Liederabenden, Oratorien und Jazzkonzerten viel unterwegs waren – was hat sich im Vergleich zu heute verändert? Es ist eine große Ruhe in mein Leben gekommen. Viel weniger Druck, viel weniger lange Reisen. Wenn man das Glück und das Vergnügen hatte wie ich, in der oberen Liga zu singen, und das dann irgendwann nicht mehr tut, dann merkt man auch, wieviel Leistungsdruck damit verbunden war. Ich wollte immer mal Theater spielen, Lesungen halten und Kabarett machen. Diesen Wunsch erfülle ich mir jetzt. Es ist für mich sehr interessant, eine neue Seite des künstlerischen Berufes kennenzulernen.

Thomas Quasthoff und die Musiker des FBO kennen sich seit einer gemeinsamen Konzerttournee in Europa und den USA mit MozartArien im August 1999.

Was genießen Sie besonders an Ihrem Alltag? Mehr Zeit für Freunde und Familie zu haben. Gleich kommt ein Personal Trainer – auch dafür habe ich jetzt mehr Zeit. In meinen Spitzenzeiten war ich über zweihundert Tage im Jahr unterwegs, was für mich ja mit besonderen Anstrengungen verbunden ist. Die Distanzen sind nun sehr viel kürzer geworden. Ich reise nicht mehr nach Japan, Russland oder USA. Jetzt bleibe ich im deutschsprachigen Raum. Mit Cornelius Meister und dem ORF-Radio-Symphonieorchester Wien mache ich Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“, mit dem Wiener Kammerorchester „Peter und der Wolf “. Mit Sprache umzugehen, Texte zu gestalten – das sind ja meine ureigenen Wurzeln aus meiner Zeit als Nachrichtensprecher beim Rundfunk. Das tun zu dürfen mit weniger Stress als früher, ist sehr angenehm. Man kann auch mal abends ein Glas Rotwein trinken, ohne am nächsten Morgen ein schlechtes Gewissen zu haben. Man hat ja eher seine Stimme getestet als seinen Lieben einen guten Morgen gewünscht – so war das ja noch vor wenigen Jahren.

Was vermissen Sie? Nichts. Wirklich? Vielleicht ein wenig den Umgang mit netten Kolleginnen und Kollegen. Ich bin wirklich ohne jede Verbitterung gegangen. Es gab einen familiären Grund. Mein Bruder ist gestorben. Ich habe mit seiner Diagnose – er war unheilbar an Lungenkrebs erkrankt – meine Stimme verloren. Wir hatten eine außergewöhnlich enge Beziehung und sehr viele Interessen miteinander geteilt. Das war schon ein extremer Einschnitt in meinem Leben. Nachdem ich gespürt habe, dass ich stimmlich nicht mehr zu den hundert Prozent komme, war die Entscheidung klar, meine Gesangskarriere zu beenden. Darauf bin ich auch ein wenig stolz. Rechtzeitig den Absprung zu schaffen, ist als Sänger ja nicht einfach. Überraschend und aufwühlend war Ihr Rücktritt trotzdem. Das hat man an den Reaktionen in der Musikwelt gemerkt. Dass mein Rücktritt in den 8-Uhr-Nachrichten vermeldet wurde, fand ich dann schon sehr okay (lacht). Natürlich gehört auch ein gewisses Maß an Eitelkeit zum Sängerdasein dazu. Aber Sänger ist letztendlich ein Beruf wie Bäcker oder Jurist. Diese Überhöhung des Singens hat mich immer schon gestört. Als Konzertsänger habe ich alles erreicht, was man erreichen kann. Da muss ich niemandem mehr etwas beweisen. Ich fände es auch ziemlich gruselig, wenn ich mich nur über meine Gesangsstimme definieren würde.

