Politische Bildung

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w w w.p r ax i s- g e me i n d e p ae d ag og i k .d e

Januar – März

2014

67. Jahrgang

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PRAXIS GEMEINDEPÄDAGOGIK

© sunnychicka - Fotolia.com

ISBN 978-3-374-03774-2

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Viel ist heute von einer Krise des Gebetes die Rede. In dem Maße, wie die kulturellen Kontexte und spirituellen Prägungen unserer Gemeinden vielgestaltiger und die Erwartungshorizonte an das ö˜ entliche Gebet di˜ user werden, verliert sich die Routine. Die »Kunst«, ö˜ entlich zu beten, fordert eine verstärkte Kreativität und Reflexion. Dem˛will dieses Buch dienen und allen, die vor der Aufgabe stehen, laut und mit anderen zu beten, unterstützende Anregungen geben. Das Buch versammelt Beiträge aus der Feder von Theologen und Schriftstellern, von Machern und von Betro˜ enen, von Lehrenden und von Suchenden, die sich unterschiedlichen Aspekten des ö˜ entlichen Gebetes zuwenden. Es handelt sich um einen praxisnahen Versuch, Reflexion und Handlungsvorschläge zu verbinden – zu einer Sprachschule des Gebets.


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Anzeigenschluss für die nächstefür Ausgabe Anzeigenannahmeschluss die istAusgabe der 13. September nächste ist am 11. 2013. März 2014

www.magdalenen-verlag.de Mehr fürs PGP-Abo gibts unter w w w.praxis-gemeindepaedagogik.de

W W W. S ONNTAG-S ACHSEN.DE


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InH ALTSVeRZeIc Hn IS

Zugänge Matthias Spenn Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Cornelia Coenen-Marx »Trust, Unity, Freedom, Love« Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hat die evangelische k irche einen Auftrag zur politischen Bildung? Ein Gespräch mit Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm

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Michael Görtler Was ist politische Bildung? . . . . . . . . . . . .

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Praxisfelder Klaus-Dieter Kaiser Bildungshandeln und gelingende Partizipationserfahrungen Die Kirche als zivilgesellschaftliche Akteurin . . . . . . . .

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Ann-Katrin Becker Global denken, lokal handeln Nachhaltigkeit in der gesellschaftspolitischen Jugendbildung . .

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Friedrun Erben Herausforderung: Chancengerechtigkeit Wie gelingt es in evangelischen Bildungsprozessen, Jugendliche aus sozial marginalisierten Milieus zu erreichen? . . . . . .

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Simone Pleyer eigene Vorstellungen hinterfragen durch interkulturelle Öffnung Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund im Projekt TA NDEM Eva-Maria Reinwald k inder mischen mit Von Kinderrechte-Entdeckertouren zur Kinderbeteiligung Daniel Brandhoff und Christof Starke Hand in Hand. k ita ohne r assismus Weiterbildungen und eine Kampagne für demokratische Wertebildung in der Kindertagesstätte

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Petra Steinberg-Peter interkulturelle kinderakademien in der evangelischen Akademie Loccum . . . . . . .

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Maja Nizguretski s chubladen aufreißen und Begegnung ermöglichen (Inter-)Religiöse Bildung als politische Bildung – und umgekehrt: »LIKRAT – Jugend & Dialog« – ein jüdisches Jugendbildungsprojekt . . . . . . . . . . Jürgen Junker Demokratie-Lernen in der s chule

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Marina Wagener entwicklungspolitische Bildung durch kinderpatenschaften? . . . . . . . . . . .

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Petra Heilig Weltgebetstag Globale Ökumene und lokale politische Bildungsarbeit in den Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rebecca Marquardt Auch die Jüngsten haben was zu sagen »Mitwirkung mit Wirkung« – Ein demokratisches Mitwirkungskonzept für Kinder und Jugendliche

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Ingo Schenk »Politische Partizipation« als Gelegenheit zur politischen Bildung . . . . . . . . . . . . .

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Gila Zirfas-Krauel Politische Bildung in der erwachsenenbildung Schnittstelle Kirche–Wirtschaft–Arbeitswelt. Modularisierte Form der Bildung . . . . . . . . . . . .

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Hintergründe

Materialien Petra Müller Buchtipps für die gemeindepädagogische Praxis

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Ellen Böttcher und Claudia Dreißig »Alles hat seine Zeit« – Fastenzeit gestalten mit kindern in der kindertageseinrichtung Ein Praxisbeispiel aus Erfurt . . . . . . . . . . . . .

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Claudia Kolletzki Auf Tuchfühlung Das Misereor-Hungertuch als Medium politischer Bildung

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Michael Seidel (k )ein kreuzweg für Jugendliche! Ein Weg, der Jugendliche bewegt . . . . . . . . . . . .

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Sandra Bohlken mACH!bar Ein offener Hobbyraum mit Hang zum Weltverbessern . . . . .

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Praxisentwürfe

Gemeindepädagogisches Forum infos und Personen . . . . . . . . . . . . . . .

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Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Buchrezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Diese Pg P-Ausgabe enthält eine Beilage des Hansischen Druck- und Verlagshauses, Frankfur t/M. Wir bitten um freundliche Beachtung.


Quelle: ekd.de // Ein Motiv zum Themenjahr ÂťReformation und PolitikÂŤ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

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Zu gän g e

VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser, Reformation und Politik – das EKD-Jahresthema 2014 zur Reformationsdekade – war uns Anlass für das ˜ ema »Politische Bildung«. Vielleicht vermuten manche in der gemeindepädagogischen Praxis gar nichts Politisches. Aber bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass es ohne Politik gar nicht geht, denn in der kirchlichen Alltagspraxis sind permanent individuelle und gesellschaftliche, persönliche und soziale, kirchliche, theologische und politische Dimensionen miteinander verwoben. Vor allem ergibt sich das aus der reformatorischen Kernthese Martin Luthers von der Gnade allein aus Glauben (Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom, Kapitel 1, Vers 17). Die Gewissheit, bei Gott Gnade zu ÿ nden, ohne dass eine weltliche oder geistliche Institution, ein Amt oder sonst etwas sich zwischen Gott und mich stellen kann, macht den Menschen zu einem politischen Wesen, denn er muss selbst verstehen und Auskunft über seine Maßstäbe und Orientierungen, über sein Handeln und sein Denken und Fühlen geben (können). Und er ist zum Engagement aus der Kraft des Glaubens für mehr Gerechtigkeit und bessere Lebensverhältnisse aller Menschen und in der gesamten Gesellschaft berufen. Politik und Bildung ergänzen und bedingen sich dabei. Politische˛Bildung ist eine wesentliche Handlungsperspektive der Gemeindepädagogik. Allerdings wird das Politische in vielen Konzeptionen kaum sichtbar bzw. ist auch oft den Akteuren gar nicht klar. Wir stellen in dieser Ausgabe unterschiedliche Projekte und Arbeitsansätze der politischen Bildung im Kontext evangelischer Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Familien und Erwachsenen vor und bieten Hintergründe und Impulse zur eigenen Praxisentwicklung. Vielleicht werden wir dadurch angesteckt, noch viel mutiger, aufmüpÿ ger, bestechender, fröhlicher und lockerer in der Freiheit eines Christenmenschen den Glauben zu leben und vor allem in der Gesellschaft erlebbar zu machen. Auch um den Preis des Widerspruchs, des Missverstehens oder des Widerstands.

Matthias Spenn, PGP­Schriftleiter

Mit dieser Ausgabe begrüßen wir neue Gesichter in unserer Redaktion. Nach dem Einstieg von Dr. Lars Charbonnier, ˜ eologe an der Humboldt-Universität zu Berlin, vor einigen Wochen begrüßen wir nun Inga Teuber, Diakonin und Klinikseelsorgerin aus Hannover, sowie Christin Ursel, Dipl.-Religionspädagogin (FH), M. A., Fortbildungsreferentin beim Diakonischen Werk Bayern, Nürnberg. Wir freuen uns über neue Impulse und weitere interessante Netzwerke, die wir uns dadurch erschließen und die der Zeitschrift zugutekommen. Den geneigten Lesern wünschen wir eine spannende Lektüre und viel gelingende Praxis!

IN EIGENER SAC H E Liebe Leserinnen und Leser, zum 01.01.2014 wurde aus der bisherigen Einzugsermächtigung für Ihre Abo­Beiträge das neue SePA-Lastschriftmandat. Die Abbuchungen erfolgen – wie bisher – jeweils im ersten Monat des Berechnungszeitraums in der letzten Woche. Für die bisherigen Zahler mit Bankeinzug ändert sich nichts, die Kontodaten werden automatisch umgestellt. Ihr Abo­Service der PRAXIS GEMEINEPÄDAGOGIK


© Vadim Zakharov

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Cornelia Coenen­Marx

»Trust, Unity, Freedom, Love« steht auf der Münze. Es ist eine kleine Münze, aber sie bietet die ganz großen Versprechen. Vertrauen, Einigkeit, Freiheit und Liebe. »Die ist nicht echt«, sagt der Speisewagenkellner, als ich meinen Kaffee damit bezahlen will. Nein, das ist sie wirklich nicht. Ich bin froh, dass er das gemerkt hat, denn ich trage sie als Erinnerungsstück in meiner Geldbörse. Da, wo sonst das Land und die Währungseinheit eingeprägt sind, liest man: »Der Künstler garantiert den Wert mit seiner Ehre. Eine Danaë 2013.« Die kleine Münze stammt von der Biennale 2013 in Venedig. Ich habe sie im russischen Pavillon aufgesammelt, wo der Künstler Vadim Zakharov ein Projekt zu der antiken Königstochter Danaë installiert hat, die einst von Zeus in Form eines Goldregens befruchtet worden sein soll. Vadim Zakharov hat

ein raumgroßes Kunstwerk zu Konsum und Produktion geschaffen; alles sagt er, sei käuflich: Vertrauen, Freiheit und Liebe, und die Sehnsucht danach hält die Wirtschaft in Schwung. Wo könnte man das zurzeit besser beobachten als im politisch gelenkten Neoliberalismus Russlands? Geld ist der Ort der Begegnung zwischen unseren Träumen und wirtschaftlicher Macht. Wir brauchen es, um unsere Bedürfnisse zu stillen, und werden damit zugleich an ein politisches System gebunden. Währungen sind immer auch Ausdruck von Politik, von Macht und Herrschaft. »Soll man dem Kaiser Steuern zahlen?« (Lk 20,22), wird Jesus von seinen Gegnern gefragt. Soll man die Fremdherrschaft damit anerkennen? Die Antwort unterscheidet zwischen Geld und Gott, zwischen Politik und dem Allerheiligsten: »Gebt dem

Kaiser, was des Kaisers ist«, sagt Jesus mit Verweis auf dessen Bild, das auf die Münze geprägt ist, »und Gott, was Gottes ist«. Seit die christlichen Herrscher nach Konstantin ihre eigenen Bilder auf die Münzen geprägt haben, seit der Peterspfennig in Rom gesammelt und dafür die ewige Seligkeit versprochen wurde, ist es schwer für die Kirche, so sauber zu unterscheiden. Nicht zuletzt die Geschichte um den Bischof von Limburg zeigt: Wir leben in den reichsten Kirchen der Welt. Vor Missbrauch, Versuchungen und Gier sind wir offenbar nicht gefeit; zugleich aber haben diese Kirchen eine unglaubliche Chance, Diakonie und Caritas zu gestalten, Kultur und Bildung, ja, die Sozialkultur unseres Landes zu prägen. Der Rat zu Armut und Verzicht ist des-


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MeDITATIon

halb durchaus umstritten. Das deutsche Kirchensteuersystem und die politische Subsidiarität, die eine Nachrangigkeit staatlicher Initiativen und eine fi nanzielle Förderung gemeinnütziger und privater Wohlfahrtsinitiativen vorsieht, haben sich durchaus bewährt und ermöglichen Vielfalt. Wir wären aber blind, wollten wir die Augen davor verschließen, dass die Abhängigkeit von staatlichen Mitteln zu vorschneller Anpassung führen kann. Anpassung an Pflegestandards, die menschliche Nähe vermissen lassen. An Fallpauschalen, die Medizin vor allem ökonomisch steuern zum Beispiel. Was das in einer Diktatur bedeuten konnte, das hat man auch als Kirche und Diakonie im Dritten Reich erfahren: Unter dem Druck, die Pflegesätze zu erhalten und weiterarbeiten zu können, haben sich auch kirchliche Einrichtungen an

Zwangssterilisationen und am Euthanasieprogramm des Nationalsozialismus beteiligt. »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist« – für mich heißt das. Die Menschenwürde muss gegenüber allen ökonomischen Zwängen Priorität haben. Darum muss die Kirche auch für ein gerechtes Steuersystem eintreten, darum muss sie um die besten Instrumente streiten – ob es um Armutssicherung, Kindergeld oder Familiensplitting geht oder auch um zukunftssichernde Renten. Und das andere gilt auch: Unsere Sehnsüchte und Träume, unsere Überzeugungen sind nicht käufl ich. Zu unterscheiden, was uns wirklich glücklich macht, ist wichtiger denn je. Der russische Künstler hat Recht: Der Goldregen des Zeus ist es nicht. Darum trage ich die BiennaleMünze noch immer in der Tasche.

Oberkirchenrätin Cornelia CoenenMarx ist Referentin für Sozial- und Gesellschaftspolitische Fragen im Kirchenamt der EKD, Hannover.


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Hat die evangelische Kirche einen Auftrag zur politischen Bildung? Ein Gespräch mit Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm

Worin liegt für Sie der Auftrag für die evangelische Kirche zur politischen Bildung begründet? Das Doppelgebot der Liebe verbindet die Gottesliebe und die Nächstenliebe untrennbar miteinander. Wenn uns die Not des Nächsten nicht egal ist, sondern wir Wege zur Überwindung dieser Not suchen, kommen wir an der Politik nicht vorbei. Deswegen gehört politische Bildung zum Auftrag der Kirche. Dabei geht es weniger um die Funktionsweisen der Politik – dafür, das zu erklären, gibt es die Bundeszentrale für politische Bildung und andere Bildungseinrichtungen. Erst recht geht es nicht um Parteipolitik. Uns als Kirche geht es vor allem um die ethischen Dimensionen politischen Handelns. Was muss geschehen, damit wir dem biblischen Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, gerecht werden? Welche Konsequenzen hat die biblische Option für die Schwachen für die politische Diskussion? Wie gehen wir mit dem Leben eines Embryos um? Manchmal müssen die ethischen Dimensionen politischer Diskussionen auch erst entdeckt werden. Wenn man sich in einer ganz normalen Tageszeitung umschaut, staunt man, in welchem Umfang solche ethischen Grundfragen hinter den aktuellen öffentlichen Diskussionen zu finden sind. Darauf hinzuweisen, ist Aufgabe politischer Bildung der Kirche. Welche Orte, Formate und Themen haben sich dabei aus Ihrer Sicht als sinnvoll erwiesen? Natürlich spielen sozialethische Fragen in allen Zusammenhängen kirchlicher Arbeit eine Rolle, die wir normalerweise als ›geistlich‹ kennzeichnen würden. Man kann nicht predigen und das alles grundsätzlich aus der Predigt heraushalten wollen. Gleichzeitig muss man aber auch der Versuchung widerstehen, in der Predigt zu po-

litisieren. Aber dass selbst Fragen der Gottesdienstgestaltung nicht losgelöst gesehen werden können von politischen und wirtschaftlichen Dimensionen, wusste schon der Prophet Amos sehr genau, wenn er sagte: »Tut hinweg das Geplärr eurer Lieder, Euer Harfenspiel will ich nicht hören. Aber das Recht ströme wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Strom« (Am 5,23). Über die alltäglichen Gemeindevollzüge hinaus gibt es aber noch eine Menge anderer Formate. Die Evangelischen Akademien mit ihren Tagungsangeboten zur Sozialethik und politischen Bildung bleiben eine wichtige Säule. Die Denkschriftenarbeit der EKD mit ihren öffentlichen Stellungnahmen wird noch viel zu wenig wahrgenommen. Ich wünsche mir, dass die hochkarätigen Texte, die da entstehen, viel mehr in den Gemeinden wahrgenommen werden. Die Evangelische Jugend hat Straßenaktionen zu ihrem Gerechtigkeitsthema veranstaltet. Mir sind in besonderer Erinnerung die Interviews auf dem Roten Sofa mit vielen Prominenten. Eine Form der Beteiligung am politischen Dialog sind – wie Sie ja sagen – die Denkschriften. Gewähren Sie als Mitglied der Kammer für Soziale Ordnung uns einen Blick hinter die Kulissen: Wie entsteht so eine Denkschrift? Es beginnt mit einem Auftrag des Rates der EKD, ein bestimmtes Thema zu bearbeiten. In der jeweiligen Kammer der EKD, in der Menschen aus ganz unterschiedlichen beruflichen Disziplinen und gesellschaftlichen Gruppen vertreten sind, wird zunächst der Auftrag besprochen und das Thema in seinen Dimensionen inhaltlich reflektiert. Dann wird eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Aufgabe hat, einen konkreten Text zu erarbeiten.


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Zu gän g e

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm ist Landesbischof der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern.

Das dauert häufig mehrere Jahre, weil die Dinge immer wieder diskutiert werden. Sobald Texte geschrieben sind, beschäftigt sich die gesamte Kammer damit. In einem längeren Prozess mit den wiederholt überarbeiteten Entwürfen wird dann eine fertige erste Fassung erstellt, die dem Rat der EKD übermittelt wird. Wenn es ganz optimal läuft, findet der Rat den Entwurf so gut, dass er nur noch kleine Überarbeitungen wünscht. In der Regel geht der Text nochmals zurück in die Kammer und in einer neuen Fassung erneut an den Rat. Je nachdem, welchen Stellenwert der Rat dem Text zumisst, veröffentlicht er diesen als »Studie der Kammer«, als »Orientierungs- oder Argumentationshilfe des Rates« oder – das ist die höchste Weihestufe – als »Denkschrift«. Es kann auch passieren, dass der Rat sich einen Text gar nicht zu eigen machen will und er am Ende im Papierkorb landet. Welche Wirkung und welche Relevanz haben Meinungsäußerungen der evangelischen Kirche wie zum Beispiel Denkschriften? Die Wirksamkeit von Denkschriften kann höchst unterschiedlich sein. Es kann sein, dass ein Text kaum beachtet wird. Es kann aber auch sein, dass er sehr viel Aufmerksamkeit bekommt. Die drei meistbeachteten Texte der letzten Jahre – abgesehen von der Orientierungshilfe zur Familie, die vor allem in der kirchlichen Öffentlichkeit und den Medien ausführlich diskutiert wurde – waren die Armutsdenkschrift der EKD »Gerechte Teilhabe« von 2006, die Unternehmerdenkschrift »Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive« von 2008 und das Wort des Rats der EKD zur Wirtschafts- und Finanzmarktkrise »Wie ein Riss in einer hohen Mauer …«.

Da ich alle drei Texte mit verfasst habe und jeweils nach der Veröffentlichung überall in Deutschland zu Vorträgen darüber eingeladen worden bin, kann ich ziemlich genau Auskunft über die Wirkungen geben. Die zuletzt genannte Schrift wurde beim Johannisempfang der EKD 2009 vom damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Wolfgang Huber, der Öffentlichkeit vorgestellt. In der ersten Reihe saßen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Horst Köhler mit seiner Frau, verschiedene Minister, die Vorsitzenden bzw. Geschäftsführer der Parteien und viele andere. Sie alle wollten wissen, was die EKD zu dem Thema zu sagen hatte. Das fi nde ich bemerkenswert. Auch die Unternehmerdenkschrift hatte ein großes Echo, wenngleich aus ganz anderen Gründen. Eine Initiative war der Meinung, die EKD biedere sich viel zu sehr den Unternehmern an; sie veröffentlichte sogar ein Gegenbuch und lancierte eine Unterschriftensammlung mit der Forderung, die Denkschrift zurückzuziehen – genau wie wir das jetzt gerade bei dem Familientext der EKD erleben. Dadurch gab es viele Diskussionen, die natürlich den Inhalten eine große Aufmerksamkeit bescherten. Insgesamt kann man sagen, dass unser Hauptanliegen, die Unternehmerschaft in eine ethische Diskussion hineinzuziehen, in hohem Maße erreicht wurde. Wir haben heute eine ganz andere Gesprächsatmosphäre, die Grundlage ist für sehr konstruktive Diskussionen. Die Armutsdenkschrift von 2006 hat eine besonders intensive mediale Beachtung gefunden: In den großen Nachrichtensendungen in Radio und Fernsehen wurde breit berichtet, teilweise mit Filmbeiträgen und Stellungnahmen wichtiger Parteipolitiker, in allen Tageszeitungen erschienen Beiträge und Kommentare. Von ganz unterschiedlicher Seite ist die Denkschrift positiv


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»Wir müssen deutlich machen, dass ein Leben in der Perspektive des christlichen Glaubens, das mit der Natur und den berechtigten Interessen der anderen verträglich ist, das bessere, das erfülltere Leben ist.« aufgenommen worden. Zuweilen war dabei allerdings zu merken, dass man sich nur das heraussuchte, was in die eigene Agenda passte und insofern der Denkschrift nicht gerecht wurde. Viele Artikel setzten die Schwerpunkte aber auch ganz unabhängig von der politischen Linie ihres jeweiligen Blattes. Man kann also im Hinblick auf die Armutsdenkschrift bestimmt sagen: Das Reden der evangelischen Kirche zur wirtschaftlichen Gerechtigkeit ist gehört worden. Zwar wurde die Rezeption auf beiden Seiten dadurch behindert, dass einzelne Gedanken herausgegriffen wurden, die der jeweils eigenen Position entgegenkamen. Insbesondere in den Meldungen der großen Tageszeitungen wurde das Grundanliegen der »Gerechten Teilhabe« aber im Großen und Ganzen der Intention der Denkschrift entsprechend transportiert. Dass die Denkschrift auf so viel Zustimmung stieß, ist bestimmt kein Nachteil. Wir sollten die Angst davor, dass öffentliche Stellungnahmen der Kirchen ›totgelobt‹ werden könnten, endlich überwinden. Dass sowohl der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Bodo Ramelow, als auch Holger Schäfer vom Institut der Deutschen Wirtschaft die Denkschrift positiv aufnahm (Zeitzeichen 8/2006), ist durchaus Anlass zur Freude. Es kommt allerdings darauf an, solche Denkschriften in aktuelle Debatten einzubringen. Das tun die Kirchen auch. Zur Wirksamkeit kirchlichen Redens zu Fragen wirtschaftlicher Gerechtigkeit gehört, in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen an ausgewählten Stellen die Positionen der grundsätzlichen Stellungnahmen durch öffentliche Einsprüche zu konkretisieren. Wie kann die evangelische Kirche auf die in empirischen Befragungen sichtbare Kluft zwischen durchaus vorhandener öffentlicher Wahrnehmung kirchlicher Meinungsäußerungen und sinkender Relevanz kirchlicher Positionen für die persönliche Lebensgestaltung reagieren?

Meine knappe Antwort darauf heißt: Authentizität. Wir müssen ausstrahlen, wovon wir sprechen. Wir müssen deutlich machen, dass ein Leben in der Perspektive des christlichen Glaubens, das mit der Natur und den berechtigten Interessen der anderen verträglich ist, das bessere, das erfülltere Leben ist. Dass das so ist, davon bin ich tief überzeugt. Ein Blick in die Zukunft: Was sind die nächsten Themen? Wir sind gerade in der Ziellinie für ein neues ökumenisches Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Wenn die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD ihre endgültige Zustimmung geben, wird dieser Text, den wir »Sozialinitiative« nennen und an dem wir in den letzten Jahren gearbeitet haben, in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Damit soll der Impuls für eine breite öffentliche Diskussion gegeben werden. Themen sind der ökologische Umbau der Wirtschaft, eine sozial gerechte Gestaltung des Wirtschafts- und Finanzsystems als Konsequenz der europäischen Banken- und Währungskrise, die Frage der Generationengerechtigkeit, die Bedeutung der Arbeit, die Förderung von Partizipation und Inklusion sowie in diesem Zusammenhang die Ermöglichung gerechter Bildungschancen für alle. Ich hoffe, dass wir damit dazu beitragen können, einen grundlegenden ökologischen Umbau unserer Wirtschaft hinzukriegen, der ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet.

Die Fragen stellte Prof. Dr. Beate Hofmann, Nürnberg, bis 2013 Mitglied der Redaktion dieser Zeitschrift.


