Freisberg Wohnbedarf Magazin 01/2017

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: EXTRTARIP N DESIG PARIS

PARIS IST EN VOGUE

ES GRÜNT SO GRÜN DAS NEUESTE VON DER KÖLNER MÖBELMESSE

FRÜHLING 2017 13. JAHRGANG DEUTSCHLAND: 4,50 € SCHWEIZ: 8,– SFR EU-LÄNDER: 5,50 €

DIE STADT DER STARKEN FRAUEN

RADIKALE POETIN DIE WELT DER INGA SEMPÉ WOHNEN + EINRICHTEN UND LEBEN + ARBEITEN


RÜCKBLICK – ERSTER POPUP STORE VON FREISBERG WOHNBEDARF

Im Mannheimer Stadt-Quartier Q6Q7 zeigte Freisberg Wohnbedarf drei Monate in einer weiteren Ausstellung Design-Klassiker und zeitlose Möbel. Wir freuen uns, dass uns zahlreiche neue und bekannte Design-Liebhaber auch hier entdeckt haben und Sie einen Einblick in unsere Möbel-Welt erhalten haben.

Gerne beraten wir Sie zu unserem umfangreichen Sortiment exklusiver Einrichtungsmarken wie Vitra, USM, Interlübke, COR, Moooi, Knoll, Artemide, MDF Italia, Alias, B&B Italia, Cassina, Kartell, Montana, Moormann, Moroso, Porro, Piure, Schramm, Thut und vielen mehr.

Unsere umfassenden Einrichtungskonzepte können Sie weiterhin bei uns in Mannheim und in Ludwigshafen-Oppau direkt begehen. Unser Produkt-Portfolio reicht von Sofa, Tisch und Bett über Sessel, Stuhl und Regal bis zu Sideboard und Lampen. Innenausstattung mit Tapeten, Teppichen, Vorhängen und Gardinen runden ebenso wie Accessoires die Kollektionen ab.

Freisberg Wohnbedarf richtet Ihre Räume zum Wohnen, Arbeiten und Leben ein – von zeitlos, schlicht und elegant bis modern und progressiv. Seit 1928. Folgen Sie uns auf Facebook: www.facebook.com/freisberg.raumfreiheit

Freisberg Wohnbedarf GmbH Edigheimer Straße 7 ∙ 67069 Ludwigshafen Tel. 0621 65 919 70 Fax 0621 65 919 99

Filiale Mannheim R 6,1 ∙ 68161 Mannheim Tel. 0621 25469 Fax 0621 14652

www.freisberg-wohnbedarf.de ∙ info@freisberg-wohnbedarf.de


INHALT Französisches Design Pendelleuchten Vertigo von Petite Friture und Satellite von Gubi

HOME STORY

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EN VOGUE

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26 DESIGNTRIP PARIS

SEINE-SCHÖNHEIT

Wie eine Pariser Wohnung den Geist des Art déco mit modernem Komfort verbindet

Wie Frauen die Stadt prägen: Das ist Paris 2017

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KAUFHAUS FÜR DESIGN-IDEEN Colette – seit zwei Jahrzehnten in Sachen Stil auf der Höhe der Zeit

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3 TO WATCH

Pariser Aufsteigerinnen, die man im Blick behalten sollte

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RADIKALE POETIN

Kompromisslos im Design und im Gespräch: Inga Sempé

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MADAME MODERNE

Möbel für Le Corbusier: Charlotte Perriand

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57 DER KLASSIKER

LIEGE LC4

Die „Ausruh-Maschine“ aus Stahlrohr

58 03 STANDPUNKT

Neuheiten von der Pariser Messe Maison&Objet

GERNE RABENMUTTER

Inga Sempé, Frankreichs gefragtester weiblicher Designer, über Frauen in Paris

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TRENDSCOUT Très chic bis poppig: Möbel made in Paris

PANORAMA

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Architektur zum Staunen

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TRENDSCOUT

TRENDSCOUT News rund ums Einrichten

TRENDSCOUT

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Lesenswert & wissenswert

IMM COLOGNE 2017 Höhepunkte der Kölner Möbelmesse

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BEI TALBOT RUNHOF IN PARIS

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SERIE: FAMOUS CHAIR Chansonlegende Charles Aznavour mit dem Executive Chair von Eero Saarinen

Entspannter Glamour – ein Hausbesuch in der Wohnung des Designduos

Soft Modular Sofa Developed by Vitra in Switzerland Design: Jasper Morrison

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MAGAZIN FÜR EINRICHTEN UND LEBEN

Ihren Vitra-Fachhändler inden Sie unter www.vitra.com/handel

www.vitra.com/softmodularsofa


PANORAMA

LICHT-BLICKE IN DEN OBERSTEN ZWEI ETAGEN der Pariser Kenzo-Zentrale, direkt gegenßber dem Pont Neuf, thront das japanische Restaurant Kong unter einer gläsernen Kuppel des Glasspezialisten Sunergy auf einem noblen Haussmann-Altbau. Die poppig-modernistische Einrichtung hat Philippe Starck vor Jahrzehnten entworfen: eine Stilmelange aus Louis-quinze-Sesseln aus Acrylglas, Plasmabildschirmen, einer luoreszierenden Treppe und einem Teppich aus Kieselsteinen. Klassisch ist hier nur der Blick auf die Seine.

WWW.KONG.FR


PANORAMA

SCHIFF AUS GLAS LE VAISSEAU DE VERRE beherbergt seit 2014 die zeitgenössische Kunstsammlung der Fondation Louis Vuitton. Der US-Architekt Frank Gehry bedeckte die Fassade mit zwölf Elementen aus Holz, Glas und Stahl, die das Museum durch den Bois de Boulogne „segeln“ lassen. Das 100 Millionen Euro teure Gebäude mit seinen elf Galerien und einem Auditorium soll nach 50 Jahren in den Besitz der Stadt übergehen.

WWW.FONDATIONLOUISVUITTON.FR


PANORAMA

COOLER POOL DER BLICK DURCHS HOTELFENSTER fällt auf Paris’ berühmtestes Schwimmbad. Das „Molitor“ eröfnete 1929 und war 60 Jahre lang eine mondäne Wellness-Adresse. Mit der Eröfnung des den Pool einfassenden Hotels Molitor wurde das denkmalgeschützte Art-déco-Bauwerk zu neuem Leben erweckt. Die Inneneinrichtung des Hotels stammt von Jean-Philippe Nuel und ist als Zeitreise durch die Epochen modernen Designs konzipiert.

WWW.MLTR.FR


TRENDSCOUT NEWS

ACCESSOIRES

Herz-Beutel Love von Alexander Girard

IM ZEICHEN DER LIEBE

Holzfiguren Mutter-undKind-Fische von Alexander Girard

DUFTKERZEN

KÖNIG-LICHT

FRÜHLINGSHAFT kommt die aktuelle Vitra Accessoires Collection daher. Wie eine bunte Collage fügen sich die klassischen und modernen Objekte. Besonders „liebe-voll“: die Objekte von Alexander Girard. Außerdem zählen Kreationen von Charles und Ray Eames, George Nelson, Ronan und Erwan Bouroullec, Hella Jongerius und Michel Charlot zum Programm.

DIE 1643 gegründete französische Kerzenmanufaktur Cire Trudon belieferte schon den Sonnenkönig Ludwig XIV. mit Lichtern für das Schloss in Versailles. Die Aromen der handgemachten Dutkerzen zitieren biblische Geschichten und königliche Legenden.

VITRA.COM

TRUDON.COM

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RED EDITION

PARISER ZUHAUSE WILLKOMMEN daheim! Die Pariser Red Edition vereint klassische Eleganz im Look der Fünfziger- und Sechzigerjahre mit Vintage-Möbeln und erlesenen Accessoires. Der Showroom im Szeneviertel Marais beindet sich in einer 120-QuadratmeterWohnung und kann montags bis samstags nach Anmeldung besichtigt werden.

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REDEDITION.COM

Couch mit schwarzem Holzrahmen, Wiener Geflecht und Samtbezug

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01 Spiegel Ellipse aus Rauchglas mit poliertem Messingboden

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02 Der Red Showroom ist als Privatwohnung eingerichtet

03 David Hodkinson entwarf den Stuhl Floating

MAGAZIN FÜR EINRICHTEN UND LEBEN

04 Stuhl Floating mit Bezug von Grafik Wow

C ON S E TA B Y F. W. M Ö L L E R COR.DE 04


HOME STORY PARISER APPARTEMENT

FARBENFROH, DEKORATIV, ÜPPIG

Der Fächer eines Pfaus war Vorbild für die Farben im Wohnzimmer. So dominieren hier Türkis, Dunkelblau und Azur

EN VOGUE Repräsentativ 200-QuadratmeterWohnung an der Rue du Faubourg Saint-Honoré im Viertel Les Ternes

Art déco ist wieder angesagt. Im „Überflüssigen das Notwendige“ zu sehen ist Inspiration für Innenarchitekten und Designer – wie diese große Pariser Wohnung bestens belegt TEXT + PRODUKTION: Kerstin Rose FOTOS: Christian Schaulin

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MAGAZIN FÜR EINRICHTEN UND LEBEN

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HOME STORY PARISER APPARTEMENT

„ACCESSOIRES SETZEN AKZENTE UND BESTIMMEN DEN CHARAKTER EINER WOHNUNG“

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er Schauplatz: ein herrschatliches 200-Quadratmeter-Appartement an der Rue du Faubourg Saint-Honoré unweit der Place Charles-de-Gaulle im gut situierten Viertel Les Ternes. Hier ist Großes entstanden. Glanz und Glamour des vergangenen Jahrhunderts paart sich mit modernem Wohnkomfort und Individualität. Die Eigentümer, ein aufstrebendes Paar der Pariser Gesellschaft, wünschten sich ein warmes, offenes Heim für die Familie, das alltagstauglich und repräsentativ zugleich sein sollte. ARCHITEKTIN MIT CARTE BLANCHE

Weil die Autraggeber viel zu beschäftigt waren, legten sie die Planung vertrauensvoll in die Hände der Innenarchitektin Anne-Sophie Pailleret und gaben ihr Carte blanche. Die Designerin nahm die Herausforderung begeistert an. An der Rue du Faubourg SaintHonoré wurden zunächst die Räume neu aufgeteilt, der Eingangsbereich geöffnet und mit dem Wohnzimmer vereint. Im hinteren Teil der Wohnung entstanden aus den einstigen Wirtschafts- und Bedienstetenzimmern zwei Kinderzimmer und ein zweites Bad. Die Grundidee: Die Wohnung sollte ihre Spannung aus runden und rechteckigen Gegenspielern gewinnen. Einerseits werden vorhandene Ecken, Linien und Winkel mit einem

ANNE-SOPHIE PAILLERET INNENARCHITEKTIN 01 FlohmarktFunde Das Daybed von Finn Juhl, die alten Tischchen und die Leuchte

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02 Accessoires wiederholen das Farbkonzept. Die Vase in Türkis steht auf einem Cofee Table von Caravane, Paris

Runde Formen vermitteln Weichheit, etwa die türkisfarbene Couch und der dunkelblaue Sessel. Dazu kommt das Vintage-Regal von Joe Colombo

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schwarzen Rahmen betont. Er verläuft unterhalb der Decke im gesamten Wohnbereich, umschließt Türen und Fenster und findet sich grafisch und strukturierend auch in Wandbildern wieder. Andererseits wurden dazu Möbel, Lampen und Dekorationen, ja sogar die Musterung der Stoffe als Kontrapunkte gewählt. Die runden Formen finden ihren Höhepunkt 16

in der halbrunden Küchenwand. Diese bauliche Maßnahme bricht den grafischen Rahmen, lässt den Raum weich, fließend erscheinen. Allerdings strapazierte sie auch das Budget. Die Kücheneinbauten sind Spezialanfertigungen, genau wie die Sitzbank im Essbereich. Auch bei der Farbgebung setzte die Innenarchitektin auf Kontraste. Die

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„DIE WANDDEKORATION HAT ETWAS GRAFISCHES UND STRUKTURIERENDES“ ANNE-SOPHIE PAILLERET INNENARCHITEKTIN

schwarz-weiße Wandgestaltung zieht sich als Thema durch die Räumlichkeiten. Ergänzt wird sie durch golden schimmernde Details, etwa in dem von ihr gefertigten großformatigen Bild im Essbereich oder an den Einbauten gleich neben dem Kamin. Für die Möbel und Accessoires im Wohnbereich wählte Pailleret die

„Farben eines Pfaus“. Die türkisfarbene Couch, die dunkelblauen Sessel, die Tischchen und Kissen in Azur in Kombination mit dem metallen glänzenden Teppich entfalten eine ähnliche Wirkung wie der aufgefächerte Federschwanz des Vogels: Sie ziehen Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Bewunderung auf sich.

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02 01 Linien betont Pailleret mit einem Rahmen – hier in der Essecke. Gegenspieler dazu sind die runden Formen der Stühle von Cherner

02 Leuchten aus den 1930er- bis 1950er-Jahren sorgen für Atmosphäre. VintageStücke sind für Pailleret die erste Wahl

03 Die Konsole mit der schwarz lackierten Platte von Christian Liaigre steht im Eingangsbereich der Wohnung

01 MAGAZIN FÜR EINRICHTEN UND LEBEN

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HOME STORY PARISER APPARTEMENT

Ironisch gebrochen wird die Affinität zum Art déco im Gäste-WC: Es ist mit einer changierenden, floralen Stofftapete verkleidet – viel Glamour für einen stillen Ort. Fünf Monate dauerte die Umgestaltung der Wohnung. Für die Plane-

rin war es harte Arbeit, für die vierköpfige Familie ein großes Fest. Weil man bereits in der Wohnung lebte, wurde zunächst das Wohnzimmer renoviert. Damit die Überraschung perfekt wurde, verschwand die Baustelle komplett hinter Planen ohne ein ein-

„DER LUXUS KOMMT MIT DEN DETAILS“ ANNE-SOPHIE PAILLERET INNENARCHITEKTIN

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01 Innenarchitektin Anne-Sophie Pailleret erhielt von den Eigentümern Carte blanche 02 Schwarze Linien finden sich nicht nur an den Wänden, sondern auch auf einzelnen Accessoires

ziges Guckloch. Während die Handwerker die Böden sanierten, die Wände gestalteten, die Schreiner- und Elektroarbeiten ausführten, ging die Innenarchitektin shoppen. Was es nicht zu kaufen gab, wurde selbst entworfen, darunter der Stuhl im Eingangsbereich, das türkisfarbene Sofa und die Bank am Esstisch. Dazu gesellten sich besondere Vintage-Stücke. Erst als auch die letzte Blumenvase auf ihrem Platz stand, war es Zeit für die Familienbescherung: „Es war wie Weihnachten, ein Staunen und Raunen“, erinnert sich Anne-Sophie Pailleret. EIGENS ENTWORFENE ACCESSOIRES

Und so ging es weiter, Woche für Woche, Raum für Raum. Die Familie blieb entspannt und begeisterte sich besonders für die Kinderzimmer. Für die beiden Söhne waren die Bauarbeiten ein großer Spaß. Sie durten sich ihre Betten, Tapeten und Schreibpulte selbst aussuchen; oder vielmehr aus der Vorauswahl ihre Favoriten bestimmen. Bis hin zur Bettwäsche wurde alles zusammengestellt. Von den Accessoires wurden viele eigens für diese Wohnung entworfen, darunter auch die Grife. In der Küche zieren helle Knäufe aus Knochen die Blenden. Ganz im Geist des französischen Art déco: Der Luxus kommt mit den Details.