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Am Berliner Ensemble stehen Sie in Shakespeares „Was Ihr wollt“ auf der Bühne. Wie sind Sie zu dieser Rolle gekommen? Nichts von dem, was ich im Augenblick tue, ging von mir aus. Ich wurde immer gefragt. Bei „Was Ihr wollt“ fragte mich die Regisseurin Katharina Thalbach, mit der ich gut befreundet bin, ob ich den Narr spielen wolle. Meine Bedingung war nur: Ich wollte nicht nackt sein und auch keine Schweinigeleien auf der Bühne machen müssen. Das weiß man ja bei Katharina nie. Und dann nahm das seinen Lauf. Sie hat eine sehr schöne Form gefunden, mich szenisch einzubinden. Singen darf ich da übrigens auch viel in dieser Rolle. Mit dem Kabarett war es genauso. Da wurde ich von Michael Frowin gefragt, mit dem ich dann zusammen das Programm „Keine Kunst“ erarbeitet habe. Hat das alles gut funktioniert? Ich sage nichts zu, von dem ich nicht auch definitiv weiß, dass ich das kann. Dafür ist mir meine Reputation auch zu wichtig. Es wird sicherlich Leute geben, die beim Kabarett gedacht haben: Muss er das jetzt auch noch machen? Das ist dann aber eher ein Problem der Menschen, die einen gerne in eine bestimmte Schublade stecken möchten. Ich habe immer eine große Affinität zu literarischem Kabarett gehabt. Und hatte schon während meiner Studienzeit ein kabarettistisches Soloprogramm mit Klavier. Ich genieße beim Kabarett, nah beim Publikum zu sein und spontan reagieren zu können. Das ist ganz anders als in der klassischen Musik, wo alles ja doch sehr in Formen gepresst ist und manchmal auch etwas althergebrachten Mechanismen folgt. Da steht jemand im Frack und singt ehrfurchtsvoll, fast sakral seine Kunstlieder. Ob das heute noch zeitgemäß ist? Ich mache mit Florian Bösch und Michael Schade literarische Liederabende, bei denen ich lese. Diese Verbindung von Musik und Literatur finde ich sehr interessant. Ihr nächstes Projekt ist die Sprechrolle des Bassa Selim in Mozarts „Entführung aus dem Serail“ im Festspielhaus Baden-Baden. Was verbinden Sie mit dem Festspielhaus? Ich verbinde damit hauptsächlich die Person Andreas Mölich-Zebhauser. Als er im Sommer 1998 die Intendanz in dem hochverschuldeten, frisch eröffneten Haus übernahm, sagte er zu mir, er könne mir nicht die Gagen zahlen, die ich woanders bekäme. Aber sobald er schwarze Zahlen schreibe, würde er das Honorar erhöhen – und mir so lange die Treue halten. Genauso ist es passiert. Ich habe im Festspielhaus viele Liederabende und Konzerte machen können. Auch mit meinem Jazz- und Soulprogramm war ich zu Gast – und habe ja auch den Herbert-von-Karajan-Preis verliehen bekommen. Man kommt als Künstler sehr gerne in dieses Haus, weil hier ein Geist weht,

den es nicht überall gibt. Ob das die Presseabteilung ist oder die Dramaturgie – man fühlt sich sehr wohl. Die Berliner Philharmoniker haben sich die Entscheidung für Baden-Baden gewiss auch sehr gut überlegt, als sie von Salzburg weggegangen sind. Die gastfreundliche Atmosphäre im Haus hat hier bestimmt auch eine Rolle gespielt. Ist Bassa Selim für Sie ein wahrer Humanist oder doch eher ein sanfter Despot? Er droht ja der gefangenen Konstanze Gewalt an. Man muss das Stück natürlich aus der Zeit heraus verstehen. Ein Demokrat ist Bassa Selim aber sicherlich nicht in seinem Serail. Dieser Herrscher ist schon auch ein bisschen böse. Letztendlich siegt dann die Vernunft. Ich werde den Bassa aber gewiss nicht nur als netten Brummbass geben. Mozart hatte die Rolle ja ursprünglich als Gesangspartie für den Tenor Ignaz Walter geplant, der allerdings entlassen wurde. Wie wirkt die Sprechrolle nun im Stück? Komischerweise erhält die Rolle gerade dadurch, dass nicht gesungen wird, eine größere Bedeutung. Ich freue mich einfach, dabei zu sein, weil ich auch die Besetzung ausgezeichnet finde. Mit Diana Damrau und Rolando Villazón bin ich gut befreundet. Anna Prohaska ist an der Hanns Eisler Musikhochschule in Berlin auch kurz mal durch meine Hände gegangen. Ganz besonders freue ich mich auf den Dirigenten Yannick NézetSéguin, den ich schon seit geraumer Zeit verfolge. Das ist wirklich ein Stern am jüngeren Dirigentenhimmel, der eine große Ausstrahlung hat und enorme fachliche Kompetenz mitbringt. Außerdem liebt er Fußball. Das finde ich schon mal sehr symphatisch (lacht). Sie hatten immer schon eine gewisse Distanz zum Musikbetrieb. Schauen Sie jetzt noch distanzierter darauf, weil Sie nicht mehr so intensiv damit zu tun haben wie früher? Das Musikgeschäft hat sich sehr verändert im Laufe der letzten dreißig Jahre. Es ist viel mehr Show geworden. Das sehe ich auch bei meinem Label Deutsche Grammophon, das mich seit 1999 als Exklusivkünstler unter Vertrag hat. Vor allem der frühere Leiter Martin Engström, der dem Verbier Festival vorsteht, war noch ein Visionär, der junge Leute zum Label geholt hat, um sie in Ruhe aufzubauen. Heute laufen neben großartigen Künstlern wie Bryn Terfel auch Sängerinnen herum, die vor zehn Jahren nicht die Hacken ihrer Pumps in die Tür der Deutschen Grammophon bekommen hätten. Gutaussehend, coverfähig – das ist heute wichtig. Es geht nicht mehr um Visionen oder Programme. Es regiert die Quote. Mit künstlerischen Ideen hat das sehr wenig zu tun. 23 22


Ohne Worte

Bei der CD-Aufnahme von Haydn-Arien im Rosbaud-Studio: Gottfried von der Goltz und Thomas Quasthoff im Juli 2008.