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t s i s a W e h c s i polit ? ? g n u d BBil Michael Görtler

Zur Standortbestimmung Die politische Bildung konnte sich nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland in und außerhalb der Schule – also nicht nur als Schulfach, sondern auch als fächerübergreifendes Unter richts- oder Schulprinzip sowie im außerschulischen Bereich – etablieren (vgl. Sander 2004). Die schulische politische Bildung und der Politikunterricht nehmen nach wie vor das größte Gewicht ein, während der außerschulische Bereich als Nebenschauplatz gilt (vgl. Hufer 2007). Die außerschulische politische Bildung ist von Heterogenität geprägt, die aus der Vielzahl von öffentlichen wie privaten Trägern und deren Bildungsangeboten resultiert (vgl. Widmaier 2012). Für Theorie und Praxis der politischen Bildung spielt die Politikdidaktik als Wissenschaft vom politischen Lehren und Lernen eine entscheidende Rolle. Sie ist in der universitären Lehrerbildung beheimatet und entwickelte sich nach 1945 Stück für Stück zur theoretischen und praktischen Disziplin, die sich mit der Theorie der politischen Bildung, ihren Zielen, Inhalten und

Methoden sowie der Planung und Durchführung von Politikunterricht beschäftigt (vgl. Gagel 2005, Detjen 2007). Zunächst im Schatten der Bildungs- und Sozialwissenschaften konnte sie sich mehr und mehr von diesen Bezugsdisziplinen abnabeln und sich ihr eigenes Profil schaffen. Neben der Politikdidaktik wird die politische Bildung auch von der Demokratiepädagogik sowie der Politischen Pädagogik beeinflusst, die eigene Ansätze für politische Lehr- und Lernprozesse anbieten. Einen Referenzpunkt in der Geschichte der politischen Bildung stellt der sogenannte Beutelsbacher Konsens dar, der bis heute richtungsweisend ist. Dabei handelt es sich um eine Übereinkunft zwischen Theoretikern und Praktikern der politischen Bildung angesichts bildungspolitischer Unstimmigkeiten wie auch unterschiedlicher Weltanschauungen, Denkrichtungen und Lehrmeinungen, die in Form eines Teilnehmerprotokolls festgehalten wurde. Der Beutelsbacher Konsens besteht aus drei Grundsätzen: dem sogenannten Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Gebot der Schüler- und Interessenorientierung (im Folgenden Wehling 1977, 179–180):


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1. Über wälti gungs ver bot. Es ist nicht er laubt, den Schü ler – mit wel chen Mit teln auch immer – im Sinne er wünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ›Gewinnung eines selbständigen Urteils‹ zu hin dern. Hier ge nau ver läuft näm lich die Grenze zwi­ schen politi scher Bil dung und In doktri nation. In doktri nation ist aber unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demo kratischen Ge sellschaft und der – rundum akzeptierten – Ziel vorstellung von der Mündigkeit des Schülers. 2. Was in Wissenschaft und Poli tik kontro vers ist, muss auch im Unter richt kontrovers er scheinen. Diese Forderung ist mit der vor­ genann ten aufs Engste ver knüpft, denn wenn unter schied liche Stand punkte unter den Tisch fallen, Optio nen unter schla gen wer­ den, Alter nati ven un erör tert blei ben, ist der Weg zur In doktri­ nation be schrit ten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Kor rektur funk tion haben sollte, d. h. ob er nicht sol che Stand­ punkte und Alter nati ven be sonders heraus arbei ten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehm ern politischer Bil dungs veranstal­ tungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Her kunft her fremd sind. Bei der Konsta tierung dieses zwei ten Grund prin zips wird deutlich, warum der persönliche Stand punkt des Lehrers, sei­ ne wissenschafts theoretische Her kunft und seine politi sche Mei­ nung ver hält nis mäßig uninteres sant werden. Um ein be reits ge­ nanntes Beispiel er neut auf zugreifen: Sein Demo kratiever ständnis stellt kein Pro blem dar, denn auch dem entgegenste hende andere Ansichten kommen ja zum Zuge. 3. Der Schüler muss in die Lage ver setzt werden, eine politische Situ ation und seine eigene Inte ressen lage zu ana lysie ren, sowie nach Mit teln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Intere ssen zu be einflus sen. Eine solche Ziel­ set zung schließt in sehr star kem Maße die Betonung operatio naler Fähig keiten ein, was aber eine logische Konse quenz aus den bei­ den vorgenannten Prinzipien ist.

Der Beutelsbacher Konsens macht erstens darauf aufmerksam, dass die Entwicklung der Mündigkeit und Urteilsfähigkeit der Lernenden nicht vom Lehrenden beeinflusst werden darf. Zweitens wird deutlich, dass Widersprüche in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft im Lehr- und Lernprozess nicht verschleiert, sondern offengelegt werden müssen, um kein falsches Weltbild bei den Lernenden zu erzeugen – und das heißt auch, sie zu provozieren und auf verborgene Konflikte überhaupt erst aufmerksam zu machen. Schließlich geht es drittens darum, dass die Lernenden die eigenen Bedürfnisse und Interesse identifizieren und vertreten, also nicht nur politisch urteilen, sondern auch handeln können. In den Folgejahren wurden immer wieder Überlegungen angestellt, den Beutelsbacher Konsens zu überholen, allerdings konnte sich keiner der Alternativvorschläge durchsetzen, so dass der Wortlaut im Großen und Ganzen nach wie vor unverändert gilt (vgl. Scherb 2007).

Zu den Zielen Der Fachdiskurs nimmt Bezug auf die klassische Bildungstheorie und den neuhumanistischen Bildungsbegriff (Klafki 1985). Seit dem Zeitalter der Aufklä rung gilt die Mündigkeit des Menschen, d. h. das Heraustreten des Einzelnen aus seiner Unmündigkeit in Richtung Freiheit und Selbstbestimmung, als Leitziel von Bildung. Hartmut von Hentig definierte in seinem Essay Bildung als »Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit; Wahrnehmung von Glück; die Fähigkeit und den Willen, sich zu verständigen; ein Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz; Wachheit für letzte Fragen und die Bereitschaft zur Selbstverantwortung und Verantwortung in der res publica« [Herv. i. Orig.] (Hentig 1996, 73). Aus normativer Perspektive umfasst Bildung darüber hinaus die Fähigkeit, Vernunft und Verstand zu gebrauchen, um sich mit der Welt, den Mitmenschen und der eigenen Person kritisch auseinanderzusetzen. Außerdem gilt es auch, Fremd- und Selbstverantwortung zu übernehmen, die Kultur, Werte und Normen der Gesellschaft zu internalisieren sowie für die Demokratie einzutreten. Über diese Begründung hinaus erfüllt die politische Bildung natürlich auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe, nämlich die Stärkung der Meinungsund Willensbildung, die Legitimation der politischen Herrschaft sowie die Stabilisierung des gesellschaftlichen Systems. Zudem spielt die Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf die Einnahme der Bürgerrolle eine zentrale Rolle, weil die Demokratie bekanntlich auf Demokraten angewiesen ist. Politische Bildung befindet sich also im Spannungsfeld von Politik und Bildung (vgl. Mambour 2007) und versucht, beiden Ansprüchen gerecht zu werden. Politische Bildung zielt zugleich auf das Urteilen, das Handeln sowie die Einstellungen und die Bereitschaft zur Demokratie. Das unterstreicht beispielsweise der sogenannte Darmstädter Appell, den eine Gruppe von Fachdidaktikern und Fachwissenschaftlern als Aufruf zur Reform der politischen Bildung verfasste (vgl. Darmstädter Appell 1996). Die Autoren verwiesen auf Wissen über das politische System, insbesondere über seine Akteure, Institutionen und Verfahren, auf die Motivation, sich mit der Kontroversität in Gesellschaft und Politik auseinanderzusetzen, Konflikte gemeinsam zu lösen und allgemein verbindliche Entscheidungen zu akzeptieren. Weiter geht es um Fähigkeiten zum politischen Handeln, insbesondere das Entscheiden und die politische Teilhabe. Und die Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Er wachsenenbildung (GPJE 2004) weist in ihrem Kompetenzmodell das »konzeptuelle Deutungswissen«, die »Urteils- und Handlungsfähigkeit« sowie die »methodischen Fähigkeiten« als zentrale Referenzpunkte aus. Diese Auflistung macht deutlich, dass sich die Ziele der politischen Bildung auf verschiedene


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Zu gän g e

Ebenen des Lernens beziehen: Menschen sollen als mündige Staatsbürger denken, fühlen und handeln können, also politisches Wissen, Wollen und Können an den Tag legen, oder pointiert ausgedrückt: »Sehen – Beurteilen – Handeln« – so das vielfach zitierte Diktum von Wolfgang Hilligen, einem Politikdidaktiker der ersten Stunde.

Zu den Inhalten Im Mittelpunkt der politischen Bildung stehen die Gegenstandsbereiche Politik und Gesellschaft (vgl. GPJE 2004). Darüber hinaus spielen auch Wirtschaft und Recht sowie Zeitgeschichte eine Rolle, weil diese verschiedenen Bereiche eine gemeinsame Schnittmenge aufweisen, zum Beispiel in Gestalt des Verhältnisses zwischen Politik und Markt oder dem Rechtsstaat. Eine besondere Rolle in der politischen Bildung spielt neben dem politischen Lernen das demokratische Lernen, das den Demokratiebegriff – also nicht nur die Politik auf der institutionellen Ebene, sondern auch die Demokratie in Gesellschaft und Lebenswelt – in den Mittelpunkt stellt und durch erfahrungs- und handlungsorientiertes Lernen positive Einstellungen zur Demokratie sowie die Bereitschaft zur politischen Beteiligung schaffen will (vgl. Himmelmann 2001). Darüber hinaus gibt es Anschlussstellen zu Ansätzen aus Nachbardisziplinen, der Schwerpunkt liegt allerdings auf Inhalten, die aus der Politikwissenschaft und Soziologie abgeleitet werden, beispielsweise die Innen- und Außenpolitik, die Europäische Integration, die Internationale Politik sowie die Sozialstruktur. In den einschlägigen Hand- und Lehrbüchern finden sich beispielsweise Ansätze wie das globale, interkulturelle, moralische und ökologische Lernen, die Prävention von Kriminalität, Gewalt und Rechtsextremismus oder die Medienbildung als Schnittmengen (vgl. Sander 2005, Lange/Reinhardt 2007).

Zu den didaktischen Konzeptionen und Prinzipien Zur Festlegung der didaktischen Perspektive, der Begründung der Ziele sowie der Auswahl und Strukturierung der Inhalte von politischen Bildungsprozessen dienen didaktische Konzeptionen und Prinzipien, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Konzeptionen fallen als systematische Abhandlungen umfassender in Bezug auf Theorie und Praxis aus und spielten vor allem in den 1960er bis 1990er Jahren eine große Rolle, während Prinzipien im Vergleich nur kurze und knappe Richtlinien für die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen vorgeben, etwa in Bezug auf Methoden und Medien, Arbeits- und Sozialformen (vgl. Reinhardt/Richter 2011). Beide gewinnen die Grundlagen aus den Bildungs- und

Sozialwissenschaften, zum Beispiel der Bildungs- oder Gesellschaftstheorie sowie dem Politik- und Demokratiebegriff. Prinzipien werden im Alltag ungleich häufiger bei der Planung und Durchführung von politischen Bildungsbemühungen herangezogen, und zwar zum einen aufgrund ihres pragmatischen Charakters, zum anderen infolge der Tatsache, dass die Mehrzahl der Prinzipien aus Konzeptionen abgeleitet wurde. Die didaktischen Prinzipien, die auch Bestandteil der Allgemeinen Didaktik sind, entfalten erst in Verbindung mit politischen Zielen, Inhalten und Methoden ihr Potenzial für die Didaktik der politischen Bildung und versuchen dann als Bindeglied zwischen politischem Mensch und politischer Welt zu fungieren (vgl. Detjen 2007, 319– 320). Dafür werden bestimmte Ausschnitte aus der Realität herangezogen und so aufbereitet, dass die Lernenden aus ihrem Erkenntnis-, Erfahrungs- und Erlebnisstand heraus daran anknüpfen können. Welches Prinzip am geeignetesten ist, um Lerngegenstände auszusuchen, ist umstritten (vgl. Pohl 2004). Beim genaueren Hinsehen zeigt sich allerdings, dass einige Prinzipien zum Standardrepertoire der politischen Bildung gehören: Bewährt hat sich der Zugang über Fälle, Konflikte oder Probleme aus Gesellschaft und Politik, aber auch über die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bzw. Adressaten politischer Bildung sowie die Vergangenheit und Zukunft als Bezugspunkte von Bildungsbemühungen – ausgedrückt in den Prinzipien des exemplarischen Lernens, der Konflikt-, Problem-, Schüler- bzw. Adressaten- sowie Vergangenheits- und Zukunftsorientierung. Letztlich müssen die Lehrenden, aufbauend auf ihren Erfahrungen und Erwartungen, darüber entscheiden, welches didaktische Instrument sie zu Gestaltung von politischen Lehr- und Lernprozessen nutzen.

Zu den Methoden Die Methoden der politischen Bildung (vgl. Reinhardt/ Richter 2011) sind vielfältig und unterscheiden sich in Bezug auf die Ziele und Inhalte, aber nicht zuletzt auch die organisatorischen Anforderungen. Die Mehrzahl der Methoden bezieht sich auf die kognitive Dimension. Dabei werden die Lernenden zur Analyse und Beurteilung eines Sachverhalts angeleitet, wobei Kategorien und Schlüsselfragen für eine Entscheidung zu Rate gezogen werden. In einzelnen Unterrichtsstunden bzw. Lehreinheiten werden beispielsweise Fall-, Konflikt- und Problemanalysen zu aktuellen politischen Sachverhalten durchgeführt. Dabei stehen u. a. Ursachen und Folgen sowie Lösungen im Mittelpunkt, die von den Lernenden erarbeitet werden. Typisch für die politische Bildung sind die Pro-Contra-Debatte sowie die Dilemma-Methode, die sich mit dem Sammeln von Argumenten für die eine oder andere Seite beschäftigen oder auf moralische Widersprüche beim Treffen von allgemein verbindlichen


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Entscheidungen hinweisen. Auch die Talkshow – angelehnt an den Politiktalk im Fernsehen – fi ndet zunehmend Verbreitung in politischen Lehr- und Lernprozessen, weil die mediale Darstellung der Politiker in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Steht ein zeitlicher Rahmen von mehreren Unterrichtsstunden oder Lerneinheiten zur Verfügung, sind die methodischen Möglichkeiten vielfältiger. Dann können zum Beispiel Rollen- oder Planspiele, aber auch Zukunftswerkstätten eingesetzt werden, in denen politische Positionen oder Prozesse simuliert bzw. kommunale oder gesellschaftliche Herausforderungen bearbeitet werden.

Ausblick Die Entwicklung der politischen Bildung im Spannungsfeld von Bildungs- und Sozialwissenschaften ist von unterschiedlichen Strömungen gekennzeichnet, die sich in einer Vielzahl an konkurrierenden didaktischen Konzeptionen und Prinzipien ausdrücken. Als gemeinsamer Rahmen bietet der Beutelsbacher Konsens Orientierung für Theoretiker und Praktiker der politischen Bildung und zeigt, worauf es ankommt. Darüber hinaus gestaltet sich die Standortbestimmung zwischen verschiedenen Weltanschauungen, Denkrichtungen und Lehrmeinungen aber mitunter schwierig. Trotzdem lassen sich die Mündigkeit, die politische Urteils- und Handlungsfähigkeit sowie positive Einstellungen zur Demokratie sowie die Bereitschaft zur Mitwirkung an der Gesellschaft und zur politischen Teilhabe als Ziele auszeichnen. Als Inhalte kommen dagegen eine ganze Reihe von Aspekten im Gegenstandsbereich von Gesellschaft und Politik, aber auch Wirtschaft und Recht in Betracht sowie Themen, die von der Institution, dem Träger und seinem Angebot abhängen. Aus der Digitalisierung von Politik, Gesellschaft und Lebenswelt ergeben sich beispielsweise aktuell neue Aufgaben für die politische Bildung, weil sich die demokra-

tische Öffentlichkeit durch die Neuen Medien verändert und dadurch andere Wege der Mobilisierung und der Einflussnahme auf das Geschehen entstehen. Für die evangelische Kirche stellt sich die Frage nach Überschneidungspunkten von Politik, Gesellschaft und Lebenswelt, insbesondere aber Demokratie und Kirche. Besondere Schnittmengen ergeben sich etwa in Fragen der Medizinethik, Fragen von Partnerschaft, Ehe, Familie, dem Miteinander der Generationen, aber auch der globalen Friedensethik und einer zukunftsfähigen Arbeitswelt, von nachhaltigem Wirtschaften und Chancengerechtigkeit, aber vor allem in der Frage der Gestaltung der Gesellschaft angesichts zunehmender ethnischer, kultureller und religiöser Pluralität. Außerdem geht es um die Rolle und Gestaltung der Zivilgesellschaft und die Funktion der Kirchen als wichtige zivilgesellschaftliche Akteure. In Bezug auf die Lebenshilfe, also über das soziale Lernen zur Stärkung des Miteinanders und das politische Lernen zur Einnahme der Bürgerrolle hinaus, kommt dieser Aspekt ebenfalls zum Tragen. Die politische Bildung ist nicht zuletzt damit beauftragt, Menschen in ihrem Umgang miteinander Orientierung zu bieten und sie für die Anforderungen in der Welt zu wappnen. Dabei spielen Gedanken des Respekts, der Solidarität und Toleranz eine zentrale Rolle sowie weitere Werte und Normen, die auch für die evangelische Kirche von Bedeutung sind.

Michael Görtler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Politische Bildung und Politikdidaktik an der Universität Augsburg und Referent für politische Jugendund Erwachsenenbildung.

Literatur: Darmstädter Appell vom 15. Nov. 1996. In: APuZ B 47/96, 34–38. Detjen, Joachim (2007): Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland, München und Wien: Oldenbourg. Gagel, Walter (2005): Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1989/90, 3. Überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS. Hentig, Hartmut von (1996): Bildung. Ein Essay, München u. Wien: Hanser. Himmelmann, Gerhard (2001): Demokratie­ Lernen als Herrschafts­, Gesellschafts­ und Lebensform, Schwalbach/Ts.: Wochenschau. Hufer, Klaus­Peter (2007): Politische Erwachsenenbildung. in: Lange/Reinhardt Bd. 4: Forschungen und Bildungsbedingungen, 224–234. Klafki, Wolfgang (1985): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim: Beltz.

Lange, Dirk/Reinhardt, Volker (Hrsg.) (2007): Basiswissen politische Bildung – Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht, Bde. 1–6, Hohengehren: Schneider. Mambour, Gerrit (2007): Zwischen Politik und Pädagogik. Eine politische Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Schwalbach/Ts.: Wochenschau. Oberreuter, Heinrich (Hrsg.) (2009): Standortbestimmung Politische Bildung, Tutzinger Schriften zur politischen Bildung, Schwalbach/Ts.: Wochenschau. Pohl, Kerstin (2004): Positionen der politischen Bildung I. Ein Interviewbuch der Politikdidaktik, Schwalbach/Ts.: Wochenschau. Reinhardt, Sibylle/Richter, Dagmar (Hrsg.) (2011): Politik­Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II, 2. Auflage, Berlin: Cornelsen.

Sander, Wolfgang (2004): Politik in der Schule. Kleine Geschichte der politischen Bildung in Deutschland, Marburg: Schüren. Sander, Wolfgang (Hrsg.) (2005): Handbuch politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 476, Bonn: bpb. Scherb, Armin (2007): Der Beutelsbacher Konsens. In: Lange/Reinhardt Bd. 2: Strategien der politischen Bildung, 31–39. Wehling, Hans­Georg (1977): Beutelsbacher Konsens. In: Schiele/Schneider (Hrsg.): Das Konsensproblem in der Politischen Bildung, Stuttgart, 178–180. Widmaier, Benedikt (2012): Außerschulische politische Bildung nach 1945 – Eine Erfolgsgeschichte? In: APuZ 62. Jg., 46–47, 9–16.


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Bildungshandeln und gelingende Partizipationserfahrungen Die Kirche als zivilgesellschaftliche Akteurin Klaus­Dieter Kaiser

Politik gestalten: Menschen zwischen Engagement und Resignation Die Evangelische Akademie der Nordkirche, bis zum Zusammenschluss der drei evangelischen Landeskirchen im Norden der Bundesrepublik Deutschland zu Pfingsten 2012 Evangelische Akademie Mecklenburg-Vorpommern, engagiert sich seit über zehn Jahren im Bereich der Demokratieentwicklung und der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Dieses Engagement geschieht auf dem Hintergrund einer zunehmenden Differenzierung in der Entwicklung der Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, sowohl zwischen Ost und West, aber auch zwischen

Stadt und Land, Metropolen und Peripherie. Die Teilhabemöglichkeiten für die Menschen sind unterschiedlich ausgeprägt. Das Vertrauen in die Vielgestaltigkeit der politischen Institutionen und der darin agierenden Personen nimmt gegenwärtig eher ab als zu. Politisches Handeln und Demokratie werden nicht als im wahrsten Sinne des Wortes not-wendiger Streit um die bestmögliche Lösung angesichts komplexer Herausforderungen angesehen. Menschen sehnen sich stattdessen nach Harmonie, der politische Streit wird als selbstbezügliches Gezänk verunglimpft. Dabei hat solidarische Nachbarschaft einen hohen Wert und zugleich aber den Preis, zwischen innen und außen deutlich zu unterscheiden und Ausgrenzungen zu vollziehen. So nehmen sowohl

Populismus als auch Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu und reichen bis in die Mitte der Gesellschaft und auch der Kirche. Skepsis gegenüber politischen Partizipationsangeboten, dies zeigen die entsprechenden Untersuchungen der letzten Jahre, verstärkt mit der sozialen Spaltung, den Bildungschancen der Menschen und der Infrastruktur in den jeweiligen Regionen zu tun. Im Osten unseres Landes kommt ein DDR-Erbe der SED-Diktatur hinzu: Der Begriff des Politischen ist aufgrund des Allmachtstrebens der SED diskreditiert. Die Gemeinschaft der Gleichgesinnten wird höher bewertet als das Zusammenleben in einer unübersichtlichen komplexen Gesellschaft. Dieses Erbe totalitärer Strukturen war bestimmt von


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der Enteignung der Gesellschaft durch den Staat und des Weiteren des Staates durch die eine Partei. Dies verbindet sich bis heute in Teilen der Bevölkerung mit einem weiterhin hohen Erwartungsdruck gegenüber dem Staat als allein helfender Instanz. Hinzu kommt, dass es der SED teilweise gelungen ist, das bürgerliche Engagement, auf das eine funktionierende Zivilgesellschaft angewiesen ist, zu reduzieren und die dafür notwendigen Institutionen (Vereine, Kirchen u. a.) in ihrer Arbeit zu beeinträchtigen. Zusammenfassend lässt sich im Blick auf die DDR von einer Entleerung des öffentlichen Raumes zwischen radikaler Privatisierung durch die Menschen (als Antwort auf den allumfassenden Zugriff der SED) und dem totalem Herrschaftsanspruch der einen Partei sprechen, der eine freie Öffentlichkeit nicht zulassen wollte. In Mecklenburg-Vorpommern als einer Region, die durch ländliche Räume geprägt ist, wirken sich die Folgen der demographischen Entwicklungen (Alterspyramide und Wegzug qualifizierter jüngere Menschen) in besonderer Weise aus. Die Infrastruktur wird zurückgebaut, die Größe von Landkreisen erschwert ein selbstverständliches aktives Mitwirken in den demokratischen Strukturen, verstärkt durch eine Fragmentierung der politisch-verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeiten, und die finanziellen Möglichkeiten der meisten Kommunen lassen kaum noch Spielräume der politischen Gestaltung zu. Sportvereine, die Freiwillige Feuerwehr und eben nicht zuletzt die Kirchen sind oftmals die einzigen Institutionen, die noch flächendeckend vorhanden sind.

Wie kann Kirche unter diesen Bedingungen politische Bildung leisten? Kirche mit anderen: Die Kirche als Teil der Zivilgesellschaft als Kommunikationsgeschehen Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche gründet im Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums. Christlicher Glaube ist von seinem Wesen her mehr als Privatsache. Er hat, sowohl was die Praxis des Einzelnen wie auch das Handeln der Institution bzw. Organisation betrifft, immer auch einen öffentlichen Charakter. Die Kirchen sind deshalb auch Akteure in der Zivilgesellschaft. Damit ist aber ein Perspektivenwechsel verbunden. Für die kirchliche Praxis bedeutet dies eine dreifache Herausforderung, um Kirche mit anderen zu sein, was mehr ist, als nur Kirche für andere zu sein, sich für die Schwachen einzusetzen. Die Betonung des Aspektes der wechselseitigen und gleichberechtigten Teilhabe in der Kirche auch für Menschen, die sich nicht als gläubig verstehen, mutet uns zu, erstens über den Grund unseres Glaubens offen und öffentlich Rechenschaft zu geben, ohne damit eine vordergründige Missionsstrategie zu verbinden. Wir müssen als Menschen in der Kirche sprachfähig nach außen werden und das theologische Fundament unserer ethischen Entscheidungen und unseres Handelns in den anderen Bereichen der Gesellschaft nach außen verstehbar kommunizieren. Zweitens begeben wir uns in einen anderen gesellschaftlichen Raum, wenn wir als Kirche zur zivilgesellschaftlichen Akteurin und somit Teil der offenen Gesellschaft werden. Eine politische

Streitkultur, die Gestaltung der Zivilgesellschaft und politische Entscheidungsprozesse sind durch eigene Kommunikationsformen bestimmt, die sich von den binnenkirchlichen unterscheiden. Es gilt, diese Unterschiede wahrzunehmen und so in der Praxis zu gestalten, dass profiliertes Handeln möglich wird, ohne die Einheit der Kirche zu gefährden. Es ist wie in anderen Bereichen kirchlichen Lebens, so der verfassten Diakonie. Hier kommen die theologische und die ökonomische Dimension zusammen und beide müssen zugleich unterschieden werden. Drittens braucht es eine Anschlussfähigkeit in unserer Kommunikation an die der anderen Teilbereiche der Gesellschaft. Andere, ja fremde Sichtweisen auf die vorhandenen Herausforderungen müssen wahrgenommen, verstanden und zu den eigenen in Beziehung gesetzt werden. Hier ist die Kompetenz der Gemeindeglieder gefragt, die privat und beruflich in diesen Bereichen der Gesellschaft »zuhause« sind. Was bedeutet das fŸr die Praxis? Unser Glaube mischt sich ein: Kirchliche Praxis zwischen Beratung, Bildung, Diskurs und sozialrŠumlicher Intervention In der Evangelischen Akademie der Nordkirche mit ihren beiden Regionalzentren für demokratische Kultur im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern vollzieht sich das Mitgestalten im Raum des Politischen im Miteinander von vier Ansätzen. Zum einen durch Beratung sowohl von Einzelpersonen, von Institutionen


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Informationen zu dem Arbeitsbereich der Regionalzentren für demokratische Kultur unter: http://www.regionalzentren-eamv.de/downloads

der Zivilgesellschaft und von staatlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen sowie von Kommunen, insbesondere im Blick auf Herausforderungen durch Rechtsextremismus, aber vor allem in der Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements. Hier sind nachhaltige und zum Teil langfristige Prozesse gefragt. Beratung braucht kontinuierliche Begleitung und Partnerschaft. Dabei sind die staatlichen und die zivilgesellschaftlichen Interessen miteinander ins Gespräch zu bringen. Beratung darf anwaltlich sein – im Unterschied zur politischen Bildung – und hat zum Ziel, die Selbstentwicklungspotenziale einer (zivilgesellschaftlichen) Akteursgruppe konkret zu entwickeln bzw. zu stärken. Zum zweiten sind es Bildungsangebote, in denen Information im Mittelpunkt steht. Eigene Positionierungen haben hier ihren Ort. Wissensvermittlung geschieht, indem die Menschen mit ihren jeweiligen Lebenskontexten in den Blick genommen werden. Politische Bildung ist an den drei Grundsätzen des »Beutelsbacher Konsenses« aus dem Jahr 1976 orientiert: Das Überwältigungsverbot bzw. Indoktrinationsverbot und die Teilnehmendenorientierung sind nicht strittig. Über das Gebot der Ausgewogenheit bzw. der Kontroversität wird im Blick auf die Auseinandersetzung mit dem NS-Terror und der SED-Diktatur immer wieder diskutiert. Wo verlaufen jenseits der strafrechtlichen Dimension die Grenzen der Offenheit und wo ist unmissverständliche Klarheit in den politischen Auseinandersetzungen gefragt? Um offene Diskussionen im Bildungsgeschehen zu gestalten braucht das Gebot der Kontroversität die folgenden drei Grenzziehungen: Die Interessen aller am Diskurs Beteiligten sind offenzu-

legen. Das Vermitteln von Faktenwissen ist Voraussetzung eines gelingenden Diskurses und einer Befähigung, eigene Urteile fällen zu können. Wissenschaftliche Standards zugunsten vermeintlicher Ausgewogenheit aufzugeben, wäre eine klare Grenzüberschreitung. Da, wo der antitotalitäre Konsens verletzt wird, bedeutet, dass die Menschenwürde infrage gestellt wird, ist einzuschreiten. Solche Grenzverletzungen sind zu sanktionieren – um der Klarheit der Sache willen, vor allem aber, um die Opfer von totalitärer Gewalt zu schützen. Damit ist der dritte Ansatz bereits angedeutet: Zivilgesellschaftliches Engagement geschieht auch durch Diskurse, also eine offene Streitkultur. Es geht darum, sich nicht von den Feinden der offenen Gesellschaft das Heft des Handelns aus der Hand nehmen zu lassen. Hier agiert die Kirche im Bereich der Zivilgesellschaft als neutrale Moderatorin. Es gilt, den unterschiedlichen Sichtweisen Raum zu geben, sie miteinander ins Gespräch zu bringen und Angst vor Kontroversen zu überwinden. Gerade im Blick auf ein nicht selten anzutreffendes kirchliches Harmonie- und Einheitsbedürfnis ist der kontroverse Streit als sachlich geboten anzusehen. Viertens braucht es im Konkreten die sozialräumliche Intervention. Notwendig ist die Gelegenheit zur Demokratie. Das regionale Erstarken des Rechtsextremismus ist auch ein Ergebnis der strukturellen Schwäche der Zivilgesellschaft. Es gilt, Erfahrungsräume der Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen zu eröffnen. Nur wer positive Erfahrungen macht, ist auch bereit sich zu engagieren. In diesem Sinn ist vom Primat der Praxis vor der diese Praxis reflektierenden Theorie zu sprechen.