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Das Farbkonzept wiederholt sich bei Geschirr und Fensterrollos. Tisch und Stühle sind von Knoll, Entwurf Eero Saarinen

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HOME STORY TALBOT RUNHOF

ZU HAUSE BEI TALBOT RUNHOF IN PARIS Große Jungs in Jeans und Turnschuhen: Obwohl Adrian Runhof und Johnny Talbot das CelebrityDressing erfolgreich nutzen, halten sie sich selbst lieber fern von Events und Galas

ENTSPANNTER GLAMOUR Die Kleider von Adrian Runhof und Johnny Talbot tragen Stars wie Angelina Jolie. Sie selbst sind Turnschuhtypen. Ihre Wohnung in Paris bietet Raum für beides: Sie ist mal Showroom – mal lädt sie nach dem Trubel zu Mußestunden ein TEXT + PRODUKTION: Kerstin Rose FOTOS: Christian Schaulin

„ES IST WIE PINGPONG SPIELEN. WIR WERFEN IDEEN HIN UND HER UND VERBESSERN SIE GEGENSEITIG“ JOHNNY TALBOT FRÜHER PROGRAMMIERER, HEUTE DESIGNER

A Überall stehen Blumen, wie hier auf dem Kaminsims. Runhof und Talbot haben mehrere Lieblingsblumenhändler in Paris

ltbau mit stuckverzierter Decke, Vertäfelungen an der Wand, Holzboden und blinder Kamin – pariserischer geht es kaum. Man kann sich gut vorstellen, wie hier die Ideen für große Roben entstehen. Das Designduo Adrian Runhof und Johnny Talbot ist in der Hauptstadt der Mode längst angekommen. Seit 2006 ist ihr Münchner Label Dauergast bei den Prêt-à-porter-Schauen an der Seine. Wenn die Runway-Shows vorüber sind, können sich Kunden die Kleider in ihren Privaträumen ansehen, dann verwandelt sich die Wohnung in einen Showroom. „Wir wollen Glamour, aber keinen blasierten“, sagt Runhof und spricht über die Entwürfe. Er könnte aber auch die Wohnung meinen, die den herrschatlichen Charme eines Pariser Altbaus mit einer lässigen, bequemen Einrichtung vereint.

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Wenn der Trubel vorbei ist, genießen Runhof und Talbot die Ruhe nach dem Sturm. Dann faulenzen sie im Wohnzimmer auf den großen Sofas – in Grau, von B&B Italia –, hören Musik oder kochen ausgiebig. Liebe zum Detail ist beiden wichtig, in ihren Entwürfen, aber auch bei ihrem Lifestyle. Immer wieder stößt man in der Wohnung auf Vierecke: „Wir sahen die Glasquadrate in den Zimmertüren und haben diese Form als Thema für die Wohnung aufgegrifen.“ Quadrate inden sich in Form von Sitzmöbeln, wie dem LC2-Sessel von Le Corbusier, Leuchten und Bildern. Talbot kommt aus Nashville, Tennessee, und beschreibt das Leben dort als „extrem langweilig“: „Die Leute kennen es nicht, den Tisch schön zu decken und draußen zu essen. Man pendelt zwischen Vorabendserie, Job und Einkaufs-Mall in der Vorstadt hin und her.“ 23


HOME STORY TALBOT RUNHOF 01 Stofe inspirieren das Duo zu Entwürfen. Die Kollektion Frühjahr/ Sommer 2017 hat als Thema „Dschungel“

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02 Purple Rain – das Fliederviolett steht für Sinnlichkeit und ziert die Wände des Bads, ebenso das Etikett des Modelabels

Paris, das ist für ihn dagegen euro­ päische Lebensart im besten Sinn. Hier vertiet sich das Duo gern für Stunden in Stofe und lässt sich zu neuen Entwürfen inspirieren. Leben und Arbeiten ist bei Runhof und Tal­ bot ein ließender Prozess. „Wir kön­ nen in Paris genauso gut arbeiten wie in München, nur dass uns hier nicht alle zwei Minuten jemand stört.“ DAS PERFEKTE KLEID

Nach dem Aufwachen lässt Runhof im Bett ein, zwei Stunden seine Ge­ danken schweifen und spielt Ideen gedanklich durch. Talbot dagegen ist ein Frühaufsteher, Ideen für neue Kreationen kommen spontan. Dann zieht er sich für Stunden zurück und ist nicht ansprechbar. Weder Runhof, der aus einer Familie von Modepro­ duzenten stammt, noch Talbot, der studierter „electrical engineer“ ist, können zeichnen. Statt Skizzen zu machen, „baut“ Talbot Kleider, indem er Stofe um ei­ ne Puppe drapiert. Runhof gibt dem Grobentwurf dann einen Look, küm­ mert sich um die Details. Weil sich die Designer häuig in ihren Läden auhalten, wissen sie, was ihre Kun­ dinnen wollen – ot gilt es, bestimmte Körperteile zu bedecken. „Männer haben das auch! Männer haben nur 24

andere Möglichkeiten. Wir müssen nicht mit nackten Oberarmen über den roten Teppich lanieren“, konsta­ tiert Talbot. Typisch für ihre Kleider ist, dass sie sich um den Körper schmiegen und subtil sexy sind. „Es ist wie Pingpong spielen. Wir werfen Ideen hin und her und verbessern sie gegenseitig“, so Talbot. Dass Leben und Arbeiten zusam­ mengehören, zeigen auch Küche und Bad: Ihre Lieblingsfarbe Purple, in der das Etikett des Labels und das Futter vieler Kleider ist, ziert die Wän­ de. Der Farbe seien sie wegen ihrer Sinnlichkeit verfallen. Aus dem glei­ chen Grund mögen Runhof und 02

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Talbot Grün und sitzen beim Arbei­ ten und Essen auf gitgrünen Panton Chairs. Kein Wunder, dass sie 2012 eine komplett grüne Kollektion wag­ ten – eigentlich ein No­Go. Da war das Duo schon etabliert. Den Durchbruch hatte es 1994, als die Schauspielerin Maria Furtwängler in ihrem ersten Münchner Geschät das teuerste Abendkleid kaute und beim „Bambi“ trug. Damals saß Tal­ bot im Laden und erkannte die blon­ de Frau nicht. Erst später wurde klar, dass dieser Moment der Jackpot war und das Label auf die roten Teppiche der Welt brachte. Kein Grund für das Duo abzuheben. Glamour auf die ent­ spannte Art.

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03 Lässige Einrichtung Auf dem USM-Sideboard finden Bücher Platz, auf dem Tisch stehen Schuhkreationen

Die Glasquadrate in den Türen haben das Designduo dazu inspiriert, die Form in Bildern, Lampen und Sesseln zu wiederholen


DESIGNTRIP PARIS

DESIGNTRIP PARIS

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SEINE-METROPOLE

KAPRIZIÖSE SCHÖNHEIT MIT GROSSEM HERZ!

In Paris ist die Schönheit zu Hause. Die der Frauen, der Häuser, der Plätze, der Parks, der Museen, der Mode und die Schönheit des Designs. Die Skandinavier sind minimalistisch klar, die Mailänder ein bisschen oberflächlich, aber die Pariser, die sind einfach elegant bis zur Opulenz. Schauen Sie doch einfach mal selbst nach TEXT: Katharina Zilkowski

aris 2017 zwischen Nostalgie und Zukunt. Die Schöne an der Seine zeigt sich ganz sensibel von ihrer weiblichsten Seite. Das liegt auch an Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die im dritten Amtsjahr die Stadt prägt. Kritiker werfen ihr vor, aus Paris ein Radfahrerparadies für „Bobos“ zu machen, die „bourgeois-bohème“, wie man gut verdienende Linksliberale hier nennt. Hidalgo inspiriert sich an der Berliner Philosophie von „leben und leben lassen“. So kommt es, dass der Stadtrat für den Sommer 2017 erstmals einen FKK-Park bewilligt hat. „Love & Peace“-Revolution in Paris? Für Designinteressierte ist Paris 2017 in jedem Fall ein Wochenende und mehr wert. AB DER MÉTRO-STATION LEDRU-ROLLIN

Geduldig puzzelt Delphine Messmer in ihrem Atelier zwischen Bastille und Place de la République mit ihren kleinen Keramiksplittern. Sie ist eine renommierte Mosaikkünstlerin und bestätigt gerne, dass Paris ein bisschen melancholisch sei. Die Bestellungen für Dekore im Stil der vorletzten Jahrhundertwende häufen sich – die Retrowelle trit Restaurants und Bistrofassaden. Messmers Atelier ist inmitten der Schauplätze, die im November 2015 von den Anschlägen betrofen waren. Dass Bistroterrassen ein wichtiger Teil der Pariser Kultur sind, weiß nun die ganze Welt. Noch eine Frau des Quartiers: Jennifer Le Nechet (29) ist amtierende Cocktailweltmeisterin – als erste Frau in der Geschichte der Diageo World Class in Miami. Ihre dort kreierten Cocktails, etwa einen ohne Eis und Wasser als „Klimawechsel-Warnung“

Louvre-Haupteingang im Souterrain: Die Glaspyramide des USchinesischen Architekten Ieoh Ming Pei wurde 1989 fertiggestellt

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und ihren modernisierten Cuba libre aus der Kategorie „Ein Drink für Barack und Michelle Obama“, mixt sie auch im Café Moderne. VON FILLES DU CALVAIRE AUS DURCH DEN MARAIS

Paris auf der Suche nach Sinn! Ein Symbol dafür ist der neue Concept Store des französischen Kunsthandwerks Empreintes. Ein Slow-Life-Tempel auf vier Etagen mit circa 1000 Einzelstücken oder in kleinen Serien hergestellten Objekten und Möbeln. Gegenüber beindet sich übrigens der Marché des Enfants Rouges, Streetfood-Hof und Lunchspot der Galeristen im Quartier. Wir haben ein klares Faible für die dampfenden Couscous-Töpfe der Marokkanerin Amina ausgemacht. Gleich nebenan die Rue Debelleyme. In Nummer 5 die Galerie

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01 Grande Arche im Stadtteil La Défense: Die Besucherterrasse des 111 Meter hohen Bogens ist ab Mai 2017 wieder zugänglich 02 Die Place des Vosges mitten im Szeneviertel Marais gehört zu den beliebtesten Oasen der Metropole

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03 LifestyleTempel Der Concept Store Empreintes präsentiert über 1000 Objekte

04 Rohholz ist sein Markenzeichen: Seasons aus Haselholz von Valentin Loellmann, gesehen in der Galerie Gosserez

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05 Das Musée Picasso im Marais beherbergt 500 Werke des spanischen Meisters

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Karsten Greve, in Nummer 7 die von Thaddaeus Ropac. Verabredet sind wir in der Galerie Gosserez, Rue Debelleyme Nummer 3, wo MarieBérangère Gosserez junge europäische Möbeldesigner fördert: „Ich liebe pure Materialien, Holz, Stein, Marmor, Messing, und den sinnlichen, relektierten Umgang damit.“ Gosserez war die Erste, die das Riesentalent des deutschen Shootingstars Valentin Löllmann mit seinen Rohholzobjekten erkannte. Das Breizh Café, die beste Crêperie von Paris. Ah, die löchrige Leichtigkeit der Buchweizencrêpes des Bretonen Bertrand Larcher, der erst nach Tokio zog, um dann im Schatten des Picasso-Museums zu eröfnen. Die Kreationen des Breizh Café sind Kunstwerke, die sich zum üblichen Angebot verhalten wie ein Zen-Garten zu einem Acker. 28

Natürlich ist das Picasso-Museum, im Herbst 2014 mit verdreifachter Ausstellungsläche neu eröfnet, mehr denn je ein Muss: 500 Werke von Pablo Picasso werden nun gezeigt. Noch ein Umweg im Marais: die Galerie des Dandys unter den Pariser Designern, Hervé van der Straeten – grandios und diskret in einem Hinterhof gelegen. Eine Parallelstraße weiter, in der Rue Pavée, Caravane, wo bereits seit 1995 ethnoschicker Pariser Lifestyle verkaut wird. Eines der großzügigen Sofas indet sich garantiert in jedem Buch, das sich mit den coolen Stilköniginnen der Stadt, den „Parisiennes“, beschätigt. Träumen nicht alle Pariserinnen davon, in Ringelshirt und Boyfriend-Jeans, tief versunken in die weichen Leinenkissen eines Caravane-Kanapees, einen Liebhaber anzuschmachten?

„GEBT MIR EIN MUSEUM, ICH WERDE ES FÜLLEN“ PABLO PICASSO KÜNSTLER

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DESIGNTRIP PARIS

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04 01 Genuss mit Blick auf die Kathedrale: die Brasserie Aux Tours de Notre Dame

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04 Skulpturen im überdachten Lichthof des Louvre 05/06 Gitterstrukturen aus Holz sind das Markenzeichen des dänischen Designers Rasmus Fenhann. Er gehört zu den von der Galeristin Maria Wettergren vertretenen skandinavischen Designern

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ZWISCHEN NOTRE-DAME-DELORETTE UND PIGALLE

Kanapees? Zeit, über Essen zu spre­ chen! Soziologen studieren momen­ tan, wie wichtig das Essen in Paris wieder geworden ist, wie wichtig der Trost durch das, was Frankreich am Herd so gut kann. Hier hat ein gewisser Pierre Hermé vor über zehn Jahren die „Haute Pâ­ tisserie“ erfunden. Die hohe Kunst der Zuckerbäckerei hat ganze Stra­ ßenzüge verändert. Die Rue des Mar­ tyrs in Süd­Pigalle ist einen Besuch wert: monomanische Food­Shops und Patisserien auf 600 Metern!

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STATION ODÉON

Auf der anderen Seine­Seite, Rive gauche, sind die englischsprachigen Touren von Paris by Mouth, die zwi­ schen Backstuben, Käsekellern und Aperitif an typischen Zinktresen halt­ machen, stets ausgebucht. Doch auch die wichtigsten Designgalerien in­ den sich im Quartier Saint­Germain­ des­Prés: Clémence und Didier Krzentowski von der Galerie Kreo besitzen eine der größten privaten Sammlungen zeitgenössischen De­ signs weltweit. Dann Maria Wettergren: Die junge Dänin hat eine hochinteressante

Brücke zwischen skandinavischem Design und französischer Kreativität geschlagen. Sentou am Boulevard Ras­ pail verlegt demokratisches Design. Die Galerie En attendant les barba­ res, Vitrine von Elizabeth Garouste und Mattia Bonetti, hat im ver­ gangenen Herbst vier talentierte jun­ ge Designerinnen als Partnerinnen aufgenommen: Célia Bertrand, Marg­ aux Keller, Philippine Lemaire und Nika Zupanc. Spannend! Zurück über die Seine ans rechte Ufer. Ein Geheimtipp: innehalten in der ältesten französischen Kathedra­ le des Wissens, der bemerkenswerten Bibliothèque Mazarine, seit 1643 in den Mauern des Institut de France. Eine Gratisbesichtigung ist jederzeit möglich. Atemberaubend! LOUVRE, PALAIS ROYAL

Über den Pont des Arts geht es zum Louvre mit der Glaspyramide von Ieoh Ming Pei im Innenhof. Dessen außerordentliche Kollektionen müs­ sen hier nicht mehr gepriesen wer­ den. Lohnenswert: das Musée des Arts Décoratifs in einem Seitenlügel mit dem 107Rivoli. Das ist nicht ein­ fach nur ein Museumsshop, sondern er ist sich seiner Verantwortung be­ wusst, Designreferenz zu sein.

