Bio-Fibel #27 02-2015

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BIO-FIBEL ZEITSCHRIFT FÜR WISSEN AUS DER BIOLOGISCHEN LANDWIRTSCHAFT

Helga Wagner – Grande Dame der österreichischen Bio-Bewegung Hahnenmast – Österreichs Bio-Landwirtschaft löst ein Problem Keimgetreide – Mit altem Wissen zum 100 %igen Bio-Futter Überschäumende Freude – Das Tasting_forum ist 50!

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EDITORIAL

GUTER FUNDAMENTALISMUS Es gibt Menschen und Anliegen, die vertragen keine Widerrede. Helga Wagner und „ihr“ Boden gehören in diese Kategorie. Es war im Jänner 2006, als mich die Grande Dame der österreichischen Bio-Bewegung „einlud“, sie auf ihrer Reise zum Schweizer Möschberg zu begleiten. An jenem Ort, an dem das Ehepaar Müller vor über 50 Jahren die Grundlagen für den heute erfolgreichen Bio-Landbau gelegt hatte, sollten sich nämlich die noch lebenden Bio-Pioniere der Schweiz, Deutschlands und Österreichs zu den Möschberger Gesprächen treffen. „Wie die Alten sungen“ lautete der schöne Veranstaltungstitel. Ganz ehrlich, ich hatte vorab so meine Bedenken, schlussendlich fühlte ich mich damals (wie heute) noch nicht alt. Die etwa 30 „Alten“ nahmen jedenfalls das Motto des Treffens wörtlich und begannen die Besprechungen mit dem gemeinsamen Singen eines Liedes. „So hätte jedes Treffen mit Hans Müller auch begonnen. Um sich auf den Ort und die Gemeinschaft zu erden“, hieß es. Und ja, es ging die zwei Tage um die Erde, um den fruchtbaren Boden, und zwar nur um den. Um diesen vor dem Zerfall zu retten, waren die Pioniere vor Jahrzehnten angetreten. Dazu sind sie alle einen zwar grundsätzlich gemeinsamen, aber im Detail eigenen Weg gegangen. Die Begegnung mit diesen vielerorts als „Spinnern“ geschimpften Menschen hat mich tief beeindruckt und meine Wahrnehmung der Biologischen Landwirtschaft wesentlich geprägt. Diese Alten diskutierten nämlich über den Boden mit einer Lebendigkeit und Herzlichkeit, wie wenn sie über ihre eigenen Kinder geredet hätten. Und am Ende der zwei Tage hatte ich den Eindruck, die Damen und Herren wären durch den gemeinsamen Diskurs und die Erinnerung um Jahrzehnte jünger geworden. Ich erlebte also einen Fundamentalismus der guten Art, denn wenn etwas für unsere Erde wirklich entscheidend ist, dann ist es jene dünne Erdschicht, die den Stein fruchtbar und ertragreich macht. Bei der langen Heimreise im Zug erklärte mir dann Helga Wagner, warum sie mich als Jungen mitgenommen hätte: „Jede Innovation in der BioLandwirtschaft muss bei den Wurzeln beginnen und auf den Grundwerten aufbauen.“ Sie wollte mir unbedingt zeigen, wie die aussehen. Für diese Einladung bin ich ihr noch heute dankbar. Einen kleinen Einblick in diese Welt gewährt uns Helga Wagner mit dem ausführlichen Gespräch in dieser BioFibelausgabe. Dazu stellen wir spannende, aktuelle Entwicklungen aus der Bio-Tierhaltung vor, die ebenfalls einen sympathischen Fundamentalismus dokumentieren, einen der Tiergerechtheit. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen dieser „Fundi-Bio-Fibel“ und einen schönen, erholsamen Sommer 2015.

Reinhard Geßl, Herausgeber

INHALT Eine Hochzeit für den Bodenkrümel 3 Hey Bruder, was geht ab? 9 Ein Huhn kam in den Garten 11 Nicht ohne meine Mutter 13 Bio-Hennen fahren Keimrad 15 Am Odschachs Gaumarjos – Auf die Gastgeber 16 Knallende Korken 20 Shortcuts 19, 23 Impressum 19

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IM GESPRÄCH

EINE HOCHZEIT FÜR DEN BODENKRÜMEL Die Biologische Landwirtschaft wird seit jeher von starken Persönlichkeiten geprägt. Doktor Rudolf Steiner legte 1924 die Prinzipien der biodynamischen Landwirtschaft in den Vorträgen von Koberwitz fest, das Ehepaar Müller und Doktor Hans-Peter Rusch gründeten 1951 die organisch-biologische Richtung. Ingenieur Helga Wagner wurde von beiden Richtungen inspiriert und machte ihre Berufung zu ihrem Beruf.

Helga Wagner ist die Grande Dame der österreichischen Bio-Bewegung. Auch wegen ihrer fortgeschrittenen Lebensjahre, vor allem aber wegen ihrer Verdienste für die Bio-Landwirtschaft. Dabei stammt sie weder von einem Bauernhof, noch war sie jemals Bäuerin. Zumindest nicht im engeren Sinne. Weit über die Grenzen hinaus bekannt wurde sie als oberste Linzer Stadtgärtnerin, indem sie als

langjährige Leiterin der öffentlichen Grünanlagen bereits Anfang der 1950er Jahre die Grünflächen der Stadt zu hundert Prozent auf Bio umstellte. Ihr riesiger Kompostplatz mit den biodynamischen Kompostmieten war gewissermaßen eine Pilgerstätte der wichtigsten Biovertreter. In der „Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum“ setzt sie sich seit 1970 als Geschäftsführerin des ersten österreichischen Bio-Verbandes für die Umsetzung der Grundlagen des Bio-Landbaus ein. Bei ihr geht es nicht um die Wurst, sondern um den Boden. Wir trafen die leidenschaftliche Bodenpraktikerin Anfang Juni zu einem ausführlichen Gespräch in ihrem wunderschönen Garten in Leonding und plauderten über Geburtsstunden des Bio-Landbaus, Hausmauern unseres kleinen Universums, fürs Kuchenbacken ungeeignete Mehle, von uns Menschen nicht mehr zu bewältigende Übelstände, aber auch über das Glücksgefühl für Geschenkkörbe, die man nicht bekommen hat.

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IM GESPRÄCH

immer ärmer werden, ist auch hierfür das Urgesteinsmehl enorm bedeutend. Den Böden fehlen ja zunehmend die Mineralstoffe. Wir können Stickstoff und Kohlenstoff selber herstellen, aber niemals die Mineralien. Wenn die weg sind, sind sie weg. Unwiederbringlich! Das hat auch Doktor Rusch immer wieder betont: Mit dem Urgesteinsmehl können wir bei den Mineralstoffverlusten mit natürlichen Spurenelementen eingreifen und den Boden wieder auf einen ordentlichen Stand bringen. Das dient ja letztlich auch der Gesundheit des Menschen – was wir heute mit Parkinson und Alzheimer erleben, sehe ich als Folgeerscheinung des Mineralstoffmangels in der Ernährung. So betrachtet, ist das Urgesteinsmehl also doch eine wichtige Kuchenzutat? Das Urgesteinsmehl ist sowohl für den Boden als auch für den Menschen ein Glücksfall: es ist ein Bodenbildner und Humusvermehrer – und es ist ein Gesundheitsbringer in der menschlichen Ernährung. Gewaltig, was das leistet! Demnach ist Biolandbau ohne Urgesteinsmehl undenkbar. Doktor Müller hat wörtlich gesagt: „Der organisch-biologische Landbau ist ohne Urgesteinsmehl undenkbar.“ Der Satz ist da und steht in den Schriften drinnen.

