Thema.
Wir Kinder von der Steinenvorstadt
Basels Kinostrasse «Steinen» war vor 30 Jahren wegen ihrer Gangs schweizweit in Verruf – Von Dina Sambar Basel. Das Mixtape im Walkman, die
Lautstärke auf Maximum: «Fuck the Police», rappte die Hip-Hop-Crew NWA eindringlich, «Fight the Power» beschwörte mich Public Enemy via Kopfhörer. Ich fühlte mich stark und unbesiegbar, wenn ich cool zu solchem Soundtrack durch die «Steine» schlenderte. Ganz ungefährlich war das nicht. Ein rasiermesserscharfes Buschmesser, mehrere Baseballschläger, einer davon mit Nägeln versetzt, ein Wurfstern, ein Nunchuku, eine grosse Steinschleuder und mehrere Klapp- und Stellmesser – es war ein eindrückliches Waffenarsenal, das die Basler Polizei den Steinen-Kids im Jahr 1989 innerhalb nur dreier Monate abnahm. Viele Jugendliche und Erwachsene trauten sich nicht mehr alleine in die Kinostrasse. Die Bedenken waren berechtigt. Immer wieder kam es zu Schlägereien und Raubüberfällen. Eine der gewalttätigsten Szenen spielte sich in einer öffentlichen Toilette ab. Gelangweilt und stark alkoholisiert, wollten vier 16 bis 19 Jahre alte Jugendliche einen Homosexuellen angreifen. Als dieser trotz Drohungen nicht aus der Herrentoilette kam, zapfte einer der Täter von einem Mofa Benzin ab, schüttete es unter der Tür durch und zündete es an. Der Mann ging in Flammen auf und rannte in ein gegenüberliegendes Restaurant, wo er mit Wasser übergossen wurde. Er war 33 Jahre alt und verlor fast sein Leben. Die Kreativen und die Schläger In der «Steine» verbrachten unzählige Jugendgruppen ihre Freizeit. Sie hätten unterschiedlicher nicht sein können. Aussenstehende erkannten diesen Unterschied nicht. Sie nannten
dung diskutierten nicht nur Polizisten und Politiker, sondern auch die SteinenKids mit – auch ich, damals 15 Jahre alt. 30 Jahre später taucht die Sendung plötzlich in den sozialen Medien auf und wird lebhaft diskutiert. Die Frage kommt auf, was wohl aus all diesen gefürchteten Jugendlichen geworden ist. Auch ich will es wissen. Durch einen Aufruf in meinem erweiterten Facebook-Bekanntenkreis konnte ich mit vielen der mir früher bekannten Jugendlichen sprechen. Allerdings lange nicht mit allen. Einige sind tot, starben an Drogen, bei einem Autounfall oder auf der Flucht vor der Polizei. Andere konnte ich nicht erreichen, oder sie wollten ihre Geschichte nicht in der Zeitung lesen. Doch bereits diejenigen, die in diesem Artikel zu Wort kommen, zeigen, wie unterschiedlich das Schicksal für jeden Einzelnen seinen Lauf nahm. Das gilt im Übrigen auch für die beiden jungen Polizisten, die in der Sendung sassen. Einer verstarb vor Kurzem, der andere wurde kriminell. In seiner Funktion als Museumsleiter hat er 30 000 Franken abgezweigt. Zwei verfeindete Gangs Ich treffe Nevio Palma in der Steinenvorstadt im Starbucks. Vor 30 Jahren befand sich hier der Spielsalon Vegas. Nevio war damals berühmt-berüchtigt. Sein Name flösste allen Furcht oder zumindest grossen Respekt ein. «Im Vegas verkehrten die Tiger Babas. Wir sassen schräg gegenüber im Spielsalon Piccolo», erzählt er. Nevio gehörte zu den Breakers, die sich wiederum mit den Hooligans verbrüderten. Die Tiger Babas und die Breakers waren jedoch verfeindet, deren Mitglieder, laut Nevio, fast alle bewaffnet. «Eines Tages, im Jahr 1988, knallte es. Wir verabredeten