Diese vier Ansätze ergänzen sich wechselseitig und brauchen ihr jeweils eigenes Instrumentarium. Wichtig ist, dass die Akteure deutlich machen, in welchem Bereich sie jeweils agieren. Es macht einen Unterschied, ob ich Beraterin bin oder politischer Bildner, ob zu einem offenen Diskurs eingeladen wird oder vor Ort ganz konkret gestaltend eingegriffen wird. Rollenklarheit und deren Kommunikation sind notwendig. Nur so kann es gelingen, durch unterschiedliche Kommunikationsprozesse zur Stärkung der Zivilgesellschaft, ihrer Strukturen und vor allem der beteiligten Menschen beizutragen. In allen vier genannten Dimensionen gilt es, die folgenden fünf Fähigkeiten bei den Beteiligten zu entwickeln und zu stärken: ihr Selbstwertgefühl, ihr Einfühlungsvermögen (Empathie), ihre Diversitätsakzeptanz, ihre Aushandlungskompetenz und ihre Konf liktfähigkeit. Das sind notwendige Voraussetzungen, um in politischen Partizipationsprozessen handeln zu können.

Klaus-Dieter Kaiser ist Pastor und Akademiedirektor in der Evangelischen Akademie der Nordkirche, Rostock.


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Global denken, lokal handeln Nachhaltigkeit in der gesellschaftspolitischen Jugendbildung

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Ann-Katrin Becker


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Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft angesichts zunehmender Belastungen des ökologischen Gleichgewichts und der sich verstärkenden sozialen Ungleichheiten in lokalen und globalen Zusammenhängen bildet ein Schwerpunktthema gesellschaftspolitischer Jugendbildung. Für die aktuelle Jugendgeneration bedeuten nachhaltiger Lebensstil und die damit verbundene Bewahrung der Schöpfung eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, denn nur durch eine nachhaltige Entwicklung und einen Wandel des bisherigen gesellschaftlichen Systems kann die ökologische, soziale und ökonomische Tragfähigkeit unseres Planeten erhalten bleiben. Grundlegendes Ziel nachhaltiger Entwicklung ist es, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und Ungleichheiten zwischen den reichen und den armen Ländern, aber auch innerhalb eines Landes zu beseitigen. Denn jeder Mensch hat das gleiche Recht auf eine intakte Umwelt und darauf, sein Leben menschenwürdig gestalten und die vorhandenen Ressourcen in globaler Verantwortung nutzen zu können. Auch zukünftige Generationen sollen die Möglichkeit haben, mit den natürlichen Ressourcen der Erde zu wirtschaften. Die Auseinandersetzungen um Globalisierung, die aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrisen, das Ringen um eine zukunftsfähige internationale Klimapolitik oder auch um das Gelingen der Energiewende in Deutschland zeigen, welche Brisanz diese Problematik hat. Ein »Weiter-so-wie-bisher« können weder Gesellschaft noch Politik tragen und ein gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel ist entscheidend für eine gelingende Nachhaltigkeit.

Interessieren sich Jugendliche und junge Erwachsene überhaupt für Nachhaltigkeit? Obwohl die Frustration bei jungen Menschen über die eher mäßigen Fortschritte in Sachen Umweltschutz, Milleniumentwicklungsziele oder nachhaltige Entwicklung in Deutschland, Europa und weltweit vielfach wahrnehmbar ist und sich in jüngeren Protestbewegungen entlädt (beispielsweise Occupy), so führt dies dch nicht, wie so oft unterstellt, zur Tatenlosigkeit. Aus der 16. ShellJugendstudie »Jugend 2010« geht hervor, dass für die Mehrheit der Jugendlichen der Klimawandel relevant ist und die Auswirkungen als enorm wichtig für zukünftige Entwicklungen eingeschätzt werden. Von 95 % der Jugendlichen, für die Klimawandel ein Begriff ist, sehen 80 % den Menschen als unmittelbar verantwortlichen Katalysator für die Problematik. Ebenso ist den meisten bewusst, dass Klimaschutz auch bedeutet, das eigene Handeln zu hinterfragen und zu verändern (vgl. Shell Deutschland 2010, 177 ff.). Im August 2011 veranstaltete die Evangelische Jugend Dortmund ein Internationales Klimacamp, das den Start-

schuss für eine Jugendklimakampagne in der Evangelischen Kirche von Westfalen bildete. Eine junge Teilnehmerin aus Irland fasst ihre Erlebnisse bei dieser Begegnung wie folgt zusammen: »Das Klimacamp war eine großartige Gelegenheit, um sich mit anderen Kulturen auszutauschen und über alle Unterschiede hinweg Brücken zu schlagen für ein globales Bewusstsein für Klimaschutz!« Ein Teilnehmer aus Deutschland, der sich auch nach dem Camp intensiv in das Jugendklimaprojekt eingebracht hat, ergänzt: »Durch so ein Klima-Projekt entstehen tolle Ideen, wie wir selbst aktiv das Klima etwas schützen können. Ein Beispiel dafür ist die vor Ort entstandene Projektgruppe ›Bye Bye Meat – once a Week‹. In der Gruppe setzen wir uns dafür ein, dass weniger Fleisch gegessen wird. Über Facebook wollen wir mehr Mitstreiter gewinnen. Die Realisierung der Idee hat nur zwei Tage gedauert. Das Konzept und der Name entstanden am Mittag, das Logo am späten Abend und das Drucken der Flyer am Morgen darauf.« Aber Ernährung ist nur ein Thema, das die Jugendlichen brennend interessiert. Daneben spielen auch Mobilität, Bekleidung oder Energie eine wichtige Rolle.


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Schlüssel zum Erfolg: Bildung für nachhaltige Entwicklung Eine Bildung für nachhaltige Entwicklung vermittelt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nachhaltiges Denken und Handeln. Durch Bildung für nachhaltige Entwicklung werden Menschen befähigt, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Regionen auswirkt. Ein solches komplexes und verknüpfendes Denken ist notwendig, um drängende Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit anzustoßen und globale Probleme wie beispielsweise ungleicher Zugang zu Ressourcen anzugehen. Kernziel einer Bildung für nachhaltige Entwicklung ist die Vermittlung von Gestaltungskompetenz. Hiermit ist die Fähigkeit gemeint, Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können. Dazu gehört u. a., die Sensibilisierung für ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in der Produktion (Fragen nachhaltigen Wirtschaftens), in der Mobilität, im Konsum und in der Freizeitgestaltung wahrzunehmen und Empathie für andere zu zeigen, sowie die Fähigkeit, andere zu motivieren. Von der Theorie zur Praxis: Eine klimafreundliche Modellstadt als Lernort Unter dem Dach der Jugendklimakampagne »Mission: Klima retten! powered by heaven« der Evangelischen Kirche von Westfalen, die als offizielles Dekadeprojekt der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung 2012/13 ausgezeichnet wurde, engagieren sich Jugendliche in ihrer Region für mehr Klimaschutz. Herzstück der Kampagne ist die interaktive Erlebnis- und Mitmach-Aus-

stellung, die von Januar 2012 bis November 2013 in Westfalen auf Tournee war: Die Idee zur Ausstellung wurde gemeinsam mit Jugendlichen entwickelt und realisiert. Für fast zwei Jahre hat die Ausstellung, die im Kern eine klimafreundliche Modellstadt bietet, zum Entdecken, Mitmachen und Mitgestalten eingeladen. Im Mittelpunkt steht die hoffnungsvolle Botschaft: Das Engagement des Einzelnen und die Solidarität der Vielen können den Klimawandel abbremsen und seine Folgen abmildern! Die Entdeckungsreise, auf die sich die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung einlassen, startet mit einem Hörspiel: »Damals war das Klima noch in Ordnung …«. So beginnt die Geschichte, die ein Schweinehirte aus dem Ruhrgebiet rückblickend erzählt. Zu der Erzählung wird auf einer großen Magnettafel auf anschauliche Art und Weise dargestellt, wie sich das Klima verändert, zum Beispiel indem Kohle, Gas und Öl verbrannt werden oder der Konsum in den Industrie- und Schwellenländern stetig wächst. Anschließend folgt das »360 Grad-Kino«: Auf mehreren Monitoren und einer Großbildleinwand sehen die Besucherinnen und Besucher die Schönheit der Natur, werden aber gleichzeitig mit ihrer Bedrohung konfrontiert. Thomas aus Sambia, Suthan aus Sri Lanka und Cecilia aus Italien melden sich zu Wort und lassen die Zuschauer und Zuschauerinnen teilhaben an ihren Ängsten und Hoffnungen. Hierzu haben nicht nur Teilnehmende des Internationalen Klimacamps Statements abgegeben, sondern auch junge Menschen, die von Jugendlichen auf der Straße interviewt wurden. In der Modellstadt selbst werden die Besucherinnen und Besucher animiert, »ihre Stadt« zu gestalten, wie sie sein sollte. Hier gibt es ein Bistro, ein Jugendzentrum, ein Reisebüro, eine Boutique und einiges mehr. Der Blick hinter die Kulissen der einzelnen Stationen bietet Impulse, Ex-

perimente und Informationen zum Beispiel für ein klimafreundliches Mittagessen: Wie wär’s mit Pasta mit Gemüse statt Schnitzel? Oder mit einer Urlaubsreise, die Spaß macht und die Umwelt schont: Abenteuer-Urlaub in den Alpen statt Mallorca? Hier kommen wieder die Jugendlichen aus Europa, Afrika und Asien zu Wort, die bereits im »360 GradKino« zu sehen waren. Sie zeigen, wie die westliche Lebensweise aus ihrer Sicht wahrgenommen wird und was der Klimawandel bei ihnen zuhause verändert. Durch die »EcoCity« entstehen in der jeweiligen Region Impulse für ein Engagement vor Ort, in das jede und jeder persönliche Erfahrungen und Wünsche einfließen lässt.

Von der Modellstadt auf die Straße: Projekte vor Ort entstehen Die Ausstellung in der Region ist Katalysator für weitergehendes Engagement. So wurde in Dortmund, angeregt durch die Jugendlichen, eine »Klima-Nacht« veranstaltet. Das Prinzip sollte dabei an das Konzept von Museumsnächten angelehnt sein. Da das Programm partizipativ geplant wurde, konnten junge Menschen eigene Themen setzen, Formate ausgestalten und die Öffentlichkeitsarbeit organisieren. Herausgekommen ist eine vielgestaltige Mischung mit Workshops zum Ökologischen Fußabdruck, Experimenten zum Treibhauseffekt und zur lokalen Vernetzung sowie Kreativ-Werkstätten zu Carrotmobs und ein klimathematischer Poetry-Slam. Bei einem Carrotmob wird der Boykott ins Gegenteil verkehrt: Über Internet, soziale Medien, Flyer etc. verabreden sich möglichst viele Menschen an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit, die Dinge des täglichen Bedarfs in einem einzigen Laden zu kaufen. Welcher das sein soll, wird


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im Vorfeld durch eine Art Bieterverfahren ausgewählt. Der Ladenbesitzer, der den höchsten Prozentsatz des Umsatzes in Energiesparmaßnahmen investieren will, gewinnt. So kann z. B. auf nachhaltigeren Konsum aufmerksam gemacht werden. Zum Abschluss der Klima-Nacht hat sich der Dortmunder Oberbürgermeister den kritischen Fragen und Wünschen der Jugendlichen gestellt. Fazit der Teilnehmenden: bitte mehr Klima-Nächte! Der Carrotmob war nicht nur in Dortmund Thema, sondern auch im Kirchenkreis Hamm. In Hamm wurde die Ausstellung zudem konzeptionell erweitert und ist seitdem auch mit Grundschulkindern zu besichtigen. In mehreren der insgesamt 13 Gestaltungsräumen in Westfalen wurden die Bewahrung der Schöpfung und Klimaschutz in Konfi rmandentagen und Konficamps zum Thema gemacht, das Kampagnenteam hat Workshops zur Umsetzung von öko-fairer Beschaffung in Jugendeinrichtungen organisiert, Aktionstage in NRW zum Thema Nachhaltiger Konsum veranstaltet und im Dezember 2012 erstmals den Internationalen Aktionstag für Klimagerechtigkeit organisiert: Hier gab es weltweit Baumpflanzaktionen, Konzerte, Workshops zur Solarenergie oder Literaturwettbewerbe zum Thema Klima. Aufgrund der großen Resonanz wird der Internationale Aktionstag kein Einzelevent bleiben, sondern nun regelmäßig stattfi nden, zuletzt im Dezember 2013. Mehr Informationen finden sich in mehreren Sprachen unter climateactionday.org.

Resümee und Ausblick Regionale Schwerpunkte und die partizipative Planung von Projekten und Veranstaltungen bilden eine erfolgreiche Praxis politischer Bildung im Bereich nachhaltige Entwicklung. Die Ju-

gendlichen sind sich der Notwendigkeit von Klimaschutz bewusst, insbesondere da sie diejenige Generation sind, die sich den verheerenden Folgen des Klimawandels stellen muss. Umso bedeutender ist es, sie ernst zu nehmen und ihnen echte Beteiligungsmöglichkeiten anzubieten, um ihnen die Chance zu geben, ihr konkretes Lebensumfeld mitzugestalten und selbst zu Multiplikatoren für Themen nachhaltiger Entwicklung zu werden. Die Ausstellung, ausgezeichnet durch den »NRW denkt nachhaltig«-Preis, wird über die Grenzen Westfalens hinaus das Themenfeld Nachhaltigkeit in der Evangelischen Jugend stärken: Die Ausstellung, sowie weitere Begleitmaterialien der Jugendklimakampagne werden weiterwandern und 2014 in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Jugendliche für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Klimagerechtigkeit sensibilisieren. Informationen zu Materialien und regionalen Schwerpunkten fi nden sich unter www.poweredbyheaven.de. Die Umsetzung der Jugendklimakampagne der Evangelischen Kirche von Westfalen wurde durch das Institut für Kirche und Gesellschaft, das Amt für Jugendarbeit, das Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung sowie die Vereinte Evangelische Mission ermöglicht. Die interaktive Ausstellung wurde durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW sowie den Landschaftsverband Westfalen-Lippe gefördert.

Materialien und weitere Kontaktinformationen: Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen Nachhaltige Entwicklung Nordwall 1 58239 Schwerte www.poweredbyheaven.de www.kircheundgesellschaft.de

Ann-Katrin Becker war bis Oktober 2013 Jugendbildungsreferentin für gesellschaftspolitische Jugendbildung beim Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen in Schwerte und Projektleiterin des Klimaprojektes »Mission: Klima retten! powered by heaven«.


Werfen wir einmal einen Blick auf die Menschen, die mit den Bildungsangeboten der evangelischen Kirche in erster Linie erreicht werden. Wer besucht die evangelischen Schulen, geht in den Konfirmandenunterricht, wird durch die Arbeit der Evangelischen Jugend und die vielen Bildungsangebote in den Gemeinden erreicht? Spiegeln die Zielgruppen evangelischer Angebote das vielfältige Bild unserer Gesellschaft wider? Einige Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass sich der Blick evangelischer Akteure und Akteurinnen zumeist auf das eigene Milieu richtet. Menschen, die einen ähnlichen sozialen Status, ähnliche Vorlieben und Prägungen haben, können leichter angesprochen und eingebunden werden. Für sie gibt es spannende Angebote und sie werden ermutigt, Kirche gemeinsam mit anderen lebendig zu gestalten. Erreicht werden insbesondere Menschen mit einem überdurchschnittlichen Bildungsstand (vgl. Ahrens/Wegner 2013, 115). Der Milieubezug der Kirche geht eher »weg von der Mitte der Gesellschaft in etwas ‚gehobenere’ Bereiche der Bevölkerung« (Ahrens/ Wegner 2013, 22). Natürlich sind auch andere soziokulturelle Milieus im Blick, auch die, die besonders von Armut betroffen, die arbeitslos und auch oft ohne wirkliche Hoffnung auf Verbesserung ihrer sozialen Lage sind. Aber dieser Blick ist in erster Linie ein sozialpäda-

gogischer und/oder diakonischer Blick: Den Menschen wird Hilfe und Unterstützung gegeben, sie werden gefördert, gepflegt und versorgt (vgl. zum Beispiel den Hinweis auf das Traditionslose Arbeitermilieu bei Vögele/Bremer/Vester 2002, 109). Die sozialen Dienste machen einen sehr wichtigen Teil des evangelischen Handelns in der Gemeinde aus, sie haben aber eine andere Intention als zum Beispiel Bildungsveranstaltungen oder andere kirchliche Angebote. Wie gelingt es nun aber am besten, auch Kinder und Jugendliche aus sozial marginalisierten Milieus mit Bildungsangeboten, die außerhalb von Schulen im evangelischen Bereich initiiert werden, zu erreichen? Wie gelingt es, an ihre Ressourcen anknüpfend interessante und herausfordernde Prozesse in Gang zu setzen? In dem in diesem Beitrag gegebenen Beispiel politischer Bildung eines evangelischen Trägers wird beschrieben, wie benachteiligte Kinder und Jugendliche als aktive, interessierte und begabte Menschen mit ihren Anliegen, Wünschen und Hoffnungen sichtbar werden, wie sie einen Platz finden, an dem sie sich aktiv einbringen können. Und es geht darum, zu zeigen, wie wichtig es ist, »der Eigenständigkeit und der Selbstverantwortung von jungen Menschen Entscheidendes zuzutrauen« (Corsa/Freitag 2008, 101).

Herausforderung: Chancengerechtigkeit Wie gelingt es in evangelischen Bildungsprozessen, Jugendliche aus sozial marginalisierten Milieus zu erreichen? Friedrun Erben

»Lust auf Zukunft« Bericht aus einem Projekt Die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung hat in den Jahren 2008–2011 das Projekt »Lust auf Zukunft! Politische Bildung für Jugendliche mit geringen Bildungschancen« an sechs verschiedenen Projektorten durchgeführt (vgl. Reflexion des Projekts, auf die auch in diesem Beitrag zurückgegriffen wird: Erben/Schlottau/ Waldmann 2013). Das Projekt wurde aus Mitteln der Stiftung Deutsche Jugendmarke e. V. gefördert. Ziel des Projekts war es, gemeinsam mit Jugendlichen, die eher geringe Bildungschancen haben, nach Wegen und Möglichkeiten zu su-

chen, in unserer Gesellschaft sichtbar und hörbar zu werden. Jugendliche reflektierten in verschiedenen außerschulischen Veranstaltungen ihre Vorstellungen von einem guten Zusammenleben in einer pluralen, demokratischen Gesellschaft. Sie benannten ihre Anliegen und erarbeiten, welche Aspekte des Zusammenlebens ihnen wichtig und welche Wege zur Verbesserung ihrer Lebensperspektiven möglich sind. Sie traten damit an die Öffentlichkeit und suchten das Gespräch mit Personen des öffentlichen Lebens. Dies wurde auf sehr unterschiedliche Weise realisiert, denn die Formen der Umsetzung bestimmten die Jugendlichen selbst. Jugendliche mit geringeren Bildungschancen, die auch mit diesem Projekt erreicht wur-

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den, erleben sich als selbständige Individuen mit eigenen Ideen, Wünschen, Vorlieben und Ansichten. Dennoch wird über sie oft von »den bildungsfernen Jugendlichen« gesprochen, die desinteressiert, ohne Ausdauer und Ehrgeiz seien. Sie erleben oft, dass ihnen weniger zugetraut wird, dass sie häufig viel zu schnell aufgegeben und eher als Problem wahrgenommen werden. In den letzten Jahren ist nun aber endlich eine Diskussion in Gang gekommen, die die Gefahr der sozialen Exklusion und fehlenden Chancengerechtigkeit, insbesondere für Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Milieus und für Jugendliche mit Migrationshintergrund, in den Fokus rückt. Dieser Diskurs ist sehr zu begrüßen. Nur so kann ein Umdenken möglich und eine ressourcenorientierte Bildungsarbeit ins Zentrum gerückt werden.

Das Projekt ist mit seiner politischen Bildungsarbeit im evangelischen Raum einen wichtigen Schritt in diese Richtung gegangen. Folgende konkrete Ideen wurden im Projekt umgesetzt: Jugendliche aus einem Ausbildungsvorbereitungsjahr bearbeiteten in mehrtägigen Seminaren die Themen, die sie bewegen und über die sie gern mit Menschen aus dem öffentlichen Leben diskutieren möchten. Sie

suchten sich verschiedene Gesprächspartner: zum Beispiel eine Journalistin, um mit ihr über die Darstellung von Ausländern in der Presse zu diskutieren, oder Vertreter der Polizei, um über deren Umgang mit Jugendlichen oder über Hilfe bei häuslicher Gewalt zu sprechen (Nordelbisches Jugendpfarramt, Koppelsberg).


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Mit der Erarbeitung und Aufführung einer Performance in zwölf Szenen zeigten Jugendliche, deren Familien meist eine Migrationsgeschichte haben, welche Vorstellungen von gelungenem Leben sie haben und welche Partizipationsmöglichkeiten sie für den Prozess der Integration als notwendig erachten. Die

Jugendlichen stellten sich nach den Aufführungen dem Gespräch mit dem Publikum und Vertretern des öffentlichen Lebens (Amt für Jugendarbeit der Ev. Kirche im Rheinland, Koblenz). Jugendliche, die über verschiedene Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit für das Projekt gewonnen wurden, erstellten ein Drehbuch und drehten einen Film über ihre Situation. Sie drückten darin ihre Gedan-

ken, Wünsche und Sorgen aus. Der Prozess des Erarbeitens und Drehens half den Jugendlichen, sich ihrer Ziele und Vorstellungen bewusst zu werden. Der fertige Film war das Medium, durch das sie mit anderen ins Gespräch kamen (Ev. Landjugendakademie Altenkirchen). Jugendliche aus einer Förderschule erarbeiteten in ihrem Schülerrat Mitwirkungsmöglichkeiten und brachten ihre Ideen durch Aktionen in die Schulöffentlichkeit ein. Sie wurden mit mehrtägigen Seminaren

begleitet und in ihren Fähigkeiten unterstützt und gestärkt (Ev. Akademie Bad Boll). Jugendliche aus dem Berufseinstiegsjahr und aus Praxisklassen formulierten – ausgehend von ihren individuellen Zukunftsvorstellungen – gemeinsame Interessen und wurden so als Gruppe nach außen sichtbar.

Ihre Gesprächspartner waren Entscheidungsträger im näheren Umfeld, Vorbilder, die unter schwierigen Ausgangsbedingungen ihren Weg gemacht haben, sowie Politiker (Ev. Jugendsozialarbeit in Bayern e. V., Augsburg). Jugendliche aus dem Umfeld der Offenen Jugendarbeit, zumeist mit Migrationsgeschichte, benannten die Musik als das Medium, das ihnen hilft, sich auszudrücken und ihre Anliegen, Wünsche und Kritik zu artikulieren. Um diese »Stimmen« besser nach

außen tragen zu können, richteten sie ein Tonstudio ein, in dem sie ihre Texte und Musik produzieren können (Ev. Jugendsozialarbeit in Bayern e. V., Nürnberg).