Hat das Auswirkungen auf das Niveau? Schauen Sie sich doch einmal die gesundheitlichen Anfälligkeiten von Sängerinnen und Sängern an. Das hat ja Gründe. Der Druck wird immer größer, die Leistungsdichte immer höher. Und auf der anderen Seite wird in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern ein Theater nach dem anderen zugemacht. Die wenigen, die es wirklich schaffen wie eine Diana Damrau, die ihre Bodenständigkeit nie verloren hat, sind Ausnahmen. Die Mühle Konzertbetrieb zehrt. Man muss Nein sagen können – das Wort fehlt bei vielen meiner Kollegen im Wortschatz. In dem berührenden Dokumentarfilm „The Dreamer“, den Michael Harder über Sie gedreht hat, sagen Sie, Ihr Beruf sei Sänger: „Ein Sänger, der behindert ist.“ Was ist jetzt Ihr Beruf ? Künstler. Vielseitig interessierter Künstler. Ich habe immer viel mit Kunst, Malerei, Literatur zu tun gehabt. Der Sohn von Georg Baselitz war bei mir auf dem Gymnasium. Ich liebe es wirklich, mit Sprache umzugehen. Ich war ja nie ein Nurschönsänger. Mir waren Farben im Gesang immer sehr wichtig. Das versuche ich, auch beim Lesen zu beherzigen. Sie haben in der Vergangenheit schon öfters den Satz gesagt: Ich bin ein glücklicher Mensch. Wenn ich mir Sie so anschaue und anhöre, dann ist diese Einschätzung heute immer noch richtig, oder? Mehr denn je. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich – wenn mein Bruder noch da wäre, wäre mein Glück noch größer. Wir hätten noch viele schöne Sachen miteinander machen können. Er war für mich Lehrmeister und auch ein menschliches Vorbild. Er fehlt. Aber mit meiner wunderbaren Frau und meiner

Stieftochter an meiner Seite geht es mir sehr gut. Wir haben keine finanziellen Sorgen und wohnen hier in Zehlendorf wunderbar ruhig. Das genieße ich alles sehr. Eine letzte Frage. Sie haben so viel kämpfen müssen, um singen zu dürfen. Ich habe Sie mit Ihrem Soulprogramm in Baden-Baden erlebt, wie Sie ganz in der Musik aufgegangen sind und mit Ihrer Stimme Emotionen direkt ins begeisterte Publikum schickten. Fehlt Ihnen das nicht? Ist es nicht ein Schmerz, wenn man diese musikalischen Glücksmomente auf der Bühne nicht mehr hat? Sie wollen mich da gerne hinhaben (lacht). Schauen Sie: Meine Texte wie ein Schauspieler zu gestalten, ist letztendlich dasselbe, was ich vorher gemacht habe – nur ohne Musik. Im Berliner Ensemble singe ich ja auch. Aber das ist viel entspannter. Auch das Unterrichten erfüllt mich sehr. Als Sänger wird man alt, als Lehrer gewinnt man jeden Tag an Erfahrung. Im August machen wir zwei Wochen am Stück Ferien, ohne dass ich noch nebenbei etwas tun muss. Das gab es noch nie.

FBO-Tourmanager Stefan Lippert „interviewt“ am 12. Februar 2014 hinter der Bühne der Kyoto Concert Hall den Hornisten Gijs Laceulle.

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„FBO for families“: Das erste Familienkonzert im Ensemblehaus

Seitdem es für die Musiker vom FBO das Ensemblehaus gibt, veranstalten sie zweimal pro Saison ein Jugendkonzert. Im November 2014 kam nun erstmals ein neues Format für kleinere Kinder und Schüler dazu. Zusammen mit der Schauspielerin Petra Gack erzählte eine siebenköpfige Musikerschar die Geschichte von Don Quichotte, dem Ritter von der traurigen Gestalt. Mit der Geschichte von Cervantes und der Telemann-Suite „Bourlesque de Quichotte“. Dabei stellten die Musiker den Kindern ihre Instrumente vor, die sie nach dem Konzert auch ausprobieren durften.

Zuhören, Instrumente erklärt bekommen und selbst ausprobieren...

Ein Halbkreis aus sitzenden Musikern, aber die Flötistin Daniela Lieb ist angezogen wie aus einer anderen Zeit. Sie verkörpert ein Bindeglied zwischen zwei Welten – dem Musiker-Ensemble an der rechten und dem schönen Fauteuil an der linken Seite, auf der zu Beginn eine andere verkleidete Person schlummert: Don Quichotte (die Schauspielerin Petra Gack). Mit dem zerstreuten Don Quichotte träumt sie als Diener Sancho Pansa von fernen Ländern und Abenteuern, und mit den Kollegen spielt sie die einzelnen Sätze aus Georg Philipp Telemanns Orchestersuite: „La reveil de Quixotte“, „Son attaque des Moulins à Vent“… Aus dem lebhaften Wechsel zwischen szenischem Spiel und bildhafter Musik entsteht eine mitreißende Geschichte, in deren Verlauf die Musiker sogar noch ihre Instrumente vorstellen. Die Kinder sind begeistert. Fast jedes möchte anschließend ein Instrument ausprobieren, mit den Musikern reden, die Schau-