Nevio Palma mit Frau Sandrine Palma und Tochter Elena. Der 52-Jährige arbeitet seit 21 Jahren als Bademeister und Eiswart. Foto Dina Sambar
sie die «Homeboys» – in Anlehnung an die neu entstandene Basler Hip-HopSzene. Die Musik aus den amerikanischen Ghettos hatte wenige Jahre zuvor Basel erreicht. Wie in den USA bildeten sich Crews, aber auch Gangs. Die meisten fanden zusammen, um friedlich zu rappen, zu breaken, Musik zu mixen oder zu sprayen. Andere aber machten sich einen Spass daraus, Jugendliche oder auch «Schwule» zu «verklopfen». Oft verloren die Unglücklichen dabei nicht nur ihre Zähne, sondern waren danach auch ihr Geld, ihre Turnschuhe oder ihre Jacke los. Gewaltbereite, teilweise rechtsradikale Hooligans, die Tiger Babas, die Spain Boys, die Panthers und viele weitere Gruppen, hatten sich die Steinen zu eigen gemacht. Mein Ding war der Hip-Hop, «Fight the Power» eben, ideal für eine brave Gymnasiastin, um ihre jugendliche Rebellion auszuleben. In der «Steine» spielte für mich das richtige Leben, hier erlebte man Abenteuer. Es war der willkommene Gegenpart zum biederen Alltag in der Schule. Gewalt verurteilte ich bereits damals; ich verpfiff aber niemanden, der bewaffnet unterwegs war. Der Ruf der Steinen war schweizweit so schlecht, dass das Schweizer Fernsehen dem Phänomen die anderthalbstündige Live-Sendung, «Seismo Nachtschicht» widmete. In dieser Sen-
uns in Birsfelden. Abgemacht war: ohne Waffen. Doch sie hatten Steine und Stangen dabei. Aber dann tauchte die Polizei auf und wir gingen gemeinsam auf sie los», erzählt er. Danach vertrug man sich. Die Tiger Babas seien später sogar mit zu FCB-Matchs gekommen. Nevio ist überzeugt, dass die HooliganGewalt damals viel schlimmer war als heute: «Wir waren ein asozialer Haufen von Psychopathen, die keine Angst kannten. Brauchten wir Geld für einen Auswärtsmatch, gingen wir jemanden ausrauben.» Einer seiner damaligen Kollegen habe bei einer Schlägerei eine Kugel eingefangen und später selber jemanden angeschossen. Nevio und ich waren als Kinder Nachbarn, spielten auf demselben Spielplatz. Ich habe ihn nicht als gewalttätig in Erinnerung. Doch, sagt er, Gewalt habe er bereits als Kind als Problemlösung verinnerlicht. «In der Schule wurde ich ständig ‹Tschingg› genannt. Jede Pause griff man mich an. Ich wehrte mich mit Fäusten. Zudem wurde ich im Heim von den Nonnen geschlagen. Oder – viel schlimmer – in den Keller gesperrt. Ich habe geschrien vor Angst. Es war ihnen egal.» Als Nevio sich als jungen Mann in der Sendung sieht, muss er lachen: «Dieser Flaum, immer am Rauchen – ich habe voll den Checker gespielt. Grosse Schnuure und nichts dahinter.»