02 Klassische Métro-Atmosphäre in der Station Odéon 03 Zeitgenössisches Holzdesign in der Galerie Kreo

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DESIGNTRIP PARIS

Loulou, das von Jacques Dirand gestylte Restaurant, ist der neue Lieblingsspot der Pariser: Burrata aus Apulien und Catherine Deneuve am Nebentisch, die „slim“ raucht, weil sie das auf der Restaurantterrasse mitten im Tuileriengarten darf! In der Gegend um den Louvre sieht man seit 1997 überall die Shoppingbags von Colette. Das Konzept des Concept Store hat seitdem viele Nachahmer gefunden. Interessant: The Broken Arm, eine junge Kreativtruppe, die zwischen Klamotten, Designstücken und Café für Überraschungen sorgt, wie neulich mit Memorabilia von Robert Mapplethorpe. Die mode- und designinteressierte Pariserin hat ein Faible für die Marke Sézane, deren „Appartement“ nur von Mittwoch bis Samstag geöfnet ist.

DESIGNTRIP PARIS 03 Stillleben moderner französischer Wohnkultur im Showroom des Labels AM.PM.

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„EINEN TRAUM KANN MAN NICHT IN ZAHLEN FASSEN“

STATION TROCADÉRO

Das bürgerliche Paris lebt im 16. Arrondissement, dessen Zentrum die Place du Trocadéro ist, Aussichts-

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BERNARD ARNAULT MILLIARDÄR UND UNTERNEHMER (LOUIS VUITTON)

01 Kultgalerie Bei Sentou, gegründet 1947 in Südwestfrankreich von Robert Sentou, shoppt man wie im Wohnzimmer 02 Die Galerie En attendant les barbares („Warten auf die Barbaren“) vereint moderne Kunst mit Design des 21. Jahrhunderts

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04 Kultstätte für Designfans: der CassinaShowroom in SaintGermaindes-Prés

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rahmen auf die Lady von Paris, la Tour Eifel. An diesem monumentalen Platz indet man unter anderen Museen jenes für Architektur: Cité de l’architecture et du patrimoine. Nebenan bei Carette, einer Pariser Institution, lassen sich beim ClubSandwich oder Pain au chocolat Milieustudien im Quartier anstellen. Am Sonntagmorgen trit man schon mal Familienväter, die, nur mit Siegelring, Morgenmantel und Monogramm-Pantofeln ausgestattet, eine Tüte Croissants für Madame und die Kinder holen. In diesem Viertel hat das Label AM.PM. einen Showroom eröffnet. Es sind die Contempory-French-Möbel von AM.PM., die das Versandhaus La Redoute gerettet haben, die französische Antwort auf Ikea. Ein Mustsee für alle, die wissen wollen, wie es hinter den Fassaden der typischen Haussmann-Häuser aussieht. Von der Place de l’Étoile aus fährt der kleine Elektrobus der Fondation Louis Vuitton im Zehn-Minuten-Takt zur Stitung des französischen Luxustycoons Bernard Arnault. Das Bauwerk von Frank Gehry allein ist den Weg in den Bois de Boulogne wert. Übrigens sichert die Luxusindustrie Paris eine aufregende Zukunt. Arnaults ewiger Konkurrent, François

DIE ADRESSEN (TEIL 1) DELPHINE MESSMER 10, rue Basfroi, 75011 Paris www.delphinemessmermosaique.com CAFÉ MODERNE 19, rue Keller, 75011 Paris www.cafemoderne-tbmb.com EMPREINTES 5, rue de Picardie, 75003 Paris empreintes-paris.com MARCHÉ DES ENFANTS ROUGES 39, rue de Bretagne, 75003 Paris marchedesenfantsrougesfr.com GALERIE GOSSEREZ 3, rue Debelleyme, 75003 Paris www.galeriegosserez.com LE BREIZH CAFÉ PARIS 109, rue Vieille du Temple, 75003 Paris breizhcafe.com HERVÉ VAN DER STRAETEN 11, rue Ferdinand Duval, 75004 Paris www.vanderstraeten.fr/

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CARAVANE 6, rue Pavée, 75004 Paris www.caravane.fr/fr/ GALERIE KREO 31, rue Dauphine, 75006 Paris www.galeriekreo.com

Pinault (Kering), lässt seit 2016 die alte Pariser Handelsbörse von Tadao Andō restaurieren. Der einflussreichste zeitgenössische Kunstsammler, der Venedig mit dem Palazzo Grassi und der Punta della Dogana einen Riesengefallen getan hat, wird ab Ende 2018 seine Sammlung endlich auch zu Hause zeigen.

05 Nah am Wasser gebaut OlafurEliassonAusstellung in der Fondation Louis Vuitton

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GALERIE MARIA WETTERGREN 18, rue Guénégaud, 75006 Paris www.mariawettergren.com SENTOU 26, boulevard Raspail, 75007 Paris www.sentou.fr EN ATTENDANT LES BARBARES 35, rue de Grenelle, 75007 Paris barbares.com

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DESIGNTRIP PARIS STATION BLANCHE

Zurück zum Paris der Jahrhundertwende! Im Pigalle-Viertel drehen sich die Flügel des Moulin Rouge seit 1889 unermüdlich. Es ist das ToulouseLautrec-Postkarten-Paris, die Belle Époque, von dem die Menschen auf ewig fasziniert sind. In einer Nebenstraße: das Maison Souquet, ein neues, sehr spezielles Hotel. Prädikat: sehr sexy! Das Luxushotel war in der Belle Époque ein Freudenhaus. Heute: Samt und Seide und Napoléon-III.-in-Ägypten-Stil. Für das Interieur zeichnet Jacques Garcia verantwortlich, der kleine Prinz des Neobarocks. Die Bar ist zur Apéro-Zeit einen Besuch wert. Kellerpool und Spa sind Hotelgästen für private Stunden zu zweit (!) vorbehalten. Etwas weiter oben am Montmartre einen inalen Überblick über die bemerkenswerte architektonische Einheit von Paris gewinnen! Ein letztes Dinner bei einer der schönsten Geheimtipp-Adressen von Paris. Das Hôtel Particulier, ehemals Stadtvilla der Familie Hermès, ist ein sehr pri-

01 Sündenbabel Das legendäre Moulin Rouge im Vergnügungsviertel Pigalle

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DIE ADRESSEN (TEIL 2) CASSINA-SHOWROOM 236, boulevard Saint-Germain, 75007 Paris www.cassina.fr BIBLIOTHÈQUE MAZARINE 23, quai de Conti, 75006 Paris www.bibliotheque-mazarine.fr LOULOU (IM MUSÉE DES ARTS DÉCORATIFS) 107, rue de Rivoli, 75001 Paris loulou-paris.com THE BROKEN ARM 12, rue Perrée, 75003 Paris the-broken-arm.com L’APPARTEMENT SÉZANE 1, rue Saint Fiacre, 75002 Paris www.sezane.com/fr/lappartement CARETTE 4, place du Trocadéro, 75016 Paris www.carette-paris.fr CITÉ DE L’ARCHITECTURE ET DU PATRIMOINE 1, place du Trocadéro, 75016 Paris www.citechaillot.fr AM.PM. 60, avenue Victor Hugo, 75016 Paris www.laredoute.fr/pplp/cat-85201.aspx

02 02 Feinste Haute Cuisine Es ist angerichtet im Restaurant Le Mandragore („Alraun“} im Hôtel Particulier

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03 03 Eleganz mit privater Atmosphäre: das Hôtel Particulier in Montmartre

FONDATION LOUIS VUITTON 8, avenue du Mahatma Gandhi, 75116 Paris www.fondationlouisvuitton.fr

vates Hotel. Die Pariser Happy Few lieben es wegen seines Gartenrestaurants Le Mandragore mitten im Grünen, im satten Grün! Chef Thibaut Spiwack hat im Jules Verne von Alain Ducasse gelernt. Wer von nebenan die dumpf zusammenprallenden Kugeln des Club de Boules de Montmartre hört, hat Paris verstanden: Die Metropole an der Seine ist eine manchmal kapriziöse Schöne, mit einem authentischen Herzen, ungefähr so groß wie der Eifelturm! MAGAZIN FÜR EINRICHTEN UND LEBEN

LA MAISON SOUQUET 10, rue de Bruxelles, 75009 Paris www.maisonsouquet.com/fr HÔTEL PARTICULIER MONTMARTRE 23, avenue Junot, 75018 Paris www.hotel-particulier-montmartre.com

Willkommen im neuen Luxus. MIT NEX GENIESSEN SIE AUCH DEN LUXUS, AUS EINER VIELZAHL VON FORMEN UND FEIN ABGESTIMMTEN FARBEN WÄHLEN ZU KÖNNEN. NACH IHREN PERSÖNLICHEN WÜNSCHEN ENTSTEHEN SO EINZIGARTIGE SIDEBOARDS: PIURE.DE


STYLE CONCEPT STORE Auf den ersten Blick ist Colette übersichtlich, auf den zweiten eine Fundgrube fürs Feinste vom Feinen

COLETTE

TEMPEL DES LUXUS UND DER MODEN Colette war der erste Concept Store der Welt. Eine Boutique der neuesten internationalen Trends. Eine inspirierende Mischung aus Opulentem und Simplem, feinsinnig kuratiert und seit zwei Jahrzehnten immer stilsicher auf der Höhe der Zeit TEXT: Peter Kempe

C

olette heißt das Zauberwort des Einzelhandels seit nunmehr genau 20 Jahren. 1997 von Sarah Andelman und ihrer Mutter Colette Rousseaux in Paris gegründet, unterstützt von Freundinnen wie den Taillac-Schwestern, die einfach die Nase voll hatten von Monobrand Stores und einfallslosen Einzelhandelskonzepten. Dass sie damit etwas schufen, was heute gemeinhin als Concept Store bezeichnet wird, war ihnen nicht bewusst, und sicherlich ahnten sie auch nicht, dass es eine ganze Branche auf den Kopf stellen würde. Lange vor E-Commerce und allzeitiger Verfügbarkeit von fast allem schrieben sie sich auf die Fahne, all das Seltene und Trendsetzende aus unterschiedlichsten Bereichen – Interieur, Fashion, Musik und Magazinen – zu kuratieren und zu präsentieren. Was damals so futuristisch erschien und heute zur immer wieder Impulse setzenden Institution gewor-

den ist, basiert auf dem simplen Prinzip der guten Nachbarschat, mit dem schon Aristide Boucicaut das erste Kauhaus von Paris begründete, das Le Bon Marché. WALLFAHRTSORT FÜR TRENDSETTER

„Das Kauhausprinzip in hochwertiger und komprimierter Form auf eine Boutique übertragen, sie zum Wallfahrtsort für Trendsetter erheben, die perfekten Produkte suchen“, formuliert Sarah Andelman das Konzept von Colette. Verschiedene Dinge unter einem Dach zu verkaufen, die sich gegenseitig inspirieren, in einem Dekor, das wie eine neutrale Bühne Zeitlosigkeit symbolisiert. Die Einrichtung von Colette: schlicht, weiß, eher Laboratmosphäre, zurückhaltend und nicht von der Ware ablenkend, mit Treppen aus Flugzeugaluminium. Das Ganze eher an ein Fotostudio erinnernd als an einen Laden, in dem Luxus verkaut wird. Und das zu einer Zeit, den ausgehenden Neunzigerjahren, die eher

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STYLE CONCEPT STORE

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01 Seidenschal von Innangelo, Design von Inna Zobova

02 Wechselnde Motive sind in der Fotogalerie zu sehen – und zu kaufen

03 Herren finden bei Colette Kollektionen von Of-White bis Mistergentleman

Design und Prêt-à-porter zelebrierte und in der man nicht mit Lässigkeit Unterschiedliches kombinierte. Hochkultur und Popkultur zu mischen – für die meisten war das fremd, Colette erhob es zur Selbstverständlichkeit. Warum nicht Gucci neben Adidas-Sneakern präsentieren oder die Teile einer vergessenen schottischen Strickmanufaktur neben den neuesten UndergroundMagazinen? Begehrte Artikel wurden auf großen Tischen präsentiert, die wie Altäre des Konsums selbst Alltagsgegenstände zu Ikonen stilisierten.

04 Sarah Andelman gründete 1997 mit ihrer Mutter Colette Rousseaux den Store

„REAKTIONSFREUDIG, ENTSCHLOSSEN, EINFLUSSREICH, LEIDENSCHAFTLICH, VISIONÄR UND SPONTAN – DAS IST DER GEIST VON COLETTE“ SARAH ANDELMAN GRÜNDERIN COLETTE

Während sich die Common Brands vorher eher an den Designern orientiert hatten, spielten nun Underground-Trends und japanische Manga-Kultur als Einflüsse auf Europa eine Rolle. Colette läutete die Vermischung von Formal und Casual Wear mit ein und reagierte schnell auf die sich rasant entwickelnde Technik und die digitale Kultur. Colette war von Anfang an nicht nur international, sondern zeigte die Trends der Globalisierung wie in einem komprimierten Kaleidoskop.

Ein Besuch bei Colette war wie ein umfassendes Trendscouting auf kleinstem Raum. Der Puls des weltweiten Einzelhandels schlug in der damaligen Of-Lage der Rue du Faubourg Saint-Honoré, um von dort in die ganze Welt auszustrahlen. Schnell wurde der bis heute unveränderte Laden zur Pilgerstätte von Shop- oder Department-Store-Betreibern aus aller Welt, die keine Saison verstreichen ließen, um Trends, die dort gesetzt wurden, leißig aufzusaugen und begierig zu kopieren. Lange vor Instagram und Co. war Colette der bedeutendste Inluencer der westlichen Modewelt. DER BLICK IN DIE ZUKUNFT

Weltweit galt es plötzlich als chic, wie bei Colette das Sortiment zu durchmischen. Fashion Stores präsentierten neben ihrer Designermode aus Mailand oder Paris auch CofeeTable-Books oder exotische Mineralwassersorten. Das Prinzip wurde ot kopiert, doch nie erreicht, weil Colette sich weit im Voraus mit neuen Strömungen beschätigt. Im Basement eröfnete Colette das erste Healthy-Food-Restaurant in einem Fashion Store, und lange bevor das erste Starbucks in Europa eröf-

Reduktion auf das Wesentliche: Der klassische Stahlrohr-Sessel S 411.