Bildungschancen erhöhen Ein wichtiges Anliegen gesellschaftspolitischer Jugendbildung ist es, das Politische, das die Lebenszusammenhänge der Jugendlichen betrifft, sichtbar zu machen. Dabei geht es zum Beispiel darum, Jugendliche handlungsfähig zu machen, indem sie sich ihrer Anliegen bewusst werden, ihre Interessen artikulieren und anderen vermitteln können (vgl. Waldmann/Erben 2008, 13). Jugendliche sollen lernen, ihre Rechte wahrzunehmen, in demokratischen Prozessen und Gremien aktiv zu werden und sich an Entscheidungen zu beteiligen. Dafür ist es wichtig, dass sie die demokratische Kultur und die politischen Entscheidungsprozesse verstehen, auch, damit sie als Gesprächspartner, Ideengeber, Kritiker akzeptiert werden. Wie wird miteinander gesprochen? Welche Strategien muss man kennen, um Gespräche zu führen, anerkannt zu werden und sich durchsetzen zu können? Wie entsteht eine Debatte, in der auch andere Haltungen berücksichtigt werden? Das Projekt hatte zum Ziel, gemeinsam mit den Jugendlichen, die oftmals keine Zugänge zur Öffentlichkeit für sich erkennen können, diese ausfindig zu machen und zu nutzen. Sobald die Positionen der Jugendlichen öffentlich werden, werden die Jugendlichen zu Trägern einer Idee, einer Haltung und stellen sich damit der Diskussion. Werden diese Haltungen ignoriert, werden die Jugendlichen aus dem demokratischen Prozess ausgegrenzt (vgl. dazu Sturzenhecker 2008). Die Wahl der Medien Film, Musik, Theater und die unterschiedlichen Herangehensweisen an die Gespräche mit den Erwachsenen ermöglichten den Jugendlichen in diesem Projekt, sich in vielfältiger Weise auszudrücken und sich der Diskussion zu stellen. Es entstanden damit neue Verständigungsebenen. Die dabei an die Jugendlichen gestellten Erwartungen spielten eine wichtige Rolle für ihre Motivation und letztlich auch für ihren Erfolg. Sie konnten Vertrauen in ihre Fähigkeiten gewinnen und erfahren, dass sie den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden können und über die dafür nötigen Ressourcen verfügen. Ihnen wurden Gestaltungsräume eröffnet. Die Besonderheiten, Potenziale und Probleme der Jugendlichen wurden wahrgenommen.


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Um sich den Herausforderungen einer ressourcenorientierten Bildungsarbeit zu stellen, wurden vier Gestaltungsprinzipien benannt, die der Projektarbeit zugrunde lagen. Sie wurden in der Projektgruppe formuliert und im Laufe des Projekts weiterentwickelt. Die Subjektorientierung – grundlegend für jede Bildungsarbeit, die sich am Ziel der Mündigkeit orientiert – ist besonderer Ausdruck für die Hinwendung zu den jungen Menschen in schwierigen Lebenslagen. Im Zentrum stehen die Jugendlichen mit ihren Besonderheiten, ihrer Kreativität und ihrem Eigensinn: Die individuellen Interessen, subjektiven Wahrnehmungsformen, Sichtweisen, Wünsche und Perspektiven der Jugendlichen, ihre bevorzugten Handlungsweisen sind Grundlage für die Gestaltung politischer Bildung und Voraussetzung für die gemeinsame Entwicklung von Ideen und deren Umsetzung. Partizipation ist ein Grundpfeiler einer lebendigen, aktiven Demokratie. In diesem Projekt wurden Wege exemplarisch erprobt, durch die die Jugendlichen das Umfeld, in dem sie leben und aufwachsen, aktiv mitgestalten können. Sie entdeckten Möglichkeiten, sich einzumischen und ihren Interessen Gehör zu verschaffen. Sie wurden so als Gesprächspartner/-innen sichtbar. Gleichzeitig wurde Partizipation – quasi als Lernfeld für zukünftige Situationen – in der Gestaltung des Projekts selbst ermöglicht. Anerkennung und Respekt ist sowohl in der Haltung Erwachsener gegenüber Jugendlichen als auch zwischen Jugendlichen von großer Bedeutung. Das schließt die Haltung gegenüber Fremden, anderen Kulturen, Lebensweisen und Ansichten ein. Wird den Jugendlichen Respekt im Sinne einer solidarischen Zustimmung entgegengebracht, impliziert das eine Wertschätzung ihrer Fähigkeiten und eine Orientierung an ihren Potenzialen und nicht an ihren Defiziten. Im Projekt zeigten sich unterschied-

liche Ebenen von Anerkennung und Respekt, wie zum Beispiel die gegenseitige Akzeptanz, die Anerkennung verschiedener kultureller Hintergründe, Umgangsformen und die Absprachen für die gemeinsame Arbeit. Handlungsorientierung setzt voraus, dass sich die Projektarbeit auf das Umfeld der Jugendlichen richtet, in dem ein aktives, partizipatives Agieren möglich werden soll. Jugendliche nehmen gesellschaftliche Prozesse wahr, erkennen Zusammenhänge und Verantwortungsbereiche und loten Möglichkeiten für eigene Aktivitäten aus. Den Jugendlichen wird auf verschiedene Weise deutlich: »Wir können uns zu Wort melden, wir werden gehört und wahrgenommen!« Die Projekterfahrungen haben gezeigt, wie wichtig es ist, auf gesellschaftliche Herausforderungen wie die zunehmende Pluralität und Vielfalt unserer Gesellschaft und die wachsende soziale Ungleichheit zu reagieren und neue Ansätze, Formen, Methoden und Zugänge in der politischen Jugendbildung zu entwickeln und zu erproben. Voraussetzung dafür ist, sich an der komplexen, unübersichtlichen und unsicheren Welt, in der sich Jugendliche bewegen, zu orientieren, sich auf die Jugendlichen einzulassen, sie in ihrer Einzigartigkeit anzuerkennen und ihnen viel zuzutrauen.

Dr. Friedrun Erben war bis August 2013 pädagogische Mitarbeiterin in der Berliner Geschäftsstelle der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung, einer bundesweit tätigen Fachorganisation im Bereich der Evangelischen Kirche, und war für das Projekt verantwortlich.

Literatur: Ahrens, Petra­Angela/Wegner, Gerhard (2013): Soziokulturelle Milieus und Kirche. Lebensstile – Sozialstrukturen – kirchliche Angebote, Stuttgart.

Erben, Friedrun/Waldmann, Klaus (Hrsg.) (2008): Lernziel Verantwortung. Politische Bildung und Schule, Schwalbach/Ts.

Corsa, Mike/Freitag, Michael (2008): Lebensträume – Lebensräume. Bericht über die Lage der jungen Generation und die evangelische Kinder­ und Jugendarbeit, Hannover.

Sturzenhecker, Benedikt (2008): Die Stimme erheben und mitbestimmen. Politische Bildung in der Offenen Kinder­ und Jugendarbeit. In: deutsche jugend, 7–8/08, 308–315.

Vögele, Wolfgang/Bremer, Helmut/Vester, Michael (Hrsg.) (2002): Soziale Milieus und Kirche, Würzburg. Waldmann, Klaus/Erben, Friedrun (2008): Einleitung. In: Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (Hrsg.): anerkennen – ermutigen – stärken. Politische Bildung mit ›bildungsfernen‹ Jugendlichen. Jahrbuch 2007, Berlin, 7–19.


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Eigene Vorstellungen hinterfragen durch interkulturelle Öffnung Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund im Projekt TANDEM Simone Pleyer

Obwohl immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland einen Migrationshintergrund haben, sind sie doch in der Jugendverbandsarbeit unterrepräsentiert. Dies geht aus dem Jugend-Migrationsreport des Deutschen Jugendinstituts hervor (DJI Bericht 2012, 133). Bereits der elfte Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung kritisiert »die mangelnde Partizipation von Zugewanderten an der Jugendarbeit« (BMFSFJ 2002, 215) und die Autorengruppe Bildungsberichterstattung weist darauf hin, »dass die [in der Jugendarbeit] liegenden Bildungspotenziale ebenso ungenutzt bleiben wie die damit verbundenen Möglichkeiten sozialer Integration« (Autorengruppe Berichterstattung 2010, 80). Konzeptionelle Begründungszusammenhänge – Beschlüsse und Strategiepapiere in der Evangelischen Jugend Die Grundlage für das verstärkte Engagement im Bereich der interkulturellen Öffnung der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) bilden die Beschlüsse der aej-Mitgliederversammlungen aus den Jahren 2003 und 2007 sowie der Beschluss des Deutschen Bundesjugendrings aus dem Jahr 2007. Das 2009 entstandene Strategiepapier »Migration, Integration und die interkulturelle Öffnung der aej« fasst treffend die Begründung für das Engagement zusammen: »Die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen verschiedener Herkunft und deren Selbst-

organisationen in die verschiedenen Ebenen (evangelischer) Kinder- und Jugendverbandsarbeit ist zum einen eine gesellschaftliche Verantwortung der aej als einer der größten Jugendverbände in Deutschland. Zum anderen betrifft diese Frage auch die Zukunft des Verbandes, denn schon heute hat rund ein Viertel (…) der Kinder und Jugendlichen bis 25 Jahre einen Migrationshintergrund. Insofern ist das Thema Migration für die verbandsinterne Entwicklung gegenwärtig und zukünftig von großer Bedeutung.« (Klingenhagen/Kalisch/ Piderit 2009). Vor diesem Hintergrund engagiert sich die aej seit 2008 verstärkt in den Themenkomplexen Migration/Integration und Interkulturelle Öffnung. Im Rahmen bundesweiter Modellprojekte werden unterschiedliche Dimensionen der interkulturellen Öffnung verfolgt: • Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund werden verstärkt in evangelische Angebote eingeladen und eingebunden. • Die Gründung und die Organisationsentwicklung von »Vereinen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund« (VJM) werden unterstützt und • die Evangelische Jugend arbeitet mit Migrantenjugendorganisationen (MJSO), Migrantenorganisationen (MSO) oder VJMs zusammen. Eines der bundesweiten Modellprojekte ist das Projekt »TA N DEM – Bildungsförderung für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund«. In den Jahren 2008–2011 hat die aej mit diesem Projekt einen wichtigen Grundstein zur interkulturellen Öffnung gelegt.


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Um die Ansätze dieses erfolgreich abgeschlossenen Projekts auszubauen und die interkulturellen Öffnungsprozesse der Evangelischen Jugend fortzuführen, hat die aej das Nachfolgeprojekt » TA N DE M – Vielfalt gestalten! Evangelische Jugend in Kooperation mit Migrantenorganisationen« entwickelt. Dieses läuft seit November 2011 und wird durch den Europäischen Integrationsfonds (EIF) und durch das Bundesministerium des Inneren (BMI) bis Oktober 2014 gefördert. T A N D E M – Vielfalt gestalten! Evangelische Jugend

in Kooperation mit Migrantenorganisationen

Das Projekt »TANDEM – Vielfalt gestalten!« will durch niedrigschwellige Angebote die Zugangshürden zur evangelischen Jungend(verbands)arbeit für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund abbauen. Außerdem werden Kooperationen zwischen Evangelischer Jugend und Migrantenorganisationen gefördert. An dem Projekt sind folgende bundesweite Evangelische Jugenden beteiligt: • EJOTT Evangelische Jugend Coburg • Evangelische Kirchengemeinde Essen-Borbeck-Vogelheim • VCP Bezirk Hannover e. V. • CVJM Herford Stadt e. V. • Protestantische Jugendzentrale Homburg • CVJM Leipzig e. V. • CVJM Nürnberg e. V. • Evangelische Jugend Stuttgart • VCP Land Westfalen e. V. • CVJM Wuppertal-Oberbarmen • Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) Die Projektstandorte sind über ihre Landesund Dachstrukturen Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej). Die nationale Projektleitung organisiert das Projekt bundesweit (Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzungen, fachliche und wissenschaftliche Begleitung) und berät die Projektpartner inhaltlich und konzeptionell. Vor Ort wird das Projekt von einer bis drei hauptberuflich Mitarbeitenden umgesetzt.

Eine Vielzahl von ehrenamtlich Mitarbeitenden ist ebenso eingebunden. An allen lokalen Standorten werden mit den Kooperationspartnern gemeinsame Angebote für Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft entwickelt. Dies setzt unter anderem einen Kennenlern- und Austauschprozess über kulturelle und religiöse Gemeinsamkeiten und Unterschiede voraus, der auf beiden Seiten viel Vertrauen, Zeit und Geduld erfordert. So werden beispielsweise am Standort der Evangelischen Jugend in Coburg Moschee- und Kirchenbesuche organisiert, der CVJM Nürnberg kooperiert mit einer Chinesisch-Christlichen Gemeinde und beim VCP Land Westfalen wird ein interkultureller Pfadfinder-Stamm aufgebaut. Ein weiteres Modell der Zusammenarbeit ist das interkulturelle Zentrum »Der K REUZER « am Projektstandort Essen-Borbeck-Vogelheim. Es dient als Begegnungsort unterschiedlichster Migrantenorganisationen und Evangelischer Jugend. EJOTT Evangelische Jugend Coburg

Türkisch­Deutscher Kulturverein Neustadt, DITIB

Evangelische Kirchengemeinde Essen­Borbeck­Vogelheim

Kulturzentrum »Kreuzer« in Essen

VCP Bezirk Hannover e. V.

Schura Niedersachsen, MJD

CVJM Herford­Stadt e. V.

DITIB Türkische Gemeinde Herford

Protestantische Jugendzentrale Homburg

Türkischer Elternverein Homburg, DITIB Landstuhl

CVJM Leipzig e. V.

Verband binationaler Familien Leipzig

CVJM Nürnberg e. V.

Chinesische Christliche Gemeinde

Evangelische Jugend Stuttgart

Alevitische Jugend Stuttgart

VCP Land Westfalen e. V.

Osman Gazi Moschee, Türkisch Islamische Gemeinde zu Dortmund Huckarde e. V.

CVJM Wuppertal­Oberbarmen e. V.

Türkischer Kultur­ und Bildungsverein Wuppertal e. V.


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Reflexion

Kooperationspartner in den Projekten Durch die gemeinsam geplanten und durchgeführten Angebote der Einrichtungen der Evangelischen Jugend und der jeweiligen Migrantenorganisationen erleben Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft wertvolle Begegnungen und interkulturelle Offenheit. Darüber hinaus eröffnen sich ihnen Möglichkeiten gesellschaftlicher Mitbestimmung und Mitgestaltung. Sie werden von den pädagogischen Mitarbeitenden unterstützt. Und dies an jedem Standort anders: in offenen Jugendtreffs, in einer Hausaufgabenhilfe, im TA N D E M -Treff, bei Ausflügen oder in persönlichen Gesprächen. Die gesellschaftliche Integration und Partizipation der Kinder und Jugendlichen wird zusätzlich durch die Mitarbeit in ehrenamtlichen Strukturen gefördert. Da, wie eingangs erwähnt, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in jugendverbandlicher Arbeit unterrepräsentiert sind, bleibt die Förderung freiwilliger und ehrenamtlicher Tätigkeiten im Zuge des Projekts ein stetiges Ziel. Ein ebenso wichtiger Baustein des Projektes ist die Qualifizierung der Mitarbeitenden im Projekt. In der TA N DEM -Fortbildungsreihe wird beispielsweise ein interkulturelles Training absolviert oder darüber diskutiert, welche Faktoren für das Gelingen von Kooperationen entscheidend sind. Außerdem werden Erfahrungen im interkulturellen und interreligiösen Dialog erworben und ausgetauscht. Die im Projekt zweimal jährlich vorgesehenen Vernetzungstreffen der beteiligten Standorte dienen der bundesweiten Vernetzung und dem Erfahrungsaustausch.

Mehr Informationen und die Dokumentation des TANDEM­Projekts auf http://www.tandem-vielfalt-gestalten.de/ oder auf dem aej­Infoportal unter http://www.evangelische-jugend.de/tandem-vielfalt-gestalten. Vgl. auch die Veröffentlichungen der aej zum TANDEM­Projekt unter www.evangelisches-infoportal.de/publikationen

Die interkulturelle Öffnung als Möglichkeit für Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund in der Gesellschaft zu partizipieren ist eine Herausforderung, auf die Jugendverbände wie die Evangelische Jugend eine Antwort finden müssen. Der Weg der Öffnung stellt einen Lernprozess mit Fort- und Rückschritten dar und bedarf ausreichender zeitlicher Ressourcen. Wie gut es gelingt, mit den Herausforderungen umzugehen, hängt auch von den Rahmenbedingungen ab, in denen sich Jugendverbände bewegen. Die Evangelische Jugend hat sich mit ihren bundesweiten Modellprojekten auf den Weg gemacht, diesen Prozess zu gestalten. Am Beispiel des TA N DEM -Projekts können erste positive Tendenzen festgehalten werden (vgl. Hunger 2013). Damit eine interkulturelle Öffnung gelingen kann, ist ein kontinuierliches und aktives Engagement unabdingbar. Auch die (Weiter-) Qualifikation von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden ist ein wichtiger Baustein in diesem Prozess. Die differenzierten Lebenswelten von Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen, eigene Stereotype immer wieder zu hinterfragen und den Jugendlichen den Raum zu lassen, ihre Interessen, ihre Probleme und Identitätsvorstellungen äußern zu können, erfordert ein hohes Maß an pädagogischer Kompetenz. Außerdem gilt es, Ausschlussmechanismen zu verringern, um gesellschaftliche Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund zu fördern. Hierfür müssen die in den Modellprojekten gesammelten Erfahrungen weitergegeben und das Bewusstsein für eine migrationssensible Jugendarbeit gestärkt werden. Denn die konkreten Ansätze an den beteiligten Standorten können in der breiten evangelischen Kinder- und Jugendarbeit nur wirksam werden, wenn die bisherigen Erkenntnisse im Verband diskutiert werden und die evangelischen Jugendverbände sich weiter dem Entwicklungsprozess der interkulturellen Öffnung auf allen Ebenen stellen, Partizipationsmöglichkeiten von Menschen unterschiedlicher Herkunft prüfen, und bereit sind, die eigenen Strukturen zu ändern und zu öffnen.

Literatur: Autorengruppe Berichterstattung (2010): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demographischen Wandel. Bielefeld. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2002): Elfter Kinder­ und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder­und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin. Täubig, Vicki (2012): Jugendarbeit. In: Deutsches Jugendinstitut (2012): Schulische und außerschulische Bildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Jugend­Migrationsreport. Ein Daten­ und Forschungsüberblick. München. 132–167. Hunger, Uwe (2013): Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Projekt »TANDEM­Vielfalt gestalten! Evangelische Jugend in Kooperation mit Migrantenorganisationen«. Münster. Wird in Kürze auf der TANDEM­Homepage veröffentlicht.

Simone Pleyer arbeitet bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) in der Projektleitung »TA NDEM – Vielfalt gestalten! Evangelische Jugend in Kooperation mit Migranten organisationen«.


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Kinder mischen mit Von Kinderrechte-Entdeckertouren zur Kinderbeteiligung Eva­Maria Reinwald

25 Jahre alt wird die UN-Kinderrechtskonvention (UNKRK) in diesem Jahr. Erstmals wurden in ihr Schutz-, Entwicklungs- und Beteiligungsrechte von Kindern völkerrechtlich vereint. Ein Meilenstein in der Geschichte der Menschenrechte feiert Geburtstag. Doch die wenigsten Kinder kennen ihre Rechte. Kinderrechte -Entdeckertouren sind eine mögliche Methode, das zu ändern.

Kinder als Rechtssubjekte Wurden Kinderrechte zunächst als Schutzpflichten für Erwachsene begriffen und Kinder mehr als Werdende denn als Seiende betrachtet (vgl. Maywald 2010, 9), so spiegelt sich in der UNKRK ein anderes Bild von Kindern in der Gesellschaft wider: Ja, Kinder sind in besonderer Weise schutzbedürftig.

Aber sie sind zugleich Subjekte, die sich mit ihrer sich wandelnden Umwelt auseinandersetzen, ihre individuellen Fähigkeiten entdecken und entfalten können und die ihr Umfeld mitgestalten. Sie werden als Akteure anerkannt, die mit zunehmender Entscheidungskompetenz am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und deren Meinungen und Wünsche »zu Recht« Gehör finden sollen. Informations- und Versammlungsfreiheit und ein Recht auf Mitbestimmung werden Kindern ebenso zugesichert wie etwa das Recht auf gewaltfreie Erziehung, Bildung oder freie Religionsausübung. Dieser partizipative Kerngedanke macht das Thema Kinderrechte besonders geeignet für eine politische Bildung mit Kindern, die diese ermutigen möchte, ihr Umfeld als gestaltbar wahrzunehmen, eigene Wünsche zu äußern und in gesellschaftspolitische Prozesse einzubringen.


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Kinderrechte in christlicher Perspektive Zugegeben, es waren nicht christliche Theologie und kirchliche Initiativen, die den Weg zum beschriebenen Perspektivwechsel ebneten, der Kinder und Jugendliche in ihrer Individualität, ihrem Anspruch auf eigenständige Entwicklung und ihren Freiheitsrechten in den Fokus stellte (Kreß 2004, 4). Zwar spielte die Kirche eine starke Rolle in Bemühungen um Fürsorge und Bildung von Kindern wie etwa der Etablierung von Waisenhäusern (Lutterbach 2002, 217–219); den Grundstein für die Schaffung eigener Kinderrechte legten jedoch die Philosophie der Aufklärung und Impulse aus der Pädagogik (Maywald 2010, 9 f.). In jüdischer und christlicher Tradition und dem Auftrag der Nachfolge Jesu finden sich allerdings zahlreiche Anknüpfungspunkte dafür, eigene Menschenrechte von Kindern zur Sprache zu bringen (Kreß 1999, 243): In alttestamentlicher Tradition wurden Kinder ausdrücklich als göttlicher Segen und Zeichen der Hoffnung verstanden. Bereits Kinder waren als Ebenbilder Gottes zu achten. Das Recht der Tora bricht dabei mit der Vorstellung, dass Kinder unter bestimmten Umständen durch die Eltern oder zugunsten der Eltern getötet werden dürfen. Das Leben der Kinder ist von gleicher Würde und Unantastbarkeit wie das der Eltern (Crüsemann 2002, 197). Wegweisend ist auch der Umgang Jesu mit den Kindern. Er ruft entgegen dem Protest seiner Jünger die Kinder zu sich, umarmt und segnet sie (Mk 10,13–16). Er wendet sich gegen eine Praxis des Ausschlusses von Kindern und sieht sie als Teil der Gemeinschaft. Als Reaktion auf ein Gespräch der Jünger, welcher von ihnen in seiner Nachfolgegemeinschaft höchsten Ranges sei, stellt er ein Kind in ihre Mitte (Mk 9,33–37 par). In der frühchristlichen Gemeinschaft sollte das hierarchische Verhältnis, welches Kinder niedriger einstuft als Erwachsene, nicht einfach fortgeschrieben werden. Die Berichte vom Umgang Jesu mit den Kindern können als ein Auftrag gelesen werden, die Parteilichkeit Gottes gegenüber den Kleinen der Gesellschaft umzusetzen (Eltrop 2002, 95). Christliche Gemeindearbeit ist daher aufgefordert, die Situation von Kindern sensibel wahrzunehmen, ihnen fürsorglich zu begegnen, sich für die Einhaltung ihrer Rechte einzusetzen und sie auch dazu zu befähigen, dies in der Mitte der Gemeinschaft auf ihre eigene Weise selbst zu tun.

Zu jung für politische Bildung und Beteiligung? Aber besitzen Kinder überhaupt die Fähigkeit, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen, und überfordern wir sie nicht, wenn wir ihnen Möglichkeiten bieten, sich zu beteiligen? Verschiedene Stu-

dien weisen darauf hin, dass Kinder grundlegende Machtzusammenhänge verstehen können, in ersten Ausprägungen ein demokratisches Bewusstsein besitzen und sich für wesentliche politische Fragen interessieren (Van Deth 2012, 55–57; Ohlmeier 2012, 258). Etwa ab einen Alter von acht Jahren sind sie zu formalem Denken fähig und können sich in ein Konzept wie das der Kinderrechte hineindenken. Umfragen unter 9- bis 14-jährigen Kindern zeigen jedoch: Den meisten Kindern sind ihre Rechte gar nicht bekannt. Zudem wünschen sich zwei Drittel mehr Beteiligung an Entscheidungen, die ihre Umgebung betreffen (LBS-Kinderbarometer 2013). Erfahrungen in Beteiligungsprojekten zeigen, dass Kinder sehr wohl kompetente Hinweise geben und wichtige Vorschläge machen können, sofern eine Form der Beteiligung gefunden wird, die den Bedürfnissen der Altersstufe entspricht, und sofern ein angstfreies und förderndes Gesprächsklima gegeben ist (Güthoff 2001, 203). Damit Kinder ihre Rechte aktiv wahrnehmen können, reichen bloße Kenntnisse meist nicht aus. Kinder brauchen konkrete Erfahrungen und persönliche Begegnungen in ihrem Lebensumfeld, die sie dazu ermutigen, für ihre Rechte einzustehen. Mit dem Ziel, derartige Erfahrungen zu ermöglichen, wurden im Rahmen des Modellprojektes »In Bewegung. Politische Jugendbildung in Mitteldeutschland« sogenannte Kinderrechte-Entdeckertouren entwickelt und mit verschiedenen Gruppen an verschiedenen Orten erprobt.

Kinderrechte-Entdeckertouren Die Idee: Zu verschiedenen, selbst gewählten Schwerpunktthemen der UN-Kinderrechtskonvention erleben die Kinder persönliche Begegnungen mit Menschen und Einrichtungen in ihrer Stadt. • konkrete Erfahrungen in ihrem Lebensumfeld • Aufgaben zum Hinschauen und Dokumentieren sowie • Anregungen zum Nachdenken über soziale Hintergründe der Gewährleistung oder Missachtung ihrer Rechte Gemäß den Kernthemen Schutz und Fürsorge, Förderung, Beteiligung und Inklusion können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Touren »Kinder sollen keine Not leiden«, »Kinder sollen ihre Stärken kennenlernen«, »Kinder dürfen mitreden« oder »Zusammenleben in Vielfalt« einwählen. Die einzelnen Gruppen erhalten dabei Tour-Anleitungen, mit denen sie sich Inhalte eigenständig erschließen und ihr Vorgehen selbständig planen können. Ein Erwachsener begleitet die Gruppe und steht für Rückfragen zur Verfügung.


