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Mutiges Handeln erwünscht – Interview mit Jörg
Mutiges Handeln erwünscht
Hat die gesetzliche Rentenversicherung ausgedient, und warum gelingt der Politik nicht der ganz große Wurf? Was wird aus der Riester-Rente und der bAV? Und sind langfristig bei der privaten Altersvorsorge auch wieder andere Garantien als derzeit denkbar? finanzwelt unterhielt sich zu vielen Fragen der künftigen Altersabsicherung mit Jörg Arnold, dem CEO der Swiss Life Deutschland.
finanzwelt: Über viele Jahrzehnte hinweg gab es hinsichtlich der finanziellen Sicherheit im Alter feste Parameter: die gesetzliche Rente, die private Vorsorge mit klassischen Garantien und – mehr oder weniger – die bAV-Gehaltsumwandlung. Demografische Ursachen, niedrige Zinsen am Kapitalmarkt bei gleichzeitiger bAV-Unterversorgung haben jedoch zu einem grundlegenden Wandel geführt. Sind die Zeiten im Bereich der Alterssicherung generell unsicherer geworden? Jörg Arnold» Die Rahmenbedingungen für die eigene Altersvorsorge haben sich in zweierlei Hinsicht deutlich verändert: Das Umlagesystem als Fundament der gesetzlichen Rentenversicherung kann nicht mehr das leisten, was es in den Gründerjahren der Bundesrepublik zu leisten vermochArnold» Eine Legislaturperiode dauert bekanntlich nur vier Jahre an. Eine Reform des Vorsorgesystems hat allerdings Auswirkungen auf mehrere Generationen. Solche Entscheidungen müssen sorgfältig abgewogen werden. Dennoch ist jetzt die Zeit überfällig für entschlossenes und mutiges Handeln. Die gesetzliche Rente wird so im Jahr 2030 nicht mehr funktionsfähig sein, das ist längst bekannt. Und dennoch diskutieren wir über starre, unflexible und kontraproduktive Reformvorschläge und eine Art Voll-Kasko-Lösung. Die Zeit ist reif, den Menschen Zugang zu einer zukunftsfähigen und renditestarken Altersvorsorge zu ermöglichen, und reif für eine längst überfällige Belebung unserer Aktienkultur.
finanzwelt: Sollten sich die Bürger endgültig von der Erwartung verabschieden, dass die gesetzliche Rentenversicherung ihre finanzielle Lage im Alter stabilisieren wird? Arnold» Die demografische Entwicklung und das anhaltende Niedrigzinsumfeld erfordern eigenverantwortliches Sparverhalten, zu dem wir die Menschen befähigen müssen. Auch müssen alle drei Säulen besser zusammenspielen. Derzeit mangelt es insbesondere an einer ausgewogenen
te, und durch die gewollte, politische Ausschaltung des sicheren Zins an den Kapitalmärkten fallen schwankungsarme Festzinsanlagen als Möglichkeit des Vermögensaufbau aus. Dennoch bietet ein Wandel wie dieser immer wieder auch neue Chancen. Das jetzige Niedrigzinsumfeld hat die Menschen bereits heute zu einem Umdenken gezwungen und vielen die Augen dafür geöffnet, ihre Altersvorsorge selbstbestimmt zu gestalten. Statt Sparbuch sind immer mehr Menschen offen für investmentbasierte Geldanlagen. Gerade junge Menschen entscheiden sich mehr und mehr für chancenorientiertes Sparen.
finanzwelt: Der Staat werkelt an der gesetzlichen Rente ja spätestens seit Norbert Blüms Zeiten ohne Unterlass herum. Warum fällt der Politik ein wirklich großer Wurf so schwer? Abstimmung der drei Schichten aufeinander. Besonders die private Vorsorge in der sogenannten dritten Schicht ist entscheidend, da hier mit etwas mehr Risikobereitschaft auch höhere Renditechancen möglich sind, um im Alter finanziell selbstbestimmt leben zu können.
finanzwelt: Ist es überhaupt vorstellbar, dass es in ferner Zukunft wieder klassische Modelle „alter Bauart“ geben könnte? Arnold» Ich rechne derzeit nicht damit. Eine langfristige Erholung des Zinsniveaus zeichnet sich nicht zuletzt aufgrund der enormen Kosten zur Bewältigung der Corona-Pandemie und der expansiven Geldpolitik der Notenbanken nicht ab. Zum anderen findet derzeit auch ein Umdenken bei den Sparern statt: Gerade junge Menschen setzen mehr auf investmentbasiertes Sparen. Diese Entwicklung ist begrüßenswert.
