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Sophie Taeuber-Arp Kunstmuseum Basel
Kunstmuseum Basel | Neubau
Sophie Taeuber-Arp Gelebte Abstraktion
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20.03.2021 – 20.06.2021
Im Kunstmuseum Basel ist ab März eine Retrospektive von Sophie Taeuber-Arp mit dem Titel Gelebte Abstraktion zu sehen. Mit dieser Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Museum of Modern Art, New York, und der Tate Modern, London, entsteht, wird die Schweizer Künstlerin endlich dem internationalen Publikum vorgestellt.
Taeuber-Arp hat nach einer kunsthandwerklichen Ausbildung Kissen, Ketten, Möbel und ganze Räume mit farbigen, abstrakten Formen gestaltet und diese Gestaltungselemente in den 30er-Jahren dann auch in konstruktivistische Gemälde, Reliefs und Zeichnungen übertragen.
Die mit 250 Exponaten hohe Anzahl von Werken wird auf rund 900 Quadratmetern im zweiten Obergeschoss des Neubaus die Vielfalt von Taeuber-Arps Schaffen vermitteln. Dass Taeuber-Arp die beiden sonst gerne fein säuberlich getrennten Welten von angewandter und freier Kunst in ihrem Schaffen überbrückt, sorgt dabei für überraschende und im Kunstmuseum Basel nicht unbedingt oft gesehene Gäste wie Perlbeutel, Holzgefässe und Glasfenster. Die Münchner Szenografin Juliette Israel hat eine durchdachte Ausstellungsarchitektur entwickelt, um die Bandbreite an künstlerischen Materialien und die oft nicht sehr grossen Werke optimal zur Geltung zu bringen. Sie lässt schwarze und weisse Flächen ineinandergreifen und bezieht sogar den Fussboden des Museums mit ein: So entsteht der perfekte Rahmen für die starkfarbige, avantgardistische Formensprache Taeuber-Arps.
Zwei Filmproduktionen ergänzen die Präsentation der Werke in wichtigen Aspekten. Zum einen werden die Marionetten, die Taeuber-Arp um 1918 für die Aufführung eines adaptierten Commedia-dell’arte-Stücks entworfen hat, in Aktion erlebbar. Zum anderen wird das abstrakte Schaffen der Künstlerin mit einer Vielzahl historischer Fotos, die aus jeder Lebensphase Taeuber-Arps erhalten sind, zu einem biografischen Überblick verschränkt. Beide Filme helfen so, Taeuber-Arps besondere, lebensnahe und bewegte Auffassung der Abstraktion im Ausstellungsraum zu veranschaulichen.
Dass Exponate im Museumskontext nicht mehr benutzt werden können, scheint bei einer Halskette oder einem Kissen verkraftbar. Bei den Marionetten aber vermisst man die Bewegung, für die sie geschaffen wurden, selbst wenn ihre Posen noch so gut gewählt sind. Ein vom Basler Marionetten Theater vermittelter exzellenter Puppenführer hauchte den historischen Figuren (bzw. deren Ausstellungskopien) Leben ein. Die beiden erfahrenen Filmemacherinnen Anita Hugi und Marina Rumjanzewa, die sich beide seit Jahren für Taeuber-Arps Schaffen interessieren, stellen mit seiner Hilfe sechs der Marionetten mit ihrem besonderen Bewegungsrepertoire vor. Stellenweise verdichtet sich das Geschehen zu narrativen Zusammenhängen, die an die historische Vorlage erinnern.
Taeuber-Arps Schaffen besitzt in allen Formen und Phasen Leichtigkeit und innere Bewegung. Die Werke der 30er-Jahre mit ihren Farbkonstellationen aus Quadraten, Kreisen und stürzenden Diagonalen werden viele heutige Betrachter intuitiv jedoch erst einmal dem Elfenbeinturm der Abstraktion zuordnen. Der eine oder die andere mag sich fragen, warum farbige Kreise auf einer weissen Leinwand Kunst sein sollen. Umso wich-
Szenografie der Ausstellung
Sophie Taeuber-Arps Projekt, die Kunst in das Leben zu integrieren, war der Ausgangspunkt für eine Szenografie, die Juliette Israel das Nebeneinander von freier und angewandter Kunst in ihrem vielseitigen Werk in Relation zum Betrachter bringt. Die Grundidee der Szenografie für die Retrospektive ihres Werks in Basel ist es, ausgehend von einem spielerischen Umgang mit den geometrischen Eigenheiten des Museumsgrundrisses einen Tanzboden auf definierten Flächen des Museumsbodens zu verlegen. Dieser strukturiert die Ausstellungsfläche so, dass neue Raumkonfigurationen entstehen, die einerseits das vermeintlich duale Verhältnis zwischen angewandten und freien Produktionen in Taeuber-Arps Kunstschaffen vermitteln und andererseits den aktiven und experimentierfreudigen Ansatz in ihrem Werk erfahrbar machen sollen.