Dann wird er ernst: «Diese kriminelle Zeit hätte nicht sein sollen. Ich habe damals eine Metzgerlehre abgeschlossen. Könnte ich zurückblättern, hätte ich danach die Meisterprüfung gemacht und wäre vielleicht sogar selbstständig.» Noch heute werde er von Jugendlichen angesprochen, die seine Taten von damals cool fänden: «Sie sind überrascht, wenn ich ihnen sage, dass es scheisse war, was wir damals getan haben. Dass viele in der Kiste landeten, drogenabhängig wurden oder tot sind.» Nevios Weg führte jedoch nicht ins Verderben. Vermutlich, weil er keine harten Drogen oder Alkohol konsumierte. «Als ich mit meiner ersten Frau Lisa einen Sohn bekam, hatte ich keine Zeit mehr, in die Stadt zu gehen. Sie war Flight-Attendant, und ich musste das Kind hüten.» Heute ist Nevio 52 Jahre alt, treibt viel Sport, arbeitet seit 21 Jahren im Sommer als Bademeister im Bachgraben und im Winter als Eiswart auf der Kunsteisbahn Margarethen. Er wurde vor wenigen Jahren Schweizer und ist fünffacher Vater. «Ich liebe Kinder», sagt er. Seine jüngste Tochter, die anderthalbjährige Elena, hängt sich um seinen Hals. Sie, seine Frau Sandrine und seine Schwiegermutter, Maci Borer, haben sich zu uns gesellt. Maci war Lehrerin an der Primarschule, die auch Nevio und ich besuchten. Seine Vergangenheit spielt für sie keine Rolle: «Ich sehe, wie er mit Elena spielt und wie sie schreit vor Vergnügen. Das ist der Nevio, den ich kenne.» Tödlicher Zucker Die grosse Seuche, die viele von Nevios, aber auch meiner damaligen Bekanntschaften dahinraffen sollte, war zum Zeitpunkt der SRF-Live-Sendung, 1989, noch nicht ausgebrochen. «Etwa ein Jahr später tauchte plötzlich, wie eine bedrohliche schwarze Wolke, ‹Sugar› in der Steinenszene auf», sagt Nevio: «Es erwischte einen nach dem anderen.» Was klingt wie ein süsser Kosename, war schlicht und einfach Heroin. Eine Tatsache, deren sich viele nicht so richtig bewusst waren – schliesslich wurde Sugar nicht gespritzt, sondern geraucht. Ich erinnere mich, wie ich mit zwei Kolleginnen auf der mit Fastfood-Verpackungen übersäten Treppe sass, die zum Steinenbachgässli führt. Ein Junge erhitzte mit einem Feuerzeug Pulver auf einer Alufolie, um den Dampf mit einem aufgerollten Papier zu inhalieren. Da ich ihn kannte, wechselten wir einige Worte: «Folienrauchen ist nicht schlimmer als Kiffen», versicherte er. Der «Junge» lebt heute noch, ist von der Sucht aber sichtlich gezeichnet. Es erwischte auch Emil F.*: «Das erste Mal rauchte ich Sugar mit 16 Jahren an der Herbstmesse.» Damals konnte er sich nicht vorstellen, in welches Elend die Droge ihn noch stürzen würde. Er erinnert sich, wie cool er sich anfangs fühlte, wenn er high war. «Später war ich einfach nur noch zerstört.» Seine Drogen beschaffte sich Emil im
Rony Daems. Wurde als Rapper MC Rony bekannt. Foto Dina Sambar
Spielsalon Vegas: «Ich kaufte dort ein Gramm Sugar, das zu jener Zeit 600 Franken wert war. Billiger erhielt man Heroin auf dem Platzspitz in Zürich, wo wir auch manchmal hingingen.» Einmal zahlte er das Geld nicht schnell genug zurück: «Da hatte ich plötzlich einen Revolver am Kopf.» Er stürzte noch wei-
Die «Steine-Kids». Die Jugendlichen aus der Steinen kamen aus vielen unterschiedlichen