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STYLE CONCEPT STORE 01 Qual der Wahl Am DuftkerzenRegal entscheidet nur das Gespür für Aromen

nete, schenkte man hier den ameri­ kanischen Kultkafee aus. Neben Designerkooperationen und Exklusiv­ artikeln für Colette sind es Präsen­ tationen neuer technischer Produkte, limitierter Bücher oder Editionen, die Colette während Messen oder der Fashion Weeks zum Anziehungs­ punkt werden lassen. Anfang der 2000er­Jahre kamen die avantgardis­ tischen Pariser auf die Idee, Flächen oder Schaufenster an Fashion Brands zu vermieten, um ihre Kollektionen als „Pop up“ für einige Tage oder Wochen in den Fokus zu stellen.

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03 Im Bistro namens Water Bar werden zur Stärkung fürs Shoppen kleine Köstlichkeiten gereicht

Form und Funktion – jeden Tag eine Klasse für sich.

04 Quadratischer Schal von Innangelo, Design von Inna Zobova

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KURATIEREN WIE FÜR EIN MUSEUM

Novitäten, die das strenge Auswahl­ verfahren passieren, bietet Colette die Bühne, um sich danach weltweit im Handel zu etablieren. Kosmetik­ irmen wie Aesop aus Australien sind so überhaupt erst in Europa bekannt geworden. Auch mittlerweile gehypte Fashionlabels wie Vetements verdan­ ken Colette ihre Premiere. Die Modeabteilung setzt den Schwerpunkt auf die neuesten Run­ way­Teile aus den Fashionshows. Wie eine Armee werden in der Mitte des Ladens die Looks präsentiert, al­ les andere wird dekorlos auf einer langen Stange nur mit Fokus auf den Teilen gezeigt. Wer zu Colette kommt, sucht wohlinformiert das Neueste vom Neuen. Das Personal dient weniger als Berater, sondern bildet vielmehr die Inspiration für Stylings und bleibt im Hintergrund. Opulentes wird hier mit Simplem gemischt. Colette schat es, ein einfaches weißes Ska­ ter­T­Shirt ebenso zum Kultobjekt zu erheben wie eine 6000­Euro­Jacke von Thom Browne. Das Konzept: keine kompletten Kollektionen zeigen, sondern nur die Highlights, die der Colette­Welt ent­ sprechen, kuratiert, wie es der Kustos eines Museums machen würde. Die­ ses Prinzip gilt als die bahnbrechende Erindung des Colette­Teams. Es hat

02 Das Parfum In A Scent kreierte Edward Bess exklusiv für Colette

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in den letzten 20 Jahren den Einzel­ handel weltweit komplett verändert und ständig neue Impulse gesetzt. Colette hat es durch die Bestän­ digkeit des Erscheinungsbildes im­ mer wieder geschat, vorne zu blei­ ben. Selbst zum Klassiker avanciert, veraltet es nie, weil das Prinzip Colette sich immer wieder erneuert und dem Zeitgeist vorauseilt. Colette, 213, Rue du Faubourg Saint-Honoré WWW.COLETTE.FR

PETER KEMPE hat zusammen mit seinem Partner Thomas Kuball selbst viele Jahre in Hamburg den Concept Store Kuball & Kempe betrieben. Beide leben inzwischen weitgehend in Frankreich. Sie designen und beraten Firmen wie Chanel, Fürstenberg, KPM Berlin und Meissen. Kempe schreibt für Magazine wie den „Robb Report“ oder „Harper’s Bazaar“ über Interieur und die Pariser Haute Couture.

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Fabrikationspavillons, Architekt Frei Otto 1988. Der IN mit Trimension®: 3-D-Dynamik in Bestform, Design wiege 2015. wilkhahn.com


TRENDSCOUT NEWS

DESIGN 3 TO WATCH

IDEALISTISCHE PARISERINNEN Von der Sinnlichkeit des Designs

DER PARIS-ERFINDER

INDUSTRIE TRIFFT POESIE

OHNE IHN gäbe es das Paris von heute nicht: Der Präfekt und Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann (1809 bis 1891) erschuf nicht nur das Gesicht der Hauptstadt, er baute sie auch zu einer modernen Metropole um. Wie tief der geniale Planer in das Herz der Stadt eingrif, zeigt der opulente Band zur Ausstellung „Paris Haussmann“ im Pavillon de l’Arsenal (bis 21. Mai) mit einer spektakulären Materialsammlung.

IONNA VAUTRIN

DESIGN TOTAL

CONSTANCE GUISSET „Kreation fordert viel Idealismus, die tägliche Lust, unsere harte Welt santer gestalten zu wollen.“ Constance Guisset, deren Deckenlampe Vertigo – überdimensionierte, leichte Libellenlügel – schon ein neuer Klassiker ist, hat etwas gegen rechte Winkel: „Das hat die Natur nicht vorgesehen.“ Zum letzten Mal hat sie auf der Schreinerbank, die ihr Großvater – selbst ein poetischer Erinder, zum Beispiel der „Sämaschine für Rote Bete“ – ihr zum achten Geburtstag schenkte, Eckiges gebastelt. Constance Guissets Poesie indet nicht nur in Objekten ihren Ausdruck, die vom Pariser Designverlag Petite Friture vertrieben werden. Sie inszeniert Ausstellungen, Balletts, sinnliche Welten in Hotellobbys und vieles mehr. Ein Objekt würde sie sehr gerne zeichnen: einen Roboter. Sicher um ihm ein bisschen Seele einzuhauchen.

Nachdem sie in den Studios von Memphis-Mitgründer George Sowden in London und dann für die Bouroullec-Brüder in Paris gearbeitet hatte, kam 2011 die Erleuchtung: die kleine Tischlampe Binic, die sie für Foscarini entwarf. Seitdem ein Bestseller, für den Ionna Vautrin den Designpreis der Stadt Paris bekam und auf dessen Erfolg sie ihr eigenes Studio aubauen konnte. Nach Binic, deren Ähnlichkeit mit einem U-Boot-Periskop für eine Bretonin, die mit einem Fuß im Ozean aufgewachsen ist, kein Zufall ist, kamen viele weitere Designs, denen allen die abgerundeten Ecken gemein sind. Etwa das charmante Taschenradio Mezzo bei Lexon. „Ich möchte Objekte vorschlagen, die Santheit und Freude vermitteln.“ Ionna Vautrin träumt nun davon, einem Industrieobjekt die Wärme, die ihre Arbeit charakterisiert, einzulößen: dem Heizkörper! Mehr unter

www.ionnavautrin.com

PAVILLON-ARSENAL.COM

„THE BRUTALIST PLAYGROUND“ BRUTALISMUS hat als architektonische Stilrich-

ANTI-STRESS-DESIGN

TIPHAINE DE BODMAN

www.tiphainedebodman.com

www.constanceguisset.com

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tung keinen besonders glamourösen Ruf: Trutzig-klotziger Sichtbeton (auf Französisch: „béton brut“, daher der Begrif) bestimmt die Optik vieler Nachkriegsgebäude. Dass auch Spielplätze in dieser Formensprache gebaut wurden, ist weniger bekannt. Als begeh- und bespielbare Skulpturen hat das Vitra Design Museum diese nachempfunden (bis 16. April).

Einblick in das Werk eines Genies: „Paris Haussmann“, 220 Seiten, erschienen bei Park Books, Zürich

DESIGN-MUSEUM.DE

„Zugegeben, ich bin ein bisschen zwanghat, habe einfach immer einen Stit in der Hand“, so die 30jährige Tiphaine de Bodman. Ihre Tapetenmotive sind Miniaturwelten, schwarz-weiß, akkurat wie die Malbücher für Erwachsene, die seit Jahren oben auf den Verkaufslisten stehen. Ihre beiden Bestseller von der Rolle, Jungle und Variations, werden ebenfalls von Petite Friture verlegt. Alle anderen Tapetenmotive zeichnet sie für Privatkunden, gegebenenfalls auch direkt an die Wand: „Mein Kindertraum vom Kritzeln!“ Ihre Werkzeuge: Posca-Stite oder die von Rotring. Die Absolventin des Central Saint Martins College of Art and Design in London entwirt auch Stofdesigns, zum Beispiel für Chanel oder Paul Smith. Ihre persönliche Leidenschat ist die Geologie: „Weil die komplexe Zeichnung der Erdkrusten für mich ein unerreichbares Ideal darstellt.“ Mehr unter

Mehr unter

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VOM MODELL ZUR METROPOLE

Impressum HERAUSGEBER CI – creative inneneinrichter GmbH & Co. KG, Spreestraße 3, 64295 Darmstadt VERANTWORTLICH Stefen Schmidt (V.i.S.d.P.) OBJEKTLEITUNG

Sandra Gotha VERLAG UND ANSCHRIFT DER REDAKTION HOFFMANN UND CAMPE X, eine Marke der HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH, ein Unternehmen der GANSKE Verlagsgruppe, Harvestehuder Weg 42, 20149 Hamburg, Tel. +49 40 44188-247. Amtsgericht Hamburg, HRB 81308 Sitz: Hamburg GESCHÄFTSFÜHRUNG Christian Backen OBJEKTLEITUNG Kaja Eilers CHEFREDAKTION Peter Würth CREATIVE DIRECTION Tobias Zabell ART DIRECTION Melanie Kollath CHEF VOM DIENST Stefan M. Glowa BILDREDAKTION Rani Prawiradinata REDAKTIONELLE MITARBEIT Sarena Brose, Wolf-Christian Fink, Peter Kempe, Kerstin Rose, Maike Seifert, Inga Sempé, Katharina Zilkowski SCHLUSSREDAKTION Ursula Junger HERSTELLUNG Claude Hellweg LITHO PX2@ Medien GmbH & Co. KG DRUCK Ernst Kaufmann GmbH & Co. KG, Druckhaus, Lahr ABONNEMENTS, VERTRIEB UND ANZEIGENVERANTWORTUNG Sandra Gotha (info@creative-inneneinrichter.de) ANZEIGEN Werner Fischer – Tellus Corporate Media GmbH, Hammerbrookstr. 93, 20097 Hamburg, Tel.: +49 40 280868-87 Fax: +49 40 280868-20, e-Mail: w.ischer@tellus-corporate-media.com. Es gilt die Anzeigenpreisliste gemäß den Mediadaten 2017 REDAKTIONSBEIRAT Frank Anger-Lindemann, Wilfried Lembert, Klaus Seydlitz.

Dieses Magazin und alle in ihm enthaltenen Beiträge, Entwürfe, Abbildungen, des Weiteren die Darstellung der Ideen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung einschließlich Nachdruck ohne schritliche Einwilligung des Verlages strabar. Es wird nur presserechtliche Verantwortung übernommen.

Bildnachweis Das „CI Magazin“ erscheint dreimal jährlich und ist über die angeschlossenen Handelsunternehmen, im Bahnhofsbuchhandel sowie im Abonnement erhältlich. Die App zum Magazin können Sie in Kürze im iTunes Store herunterladen. Das geht am schnellsten, wenn Sie den QR-Code mit Ihrem iPad scannen.

Titel: Red Edition Floating Armchair, designed by David Hodkinson, Photographer Didier Delmas; Standpunkt: Soia Sanchez & Mauro Mongiello; Inhalt: Christian Schaulin, CASSINA, seasons.agency / GourmetPictureGuide; Seite 6 – 11: Kenzo building – LVMH Project – Architect Jean-Jacques Ory, Photographer Luc Boegly, Foundation Louis Vuitton / Iwan Baan, Molitor / Joyce Attali; Seite 12: Red Edition / Frederic Lucano; Seite 14 – 25: Christian Schaulin; Seite 26 – 34: iStock (3), seasons.agency / Jalag / Lehmann, Joerg, seasons.agency / Jalag / Beckhäuser, Marion (2), seasons.agency / GourmetPictureGuide, Jorge Royan / Alamy Stock Foto, Jeferson-Lellouche, Liza B., ©claude weber, Jonas Loellmann, © Sylvie Chan / Liat, Sentou, © Alexandra de Cossette, Foundation Louis Vuitton / Iwan Baan, © Fabien Campoverde; Seite 36 – 40: PR, Pascal Le Segretain/Getty Images; Seite 42 – 43: Constance Guisset Studio, Tiphaine de Bodman, Ionna Vautrin, RIBA; Seite 44 – 51: Soia Sanchez & Mauro Mongiello, Rasmus Norlander, Studio Sempix, Alessandro Paderni / Eye Studio; Seite 52 – 57: CASSINA, Charlotte Perriand, Le Corbusier, Pierre Jeanneret © AChP/ADAGP (2), Photo Pierre Jeanneret © AChP / ADAGP, Illustration: Uli Knörzer; Seite 58 – 59: Baptiste Heller, BoysPlayNice Photography & Concept – 2016, Studio Sempix, Alessandro Milani, Rivi: Ronan & Erwan Bouroullec © Artek, PR, PIURE; Seite 60 – 64: Ligne Roset, PR, Ronan & Erwan Bouroullec; Seite 65: Grand Hall Foyer © Iwan Baan, Elbphilharmonie (2016) © Oliver Heissner; Seite 66 – 73: Freifrau Sitzmöbelmanufaktur, Jonas Lindström © All Rights Reserved, Skagerak, Vitra / Lorenz Cugini, Petite Friture / Ola-Rindal, Koelnmesse GmbH / Thomas Klerx (3), Koelnmesse GmbH / Constantin Meyer, © Koelnmesse GmbH / Harald Fleissner, Pulpo, Sol+Luna, ClassiCon; Seite 74: Roger Viollet Collection / Getty Images, Illustration: Uli Knörzer

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DESIGNER-PORTRÄT INGA SEMPÉ

DOYENNE DES FRANZÖSISCHEN DESIGNS

RADIKALE POETIN Berufstätige Frauen haben in Paris einen ganz anderen Stellenwert als hierzulande. Das ist auch unter Designern so. Inga Sempé ist dafür das beste Beispiel. Sie ist ein anerkannter und erfolgreicher Star ihrer Profession. Trotz oder wegen ihrer – nicht nur gestalterischen – Kompromisslosigkeit TEXT: Katharina Zilkowski

Wirken auch in Kombination: die Fliesen der Serie Tratti für Mutina

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DESIGNER-PORTRÄT INGA SEMPÉ

DESIGNER-PORTRÄT INGA SEMPÉ

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03 Den quadratischen Spiegel Ruban gestaltete Inga Sempé für Hay 04 Das Sofa Ruché von Ligne Roset verdankt seinen Namen der Rüschenoptik 05 Passt über jede Tafel: Die Pendelleuchte Plissé (Luceplan, 2007) ist von 60 bis 160 cm Länge 04

S

ie hat den Ruf, ziemlich schwierig zu sein. Eine Menge von Journalisten hat sich an Inga Sempé die Zähne ausgebissen. Gutes Omen: Sie verabredet sich mit uns am Montag, dem 2. Januar, um 10 Uhr morgens. Buchstäblich ein gemeinsamer guter Rutsch ins neue Arbeitsjahr! Inga Sempé arbeitet und lebt in einer kleinen Passage in der Nähe des Pariser Bahnhofs Gare de l’Est, in der nichts hübsch oder romantisch-pariserisch ist. Ihr Designstudio im Erdgeschoss, die Wohnung darüber. Ein rotes Klinkergebäude aus den Dreißigerjahren, Arbeiterwohnungen. Dahinter bietet ein liebloser Plattenbau der Sechziger eine quasi symmetrische Kulisse. Der Gedanke drängt sich auf: Es ist wie eine Zeichnung ihres Vaters, des legendären Cartoonisten Sempé. Poesie der unbarmherzigen Gegensätze: das zu große Graue und das Kleine im urbanen Dschungel. Auf den Fenstersimsen ihrer Wohnung stehen Tontöpfe aller Größen mit winterschlafen, verfrorenen Resten von Kletterplanzen. Die 48-Jährige lebt hier mit ihrem Mann, Ronan Bouroullec, der mit seinem Bruder Erwan vom New Yorker MoMA bis zum Vitra Design Museum der Einfachheit halber „The Bouroullec Brothers“ genannt wird. Inga und 46