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Auf geht’s zu den Entdeckertouren An verschiedenen Punkten der Stadt warten zuvor eingeweihte Personen des städtischen Lebens auf die Kinder. Die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle erläutert einer Gruppe, wie Kinder in familiäre Notsituationen geraten können und durch welche Angebote sie in diesem Fall Hilfe erhalten. Eine andere Gruppe besucht den Weltladen und erfährt, wie durch fairen Handel das Recht von Kindern auf Schutz vor Kinderarbeit gestärkt werden kann. Eine weitere macht im Landkreisbüro von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch, indem sie eine Demonstration »probe-anmeldet«. Wieder andere Kinder überlegen gemeinsam mit einer Ordensschwester, wie es Kindern geht, die aufgrund ihrer Besonderheiten wie der religiösen Zugehörigkeit benachteiligt oder ausgegrenzt werden. Die Gruppen bewältigen praktische und teils ungewöhnliche Aufgaben: Sie erforschen, wie viel Geld ein Kind braucht, um eine Pausenbrotbox gesund zu füllen. Sie erträumen sich eine Schule, in der alle

Kinder ihre Stärken entfalten können. Sie erstellen ein Flugblatt zu einem Kinderrecht, das ihnen besonders wichtig ist. Oder sie erproben mit einem Rollstuhl das Fortkommen auf dem gepflasterten Marktplatz und den Straßen der Innenstadt. Die Kinder werden angeregt, ihr Lebensumfeld sensibel wahrzunehmen und ihre Beobachtungen mit Fotos zu dokumentieren: Wo in der Stadt haben Kinder die Möglichkeit, sich zu bewegen, und wo mangelt es daran? Wo können sie außerhalb der Schule etwas lernen? Wo können sich Kinder Informationen beschaffen? Wo werden sie gut gesehen und gehört, wenn sie ihre Meinung öffentlich kundtun möchten, und wo stoßen Kinder mit Behinderung auf unüberwindbare Hindernisse?

Erfahrungen bei den Touren Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Kinder eine sehr hohe Bereitschaft mitbringen, sich auf Gespräche einzulassen, und dabei eine Fülle von eige-


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nen Fragen mitbringen, die sie auch nach den Touren noch beschäftigen. So berührten viele Kinder die oft verzwickten Entscheidungssituationen, in denen sich Kinder befi nden, deren Eltern sich gerade trennen. Sie zeigten große Empathie für die Lebenssituation arbeitender Kinder in fernen Ländern. Und das bedrückende Gefühl, das durch Ausgrenzung entsteht, war ihnen aus eigenen Erfahrungen gut bekannt. Aus den gesammelten Erfahrungen, Beobachtungen und Kleingruppengesprächen ziehen die Kinder ganz unterschiedliche Erkenntnisse. So hielt eine Gruppe fest, dass Kinder mehr anregende und nicht durch Verkehr behinderte Freiflächen brauchen, um außerhalb der Schule in der Natur etwas zu lernen, und sie fotografierten sich gegenseitig, weil Kinder ihrer Erfahrung nach vor allem voneinander lernen und hierfür vielfältige Gelegenheiten brauchen. Eine andere Gruppe stellte fest, dass zentrale Einrichtungen wie eine Zahnarztpraxis mit dem Rollstuhl nicht zugänglich sind und dass gehbehinderte Kinder dort, wo sie durch eigene Kraft nicht weiterkommen, ein hohes Maß an Vertrauen in die Person brauchen, die sie unterstützt.

Von den Kinderrechten zur Kinderbeteiligung Aus derartigen Beobachtungen können sich Wünsche für eine kindergerechtere Stadt entwickeln, so dass die Touren auch Anstoß zu Projekten kommunaler Beteiligung geben können. So geschehen etwa bei unserer im Sommer 2011 durchgeführten Kinderakademie »Wir haben Rechte«. In Vorabsprachen mit der Stadt hatten wir vereinbart, dass diese sich verpflichtet, während des Angebots entstehende Wünsche und Forderungen der Kinder zumindest wohlwollend zu prüfen. Die Kinder hielten ihre Wünsche in einem Buch fest und beschlossen, die während einer Entdeckertour angemeldete Demo auch tatsächlich durchzuführen. Mit dem unüberhörbaren Ruf »Rechte haben wir!« zogen sie am Weltkindertag durch die Stadt und übergaben dem Bürgermeister ihr Ideenbuch. Der nahm’s dankend an und berichtete den Kindern ein halbes Jahr später, welche Wünsche erfüllt werden konnten und warum andere Ideen sich nicht realisieren ließen.

Einer der Zukunftswünsche wurde dabei schon nach wenigen Wochen Wirklichkeit: Die Kinder konnten mit Erfolg durchsetzen, dass das Internet in der Stadtbibliothek kostenfrei genutzt werden kann und so das Recht auf Information in Zukunft auch für jene Kinder gesichert ist, die zuhause nicht über eine Internetverbindung verfügen. Bei einem Projekt mit Kindern aus Mühlanger teilten die Kinder dem Ortsbürgermeister mit, dass ein Fußgängerüberweg zum Hort für die Sicherheit der Kinder wichtig sei, und sie setzten sich für mehr Kindersachbücher in der örtlichen Bücherei ein.

Entdeckertouren zum Nachmachen?

Die Materialien zu den Touren stehen zum Download auf www.junge-akademie-wittenberg.de/kinderrechte zur Verfügung. Sie lassen sich an andere örtliche Begebenheiten anpassen. Auch Cachebeschreibungen für ein Geocaching zu den Kinderrechten, das an die eigene Stadt angepasst werden kann, sind hier zu finden. Vielleicht geben auch nur einzelne Elemente Anregungen für die eigene Umsetzung. Eine breite Sammlung von Gruppenübungen zu den Kinderrechten fi ndet sich darüber hinaus auf http://www.compasito-zmrb.ch.

Eva-Maria Reinwald ist Studienleiterin für gesellschaftspolitische Jugendbildung an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e. V. in Lutherstadt Wittenberg.

Literatur: Crüsemann, Frank (2002): Gott als Anwalt der Kinder!? Zur Frage von Kinderrechten in der Bibel. in: Jahrbuch für Biblische Theologie Bd. 17 (2002), 183–197. Eltrop, Bettina (2002): Kinder im Neuen Testament. Eine sozialgeschichtliche Nachfrage. in: Jahrbuch für Biblische Theologie Bd. 17 (2002), 83–96. Güthoff, Friedhelm (2001): Den Kindern ihre Rechte. Strukturelle Ansätze einer Partizipation von Kindern und Jugendlichen. in: Güthoff, Friedhelm/Sünker, Heinz (Hrsg.), Handbuch Kinderrechte. Partizipation, Kinderpolitik, Kinderkultur, Münster 2001, 201–207.

Kreß, Hartmut (1999): Kinderrechte als Menschenrechte. Die UN­Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 in ihrem völkerrechtlichen und ethischen Gehalt heute. in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), 242–246.

Ohlmeier, Bernhard (2010): Möglichkeiten der Entdeckung von Demokratie bei Kindern. in: Lange, Dirk/Himmelmann, Gerhard (Hrsg.), Demokratiedidaktik, Impulse für die politische Bildung, Wiesbaden (2012), 258–273.

LBS­Kinderbarometer (2013): Kinder an die Macht! Wunsch nach Mitbestimmung ist groß. Artikel vom 26.08.2013 auf: http://www.lbs.de/ht/presse/ initiativen/kinderbarometer/kinderandiemacht.

Van Deth, Jan W. (2012): Kinder und Demokratie: Eine unterschätze Beziehung. in: Lange, Dirk/Himmelmann, Gerhard (Hrsg.): Demokratiedidaktik, Impulse für die Politische Bildung, Wiesbaden, 55–69.

Maywald, Jörg (2010): UN­Kinderrechtskonvention: Bilanz und Ausblick. in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 38 (2010), 8–15.


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Hand in Hand

Kita ohne Rassismus

Weiterbildungen und eine Kampagne für demokratische Wertebildung in der Kindertagesstätte Daniel Brandhoff und Christof Starke

Das Bundesmodellprojekt »Hand in Hand. Kita ohne Rassismus« (2007–2010) Inhaltlicher Schwerpunkt des Modellprojektes war die Entwicklung neuer spezifischer Methoden und Ansätze für die frühkindliche Bildungsarbeit in den Bereichen Demokratieförderung, Wertevermittlung und Vielfalt als eine Präventionsstrategie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das Modellprojekt gliederte sich in drei Projektsäulen: die Qualifizierung von Erzieherinnen, ein Elternprojekt und eine Kampagne. Säulenübergreifend regte das Modellprojekt dazu an, in einen offenen und öffentlichen Dialog zu treten über die Möglichkeiten und Risiken der politischen Bildung und dabei vor allem über die Chancen der Prävention von menschenverachtenden Einstellungsmustern innerhalb der frühkindlichen Bildung zu diskutieren. In der ersten Projektsäule wurden in Zusammenarbeit mit drei Modellkindertagesstätten Bausteine für eine Bildungsarbeit entwickelt, die bei Erzieherinnen, Eltern und Kindern den bewussten Umgang mit Werten erhöht, demokratische Verhaltensweisen fördert und Vielfalt alltäglich macht. Die

Konzeptentwicklung geschah auf Basis der Auseinandersetzung mit der Fachdebatte zu Ursachen und Bedingungen von Rechtsextremismus sowie anhand der Fragestellung, welche Rahmenbedingungen und pädagogische Arbeit in der Kindertagesstätte erfolgreich zur Stärkung der Kinder in ihren demokratischen, sozialen und wertebezogenen Kompetenzen führen können. Die Mitarbeitenden des Modellprojektes begleiteten Erzieherinnen und Eltern aus den Modellkindertagesstätten, führten Beobachtungen in Kindergruppen durch, nahmen an Dienstberatungen und an Elternnachmittagen/-abenden in Kindertagesstätten teil und suchten den ständigen Austausch über die Anforderungen an Bildungs- und Erziehungsarbeit in Kindertagesstätten. Der enge Kontakt zwischen Kindertagesstätte und Projekt sicherte den Einbezug der Hauptzielgruppe, der Erzieherinnen, über die gesamte Projektlaufzeit. Rückmeldungen zu entwickelten und erprobten Methoden und Fortbildungen konnten so zeitnah gegeben und die Adaption in den Arbeitsalltag umfassend begleitet werden. Die als Ergebnis entstanden fünf Fortbildungsmodule haben sich über

Von 2007 bis 2010 wurde ein Modellprojekt zur politischen Bildung in der Kindertagesstätte durchgeführt. Dabei wurden Ideen, Konzepte und Weiterbildungsangebote entwickelt, wie mit gesellschaftlichen Problemen – insbesondere von Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit – schon in der Kindertagesstätte präventiv gearbeitet werden kann.


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die Projektlaufzeit hinaus etabliert. Die Inhalte und methodischen Anregungen wurden für die weitere Verbreitung in einem Handbuch für Erzieherinnen zur Werte-, Demokratie- und Vielfaltförderung dokumentiert.

Die Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und Erzieherinnen zu stärken und Partizipationsmöglichkeiten für Eltern in den Kindertagesstätten zu erhöhen, war Anliegen der zweiten Säule des Modellprojektes. Die Grundlage bildete dabei die qualif izierte und engagierte Auseinandersetzung der Eltern mit den Begriffen: Wert, Demokratie, Vielfalt u n d S e l b s t w i rk-

samkeit. Methodisch wurden die Eltern in die Themen des Modellprojektes eingeführt und gemeinsam mit ihnen wurde ein Seminarkonzept unter Nutzung des Bilderbuchs Irgendwie Anders von Kathryn Cave und Chris Riddell entwickelt. Die ehrenamtlich agierenden Elterngruppen führten dann dieses Bildungsangebot für Vorschulkinder selbständig in Einrichtungen durch. Das dritte Teilprojekt, die Kampagne, richtete sich an alle Kitas in Sachsen-Anhalt. Im Herbst der Projektjahre 2008 und 2009 waren diese aufgerufen, sich an der jeweils einjährigen Kampagnenausschreibung zu beteiligen. Ziel dabei war ein gemeinsames Bekenntnis von Erzieherinnen, Eltern und Trägern zur Förderung von Werten, Demokratie, Vielfalt und Selbstwirksamkeit bei gleichzeitiger Abgrenzung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie die Umsetzung des Bekenntnisses an drei konkreten Vorhaben zur Präventionsarbeit und Förderung von Vielfalt und im zweiten Jahr zum Thema Demokratie. Alle beteiligten Einrichtungen wurden mit einer Anerkennungsurkunde geehrt. Unter den im Rahmen der jeweiligen Umsetzung entstandenen Dokumentationen wurde die beispielhafteste weiter verbreitet. Das Grundkonzept der Kampagne und die gemachten Erfahrungen sind dokumentiert und liegen zur Nachahmung oder Weiterentwicklung als Ergebnis für alle interessierten Träger vor.

Beraten und gesteuert wurde das Projekt durch einen Projektbeirat, die sogenannte Expertengruppe. Diese legte die inhaltlichen Schwerpunkte und Standards der Projektarbeit fest, unterstützte das Projekt bei der Netzwerk- und Gremienarbeit und sicherte die Balance zwischen einem theoretischwissenschaftlichen Hintergrund und der praktischen Umsetzung. Gelingen konnte dies aufgrund der ausgewogenen Zusammensetzung der Expertengruppe aus Erzieherinnen und Erziehern der Modellkindertagesstätten, Trägern von Kindertagesstätten, Fachberatern, Bildungsreferenten der politischen Bildung, Förderern und Projektmitarbeitenden. Kooperationspartner des Modellprojektes waren der Eigenbetrieb Kindertagesstätten der Stadt Halle (Saale), das Miteinander-Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e. V., die Franckeschen Stiftungen zu Halle, das Amt für Kinder, Jugend und Soziales der Stadt Halle (Saale) und die Beauftragte für Integration und Migration der Stadt Halle (Saale). Das Modellprojekt wurde gefördert im Rahmen des Bundesprogramms »Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, vom Land Sachsen-Anhalt, der Stadt Halle (Saale), der Heidehof Stiftung, von die Gesellschafter.de und der Stiftung Mitarbeit.


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PRAXISFeLDeR

Kontakt: Friedenskreis Halle e. V. Große Klausstraße 11 06108 Halle/Saale Tel. 03 45–27 98 07 10 friedensbildung@friedenskreis­halle.de http://www.friedenskreis­halle.de/kita/

Die Fortbildungen für erzieherinnen heute Die im Rahmen des Modellprojekts entwickelten Fortbildungsmodule werden auch über die Modellprojektphase hinaus angeboten und nachgefragt. Wir arbeiten unter dem Titel Demokratie leben. Demokratische Spielregeln im Kita-Alltag zur Fragestellung, wie gelebte Demokratie in der Kita praktiziert werden kann. Beim Fortbildungsangebot Vielfalt annehmen. Eine Herausforderung im Kita-Alltag bieten wir die Möglichkeit, die eigene Arbeit mit ihren spezifischen Herausforderungen zu reflektieren und neue Impulse, Anregungen und Tipps im Umgang mit Vielfalt zu bekommen. Werte erziehen. Eine »Wert-Schätzung« im Kita-Alltag verfolgt das Ziel, Erzieherinnen dabei zu unterstützen, sich zentrale Werte bewusst zu machen, diese aktiv zu hinterfragen, um zielgerichtet einen – im wahrsten Sinn des Wortes – wert-vollen Kita-Alltag zu gestalten. Wir wollen mit unserem Angebot (Inter)kulturelle Kompetenzen in Kindertagesstätten dazu ermutigen, das Leben in kultureller Vielfalt als etwas Alltägliches zu erkennen und Neugier und Offenheit für Fremdes, Anderes und Unbekanntes zu wecken. Unser fünftes Angebot dreht sich um den Umgang mit Konflikten. In Konfli kte bearbeiten. Eine zentrale Aufgabe von Erzieherinnen geht es um die bewusste Auseinandersetzung mit Konflikten und

darum, Impulse zu vermitteln, wie Kinder in Konflikten aktiv und selbstwirksam begleitet werden können. In diesem Jahr ist ein weiteres Fortbildungsangebot zum Thema Sprachliche Vielfalt hinzugekommen. Zu allen Weiterbildungsangeboten gibt es einen Pool von qualifizierten und praxiserfahrenen Trainern. Unsere Fortbildungen sind handlungs- und prozessorientiert gestaltet, wir verwenden teilnehmer orientierte und partizipative Seminarmethoden und benötigen pro Thema einen Tag (8 Unterrrichtsstunden). Über die regelmäßige Ausschreibung von Bildungsangeboten für Erzieherinnen und Erzieher im Rahmen des Bildungsprogramms des Friedenskreises Halle e. V. sind alle Module auch als inhouse-Fortbildungen für Einrichtungsoder Trägerteams buchbar. Das Handbuch für Erzieherinnen zur Werte-, Demokratie- und Vielfaltförderung kann in zweiter Auflage beim Friedenskreis Halle e. V. gegen eine Schutzgebühr bezogen und als PDF-Dokument auf der Projektseite www.friedenskreishalle.de/kita/ eingesehen werden. Unsere Kindertagesstätten bieten viel Potenzial im Bereich Wertebildung. Wir haben in den vergangenen Jahren unserer Projektarbeit sehr engagierte Pädagogen sowie Einrichtungsträger der frühkindlichen Bildung kennengelernt. Gemeinsam haben wir die Chance und Herausforderung ergriffen, in der Kita demokratisch zu denken, zu handeln

und zu bilden. Wir möchten gemeinsam mit Ihnen Ihre Kita zu einem Ort gestalten, an dem Demokratie und Vielfalt gefördert und gelebt werden.

Daniel Brandhoff ist Koordinator für Friedensbildungsarbeit beim Friedens kreis Halle e. V.

Christof Starke ist Geschäftsführer beim Friedenskreis Halle e. V.

Literatur: Cave, Kathryn/Riddell, Chris (1994): Irgendwie Anders. Hamburg. Friedenskreis Halle e. V. (Hg.) (2010): Handbuch für Erzieherinnen zur Werte­, und Demokratie­ und Vielfaltförderung. Anregungen für die Arbeit in Kindertagesstätten. Halle/Saale.


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Interkulturelle Kinderakademien in der Evangelischen Akademie Loccum Petra Steinberg­Peter

Die Loccumer Kinderakademie stellt in der Evangelischen Akademie Loccum seit dem Jahr 2002 einen eigenständigen Arbeitsbereich dar. Mit einem Bildungsangebot, dessen übergeordnetes Ziel es ist, Teilhabe und Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen zu fördern, wird die Evangelische Akademie ihrem Anspruch gerecht, Kinder als Teil der Gesellschaft wahr- und ernst zu nehmen. Die integenerationell ausgerichteten Angebote decken ein breites thematisches Spektrum ab und sind von Beginn an von K indern und ihren Eltern, Großeltern, Patinnen und Paten mit großem Interesse angenommen worden – allerdings nur zu einem ver-

schwindend geringen Prozentsatz von Migrantinnen und Migranten. Das deckt sich nicht mit der gesellschaftlichen Realität, denn Deutschland hat sich seit 1955 mehr und mehr zu einem Zuwanderungsland entwickelt. Daher wurde 2005 ein erster Versuch unternommen, gezielt eine interkulturelle Kinderakademie anzubieten und zum ersten Mal nicht das Thema, sondern die Zielgruppe in den Fokus zu stellen. Im Vorfeld war es wichtig, zu realisieren, dass die Mehrzahl der Kinder unter den Migranten bei aller Unterschiedlichkeit der Migrationshintergründe bereits mindestens seit ihrer Grundschulzeit in Deutschland lebt; über 50 Prozent der Kinder sind bereits hier geboren. Dies hat Konsequenzen für die Entwicklung

der Kulturen der Migranten ebenso wie für die der deutschstämmigen Bevölkerung: Kulturen sind nicht mehr unterscheidbar in homogene, separierte Welten, sondern durchdringen und überlappen einander, so dass »Fremdes« und »Eigenes« sich längst vermischt haben. Eine interkulturelle – oder besser transkulturelle – Kinderakademie, die diesen gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht werden will, muss sich also von dem Konzept des Entweder-Oder verabschieden und den Blick auf einen neuen, dritten Ort richten, an dem die verschiedensten Modelle der Identitätsbildung verknüpft und verhandelt werden können. Dabei sollen die Elemente der Herkunftskulturen nicht aufgegeben, sondern kreativ eingetragen werden.


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PRAXISFeLDeR

Die Planung: Auf den Anfang kommt es an … Soweit die Theorie. Wie aber lassen sich diese Erkenntnisse, wie sie zum Beispiel von dem Erziehungswissenschaftler und Migrationspädagogen Paul Mecheril formuliert werden, in die Praxis einer Kinderakademie übersetzen? Nach einem ersten gescheiterten Versuch gelangten wir zu der eigentlich banalen Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund eine gleichberechtigte Partnerschaft bereits in der Planung voraussetzt. Als Konsequenz daraus stellten wir den intensiven Kontakt zu einem Verein für interkulturelle Kommunikation sowie Migrations- und Flüchtlingsarbeit, der mit Menschen aus über 20 Herkunftskulturen vernetzt ist, auf eine neue Basis, indem wir ihn zum offiziellen Kooperationspartner machten. Die Zusammenarbeit mit diesem Verein ist von Beginn an für beide Seiten als äußerst konstruktiv erlebt worden – nicht nur aufgrund der Erfolge, sondern vielleicht mehr noch wegen problematischer Situationen und Krisen, die in der Durchführung der Kinderakademien auftraten. Vier gemeinsame Veranstaltungen fanden bisher statt, weitere sind geplant, mittlerweile auch mit anderen Migrantenorganisationen. Im Folgenden wird im Wesentlichen auf die erste dieser gemeinsamen interkulturellen Kinderakademien eingegangen, da sich durch sie sowohl die Entwicklung des Konzepts als auch die typischen Erscheinungsformen exemplarisch aufzeigen lassen. Die Zusammenarbeit mit unserem Kooperationspartner war zunächst auf vielen Ebenen von Vorsicht und Unsicherheit geprägt. Beide Parteien betraten in je unterschiedlichen Bereichen Neuland, beide befürchteten, die Anliegen der anderen nicht genügend in den Blick zu nehmen. Mit zunehmender Vertrautheit wuchs jedoch der Mut zu wechselseitiger Offenheit und zu einem Pragmatismus, der in anderen Kontexten von Beginn an selbstverständlich gewesen wäre. Während die Akademie im Wesentlichen für Veranstaltungsdidaktik und -methodik sowie für alle formalen und organisatorischen Belange die Verantwortung übernahm, war es Aufgabe des Kooperationspartners, den Großteil des interkulturell besetzten ReferentenTeams zu eruieren und Teilnehmende aus nicht-deutschen Herkunftskulturen zu akquirieren.

Für eine erfolgreiche Anwerbung war jedoch zunächst eine formale Voraussetzung notwendige Bedingung: eine erhebliche Reduzierung der Teilnahmegebühr, denn die Migranten, mit denen der Kooperationspartner zu tun hat, leben nahezu ausnahmslos in ungesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen. Also mussten von unserer Seite besondere Anstrengungen bei der Drittmittelakquise unternommen werden. Da für viele Teilnehmende aus nichtdeutschen Herkunftskulturen ein konfessionelles Haus eine erhebliche Hürde darstellen kann, mussten neben der Schaffung der finanziellen Rahmenbedingungen im Programm weitere Signale gesetzt werden, um den Brückenschlag zu den Migranten herzustellen: ➥ Das Programm wurde in drei Sprachen verfasst, neben Deutsch auch in Russisch und Farsi. Die Aufnahme der mehrheitlichen Herkunftssprachen als Zeichen des Willkommen-Seins wurde von unserem Kooperationspartner eindringlich empfohlen, bei gleichzeitiger Betonung, dass die Verkehrssprache selbstverständlich Deutsch sein müsse. ➥ Die Referenten repräsentierten bereits durch ihre ethnische oder kulturelle Herkunft die Interkulturalität des Programms. ➥ Das vorgesehene Kontingent für die Teilnehmenden aus nicht-deutschen Herkunftsländern entsprach dem der deutschen.

➥ Das Thema der Kinderakademie wurde so gewählt, dass es sowohl einladenden Charakter hatte als auch von der Anlage methodisch-didaktisch viele Möglichkeiten eröffnete – mit anderen Worten, wenig konturiert war. Dazu wurde ein niederschwelliges, offen formuliertes Thema gewählt, das Begegnungen und Austausch über vielfältige Identitätsbezüge jenseits von kulturellen Zuschreibungen von Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen ohne Migrationshintergrund ermöglichte. Hier bot sich an, an eine Idee anzuknüpfen, die seit Jahren das Thema einer vom Kooperationspartner geleiteten »Denkwerkstatt« darstellt: das sogenannte »Welthaus«. Das Konzept zielt auf einen repräsentativen Begegnungs-, Veranstaltungs- und Beratungsort, der kulturelle Vielfalt als Potenzial und Normalität in der Gesellschaft verankert. Die Utopie eines Hauses, das für Menschen aller Kulturen und Religionen, jeglicher Individualität offensteht, wurde kindgerecht übersetzt und in unterschiedlichen kreativen Formen angeboten. Unter dem Titel »Die ganze Welt in einem Haus« wurde die Idee methodisch vielfältig entwickelt, insbesondere in einer Tanz-, einer Musik- und einer Malwerkstatt. Das wichtigste Kriterium, das schnell zu zahlreichen A nmeldungen führte, war aber dies: Alle Migranten wurden über unseren Kooperationspartner durch persönliche Ansprache beworben.


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Vorstellungen. Hier sind die verschiedenen Haltungen sicher nicht unwesentlich auf den Umstand zurückzuführen, dass die Migranten zum ersten Mal an einer Kinderakademie teilnahmen, während alle Deutschen mindestens einmal zuvor an einer Kinderakademie teilgenommen hatten.