Frau Ingenieur Wagner, es heißt, Sie verwenden sogar beim Backen „Urgesteinsmehl“. Stimmt das? (Lacht) Nein, dafür verwende ich keines. Auch nicht eine kleine Brise? Urgesteinsmehl gibt man nicht in einen Teig. Aber sonst verwenden Sie es immer? Für den Garten natürlich immer. Im Bio-Garten ist das Pflicht. Warum ist Ihnen das Urgesteinsmehl so wichtig? Urgesteinsmehl ist ein Gebot der organisch-biologischen Landwirtschaft! Es stammt aus gemahlenem Basalt oder Diabas. Also aus vulkanischen Gesteinen, die wiederum zu gut 50 Prozent aus Quarz, also aus Silizium, bestehen. Durch die Vermahlung wird das sogenannte Tonkristall frei. Und dieses ist das kleinste Quarzkristall – und nur das Tonkristall ist von seiner Größe her in der Lage, sich mit der Lebendsubstanz des Bodens zu verbinden und zu vereinigen. Ja, eine Hochzeit zu feiern und Bodenkrümel zu gebären. Urgesteinsmehl ist die Grundlage für jeden fruchtbaren Boden. Für jeden! Sozusagen ein fruchtbares Hochzeitsfest im Boden… Ja, und noch etwas ist dabei wichtig: Die anderen 50 Prozent im Urgesteinsmehl sind Spurenelemente. Nachdem die Böden nach Jahrhunderten Ackerbau in Europa mineralstoffmäßig

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Wird es im Biolandbau eigentlich flächendeckend eingesetzt? Wir haben schon einige Betriebe, die damit arbeiten. Aber gemessen an den vielen Biobetrieben in Österreich, sind das natürlich wenige. Freilich spielen beim Urgesteinsmehl auch der Transport und damit auch die Kosten eine Rolle. Aber es gibt da leider eine gewisse Schlampigkeit mit den Prinzipien. Dabei ist das Urgesteinsmehl ein Herzstück der „Sache“. Ein Herzstück sollte eine selbstverständliche Richtlinie sein. In der EU-Bio-Verordnung ist aber die Anwendung von Urgesteinsmehl nicht gesetzlich verankert – warum? Das ist eine lange Geschichte mit vielen Protagonisten, die ich im Detail nicht ausführen will. Auf den Punkt gebracht kann ich aus heutiger Sicht sagen, dass nach dem Tod von Dr. Müller im Jahr 1988 die Methode vernachlässigt wurde. Und zuvor kam es schon im Jahr 1978 bei einer Tagung in einer landwirtschaftlichen Fachschule zum Bruch zwischen der damaligen österreichischen Bio-Gruppe und Dr. Müller. Danach kam Dr. Müller nicht mehr nach Österreich. In den Anfängen des österreichischen Biolandbaus hat man das Urgesteinsmehl nicht mit dem notwendigen Augenmerk bedacht. Kompostieren gehört ebenfalls zu Ihrem Metier. Kompostieren ist ein Wunder der Schöpfung. Alles aus den organischen Bereichen wird wieder zu Erde. Pflanze, Tier und Mensch mit all ihren organischen Abfällen und Leichen werden wieder zu neuer Erde.

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IM GESPRÄCH

Sozusagen ein geniales Recyclingsystem? Die Natur hinterlässt keinen Müll. Den Dreck macht nur der Mensch. 2015 wurde von der UNESCO zum „Jahr des Bodens“ erkoren. Was assoziieren Sie mit dem Begriff Boden? Heimat! Für mich bedeutet Boden „Heimat“. Wir leben ja alle davon. Der Boden ist unsere Heimat. Bei meinen Seminaren sage ich immer: „Herrschaften, das sind die obersten 30 cm! Von dieser Erde lebt die gesamte Menschheit. Diese 30 cm sind unser Schicksal!“ Trotzdem hat man das Gefühl, dass auch im „Jahr des Bodens“ wieder bloß viel geredet wird, aber keine konkreten Maßnahmen gesetzt werden. Stimmt das? Wenigstens wird jetzt über den Boden geredet. Das ist ja schon viel. Vor zehn, zwanzig Jahren hätte sich niemand von uns gedacht, dass einmal so viel über den Boden geredet wird. Gut, geforscht wird zum Thema Boden auch. Was halten Sie eigentlich von der akademischen Wissenschaft im Biolandbau? Warum nicht? Nur sollten sie Praxis machen und die Methode verstehen lernen, bevor sie anfangen zu forschen. Sie meinen die Wissenschaftler? Ja. Denen fehlt absolut die Praxis.

Ist dies mit ein Grund, weshalb Sie mit Ihrem Alter noch immer bei den Bäuerinnen und Bauern als Vortragende gefragt sind? Genau. Angefangen habe ich mit Gartenvorträgen – damals in den 70er Jahren als ich im Linzer Stadtgartenamt tätig war. Das waren noch Vorträge in Volkshochschulen und Volksheimen, weniger vor Bauern. Damals war der Biolandbau noch weitgehend unbekannt. Wie sind Sie mit dieser landwirtschaftlichen Wirtschaftsweise in Berührung gekommen? Das war schon sehr früh in meinem Leben, nämlich auf meinem dritten Lehrbetrieb in der Nähe von Fulda, in Loheland. Das war ein biologisch-dynamischer Betrieb. Dort hab‘ ich erstmals das Dynamische kennengelernt, was für mich natürlich der Beginn des Biolandbaus war. Und dort habe ich beim Kühe hüten das Buch „Im Zeitalter des Lebendigen“ von Prof. Alwin Seifert gelesen. Was heißt gelesen, ich habe es verschlungen. Selbst bei Regen unterm Wetterfleck. Diese ganze Ideenwelt hat mich fasziniert. Prof. Seifert war dazumal mein beruflicher Gott. Und dann hat es noch ein Buch gegeben: „Gesunde und kranke Landschaft“ vom Ehrenfried Pfeiffer – das hat mich genauso fasziniert. Es wird gemunkelt, Sie hätten sogar einmal Rudolf Steiner getroffen? (Lacht) Nein, ganz so alt bin ich wiederum nicht. Steiner ist schon ein Jahr nach meiner Geburt gestorben. Aber ich bin so alt wie die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. In den Pfingsttagen 1924 hat Rudolf Steiner ja in Koberwitz bei

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IM GESPRÄCH

Breslau seinen „landwirtschaftlichen Kurs“ gehalten und damit den biologisch-dynamischen Landbau begründet. In diese Zeit bin ich fast auf den Tag genau hinein geboren. Verbrieft ist allerdings, dass Sie mit Dr. Hans Müller, dem Gründer der organisch-biologischen Landwirtschaft, persönlich bekannt waren. Ja. Die Begegnungen mit Doktor Müller haben mich stark beeindruckt. Ich war selbst mit einer Bauerngemeinschaft bei seinen Vorträgen am Möschberg im Schweizer Emmental, wo ja die Wurzeln der organisch-biologischen Landwirtschaft liegen. Da durfte ich erleben, wie danach Bauern nach Österreich heimgekehrt sind und ihre Höfe auf die organischbiologische Wirtschaftweise umgestellt haben. Mit unserer „Förderungsgemeinschaft für gesundes Bauerntum“ haben wir schließlich die Methode nach Österreich gebracht und den ersten österreichischen Bio-Verband gegründet. Warum hat es nach Rudolf Steiner noch einer weiteren BioMethode bedurft? Die dynamische Wirtschaftsweise ist äußerst kompliziert. Die erfordert ein enormes Lernen und einen enormen Arbeitseinsatz. Die bio-dynamischen Präparate müssen ja gemacht werden und angewendet werden – und das ist ein großer Arbeitsaufwand.

War Rudolf Steiner mit seinen Ansätzen nicht auch für viele zu komplex? So ist es. Ich werde fast in jedem Vortrag gefragt: „Was ist der Unterschied zwischen den beiden Methoden?“ Dann sage ich immer: „Die organisch-biologische Methode von Dr. Hans Müller und Dr. Hans-Peter Rusch bleibt beim Boden stehen. Die befasst sich mit dem Boden und ausschließlich mit der Gesundheit des Bodens. Rudolf Steiner holte mit seiner dynamischen Richtung zusätzlich die Kräfte des Kosmos in die Landwirtschaft und in die Lebensmittel herein. Er machte sich das Kosmische durch die Anwendung der Präparate dienstbar. Skeptiker würden das als „Esoterik“ bezeichnen. Das ist natürlich eine Dummheit! Das Wort „esoterisch“ in diesem Zusammenhang ist absolut dumm. Das passt vielleicht woanders hin, aber nicht zu Rudolf Steiner. Was ich aber an den ‚dynamischen Leuten‘ kritisiere ist, dass sie zu kompliziert reden und schreiben. Das ist ja hausgemacht, dass man Steiner auch heute noch so schwer versteht. Was bei der dynamischen Wirtschaftsweise zum Beispiel „stofflich“ passiert, kann man ja auch klar und einfach sagen. Das greifen dann die Leute viel eher auf. Ich hab‘ ja auch über die ganzen Präparate, deren Zubereitung, Anwendung und Wirkprinzip verständlich geschrieben. Sie sagten, Rudolf Steiner hätte sich ‚das Kosmische‘ dienstbar gemacht. Gibt es überhaupt sowas wie „kosmische Kräfte“? Ich sag‘ Ihnen jetzt was, von dem ich nicht weiß, ob Sie es begreifen werden. Wir werden uns jedenfalls bemühen! Unser Universum ist ja kein großes. Es gibt da viel größere Universen. Unser Universum reicht bis zum Tierkreis – das ist unsere Hausmauer. Zwölf Fixsternbilder, die nicht wandern. Und umgeben von dieser Hausmauer, direkt in der Mitte, ist die Sonne – das ist das Herdfeuer. Es ist ein gemütliches Haus, unser Universum. Mit dem Tierkreis als Hausmauern und darin in der Mitte die Sonne als Herdfeuer. Und zwischen der Sonne und den Mauern tanzen die Planeten. Aus diesen Planeten und den Tierkreiszeichen strömen dann die Kräfte. Und diese wirken in ganz bestimmter Weise auf unsere Erde. Das ist ein wahnsinniger Schöpfungsaufwand. Damit es der Erde gut geht und ihre Reiche gedeihen, haben wir diese Kräfte. Die gehen über den Mond. Der Mond transportiert sie nicht direkt, sondern bedient sich der klassischen Elemente: Wasser, Erde, Luft – Licht und Feuer. Als Geschäftsführerin des ältesten, österreichischen Bioverbandes haben Sie ganz wesentlich auf den Biolandbau eingewirkt und diesen mitgestaltet. Dies aber ohne selbst eine Bäuerin zu sein? (Lacht) Als junges Mädel wollte ich sechs Kinder haben und Bäuerin sein. Das hat sich nicht ergeben.

