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INTERVIEW

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FRIZZ KULTUR

FRIZZ KULTUR

KUNST UND KULTUR =

NULLRELEVANZ

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Das Künstlerpaar Esther und Ralf Scherfose lebt und arbeitet in der documenta-Stadt Kassel. Er hat seinen Schwerpunkt in der Malerei, sie gestaltet Skulpturen und Objektschalen. Auch das Künstlerpaar erlebt massive Einschnitte durch die COVID-19-Pandemie. Wir haben sie in ihrem Atelier für zeitgenössische Malerei und Objekte besucht und mit ihnen über den zweiten Lockdown, Projekte in Zeiten von Corona und gegenseitige Inspiration gesprochen.

Wie habt ihr die letzten Monate erlebt?

Esther Scherfose: Regulär machen wir pro Jahr zwei Ausstellungen, eine im späten Frühjahr und eine im Herbst, die immer eine zeitliche Vorbereitungsphase mit sich bringen. Das war letztes Jahr natürlich nicht möglich. Uns war zu einem sehr frühen Zeitpunkt klar, dass Corona keine Episode von einigen Monaten werden wird. Wir leben und arbeiten unter einem Dach und waren letztes Jahr – trotz aller Widrigkeiten – unglaublich produktiv: Ralf hat zwei Malerei-Zyklen kreiert, ich habe eine Serie von 60 Skulpturen vollendet und diverse Objektschalen gefertigt. Wir haben in der Zeit der Lockerungen im August und September die Non-Profit-Ausstellung „Feuersturm“ in unserem Showroom realisiert, die eigentlich für den musealen Bereich gedacht war. Wir haben ein Fenster des Ateliers für unsere Aktion „Art-to-go“ umfunktioniert und an 54 Tagen war es möglich, unsere Werke für einen schmalen Kurs zu erwerben. Mir war es sehr wichtig, arbeiten zu können, da mich meine konzentrierte Arbeitsweise unglaublich geerdet und ausgeglichen hat. Mir tun andere Menschen, die aktuell nichts machen, unfassbar leid.

Was macht euch Mut? Was ärgert euch?

Esther Scherfose: Mich beeindrucken viele Kulturschaffende und Künstler, die kreative Ideen entwickeln, um ihr Publikum zu erreichen, oder auch die zahlreichen Gastronomen, die Lieferdienste und Abholservice anbieten und ihre Produkte wie beispielsweise hausgemachte Pastasoßen verkaufen. Man muss ja etwas machen, ansonsten empfindet man diese Zeit als eine Zeit der Machtlosigkeit. Leider erscheint es mir gerade so, dass die Kunst und Kultur eine Nullrelevanz hat. Ralf Scherfose: Mich bringt diese unproduktive Kakofonie auf die Palme. Es werden Mandatsträgern Vorwürfe gemacht, die meines Erachtens weitestgehend einen guten Job machen. Es ist vollkommen klar, dass bei Herausforderungen dieser Größenordnung auch Fehler passieren. Es ist aber überhaupt nicht zielführend, sich immer wieder über diese Fehler aufzuregen. Viele Menschen drehen derzeit am Rad und können es nicht aushalten, in Individualbereichen ein gewisses Disziplinverhalten an den Tag zu legen. Wir müssen konstruktiv und lösungsorientiert bleiben. Ich bin allerdings skeptisch, ob unsere Konsum- und touristisch orientierte Gesellschaft über eine Resilienzfähigkeit verfügt.

Wie entstehen die Malerei-Zyklen?

Der aktuelle Zyklus zeigt generalisierte Stadtlandschaften. Ich merke nicht vorher, wann ein Zyklus durch ist. Irgendwann im Arbeitsprozess merkst du, das Motiv läuft aus, du hast nichts Hinreichendes mehr zu sagen, und dann komme ich zu anderen Zyklen: Aber in der Regel geht es immer um Form. Bei diesen Bildern ist das Interessante, möglichst viel Malerei auf kleinen Formaten unterzubringen. Ich verwende keine filigranen Pinsel, es kommen große Pinsel und Spachtel zum Einsatz, aber auch Fensterwischer: So entsteht eine interessante Textur. Mein Alleinstellungsmerkmal ist, möglichst viel Dichte in kleine Formate zu packen und eine räumliche Tiefe zu erzielen. Die Bilder brauchen eine Präsenz und

das macht die Qualität der Bilder aus – dies ist für mich immer sehr wichtig. Von Weiten wirken die Bilder realistisch, fast fotografisch, aber bei naher Betrachtung sieht man die grobe Textur und Struktur. Im Vergleich zu einem großen Bild muss der Betrachter bei kleinen Formaten sich verzwergen und in das Bild hineinfühlen. Die Rezeptionsfähigkeit wird stärker beansprucht. Ein Zyklus beginnt und nach sechs bis sieben Bildern entscheide ich, ob ich weitermache oder ob es mich langweilt. Es wird immer eine andere Malsprache generiert.

Ihr lebt und arbeitet zusammen. Birgt das manchmal Zündstoff?

Esther Scherfose: Wir haben unterschiedliche Rhythmen – wie Lerche und Eule. In gegenseitiger Rücksichtnahme haben wir uns deswegen für getrennte Schlafzimmer entschieden. Meine höchste Produktivität liegt in den Stunden des Vormittags, bei Ralf ist es umgekehrt und er kann bis tief in die Nacht arbeiten. In gewissen Phasen benötigen wir beide absolute Ruhe und so haben wir quasi eine Vormittagsschicht und eine Nachmittags- und Abendschicht. Natürlich raucht es auch mal, so wie in jeder anderen Beziehung auch. Das hat nichts mit unserer Arbeit in gemeinsamen Räumen zu tun: Hier geht es dann immer Konstruktivität.

Inspiriert ihr euch gegenseitig? Findet eine gegenseitige Befruchtung statt?

Esther Scherfose: Was mir zugutekommt: Viele Jahre habe ich neben Ralf gesessen und beim Entstehen der Werke zugeschaut. Ich habe ein relativ großes Wissen, wie und warum die Bilder entstehen. Er hat mir seine Techniken nicht erklärt, aber ich konnte sie auf meine Objekte adaptieren und weiterentwickeln. So entstehen bestimmte Lasuren, Texturen und Strukturen. Ralf Scherfose: Esther verfügt über hohes Verständnis für Visualität, für textorale Eigenschaften, für Qualität und Struktur. Ich könnte nie mit jemand zusammen sein, der das nicht hat. Wenn jemand das hat, kann er es weiter ausbilden und kultivieren. Dann sind Bemerkungen von geistreicher Art konstruktiv und unterstützen mich in meiner Arbeit, wenn ich merke, dass in meinen Bildern etwas nicht stimmt. Durch unsere lange Beziehung wissen wir, wann wir etwas sagen. Natürlich gibt es Zyklen, die Esther besser oder schlechter findet. Aber unsere Interessen sind ähnlich gelagert: Im Vordergrund steht die Form, die absolute Präzision, die formelle Qualität und Wertigkeit.

›› www.scherfose.de

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