Die Architektur der Ausstellung nimmt auch Bezug auf Taeuber-Arps Sinn für Mobilität und Rhythmus, der ihren abstrakten Werken so zu eigen ist, auf ihr Denken in Variationen und ihre Wendigkeit im Spiel mit Massstäben, mit der sie ihre Kunst vom kleinsten Objekt bis ins Monumentale zu übertragen vermag. Das zeigte sich bei ihren innenarchitektonischen Gestaltungen Ende der 20er-Jahre in Strasbourg, insbesondere beim polyvalenten Vergnügungszentrum «L'Aubette», wo sie die rhythmische Qualität ihrer Malerei auf den Raum übertrug und diesen so zur begehbaren Skulptur werden liess.
Juliette Israel, Szenografin
Bewegte Marionetten
Sophie Taeuber Arp blieb Jahrzehnte eine bekannte Unbekannte, dabei hat ihr Schaffen das 20. Jahrhundert massgeblich geprägt. In der bildenden Kunst, zudem im Tanz, in Design und Anita Hugi und
Architektur – sie setzte Marina Rumjanzewa
Impulse und Massstäbe. Wie bei Meret Oppenheim gab es zu ihrem
Schaffen über Jahrzehnte auch keinen Dokumentarfilm, der ihr künstlerisches Schaffen zeigte. Eine besondere Entdeckung werden ihre Marionetten bieten: sie zählen zu den wichtigsten Kunstwerken der Avantgarde und haben aussergewöhnliche Ausdruckskraft. Für ihre Zeit revolutionär, blieben sie lange nur in
Künstlerkreisen bekannt. Beinahe 100 Jahre verbrachten die 1918 entwickelten Figuren fast ausschliesslich in Schachteln, Regalen, im besten Fall in Vitrinen von Museen. Es ist uns deshalb ein grosses Vergnügen, die Marionetten nun erstmals «in Aktion» vorzustellen: mit einem exklusivem Video von Marina Rumjanzewa in der Ausstellung selbst – und einer Projektion der Marionetten im öffentlichen Raum – ein lange gehegter Wunsch, den ich nun gemeinsam mit Andromeda Film und dem Kunstmuseum Basel, dem Basler Marionetten Theater und weiteren Partnerinnen umsetzen konnte. Dada vaincra! (oder: Dada bleibt!) Anita Hugi, Marina Rumjanzewa
Sophie Taeuber-Arp, Hirsch (Marionette für König Hirsch), 1918
tiger ist es, die Kunst in der Ausstellung immer wieder ans Leben zurückzubinden, ihr Kontext zu geben und die unerhörte Neuheit der Abstraktion spürbar werden zu lassen, die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs bereits mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgeladen war. Die Videomontage, die Herbert Schwarze und Maria Hermann mit überlieferten historischen Fotos und Briefzitaten der zu früh aus dem Leben gerissenen Künstlerin geschaffen haben, gibt einen Eindruck von Beziehungen und Lebensumständen. Sie erinnert daran, dass sich das Schaffen Taeuber-Arps trotz einer labilen Gesundheit und vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe politischer und sozialer Umwälzungen entfaltete – dem Ersten Weltkrieg, der Pandemie der Spanischen Grippe, der Weltwirtschaftskrise und der Flucht vor der Besetzung von Paris durch Nazi-Truppen. Dass sie dennoch immer weitergearbeitet hat, erscheint in der gegenwärtigen Situation noch relevanter. Das direkte Nebeneinander von Kunsthandwerk und freier Kunst und die Tatsache, dass man beides manchmal eben nicht genau voneinander trennen kann, ist, neben der Narration von Taeuber-Arp als einer Pionierin der Abstraktion, einer der inhaltlich reizvollsten Aspekte der Retrospektive. Der Überblick über ihr Schaffen, den die Retrospektive im Kunstmuseum Basel gibt, berührt dabei allgemeinere Entwicklungen – etwa die hohe Anerkennung, die das Kunsthandwerk um die Jahrhundertwende als Gegenentwurf zur industriellen Revolution genoss, oder die grossen Reformimpulse für eine Modernisierung des Lebens,
Ein Porträt von Sophie Taeuber-Arp aus historischen Aufnahmen
Wen oder was würden wir in Fotografien von Sophie Taeuber-Arp erkennen, wenn wir nichts über sie wüssten? Schon früh Maria Hermann und fällt ihr herzliches Herbert Schwarze Lachen auf, ihr direkter, offener Blick in die Kamera. Ohne einen Querschnitt durch ihr Werk erscheint sie dort eher als Architektin oder Bildhauerin, nicht aber als Malerin. Die farbenfrohen Werke Taeuber-Arps eröffnen im Wechselspiel mit der historischen Patina der SW-Fotografien einen Schauraum, in dem jedes einzelne Bild eine gewisse Zeit braucht, um seine Wirkung entfalten zu können. Wir haben uns deshalb bei unserem Film entschieden, die formalen Mittel einfach zu halten, um die Aufmerksamkeit nicht mit grafischen Spielereien von den Bildern abzuziehen.