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IM GESPRÄCH

Ihr beruflicher Lebensweg hat Sie dafür ins Linzer Stadtgartenamt geführt. Ja, da war ich von 1951 bis 1990. Was haben Sie dort gemacht? Ich war Leiterin der öffentlichen Grünflächen, zuletzt 350 Hektar. Diese auf Bio umzustellen war mein Werk. Das war damals schon möglich? Nicht offiziell, aber es ging eben doch. Ich hatte im Stadtgartenamt einen Chef, der dasselbe wollte. Wir sind beide von der gleichen Geisteshaltung gegenüber dem Boden gekommen. Das haben wir schon in der ersten Viertelstunde herausgefunden. Er war zuvor über mehrere Jahre in Bremen bei einem führenden biologisch-dynamischen Betrieb gewesen. Wie gelingt es, hinter dem Rücken der Bürokratie eine Großstadt auf „Bio“ umzustellen? Wir haben ein paarmal über das Thema geredet und dann habe ich gesagt: „Herr Architekt, warum machen wir das nicht?“ Und er hat gemeint: „Ja, Frau Wagner, wenn wir uns drüber trauen - warum denn nicht?“ Da musste nicht gefragt werden. Es ist einfach losgegangen. Mit Komposthaufen. Wir haben den Abfall in großen Kompostmieten deponiert und mit Gabeln umgesetzt. Zu Beginn alles noch händisch. Und was haben Ihre Gärtner dazu gemeint? Natürlich war viel Arbeit und Lernen notwendig. Das braucht es, um große Kompostmieten richtig aufzusetzen und dazu noch biodynamisch zu präparieren. Aber als die Leute gesehen haben, dass da was Positives passiert und tatsächlich ein Kompost, eine wunderbare Erde entsteht, da sind sie natürlich mitgegangen. Wurde Ihr berufliches Lebenswerk nach der Pensionierung weitergeführt? Nein, es wurde kaputt gemacht. Alles, total. Aber ich habe nicht hingeschaut – da hätte ich mich zu Tode gekränkt. Apropos „hinschauen“ – was fällt Ihnen da zur Entwicklung unserer heutigen Gesellschaft ein? Also, ich bin schon sehr der Meinung, dass es über kurz oder lang einen göttlichen Eingriff notwendig hat…. Einen „göttlichen Eingriff“? Im positiven Sinn, nicht einen Untergang. Der Mensch allein schafft die vielen globalen Probleme nicht mehr. Die Unordnung ist schon so Grauen erregend. Man darf gar nicht überlegen, was alles passiert.

Wäre die Vollumstellung der Landwirtschaft ein Lösungs­ ansatz? Durchaus! Wenn wir die Menschheit biologisch ernähren würden, hätten wir nur die Hälfte der derzeitigen Krankheiten, sagte schon der große englische Bioforscher Sir Albert Howard. Zum Schluss haben wir uns noch eine ‚steinharte‘ Frage für Sie überlegt: Wie viele Bio-Lebensmittel stehen bei Ihnen im Kühlschrank? Da stehen nur Bio-Lebensmittel! Wirklich nur Bio? Natürlich, was anderes kommt mir überhaupt nicht ins Haus. Bei Obst und Gemüse bin ich Selbstversorger. Hat Ihnen zum runden Geburtstag der Bürgermeister nicht mit einem „konventionellen“ Geschenkkorb gratuliert? Hier in Leonding bekommt man von der Stadt keine Geschenk­ körbe zum Geburtstag. Wir kriegen Blumensträuße und die bringt der Vizebürgermeister. Danke für das Gespräch! Reinhard Geßl und Wilfried Oschischnig

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Der Beginn einer neuen Ă„ra: Junghahnmast bei Stefan Edlinger


BIO-WISSEN

HEY BRUDER, WAS GEHT AB? Charly ist ein unglaubliches Glückskind. Alleine die Tatsache, dass er noch lebt, grenzt an ein Wunder. Dieses verdankt er einer Grundsatzentscheidung der österreichischen Bio-Landwirtschaft. Die macht nämlich Schluss mit dem routinemäßigen Töten der Brüder der Legehennen.

Auf unserer Erde leben gut 22 Milliarden Hühner. Unterteilen wir diese in „Hinterhofhühner“ und „Hochleistungshühner“ und fokussieren einmal nur auf die zweiten, dann fände man für jede x-beliebige Henne der Welt in einem einfachen Stammbaum rasch deren Platz. Nur drei multinationale Zuchtunternehmen produzieren uniforme Hybride für den riesigen Markt. Zwischen den Hühnern gibt es nur einen wirklich entscheidenden Unterschied: die einen sind geboren, um Eier zu legen, die andere, um zu wachsen. Legehybrid oder Masthybrid, dazwischen gibt es nichts. Bisher! Kommen wir zurück zu Charly. Dieser heißt nicht wirklich so, aber der Name passt klanglich gut zu Sandy. Charlys abertausende Schwestern heißen tatsächlich so. Sandys entstammen einer Eierlegerfamilie und zeichnen sich nicht nur durch eine hohe Legeleistung, sondern auch durch eine unverwechselbar cremefarbene Eierschale aus. Bisher wurden alle Brüder der Sandys routinemäßig unmittelbar nach dem Schlupf getötet, weil sich deren Mast wirtschaftlich nicht rechnete. Zwar verbietet das Tierschutzgesetz das Töten von Tieren ohne vernünftigen Grund, aber unser unstillbarer Hunger nach (billigem) Fleisch und das Dogma der Wirtschaftlichkeit gelten als vernünftig. Die Bio-Landwirtschaft nimmt für sich in Anspruch, ethisch verantwortungsvoll zu handeln. Über kurz oder lang musste also das Töten der Legehennenbrüder ein Ende finden. In diesem Jahr fiel daher die Entscheidung, ab Ende 2017 nur mehr Legehennenbestände zu haben, deren Brüder auch für die Fleischproduktion genutzt werden. Die Umstellung des „Systems“ beginnt jetzt. Eine der ersten Hahnenkükengruppen wurde Anfang Juni an den Preiningerhof geliefert. Stefan Edlinger bewirtschaftet den oberhalb von Schlierbach gelegenen Bio-Masthühnerbetrieb. Er gilt als einer der innovativen Vordenker und damit als Stimme der Bio-Geflügelbranche. „Es wurde auch Zeit“, sagt er und nimmt einen der Charlys liebevoll in die Hand. „Auch

wenn der Absatzmarkt für die völlig neue Produktion noch nicht so klar ist, so wird die Entscheidung mit Sicherheit zu innovativen Lösungen führen“, gibt er sich überzeugt. In der Tat muss so manches neu gedacht und gemacht werden. Denn die „Legehähne“ wachsen wirklich langsam, mit allen ökonomischen (und wahrscheinlich auch ökologischen) Nachteilen. So sind sie nach den angestrebten 63 Masttagen für die marktüblichen Geflügelschlachtbänder zu klein und zart. Also wird ein spezialisierter Schlachthof dafür gebaut werden. Ebenso müssen Bio-Betriebe gefunden werden, die die neue Produktionssparte als Nutzung bisher brach liegender Nebengebäude nutzen können. Und es müssen Absatzmärkte für neue Fleischprodukte kreiert werden, da Brust, Haxerln oder Flügerln deutlich kleiner sein werden als die Norm. „Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden“ sagt Stefan Edlinger. „Die Bio-Landwirtschaft ist mit der Entscheidung zur Junghahnmast ein bislang als unlösbar geltendes Problem angegangen. Das ist ein mutiger Schritt.“ Grob zusammengefasst kann man sagen: Bio ist ab sofort nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch gut für alle „Brüder.“ Reinhard Geßl

ZAHLEN UND FAKTEN Junghahnmast: Auf Initiative der Schlierbacher Geflügel GmbH werden ab 2017 alle österreichischen Bio-Eier von Legehennen stammen, deren Brüder gemästet werden. Die Junghennen kommen zur Gänze aus eigenen, österreichischen Bio-Elterntierherden. Die Haltungsbedingungen für die Junghähne sind im Österreichischen Lebensmittelbuch verankert. Infos: - Eine noch nicht praxisreife Alternative zu Hahnenmast wäre die Geschlechtsbestimmung im Ei. Dazu fräsen Forscher mit einem Laser ein 1 cm großes Loch in die Kalkhülle. Die Geschlechtsbestimmung erfolgt spektroskopisch. Nur die Eier mit weiblichen Küken werden mit einem Pflaster versehen und (künstlich) ausgebrütet. - Ein konventionelles Masthendl erreicht das Norm­ schlacht­ gewicht mit 30 Tagen, ein Bio-Masthendl mit 60 Tagen, ein Junghahn aus einer Legelinie mit etwa 150 Tagen. Beim geplanten Schlachtalter von 63 Tagen wiegen die Junghähne etwa ein Kilogramm.