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„LINDGRÜN, PINK, VIOLETT, DIE SOGENANNTEN FRÖHLICHEN FARBEN UNSERER ZEIT. MONSTRÖS, EIN DESASTER!“

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INGA SEMPÉ DESIGNER

Ronan, die Stars des französischen Designs, die bewusst nicht zusammenarbeiten, haben eine gemeinsame siebenjährige Tochter und Bouroullecs Sohn aus einer anderen Beziehung. Wir setzen uns an der langen Holzplatte – Konferenztisch und Werkbank – gegenüber. Zwischen uns das Glas Pulverkafee, in dem der lange Teelöfel aufrecht steht, der dampfende Wasserkocher sowie ihr ironischer, aber wohlwollender Sie-wissen-wohl-

Variante, im Jahr 2000 für Cappellini entwickelt, begann ihr Ruhm. „Ooch, die Lampe war reiner Zufall! Nähmaschine und Papier waren das Einzige, was ich damals zur Hand hatte. Hätte ich einen Standbohrer gehabt, hätte ich vielleicht eine gelöcherte Metallsäule gemacht.“ „Ooch“ und „Ich hasse …“ sind Lieblingsausdrücke von Inga Sempé, die sie übrigens mit einer ganz hellen, santen Stimme ausspricht. Zu den Dingen, die sie – sich mit Genuss sträubend – nicht ausstehen kann, gehören: „PVC-Fenster mit Rollokästen, die besonders in Nordeuropa das Stadtbild verunstaltet haben!“ „Museen und Galerien.“ „DesignerINNEN: Sagt man schwarze Designer? Oder katholische Designer? Macht man Porträts über weibliche Buchhalter?“ „Die Ästhetik der Sechziger/Siebziger. Puh, dieses ganze Orange und Braun, dieser Farbschleim auf den Tellern und Krügen.“ Sie schüttelt sich wie ein Kleinkind vor dem Teller Spinat. Dass Design gerne mit Konsumexzess assoziiert wird: „Ich tue mein Bestes, um nützliche, nachhaltige Objekte zu entwickeln. Warum beschwert sich keiner, dass Karl Lagerfeld so viele Kollektionen zeichnet?“ „All diese absolut entsetzlichen Farben: Lindgrün, Pink, Violett, die sogenannten fröhlichen Farben unserer Zeit. Monströs, ein Desaster, am besten noch alle zusammen! In Abteilungen für Haushaltsgeräte sehen Sie, wie verankert diese schreckliche Mode ist.“

01 Mit plissiertem, doppellagigem Stof ist die Pendelleuchte Suspension plissée von Cappellini bezogen (2003) 02 Die robusten, funktionalen Leuchten w103 entwarf Sempé für Wästberg

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was-Sie-erwartet-Blick. Hinten sitzen an einem Endlos-Schreibtisch ihre Mitarbeiter: zwei Assistentinnen und der, den sie als „Mein Monsieur 3DDrucker“ vorstellt. Null Design: In den hohen Regalen stapeln sich Kartons mit Sempés Kreationen. Einziges Signature-Objekt: eine Leuchte (Lamp für Moustache) aus gefaltetem Papier, die so wirkt, als könnte ihr jede Minute die Lut, der Atem ausgehen. Fragil, solide, klar! Mit einer zwei Meter hohen 47


DESIGNER-PORTRÄT INGA SEMPÉ

DESIGNER-PORTRÄT INGA SEMPÉ

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in Frankreich werden Kinder, die eher manuelle Talente haben, ja gerne in Einbahnstraßen-Schulen abgeschoben, als wären sie Vollidioten.“ Ihre Kindheitskreationen hat sie aubewahrt: „Aschenbecher, Spielkarten, Schachteln und so.“

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DESIGN HEISST NICHT „STIL HABEN“

01/02 /03 Für Alessi entstand das Edelstahltafelbesteck Collo-alto (italienisch für „langer Hals“)

„BESTECK IST DAS SCHWIERIGSTE ÜBERHAUPT. PERFEKTES FUNKTIONIEREN UND PERFEKTE PROPORTIONEN BEDEUTEN EINEN KAMPF, IN DEM ES UM HALBE MILLIMETER GEHT!“ INGA SEMPÉ DESIGNER

04 Nützlicher Wandschmuck Pinboard von Hay 05 Wärmt Leib und Seele: Wolldecke Bernadette von Røros Tweed 06 Gepolstert mit Schaumgummi und Leder: Der Stuhl-Prototyp entstand 2003

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„Shoppen. Ich kaufe Kleidungsstü­ cke in guter Qualität nur secondhand bei Ebay.“ SEMPÉS LIEBE ZUM HANDWERK

Über die Wendeltreppe ist inzwi­ schen ihre Tochter zu uns herunter­ gekommen. Soll hölich guten Tag sagen und döst dann noch ein biss­ chen weiter auf dem Sofa. Familienbetriebe, wie es Möbel­ hersteller häuig noch sind, das Kön­ nen, das Handwerk, das Machen und Anpacken lassen Inga Sempé vibrie­ ren. Sie ing in ihrer Kindheit an zu basteln. In Paris lebte sie meistens bei ihrer dänischen Mutter, der Illus­ tratorin Mette Ivers: „Ich hatte Glück! Beide Eltern fanden es normal, dass ich ständig malte und bastelte. Hier 48

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Den Eltern hat sie nach dem Abitur verkündet, dass sie Packaging (Verpackung) studieren wolle: „Das war eine Verwechslung. Wir kannten in der Familie das Wort Design nicht. Es wurde ja auch in den Achtzigern total falsch benutzt. Plötzlich hatten Leute Wohnzimmer, die ,so design‘ waren. Dabei heißt Design nicht ,Stil haben‘, sondern ist die Benennung von Industrieobjekten, bei denen sich ein Kreateur etwas gedacht hat.“ Nach der Pariser Hochschule für industrielle Kreation (Ensci) wurde Inga Sempé in der Künstlerresidenz Villa Medici in Rom aufgenommen. Dann kam eine Station bei Marc Newson (1994), bei dem auch die Bouroullec-Brüder gelernt haben, und ab 1997 war sie für zwei Jahre bei Andrée Putman: „Weil sie so lustig und nett war. An Innenarchitektur war ich nie interessiert; Wände versetzen, perfekte Interieurs schafen, Objekte kombinieren, das langweilt mich zu Tode.“ Denn: „Ich interessiere mich für Objekte erst, wenn ich gefragt werde, sie zu gestalten. Ich lebe mit ihnen, bis sie auf den Markt kommen, und dann vergesse ich alles wieder, selbst die Herstellungsprozesse. Meine Freunde wundern sich ot, dass es mir egal ist, ob mein Sofa irgendwo mit einem hässlichen Beistelltisch zusammenlebt.“ Zu den Objekten, die Inga Sempé gerne zeichnen würde, ohne dass sie zum jetzigen Zeitpunkt die geringste Idee hat, in welche Richtung sie gehen würde, zählen: „Die Bushaltestellen in Paris, bei denen immer noch der Stil des 19. Jahrhunderts neu interpretiert wird. Hyperkitschig!“ „Gusseiserne Öfen.“ „Handwerkszeug, obwohl sich der Hammer seit Jahrhunderten nicht verbessern lässt, da alles eine Frage der Gewichtsverteilung ist. Respekt!“ „Lederwaren … Portemonnaies!“ „Papierwaren und Bleistite.“ Der Bleistit bleibt denn auch das wichtigste Werkzeug von Inga Sempé: 49


DESIGNER-PORTRÄT INGA SEMPÉ

„Beim Zeichnen, selbst grob, entwickle ich ein Gefühl für das Objekt: ausradieren, immer neu anfangen!“ Dass ihr klarer Hass-und-LiebeRadikalismus, ihre frische, freche Art der Schlüssel zu ihren einfachen, perfekten, schnörkellosen Designs sind, wird jetzt klar: Auf Sempés Auforderung hin nehmen wir ihr Besteck Collo-alto (Alessi) unter die Lupe: „Besteck ist das Schwierigste überhaupt. Perfektes Funktionieren und perfekte Proportionen bedeuten einen Kampf, in dem es um halbe Millimeter geht!“

01 Für Mutina entwarf Sempé die vielseitig kombinierbare Fliesenkollektion Tratti

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DER KAMPF UM DIE GABEL

Wir blinzeln auf die Zinken der Gabel. „Es ist wie Schönheitschirurgie: Jemand lässt sich ein bisschen was von der Nase abhobeln, ist noch wiederzuerkennen und doch irgendwie ganz anders!“ Inga Sempé erklärt den Kampf um die Gabel weiter: „Sie muss ja gleichzeitig ein Stück Fleisch und Pasta gut aufgreifen können. Nicht zu leicht und nicht zu schwer sein.“ Nach der Zeichnung kommt der erste Prototyp: „Immer eine Enttäuschung, aus diesem porösen Plastik, das so ein bisschen die Konsistenz eines Tinten-

ischknochens hat.“ Auch Prototyp zwei verlangt einen kühlen Kopf: „Wenn man dann das glänzende Modell in der Hand hat, wirken die Volumen ganz anders. Wie wenn man sich sein schwarzes Lieblingskleid in Lurex nachschneidern lässt. Dann sieht der Körper auch total verändert aus.“ Das verbale Pingpongspiel scheint Inga Sempé sichtbar Spaß zu machen. Sie lacht viel! Ganz spontan. „Wissen Sie, wenn ich ein Tier wäre, wäre ich eine Zecke! Ich beiße mich

fest und bin schwer loszuwerden.“ Okay, spielen wir ein bisschen weiter! Wenn Sie ein Objekt wären? „Ein Wasserhahn, das ist doch was Tolles!“ Ein Dut? „Ich liebe den Geruch von Metall beim Schweißen. Wenn irgendwo eine Baustelle ist und ich die Funken sehe, gehe ich nah ran.“ Der Geruch, den Sie hassen? „Bratenfett in der Pfanne. Widerlich!“ Das perfekte Objekt? „Türklinken aus Porzellan! Der glatte Grikontakt, die Temperatur, die immer anders, aber immer gut ist!“ Ihr Lieblingsplatz? „Auf Reisen renne ich in Geschäte für Eisen- und Haushaltswaren. Da lassen sich, den landeseigenen Gewohnheiten entsprechend, noch Schätze inden. Neulich habe ich aus

Designkatalog für Bürointerieur 03 03 Starkregen (französisch: „giboullée“) war die Inspirationsquelle bei diesen Lambswool-Plaids für Røros Tweed 02 Die AluTischleuchte mit Stahlschirm von Wästberg kann gestellt oder geklemmt werden

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London einen Putzeimer aus gehämmertem Aluminium mit einem Einsatz für den Mopp mitgebracht!“ DIE POESIE VERBINDET

Ihre Welt: radikal-poetisch, ohne Zugeständnisse, sie trägt noch viel unverfälschte Kindheit in sich. Dass ihre Objekte nicht nach der enormen Arbeit, die dahintersteckt, aussehen, ist eine Form der Hölichkeit. Eines der demokratischsten Produkte von Inga Sempé: die Miniaturregale Balcon (Moustache). Runde Buchenholzplatten mit einer Wandschraube versehen, auf denen gerade Platz für einen Schlüsselbund oder ein Glas mit drei, vier Gänseblümchen ist. Da ist sie doch, diese Poesie, die sie mit dem Vater verbindet. 50

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Akzeptiert sie den Vergleich mit dem Erinder des „Kleinen Nick“, dessen Cover für den „New Yorker“ wahre Kunstwerke sind? „Ooch, jaja, klar, mein Vater ist ja nicht Hitler! Aber er ist ja auch nicht der Erste, der Fassaden in Paris und New York gezeichnet hat.“ Inga Sempé hat einen Wohntraum: „Ich hätte gerne einen Balkon!“, sagt sie. Von einem Balkon zu träumen, ist das der Gral, die Eloge der Einfachheit des Haushalts Bouroullec-Sempé? Ich schwöre mir, mal im Sommer an ihrem roten Klinkerbau vor dem erdrückenden Plattenbau vorbeizuspazieren. Ob Sempé auf ihren Fenstersimsen wohl auch Geranien planzt? WWW.INGASEMPE.FR

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DESIGNER-PORTRÄT CHARLOTTE PERRIAND

DESIGNER-PORTRÄT CHARLOTTE PERRIAND

Nicht nur Architektur begründete den Ruf des legendären Ateliers Le Corbusier. Verantwortlich für dessen Möbelentwürfe war zehn Jahre lang Charlotte Perriand (1903 bis 1999). Viele davon werden heute noch bei Cassina aufgelegt TEXT: Wolf-Christian Fink

01 Den Drehstuhl LC7 (1927) entwarf Charlotte Perriand für ihr eigenes Appartement an der Place Saint-Sulpice

CHARLOTTE PERRIAND

MADAME MODERNE

ars gehörten in den Zwanzi­ gerjahren des vergangenen Jahrhunderts nicht gerade zu den Räumen, deren Ge­ staltung und Ausstattung man Frauen zugetraut hätte. Anreiz umso mehr für eine junge Designerin, sich damit einen verblüfenden Auf­ tritt zu verschafen: Charlotte Perri­ and stellte 1927 auf dem Pariser Sa­ lon d’Automne ihre Bar „Sou le toit“ („Bar unter dem Dach“) vor – eine auf­ geräumte Konstruktion aus eloxier­ tem Aluminium und vernickeltem Kupfer. Damit landete sie nicht nur einen aufsehenerregenden Coup, sondern noch im selben Jahr im Büro des großen Le Corbusier (1887 bis 1965), der ihre Bewerbung zuvor mit der Bemerkung, „Wir machen hier keine Stickkissen“, brüsk abge­ lehnt hatte.

02 Der Drehhocker LC8, eine Variation des LC7, wurde bereits für die Serienfertigung konzipiert

B

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POSTULAT DER TECHNISIERUNG

Von 1921 bis 1925 hatte Perriand an der Union Centrale des Arts Décora­ tifs in Paris studiert, nur um unmit­ telbar danach das traditionelle Kunst­ gewerbe an den Nagel zu hängen. Geprägt von der üppigen bourgeoi­ sen Ästhetik des Art déco, spürte sie den frischen Wind ihrer Zeit umso stärker. Charlotte Perriand war faszi­ niert von den Ideen Le Corbusiers, von seinem Postulat der Entrüm­ pelung, Komprimierung und Tech­ nisierung des Lebens und Wohnens. Le Corbusier kannte keine Möbel mehr, sondern nur noch „Equip­ ment“. Wie die stählernen Träger­ skelette moderner Häuser sollte auch deren Einrichtung funktionieren. Sei­ ne Entwürfe schufen dramatische Ef­

Bourgeoise Eleganz trift auf klassische Moderne – ein Kontrast, der noch heute fasziniert

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fekte durch abwechselnde Deckenhö­ hen, spektakulär gefasste Freiräume und als Freizeitläche genutzte Flach­ dächer. Gemeinsam mit seinem Cousin Pierre Jeanneret (1896 bis 1967) hatte Le Corbusier, eigentlich Charles­Édouard Jeanneret­Gris, in Paris ein kleines Architekturbüro ge­ gründet, das für die erst 24­jährige Charlotte Perriand zur neuen krea­ tiven Heimstatt wurde.