spielerin kennenlernen. Die Grenzen zwischen Aufführen und Ausprobieren, Unterhaltung und Unterweisung verschwimmen. Am Ende sind alle glücklich: Kinder, Musiker, Eltern, Lehrer. Von Christine Löbbert, (blinde) Lehrerin an der Schule für Hörgeschädigte in Stegen und treue FBO-Konzertgängerin, trifft nach dem Konzert eine bewegende E-Mail im Orchesterbüro ein, die zeigt, dass die Musiker mit ihrem Familienkonzert einen Nerv getroffen haben: „Nun sind schon fast zwei Wochen seit dem Konzert vergangen, aber die Eindrücke sind noch so lebendig, dass ich den Feiertag nutzen will, um mich doch noch bei Euch zu melden. Schon die Konzertankündigung löste bei uns an der Schule eine große Diskussion aus. Die Gymnasialkollegen waren gegen den Besuch des Konzerts, da unter Umständen wichtiger Unterricht ausfallen könnte. Die Kollegen der Förder- und

Hauptschule waren der Ansicht, dass diese Schülerklientel keinen Telemann hören müsste und die Figur des Don Quichote im Bildungsbürgertum beheimatet sei. Der ersten Gruppe setzte ich entgegen, dass ich davon ausgegangen sei, dass sich das Gymnasium dem Humboldtschen Bildungsideal verschrieben habe. Der anderen Gruppe warf ich vor, Bildungsreserven auf diese Weise ungenutzt zu lassen. Ich sah es positiv und begrüßte diese plötzlich entflammte Bildungsdebatte. Mit den Schülern hatte ich deutlich leichteres Spiel. Sie waren offen für alles und freuten sich auf ein gemeinsames Erlebnis. Sie bekamen eine richtige Eintrittskarte, zogen sich ordentlich an und erlebten alle zusammen, vom Förderschüler bis zum Gymnasiasten, ein Konzert. Nach dem Konzert erkundigte ich mich bei den Hauptschülern, wie es ihnen gefallen habe. Die kleinen Fünftklässler strahlten vermutlich von einem

Ohr zum anderen. Es sei so wunderschön gewesen. Von den Förderschülern weiß ich, dass sie danach die Bühne stürmten, um das Cembalo anzusehen. Ich saß neben coolen Siebtklässlern, die unablässig vor Vergnügen kicherten. Ihre Klassenlehrerin erzählte später, dass sie in warmen Worten über das Konzert gesprochen hätten. Diese Kinder- und Jugendkonzerte erfordern Aufwand und die Bereitschaft, auf ein Konzertpublikum zuzugehen. Das ist vermutlich nur möglich, weil diese Bereitschaft offensichtlich auf allen Ebenen des Orchesters vorhanden ist. Dass es auch etwas eine Notwendigkeit ist, ist die traurige Wahrheit des heutigen Konzertbetriebs, aber wer weiß, wohin dieser Weg führen kann, wenn Orchester und Musikvermittler Hand in Hand arbeiten. Dass Ihr heiße Verehrer an einer Schule für Hörgeschädigte habt, ist meiner Ansicht nach schon ein schöner Erfolg.“ 27 26


Vom Blatt gelesen: „Herr Mozart wacht auf “

Wie es sich vielleicht anfühlen könnte, einem der musikalischen Hausgötter aus dem 18. Jahrhundert in der heutigen Zeit zu begegnen, erzählt das fulminante Debüt von Eva Baronsky, die mit der Handlung ihres Romans „Herr Mozart wacht auf “ ein großes Risiko eingeht. Denn die Verpflanzung eines Genies aus dem 18. Jahrhundert in die heutige Gegenwart kann schnell Gefahr laufen, sich zu erschöpfen, zu konstruiert oder sogar banal zu wirken. Doch hier ist die literarische Gratwanderung gelungen: Mit eleganter Feder hat die Autorin ein atmosphärisches Kammerspiel komponiert, das dem Leser in seiner vielschichtigen Bezüglichkeit auch einiges über sich selbst verrät.

Wolfgang Amadé Mozart wacht auf. In Wien. Allerdings im Jahr 2006. Kurz zuvor, im Dezember 1791, lag er noch im Sterben… Für ihr Debüt „Herr Mozart wacht auf “ hat sich die Autorin Eva Baronsky eine ungewöhnliche Perspektive ausgewählt. Eingeleitet wird der Roman durch ein „Präludium“, in dem Mozarts letzte Minuten auf dem Sterbebett geschildert werden. Im ersten Kapitel – das mit „Requiem“ überschrieben ist – wacht Mozart wieder auf, und da dem Leser seine überraschten Eindrücke ungefiltert vermittelt werden, braucht er eine Weile, um zu verstehen, dass sich der Komponist in der heutigen Zeit befindet – was sich Mozart logischerweise nicht so schnell erklären kann. Von diesem Wissensgefälle zwischen Protagonist und Leser lebt das Buch. Zugleich ist es anrührend zu erleben, wie sich Mozart mit den vollkommenen neuen Gegebenheiten in seiner einstigen Wohnstadt Wien arrangiert. Mozart wacht also auf, und zwar in einer Wohngemeinschaft, deren Bewohner ihn (so reimt man es sich lesend zusammen) wohl auf der Straße aufgelesen, mit nach Hause genommen und dort ins Bett einer abwesenden Mitbewohnerin gelegt haben (wie es eben so läuft in einer WG…). Noch ganz erfüllt von seiner Sterbestunde, wähnt er sich im Jenseits. Da er im Zimmer Papier und Schreibzeug erblickt (einen „Bleyweißstift aus lackiertem Holz“ und ein ihm unbekanntes Schreibgerät, das über einen unerschöpflichen Vorrat an Tinte zu verfügen scheint) und geistig und musikalisch noch immer in seinem letzten, unerfüllten Kompositionsauftrag – dem Requiem – steckt, geht er davon aus, es hier und nun vollenden zu müssen. „Er nickte unwillkürlich. Wer auch immer ihn hierhergebracht haben mochte, zeigte überdeutlich, was er von ihm erwartete: dass er sein letztes Werk, sein Requiem, nun vollende, sei dieser Ort ein Schon, ein Noch oder ein