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Andrea Heistinger mit ihrer Hinterhofhühnerschar vor der „Ritterburg“


BIO-WISSEN

EIN HUHN KAM IN DEN GARTEN Do it yourself liegt in Österreich voll im Trend. Es wird gegartelt, eingekocht, eingelegt, Schnaps gebrannt, vielleicht sogar gewurstet. Auch die Hinterhofhaltung von kleinen Nutztieren erlebt ein Revival. Andrea Heistinger macht den Selbstversuch.

„Da hinten im Garten steht die Ritterburg meiner beiden Buben. Die galt bislang als uneinnehmbar. Und dennoch wurde sie von einer kleinen Hennenschar mit ihrem Hahnenanführer erobert“, erzählt Andrea Heistinger am kurzen Weg vom Wohnhaus zum neuen Hühnerstall. Als wir den kleinen Holzverschlag betreten, gackert uns eine Henne aufgeregt vor, dass sie gerade ein Ei gelegt habe. Beim Blick ins Nest sehen wir, dass schon vier Eier drinnen liegen. Vielleicht wird daraus in drei Wochen der erste eigene Kükennachwuchs. Andrea Heistinger hatte bisher mit Nutztierhaltung eher weniger zu tun. Die selbstständige Agrarwissenschafterin ist vielmehr eine gefragte Beraterin und Supervisorin mit Spezialkompetenz Bio-Gemüse. Sie hat gemeinsam mit bzw. für die Arche Noah eine Vielzahl an als Kult geltende GemüsePraxishandbüchern geschrieben. Was macht nun die bunte Hühnergruppe in ihrem (Gemüse-)Garten? Den Grund findet man in ihrem neuen Buchprojekt „Handbuch Selbstversorger Garten“ lautet der Arbeitstitel des im kommenden Jahr erscheinenden neuen Werkes. „Das Buch wird zwei ‚Ausflüge‘ ins Tierreich beinhalten, in die Bienen- und Hühnerhaltung. Mich haben in letzter Zeit so viele Leute angesprochen, ob ich nicht dazu was zusammenstellen kann. Und an dem Thema hat mich besonders die Hühnerhaltung im Garten gereizt. Da ich nicht gerne von anderen abschreibe, sondern meine Weisheiten vorher selber ausprobieren möchte, mussten Hühner her. Also habe ich mich auf lokalen Rassegeflügelmärkten ebenso umgeschaut wie bei befreundeten Bio-Bauern.“ Die Suche hat zu einer Geflügelherde geführt, in der jedes Tier anders aussieht. Den Mix der Hühnerrassen hält Heistinger für eine erfolgreiche Hobbyhühnerhaltung ebenso wichtig, wie einen freundlichen Hahn dabei zu haben. „Die Tiere waren kaum eingestallt, da war auch schon der Fuchs da und hat sich am Abend im Auslauf sein erstes

Fressen geholt“, erinnert sich die Neotierhalterin. „Der Hahn führt nämlich die Hennen selbstbewusst herum und ein nachträglich eingebauter elektronischer Pförtner verhindert zusätzlich durch rechtzeitiges Schließen der Auslaufluke den Zutritt unfreundlicher Gäste. Seither kommt der Fuchs nur mehr zum Schauen vorbei.“ Ihr neues Buch ist noch nicht fertig geschrieben. Dennoch weiß Andrea Heistinger einige Punkte zur Hobbyhühnerhaltung, die sie vorher nicht bedacht hätte: Auch für eine kleine Hühnerherde gilt es, Verantwortung für eine tiergerechte Versorgung zu übernehmen. Auch eine kleine Herde macht nicht nur Freude und bringt die besten Frühstückseier der Welt, sondern macht auch einiges an Arbeit und Mist. Auch eine kleine Herde braucht ein durchdachtes Weidemanagement, denn die Hendln machen aus jedem angebotenen Flecken in kürzester Zeit eine Erdwüste. Und besonders wichtig: Es ist gut, wenn man wen im näheren Umfeld um Rat fragen kann, wenn einmal etwas nicht so gut läuft. Im Falle Heistingers ist dies eine alte, weise Bäuerin, die mit ihrem jahrelangen Erfahrungsschatz schon so manches Wehwehchen der Hühner – und damit der Gartenbäuerin – kurieren konnte. Zusammenfassend kann Frau Heistinger sagen: „Selbstversorgung ist ein schönes ‚Projekt‘, ganz besonders, wenn man es aus freien Stücken, also ohne Not, genießen kann.“ Reinhard Geßl

ZAHLEN UND FAKTEN DI Andrea Heistinger, Autorin, Beraterin, Supervisorin, www.andreaheistinger.at. Ihre Handbücher erscheinen im Löwenzahnverlag www. loewenzahn.at/ Buchbestellungen: info@andrea.heistinger.at Infos: - Weltweit ist ein Drittel aller arbeitenden Menschen in der Land­ wirtschaft beschäftigt. Millionen von Kleinbauern, Subsistenz­ landwirten, Hirten, Fischern und Indigenen produzieren in Asien und Afrika meist auf kleinsten Flächen den größten Teil aller Lebensmittel, die die Menschheit konsumiert. - Die Weltgeflügelproduktion lag 2014 bei etwa 109 Millionen Tonnen Fleisch.

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Muttergebundene Kälberaufzucht: Bio-Milchbauer Gottfried RÜgner bleibt im Hintergrund


BIO-WISSEN

NICHT OHNE MEINE MUTTER In der modernen Milchkuhhaltung wird mit den neugeborenen Kälbern hart verfahren. Kaum geboren werden sie von der Mutter getrennt und mit Milch oder Milchersatz aus dem Kübel gefüttert. Einige wenige Bio-Betriebe ver­trauen aber auf die sogenannte mutter­ gebundene Kälberaufzucht.

„Im Bezirk Mistelbach gibt es nur mehr eine Handvoll Milchviehbetriebe. Wir sind einer davon, ein neuer noch dazu und wir machen das so tiergerecht wie nur möglich“, begrüßen mich Gottfried Rögner und Vicky Hofbauer auf ihrem Direktvermarktungsbetrieb in Obersdorf nahe Wolkersdorf. Und in der Tat hat Mistelbach die Milchproduktion schon fast gänzlich ins Museum verbannt. So liest man im Internet über das erste Milchkammer-Museum in Ketzelsdorf nahe Poysdorf: „Die frühere Milchgenossenschaft ist in der ursprünglichen Form als Museum erhalten. Hier wurde die Milch täglich von den Bauern übernommen, an die Haushalte verkauft, zu Butter verarbeitet oder mit der Bahn weiter transportiert. Um 1900 gab es eine Röhrenkühlung, die mit Brunnenwasser betrieben wurde. Für die Einlagerung und den Transport hat man Eisschollen verwendet, die im Winter aus dem Ortsteich geschlagen und im ‚Eiskölla‘ gelagert wurden.“ Mit den Klischeebildern vergangener Zeiten hat die Arbeit der Rögners nichts zu tun. Die derzeit zehn Milchkühe leben in einem großzügig umgebauten und eingestreuten Laufstall. Das wirklich Besondere dieser Tierhaltung ist aber der Umgang mit den Kälbern. Diese wachsen nämlich gemeinsam mit einer Amme auf der Weide auf. Die Milch für die Kälber kommt also aus dem Euter und – nicht wie üblich – aus einem Tränkeeimer. „Uns gefiel das gängige System nicht, bei dem das Kalb unmittelbar nach der Geburt der Mutter entrissen wird“, erzählt Gottfried Rögner von den Anfängen. Sie informierten sich z. B. beim Schweizer Gut Rheinau, einem der wenigen großen Betriebe im deutschsprachigen Raum, die konsequent auf muttergebundene Kälberaufzucht setzen. Weiters führte am Anfang auch der Zufall Regie, denn eine etwas schwierig handzuhabende Kuh sollte eigentlich nach der Geburt ihres Kalbes verkauft werden. „Sie war damals die erste, die kalbte.