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Zehn Jahre lang blieb sie Le Cor­ busiers Atelierleiterin und war in die­ ser Zeit verantwortlich für einige der prominentesten und spektakulärsten LC­Kreationen. Dass sie als Frau trotzdem immer in seinem Schatten blieb, steht ironischerweise in kras­ sem Gegensatz zu Le Corbusiers Ver­ dikt: „Von dem, was der Mensch schat, bleibt nicht das, was nützlich ist, sondern was bewegt und erregt.“ 53


DESIGNER-PORTRÄT CHARLOTTE PERRIAND

DESIGNER-PORTRÄT CHARLOTTE PERRIAND

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So war es nur konsequent, dass sich Charlotte Perriand 1937 aus dem Atelier verabschiedete, um eine neue Richtung einzuschlagen. Und das nach der Kreation legendärer Stahlrohr-Ikonen wie B301 (1928), eines Stuhls mit beweglicher Rückenlehne und einer Sitzläche aus Tierhaut, oder LC2 (1928), eines Sessels mit Stahlrohrrahmen und Lederkissen, auch bekannt unter dem Namen Grand Confort. Nicht zuletzt geht die Le-Corbusier-Liege, das Jahrhundertmöbel B306 (1928/29), auf entscheidende Impulse Charlotte Perriands zurück – und setzt sie selbst unvergesslich in Szene (siehe Foto auf Seite 57).

04 Schiebetüren mit Metallflächen sorgen beim Sideboard Riflesso (1939) für ein Spiel mit Lichtreflexen

01 Stabil, schlicht, elegant KastanienholzHocker Tabouret Maison de Brésil (l.) und Tabouret Cabanon (u.) 02 Mit poliertem verchromtem oder getriebenem, schwarz lackiertem Stahlgestell erhältlich: der Sessel Ombra mit losen Kissen

kommerziellen Möbelmesse Salon des Arts Ménagers zeigte sie die mo­ numentale Fotocollage „La Grande Misère de Paris“ („Das große Pariser Elend“) mit großformatigen Ansich­ ten sozialer Missstände in der Groß­ stadt. Ihr neues Credo lautete, es sei

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„besser, einen Tag in der Sonne zu verbringen, als unnötige Dinge zu entstauben“. Der politische Rich­ tungswechsel zur jungen intellektu­ ellen Linken, verkörpert durch die Gruppe „Vereinigung revolutionärer Schritsteller und Künstler“, ging ein­ her mit der radikalen Vereinfachung ihres Stils. Perriands Ziel war die „Demokrati­ sierung des Designs“ durch preisgüns­ tige Herstellung und rustikalere, tra­ ditionellere Formen. Schon 1935 hatte sie auf der Brüsseler Weltausstellung einen einfachen Pinienholzstuhl vor­ gestellt, der in Gefängniswerkstätten gefertigt werden sollte.

DEMOKRATISIERUNG DES DESIGNS

Doch die vornehme Bequemlichkeit des Le-Corbusier-Stils reichte der politisch interessierten und engagierten Gestalterin nicht mehr aus. Ein Jahr vor ihrem Ausstieg aus dem Atelier präsentierte sie sich unerwartet als Fotograin mit einem brisanten Sujet: Mitten auf der renommierten

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05 Der Tisch Rio (1962) besteht aus sechs Segmenten unterschiedlicher Radien mit massivem Eichenholzrahmen und Wiener Geflecht

„ERST WENN MAN ALLES ANALYSIERT, ERFORSCHT UND VERSTANDEN HAT, DARF MAN ANFANGEN ZU FANTASIEREN“

06 Seinen Namen Tabouret Berger verdankt der niedrige Hocker von 1953 seinem Vorbild – einem Melkschemel für Schäfer

CHARLOTTE PERRIAND DESIGNERIN

07 Aus dem Jahr 1954 stammt der Stuhl Ombra Tokyo, dessen Konzeption, Form und Proportionen auf die japanische OrigamiTradition verweisen

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03 03 Fernöstliche Umdeutung eines Klassikers 1940 kreierte Charlotte Perriand die Chaiselongue Tokyo aus Bambusholz und zitierte damit das eigene Werk

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Ausgerechnet aus Japan erreichte Charlotte Perriand 1940 ein Angebot, das sie von der bevorstehenden deut­ schen Besatzung verschonte: Das japanische Ministerium für Handel und Industrie lud sie ein, neue Pro­ dukte zu entwickeln und traditionelle Handwerks­ und Fertigungstechni­ ken für den Bedarf des 20. Jahrhun­ derts zu adaptieren. Sieben Monate verbrachte Perriand für ihre Recherchen in der japani­ schen Provinz. Danach wurde aus dem Flirt mit Fernost schnell eine Dauerbeziehung, die das moderne Design Japans nachhaltig beeinluss­ te und zugleich Perriands eigenen Stil befruchtete. Ihr Interesse galt erst­ malig Materialien wie Papier, Bam­ bus und Keramik. Minimalismus und Meditation, Klarheit und Leere waren die Themen ihres neuen Lebens­ abschnitts, der bis 1946 dauerte und sie auch nach Indochina führte. Nachvollziehbar wird diese fas­ zinierende kreative Metamorphose durch ein seltsam vertrautes und 55


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DESIGN DER KLASSIKER FOLGE #9

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LIEGE LC4 doch überraschend modernes Ob­ jekt: Mit der Bambusversion der Chaiselongue B306 dokumentierte die Gestalterin ihre neue schöpferi­ sche Identität. Hinter diesen Ikonen verblassen beinahe Perriands große Würfe, die ihr später, nach der Rück­ kehr in die Heimat 1946, gelangen. Einerseits nahm sie die Zusammen­

SCHÖNER SCHLUMMERN AUF DER „AUSRUH-MASCHINE“ EINE DER BEDEUTENDSTEN Möbel­ ikonen des 20. Jahrhunderts präsen­ tierte Le Corbusier gemeinsam mit seinem Cousin Pierre Jeanneret und mit Charlotte Perriand 1929 auf dem Pariser Herbstsalon. „Ausruh­Ma­ schine“ nannte der technikaine Le Corbusier das von Perriand entwor­ fene Modell B306, eine Mehrzweck­ konstruktion aus Stahlrohr, bei der die Liege vom Untergestell unabhän­ gig ist. Die anatomisch geformte Lie­ geläche ruht auf einem H­förmigen Träger. Sie ist stufenlos verstellbar, „gleitet“ praktisch auf diesem und

„MADAME PERRIAND IST AUSSERGEWÖHNLICH ERFINDUNGSREICH, TATKRÄFTIG UND KONKRET IN DER UMSETZUNG“ LE CORBUSIER ARCHITEKT UND DESIGNER

arbeit mit Le Corbusier und Pierre Jeanneret wieder auf, widmete sich aber zum anderen auch Großprojek­ ten, mit denen sie der französische Staat beautragte. Für die Fluggesell­ schat Air France gestaltete sie die Niederlassungen in Paris, London und Tokio. In den Sechzigerjahren entwarf sie die Inneneinrichtung der japanischen Botschat in Paris und widmete sich einem weiteren Groß­ autrag: Mit der Gestaltung des auto­ freien Skiresorts Les Arcs 1800 schuf sie den Prototyp einer Ferienan­ lage mit preisgünstiger, doch komfor­ tabler Logis. Aktiv blieb Charlotte Perriand bis ins hohe Alter. 1993 wurde ein von ihr gestalteter Teepavillon der Unesco in Paris eröfnet, und mit 94 entwarf sie ihren letzten Tisch aus Holz und Stahl – ein Abschlusszeugnis für die enorme Bandbreite ihres Werks zwi­ schen Extravaganz und Askese.

wird bei Belastung auf den Querhol­ men von Gummimanschetten ixiert. Nimmt man sie vom Träger, kann man sich auf den Kufen des Gestells sant in den Schlaf schaukeln. 1930 übergab das Designertrio die ori­ ginalen Konstruktionspläne an die damaligen Stahlrohrexperten bei Thonet, die dann mit der Produktion begannen. Im Thonet­Katalog des­ selben Jahres erschien die Liege in zwei Varianten: mit einer Leinen­ und einer Fohlenfellbespannung. Seit 1965 wird die Liege als LC4 von Cassina hergestellt.

Ergonomie zur Entspannung Den Kopf stützt eine lederbespannte Nackenrolle 01 Ventaglio heißt der Tisch, den Charlotte Perriand 1972 für ihr Chalet in Méribel entwarf. Die Gesamtstruktur baut auf der simplen Kombination von Holzflächen auf, zum Teil parallel angeordnet, zum Teil aus Dreiecksformen zusammengesetzt

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CHARLOTTE PERRIAND gehörte seit 1927 zu Le Corbusiers Team. In den zehn Jahren ihrer Mitarbeit war sie für Möbelentwürfe verantwortlich, von denen nicht wenige heute als Klassiker gelten. Ein Porträt der vielseitigen französischen Designerin und Künstlerin findet sich auf den vorhergehenden Seiten.

Die Designerin und ihr Werk Charlotte Perriand trug wesentlich zur Entwicklung der Chaiselongue B306 bei

Der Stahlrohrrahmen macht die Chaiselongue ohne Trägergestell zur Schaukelliege

03 Protagonisten des Ateliers von Le Corbusier Charlotte Perriand, Le Corbusier und sein Cousin Pierre Jeanneret

Aus einem Stück Der hier durchgehende Stahlrahmen war beim Urmodell noch mit angeschweißten Kopfund Fußstützen versehen

02 Das Modularsystem Refolo entstand 1953 in Tokio. Basis ist eine Ebene aus parallelen Holzlamellen

WWW.CASSINA.COM

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TRENDSCOUT NEWS

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MAISON&OBJET

NOBLESSE OBLIGE

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Die Pariser Messe Maison&Objet gilt als Mekka des Luxus. Wer Edles aus Glas, Porzellan oder Metall sucht, wird hier fündig. Pure Eleganz, das Nonplusultra an opulentem Design, limitierte Auflagen. Wir haben die schönsten Neuheiten für Sie ausgesucht

08 Goldakzent Porzellan Fluen im Dekor Shifting Colors, designt von Alfredo Häberli für Fürstenberg

09 Glaskunst Sebastian Herkner zeigt bei der Vase Corolle, was das Material kann. Hersteller: Verreum

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05 Kleine KastanienEichenholz-Box mit versilbertem Deckel von Studio BrichetZiegler – exklusiv!

10 Ensemble Rosenthal-Vasen Fondale, bestehend aus zylindrischem Körper und kegelförmigem Kragen von Oice for Product Design

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06 Rosa-grau Vasen Pinnacoli von Salviati, designt von Luciano Gaspar 07 Entzückend Bordfolk – bemalte Eierbecher von Lucie Kaas

01 Schön im Alltag Dekanter und Weinglas Jour von Inga Sempé für Nude

11 Punktlandung Tisch Crescendo von Pierre Charpin für die Galerie Kreo

02 Kunstvoll Vase Riite für Rosenthal von Designerin Helmi Remes

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12 Lotus-Muster Geschirrserie Arne Clausen Collection der dänischen Firma Lucie Kaas 15

03 Glänzend Isolierkanne aus Edelstahl, entworfen von Naoto Fukasawa für Alessi

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04 Formschön Salz- und Pfefermühle von Zaha Hadid

13 14 Manfred Fürstenbergs Jahreshase 2017 in der handbemalten Version 06 13

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14 Finnisch Weißblaues Tablett Rivi der Brüder Ronan & Erwan Bouroullec, entworfen für Artek

15 Schön schlicht Becher aus Biskuitporzellan vom HauptstadtLabel Hering Berlin

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TRENDSCOUT FRANZÖSISCHES DESIGN

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auch ein Minischreibtisch mit einem gepolsterten Hocker. Den Reisenden könnten ja unterwegs Gedanken kommen, die zu notieren sind. Gestaltet hat dieses aus der Zeit gefallene Stück im Jahr 2007 die Grande Dame des französischen Designs: Andrée Putman. Ob Putman in den 1980er-Jahren auf mondänen Kreuzfahrtschifen über den Atlantik reiste und sich bei dieser Gelegenheit zu Oceano inspirieren ließ, ist nicht bekannt. Vermutlich ist sie eher mit der Concorde gelogen, der „Königin der Lüte“, deren Interieur sie später neu gestalten sollte. Dass Putman in den 1980ern häuiger in New York war, steht fest. Denn ihren internationalen Durchbruch feierte die „Diva der modernen Innenarchitektur“ 1984 mit der Ausstattung des New Yorker Morgans Hotel. Dessen schwarz-weiß gekachelte Bäder sind legendär. Wer partout keine Verwendung für einen Schrankkoffer hat, aber trotzdem ein Putman-Stück möchte, gönnt sich etwa den filigranen Schminktisch Feluca, ebenfalls von Poltrona Frau. Und die Pragmatischeren unter uns bevorzugen vielleicht die Gartenmöbel Inside Out, die die Pariserin 2010 für Fermob entwarf.