Dazwischen. […] Sollte jener Herr, der ihm unlängst den Auftrag für dieses Werk überbracht hatte, doch ein Todesengel gewesen sein? Constanze hatte ihn einen Narren gescholten, als er in dem hochgewachsenen, stattlichen Mann mit dem dunklen Gewand den Erzengel Michael erkannt hatte.“ Mozarts Requiem ist das Leitmotiv der Geschichte, die sich übrigens in einem Zeitraum von genau einem Jahr abspielt: vom 5. Dezember 1791/2006 bis zum 5. Dezember 2007; Mozarts Todestag bildet also die zeitliche Klammer der Ereignisse. Auch die Struktur des Romans folgt der des Requiems, die einzelnen Kapitel sind mit den Satzbezeichnungen der Totenmesse überschrieben. Den Hinweis auf den mysteriösen Auftraggeber, der vom kranken Mozart damals für den Erzengel Michael gehalten worden war, nimmt Eva Baronsky im letzten Kapitel, kurz vor dem beschließenden „Postludium“ (in dem Mozart erneut in seiner Zeit und auf seinem Sterbebett liegt), wieder auf und vollendet damit souverän die komponierte Bogenform des Romans. Mozart, der lange versucht hat, unter dem Namen Wolfgang Mustermann in Wien zurecht zu kommen (da er fühlt, dass ihm niemand seine wahre Identität glauben würde), ist am Ende in einer geschlossenen Anstalt gelandet, da er auf dem Passamt, wo er sich für eine Konzerttournee einen Ausweis besorgen muss, schlussendlich doch sein Inkognito gelüftet hat. In einem Nebenstrang der Handlung ist der Kompositionsprofessor Michaelis an einige der Notenblätter bekommen, auf denen Wolfgang sein Requiem weiter komponiert hat. Er fahndet nach dem genialen Vollender, den er für „noch besser als Mozart selbst“ hält, und findet ihn dort. „Erneutes Pochen. ‚Herein!‘ Er drehte den Kopf zur Tür, ein Lichtstrahl tat sich auf, wurde breiter, und die stattliche Silhouette eines Mannes im langen Mantel erschien. ‚Herr Mustermann?‘ 29 28


‚Vielleicht‘, antwortete Wolfgang mokant. ‚Vielleicht auch nicht.‘ Er tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe. ‚Herr Mustermann.‘ Mit gewichtigen Schritten trat der andere ins Zimmer, blieb stehen, sah Wolfgang an, als erwarte er, erkannt zu werden. Silbergraues Haar fiel ihm auf die Schultern. ‚Endlich habe ich Sie gefunden!‘ Jäh saß er kerzengerade in seinem Bett. ‚Wer… wer seid Ihr?‘ ‚O Verzeihung – wie unhöflich von mir. Michaelis mein Name.‘ ‚Wah!‘ Mit einem Aufschrei riss Wolfgang sich die Bettdecke vor das Kinn. Der Erzengel Michael!“ Zwischen diesem subkutanen Bezug liegen 300 Seiten auf denen Wolfgang und das 21. Jahrhundert aufeinander treffen: komisch, tragisch, ironisch, zärtlich und vor allem geistreich. Eindeutig unterlegt Baronsky dem gesamten Roman das berühmte Briefzitat, in dem Mozart schreibt „dass ich sozusagen in der Musik stecke – dass ich den ganzen Tag damit umgehe – dass ich gern speculiere, studiere – überlege“. Denn ihr Mozart bezieht alles, was er sieht und hört, auf Musik. Vor allem sucht er stets, mit diesem ständigen Musikbezug sich die ihn umgebende Welt zu erklären, was – bezogen auf die heutige Zeit – zu komischen Resultaten führt, etwa, wenn er die Telefonnummer zukünftiger „Clavierscolarinnen“ (was um alles in der Welt sollte auch ein Telefon sein?!) als Zahlenchiffre für ein musikalisches Rätsel nimmt und aus ihr eine neue Klaviersonate entwickelt. Sicherlich hilft es ungemein, dass die anbrechende Neuzeit Ende des 18. Jahrhunderts schon vieles entwickelte und auf den Weg brachte, von dem wir technisch noch heute zehren. Außerdem war der wirkliche Mozart in seiner Zeit neuen Erfindungen gegenüber aufgeschlossen. Und so ist er zum Beispiel im Roman in der Lage, sich (nach erstem Schrecken) einen CD-Spieler zu erklären: „‚Huch! Wer spielt?‘ Wolfgang sah sich mit großen Augen im Zimmer um. Vor Schreck wäre ihm fast der Becher aus der Hand geglitten, als auch die zweite Violine einsetzte. Piotr warf ihm ein flaches Kästchen zu. ‚Kleine Kammerorchester aus Moskau‘, antwortete er gleichgültig. ‚Ich – sehe – kein Orchester‘, flüsterte Mozart. Er starrte Piotr an, drehte angstvoll das Kästchen in seinen Händen, es sah aus wie aus Glas, war aber federleicht. Piotr lachte, goss sich Kaffee nach. […] Auch wenn ein ganzes Ensemble spielte – mittlerweile hatten noch Bratschen und zwei Violoncelli eingesetzt –, so kamen die Töne doch aus einer einzigen Richtung. Dann hielt er inne. Natürlich! Das hätte ihm gleich einfallen müssen, wieder war es ein Mechanikum, das ihn zu narren suchte. Mozart freundet sich mit Piotr an, einem geigenden Straßenmusiker, der den in seinen Augen Exzentrischen aber zugleich genialen Pianisten bei sich zuhause aufnimmt („Komische Vogel. Aber immer wenn ich höre Musik von Wolfgang, denke