Kurz darauf kamen weitere Kälber zur Welt. Und siehe da, die zu Menschen etwas bockige Jungkuh war zu allen Kälbern freundlich und ließ sie bei sich saufen. Sie adoptierte diese sozusagen als ihre Kinder.“ Vier bis sechs Kälber ziehen nun mit ihrer Amme über die hügeligen Weiden bei Wolkersdorf. Wie funktioniert die Ammenkuhhaltung nun praktisch? Knapp vor der Geburt kommt die Kuh in einen Abkalbebereich, wo sie ihrem angeborenen Verhalten gemäß von der Herde ungestört das Kalb zur Welt bringt. Die lebenslange Mutter-Kindbindung prägt sich in den ersten drei bis fünf Lebenstagen, in denen es auch entscheidend ist, dass das Kalb möglichst oft die mit stallspezifischen Antikörpern reiche Kolostralmilch trinken kann. Über einen Kälberdurchschlupf kommen die Neugeborenen mit der Ammenkuh und den weiteren Kälbern in Kontakt. Nach etwa einer Woche wechselt die Mutter wieder zum Rest der Herde und wird im Melkstand gemolken, das Kalb trinkt bei der „Leihkuh“. Bis jetzt sieht Gottfried Rögner bei seinem „System“ nur Vorteile: „Ich habe ohne Tränkezubereitung weniger Arbeit, die Kälber lernen sehr rasch Raufutter zu fressen und wachsen sehr gut, der Kindergarten versteht sich gut und die schwierige Kuh hat eine offenbar erfüllende Aufgabe.“ Rögners Kälberaufzucht wirkt zwar auf den ersten Blick möglicherweise museumsreif, ist aber mit Sicherheit ein hochmoderner und innovativer Weg zu noch mehr Tiergerechtheit der BioLandwirtschaft. Reinhard Geßl

ZAHLEN UND FAKTEN Betrieb: Rögnermilch. Betriebsleiter: Gottfried Rögner und Vicky Hofbauer, Betriebsinfos: bäuerlicher Familienbetrieb mit ca. 30 Hektar Ackerland und 10 Milchkühen, Schule am Bauernhof und Direkt­ vermarktung von Milch und -produkten. www.roegnermilch.at/ Weitere Infos: https://www.fibl.org/fileadmin/documents/shop/1575muttergebundene-kaelberaufzucht.pdf Infos: - In Österreich werden derzeit von zwölf Rinderrassen die Milch­ leistungen routinemäßig erfasst. Die Durchschnittsleistung der Hauptrasse Fleckvieh beträgt 7.214 kg Milch/Jahr. - Die tatsächliche Nutzungsdauer der österreichischen Kühe lag 2014 im Durchschnitt bei 3,79 Jahren.

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Gekeimtes Getreide macht alle froh: Leo und Tanja Tragler sowie Legehenne ohne Namen


BIO-WISSEN

BIO-HENNEN FAHREN KEIMRAD Hundertprozentige Bio-Fütterung stellt sich in der Praxis durchaus als Herausforderung dar. Das Futter muss nicht nur den Tieren schmecken, sondern auch deren hohen Bedarf an Energie und Eiweiß decken. Kann eine große Müslimaschine die Lösung sein?

Wo Bio drauf steht, ist auch 100 % Bio drinnen. So will es das EU-weite Bio-Gesetz, derzeit noch mit kleinen Ausnahmen. Nehmen wir als Beispiel die Fütterung. Bauern übernehmen die Verantwortung für eine bedarfsdeckende und tiergerechte Versorgung ihrer Tiere. Nachdem auch die Bio-Tiere auf hohe Leistung gezüchtet sind, müssen diese mit hochwertigen, wohl schmeckenden Pflanzen gefüttert werden – tierische Futtermittel sind bekanntermaßen seit dem BSE-Skandal Mitte der 90er Jahre tabu. Das Angebot an Energie, Eiweiß, Fett, Mineral- und Spurenelementen und auch Vitaminen muss dabei möglichst punktgenau in Menge und Qualität den bekannten Bedarfswerten entsprechen. Eiweiße bauen sich aus Aminosäuren auf, einen Teil dieser kann der Körper selber synthetisieren, die anderen müssen über das Futter zugefüttert werden. Jene Aminosäure, die als erste in den Mangel kommt, nennt man erstlimitierend. Beim Geflügel handelt es sich um das schwefelhältige Methionin. In der konventionellen Landwirtschaft gestaltet sich die Fütterung einfach: das Basisfutter zur Sättigung kann billig und simpel ausfallen, alles was fehlt wird künstlich in Form synthetischer Aminosäuren zugesetzt. Aus philosophischen Gründen steht diese Option den Bio-Betrieben nicht offen. Also muss jeder Betrieb mit betriebseigenen und zugekauften Futterkomponenten vielfältige, tiergerechte Rationen gestalten. Bislang ist es gemäß der EU-Bio-Verordnung im Ausnahmefall noch möglich, bis zu fünf Prozent konventionelle Futtermittel aus einer knapp gehaltenen Positivliste zuzufüttern. Maiskleber und Kartoffeleiweiß sind gute und daher beliebte Aminosäurelieferanten. Diese Option wird voraussichtlich Ende 2017 enden. Was dann?

Martin und Tanja Tragler führen einen Legehennenvorzeigeund Pionier-Bio-Betrieb in Schlierbach. Alle Produkte ihres Tierhaltungsbetriebs vermarkten sie direkt. Der enge Kontakt zu den Konsumenten ließ auch schon frühzeitig den Wunsch reifen, eine Lösung für die 100 % Bio-Fütterung zu suchen und auch zu finden. Als erster Betrieb überhaupt stellten sie ein von Manfred Söllradl entwickeltes Keimrad in den Stall. Jeden Tag befüllen die Traglers zwei von acht Kammern einer großen, liegend-rotierenden, stahlblitzenden Trommel mit BioWeizen. Die Anlage befeuchtet und erwärmt computergesteuert das Futter. Nach 96 Stunden ist der Weizen gerade richtig gekeimt und kommt über spezielle Futterbänder in den Stall. „Das Keimen wirkt sich auf das Getreidekorn vielfach positiv aus. So wird zum Beispiel ein Teil der Stärke in Zucker aufgespalten und die Aminosäuren werden zwar nicht mehr, aber besser für den Körper verfügbar“, so Tanja Tragler. „Durch den Keimprozess bekommt das Futter jenen ‚Kick‘, dass auf zugekaufte, teure Futtermittel ganz verzichtet werden kann. Die Pionierarbeit beim praktischen Arbeiten mit dem Keimrad war zwar nicht immer lustig, die Mühe hat sich aber ausgezahlt, denn unser Legehennenfutter stammt nun zu 100 Prozent vom eigenen Betrieb und ist damit 100 Prozent Bio.“ Die Hennen haben mit dem Keimgetreide ihre sichtbare Freude, die Konsumenten mit den 100 %igen Bio-Eiern. Reinhard Geßl

ZAHLEN UND FAKTEN 100 % Bio-Fütterung: Gekeimtes Futter aus dem Keimrad, www.keimrad.at. Gekeimtes Getreide wird seit vielen hundert Jahren gefüttert. Ein automatischer Prozess ersetzt beim Keimrad die Handarbeit. Wasser, Luft und Bewegung sorgen dafür, dass die keimenden Getreidekörner gleichmäßig wachsen können und nicht schimmeln. Infos: - Eine moderne Legehenne legt pro Jahr ca. 300 Eier. Ein Ei wiegt etwa 60 g wofür etwa 120 g Futter notwendig sind. - Durchschnittlich isst jeder Österreicher 240 Eier/Jahr. Grob gesagt kann sich jeder mit seinem Kauf entscheiden, wie gut „seine“ Henne lebt.

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JS AUF ACHSE

AM ODSCHACHS GAUMARJOS – AUF DIE GASTGEBER Ein bärtiger Mann, wache Augen, wildes Haar, erhebt sich und dann seine Stimme. „Auf die Schönheit! Denn ohne Schönheit ist alles Leben ohne Freude. Wir finden die Schönheit nicht nur in den großen Gemälden und Skulpturen. Wir finden sie auch in den ganz kleinen Dingen. Im Boden, im Blick eines Kindes, in einem Regentropfen im Weingarten. Auf die Schönheit!“ Dann wird angestoßen.