In kurzen Zitaten aus ihren Briefen und Tagebüchern lassen wir die Künstlerin selbst zu Wort kommen. Die Schweizer Musikerin Sophie Hunger, die sich dem Werk Taeuber-Arps verbunden fühlt, liest diese Texte. Sie gibt mit ihrer Stimme dem Überblick über das Leben von Taeuber-Arp eine rhythmisch-melodische Grundierung. Auf diese Weise entfaltet sich aus den überlieferten Materialien in Text und Bild das kurze Porträt einer der wichtigsten Künstlerinnen der klassischen Moderne.
Maria Hermann, Herbert Schwarze
Teller als Hommage an Taeuber-Arp
Mit meinen Arbeiten erforsche ich die Werke von Künstlerinnen losgelöst von ihren Biogra- Céline Manz fien und ‹reaktiviere› ihren
Nachlass in einem zeitgenössischen Kontext. Sophie Taeuber-Arps künstlerisches Erbe ist ausgesprochen vielseitig und inspirierend, weshalb ich ihr bereits zwölf Arbeiten gewidmet habe. Ihr Werk ist Ausdruck eines wunderbaren Gefühls für Farbpaletten,
Formen und Rhythmen. Die freudige Neugier, mit der sie sich ihren künstlerischen
Recherchen widmete, ist in all ihren Arbeiten spürbar. Ihre Kompositionen zeichnen sich durch eine verspielte Exaktheit aus, bei der jedes Element scheinbar mühelos genau am richtigen Ort platziert ist. Die Teller-Edition, die nun für das Kunstmuseum Basel entstanden ist, stellt eine Hommage an ihr interdisziplinäres, auch alltägliche Gegenstände beinhaltendes Schaffen dar. Die Motive sind von einem Werkzyklus inspiriert, den Taeuber-Arp im Vorfeld der KonstruktivistenAusstellung 1937 in Basel realisiert hat. Der Erfolg dieser Arbeiten sowohl beim Publikum als auch bei der Kunstkritik hat Taeuber-Arp sehr gefreut. Mit dieser Edition möchte ich den ‹Basler› Kreis schliessen und zeigen, wie zeitlos das Werk dieser bemerkenswerten Künstlerin ist. Céline Manz, Künstlerin
Sophie Taeuber-Arp, Kissen, um 1922
die von Designern und Designerinnen in ganz Europa ausgingen. Mit Taeuber-Arps Werken wurde gelebt, sie wurden gebraucht, in mehrfacher Hinsicht. Viele ihrer frühen Arbeiten sind nicht mehr auffindbar und womöglich verloren, weil sie als Gegenstände des Alltags benutzt und abgenutzt wurden. Die Kooperation mit der in Basel und London ansässigen Künstlerin Céline Manz erkundet diese Grauzone zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand, und das an einem ebenso perfekten wie provokativen Ort: dem Museumsshop. Céline Manz setzt sich seit Jahren mit Taeuber-Arps Leben und Arbeiten auseinander und adaptiert deren abstrakte Motive für neue Zusammenhänge. Dass sie nun Teller entworfen hat und Geschirrtücher (Unikate!) im Shop zum Verkauf anbietet, bringt Taeuber-Arps Ideenwelt zurück in den Kreislauf von Kunst im alltäglichen Gebrauch, in dem sie ursprünglich standen. Wer möchte, kann darin auch einen ironischen Kommentar darauf sehen, dass das Todesregister der Stadt Zürich als Beruf Taeuber-Arps «Hausfrau» angab. ◀
Die Autorin, Dr. Eva Reifert, ist Kuratorin der Ausstellung «Sophie Taeuber-Arp. Gelebte Abstraktion» am Kunstmuseum Basel.