ich, ist er kleine Bruder von liebe Gott.“) und mit ihm in Restaurants und Kneipen auftritt. Außerdem erobert sich Wolfgang das Blue Note, einen Club, in dem er bald regelmäßig als improvisierender Pianist, auch mit anderen Jazzmusikern (in einer Jamsession), auftritt. Dass Baronsky Mozart nicht zu einem oberflächlichen Popstar werden, sondern als genialen Improvisator im Jazzmilieu wiederauferstehen lässt, ist ein gelungener Kunstgriff, der musikalische Wirkung (die Umwelt ist von ihm begeistert) mit künstlerischem Anspruch verbindet. Wieder kommt einem dabei ein Zitat aus einem Mozart-Brief in den Sinn, der diese moderne Transformation des Wiener Klassikers legitimiert: „denn ich kann so ziemlich […] alle art und styl von Compositions annehmen und nachahmen.“ (7. Februar 1778) Wie der wirkliche Mozart reagiert der Komponist im Roman geistesgegenwärtig auf die für ihn ungewöhnlichsten Situationen. Außerdem kann er nicht mit Geld umgehen, vergisst Verabredungen (z. B. Engagements mit Piotr) und liebt komische Reime, Wortspiele. Er ist im zwischenmenschlichen Umgang oft schüchtern, sprunghaft, doch am Klavier, in der Musik selbst wird er ein anderer. Baronsky versteht sich sehr gut auf die anschauliche und atmosphärisch berührende Beschreibung von klingender Musik, und nicht von ungefähr landet Mozart mit einer französischen Saxofonistin in ihrem Hotelbett, nachdem er ihr in einer gemeinsamen, traumwandlerischen Jazzimprovisation musikalisch näher gekommen war. Selbst kleinste Details stimmen, etwa wenn sich Mozart zum ersten Mal an einen modernen Flügel setzt, einen Akkord anschlägt, die perfekte Mechanik, den strahlenden Klang bewundert und zugleich feststellt, dass in der heutigen Zeit die Flügel höher gestimmt sind... Ein wenig störend sind die längeren Briefe, die Baronsky im Mozarttonfall ihrem Protagonisten in die Feder legt, denn natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte in Herr Mozart wacht auf. Aber dieser Kritikpunkt ist unerheblich, ist ihr doch mit diesem sprachmächtigen, feinsinnigen und anrührenden Buch ein fulminantes Debüt gelungen. Gerade die unvoreingenommene Betrachtung unserer eigenen Zeit und Zustände durch die musikalischen und geistig wachen Augen eines „Herrn Mozart“, der sich zugleich die Naivität eines Kinds bewahrt hat, bringt uns Leser dazu, uns selbst und unsere Umgebung ebenfalls mit anderen Augen zu sehen. So etwas neben einer obendrein noch gut erzählten Geschichte zu schaffen, ist wahrhaftig keine kleine Leistung.

Klangspiegel: Die neueste CD vom FBO in der Presse

harmonia mundi France HMC 902176.77

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Bachs berühmte sechs „Brandenburgische Konzerte“ lassen sich mit Fug und Recht als ein Kompendium des barocken Gruppenkonzerts bezeichnen. In ihnen schöpft der Komponist nahezu jede mögliche Besetzungskombination aus: Hörner, Violino piccolo und Oboen (erstes), Holzblas-, Blechblas- und Streichinstrumente (zweites), „moderne“ Streicherfamilie (Geigen, Bratschen, Celli im dritten), Geige und Blockflöten (viertes), Traversflöte, Cembalo und Geige (fünftes) und „moderne“ versus „alte“ Streicher (Bratschen versus Gamben). Nach vielen Jahren und zahlreichen Konzerten mit dieser wunderbaren Musik haben die Musiker des FBO sie nun für harmonia mundi France auf einer Doppel-CD eingespielt, die am 14. Februar 2014 erschienen ist.