Fotos: Schmücking

Eine georgische Supra ist weit mehr als ein ausgedehntes Essgelage. Es ist ein Fest, ein Ritual fast, das ganz klaren Regeln folgt. Der tamada ist der Zeremonienmeister des Abends. Er legt die Trinksprüche und damit die Themen fest. Neben der Schönheit wird auf Gott, Georgien, die Eltern, die Kinder, den Wein, die Ahnen, die Liebe und die Gastgeber angestoßen. Eine Supra kann ungeahnt lange dauern. In Georgien wurde der Wein erfunden. Sagt man. In der Tat deutet vieles darauf hin. Traubenkern-Funde, in Stein gemei-

ßelte Geschichten, die vom Wein erzählen. Die immer noch verwendeten Schriftzeichen, die sich – so erzählt man – vom Wuchs des Weinstocks ableiten. Und dann die Qvevris, die bauchigen Ton-Amphoren, die aus dem Bild Georgiens nicht wegzudenken sind. Auch aus der Weinwelt nicht. Die besten Weine des Landes reifen unter der Erde, in eingegrabenen Amphoren. Mehr oder weniger sich selbst überlassen. Die Qvevri-Weine Georgiens gehören zu den interessantesten und spannendsten Entwicklungen der internationalen Weinszene. Sie polarisieren und sorgen für reichlich Zündstoff. Dabei sind die Weine beeindruckend anders. Im idealen Fall bieten sie Spannung, Tiefgang, Lebendigkeit, Harmonie und Trinkspaß. Eine Handvoll dieser verwegenen Weinbauern hat sich zu einer Gruppe zusammengeschlossen. Die „Underground-Winzer“ denken ähnlich über Wein und das Leben, ziehen gemeinsam durch die Lande und betreiben in Tiflis eine der schrägsten Weinbars Europas, die Vino Underground. Drei dieser Winzer möchte ich hier kurz vorstellen.

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JS AUF ACHSE

Den Auftakt macht Iago’s marani in der Region Kartli in der Mitte des Landes. „Marani“ bedeutet Weinkeller, wobei die Maranis Georgiens nicht ansatzweise mit unseren Weinkellern vergleichbar sind. Jedenfalls nicht die dieser traditionell arbeitenden Betriebe. Edelstahl existiert nicht, hin und wieder sieht man Holzfässer, das wahre Weinwerden spielt sich aber unter der Erde ab. Iago ist Bio-Bauer. Seine Rieden sind die ersten bio-zertifizierten Weingärten Georgiens, der beste Wein des Hauses: Chinuri, eine regionale weiße Rebsorte mit rustikalem Charme. Der Wein ist umwerfend, vor allem die Amphorenprobe des aktuellen Jahrgangs. Tiefdunkles Bernstein, hefetrüb und hochmineralisch. Neben dem Weinmachen wird hier auch noch gebrannt. Chacha ist der Grappa Georgiens. Am Hof von Iago, hinter der Laube, steht die Brennblase. Festgemauert, holzbefeuert und mit langem, rostigen Rohr steht sie da und gibt tropfenweise das Kondensat der Weinberge frei. Der Raubrand ist ein derbes wie mildes Destillat gleichermaßen. Wenn eine der georgischen Rebsorten für Fruchtigkeit sorgen kann, dann in Form subtiler Steinobstnoten im Chacha.

Weiter geht die Reise nach Imereti, der Heimat von Ramaz Nikoladze. In seinem marani begann der Aufstieg der georgischen Amphorenweine. Die Geschichte der Initialzündung dazu erzählt er gerne. Weinfreunde aus Japan haben ihn in seinem Keller besucht. Ohne zu fragen und mit der Selbst­ verständlichkeit georgischer Gastfreundschaft öffnete er ein Qvevri und bot den Gästen Wein daraus an. Dazu sollte gesagt werden, dass ein Qvevri zu öffnen nicht vergleichbar mit einer Fassprobe ist. Eine Amphore zu öffnen bedeutet weit mehr als „Deckel auf, Wein heraus“. Zuerst muss die Lehm- oder Erdschicht entfernt werden. Dafür wird eine Art Schaufel und ein kleiner Besen verwendet. Das erneute Verschließen des Qvevris ist noch aufwändiger. Der Deckel muss gewaschen, getrocknet und mit Bienenwachs bearbeitet werden. Eine Amphore zu öffnen ist daher ein Geschenk und gewährt einen tiefen Einblick in das Weinherz Georgiens. Jene Japaner haben die Probe höflich lächelnd verweigert. Zu unklar war ihnen, was sie hier kosten sollten. Zu viel Erde, zu viel grün, zu viel Besen. Fassproben kannten sie nur vom Zapfventil im Stahltank. Sie

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JS AUF ACHSE

waren verblüfft und dann doch neugierig, als sie sahen, dass Ramaz das Zeug trank. Einer der Mutigen unter ihnen wagte einen Schluck und stellte – den anderen zugewandt – lakonisch fest: „It is wine!“ Dann tranken sie und waren begeistert. (Mittlerweile ist Japan zu einem der wichtigsten Märkte für die Qvevriwinzer geworden.) Sie stellten den Kontakt zu Slow Food und der Foundation for Biodiversity her, und der ‚wine in jars’ wurde in kurzer Zeit zum Presidio-Produkt in der internationalen Arche des Geschmacks. Ramaz ist – gemeinsam mit Soliko Tsaishvili aus Kakheti – der Mastermind der Bewegung und Leiter einer regionalen Slow Food Gruppe. Und die Weine von Ramaz? Jeder eine Zierde seiner Art. Mineralisch, lebendig. Vibrierende Schönheiten, kompromisslos und markant. So sind auch die Weine von John Wurdeman zu beschreiben, einem Einwanderer aus Amerika, der hier in Signaghi, in der Region Kakheti, das Weingut Pheasant’s Tears (und auch noch einiges andere) auf die Beine gestellt hat. Einer der Favoriten unter seinen Weinen: der Rosé. Tavkveri. Das klingt wie Rkatsiteli, Tsolikauri oder Saperavi. Die Sprache der Georgier ist eine wunderschöne. Ihre Rebsorten sprechen sie mit rauchigem Timbre aus, was dem Wein noch mehr Tiefgang zu geben scheint. Tavkveri also. Eine rote Rebsorte aus dem Osten Georgiens, fast schon an der Grenze zu Aserbaijan. Dort, im Ort Sighnaghi, quasi dem Außenposten Europas, hat John Wurdeman das Weingut Pheasant’s Tears gegründet und baut dort die spannendsten Weine in bauchigen Qvevris aus. Zu sagen, der Tavkveri wäre eine Zierde seiner Art, entspräche dem Wein nicht, denn er ist so außergewöhnlich, dass ein Vergleich mit anderen Rosés unzureichend wäre. Einerseits ist da kompakter Gerbstoff (was den Wein an die Kraftlackel aus Tavel erinnern lässt) andererseits aber auch ein schlanker, fast filigraner Körper wie bei den feinfruchtigen Rosés aus der Provence. Und dann ist da natürlich noch dieser herrliche fundamental-erdige Grundton, der die Amphorenweine Georgiens so unvergleichlich macht. Ich habe das Land des Weines wegen besucht. Das ist aufregend und extrem spannend. Es ist aber weit nicht der einzige Grund, nach Georgien aufzubrechen. Bergfexe finden Wanderungen in allen Schwierigkeitsgraden, Kunstliebhaber werden von der Architektur, den Klöstern und den polyphonen Gesängen der Chöre begeistert sein. Sogar ein ganz klassischer Strandurlaub ist dank Schwarzem Meer möglich. Für mich gibt es unzählige Gründe, nicht das letzte Mal dort gewesen zu sein. Jürgen Schmücking

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SHORTCUTS

EU-BIOVERORDNUNG NEU

BIO-WISSENS LADEN

Nach langen Verhandlungen haben sich die EU-Agrarminister Mitte Juni 2015 auf einen Kompromiss für eine neue EU-Bioverordnung geeinigt. Hauptziele waren: das Vertrauen in Bio-Lebensmittel und in das System Bio weiterhin zu stärken und die Bio-Entwicklung innerhalb der EU zu forcieren. Neu ist, dass bei Grenz­wert­über­schreitungen durch Spritz­mittel­abdrift die betroffene Parzelle gesperrt wird und diese Produkte nicht als bio vermarktet werden dürfen. Routine­ mäßige Kontrollen finden künftig nur mehr alle 30 Monate (bisher einmal jährlich) statt, Risikobetriebe werden dafür aber häufiger als bisher überprüft. Der neue Entwurf wird nun mit dem Rat der Europäischen Union und dem EU-Parlament verhandelt. Die EU-Kommission plant die neue Verordnung 2017 in Kraft treten zu lassen.