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02 Die Pendelleuchte Vertigo hat Constance Guisset 2010 für den Designverlag Petite Friture entwickelt. Sie hat längst Kultstatus erlangt 03 Der Schrankkofer Oceano kommt mit auf große Reisen. Putman hat ihn für Poltrona Frau entworfen 04 Feluca ist der Schminktisch der Grande Dame des französischen Designs, Andrée Putman. Poltrona Frau hat ihn im Programm

01 Manarola, eine Sofaserie von Ligne Roset, erinnert an Vollschaummöbel aus den 1970ern, wurde aber 2016 von Philippe Nigro designt

GEISTERSTUHL DES STARGESTALTERS

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FRANZÖSISCHES DESIGN

FROM PARIS WITH LOVE Mondän, elegant – très chic: Sieht so französisches Design aus? Mitunter ja. Doch internationale Karriere machten auch Stahlstücke im Industrial Style oder poppige „Pumpkins“ aus dem Élysée-Palast. Hersteller aus aller Welt haben heute Design „made in Paris“ in ihrem Programm TEXT: Maike Seifert

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er mit Oceano reist, ist dem Luxus sicher nicht abgeneigt. Er (oder eher sie) wird eine Auswahl an Abendroben dabeihaben, gekaut vielleicht in der Avenue Montaigne – und den Kofer kaum selbst tragen. Oceano ist ein edler Schrankkofer aus Multischicht-Birkenholz aus dem Hause Poltrona Frau. In seinem Innern verbirgt sich nicht nur ein buntes Mosaik von Schubladen, sondern

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Ein ganz anderes Stück französischen Design-Geistes holt man sich mit Louis Ghost ins Haus, diesem transparenten, barocke Formen zitierenden Kunststofstuhl, den Kartell produziert. Gestaltet hat ihn der Grand Monsieur des französischen Designs, Philippe Starck. Der umtriebige Stargestalter mit Weltverbesserungsambitionen legt genauso viel Wert auf Eleganz wie Madame Putman. Allerdings setzt er diese Eleganz unkonventioneller um – und entwickelt Produkte, die weniger elitär sind und für möglichst viele erschwinglich sein sollen. Ein wenig kostspieliger sind die Stücke der französischen BauhausProtagonisten. 1927 beschlossen Le Corbusier und sein Cousin Pierre Jeanneret, eine junge Architektin mit ins Atelier zu holen: Charlotte Perriand. Ein Glücksgrif! (Ein Porträt über Charlotte Perriand inden Sie ab Seite 52.) In den folgenden zehn Jahren gestalteten die drei ein Möbelstück nach dem anderen. Ihr Projekt nannten sie „L’équipement de 61


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06 Dedal von Gubi ist ein Regal aus Rigitulle, einem perforierten Stahlblech, das Mathieu Matégot entwickelt hat

01 LC17 Unter diesem Kürzel verkauft Cassina Kleiderhaken von Le Corbusier

07 Der Trolley besteht aus dem gleichen Material wie das Regal Dedal. Es gibt ihn bei Gubi auch mit einer weißen oberen Platte oder ganz in Schwarz

02 Der ikonische Bestseller Plumy wurde 2016 von Ligne Roset reeditiert 03 Die Pendelleuchte Satellite ist bei Gubi im Programm. Gestaltet hat sie Mathieu Matégot im Jahr 1953. Der Schirm ist aus perforiertem Blech

l’habitation“. Heute gibt es die Designklassiker mit den charakteristischen Stahlrohrstrukturen bei Cassina, immer gekennzeichnet mit den Buchstaben LC (siehe auch LC4 auf Seite 57). Auch Jean Prouvé geiel Stahl als Werkstof. Der 1901 in Paris geborene Kunstschmied wollte möglichst starke, stabile Möbel bauen. Das Stahlrohr, das Le Corbusier und sein Team verwendeten, war ihm nicht robust genug. Statt des hochglänzenden Chroms nahm er grob lackierten Stahl. Und abgekantetes, gestanztes, geschweißtes Stahlblech. Dem „homme d’usine“, dem „Mann der Fabrik“, wie er sich selbst nannte, war die Konstruktion wichtiger als die Gestalt. Eine Reihe seiner Möbel gibt es heute bei Vitra. Ihr Industriestyle ist wieder sehr gefragt. Am bekanntesten ist vielleicht der Stuhl Standard. Das Markante daran sind die Hinterbeine, die aus einem extrem belastbaren, voluminösen Hohlkörper bestehen. Als die DenimMarke G-Star ihr Headquarter in Amsterdam 2014 bezog, entschied sie sich für Prouvé-Möbel und lancierte mit Vitra die Sonderedition Prouvé RAW Oice Edition. „Prouvés Möbel 07 08 Fauteuil Direction von Jean Prouvé – gibt’s bei Vitra 09 LC15, ein Tisch mit Stahlgittergestell von Le Corbusier

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04 Nagasaki Chair heißt der Dreibeiner aus filigranem Blech. Von Mathieu Matégot, verkauft von Gubi 05 Charlotte Perriand zeichnet für die farbenfrohen Beistelltische verantwortlich, die es bei Cassina gibt

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10 Pumpkin ist ein Sessel von Pierre Paulin, der mit Pompidou in den Élysée-Palast zog

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entwickeln mit dem Alter Charakter – genau wie Jeans“, sagte G-StarDesign-Direktor Pieter Kool damals. MATÉGOTS METALL-FALT-MASCHINE

Ein weiterer Franzose – ungarischer Herkunt –, der wie Prouvé mit Metall experimentierte, war Mathieu Matégot. Während Prouvé die Stabilität des Materials betonte, verlieh Matégot ihm Leichtigkeit. 1949 begann der Bühnenbauer, Einrichtungsgegenstände aus perforiertem Metallblech zu entwerfen. Drei Jahre später taute er sein gestanztes Gitterblech auf den Namen Rigitulle. Er hatte eine Maschine entwickelt, die Metall biegen und falten konnte. Fast so, als wäre es Stof. Dank der dänischen Marke Gubi können wir uns heute wieder an den iligranen Stücken erfreuen: Da gibt es den Servier wagen Trolley, entweder ganz in Schwarz oder mit einer weißen oder blaugrauen oberen Platte. Eleganter als auf diesem Stück kann man die Drinks des Abends kaum in den Salon schieben. Sein Nagasaki Chair kommt mit drei Beinen aus und hat etwas Insektenartiges. Die Farbkombination Schwarz-Gelb, die Gubi anbietet, mag diese Assoziation zusätzlich nähren. Noch recht neu im Programm der Dänen ist die Hängeleuchte Satellite, deren ballonartiger Lampenschirm aus perforiertem Blech besteht. 1953 entwarf Matégot dieses besondere Stück. Kein Wunder, dass er einer der einlussreichsten Designer seiner Zeit in Frankreich war und den französischen Stil entscheidend prägte. Ebenfalls bei Gubi gibt es den Spiegel Adnet Circulair von Jacques Adnet. Ein Bestseller der Dänen. Adnet, 1900 geboren, gilt als Ikone der französischen Moderne. Mit seinem Zwillingsbruder Jean gründete er 1950 die Firma J. J. Adnet. Gemeinsam entwarfen die beiden Wohnungen und Büros für renommierte Kunden – darunter die Privatwohnung des Präsidenten Vincent Auriol im Élysée-Palast. Als Georges Pompidou Jahre später in den Palast einzog, wurde es futuristisch in den ehrwürdigen Sälen. Denn Pompidou beautrage Pierre Paulin 1970 mit der Gestaltung des Amtssitzes. Ein Ritterschlag für Paulin, der seine Designerkarriere in den 1950er-Jahren begonnen hatte. Zunächst entwarf er kubische, lexible 63


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TRENDSCOUT NEWS

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Die Hamburger Elbphilharmonie eröfnete im Januar 2017 nach rund zehnjähriger Bauzeit

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Möbel für kleine Wohnungen junger Familien. In den Sechzigern gestalte­ te Paulin Stücke für den niederlän­ dischen Hersteller Artifort: Der Sessel Mushroom, dessen Form dem Na­ men alle Ehre macht, besteht aus einem von Schaumstof umhüllten Metallgestell, umspannt von einem Stretchbezug. Genauso plastisch ist der Sessel Tongue, einer Zunge äh­ nelnd. Oder Sessel und Sofa Pump­ kin, die an einen Kürbis mit Sitzkuhle erinnern. Dank dieser Werke nannte man Paulin in einem Atemzug mit Verner Panton und Eero Saarinen. PAULIN, PUMPKIN UND POMPIDOU

Die Pumpkin­Reihe war es dann auch, die es mit Pompidou in den Élysée­Palast schate. Irgendwie ge­ lang es Paulin, die Sofalandschaten so zu inszenieren, dass sie bei aller Lässigkeit staatsmännisch genug wirkten. Heute sind Paulin­Stücke bei Ligne Roset und Magis im Programm. Für Ligne Roset hat Annie Hiéro­ nimus in den 1980ern das Voll­ schaumsitzmöbel Plumy designt – ganz in der Tradition ihres berühmten Kollegen. 2016 kam eine Reedition dieses ikonischen Bestsellers auf dem Markt. Im selben Jahr entwi­ ckelte Philippe Nigro eine neue Sofa­ serie, die an den Paulin­Pop erinnert: Manarola würde hervorragend mit Tongue, Mushroom und Pumpkin harmonieren. Was nicht heißt, dass junges französisches Design nur Re­ tro kann. Zeitgenössische Designer wie Ronan und Erwan Bouroullec, Constance Guisset, Inga Sempé, Ion­ na Vautrin, Ora ïto, Matali Crasset, Benjamin Graindorge oder Tiphaine de Bodman formen gerade einen neuen französischen Stil. Schrank­ kofer haben sie wohl allesamt nicht im Portefeuille. 64

ELBPHILHARMONIE

RAUMKLANG 01 Eine Universalleuchte von Matali Crasset. Einfach mitnehmen, abstellen, einstecken 02 Das Sofa Nubilo von Constance Guisset für Petite Friture mag keine Ecken und Kanten

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03 Der Slow Chair von den Bouroullecs für Vitra besteht aus formgestricktem, belastbarem Textil 04 Der Belleville Chair ist nach dem pulsierenden Pariser Quartier Belleville benannt. Von Ronan und Erwan Bouroullec für Vitra MAGAZIN FÜR EINRICHTEN UND LEBEN

05 Das Sofa Scape hat Benjamin Graindorge entworfen. Er gilt als einer der talentiertesten Jungdesigner Frankreichs

HAMBURGS „ELPHI“ ist eröfnet und nicht nur ein neues Hamburger Wahrzeichen, sondern auch ein architek­ tonisches Meisterstück. Dem spektakulären Gebäude sieht man seine Kostbarkeit auch von innen an. Viele internationale Designernamen sind hier versammelt. Für die Foyers haben Eva Marguerre, Marcel Besau und Daniel Schöning eine Produktfamilie aus einem Stehtisch, einem Beistelltisch und einer Bank entworfen und diese gemeinsam mit e15 realisiert. Sie wird 2017 in Serie gehen.

02 Kernstücke des Einrichtungskonzepts Stehtisch und Sitzbank von e15 mit Bezugsstof Basel von Kvadrat

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01 Einladendes Panorama mit Bänken und Beistelltischen von e15

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MESSE-NEWS

NATÜRLICHE SCHÖNHEITEN

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n Halle 11.1, Stand F 043 roch es so gut! Das lag am Zirbelholz aus österreichischen Wäldern, das die Firma Hubert Feldkircher für ihre Möbel verwendet. Der Dut liegt einem jetzt, nach dem Messebesuch, immer noch in der Nase. Vielleicht kommt das aber auch von der eingesteckten Visitenkarte aus Zirbelholz. Naturbelassenes Holz fand sich viel auf der imm cologne, der ersten großen Möbelmesse des Jahres. Bei Freifrau wähnte man sich gar im Wald: Highlight des Standes war ein riesiger Esstisch, der aus einem ganzen Baumstamm gesägt wurde. Ein Vollholz-Möbelstück in Vollendung. Für die eigene Wohnung könnten immerhin die Beistelltische des Sitzmöbelspezialisten passen. Dann hätten wir eine armdicke Scheibe eines Baumstamms vor dem Sofa stehen, könnten die Jahresringe studieren und über den Wald philosophieren. Wenn wir uns dann noch den Embroidery Chair von Johan Lindstén für Cappellini dazustellten, wäre die Naturkulisse perfekt – röhren auf der Rückenlehne des hölzernen Sessels doch zwei Hirsche. Natur ist in. Wenn die Zeiten rauer werden, trit man sich gern mit Freunden, und da darf’s auch etwas rustikaler zugehen. Große Tische, wie man sie aus Wirtshäusern oder Klöstern kennt, für sechs, acht oder mehr Personen sind das moderne Lagerfeuer, an dem man sich zusammensetzt. Man lädt ein, tafelt zusammen, erzählt, lacht, diskutiert. Da ist so ein Tisch, am liebsten als Herzstück der großen Wohnküche oder auf der

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Auf der imm cologne, der ersten Möbelmesse des Jahres, hat Holz seinen großen Auftritt: Es kommt rustikal oder iligran daher, als riesiger Ess- oder zierlicher Beistelltisch. Zum Naturlook passt die neue Lieblingsfarbe Grün – und natürlich dürfen auch die Zimmerplanzen nicht fehlen TEXT: Maike Seifert

01 Waldatmosphäre auf dem Messestand der Firma Freifrau. Mehr Holz geht nicht 02 Der Embroidery Chair von Cappellini holt röhrende Hirsche ins Wohnzimmer

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TRENDSCOUT IMM COLOGNE

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01 Moby heißt das dekorative Walobjekt aus dem Hause e15

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02 Der CH23 von Hans J. Wegner für Carl Hansen vereint zwei Hölzer in einem Stuhl

03 Design House Stockholm hat MiniGewächshäuser für die Wohnung im Programm

06 Thonet zeigte auf der Messe den großen Esstisch S 1092 mit passenden Bänken, inspiriert von Refektoriumstischen

Terrasse, das ideale Möbel. Ob maßgefertigter Vollholztisch vom Spezialisten Belfakto, der Ginestra-Tisch aus wetterbeständigem Teak von B&B Italia oder – bereits 2016 vorgestellt – Aurelio von Hugo de Ruiter für Leolux, ein elegantes Prachtexemplar eines großen Tisches aus heller Eiche. Artek ließ sich für seinen Stand vom „letzten Abendmahl“ anregen und stellte sieben seiner Aalto-Tische aus der L-leg-Serie in der neuen Sonderfarbe Stonewhite zu einer riesigen Tafel zusammen. Und Randolf Schott ließ sich für den neuen Thonet-Tisch S 1092 in Esche von klassischen Refektoriumstischen inspirieren. Ein Prachtstück: Auf einem Gestell aus dünnem, gebogenem Flachstahl in schwarzer Gussoptik liegt eine längliche Tischplatte, die sich zur Stirnseite

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07 Der Stamm ist der Star VollholzInszenierung auf dem Stand von Team 7

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08 Woodnotes beweist mit diesem Beistelltisch, wie gut Glas und helles Holz harmonieren

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verjüngt und deren Ecken abgerundet sind. Freunde und Familien sitzen auf einem der beiden Bankmodelle, die die gleiche Formensprache sprechen wie der Tisch. Auf dem Stand von e15, vor allem für den legendären Vollholztisch Bigfoot bekannt, war Moby der Star. Das neue Modulsofa Kerman geiel uns auch – aber Moby sollte möglichst bald bei uns einziehen. Moby ist ein kleiner Pottwal aus unbehandelter Eiche. Das Walobjekt von Paul Louda entstand in Kooperation mit der ECAL, der Designund Kunsthochschule in Lausanne, und ist ein äußerst sympathisches Beispiel für den Holztrend.

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04 Bei Hartô verzichtet man auch bei Leuchten nicht auf Holzakzente 05 Das Sideboard, ebenfalls von Hartô, kombiniert helles Holz mit perforiertem Blech

Hersteller Woud inszenierte helle Hölzer vor tiefgrauen Wänden – ein toller Kontrast. Woodnotes aus Finnland zeigte Couchtische und Anrichten aus hellem Holz und Glas. Auch Design House Stockholm kombinierte diese Materialien. Selten wirkte ein Esstisch aus Glas wohnlicher. Hier geielen auch die Gewächshäuschen in der gleichen Materialkombination. Dass die Zimmerplanze ihr Comeback feiert, war auf der imm nicht zu übersehen. Üppig begrünt setzte Paola Navone die Neuheiten von Serax in Szene. Wir lernen: Planzen stehen nicht nur auf dem Boden oder im Regal. Sie wachsen an der Wand, hängen von der Decke und wirken am besten in großen Gruppen. Viel hilt viel. Die grüne Pracht will gesehen werden. Damit das gelingt, gibt es nicht nur bei Design House Stockholm das nötige Mobiliar. Skagerak zum Beispiel gruppierte auf der Messe Grünplanzen auf dunkelgrünen Aluminiumbänken namens Reform.