Ein samtiger, dunkel schimmernder und weit ausschwingender Klang ist das erste, was einem ins Ohr fällt, wenn man die neueste Aufnahme des Freiburger Barockorchesters in den CD-Spieler legt. Grund dafür ist der tiefe, französische Stimmton von A = 392 Hz, für den sich die Musiker bei dieser Aufnahme entschieden haben. Das hat natürlich historische Gründe, denn am Hof von Anhalt-Koethen, wo Bach zwischen 1717 und 1723 als Hofkapellmeister von Fürst Leopold wirkte, war dieser Stimmton üblich. Ihn dürfte der spätere Thomaskantor auch im Ohr gehabt haben, als er 1721 die in Koethen komponierten sechs Konzerte für den Markgrafen von Brandenburg (eigentlich „von Schwedt“) in die Reinschrift einer Widmungspartitur brachte. In Besprechungen der CD-Aufnahme spielt gerade dieser Stimmton eine entscheidende Rolle. Die Kleine Zeitung aus Wien sieht beispielsweise in ihm den Hauptwesenszug eines besonderen und zugleich natürlichen Charakters der Interpretation durch die Freiburger: „Das Klangbild wirkt ungewöhnlich. Weil das Freiburger Barockorchester sich für einen tiefen ,französischen‘ Stimmton von 392 Hertz entschieden hat, an dem sich die Köthener Hofmusiker orientiert hatten, klingen die Streicher wärmer und entspannter, aber auch etwas weniger brillant. Das trägt aber wesentlich zur Natürlichkeit bei, die ihr nie manieriert wirkendes Musizieren auszeichnet“, schreibt Ernst Naredi-Rainer über die Aufnahme. Das FONO FORUM verortet in der Wahl des Stimmtons sogar Anzeichen für eine neue Gelassenheit im Orchester, die dennoch nicht auf Pep und Brillanz in den schnellen Sätzen der Konzerte verzichten möchte: „Der tiefe Stimmton von 392 Hz sorgt für einen wunderbar warmen Klang in den Streichern, mit dem sich die Freiburger wohltuend von manchen eher spröde tönenden Alte-Musik-Kollegen abheben. Ebenfalls

harmonisch präsentiert sich das Freiburger Ensemble in der Wahl der Tempi. Die Ecksätze haben mehr Energie und Drive als die oft feierlich und erhaben interpretierten Allegri des Bach Collegiums unter Masaaki Suzuki, klingen jedoch nicht so getrieben wie bisweilen bei Siegbert Rampe (La Stravaganza) oder J. E. Gardiner (English Baroque Soloists); auch die langsamen Sätze sind durchpulst und ohne jegliches falsches Pathos gestaltet. […] Alles hat natürlichen Fluss.“ (Mario-Felix Vogt) Dem Rezensenten der Neuen Zürcher Zeitung enthüllt der Klang der Freiburger Einspielung viel Neues in den doch eigentlich so hinreichend bekannten Werken: „Aufgrund der veränderten Tonhöhe entdecken die Musiker in den Brandenburgischen Konzerten neue klangliche Facetten. Überzeugend wirkt die Gestaltung von Tempo und Dynamik. Während andere Aufnahmen vor allem den konzertanten Effekt herausstreichen, bevorzugen die Freiburger fließende Tempi und eine subtile Tongebung.“ Seine Besprechung schließt mit den Worten „grandiose Musik, die Kühnheit mit einem schier unglaublichen musikalischen Reichtum verbindet.“ Und Reinhard J. Brembeck von der Süddeutschen Zeitung sieht die Interpretation von Bachs Musik im tiefen Stimmton sogar als Verstärkung der ihr innewohnenden, spekulativen Kraft des Meisters: „In solcher Tiefe oszilliert und schillert Bachs Musik ganz ungewohnt, sie nimmt raumfüllende Dimensionen an und unterstreicht so den spekulativen Gedanken, der seinen Werkzyklen zugrunde liegt: Der Versuch, Gottes Schöpfung eine gleichwertige an die Seite zu stellen.“ Wie bewerten die Kritiker die solistischen Leistungen in den „Brandenburgischen Konzerten“ aus Freiburg? Immerhin haben sich die Musiker auch bei dieser Aufnahme an ihre Haustradition gehalten und sämtliche Solopartien mit eigenen