BIO-WISSEN ist zu haben! Aus einer Reihe von Anlässen sind in den vergangenen Jahren un­ konventionelle Produkte entstanden, die sich mit Bio-Wissen abseits von Kitsch und Propaganda befassen. Greifen Sie zu – alles bio! Neben dem Daumenkino „Warum Bienen auf Bio fliegen“ und den BioWissensrechnern, die zeigen, wie sich Lebensmittel auf Wasser, Klima und Nachhaltigkeit auswirken, gibt es „Radical Edition“Plakate und die limitierte Design-Plakatkollektion im Angebot. Auch einige wenige der beliebten Bio-Wissen T-Shirts sind noch zu haben. Zeigen Sie Ihr Bio-Wissen und bestellen Sie unser schlaues und schönes Zeugs auf www.bio-wissen.org ek

Quelle: www.raumberg-gumpenstein.at, www.orf.at

2000 QUADRATMETER Die weltweite Ackerfläche beträgt rund 1,4 Milliarden Hektar. Teilt man diese Fläche durch die Zahl der Menschen, stehen jeder Person theoretisch etwa 2000 m² zur Ernährung zur Verfügung. In Berlin initiierte ein Bündnis von Bauern-, Umwelt-, Konsumenten-, Tierschutz- und Entwicklungsorganisationen ein Projekt, um das Thema Ernährung praktisch in einen globalen Kontext zu stellen. 2014 wurde in Brandenburg auf 2000 m² ein „Weltacker“ angelegt. Derzeit bebauen die Initiatoren die 2000 m² so, dass ein Mensch ein Jahr lang gut und gesund davon satt wird. Betreut von einer Gärtnerin, einem Koch und von Experten und Freiwilligen soll das Projekt „2000 m²“ zum öffent­lichen Mitverfolgen und -erleben anregen. Ziel ist es, weltweite Zusammen­hänge und Probleme greifbar zu machen, das eigene Handlungspotenzial aufzuzeigen und sich für eine gerechtere, ökologischere Ernährungsund Agrarpolitik stark zu machen.

www.2000m2.eu

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Quelle: www.2000m2.eu; www.biorama.eu

IMPRESSUM

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Bio-Fibel – Zeitschrift für Wissen aus der Biologischen Landwirtschaft: Medieninhaber, Verleger und Herausgeber: Freiland Verband für ökologisch-tiergerechte Nutztierhaltung und gesunde Ernährung; Doblhoffg. 7/10, 1010 Wien; Fon 01/4088809; Fax 01/9076313-20; e-mail: office@freiland.or.at; net www.freiland.or.at; DVR-Nummer 0563943; Chefredakteur: Dipl.-Ing. Reinhard Geßl (rg), Leiterin der Redaktion: Dipl.-Ing. Elisabeth Klingbacher (ek); Mitarbeit: Wilfried Oschischnig, Jürgen Schmücking (js), Roswitha Rabe; Redaktion: Forschungs­institut für biologischen Landbau (FiBL Österreich), Doblhoffg. 7/10, 1010 Wien; Fon: 01/9076313-0, net: www.fibl.org/de/ oesterreich. Alle nicht anders gekennzeichneten Fotos: Geßl & Wlcek OG; Titelbild: Jürgen Schmücking. Druck: gugler GmbH Melk; Layout: Geßl & Wlcek OG. Namentlich ge­kennzeichnete Artikel müssen nicht unbedingt der Meinung des Herausgebers entsprechen. Vertriebspartner: Adamah Biokistl. FREILAND-Spendenkonto: Erste Bank, AT502011100008210993, BIC/SWIFT: GIBAATWWXXX; Reichweite: 10.000 Leserinnen. Hinweis: Eine geschlechtergerechte Formulierung ist uns in der Bio-Fibel ein großes Anliegen. Da wir gleichzeitig eine gut lesbare Zeitschrift herausgeben wollen, haben wir uns entschieden, keine geschlechtsneutralen Begriffe zu verwenden, sondern alternierend entweder nur weibliche oder nur männliche Bezeichnungen. Wir sind uns dessen bewusst, dass diese Generalklausel einer geschlechtergerechten Formulierung nicht ganz entspricht, wir denken aber, dass die gewählte Form ein Beitrag zur publizistischen Weiterentwicklung für mehr sprachliche Präsenz weiblicher Begriffe sein kann.

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GUTER GESCHMACK

KNALLENDE KORKEN Biologische Lebensmittel sind etwas Besonderes. Nicht nur bezüglich der Produktions- und Verarbeitungsweise erfüllen sie hohe Standards, auch geschmacklich spielen Bioprodukte in der obersten Liga.

Die geschmackliche Vielfalt biologischer Lebensmittel war es auch, die von Beginn an im Fokus der Reihe der FiBL Tasting_ foren stand. Diese Verkostungen bieten seit Anfang 2010 die Möglichkeit, Biolebensmittel unterschiedlicher Kategorien und Verarbeitungsgrade zu „erschmecken“. Mitte April feierte das FiBL Tasting_forum in großer Runde seinen 50er. Nicht in Jahren, sondern in zum großen Teil legendären Verkostungsabenden von Biolebensmitteln: An den verschiedensten Schauplätzen – vom FiBL-Büro über Kochstudios, Dachterrassen, Brauereien, Universitätsinstitute bis hin zur Kammermeierei des Schlosses Schönbrunn – probierten sich in den letzten Jahren pro Tasting_forum zwischen 50 und 170 interessierte Konsumenten durch das vielseitige Angebot biologischer Lebensmittel und wurden ob der kaum überschaubaren Biovielfalt jedes Mal aufs Neue in Staunen versetzt. Denn noch abwechslungsreicher als die gewählten Veranstaltungsorte waren die verkosteten

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Produkte: Asiasalate, Milchsorten, Roséweine, Schokolade, Speck, Wildkräuter, ausgefallene Tomaten- und Gurkensorten, Basisspirituosen, Rohmilchkäse, Senf, Zitrusfrüchte, Maroni oder Kernöl sind nur einige der Produktgruppen, die sich in der Verkostungspalette fanden. Dabei ging es nie um ein Ranking einzelner Produkte oder Sorten, vielmehr stand (und steht) immer das Erleben der unglaublichen Geruchs-, Aromen-, Farben- und Formenvielfalt biologischer Lebensmittel im Vordergrund. Aufbereitete „Wissens-Häppchen“ sorgten außerdem – thematisch auf die Verkostungen abgestimmt – für wissenschaftlichen Input. Ausgesuchte Experten aus der Praxis ermöglichten authentische Einblicke in die Bio-Produktion und -Verarbeitung. Die Tasting_foren werden auf diese Weise zwanglos dem von Trendforschern ausgemachten Bedürfnis der Konsumenten nach einer Verbindung von „Science“ und „Romance“ gerecht. Zum 50. Jubiläum bot sich ein überschäumendes Ver­kostungs­ thema an: Sekt. Und Prosecco, Frizzante, Champagner, Moscato d’Asti... Alles in Bio-Qualität versteht sich.

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GUTER GESCHMACK

24 KARAT MEHOFER SEKT, WEINGUT MEHOFER – NEUDEGGERHOF (ÖSTERREICH)

BRUT ROSÉ, KLOSTER AM SPITZ (ÖSTERREICH) Man muss schon genau hinschauen, um den zarten Zwiebelschalenton als Rosé zu erkennen. In der Nase scheint sich diese Zurückhaltung noch einmal zu wiederholen. Da sind ganz elegante Noten von Hibiskus, ein Hauch roter Beeren und weißer Blüten. Am Gaumen dann deutlich mehr Druck und Griff. Wunderschön eingebunde Säure und beherzter Gerbstoff. Ein Appetitanreger wie er im Buche steht. Und ein grandioser Start ins JubelTasting_forum.

VALDOBBIADENE PROSECCO SUPERIORE DOCG BRUT NATURE, SILVANO FOLLADOR (ITALIEN)

Der Sekt ist eine Cuvée aus Rotem Veltliner und Welschriesling, wobei letzterer in sehr geringer Dosis und als Säurerückgrat mit von der Partie ist. Hauptdarsteller ist eindeutig der Rote Veltliner mit seiner filigranen Fruchtnote. Im Sekt macht sie sich als fast schon rieslingtypische Zitrusfrucht bemerkbar. Dazu feine Würze und ein verspieltes Zuckerspitzerl. In Summe ein Winner und eine eindrucksvolle Demonstration, welch ungeheures Potential im Roten Veltliner steckt.

SHIZENMAI SPARKLING, KIDOIZUMO SHUZO (JAPAN)

Es ist Prosecco. Es hat aber definitiv nichts mit der Plörre zu tun, die bei uns landläufig als Prosecco bekannt ist. Silvano Follador bewirtschaftet seine Rieden rund um San Stefano biodynamisch, auf die Flasche schreibt er „Metodo Martinotti“ und ehrt damit den Mann, der die Grundlage für das Tankgärverfahren gelegt hat. Der Prosecco ist feinperlig, mineralisch, hat charmante Säure, viel gelbe Frucht und ist knochentrocken.