finanzwelt: Anfang des Jahrtausends wurde das RiesterModell eingeführt, um mit der gleichzeitig umgesetzten Rentenreform entstehende Lücken auszugleichen. Ist dieses Modell in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß? Arnold» Die Riester-Rente leidet seit ihrer Einführung an diversen Geburtsfehlern, die so nicht sein müssten: Dazu zählt die komplizierte Definition des Kreises der Zulagenberechtigten, die sehr komplexe und störanfällige Zulagenabwicklung, der Zwang zur Garantie und die fehlende Dynamisierung des Förderbetrags. Mit einer Behebung dieser Probleme wäre allen Beteiligten eher geholfen als mit fruchtlosen Grundfinanzwelt: Eigentlich ist es ja so, dass gerade die unteren Einkommensschichten, die auf zusätzliche Vorsorge dringend angewiesen wären, sich diese gar nicht leisten können. Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen? Arnold» Der Zusammenhang zwischen verfügbaren Einkommen und möglichen Sparraten ist offensichtlich. Als Gesellschaft sollten wir ein Interesse daran haben, allen Menschen eine auskömmliche Rente zu ermöglichen. Zusätzliche Förderungen für Geringverdiener und die Umverteilungsinstrumente der Sozialpolitik können immer nur noch den Charakter einer Schadensbegrenzung haben. Auch hier ist
satzdiskussionen über einen staatlichen Vorsorgefonds. Die Grundidee von Riester, Eigeninitiative und Sparfleiß mit Steuervorteilen und Prämien zu belohnen, hat darum auch heute nicht an Relevanz verloren.
finanzwelt: Sollte der Staat eingreifen, um die häufig sehr hohen Kosten von Riester-Verträgen deutlich zu begrenzen? Arnold» Ein wie auch immer gearteter Kostendeckel ist letztlich eine willkürliche Festlegung, die im unglücklichsten Fall dazu führen kann, dass keiner mehr dieses Geschäft machen möchte. Bereits jetzt ist zu beobachten, dass immer mehr Anbieter das Riester-Geschäft aufgeben und somit der Wettbewerb in diesem Segment abnimmt. Allen Beteiligten wäre weitaus mehr damit gedient, wenn die bereits angesprochene komplexe und kostentreibende Zulagenabwicklung vereinfacht und der Zwang zur Garantie abgeschafft wird: Die Verwaltung der Riester-Rente ließe sich dann günstiger darstellen und chancenreichere Anlagestrategien wären ebenfalls möglich. Noch eine Bemerkung zu den Kosten: Die im Zuge des PIA-PIBs eingeführte Effektivkostenquote sorgt bereits für ausreichend Transparenz und übt auch erheblichen Druck auf die Anbieter aus, ihre Kosten in den Griff zu bekommen.
finanzwelt: Warum wird noch immer keine aus Arbeitgeberbeiträgen verpflichtende bAV eingeführt? Bei den Lohnnebenkosten könnte sich das doch Deutschland spielend leisten. Arnold» Sie sollten diesen Vorschlag dem Eigentümer eines Unternehmens aus den Branchen machen, die von der vollen Wucht der Corona-Zwangsmaßnahmen getroffen wurden. Dort ist man sicherlich nicht begeistert über einen rein arbeitgeberfinanzierten bAV-Zwangsbeitrag. Außerdem ist es eine Milchmädchenrechnung zu glauben, dass man die Kosten einer verpflichtenden bAV mit einem Federstrich auf die Arbeitgeber abwälzen könnte. Jeder erwirtschaftete Euro kann nur einmal verteilt werden. Im Zweifel würde dies dazu führen, dass zukünftige Lohnerhöhungen zur Gegenfinanzierung einer arbeitgeberfinanzierten Zwangs-bAV knapper ausfallen. beispielsweise die Riester-Rente besser als ihr Ruf. Eine junge Kundin mit einem beispielhaften Bruttoeinkommen von 30.000 Euro im Jahr und einem Kind könnte bei einer Einzahlung in Höhe von 725 Euro in die Riester-Rente 475 Euro Zulagen vom Staat erhalten und sich damit eine Förderquote von über 65 % im Jahr sichern. Zum anderen brauchen wir eine qualifizierte und gut ausgebildete persönliche Beratung, die ganzheitlich auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden eingeht und passende Vorsorge-Lösungen identifiziert. Die Menschen müssen befähigt werden, sich um ihre Altersvorsorge zu kümmern. Diese wichtige Aufgabe übernehmen in Deutschland leider nur noch weniger als 200.000 Beraterinnen und Berater. Wir sind also angehalten, das Berufsbild wieder attraktiv zu machen. Daran arbeiten wir bei Swiss Life mit großem Erfolg.
finanzwelt: Muss das gesamte Konstrukt Alterssicherung vor allem angesichts der demografischen Entwicklung vielleicht völlig neu durchdacht werden – etwa über ein kapitalstockorientiertes, aber staatlich beaufsichtigtes Rentenkonto? Arnold» Der Aufbau eines staatlich beaufsichtigten Rentenkontos wirft vielfältige, ordnungspolitische Fragen auf: Ein staatlicher Kapitalstock, wenn er denn über Zwangsbeiträge bedient wird, würde über kurz oder lang veritable Vermögensmassen anhäufen. Deren Veranlagung wiederum würde zahlreiche Interessenskonflikte aufwerfen: Darf ein solches Vehikel derzeit negativ verzinste Bundesanleihen kaufen – was für Vater Staat eine günstige Refinanzierungsquelle, für den einzelnen Versorgungsempfänger aber möglicherweise ein schlechtes Geschäft wäre? Meines Erachtens nach ein klarer Interessenskonflikt. Der Staat ist nicht der bessere Kapitalverwalter. Zudem braucht eine kapitalstockbasierte Anlage, insbesondere wenn sie einen hohen Aktienanteil hat, eine extrem ruhige Hand. Ich habe große Sorge, dass in Zeiten stark fallender Börsen der politische Druck groß wird, aus den Aktien heraus zu gehen und Verluste zu begrenzen. Gerade das hat sich aber oft als völlig falsche Strategie herausgestellt. (hdm)