Die Durchführung: Begegnungen, Vermischungen, irritationen Geplant war diese Kinderakademie für 40 Personen, durchgeführt wurde sie mit 73 Teilnehmenden. Das Alter der Kinder sollte nach der Planung zwischen fünf und zwölf Jahren liegen, tatsächlich lag es zwischen vier und 15 Jahren! Die 30 Migranten entstammten neun verschiedenen Herkunftskulturen. So weit die erfreuliche Statistik. Nun zum Verlauf der Tagung, zu den Erwartungen, Einschätzungen und Reaktionen: Zunächst war wichtig, den Teilnehmenden das Gefühl von Fremdheit zu nehmen, indem sie ausführlich mit dem Tagungsort vertraut gemacht wurden. Dazu wurden die Familien in »Karawanen« durch die Tagungshäuser geführt und mit den Räumlichkeiten und Gegebenheiten sowie mit den Angeboten, einer Trommel-, einer Ausdruckstanz- und einer Malwerkstatt, bekannt gemacht. Im nächsten Schritt ging es um »das Eigene«: Die Teilnehmenden waren von uns im Vorlauf der Tagung gebeten worden, etwas von zuhause mitzubringen, das sie im Plenum vorstellen könnten (zum Beispiel ein Lied, ein Gedicht, einen Tanz, einen Gegenstand). Den Mut, etwas öffentlich zu präsentieren, fanden zunächst ausschließlich Kinder mit Migrationshintergrund. Die Darstellungen fanden jedoch so großen Anklang, dass sich immer mehr Kinder ermutigt fühlten. Diese Form des gegenseitigen Kennenlernens führte jedoch noch nicht dazu, dass sich die Erwachsenen aus verschiedenen Gruppierungen mischten. Dies geschah dann in den Gruppenangeboten in einer Weise, die sich leider nur unzureichend beschreiben lässt. Von den Jüngsten bis zu den Ältesten fanden sich hier Menschen mit unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Hintergründen, um gemeinsam zu tanzen, zu musizieren, zu malen. Die Gruppenarbeitsphasen in den Kreativ-Workshops deckten offenbar in ihrem methodischen Spektrum und ihrer didaktischen Vermittlung die Erwartungen aller Teilnehmenden ab. Dieses positive Ergebnis ist zu einem erheblichen Teil den ausnahmslos »einschlägig« erfahrenen Referentinnen und Referenten zu verdanken. Ihre Professionalität wurde insbesondere deutlich in der scheinbar lässigen Bewältigung der Herausforderungen, die durch die gro-

Die Folgen: Zweiter, dritter, vierter Versuch – viel gelernt, nie genug

ße Vielfalt, insbesondere die riesige Altersspanne unter den Kindern, entstand. Starke Unterstützung erfuhren die Referenten durch die Begleitung von Mitgliedern aus dem Leitungsteam: Je eine Person vom Kooperationspartner oder der Akademie war in je einer Gruppe vertreten. Sie konnte auf allen Ebenen die nötige Vermittlung leisten. Allerdings sind nicht alle Begegnungen und Annäherungsversuche geglückt: ➦ Von deutscher Seite wurde tendenziell die Erwartungshaltung deutlich, dass die Migranten von »ihrer« Kultur berichten bzw. etwas präsentieren, während die Mehrheitsgesellschaft der Deutschen sich auf das Zuhören bzw. Zuschauen verlegen wollte. Das führte auf beiden Seiten zu Enttäuschungen. ➦ Der Umgang mit Zeit war ganz offensichtlich kulturell unterschiedlich geprägt: Während die Mehrheit der Teilnehmenden mit nicht-deutschen Herkunftskulturen es mit Beginn und Ende der im Programm gesetzten Uhrzeiten weniger genau nahm, legte die Mehrheit der deutschen Teilnehmenden Wert auf deren exakte Einhaltung – und insbesondere auf das pünktliche Einhalten der Nachtruhe für die Kinder. Hier zeigten sich die Frustrationen am deutlichsten, sie wurden aber nur selten offen angesprochen. ➦ Die Erwartungshaltungen gegenüber dem Programm waren sehr unterschiedlich: Während die Migranten keine konkreten Vorstellungen damit verbanden und grundsätzlich offen für die Angebote waren, hatte die Mehrheit der deutschen Teilnehmenden genaue

Auf die erste interkulturelle Kinderakademie folgten im Abstand von je eineinhalb Jahren drei weitere – die eine überraschend homogen, woraufhin die folgende thematisch ambitionierter und enger geführt war und prompt zu erheblichen Problemen in der oben geschilderten Weise führten. Als Konsequenz daraus kamen wir wieder auf unsere Eingangskonzept zurück: Thema, methodische Ansätze und zeitliche Struktur wurden so gewählt, dass viel Raum gegeben wurde für Begegnungen, Vermischungen – und auch für Konflikte. Denn dem Erziehungswissenschaftler und interkulturellen Pädagogen Paul Mecheril folgend, ist eine erfolgreiche Tagung nicht die, in der es keine Konfl ikte gibt, sondern die, in der die Konflikte offen ausgetragen werden. Wir arbeiten daran …

Petra Steinberg-Peter ist Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Loccum, einer Einrichtung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.


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PRAXISFeLDeR

Schubladen aufrei§ en und Begegnung erm�glichen (Inter-)Religiöse Bildung als politische Bildung – und umgekehrt: »LIKRAT – Jugend & Dialog« – ein jüdisches Jugendbildungsprojekt Maja Nizguretski

Die politische Bildung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland steht vor immensen Herausforderungen. In einer pluralistischen Gesellschaft mit einer hohen Anzahl von Menschen mit unterschiedlichen historischen und sozio-kulturellen Wurzeln und verschiedenen Religionen ist es für die demokratische Bundesrepublik notwendig, ein friedliches, tolerantes und vorurteilsfreies Miteinander zu fördern. Das Denken in Kategorien wie »Wir« und »Andere« und die bloße Duldung statt wahre Anerkennung widerspricht dabei der demokratischen Vorstellung unserer Gesellschaft (vgl. http://www.bpb.de/presse/50968/islam-politische-bildung-und-interreligioeses-lernen, 18.11.2013). Für den demokratischen politischen Diskurs einer Nation ist die Inklusion unterschiedlicher religiöser Überzeugungen erforderlich. Sie muss auf zwei Ebenen geschehen: zum einen als Anerkennung der anthropologischen Ebene, in der religiöse Überzeugungen als erlebte Handlungspraxis von Personengruppen verstanden wird, und zum anderen als Realisierung von Meinungsbeteiligung dieser Gruppen im politischen Prozess. Wenn man es also mit der Vermittlung politischer Kenntnisse zu tun hat, müssen zugleich Handlungspraxen von religiösen Minderheiten einbezogen und vermittelt sowie deren Selbst- und Meinungsbild einbezogen werden (vgl. Seibert 2009, 34). Im Widerspruch dazu steht die fortschreitende Verdrängung von Religion in die Privatsphäre, was dazu beiträgt, dass oftmals antisemitische oder antimuslimische Haltungen und Stereotype nicht reflektiert werden können, da sie häufig in der Familie tradiert werden. Ein wichtiger Bestandteil des Schulunterrichts, aber auch der außerschulischen Bildung, sollte es sein, interreligiöses Lernen zu ermöglichen. Auf den Islam als zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland, wie auch auf das Judentum, wird zu wenig bzw. wenig differenziert und nicht-ste-

reotypisierend eingegangen (vgl. http://lernen-ausder-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/9874, 19.11.2013). Es ist ein Perspektivenwechsel erforderlich, der die Selbstwahrnehmung der Religionen in den Mittelpunkt stellt und dennoch kontrastiert und kritisch betrachtet. Trotz kritischer Betrachtung sollte es möglich sein, eine Religion nach ihrer Binnensicht und nicht nach ihrer äußeren Zuschreibung zu beurteilen. Vor allem Gegenwartsfragen wird zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist das verallgemeinernde und stereotype Bild vorherrschend, dass alle Juden religiös seien, entsprechend gekleidet sind und in Deutschland nahezu »ausgestorben« sind. Dieses Manko haben Lehre, Lehrmaterialien und Medien zu verantworten, die die Themen Judentum und Holocaust mit entsprechend instrumentalisierten, stereotypen Bildern untermalen. Gerne wird im Religions- und Geschichtsunterricht über Menschen jüdischen Glaubens als von »den Juden« gesprochen, die sich grundlegend von »uns« unterscheiden, worin eine Differenzkonstruktion erkenntlich wird, die » (…) ›das Jüdische‹ als totale Identität« (Radvan 2010, 79) darstellt. Deutsche und Juden erscheinen als grundlegend unterschiedliche Gruppen, so dass Letztere lediglich den Status einer tolerierten Minderheit erreichen können, nicht jedoch als »ganz normale Gesellschaftsmitglieder« angesehen werden. Die Vorstellung, dass Juden primär und ganzheitlich durch ihre Religion definiert sind, und die Wahrnehmung, dass »›die Juden‹ ein in sich homogenes Kollektiv seien« (Scherr 2011, 5), führt zwangsläufig zu einer »prinzipiellen Fremdheit zwischen Nicht-Juden und Juden« (Scherr 2011, 5). Anders als in der schulischen Bildungsarbeit geht es beim Ansatz der Begegnungspädagogik vordergründig um die Herstellung von Kontakt zum Abbau von Stereotypen und Vorurteilen (vgl. Winkel-


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mann 2006, 23). Theoretisch fundiert diese Praxis auf der Kontakthypothese von Allport (Allport 1954, 78), die aus der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung stammt und dem Konzept der interkulturellen Pädagogik (Nohl 2006, 11) zuzuordnen ist. Bedingt durch geeignete Rahmenbedingungen wie der institutionellen Unterstützung, Statusgleichheit der Kontaktierenden und beidseitiger Kooperationsbereitschaft kann der Kontakt zwischen Juden und Nicht-Juden zur Reduktion von vorurteilsbehafteten Vorstellungen und Stereotypen dienen, da diese als Ergebnis übergeneralisierter Wahrnehmung angesehen und durch den Kontakt mit Vertretern dieser Gruppe überkommen werden können (Radvan 2010, 42).

L I K R AT – Jugend & Dialog LIK R AT – Jugend & Dialog (www.likrat.de) setzt

auf ebendiesen Kontakt in Form von Begegnungspädagogik. Das Projekt ermöglicht Begegnungen zwischen gleichaltrigen jüdischen und nicht-jüdischen Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren im Schulunterricht und in der freien Jugendarbeit. Durch die schulische Einbettung der Begegnung werden die institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen, durch den Peer-to-Peer-Ansatz Milieuunterschiede und Statusungleichheiten gemindert und durch die Vorbereitung und Einführung durch die Lehrkraft die Kooperationsbereitschaft erhöht. Außerdem werden die Begegnungen breit gestreut: Die Begegnungen finden sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gegenden statt, in Gymnasien als auch in Haupt- und Berufsschulen, in Schulen, in denen die überwiegende Zahl der Schülerschaft Migrationshintergrund besitzt, also dort wo der Politikberatungsjargon Problemgebiete verortet. Es wird Kontakt und Begegnung möglich, wo sonst keine Möglichkeit zu interkulturellem und -religiösem Austausch besteht. Die Initiatoren LIK RAT s haben das Projekt aus der Schweiz nach Deutschland gebracht, da sie auch hier den Mangel und Bedarf an interkulturellen und interreligiösen Bildungsansätzen in unserer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft erkannt haben. Um diesem Defizit im wahrsten Sinne des Wor-

tes zu begegnen, bildet LIK RAT – Jugend & Dialog seit 2007 jüdische Jugendliche zu Kulturvermittlern aus. LIK R AT inos/as, so heißen die jüdischen Jugendlichen, die an LIK RAT-Ausbildungsseminaren teilnehmen, werden zunächst zu Themen wie jüdische Religion und Tradition, Entstehung des Staates Israel und Nahostkonflikt, etc. geschult und in ihrer (jüdischen) Identität gestärkt. Lehrerinnen und Lehrer können LIK RAT inas und LIK RAT inos in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen in ihren Deutsch-, Geschichts-, oder Religionsunterricht einladen, um zusätzlich zur bloßen Wissensvermittlung über Juden und Judentum durch Kontakt ein gegenwartsbezogenes und lebendiges Bild des heutigen Judentums in Deutschland aufzuzeigen. Die Erfahrungen und Projektevaluation zeigen, dass durch die Begegnung Schubladen weit geöffnet und Gemeinsamkeiten gestärkt werden können. Dabei ist Toleranzerziehung von zentraler Wichtigkeit, denn so erlernen die Heranwachsenden einen toleranten Umgang mit »fremden« Kulturen und Religionen – was wiederum zu einem demokratischen Politikbewusstsein beiträgt.

Maja Nizguretski ist Soziologin aus Berlin und seit Oktober 2012 für das Projekt LIKRAT – Jugend & Dialog als Projektkoordinatorin tätig. Darüber hinaus promoviert Maja Nizguretski zum Thema »Jüdische Jugendliche in Deutschland: Identitäten aus der ehemaligen Sowjetunion stammender jüdischer Jugendlicher« an der Universität Siegen.

Literatur: Allport, G.W. (Hrsg.) (1954): The Nature of Prejudice. Reading: Massachusetts, 58–82. Ensinger, Tami (2013): Weltbild Antisemitismus. Didaktische und methodische Empfehlungen für die pädagogische Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Frankfurt/M.: Bildungsstätte Anne Frank, 21–40. Nohl, Arndt­Michael (2006): Konzepte Interkultureller Pädagogik. Eine systematische Einführung. Bad Heilbrunn.

Radvan, Heike (2010): Pädagogisches Handeln und Antisemitismus. Eine empirische Studie zu Beobachtungs­ und Interventionsformen in der offenen Jugendarbeit. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Kinkhardt, 42–57. Scherr, Prof. Dr. Albert (2011): Expertise. Verbreitung von Stereotypen über Juden und antisemitische Vorurteile in der evangelischen Kirche. http://bmi.bund.de/sharedDocs/ Downloads/DE/Themen/Politik_Gesellschaft/ EXpertenkreis_Antisemitismus/scherr. pdf?_blob=publicatioFile.

Seibert, Christoph (2009): Inklusion von Religion im politischen Diskurs. In: Werkner et al. Religion und Demokratie. Wiesbaden: VS Verlag, 29–52. Winkelmann, A. (2006): Internationale Jugendarbeit in der Einwanderungsgesellschaft. Schwalbach im Taunus. 10–35. http://www.bpb.de/presse/50968/islam­politische­ bildung­und­interreligioeses­lernen, Stand 19.11.2013. http://lernen­aus­der­geschichte.de/Lernen­und­ Lehren/content/9874, Stand 19.11.2013.


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PRAXISFeLDeR

Das Programm Politische Bildung und demokratische Erziehung in der Evangelischen Schulstiftung Erfurt hat die Auszeichnung des Bündnisses für Demokratie und Toleranz im »Aktiv­Wettbewerb« 2013 erhalten. Die Organisatoren stuften das Programm als »vorbildlich« ein.

Demokra tie Lernen in Der Schu Le Jürgen Junker

Die prägnanteste Definition von »Demokratie« hat Abraham Lincoln in seiner Gettysburg Adress 1863 geradezu prophetisch gegeben: »… government of the people, by the people, for the people …« (»… Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk …«). Dieser Satz entwickelte eine eigene Dynamik, da er Definition, Vision und Motivation in einem ist. Lincoln formulierte für die Zukunft: Demokratie ist eine immerwährende Aufgabe, die sich nicht nur im Aufbau demokratischer Institutionen der Politik im engeren Sinn und ihrer Regeln beim Fällen politischer Entscheidungen, sondern auch im demokratischen Zusammenleben der Gesellschaft äußert. Damit sind nicht nur gewählte, also demokratisch legitimierte Politiker Akteure von Demokratie, sondern potenziell alle: »Wir sind das Volk!« »Wir sind das Volk« – das gilt eben in gewisser Weise für Schülerinnen und Schüler an einem ihrer wichtigen Erfahrungsorte, der Schule. In welchem Sinn trifft das zu? Welche Dimension kann Demokratielernen an Schulen annehmen? Sind Schulen nicht gesellschaftliche Institutionen insofern, als sie das

Vermitteln von Bildungsabschlüssen, Lehr-, Lern- und Bewertungsplänen von außen, von Kultusministerien, gegeben bekommen und von Schülern abverlangen? Wo bleibt da Partizipation? Die Adaption des Lincoln-Satzes im Lern- und Lebensort Schule hat eine Reihe von Demokratiepädagogen angeregt, von John Dewey und George Herbert Mead bis Wolfgang Edelstein, Peter Fauser und Gerhard Himmelmann. Sie stand u. a. im Hintergrund des umfassenden Schulentwicklungsprogramms der Bund-Länder-Kommission von 2002–2007 »Demokratie lernen & leben«, das sich als ein Projekt zur Förderung von Lern- und Schulqualität insgesamt verstand. Gerhard Himmelmann hat Lincolns Trias mit Hilfe von Mead als »Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform« übersetzt. Im Kontext der schulischen Bildung kann diese Trias zu einer generationellen Zukunftsvision werden: Die nächste Generation soll jetzt in ihrer Schule Demokratie erfahren, lernen und reflektieren, sie als Erwachsene weiterentwickeln und ihrerseits an die kommende Generation weitergeben.

Was bedeutet dies für ein »Programm Politische Bildung« an Schulen allgemein und an evangelischen Schulen in Mitteldeutschland im Besonderen?

Schüler-Partizipation Bei der Schüler-Partizipation in der Klasse, der Lerngruppe und der Schule im Ganzen unterscheiden wir verfasste Institutionen, vor allem bestimmte Wahlämter wie Klassen-, Kurs- oder Schülersprecher und -vertreter in Schulgremien, also die »Gremienarbeit«, und traditionellere Formen der SchülerSelbstorganisation wie Schülerzeitung, Schülerfirma und Schülertheater oder die aktuellere Form des »Klassenrats« (in Freinet-Schulen ein Modell für die Selbstorganisation der »Schüler-Kooperative«), fakultative, kurzlebigere Formen des Mitgestaltens etwa in Form einer Schüler-AG, bei »Schüler helfen Schülern«, im »Diakonischen Lernen« oder in Projektarbeiten, die auf ein bestimmtes Produkt (u. a. in einem Schüler-Wettbewerb) oder einen Beitrag (zum Beispiel »Rhetorik-Beiträge«, musische Beiträge) abzielen, Mitarbeit am und im Unterricht selbst, durch Referat, Präsentation, Arbeit in einer AG und in Klein-


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Diskussion in der Evangelischen Akademie Neudietendorf Februar 2013,Thema: Toleranz

gruppen, Mitbestimmungen bei Themenauswahl oder -schwerpunktsetzung, oder beim Lernen »am anderen Lernort« außerhalb der Schule, und Mitarbeit bei Lerngruppenzielen und Projektplanung oder das Übernehmen von »Verantwortungen« in der Gruppe, wie sie auch bestimmte Formen des Klassenrats oder andere reformpädagogische Modelle umsetzen.

»Demokratischer Habitus« Die Frage des »Demokratischen Habitus«, der Haltung, gerät stärker in den Blickpunkt. Wie geht die oben ausgeführte Partizipation mit Umgangsformen und Werten in der Schule, der Lernenden untereinander und zwischen Lernenden und Lehrenden Hand in Hand? Wie kann der Einzelne Toleranz gegenüber den anderen Meinungen, das Umgehen mit Meinungsvielfalt, mit Fehlern, Problemen, Kontroversen und Konfl ikten in der Gruppe einüben und zugleich Intoleranz und menschenverachtendes Denken abwehren? Welche Lern- und Kommunikationsformen eignen sich hierzu? Diese Prozesse möchte das »Programm Politische Bildung und demokratische Erziehung« der Evangelischen Schulstiftung der EKM fördern, bereits bestehende Initiativen an evangelischen Schulen verbinden und Schülerdiskussionen, Meetings und Trainings für Lehrer und Schüler anregen. Dabei geht es u. a. darum, in Aktionen, Rollenspielen und im Gespräch Toleranz, Konfl iktlösung und Streitschlichtung einzuüben, Sachkompetenz durch vielerlei Praxis-

bezüge des Demokratielernens zu erweitern, demokratische Prozesse in der Schule zu fördern sowie sich mit anderen im Erwerb demokratischer Tugenden gegen rassistische und menschenfeindliche Ideologien zu stärken. Als Beispiele für die Umsetzung des Programms seien stellvertretend genannt: Die Betreuung der Schüler-AG »Gemeinsam gegen rechts« am Evangelischen Ratsgymnasium Erfurt, die schulübergreifende Projekte durchführt, so u. a. eine Diskussionsveranstaltung mit der Journalistin Andrea Röpke am MartinLuther-Gymnasium Eisenach und eine Film-Diskussion mit dem Regisseur Andreas Kuno Richter im Ratsgymnasium Erfurt und in der Jugendkirche Mühlhausen (10.12.2013), die für Lehrer und Schülersprecher offene Weiterbildung »Coaching«, bei der es dem CoachingTrainer Dr. Wolfgang Wildfeuer um das Erkennen von Konfliktsituationen und um das Lernen der Fähigkeit geht, in ihnen deeskalierend zu reagieren, das Begegnungsprojekt »LIK R AT«, das sich im Aufbau befindet und junge Leute an evangelischen Schulen mit jüdischen Jugendlichen aus der Region zum Gedankenaustausch zusammenbringt, die Mitarbeit an den »Friedenspädagogischen Impulstagen« in Erfurt und Magdeburg, die die Rolle der zivilen Friedensarbeit Lernenden und Lehrenden näherbringt, Lesungen an Schulen zum Thema Toleranz, u. a. mit der Verlegerin Myriam Halberstam (Berlin) aus dem von ihr verlegten Kinderbuch »Zimmer frei im Haus der Tiere« der israelischen Auto-

rin Leah Goldberg, in der Evangelischen Grundschule Erfurt und der Johannesschule Saalfeld (15. und 16.04.2013) sowie Impulse und Diskussionen zum Thema Toleranz mit Schülergruppen des Evangelischen Schulzentrums Mühlhausen und des Ratsgymnasiums Erfurt in der Evangelischen Akademie Neudietendorf (07. und 08.02.2013) Was ist »das Evangelische« daran? Es ist – aus meiner Sicht – der prophetische Impuls des Friedens und des Rechts und die Überzeugung, dass diese Erde »all of God’s children« (Martin Luther King jr.) offensteht und dass wir das alle zusammen einüben und lernen müssen.

Jürgen Junker ist Lehrer am Evangelischen Ratsgymnasium Erfurt und Leiter des Programms Politische Bildung und demokratische Erziehung in der Evangelischen Schulstiftung Erfurt.


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PRAXISFeLDeR

Mit einer Kinderpatenschaft für ein Kind in einem Land der Entwicklungszusammenarbeit können Menschen in Industrieländern wie Deutschland ein Projekt einer entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation (NRO) unterstützen, in dem das Kind und sein Umfeld gefördert werden. Kinderpatenschaften sind als eine Option, internationale Entwicklungszusammenarbeit zu unterstützen, gleichzeitig eine

Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Entwicklungsfragen und somit potenzieller Ausgangspunkt entwicklungspolitischer Bildung. Der Artikel erläutert die damit gegebenen Lernmöglichkeiten sowie Problem lagen und gibt abschließend einige Anregungen, wie durch einen bewussten Umgang mit der Patenschaft entwicklungspolitische Lernprozesse ermöglicht werden können.

Entwicklungspolitische Bildung durch Kinderpatenschaften? Marina Wagener

Das Potenzial der Patenschaft für die entwicklungspolitische Bildung Die Kinderpatenschaft wird in der Regel mit dem Ziel übernommen, Kindern in besonders prekären Lebenssituationen zu helfen. Teilweise geht es aber nicht nur ums Helfen, sondern auch ums Helfen-Lernen, wenn als weiterer Aspekt die Vermittlung von Hilfsbereitschaft und Solidarität hinzukommt. Durch Kinderpatenschaften, so die gängige Überzeugung, kann praktisch erfahren und gelernt werden, was es heißt, zu teilen und sich sozial zu engagieren – typisches learning by doing also. Nur selten würden Beteiligte wohl angeben, dass mit einer Kinderpatenschaft politische, genauer gesagt entwicklungspolitische Prozesse initiiert werden. Wenngleich es nicht direkt auf der Hand liegt, kann eine Patenschaft zum Ausgangspunkt der Beschäftigung mit globalen Themen werden und die persönliche Identifikation mit einem Kind die Auseinandersetzung mit Entwicklungsfragen initiieren. Das große Potenzial der Patenschaft besteht darin, die Anonymität zu überwinden, die gerade eine Auseinandersetzung mit globalen Themen häufig erschwert. In der emotionalen Ansprache durch die Kinderpatenschaft liegt offensichtlich, so wird angenommen, eine Chance, das Interesse an Entwicklungspolitik zu steigern. Bei jungen wie älteren Menschen lässt sich leicht beobachten, wie sich Interesse für weltgesellschaftli-

che Fragestellungen durch die persönliche Verbindung zu einem Kind in einem Entwicklungsland einstellt: Ein Mädchen aus Kenia wird zu einer Bekannten und im Zuge dessen erhält ihre Lebenswelt eine Relevanz für die Beteiligten in Deutschland.

Von der emotionalen Hilfe zur entwicklungspolitischen Reflexion – ein Automatismus? Die beschriebenen Effekte suggerieren einen Automatismus, der bei genauerer Betrachtung jedoch nur selten zu beobachten ist. Denn in der Realität stellen sich die gewünschten Lernprozesse im Bereich der entwicklungspolitischen Bildung nicht zwangsläufig ein und es kann sogar zu unerwünschten Lernerfahrungen kommen. Die Patenschaft ist kein Selbstläufer für entwicklungspolitisches Lernen (Scheunpflug 2005a, 2005b), wie die folgenden Ausführungen zeigen werden. Entwicklungspolitische Bildung ist ein Teil der politischen Bildung, der sich mit globalen Fragestellungen beschäftigt und dabei einen besonderen Fokus auf die internationale Politik hinsichtlich sogenannter Entwicklungsländer legt. Sowohl endogene wie exogene Ursachen von Armut und Wege zu ihrer Überwindung stehen daher im Zentrum der Auseinandersetzung. Als grundlegend bezeichnet der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtre-

gierungsorganisationen (VENRO) dabei die Abkehr vom paternalistischen Entwicklungshilfedenken und von eurozentrischen Vorstellungen (VENRO 2000). Es geht um die Achtung anderer Kulturen, Lebensweisen und Weltsichten sowie um die Einordnung der eigenen Sichtweise als eine unter vielen und die Notwendigkeit, für gemeinsame Probleme zukunftsfähige Lösungen zu finden (VENRO 2000). Für entwicklungspolitisches Lernen mit der Patenschaft ergeben sich diesbezüglich zwei Problemlagen, die im Folgenden erläutert werden sollen.

Eine paradoxe Lernsituation Zunächst ist die Lernsituation in der Hinsicht paradox, dass die Patenschaft, wie bereits beschrieben, meist mit der Motivation übernommen wird, unschuldigen und hilflosen Kindern in Ländern der Entwicklungszusammenarbeit zu helfen. Ursachen für die prekäre Lebenssituation der Kinder spielen keine bedeutende Rolle bei der Patenschaftsübernahme. Es geht um die konkrete Linderung von Leid bei Kindern; die Behebung der dahinterliegenden häufig politischen Ursachen liegt zunächst nicht im Fokus. Entwicklungspolitisches Lernen ist aber gerade darauf ausgerichtet, verschiedene Ursachen von Entwicklungsproblemen zu erschließen und blindes Helfen als eine Komponente einer eurozentrischen Sichtweise auf Ent-


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wicklungsfragen kritisch zu hinterfragen. Dies bedeutet nicht, die Entwicklungszusammenarbeit von NROs oder die Notwendigkeit der Beteiligung von Menschen in Deutschland an deren Finanzierung in Frage zu stellen. Reflektiert werden sollte allerdings die häufig vorliegende Motivationslage des »blinden Helfens«. Letztlich sollten die durch die Patenschaft initiierten entwicklungspolitischen Lernprozesse zum Hinterfragen der eigenen ursprünglichen Motivation für die Patenschaft führen – eine paradoxe Lernsituation.