Der Shizenmai Sparkling ist anders. Nicht nur hier. Sparkling Sake, noch dazu „cloudy“, also unfiltriert, ist auch in Japan Nischenprodukt. Die Assoziationen bei der Verkostung waren tatsächlich wild: von Banane über Birne hin zum Autoreifen. Wobei die Birne durchaus nachvollziehbar ist. Auch Melone passt gut als Beschreibung. Die Textur des Shizenmai ist cremig, die Kohlensäure dezent. Das milchige Aussehen hat manchen gedanklich gar in Richtung Ouzo verleitet. Letztlich ein Drink für Avantgardisten.

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GUTER GESCHMACK

MOSCATO D’ASTI SAN GRÒD, TORELLI BUBBIO (ITALIEN)

CARTE ROUGE, CHAMPAGNE FLEURY & FILS (FRANKREICH)

Sagen Sie NIEMALS Asti zu ihm. Der Moscato d’Asti (nicht nur dieser, das gilt für alle) ist ein leichter, eleganter, fruchtiger, süßer und feingliedriger Piemonteser, der Lebensfreude versprüht und unkomplizierten Genuss verspricht. Sein großer Bruder, der Asti Spumante, ist einfach nur süß. Der San Gròd kommt von den besten Lagen rund um die Stadt Asti, hat präzise herausgearbeitete und zauberhafte Muskatnoten und erinnert sehr an Holunderblütensirup.

Fleury ist Pionier. In dritter Generation hat der Betrieb zuerst auf Bio, dann rasch auf biodynamischen Weinbau umgestellt. Mittlerweile gilt der Demeter-Betrieb als Paradebeispiel, dessen Vorbildwirkung weit über die Côte des Bar in der Champagne hinausreicht. Die Carte Rouge ist ein barocker, vollmundiger und druckvoller Champagner mit Struktur und Eleganz, hochfeinen reifen Fruchtnoten (vor allem Birne und Quitte), noblem Hefeton und kräftiger Perlage.

FRANCIACORTA SATÈN DOCG, CASCINA CLARABELLA (ITALIEN)

Wir bringen Bio nach Hause.“

Gerhard Zoubek

Blanc des Blancs (also 100 % Chardonnay) und etwas weniger Kohlensäuredruck sind die Voraussetzungen für die Bezeichnung Satèn. Das Ergebnis ist immer ein samtiger, eleganter und geschmeidiger Schaumwein, der hervorragend zu Seidenkleid und Leinensakko (und der entsprechenden Stimmung dazu) passt. Auch hier wieder Birne, grüner Apfel, Limette und sehr feine Perlage. Die Cascina Clarabella am Ufer des malerischen IseoSees ist jedenfalls einen Besuch wert.

BIO BRUT (PHÖNIX), SZIGETI (ÖSTERREICH) Phoenix ist die Rebsorte. Es ist eine neue pilzwiderstandsfähige Kreuzung aus Bacchus (wenig bekannt) und Villard Blanc (noch weniger bekannt). Sie wachsen in den Weingärten des Bio-Pioniers Paul Leitner, die vor einigen Jahren von Szigeti übernommen wurden. Seitdem wird daraus ein eleganter, verführerischer Sekt mit deutlicher Muskatnote und einer ganzen Reihe von Wiesendüften gemacht: Zitronenmelisse, Kleeblüte, Fliederbusch.

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Die Auswahl der verkosteten Produkte war also wieder einmal mehr als zufriedenstellend und nach dem Anstoßen mit Sekt aus der Neunliterflasche kredenzte Johann Reisinger zur Freude Aller noch Großartiges aus der Gemüseküche. Ein charmanter Ort, viele gut gelaunte Gratulanten und großartige Produkte sorgten für einen denkwürdigen Abend und machten Lust auf die nächsten 50 Tasting_foren. Elisabeth Klingbacher, Jürgen Schmücking https://www.flickr.com/photos/105864147@N08/sets/72157651754591830

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Bienen haben derzeit nichts zu lachen. Seit Jahren nehmen die Bestände ab – in Österreich hat ein Drittel der heimischen Bienen­ völker den heurigen Winter nicht überlebt. Eine zentrale Rolle spielen offenbar die in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzten Pestizide. Als besonders bienenschädlich gelten die sogenannten Neonicotinoide. Sie beeinträchtigen massiv das Nerven- und Immunsystem der Bienen. Nach langem Zögern schloss sich daher auch Österreich 2013 einem EU-weiten, befristeten Neonicotinoid-Teilverbot an. Doch ob das ausreicht, erscheint vor dem Hintergrund einer aktuellen Studie mehr als fraglich: Forscher der Universität Newcastle fanden heraus, dass Bienen Neonicotinoide nicht schmecken können und – besonders erstaunlich – neonicotinoidhaltige Zuckerlösungen gegenüber reinen Zuckerlösungen sogar bevorzugen. Neonicotinoide steuern im Nervensystem von Bienen die gleichen Mechanismen an wie Nikotin im Gehirn von Menschen und lösen einen „typischen Suchtmechanismus“ aus. Die Studie zeigt, dass ein Teilverbot von Neonicotinoiden nicht ausreicht, wenn Bienen sich bei freier Wahlmöglichkeit aufgrund der wirkenden Suchtmechanismen für den für sie schädlichen, insektizidhaltigen Nektar entscheiden. Quelle: www.ncl.ac.uk, www.science.orf.at ek

DIE WAHRHEIT ÜBER UNSER ESSEN „Nicht schon wieder eines dieser Pseudo-BioAufdecker-Bücher!“ könnte man denken, wenn man das deutsche Cover von Peter Laufers Buch betrachtet. Das Original „Organic: A Journalist’s Quest to Discover the Truth Behind Food Labelling“ bringt die Intention des Autors vergleichsweise klar auf den Punkt. Peter Laufer ist Journalist und überzeugter Bio-Konsument. Die Geschichte seines Buches beginnt in seiner Heimat Oregon, als er in einem Supermarkt biologische Walnüsse kauft, die aus Kasachstan stammen. Er macht sich auf den Weg, um herauszufinden, wo seine täglich konsumierten Nahrungsmittel eigentlich herkommen. Laufer zeigt Schwachstellen im schnell wachsenden Bio-Markt auf, liefert aber auch zahlreiche positive Beispiele. Ein zweifellos amerikanisches Buch, aber wesentlich reflektierter als es der deutsche Titel vermuten lässt. Laufer liefert keine einfachen Antworten, sondern wirft vielmehr Fragen auf, die wir uns als mündige Konsumenten und Teil des globalisierten Wirtschaftssystems verstärkt stellen müssen.

www.bio-wissen.org

BIENEN AUF DROGEN

Was soll das eigentlich? Internationale Konzerne die plötzlich die Nachhaltigkeit für sich entdecken? Die mit Regionalität werben, aber mit Herkunft oft nur den Ort der maschinellen Etikettierung meinen? Wir wurden von Beginn an von österreichischen Bio-Bauern beliefert. Und da es zum Beispiel Pfeffer nicht so mit dem Waldviertler Klima hat, beziehen wir ihn aus einem eigenen Anbauprojekt in Tansania. Etikettiert und verpackt wird er bei uns im Waldviertel – übrigens per Hand. Mehr Infos über unsere Anbauprojekte unter: www.sonnentor.com/herkunft

Wir

wissen

wo unser

Pfeffer wächst. Sonnentor-Bäuerin der ersten Stunde: Oma Zach

Residenz Verlag, www.residenzverlag.at ek

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Mehr

. Mehr Qualität.

Nachvollziehbare Herkunft

Ausgezeichnete Qualität 100% BIO

Gentechnikfrei

Unabhängige Kontrollen

Das gemeinschaftliche EU-Biologo kennzeichnet verpflichtend alle verpackten Bio-Lebensmittel, die nach den EU-Bioverordnungen Nr. 834/2007 und Nr. 889/2008 hergestellt wurden. Das AMA-Biosiegel steht als Gütesiegel für 100 Prozent biologische Zutaten und ausgezeichnete Qualität. Eine Reihe von Qualitätsfaktoren wird konsequent unter die Lupe genommen, z.B. produktspezifische chemische, mikrobiologische und sensorische Kriterien. Zusätzlich wird absolute Transparenz bei der Herkunft garantiert. Die Farben rot-weiß-rot bedeuten beispielsweise, dass die wertbestimmenden Rohstoffe aus Österreich stammen und die Be- und Verarbeitung in Österreich erfolgt. www.bioinfo.at

www.ec.europa.eu/agriculture/organic

FINANZIERT MIT FÖRDERMITTELN DER EUROPÄISCHEN UNION UND MITTELN DER AGRARMARKT AUSTRIA MARKETING GESMBH.


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