ES WIRD WIEDER HELL GRÜNE WELLE

Helles Holz fanden wir auch auf dem Stand des jungen französischen Labels Hartô, aufs Feinste kombiniert mit zarten Pastelltönen. Der dänische

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09 Wie im Gewächshaus ging es auf dem Stand von Serax zu

Die Farbe des Jahres 2017 ist denn auch „Greenery“, ein frisches, sattes Blattgrün. Darauf legte sich das Farbforschungsinstitut Pantone gerade fest. Was wir auf der imm cologne sahen, war zwar viel Grün – aber meistens deutlich erwachsener in Form von Dunkelgrün oder Graugrün bis hin zu Taupe und Petrol. So erhöht Farbe den Wohlfühlfaktor und verweist zugleich auf die Natur, was zu den aktuellen Materialien Holz, Marmor und Naturstein passt. Besonders schöne Farbinszenierungen boten Vitras Grand Repos in Graugrün vor dunkelgrüner Wand, die grünen Sofas mit Kissen in Orange von COR oder die Ray-Outdoor-

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10 Grün gefällt in Glasform (von Serax) genauso wie als Bank (von Skagerak)

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TRENDSCOUT IMM COLOGNE

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Bei Schönbuch zog der knallrote Barschrank Guard vor farbgleicher Wand alle Blicke auf sich. So markant das Rot auch ist, das Design von Christian Haas ist puristisch und zurückhaltend. Dass das Highboard Hochprozentiges versteckt, lässt sich bei geschlossener Tür kaum erahnen. Im verspiegelten Innern verfügt es über Fachböden aus Glas und LED-Beleuchtung, sodass kostspielige Kaltgetränke, Kristallgläser und Karafen angemessen zur Geltung kommen.

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IMMER MEHR MÖGLICHKEITEN 01

01 Édouard heißt das neue Sofa von Antonio Citterio für B&B Italia, das mit einem geschickten Schwung dafür sorgt, dass sich die Sitzenden einander zuwenden

Sofalandschat von B&B Italia. Sehr stilvoll auch die One-Sessel von Zaha Hadid für Cassina, die es jetzt in wunderschönen Grüntönen, in Violett und Blau gibt. Werner Aisslinger zeigte sein neues Möbelsystem Mesh für Piure auf der imm unter anderem in einem Grünton, der leuchtet. Eine StatementFarbe, die gesehen werden will. Wow! Dezenter und fürs Zuhause noch wohnlicher kommt das gleiche Design in einem geschmackvoll abgemischten Beerenton daher. Auch anderswo trafen wir auf die verschiedensten Schattierungen von Rot, etwa auf den Sessel von Mario Bellini für Cassina in einem gedeckten Rotton, der, zusammen mit einer Variante in dunklem Petrol eindrucksvoll inszeniert, die Besucher an den Stand lockte. 02 Schönbuch begeisterte auf der Messe mit dem Barschrank Guard in knalligem Rot

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03 Der Sessel ZH One von Cassina trägt die Initialen seiner Designerin: Zaha Hadid

Zurückhaltender ging es bei Kettal mit jeder Menge Hellrot zu. Zart und gedeckt, das funktionierte auch in anderen Farbwelten, etwa beim Tisch Notes von Living Divani mit blauer Glasplatte oder bei den minimalistischen Sesseln des Designduos Muller/van Severen in pastelligem Blau, Grün und Orange. Bei Conmoto geiel uns vor allem der Stuhl Mito in tiefdunklem Rot,

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06 Mesh ist ein Systemmöbel von Werner Aisslinger für Piure, das mit luxuriös getöntem Glas und Lochblechen individuell gestaltet werden kann

07 Milà taufte Jaime Hayón seinen neuen Armlehnstuhl für Magis, den es außer in Rot auch in Grün, Gelb, Schwarz, Weiß und Beige gibt 10

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10 Pure Talents Auf der imm konnten junge Designer an einem international renommierten Wettbewerb teilnehmen

04 Alu Mito von Conmoto gibt es unter anderem in diesem eleganten Rot

11 Was ihr wollt! Bei zahlreichen Herstellern beeindruckte die Vielzahl an möglichen Bezügen und Ausstattungen

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05 Mit dem Soft Modular Sofa hat Jasper Morrison das modulare Sitzmöbel für Vitra aktuell interpretiert

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bei Walter Knoll ein mit leuchtend rotem Samt bezogener Hocker. Bei Cassina begeisterten uns die roten runden Beistelltische. Sotline kom­ binierte Rot zu Pink und Rosa und stellte damit unsere neue Begeiste­ rung für die Leuchtfarbe dann doch auf eine Probe. „Viel hilt viel“ gilt vielleicht doch nicht immer, aber zu­ gegeben: Wer stellt im wahren Leben schon mehrere Sofas nebeneinander? Das System Mesh von Werner Aiss­ linger für Piure spiegelt nicht nur die neuen Farbtrends wider. Es ist ein ein­ drücklicher Beweis dafür, dass unsere Möbel immer lexibler, immer modu­ larer und damit immer individueller werden. Wir können nicht nur zwi­ schen verschiedenen Farben wählen. Wir entscheiden selbst, wie hoch und breit es sein soll, wie viele Glas­ oder Furnierböden integriert werden, ob

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08 Studio Nendo gestaltete für Alias das Sofasystem Okome in Kieselsteinform und in vielen Farben

09 Roc von COR, ein Sessel in zarten Pastelltönen. Rockig ist da die falsche Namensassoziation

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wir es als kleines Beistellmöbel kon­ igurieren oder als raumdeinierende Schrankwand. Die Gestaltungsmög­ lichkeiten werden immer größer. Das gilt bei Aubewahrungsmöbeln sowie­ so, aber auch bei Sofas. Vitra zum Beispiel zeigte in Köln das Sot Modular Sofa von Jasper Morrison. Das ganz persönliche Sofa setzt man sich aus Seiten­, Eck­ und Mittelelementen sowie einer Chaise­ longue zusammen. Es gibt eine be­ trächtliche Auswahl an Stof­ und Le­ derbezügen sowie passende Kissen. Und bei Alias kombiniert man Pols­ terelemente, die in ihrer Form an Kieselsteine erinnern, zu Sitzmöbeln. Okome heißt dieses Polstersystem von Studio Nendo. Ich baue mir mei­ ne Sofawelt, wie sie mir gefällt! KLEINES, FEINES DESIGN

Einen individuellen Touch bekommt die Wohnung durch kleine, feine Möbel in ausgefeiltem Design. Davon gab es auf der imm reichlich zu ent­ decken. Aufallend vor allem die vielen Beistelltische, die häuig in Gruppen inszeniert wurden. Da wird mit mehreren Größen und Materia­ lien gearbeitet, in mindestens zwei Etagen gedacht. Runde und eckige Formen ergänzen sich zu einem harmonischen Ganzen, fast immer iligran. Wie die Tischchen Ile von Piero Lissoni für Living Divani: Das grazile Metallgestell mit blauer Glas­ platte gibt es wahlweise rund oder eckig. Sehr elegant! Einem Schmuckstück ähnelt auch der neue Beistelltisch Joco von Walter Knoll. Ausgelaserte Quadrate auf der dünnen Messingtischplatte lassen 71


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Lichtspiele entstehen. Thonet zeigte den neuen runden Beistelltisch S 18 von Uli Budde, der aus jedem Blick­ winkel anders wirkt. Ein „Einsteiger­ stück“, vergleichsweise preisgünstig und in jedes noch so kleine Apparte­ ment passend. Petite Friture stellte die trapezförmigen und dreieckigen Bei­ stelltische Basil mit weißem Metallge­ stell und Korkplatte nebeneinander. DIE NEUE DEKO-LUST

Accessoires machen den individuellen Look perfekt. Auf kaum einem Stand der imm verzichtete man darauf, die Möbel um hübsche Kleinigkeiten zu ergänzen. Die sachliche Eleganz mo­

derner Wohnkultur lässt sich mit aus­ gesuchten Accessoires individualis­ ieren und „aufwärmen“. Sorgsam angeordnete, vielgestaltige und ­far­ bige Objekte konterkarieren als Blickfang die klaren Linien des Interieurs. Cleaner Look wird gebro­ chen an Kerzenleuchtern, Schalen, Bücherstapeln oder Vasen. So aufällig ist die neue Lust am Dekorieren, dass der Farbexperte Axel Venn von einem „Eskapismus in Accessoires“ spricht: „In einem sachlichen Rahmen tür­ men sich aulockernde, bunte Kissen, und neben Vasen und anderen Acces­ soires tauchen schon mal kitschige Kleinigkeiten auf, die mit einem Au­

TRENDSCOUT IMM COLOGNE 01 Basil ist ein Beistelltisch von Petite Friture mit Korkplatte, den es in verschiedenen Formen gibt

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MESSE-RUNDGANG

WAS UNS AUSSERDEM AUFGEFALLEN IST

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07 Thonet hat mit dem Beistelltisch S 18 ein neues Minimöbelstück im Programm

07 05 Auch Pulpo präsentierte einen Beistelltisch: Mila von Sebastian Herkner 02

06 L’Oiseau, jetzt auch aus Keramik bei Vitra

08 Der DD Table 60 von Wittmann kommt mit Marmorplatten auf zwei Etagen

Outdoorliegen gab es noch und nöcher zu sehen, häuig inszeniert vor sommerlichen Fototape­ ten. Sol+Luna von Extremis aber ist ein echtes Highlight – liefert sie Sonne und Mond doch gleich mit! Pli ist so viel glamouröser, als jeder Holzesstisch es je sein könnte, und Notes so viel leichter. Dass Sign Filo Starpotenzial hat, leuch­ tete jedem Besucher sofort ein. Und die Litfaß­ säule Amor ist einfach, rund und gut. Der Sessel FK und das Regal MD begeistern auch wegen des Leders. Und der Panton Chair versprüht in neuem Gelb gute Laune …

03 Wie Vögel auf der Leitung wirken die Haken auf der Garderobe von Schönbuch

04 &tradition zeigte in Köln unter anderem die Vasenserie Tricolore von Sebastian Herkner

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02 Pli von Victoria Wilmotte für ClassiCon gibt es jetzt als Esstischvariante

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04 Sol+Luna von Extremis ist tagsüber die perfekte Sonnenliege und nachts ein Loungesofa

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genzwinkern platziert werden.“ Vitra machte das wieder einmal besonders gut. Wie in einem Setzkasten wurde die aktuelle Home Collection präsen­ tiert: in jedem Fach eine kleine Über­ raschung. Schönes und Verspieltes wie die Mobiles von Charles und Ray Eames, Vasen von Ronan und Erwan Bouroullec und Holzpuppen und Kaf­ feetassen von Alexander Girard fügten sich wie kleine Kostbarkeiten in ei­ nem Schatzkabinett. Beachtlich, wie groß das Sortiment inzwischen ist – bis hin zu Grußkarten und Schlüssel­ ringen. Der Vogel L’Oiseau von den Brüdern Bouroullec, den es seit 2011 in Holz gibt, wurde auf der imm in ei­ ner neuen Ausführung gezeigt: aus Keramik – und in einem wunderschö­ nen Dunkelgrün.

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02 Vitra zeigte auf der imm kleines Feines wie verschiedene Tabletts und das Rotary Tray

01 Lantern Light heißt diese Leuchte von Neri&Hu für ClassiCon trefend

Bei einem Besuch auf der imm cologne fallen einem meist schnell die wichtigsten Trends ins Auge. Und zugleich entdeckt man Stücke, die etwas Besonderes sind, die sich nicht so recht einordnen lassen – und die begeistern. Hier eine kleine Auswahl unserer Messe-Lieblinge

06 Der Panton Chair von Vitra ist zwar ein alter Bekannter, neu aber ist dieser Gelbton 07 Jaime Hayón designte für Wittmann das MD Shelf mit weichen Lederborden

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08 Glanzstück Den Stuhl Sign Filo von MDF Italia gibt es zum Beispiel auch in Kupfer

05 Wogg zeigte auf der imm das Säulensystem Amor, das vielfältig eingesetzt wird

03 Notes von Living Divani ist ein großer Esstisch mit blauer Glasplatte

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09 Walter Knoll inszenierte in Köln eine Ikone des Minimalismus: den Schalensessel FK 09

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FAMOUS CHAIR #9

Eero Saarinen (1910 bis 1961) wurde in Finnland geboren und lebte ab 1923 in den USA. Mit kühnen Entwürfen wie dem berühmten TWATerminal in New York, dem Gateway Arch in St. Louis oder dem Washingtoner Dulles International Airport ging er in die Geschichte der amerikanischen Architektur ein. Auch einige seiner Möbel wurden Klassiker, darunter der einbeinige Tulip Chair (Tulpenstuhl) und nicht zuletzt der Executive Chair, eine Weiterentwicklung des gemeinsam mit seinem Freund Charles Eames (1907 bis 1978) entworfenen Organic Chair.

EXECUTIVE CHAIR

DER MIT DEM LOCH IN DER LEHNE EERO SAARINEN gewann gemeinsam mit Charles Eames 1941 einen Wettbewerb des New Yorker Museum of Modern Art zum Thema „Organic Design in Home Furnishings“. Ausschlaggebend für diesen Erfolg war ein Konzept für funktionelle und bezahlbare Möbel, das auf neuen und modernen Produktionsprozessen beruhte. Nach diesem öfentlichkeitsträchtigen Sieg widmete sich Saarinen weiter der gestalterischen Herausforderung, die Bequemlichkeit eines Stuhls nicht durch die Dicke der Polsterung, sondern durch besonders anschmiegsame Formen zu erreichen. Einen entscheidenden Impuls erhielt Saarinen von der amerikanischen Designerin und Möbelherstellerin Florence Knoll: „Wieso packst du nicht den Stier bei den Hörnern und entwirfst etwas Großes? Einen Stuhl, der sich wie ein Korb

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voller Kissen anfühlt und in den ich mich so richtig hineinkuscheln kann?“ Heraus kam, wie bei Saarinen nicht anders zu erwarten, kein Plüschsessel, sondern der legendäre Womb Chair, der seinen Namen seiner schoßähnlichen Form verdankt. Mit dem Executive Arm Chair auf Holzoder Stahlrohrfüßen folgte 1950 eine schlankere Variation des organischen Themas. Er fand viele Fans, darunter den armenisch-französischen Großmeister des Chansons, Charles Aznavour, der in diesem Jahr seinen 93. Geburtstag feiert. Im Bild ist er neben einer noch weiter reduzierten Executive-Version ohne Armlehnen zu sehen und verrät dabei seine Körpergröße. Zu einem Spitznamen hat es bei dem Stuhl jedoch nicht gereicht, deshalb blieb er der Klassiker mit dem sprichwörtlichen „Loch in der Lehne“.

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WAS ZÄHLT SIND

BALANCE, STRUKTUR

UND SIE.

Same but different. USM setzt auch im Home Ofice Akzente: mit der harmonischen Symbiose von Form und Funktion.

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