ter ab. Aus dem aufmüpfigen Gymnasiasten wurde ein Junkie, der teilweise auf der Gasse lebte. Über 1,80 Meter gross, wog er nur noch 48 Kilogramm. Eine Therapie in Frankreich sollte ihn aus dem Elend befreien. Doch kaum zurück, kam ein weiterer Schicksalsschlag: «Ich übernachtete bei meinem besten Freund. Als dieser um drei Uhr morgens nach Hause kam, bemerkte ich, dass er etwas konsumiert hatte. Ich dachte mir nicht viel dabei. Als ich am Morgen aufwachte, lag er tot neben mir im Doppelbett. Ich war total fertig.» Er rutschte wieder in die Drogen ab. «Eines Tages sass ich in der öffentlichen Toilette am Claraplatz. Ich traf meine Venen nicht mehr, weil alle kaputt waren. Überall war Blut. Da fragte ich mich: Was machst du da eigentlich?» Er raffte sich auf, kam in ein MethadonProgramm und hatte seine erste richtige Freundin, die ihn unterstützte. Nach einer Coiffeurlehre wechselte er in die Finanzbranche zu renommierten Unternehmen. Seit November sucht er eine neue Stelle. Die grosse Leidenschaft des Familienvaters – er hat eine Frau und einen kleinen Sohn – ist die gute Zubereitung von Fleisch. Seine Drogenvergangenheit hat keine sichtbaren Spuren hinterlassen: «Seit 25 Jahren bin ich clean. Darauf bin ich sehr stolz. Ich habe sogar das Rauchen aufgegeben.» Andere hatten diesen Willen nicht. «Es hat mich erschreckt, wie viele der Gesichter, die ich in der Sendung gesehen habe, später in der Suchtberatung auftauchten», sagt Oliver Bolliger. Als 17-Jähriger forderte er in der TV-Sendung einen Ort, an dem die Skater Rollbrett fahren dürfen. Heute ist der 47-Jährige BastA!-Grossrat, Leichtathletik-Trainer, Vater dreier Töchter und Sozialarbeiter bei der Suchthilfe Region Basel. Es sei für Jugendliche zwar völlig normal, Grenzen auszuloten. «Dazu gehören in einem gewissen Mass auch Drogen, Schlägereien und dass man sich mit einer Gruppe identifiziert und stärker fühlt», sagt er. Er selber habe auch Cannabis ausprobiert und Alkohol getrunken. Das Folienrauchen von Heroin hatte jedoch ein sehr destruktives und lebensgefährliches Potenzial. Ein Teil der Jugend aus unterschiedlichen Szenen ist dadurch in die Sucht abgerutscht: «Ich denke dennoch, dass die Mehrheit eine normale berufliche Laufbahn einschlagen konnte. Ein Teil konnte aus ihrem Hobby sogar ihren Job machen. Sie wurden beispielsweise Künstler,
Musiker, Tanzlehrer oder professionelle DJs. Der kreative Teil der Szene brachte sehr viel Gutes hervor.» Tatsächlich entstand bereits 1993 das Anti-Heroin-Projekt Wake-up, an dem sich viele angesagte Rapper und Rapperinnen der Basler Szene beteiligten, um ihre Kollegen wachzurütteln. Rückblickend lässt sich sagen: Jene, die sich kreativ oder sportlich betätigten, stürzten seltener ab. Das galt auch für die Skater, die in der Live-Sendung ihr Können zeigten: «Man kann schon gestoned skaten, doch jene, die Drogen nahmen, kamen nicht weit», sagt Paul Heuberger. Vor 30 Jahren rauschte er mit wallender Mähne mit seinem Skateboard durch
Oliver Bolliger. Ist heute Grossrat (BastA!) und Sozialarbeiter. Foto Dina Sambar
die TV-Sendung. Im selben Jahr gründete er seine Skate-Rampen-Baufirma, Vertical. Dort treffen wir uns für das Gespräch. «Im Prinzip waren die Politiker damals völlig unfähig. Sie haben nicht gemerkt, dass die verschiedenen Jugendlichen einen eigenen Ort brauchten, an dem sie nicht stören. Genau das mache ich heute mit meiner Firma. Gemeinsam mit Jugendlichen kreieren wir für sie Skate- und Freizeitparks. Das gab mir in ökonomisch schwierigen Zeiten auch die Motivation, durchzuhalten.» Gabriel Jenny nickt. Auch er skatete 1989 in der TV-Sendung: «In die ‹Steine› zu gehen, war wie ein OutdoorDisco-Besuch. Man traf viele Leute und die aufgemotzten Autos, die dort ihre Runden drehten, brachten den Sound mit.» Einigen ist Gabriel als TV-, Eventund Radiomoderator Gee-Jay bekannt. Heute arbeitet er 100 Prozent bei Vertical und hat nebenbei eine eigene Firma, PWRPLNT, die tiefgekühlte, rein pflanzliche Smoothie-Mischungen kreiert und
| Donnerstag, 28. März 2019 | Seite 3
was aus den Jugendlichen von damals geworden ist
Szenen. Die Autorin des Artikels sitzt oben rechts.