Unterhöhlung durch beiläufige Lernprozesse Das zweite Problem bezieht sich auf beiläufige Lernprozesse, die im Zuge der Patenschaft stattfinden können und unter Umständen nicht im Sinne entwicklungspolitischer Bildung sind. Die Fokussierung auf das einzelne Patenkind, die, wie oben beschrieben, ein besonderes Potenzial zur Überwindung der Anonymität in globalen Kontexten innehat, kann dazu führen, dass die Auseinandersetzung auf der Ebene der emotionalen Betroffenheit verbleibt und es nicht gelingt, zu einer abstrakteren Beschäftigung mit weltgesellschaftlichen Fragestellungen vorzudringen. Es besteht außerdem die Gefahr, dass trotz des gewollt freundschaftlichen Verhältnisses die grundlegend asymmetrische Beziehung zwischen den Spendenden und den Begünstigten zu Überlegenheitsgefühlen und der Entwicklung oder Bestätigung eurozentrischer Weltbilder führt. Paternalistische und assistentialistische Haltungen sind gerade im Kontext von Spendenbeziehungen ein bekanntes Phänomen (Asbrand 2009). Darüber hinaus könnte die Asymmetrie das Bild vom inaktiven Süden und dem gebenden Norden unterstützen, in welchem persönliche Unterstützungsphantasien von globalen Schieflagen und Ursachen von Entwicklungsproblemen ablenken. Zusammenfassend besteht also die Gefahr, dass unerwünschte beiläufige Lernerfahrungen das entwicklungspolitische Lernen gewissermaßen unterhöhlen. Insgesamt bedeutet dies, dass der Kinderpatenschaft zwar ein besonderes Potenzial innewohnt, zur Auseinandersetzung mit globalen Fragen anzuregen, gleichzeitig jedoch Problemlagen existieren, welche die Entwicklung von entwicklungspolitischem Bewusstsein erschweren und daher besondere Be-

achtung erfordern. Wie aber können das besondere Potenzial der Kinderpatenschaft genutzt und mögliche Gefahren umschifft werden?

Die Patenschaft als Lerngelegenheit nutzen Zunächst einmal ist die aktive Gestaltung und Begleitung des durch die Patenschaft initiierten Lernprozesses von großer Bedeutung. Auf diese Weise können Potenziale ausgeschöpft und gleichzeitig kann unerwünschten Effekten frühzeitig entgegengewirkt werden. Es empfiehlt sich daher, die Auseinandersetzung mit der Patenschaft nicht beim bloßen Lesen und Anschauen von Informationsmaterialien zu belassen, sondern eine aktive und auch kritische Auseinandersetzung anzuleiten. Aber wie kann dies gelingen? Einige wichtige Aspekte sollen hier kurz erläutert werden.

Vom Patenkind abstrahieren Um die Patenschaft als Ausgangspunkt für einen entwicklungspolitischen Lernprozess zu nutzen, muss der enge Rahmen immer wieder auf entwicklungspolitisch relevante Themen erweitert werden. Aspekte aus dem Lebens des Patenkindes wie beispielsweise ausbeuterische Kinderarbeit oder Unter- bzw. Mangelernährung sollten sowohl unter länderspezifischen als auch weltgesellschaftlichen Blickwinkeln thematisiert und diskutiert werden. Auf diese Weise kann die Auseinandersetzung vom Einzelfall gelöst und auf eine abstraktere Ebene überführt werden. Hilfestellung gibt es dabei durch eine Vielzahl an didaktisch aufgearbeiteten Unterrichtsmaterialien, zum Beispiel von den vermittelnden Organisationen selbst oder auch von anderen Initiativen wie beispielsweise Weltläden.

Pauschalbetrachtungen vermeiden Häuf ig f inden sich gerade im Kontext von Kinderpatenschaften Blickweisen auf Armut, in denen die Menschen im Süden als pauschal, d. h. in jeder Hinsicht, arm wahrgenommen werden. Diese Sichtweise wird den individuellen Lebensbedingungen sowie komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht gerecht. Im Zuge der

entwicklungspolitischen Bildung ist es notwendig, das in Industrieländern oft vorherrschende rein materialistische Verständnis von Armut zu überwinden und vielfältige Komponenten von Armut und deren Konsequenzen kennenzulernen. Hinter mangelnder Ernährung oder unzureichenden finanziellen Mitteln stehen Einschränkungen in nahezu allen Lebensbereichen. Auch hier ist es wichtig, die unterschiedlichen Bereiche und Zusammenhänge thematisch zu erschließen. Welche Rolle spielt unzureichende gesellschaftliche Teilhabe im Leben des Patenkindes? Was bedeutet es für die Zukunft eines Kindes, wenn es nicht lesen kann oder keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hat? Was heißt es für ein Kind, wenn seine Eltern schwerkrank sind? Wird der Fokus auf unterschiedliche Faktoren des Lebens unter prekären Bedingungen anstelle von Pauschalbetrachtungen gerichtet, wird ein besseres Verstehen der Lebenszusammenhänge ermöglicht. Hierzu gehört auch, den Blick auf positive Aspekte zu richten: Was ist interessant am Leben des Patenkindes? Was ist neu für mich? Wovon habe ich noch nie gehört, was für mein Patenkind ganz alltäglich ist? Was ist aber vielleicht auch ganz ähnlich? Patenkinder werden im Zuge der Patenschaft zu Botschaftern ihrer Lebenswelt, die sehr viel Interessantes und Beeindruckendes enthält – es wäre schade, dieses Potenzial ungenutzt zu lassen.

Lernprozesse im Norden als gleichbedeutend wahrnehmen Einer der wichtigsten Aspekte in der Beschäftigung mit Entwicklungsfragen ist die Berücksichtigung der Tatsache, dass Lernprozesse und Veränderungen in Industrieländern ebenso wichtig sind wie solche in Entwicklungsländern. Fragen der Nachhaltigkeit, des Klimaschutzes, des eigenen Konsumverhaltens, des Welthandels dürfen in der Auseinandersetzung nicht fehlen. Die eigenen Möglichkeiten, Veränderung zu bewirken, erschöpfen sich nicht in Spendentätigkeiten – es ist daher wichtig, dass die Rolle von Spenden gegenüber Verhaltensänderungen im Norden nicht überbetont wird. Gerade bei einer Spendentätigkeit wie der Kinderpatenschaft muss dieser Aspekt große Berücksichtigung erhalten, denn Studien zum Globalen Lernen geben Hinweise darauf, dass asymmetrische Tätigkeiten wie Spen-


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PRAXISFeLDeR

densammeln die Entwicklung von Weltbildern unterstützen, in denen Probleme vor allem im Süden und Lösungen vordergründig im Norden lokalisiert werden (Asbrand 2007, 2009). Dass Probleme in gleichem Maße in Industrieländern liegen und viele wichtige Lösungsansätze in Ländern des Südens initiiert wurden, gilt es in besonderer Weise zu betonen.

Den eigenen Beitrag reflektieren Um im Zuge von Kinderpatenschaften die Entwicklung von entwicklungspolitischem Bewusstsein zu unterstützen, muss auch das eigene Engagement kritisch reflektiert werden. Was kann mein Beitrag leisten, wo sind Grenzen? Warum ist die Unterstützung der Entwicklungszusammenarbeit dennoch sinnvoll? In dieser Hinsicht sollte vor allem Beachtung fi nden, was die Arbeit der vermittelnden NRO konkret umfasst und wie sie in Verbindung mit Ursachen von Entwicklungsproblemen steht. Dies bedeutet auch, die Hintergründe der prekären Situation des Patenkindes in den Blick zu nehmen und zu schauen, wie die Aktivitäten der NRO an diesen ansetzen, um eine nachhaltige Verbesserung zu erwirken.

Unterstützung differenzierter Lernprozesse durch begleitende Materialien Eine enorme Bereicherung und zugleich Erleichterung für die Beschäftigung mit globalen Themen im Kontext der Kin-

derpatenschaft ist die Ergänzung der Patenschaftsunterlagen durch zusätzliche Materialien wie beispielsweise Landkarten, Fotos oder Länderinformationen. Einige der Organisationen, die Patenschaften vermitteln, bieten zudem Spenderzeitschriften an, welche Reportagen aus Ländern des Südens oder Informationen über aktuelle politische Kampagnen enthalten. Teilweise wird hier auch über programmatische Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit wie beispielsweise neue Projektansätze informiert. Die Zeitschriften bieten sich daher an, den engen Rahmen der Patenschaft in eine umfangreichere Diskussion zu überführen. Gleiches gilt in besonderer Weise für die bereits genannten didaktisch aufgearbeiteten Unterrichtsmaterialien zu verschiedensten Themen der Entwicklungszusammenarbeit.

Literatur: Asbrand, B. (2007): Partnerschaft – eine Lerngelegenheit? In: Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 30. Jg., H. 3, 8–14. Asbrand, B. (2009): Wissen und Handeln in der Weltgesellschaft. Eine qualitativ­rekonstruktive Studie zum Globalen Lernen in der Schule und der außerschulischen Jugendarbeit. Münster: Waxmann. Scheunpflug, A. (2005a): Die Persönlichkeitsrechte der Kinder achten. Anforderungen an eine entwicklungspädagogisch sensible Darstellung von Kinderpatenschaften. In: Zeitschrift Entwicklungspolitik, H. 16/17, 51–55. Scheunpflug, A. (2005b): Die öffentliche Darstellung von Kinderpatenschaften. Eine kritische Bestandsaufnahme aus entwicklungspädagogischer Sicht. Stand: 10. Juni. Nürnberg: Friedrich­Alexander Universität Nürnberg. Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen (2000): Arbeitspapier Nr. 10. Globales Lernen als Aufgabe und Handlungsfeld entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen. Grundsätze, Probleme und Perspektiven der Bildungsarbeit des VENRO und seiner Mitgliedsorganisationen. Bonn.

Fazit Die Kinderpatenschaft kann als weltgesellschaftliche Lerngelegenheit dienen, wenn sie als Ausgangspunkt einer kritischen Auseinandersetzung mit entwicklungspolitischen Fragestellungen verstanden und genutzt wird. Die Eigenschaft der Patenschaft, Potenzial und Gefahr in besonderer Weise in sich zu vereinen, erfordert einen gewissenhaften Umgang mit diesem Lernarrangement. Die Ausführungen in diesem Artikel liefern einige Ansätze, die dabei helfen können, die Patenschaft als einen wertvollen Beitrag zur entwicklungspolitischen Bildung zu nutzen und gleichzeitig unerwünschte Effekte zu vermeiden.

Marina Wagener ist Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung und promoviert im Bereich Globales Lernen im Rahmen des kooperativen Promotionskollegs »Bildung als Landschaft«. www.bildungslandschafterforschen.de

ZUr ÜCkGeBLäTTer T ZUm THemA Dies es HeFTes in: Die Christenlehre 24/1971, 226 f. und 228

FÜR EINE MENSCHLICHE LEBENSORDNUNG (zum fünften Gebot) Bei keinem anderen der Gebote ist die Bedrohung menschlicher Existenz so deutlich. Kein Gebot scheint selbst für den, der dem christlichen Glauben fernsteht, so eindeutig und notwendig zu sein wie dieses. Weltweit ist das Bemühen um eine friedliche und menschliche Lebensordnung, und weltweit ist der Protest gegen die Bedrohung dieser Lebensordnung durch Menschen und Mächte. […] Ausdruck dafür ist auch die Bedeutung, die heute Freiheitsbewegungen, Kampf gegen rassische und politische Unterdrückung, Einsatz für politisch Verfolgte und sozial Benachteiligte und Rechtlose haben. Es ist bemerkenswert, dass man heute besonders die gesellschaftliche (soziale) Bedeutung dieses Gebotes sieht, was üb-

rigens auch bei anderen Geboten der zweiten Tafel des Dekalogs zu beobachten ist (viertes Gebot – Fragen der Autorität und der Macht; sechstes Gebot – Fragen der Partnerschaft; siebtes Gebot – Fragen der gerechten Verteilung; achtes Gebot – Fragen der Information und Desinformation). Wenn wir uns mit dem Gebot »Nicht töten« in der Jugendarbeit beschäftigen, dann sollten wir das besonders beachten. Ausgangspunkt (muss sein ...): Wo der Einzelne auf Kosten des anderen sein Leben sichern will, wird er vertragsbrüchig Gott und den Mitmenschen gegenüber und beseitigt den Schutzraum um das Leben des Nächsten. J ü r ge n S ch m i d t


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Titelbild zum Weltgebetstag 2014 »Wasserströme in der Wüste« von Souad Abdelrasoul/Ägypten. Der nächste Weltgebetstag wird am 7. März gefeiert. Seine Gottesdienstordnung wurde von Christinnen aus Ägypten verfasst.

© WGT e.V.


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PRAXISFeLDeR

Der Weltgebetstag (Wg T) ist eine der größten internationalen,

mit unseren natürlichen Ressourcen und der Veränderung diskriminieren-

ökumenischen Basisbewegungen. Seine spirituelle Kraft verdichtet sich

der g eschlechter- und Rollenbilder basiert. Das Alleinstellungsmerkmal

in synchronisierten g ottesdiensten: weltweit, an einem Tag, nach einer

der Weltgebetstagsbewegung ist die enge Verbindung einer weltumspan-

Liturgie. Seine Anliegen sind vor allem die Stärkung (empowerment) von

nenden Feier des g laubens mit globalen Lern- und Bildungsprozessen und

Frauen und Mädchen, damit diese ihrem Recht und ihrer Verantwortung

dem vielgestalteten Handeln für eine gerechte Welt. Der Weltgebetstag

nachkommen können, g esellschaft und Kirche aktiv mitzugestalten, für

leistet politische Bildungsarbeit in globaler Perspektive, die sich aber in

ein gutes Leben aller Menschen, das auf ökonomischer g erechtigkeit,

lokalen Handlungsoptionen konkretisiert. Weltgebetstagsarbeit kann so

friedlichen Mitteln der Konfliktbewältigung, dem nachhaltigen u mgang

wesentlich zur politischen Bildungsarbeit in den g emeinden beitragen.

Weltgebetstag Globale Ökumene und lokale politische Bildungsarbeit in den Gemeinden Petra Heilig

Weltgebetstag: Global Player – Global Prayer Jeden ersten Freitag im März feiern Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche in ca. 170 Ländern weltweit den Weltgebetstag mit dezentralen ökumenischen Gottesdiensten – in Deutschland sind es zwischen 900 000 und einer Million Menschen. Diese Gottesdienste werden von ökumenisch besetzten Frauenteams vorbereitet und verantwortet. Die Vorlage dazu erarbeiten in jedem Jahr Frauen des nationalen Weltgebetstagskomitees eines anderen Landes (Gebetstexte, Auswahl der Bibellesungen, mögliche Lieder, Symbolhandlungen etc.). Aktuell steht bereits bis 2021 fest, aus welchen Ländern die WGT-Gottesdienste kommen werden und welches Land damit auch Schwerpunktland der WGT-Bildungsarbeit ist, zum Beispiel 2014 Ägypten, 2015 die Bahamas, 2016 Kuba. Die nationalen WGT-Komitees sind vernetzt über das Internationale WGTKomitee, das 1968 gegründet wurde und seine Geschäftsstelle in New York/USA hat. In jedem Jahr steht der WGT-Gottesdienst unter einer neuen Überschrift, die gleichzeitig auch das Schwerpunktthema vorgibt, zum Beispiel 2012 Malaysia: Steht auf für Gerechtigkeit; 2013 Frankreich: »Ich war fremd – ihr habt mich aufgenommen«, 2014 Ägypten: Wasserströme in der Wüste. In Vorbereitungsveranstaltungen auf allen Ebenen (national, regional, lokal) wird vor allem über die Beschäftigung mit dem aktuellen Schwerpunktland, die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Schwerpunktthema und die Entwicklung von Modellen/Ideen zur kreativen Gottesdienstgestaltung das Motto der Internationationalen WGT-Bewegung umgesetzt: »Informed Prayer – Prayerful Action« (Informiertes Beten – betendes Handeln).

Mit den Kollekten aus den WGT-Gottesdiensten, die sich in Deutschland aktuell auf ca. 2,5 Millionen Euro belaufen, fördert das Deutsche Weltgebetstagskomitee e. V. weltweit Projekte, die die Lebensbedingungen und Chancen von Frauen und Mädchen spürbar verbessern.

Globale Frauenökumene als Impuls für nationale, regionale und lokale Ökumene Die WGT-Bewegung fördert die Ökumene zwischen den Kirchen unterschiedlicher Länder und Kontinente, vor allem aber die Ökumene zwischen verschiedenen christlichen Konfessionen in den einzelnen Ländern. So arbeiten im deutschen Weltgebetstagskomitee zum Beispiel die Vertreterinnen neun verschiedener Konfessionen/Kirchen zusammen: methodistisch, men nonitisch, alt-katholisch, orthodox, baptistisch, evangelisch, römisch-katholisch, Heilsarmee, Herrnhuter Brüdergemeine. Diese breite Frauenökumene wird getragen und weitergeführt in ökumenischen Teams, die sich Jahr für Jahr in der Vorbereitung und Feier des WGT-Gottesdienstes engagieren. Der Weltgebetstag ermöglicht bewusste Lernerfahrungen in interkulturellen, interkonfessionellen Begegnungen – Erfahrungen, die eine zukunftsfähige Globalisierung fördern und die alle, die in der WGT-Bewegung engagiert sind, gerne und großzügig in ihren eigenen kirchlichen Kontext einbringen. Aktive in der WGT-Bewegung engagieren sich meist zudem in weiteren Gesprächskreisen, Initiativen und Organisationen zur Förderung der Ökumene (zum Beispiel Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen/ACK, Christinnenrat). Durch die Frauenökumene des Weltgebetstags wird


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die Ökumenefähigkeit der Kirchen insgesamt gestärkt und ihr eigenes Profil als »global player« im Sinne einer Förderin positiver Globalisierung geschärft – ohne leidige konfessionelle Abgrenzungsund Konkurrenztendenzen. Die international verortete Frauenökumene kann so wichtige Impulse für die lokale Ökumene geben, deshalb schreibt sich der WGT zurecht auf die Fahnen: Wir bewegen Ökumene.

Informiertes Beten – betendes Handeln: Globales Lernen und politische Bildung in der Weltgebetstagsarbeit Politische Bildung findet heute auch im Horizont von Globalisierung statt und wird hier zum »Globalen Lernen«, denn globales Lernen »will eine erweiterte und übergreifende Bildungsperspektive angesichts von Problemen und Chancen der Globalisierung vermitteln. Globales Lernen problematisiert, was und wie wir künftig lernen sollen, um in der zusammenwachsenden Weltgesellschaft Orientierung gewinnen, Handlungskompetenz erwerben und Verantwortung wahrnehmen zu können« (Geisz, 2002, 143). Um eine zukunftsfähige Globalisierung zu fördern, braucht es als Gegenüber zu den männlich dominierten Zentren der Macht international handelnde gesellschaftliche Bewegungen, die die tödlichen Auswirkungen von Liberalisierungspolitiken, Privatisierungen und der fortschreitenden Kommerzialisierung aller Ressourcen und Lebensbereiche skandalisieren, die Alternativen aufzeigen und uns als Weltbürgerinnen und -bürger in die globale wie lokale Verantwortung rufen. Der Weltgebetstag ist eine solche international handelnde gesellschaftliche Bewegung. Vom Selbstverständnis und der Organisationsstruktur her ein »global player«, schafft der Weltgebetstag Öffentlichkeit für die Stimmen derjenigen, die besonders die negativen Folgen der Globalisierung im eigenen Leben und am eigenen Leib am meisten spüren, und ruft zu solidarischem Handeln auf. In den WGT-Gottesdiensten benennen Frauen ihre Lebenssituationen und beschreiben damit, wie sich abstrakte Globalisierungsphänomene konkret in ihrem Alltag auswirken: Frauen geraten in Armut, denn sie können

Informieren über Weltgebetstag. Stand des Deutschen WGT­Komitees auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg 2013

© WGT e. V.

ihre Produkte nicht mehr verkaufen, weil billigere Importe den lokalen Markt beherrschen; Frauen sind zunehmend alleinverantwortlich für die Versorgung von kranken und alten Familienangehörigen, weil der Staat entsprechende Dienstleistungen abbaut; ökonomischer und sozialer Druck führt zur Zunahme von Gewalt gegen Frauen; Abwanderung in Städte und Migration außer Landes erschüttert traditionelle Formen des Gemeinschaftslebens und der gegenseitigen Unterstützung, dies trifft überwiegend Frauen, die häufig die Alleinverantwortung für das Überleben der Familien tragen. Folgen der Globalisierung bekommen so hörbare Stimmen und wahrnehmbare Gesichter und werden in der Feier der WGT-Gottesdienste vor Menschen und vor Gott gebracht. Aber es bleibt nicht bei dieser Form des »informierten Betens«. In der Weltgebetstagsarbeit (Bildungsarbeit, Materialien, Feier des Gottesdienstes, Vor- und Nacharbeit) werden vor allem auch solidarische Handlungsoptionen aufgezeigt, um »betendes Handeln« zu fördern. Solidarisches Handeln wiederum braucht Kenntnisse und Kompetenzen, die originär in politischer Bildungsarbeit vermittelt werden, wie zum Beispiel Wissen über politische Systeme, an erster Stelle über Demokratie, um diese als mündige Bürger aktiv mitzugestalten. In der Umsetzung ihres Mottos »informiertes Beten – betendes Handeln« leistet die Weltgebetstagsbewegung jedes Jahr aufs Neue und in vielfältiger Weise qualifizierte und qualifizierende politische Bildungsarbeit. An einem Beispiel wird dies im letzten Abschnitt konkretisiert.

Politische (Bildungs-)Arbeit für gerechte Arbeitsbedingungen überall In ihrer Gottesdienstordnung zum Weltgebetstag 2012 thematisierten die Schreiberinnen des Malaysischen Weltgebetstagskomitees an vielen Stellen, wie wichtig politisches Engagement für Gerechtigkeit ist: »Wir haben verstanden, dass Gott uns auffordert, verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu sein. Darum haben wir unsere Stimme zu erheben gegen alle Formen von Ungerechtigkeit. Gerade als Christinnen und Christen sind wir verpflichtet, uns in politische Angelegenheiten einzumischen.« (WGT-Gottesdienst 2012, 5) Als drängendes Anliegen forderten die malaysischen Frauen die Verbesserung der rechtlichen Situation vorrangig ausländischer Haushaltshilfen. Sie hoben dazu die Arbeit der malaysischen Menschenrechtsaktivistin Irene Fernandez und der von ihr gegründeten Menschenrechtsorganisation »Tenaganita« (Frauenkraft) hervor. Tenaganita, bereits eine Partnerorganisation der Projektförderung durch das Deutsche WGT-Komitee, organisierte 2012 gerade auch eine Unterschiftenkampagne, in der die malaysische Regierung aufgefordert wurde, die Konvention Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation/ILO umzusetzen. Diese legt fest, dass Hausangestellte die gleichen Arbeitsrechte genießen wie andere Arbeitnehmerinnen und


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PRAXISFeLDeR

»Aufstehen für Gerechtigkeit«: Anspiel zur kritischen Auseinandersetzung mit der Situation von Hausangestellten und möglichen Handlungsoptionen

Arbeitnehmer. Dazu gehören zum Beispiel begrenzte Arbeitszeiten und mindestens ein ganzer freier Tag pro Woche sowie das Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Tarifverhandlungen. Dieser Kampagne hat sich das Deutsche WGTKomitee angeschlossen. In den Materialien zur Vorbereitung des Weltgebetstags 2012 gab es umfassende inhaltliche und methodische Hilfestellungen zur politischen Bildungsarbeit über, • die Situation von Hausangestellten in Malaysia, weltweit und z.T. auch in Deutschland (zum Beispiel abgeschottete Tätigkeit in privaten Räumen, Gefahr sexueller Übergriffe, 7-Tage-Woche, keine soziale Absicherung …), • konkrete Handlungsoptionen, um in Malaysia zur Verbesserung der Situation von Hausangestellten beizutragen (zum Beispiel die Teilnahme an der Unterschriftenkampagne von Tenaganita. Diese Kampagne wurde in der WGT-Arbeit in Deutschland breit beworben, u. a. auch über die WGT-Homepage. Es kamen 131 000 Unterschriften zusammen, die durch Irene Fernandez und Mitarbeiterinnen von Tenaganita den zuständigen Vertretern der Malaysischen Regierung übergeben wurden), • konkrete Handlungsoptionen, um die Situation von Hausangestellten in Deutschland zu verbessern (zum Beispiel sie als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzumelden und Sozialabgaben für sie zu bezahlen). Viele WGT-Engagierte meldeten zurück, dass der Weltgebetstag 2012 ihr Bewusstsein für ungerechte Arbeitsbedingungen für Hausangestellte in Deutschland geschärft hat. So wuchs der Wunsch, auch hier aktiv zu werden, zum Beispiel haben WGT-Frauen eine Unterschriften kampagne initiiert, mit der Christinnen und Christen im Ev. Kirchenkreis Herne/Kath. Dekanat Emschertal u. a. die Bundestagsabgeordneten aufforderten, sich auch für die Ratifizierung der ILO-Konvention Nr. 189 durch Deutschland einzusetzen und den Schutz von Hausangestellten mit Migrationshintergrund vor Ausbeutung und Diskriminierung zu sichern. So konkretisiert sich politische Bildungsarbeit im Kontext der Weltgebetstagsarbeit. Politische Bildungsarbeit in den Gemeinden wird im Rahmen der WGT-Arbeit sicher auch aktuell mit

Fotos: Yelena Sibayeva/WGT e. V.