Kräften besetzt. Das bleibt auch nicht unbemerkt und findet vor allem in der Kritik vom Norddeutschen Rundfunk prominente Erwähnung: „Das Freiburger Barockorchester geht einen anderen Weg: Seine neue Aufnahme der Brandenburgischen Konzerte kommt zu großen Teilen ohne dazu gekaufte Solisten aus. Und auch der Interpretationsansatz ist ein anderer. Gekämpft wird hier mit harten Bandagen: Die zwei Hornisten lassen sich offenbar nicht gerne in ihr Spiel hineinreden. Kraft- und lustvoll schmettern sie ihre Töne. Es sind schließlich Signalinstrumente. Schon im ersten Brandenburgischen Konzert machen die Freiburger klar: Wir wollen keine glatte Hochglanz-Platte produzieren, sondern den berühmten Konzerten unseren ganz eigenen Stempel aufdrücken. Das fünfte Brandenburgische Konzert klingt wie ein Stück Kammermusik. Die Musiker des Freiburger Barockorchesters besetzen neben den Solisten auch das Tutti einfach. Dadurch wirkt das ganze Konzert luftig und transparent. Man hört jeden einzelnen Spieler mit den anderen lebhaft konzertieren; niemand kann sich hinter dicken Klangwolken verstecken. Mit einem anderen Effekt arbeiten die Musiker im vierten Konzert, dem mit den zwei Blockflöten und der Solo-Violine. Irgendwo im Hintergrund ist die Solistengruppe angeordnet, die übrigen Musiker befinden sich direkt an den Mikrofonen. Ungewöhnliche Klangmischungen entstehen, wenn die fernen Solisten zusammen mit dem nahen Orchester musizieren. Eine kreative Idee, an deren Umsetzung man sich aber erst einmal gewöhnen muss. Wie die Flötisten stammen die Solisten der anderen Konzerte überwiegend aus den Reihen des Orchesters. Und sie meistern auch die virtuosen Teile mit Bravour.“ Eine Besetzung im Kollektiv, die mehr auf Ensembleklang als auf solistische Virtuosität setzt, ist für Bernhard Schrammek im Kulturradio des rbb sogar essentiell für eine musikalisch wie historisch überzeugende Interpretation der „Brandenburger“: „Stilistisch gehören die Brandenburgischen Konzerte der besonders in Deutschland populären Form des ‚Gruppenkonzerts‘ an. In dieser auch von Telemann, Heinichen und Fasch praktizierten Gattung werden verschiedene Soloinstrumente miteinander

kombiniert und damit innerhalb eines Konzerts ganz unterschiedliche Klangfarben erzeugt. In der Neuaufnahme durch das Freiburger Barockorchester fühlt man sich dieser Gattungszuordnung näher, da der Gruppengedanke im Vordergrund steht und sich die Soloinstrumente stärker in den Gesamtklang einfügen.“ Markus Thiel vom Münchner Merkur stößt ins gleiche Horn: „Das Freiburger Barockorchester beweist, dass Virtuosität und Brillanz nicht alles ist. Sicherlich gibt es da in den musikantischen Passagen Überrumpelndes. Doch da ist noch anderes: Der Klang hat eine Substanz und Tiefe, vor allem aber eine herbe Schönheit, die vielen anderen Ensembles fehlt. Selbstbewusste, hochkollegiale Solisten pflegen den geschmack- und temperamentvollen Diskurs – was für ein Hörgenuss.“ Nicht nur deutschsprachige Kritiker sind überzeugt von der Aufnahme. Stellvertretend für viele Rezensenten lassen wir hier Andrew Clark von der Financial Times zu Wort kommen: „After their superlative recording of Bach’s Orchestral Suites two years ago, it was only a matter of time before the Freiburgers turned to the Brandenburg Concertos, and again they come up trumps, with performances blending tradition and historicity, ensemble virtues and solo virtuosity. […] I warmed immediately to the Freiburgers’ engagement with the music’s breadth and scale, refusing to squash it in a breathless blaze of ‘period’ mannerisms. But they bring a clarity of articulation and rhythmic verve that tops that of their distinguished predecessors: you feel the zing of jubilant repartee as multi-layered lines are traded and interwoven within this conductor-less ensemble. That’s authenticity.” Natürlich gibt es auch Vorbehalte. In der ZEIT vom 27. November vergleicht Volker Hagedorn die Aufnahmen von Concerto Köln und Freiburger Barockorchester miteinander (wobei ihm erstere eine Spur besser gefällt) und konstatiert: „Concerto Köln und das Freiburger Barockorchester machen bei Bachs ‚Brandenburgischen Konzerten‘ alles richtig. Aber warum heben sie so selten ab?“ Über Geschmack lässt sich einfach nicht streiten…

Anspielprobe mit dem 5. Brandenburgischen Konzert vor einem der „Releasekonzerte“ der neuen CD in Japan. 33 32


IMPRESSUM Herausgeber: Freiburger Barockorchester GbR Hans-Georg Kaiser, Intendant und Geschäftsführer Telefon: +49 761 7 05 76-0 Telefax: +49 761 7 05 76-50 info@barockorchester.de www.barockorchester.de Redaktion und Texte: Dr. Henning Bey Gastautor: Georg Rudiger Gestaltung und Satz: triathlon design | Herbert P. Löhle Fotos: Stefan Lippert (Titelbild, S. 12, 14, 18, 24, 26, 27, 33); Annelies van der Vegt (S. 4/5); Holger Schneider (S. 6, 8, 9, 10, 11); BVMI (S. 15, oben); Hans-Georg Kaiser (S. 15, unten); Georg Rudiger (S. 16); Bernd Brundert (S. 20, 22); Gerd-Uwe Klein (S. 25). Druck: schwarz auf weiss, Freiburg, www.sawdruck.de


Freiburger Barockorchester Ensemblehaus Schützenallee 72 79102 Freiburg Telefon: +49 761 7 05 76-0 Telefax: +49 761 7 05 76-50 info@barockorchester.de www.barockorchester.de


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