verkauft. Sowohl er als auch Paul skaten hin und wieder, leben aus ethischen Gründen vegan und haben jeweils ein Kind. Über 50 Autos geknackt Rony Daems (45) machte sich in der Hip-Hop-Szene als MC Rony einen Namen. Sieht man ihn in der TVSendung vor 30 Jahren, würde man am liebsten «Jö» sagen, so unschuldig und jung sieht er aus. Der Schein trügt. Ich treffe Rony in seiner tipptopp aufgeräumten Einzimmerwohnung. Wir kennen uns, weil wir vor rund 22 Jahren gemeinsam im Hip-HopTheater «Gleis X» aufgetreten sind. Ähnlich wie Nevio wurde auch er in der Schule ausgegrenzt: «Sie nannten mich ‹Neger›. Ich habe geweint», erzählt Rony, der indonesisches, schweizerisches und italienisches Blut hat. «Mein nicht leiblicher Schweizer Grossvater riet mir, ihnen eine ‹Hampfle Finger› zu geben. So mit zwölf, dreizehn setzte ich das um. Ich weinte nicht mehr, sondern verteilte Fäuste.» Kurz nach der Sendung landete Rony im Gefängnis: «Aus Langeweile klauten wir Autos und fuhren damit
Screenshot Sendung «Seismo Nachtschicht», SRF, 1989
rum. Als wir bemerkten, dass man mit den Wertsachen Geld machen kann, hatten wir immer einen kleinen Hammer dabei, um Autoscheiben einzuschlagen. Das Geld gaben wir in den Spielsalons
Tamara Wernli. Ist eine Youtuberin und Weltwoche-Kolumnistin.
der Steinen aus.» Eines Nachts, sie rasten zu fünft mit 160 Sachen durch das Baselbiet, geschah es. In der Nähe von Biel-Benken touchierten sie ein Auto und kamen von der Strasse ab. «Im
anderen Auto sassen auch fünf Personen. Mein Kollege fuhr wie ein Wahnsinniger. Es hätte jede Menge Tote geben können. Wir wurden alle verhaftet.» Im Abschlussbericht nach sieben Monaten U-Haft stand: «Anführer einer Jugendbande mit immenser krimineller Energie.» Rony kam in eine geschlossene Erziehungsanstalt und danach ins Gefängnis. Erst sechs Jahre später kam er auf Bewährung frei. «Ich dachte, wir machen Hip-Hop-Kultur. Dabei haben wir nur Scheisse gebaut und dazu HipHop gehört.» Diese Einsicht kam ihm nicht im Gefängnis, sondern ein Jahr nach der Entlassung. Rony, Sohn zweier Berufsmusiker, der immer auch selber Musiker hatte werden wollen, nahm einige Songs auf. Er lernte die Rapper Black Tiger und Skelt besser kennen, zwei, die keine krummen Dinger drehten, sondern den Hip-Hop positiv beeinflussten. Er trat mit ihnen auf. «Es war das erste Mal, dass ich etwas zustande brachte und mit legalen Mitteln Geld verdiente. Das fand ich geil. Wir traten am Stimmenfestival auf, im SRF, auf Viva, sogar ein Dok-Film wurde über uns gedreht. Nun kannten mich so viele Leute, dass ich nicht mehr als schlechtes Beispiel auf der Strasse Hasch dealen oder in geklauten Autos rumfahren wollte.» Seit 25 Jahren sei er nicht mehr straffällig geworden. 2009 wurde er jedoch emotional in jene Zeit zurückkatapultiert. Seine Mutter und ihr Lebenspartner wurden in der Nacht auf offener Strasse von mehreren jungen Schweizern grundlos niedergeschlagen. Beide mussten mit Knochenbrüchen ins Spital. Rony ging nicht an die Verhandlung: «Wenn ich gesehen hätte, wer das war – nichts hätte mich zurückhalten können. Ich bin nie grundlos auf Leute los, Frauen habe ich schon gar nie geschlagen.» Seit diesem Vorfall steht er kaum mehr auf der Bühne: «Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sich einer dieser Schläger im Publikum befindet und dank mir einen guten Abend hat. Denn offenbar musste keiner von ihnen seine Zeit voll absitzen.» Heute hält sich Rony mit Temporärjobs über Wasser, in den Ausgang gehe er seit zehn Jahren nicht mehr. «Ich habe mir meine Jugend versaut. Doch immerhin hinterlasse ich mit meiner Musik auch etwas Positives.» Möchtegern-Bad-Boys, Bad-Girls Kaya Akdeniz* treffe ich auf der Manor-Terrasse. Seine erste Erfahrung in der «Steine» war keine gute – er wurde ausgeraubt. «Der Typ war gross, ich war klein, da gab ich ihm das Geld. Danach ging ich aus Angst nicht mehr hin», erinnert er sich. Später lernte er immer mehr Jugendliche kennen, die dort verkehrten, und landete bei den «Latinos». «Es war damals für uns enorm wichtig,
dazuzugehören. Einer für alle, alle für einen», sagt Kaya, der seinen Kollegen auch viel zu verdanken hat. «Mein Vater war bereits tot. Meine Mutter erlitt einen Schlaganfall und musste ins Spital. Wir hatten keinen Zugriff auf das Konto und deshalb kein Geld, um Essen zu kaufen.» Die Eltern seiner Freunde fütterten ihn durch. «Die Latinos waren im Grossen
liche Gegenstück zu den Homeboys. «Bevor wir an eine Hip-Hop-Party gingen, hingen wir oft in grossen Gruppen im Steinenbachgässlein rum. Nach den Partys, so um zwei Uhr nachts, gingen wir dann sprayen. Meine Freundin und ich gehörten zu den wenigen weiblichen Sprayerinnen, die es damals gab», sagt die Weltwoche-Kolumnistin
Paul Heuberger und Gabriel «Gee Jay» Jenny. Die beiden Skater besitzen beide eigene Firmen. Foto Pino Covino
und Ganzen gute Leute, die Zusammengehörigkeit war toll. Doch diese fanatische Bruderschaft könnte ich mir heute für mich nicht mehr vorstellen», sagt Kaya. Die damalige Stimmung in der Steinen beschreibt er als aggressiv. Er selber habe zwar gerne provoziert, sei jedoch nicht gewalttätig gewesen: «Wir waren keine Bad Boys, wir waren Möchtegern-Bad-Boys. Wir wussten aber, dass andere mit Waffen unterwegs sind, und waren entsprechend vorsichtig. Irgendwie war das für uns damals normal. Wir kannten das so aus den amerikanischen Filmen.» Ein Erlebnis beschäftigte ihn damals aber sehr: «Einmal liefen wir das Steinenbachgässlein entlang. Dort war auch eine Frau. Plötzlich begann sie in Panik zu schreien. Es dauerte eine Weile, bis wir merkten, dass sie vor uns Angst hatte. Das hat mir schon leidgetan. Wir sind dann einfach schnell weitergegangen.» Kaya schloss eine Automechanikerlehre ab, machte die Berufsmatur und studierte Maschinenbau. Er wanderte nach Barcelona aus und arbeitete bei Seat als Testingenieur in der Forschung und Entwicklung. Heute entwickelt er in Witterswil Rollstühle, achtet auf gesunde Ernährung, ist DiveMaster und tanzt für sein Leben gern Salsa. Ich selber arbeitete nach einem Studium in Kommunikationswissenschaften zunächst bei Telebasel. Dort traf ich eine junge, ambitionierte Frau, die mittlerweile den meisten Baslern ein Begriff ist: Tamara Wernli. Vor 30 Jahren war sie ein Fly-Girl, das weib-
und Youtuberin. Frauen spielten in den Anfängen der Basler Hip-Hop-Szene eine geringe Rolle. Zu jener Zeit gab es eigentlich nur eine Frau, die sich durch ihre Kunst einen Namen gemacht hatte: die Rapperin Lou. «Die Stars waren die toughen Typen. Machos, die wir cool fanden. Ich habe beispielsweise die Tänzer sehr bewundert», sagt Tamara Wernli. Gemeinsam mit ihrer damals besten Freundin installierte sie rutschige Platten in einem Cliquenkeller, um selber das Breaken zu üben. Der Reiz der Szene lag für sie im Versprechen eines Abenteuers und im Kokettieren mit dem Bad-Girl-Image. «Mit Leuten, die harte Drogen nahmen, kam ich aber nicht in Berührung. Das mit den Schlägereien bekam ich zwar mit, unsere Gruppe hatte damit aber nichts zu tun», sagt Tamara. Den Kontakt zur Basler Hip-Hop-Szene verlor sie, nachdem sie als Au-pair nach Lausanne gegangen war. Heute ist sie 46 Jahre alt, verheiratet, hat einen Hund und spielt zur Entspannung gerne Video-Games. Rückblickend sagt sie einen Satz, den auch ich zu 100 Prozent unterschreiben kann: «Wie alles, was ich in meinem Leben getan und erlebt habe, möchte ich auch die Erfahrungen in der HipHop-Szene nicht missen. Es war eine intensive, tolle Zeit.» Dina Sambar. Ist *Name der Redaktion heute Journalistin bekannt. bei der BaZ.
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