Blick auf das WGT-Schwerpunktland Ägypten 2014 geleistet. Die Menschen in Ägypten erleben seit dem Arabischen Frühling 2011 politische Umbrüche und gewaltvolle Auseinandersetzungen, die christliche Bevölkerung des Landes und ihre Kirchen sind von Ausschreitungen betroffen, erfahren aber auch religionsübergreifende Solidarität. Politische Bildungsarbeit hilft hier, Zusammenhänge zu verstehen und Fragestellungen anzugehen, die auch in Deutschland relevant sind, wie zum Beispiel die Differenzierung zwischen politischem und religiösem Islam, und wie in einer Demokratie Religionsfreiheit verwirklicht werden muss. In den Materialien für die Vorbereitung und Feier des Weltgebetstags finden Menschen, die in Kirchengemeinden politische Bildungsarbeit umsetzen, in jedem Jahr neu sehr gute und erprobte inhaltliche und methodische Anregungen zur Konzeption und Durchführung entsprechender Einheiten und Veranstaltungen. Die WGT-Frauenökumene bringt so auch die politische Bildungsarbeit in den Gemeinden in Bewegung! Literatur: Geisz, Martina (2002): Kaleidoskop: Globales Lernen. in: Solidarisch leben lernen e. V. (Hrsg.): Praxishandbuch Globales Lernen. Frankfurt/M., 143–157. Hiller, Helga (2006, 2. Aufl.): Ökumene der Frauen. Anfänge und frühe Geschichte der Weltgebetstagsbewegung in den USA, weltweit und in Deutschland. Deutsches Weltgebetstagskomitee (Hrsg.), Stein. Düsseldorf.

Petra Heilig ist Geschäftsführerin und theologische Referentin in der Geschäftsstelle des Deutschen Weltgebetstagskomitees in Stein/Nürnberg. Weitere Informationen zur internationalen Weltgebetstagsbewegung, zur Arbeit des Deutschen Weltgebetstagskomitees und zum jeweils aktuellen Weltgebetstag erhalten Sie bei: Weltgebetstag der Frauen – Deutsches Komitee e. V., Deutenbacher Straße 1; 90547 Stein; Tel. 0911–6806 301; Fax 0911–6806 304, E-Mail: weltgebetstag@weltgebetstag.de, Hompage: www.weltgebetstag.de


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Auch die Jüngsten haben was zu sagen »Mitwirkung mit Wirkung« – Ein demokratisches Mitwirkungskonzept für Kinder und Jugendliche Rebecca Marquardt

Lukas 18,15–16: Sie brachten auch kleine Kinder zu ihm, damit er sie anrühren sollte. Als das aber die Jünger sahen, fuhren sie sie an. Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.

Teilhabe ist ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung eines Kindes. Aus pädagogischer Perspektive scheint das durchaus logisch, doch wie leicht lässt sich diese Erkenntnis eigentlich in die eigene Arbeit integrieren? Auf die zurückweisende Reaktion der Jünger reagiert Jesus nicht nur, indem er den Kindern einen Anteil am Reich Gottes zuspricht, er geht sogar noch einen Schritt weiter und macht sie zu den Besitzern desselben. Ganz genau im Sinne dieser Worte Jesu verstehe ich das, was die Lehrtätigkeit und Arbeit in Schulen und in der gemeindepädagogischen Praxis heute ausmachen kann. Lehrpläne und Lerninhalte, Entscheidungen und Beschlüsse über den Lern- und Entwicklungsraum von Kindern und Jugendlichen – das sind Punkte, die die Lehrenden nur indirekt, die Lernenden aber direkt betreffen und sie damit zu wichtigen Teilhabern am Entwicklungsprozess machen sollten. Ein Projekt aus Brandenburg nimmt sich der Frage nach den Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen im schulischen Bereich nun seit über 15 Jahren an. »Mitwirkung mit Wirkung« heißt der Slogan. Die Idee ist einfach: Schon in der Grundschule sollen Kinder damit vertraut gemacht werden, wie Demokratie funktioniert und was ihr Anteil an eigener Mitbestimmung sein kann, wenn es um die für sie bestimmten Lerninhalte und die richtige Lernatmosphäre geht. Das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM ) bildet gezielt Schülerinnen und Schüler aus, die mit unterschiedlichen Seminarkonzepten gewappnet in die Schulen geschickt werden,

um dort diejenigen über ihre Mitwirkungsrechte aufzuklären, die oft gar nicht wissen, dass sie große Teile ihrer demokratischen Möglichkeiten bisher gar nicht wahrgenommen haben. Kinder in Konferenzen, Räten und Versammlungen Um mehr Partizipationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu schaffen, ist es notwendig, sie an die Orte kommen zu lassen, an denen beraten wird und Entscheidungen getroffen werden. Aus diesem Grund haben Schülerinnen und Schüler auch bundesweit die Möglichkeit, sich in verschiedene Schulgremien wählen zu lassen, in denen auch Eltern und Lehrkräfte sitzen. Die Mitbestimmungsrechte sind dabei von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Berlin und Brandenburg haben die Schülerinnen und Schüler ab der siebten Klasse sowohl in ihrem eigenen Gremium als auch in der Schulkonferenz volles Mitbestimmungsrecht. Für das oberste Gremium der Schule bedeutet das also, dass sie neben Eltern und Lehrkräften ein Drittel aller Stimmen innehaben. Doch diese Möglichkeit wird oft nicht ausgeschöpft. An vielen Schulen sind es letztendlich dann doch meist die Erwachsenen, die über die wichtigsten schulischen Angelegenheiten abstimmen. Die Möglichkeit Beraterin oder Berater zu sein Neben den gängigen schulischen Gremien gibt es in vielen Bundesländern auch noch die Fachkonferenzen, in denen sich alle Lehrkräfte eines Faches über Lehrpläne,


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PRAXISFeLDeR

Lerninhalte und Lernformen austauschen und ihre Umsetzung entscheiden. Auch hier haben Schülerinnen und Schüler wieder die Möglichkeit zu partizipieren, indem sie als beratende Mitglieder in diese Konferenzen gewählt werden. Es dürfen Ideen eingeworfen werden und es besteht die Möglichkeit, Wünsche zu äußern oder auch Lehrinhalte zu kritisieren. Auch wenn sie hier kein direktes Entscheidungsrecht besitzen, die Möglichkeit des Beratungsrechtes ist dennoch eine Tür, die für sie keineswegs verschlossen bleiben sollte. Im Fach Religion ist diese Möglichkeit nicht an jeder Schule gegeben, zumal sich die Anzahl der Lehrkräfte in diesem Bereich meist auf eine Person beschränkt. Dort, wo mehrere Lehrkräfte eine Konferenz bilden können, ist die Teilhabe eines Schülers oder einer Schülerin mit beratender Funktion natürlich ein Gewinn. In welcher Form und mit welchen Mitteln pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gestaltet werden kann, ist im gemeinsamen Gespräch aller Beteiligten zu klären. Das gilt nicht nur für den schulischen Bereich. Auch in den Gemeinden sind die Meinungen der jüngeren Glieder gefragt. Wo evangelische Kirchengemeinschaft stattfindet, hat auch demokratisches Handeln seinen Platz und dieses funktioniert eben nur unter Einbeziehung aller Beteiligten, also auch der Jugend. Hier haben die Gemeinden noch ein großes Potenzial. Teilhabe bezieht sich nicht nur auf die Ebene der Ältesten und der Gemeindekirchenrates, sondern auch und insbesondere auf die Gremien und Menschen, die die Arbeit vor Ort tun. Perspektiven und Be-

dürfnisse der Kinder und Jugendlichen erhalten ihren Raum und machen die Arbeit fruchtbar. Nicht Arbeit für Kinder und Jugendliche, sondern die Arbeit mit ihnen, mit demokratischer Teilhabe in allen Prozessen. Eine Wegweisung Die Seminarkonzepte der Fortbildnerinnen und Fortbildner des L ISU M sind gefüllt mit den verschiedenen kind- und jugendgerechten Methoden, die Interesse an Demokratie wecken und Lust auf Gremienarbeit machen sollen. Beginnend mit einer altersangemessenen Einführung in die Strukturen und Funktionen schulischer Gremien werden die Schülerinnen und Schüler hingeleitet zu eigener demokratischer Initiative anhand eines selbst gewählten Beispiels. Dabei sollen sie lernen, welche Wege sie einschlagen können, wenn es darum geht, selbst »einen Stein ins Rollen zu bringen«. Oft neigen Kinder und Jugendliche dazu, sich bei einem Problem oder der Entstehung einer neuen Idee sofort an eine für sie persönlich höhere Instanz wie einen Erwachsenen zu wenden – im schulischen Bereich ist es also oft die Lehrkraft oder die Schulleitung. Das ist im Grunde noch nicht verkehrt, doch geht in diesem Falle die Entscheidungskraft meist auf den Erwachsenen über und wirkt, wenn auch unbewusst, auf den Meinungsbildungsprozess des Kindes oder des Jugendlichen. In den Seminaren sollen diese lernen, wie sie in der Schule selbständig Ideen umsetzen und Veränderung erwirken können. Denn gerade dort haben auch sie Rechte. Doch um seine Rechte wahrnehmen zu können,


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muss man sie erst einmal kennen. Dabei kommt es bei jungen Menschen vor allem darauf an, sie nicht zu sehr mit der Sprache der Gesetzesbücher zu konfrontieren, sondern die wichtigsten Inhalte methodisch so gut aufzubereiten, dass sie Lust an ihren Rechten und deren Umsetzung bekommen. Wichtig ist dabei zunächst das Klären der grundliegenden Fragen: Wie funktioniert Demokratie? Was ist ein Gremium? Welche Gremien gibt es überhaupt an unserer Schule? Wo dürfen Schülerinnen und Schüler überall mitbestimmen und warum ist diese Mitbestimmung wichtig? Herangeführt an dieses Grundlagenwissen sollen die Kinder dann an dem Punkt abgeholt werden, an dem sie selbst mit ihren Fragen, ihren Wünschen und mit ihrer Kritik rund um das Thema der schulischen Mitwirkung stehen. Anhand dieser Informationen arbeiten dann die Fortbildenden gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern ein Konzept aus, das zwar noch theoretischer Natur sein kann, jedoch trotzdem wegweisend für die zukünftige Mitwirkungsarbeit der Kinder sein soll. »Wir bringen gemeinsam einen Stein in’s Rollen« ist dabei das leitende Thema. Die Begriffe Gemeinschaft und Eigeninitiative stehen hier also im Vordergrund, ohne die eine Demokratie nicht funktionieren kann. Die Kinder sollen lernen, dass auch ihre Meinung zählt und dass sie oft auch zu wichtigen Entscheidungen beitragen kann. Sie sollen aber ebenso verstehen, dass die Wege zur Mitbestimmung über Absprachen mit Mitschülern, Eltern und Lehrkräften, Eigeninitiative, aber auch über das Eingehen von Kompromissen führt.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Dieses Motto nahm das LISUM vor einigen Jahren zum Anlass, die Seminarkonzepte, die bisher nur für die Sekundarstufen I und II angewendet wurden, zu modifizieren – und zwar für den Gebrauch in den Grundschulen. Dahinter stand die Idee, dass die Kinder schon in einem Alter, in dem sie zwar eine eigene Schülerversammlung bilden können, aber an den anderen schulischen Gremien nur mit beratender Stimme teilnehmen dürfen, lernen, was Mitwirkung eigentlich ist, und damit auf die Oberstufe vorbereitet werden, in der sie dann in vielen Gremien auch Mitbestimmungsrechte besitzen. Natürlich bedarf es gerade für Kinder im Grundschulalter noch der Führung und Anleitung durch Betreuungspersonen. Der Weg zur Mündigkeit kann aber auch hier schon Stück für Stück geebnet werden. Die Idee des LISUM, die Möglichkeiten der Mitwirkungsarbeit für Kinder und Jugendliche transparent zu machen, ist keineswegs exklusiv und nur auf den schulischen Bereich anwendbar. Sie kann durchaus modifiziert und überall dort angewandt werden, wo es gilt, junge Menschen in das Gemeinschaftsleben und in die gemeinsame Arbeit zu integrieren. Dazu bedarf es jedoch auch der Offenlegung und Erklärung der wichtigsten Strukturen und Arbeitsweisen in Schule und Gemeinde. Eben eine Wegweisung, die zu einem Handeln in Gemeinschaft führt.

Nähere Information unter http://bildungsserver. berlin-brandenburg.de/schuelermitwirkung.html

Rebecca Marquardt ist Theologiestudentin an der Humboldt-Universität zu Berlin und war Schülerfortbildnerin des Landesinstitutes für Schule und Medien BerlinBrandenburg (LISUM).


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ÈPolitische PartizipationÇ als Gelegenheit zur politischen Bildung Ingo Schenk

In der Frage um »politische Partizipation« als Gelegenheit zur politischen Bildung, insbesondere im kirchlichen Kontext, werde ich weniger politische Bildung als solche in den Blick nehmen, vielmehr wird es darum gehen, die Frage zu stellen, was es als Vorbedingung – also als »Lust« oder als Interesse – an politischer Bildung braucht, bzw. was ihr entgegensteht. Politische Partizipation oder auch Partizipation als solche und Bildung sind immer an eine konkrete Praxis gebunden und nicht nur ein Begriff. Aktiv verstanden meint Partizipation lediglich »teil-nehmen«, woran auch immer, etwa am politischen Prozess? Passiv verstanden meint Partizipation »teil-haben« (vgl. Fach 2004, 197). Heute – im Zeitalter der Globalisierung, aber auch in der Zeit der Postdemokratie (Crouch 2008) – kommt politische Bildung an ihr Ende, denn sie ist ein Erbe der 1960er und 1970er Jahre, als es ganz allgemein darum ging, die Gesellschaft nach dem Zeitalter des Faschismus mit- und umzugestalten. Diese (Mit-)Gestaltung ist weitestgehend an ihr Ende gekommen. Politik heute ist nur noch am Verwalten interessiert, die Gestaltung hat die Wirtschaft übernommen und die Gestaltungsmöglichkeiten sind in engem Rahmen vorgegeben. In Beratungsprozessen stellen sich die Beteiligungswilligen in Gremien auch immer wieder die Frage, warum sie sich beteiligen sollen, wenn Rahmen und Struktur (definitiv) festgelegt sind und es bei der Beteiligung dann nur noch darum geht, welche Farbe das Infoblatt am Sonntag haben soll.

In der evangelischen Jugendarbeit wird dagegen vielmehr betont, dass junge Menschen eigenständig, selbstbestimmt und unabhängig von sogenannten Partizipationserwartungen Veränderungen anstoßen. Politische Bildung braucht in dieser Perspektive als Vorbedingung Personen als Vorbilder, womit verantwortliche Persönlichkeiten (Rümelin 2013, 71) gemeint sind, die Assistenz, Räume und schlussendlich die Möglichkeit zum Gestalten anbieten.

Die Nachachtundsechziger Republik Politische Bildung braucht politisch Gebildete und – noch mehr – politisch Interessierte. Jedoch findet die nachwachsende Generation in ihrem Alltag kaum noch Personen, die eine klare und nachvollziehbare christliche oder auch politische Position vertreten. Sei es aufgrund der Formalisierung der Begegnungen und der Ausweitung der Aufenthaltszeiten in Schule und demgegenüber der Verkürzung der Zeit in Vereinen und Verbänden, wie auch bezüglich der neuen Unübersichtlichkeit und Beliebigkeit der »neuen Erwachsenen«. Dies zeigt sich sowohl in den politischen Parteien, deren Positionen immer austauschbarer und flexibler werden (vgl. hier insbesondere die SZ vom 17.09.2013, Erstwählerprojekt vor der Bundestagswahl), wie auch in der Kirche selbst, die es immer weniger vermag, eine Antithese zum herrschenden politischen und ökonomischen Diskurs zu präsentieren, die sich weitestgehend an-


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gepasst hat. Scheinbar gelingt es kaum noch, eine eindeutige kirchliche Sprache zu sprechen, die sich vom Jargon der Ökonomen und Manager klar abgrenzt, also eindeutig nicht kolonialisiert ist. In den (kirchlichen) Reformprozessen wird dann häufig so argumentiert, als gäbe es nur diesen (ökonomischen) Weg, und es wird sich auf das sogenannte »Kerngeschäft« zurückgezogen, was als alternativlos angeboten wird. Folglich fehlen verantwortliche Persönlichkeiten, die als Wegweiser dienen und alternative (gesellschaftspolitische) Deutungen aufzeigen. Was bleibt jungen Menschen dann, als sich an sich selbst und ihrer Altersgruppe oder an modernen Medien zu orientieren, die eindeutig sind und Alternativen – wie sinnvoll auch immer – aufzeigen? Wie kommt es dazu, dass verantwortliche Persönlichkeiten verblassen bzw. verloren gegangen sind? Grob kann folgende These formuliert werden: Mit der Generation der 68er betritt der »kapitalitische Hedonist« die Weltbühne. »Der kapitalitische Hedonist will abends um zehn oder sonntags um zwölf noch shoppen gehen – also muss das Ladenschlussgesetz fallen« (Elsässer 2002, 12). Nach dem »Langen Marsch in den Arsch« (Elsässer 2002, 114 ff.) wird das Handeln nicht mehr durch die Ideale einer »besseren Welt« geleitet, sondern die eigene Karriere, das eigene Wohlbefinden und der eigene Nachwuchs stehen im Mittelpunkt. Wahrhaftig ist dies nur noch dem eigenen ICH gegenüber und es geht mehr um die Form als um den Inhalt. Mit der Golfgeneration folgen nun diejenigen den 68ern, die nur noch sich und den eigenen Erfolg im Blick haben. Florian Illies schreibt hierzu, die Generation Golf genieße den Wohlstand, den ihre Elterngeneration erarbeitet habe. Mehrheitlich verkörpere diese Generation eine unkritische, nur nach Konsum strebende »Ego-Gesellschaft«. Hierbei agiere sie unpolitisch und sei die erste Generation, die Mode-Orientierung, Hedonismus und Markenbewusstsein zu einem Wert erhebe (Illies 2001). Bernhard Stiegler (vgl. Stiegler 2008) geht einen Schritt weiter und schreibt, dass die Erwachsenen ihrer generativen Aufgabe der Sorge um die nachwachsende Generation nicht mehr nachkommen, sie bereits in früher Kindheit und Jugend wie Erwachsene behandeln, selbst aber so handeln, als seien sie Kinder. Zugleich sind Erwachsene (nur noch) »einfühlsam« und »tolerant« geworden, wobei sich die Toleranz schnell als repressive Toleranz im Sinne Marcuses entlarvt, letztlich also der Maxime »Tue was du willst, solange ich es dir erlaube« folgt. Repressive Toleranz zeigt sich schnell in dem Moment, wenn eine (Kirchen-)Gemeinde einen offenen Jugendtreff eröffnet und diejenigen kommen, mit denen nicht gerechnet wurde, oder etwas tun, was nicht erwartet wurde. Aber auch die üblichen kirchlich-gemeindlichen Leitungs- bzw. Beteiligungsstrukturen sind zur politi-

schen Bildung wenig hilfreich, insbesondere dafür, sich daran zu beteiligen. In den Gremien wird mehr Organisatorisches besprochen (welche Farbe bekommen neue Stühle), anstelle dass Positionen und Haltungen deutlich würden. So kommt es wenig bis kaum zur Diskussion, in der die spannende Frage nach dem christlichen Auftrag der Gemeinde oder der Zukunft eines Dorfes, also der Vision, gestellt wird. Zugleich sind diese Strukturen und die darin agierenden Personen wenig wertschätzend jungen Menschen gegenüber, und in (Kirchen-)Gemeinden zeigt sich eine beharrliche »Partizipations-Ignoranz« (Richter/Sturzenhecker 2011). »Damals, als wir im Keller mit dem Pfarrer die Revolution planten, er unser heimlicher Verbündeter war, uns aber auch unsere Grenzen zeigte, indem er seine eigene Position hart vertreten hat, bekam ich eine erste Idee davon, was eine christliche Position bedeutete, die sich auch als politische verstand. Dies prägt mich bis heute«, so ein ehemaliger Teilnehmer und heutiger Mitarbeiter der Evangelischen Jugend. Mit dieser kurzen Passage der Aufzeichnung eines Interviews zeigt sich der wesentliche Faktor, es ist die »personale Erfahrung« (Mollenhauer 2003). Diese geschieht in der alltäglichen Auseinandersetzung mit Persönlichkeiten, die Verantwortung übernehmen, in ihren Gründen erkennbar sind und eine eindeutige (politische) Position vertreten. Ebenso stellen sie sich jungen Menschen und debattieren mit denjenigen respektvoll, die ihre Position noch suchen. Mollenhauer hat dies eindrücklich damit beschrieben, dass die Erwachsenengeneration der nachwachsenden das Leben präsentieren müsse (Mollenhauer 2003, 114 ff.). Zugleich verhält es sich auch so, dass Menschen zur Bildsamkeit in der Regel nicht selbst kommen, dazu muss aufgefordert werden bzw. es bedarf der Assistenz. Junge Menschen können dann auch ihre eben gefundene Position ausprobieren und zwar so, dass es nicht gleich (sanktionierende) Konsequenzen hat. Daher braucht es auch Räume mit und ohne Erwachsenen, in denen die eigenen Positionen gefestigt werden können und die »Partizipation« an Gemeinde vorbereitet wird. Da politische Bildung gerade nicht am runden Tisch geschieht, sondern in der Praxis des Lebens selbst, braucht es Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Interessierte Erwachsene, Vertreter von Kirche, Politik und Vereinen bringen sich in die gemeindliche Praxis mit ein, präsentieren sich, sind erlebbar. Wichtig: Junge Menschen werden hierbei nicht paternalistisch instrumentalisiert. Kurzum, es geht um das gelebte und lebbare utopische Potenzial einer »besseren Welt«, welches sich im Menschenbild zeigt und auf Vertrauen und Wahrhaftigkeit aufbaut. Persönlich geht es jungen Menschen um das


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»Echtsein«. Wort und Tat sollen nah beieinander sein. Hierzu braucht es Orte und Möglichkeiten der Zusammenarbeit, die außerhalb von Gremien in den Alltag eingebettet sind und nicht nur Begegnungen ermöglichen. Eine gemeinsame Geschichte und Themen ergeben sich hierdurch: Zusammenarbeit an einer gemeinsamen Sache nicht um ihrer selbst willen, sondern für die Gemeinschaft. Dies zeigt sich mehr als deutlich in einer Maßnahme, in der Jugendliche in der Zusammenarbeit mit Bewohnern eines Dorfes Dorfentwicklung anstoßen, Dorf-Leben. Dies funktioniert, da junge Menschen als Experten in der Sache und für die Sache auftreten.

DORF-LEBEN Im Rahmen der Initiative »Evangelische Jugend vor Ort« geht es in der Evangelischen Kirche der Pfalz um die Entwicklung kinder- und jugendfreundlicher (Kirchen-)Gemeinden. Ziel ist es, die Perspektiven von Jugendlichen, aus einer eigenen Position heraus durchzusetzen. Ausgangspunkt ist die Erkundung des Sozialraums, in dem die Jugendlichen wohnen, was bereits in den 1980er Jahren mit der sozialräumlichen Jugendarbeit (Deinet, Herrenknecht) in Gang gesetzt wurde. Ohne den detaillierten Ablauf zu beschreiben, kommt in dieser Maßnahme oben Genanntes zum Tragen. Jugendliche haben ein eigenes Wissen und daraus folgernd eine eigene Position, womit sie dann in der Debatte beispielsweise über die Dorfentwicklung selbstbewusst mitwirken und ihre Interessen im Sinne einer reflexiven Demokratiebildung (Richter/Sturzenhecker 2011, 66) durchsetzen. Die angesprochenen Themen sind oft fehlende Mobilität, soziale Kontrolle, generative Differenzen und Vorurteile als Teil der Alltagsrealität von Jugendlichen auf dem Land. Sich Wissen über den Sozialen Raum vor Ort aktiv anzueignen und damit Lösungen für Probleme ausfindig zu machen, stärkt nicht nur die Identifikation mit dem Ort. Die Beteiligten stehen den Verhältnissen nicht hilflos gegenüber, sondern erarbeiten sich begründete Argumente, um ihre Ideen in der anstehenden Diskussion mit Erwachsenen durchzusetzen und politisch zu argumentieren. Zugleich ergeben sich Möglichkeiten, über Zusammenarbeit (einer konkreten Praxis) Gespräche außerhalb von Gremien zu entwickeln, in denen das Menschenbild deutlich wird und Positionen debattiert werden. Interessant ist an diesen Begegnungen, dass sich mancher Erwachsene an seine eigene verschüttete Position erinnert und sich mit jungen Menschen solidarisiert. Neben dieser praktischen Ausrichtung braucht es einen politischen Willen, der (wieder) ermöglicht, Gesellschaft tatsächlich mittels einer huma-

nistischen und christlichen Perspektive zu gestalten. Denn mit dem oben genannten Vorschlag wird zwar einem Symptom etwas entgegengestellt, ohne jedoch das Grundproblem zu lösen: eine Unglaubwürdig gewordene »politische Kaste«. Eine Politik, die daran interessiert ist, mit ihren Bürgern und so auch mit der nachwachsenden Generation die Zukunft der Gesellschaft zu gestalten und dann tatsächlich Bürger an dieser Entwicklung mit eigenständigen, nicht zwingend partizipativen Positionen mitwirken zu lassen, ist heute notwendiger denn je. Die Alternative hierzu ist die suggerierte Alternativlosigkeit. Kinder und Jugendliche schauen wenig hoffnungsvoll in die Zukunft, da sie immer weniger an Gesellschaft partizipieren und das Wissen, wenig zu Veränderungen beitragen zu können, das utopische Denken von alternativen Möglichkeiten verhindert. Dieses Wissen schreibt sich als grundlegende Erfahrung in die Menschen ein (Sennett 2012, 191). Ein anderer Weg wäre eine gesellschaftliche Utopie, in der es um die Frage des »guten Lebens« (Nussbaum 1998) geht und »Partizipation« daran demokratisiert werden müsste. Auch diese Erfahrung würde sich in junge Menschen einschreiben.

Ingo Schenk ist Referent für Grundsatzfragen im Landesjugendpfarramt der Evangelischen Kirche der Pfalz. Literatur: Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Stuttgart. Elsässer, Jürgen (2002): Make Love and War. Wie Grüne und 68er die Republik verändern. Köln, 12. Fach, Wolfgang (2004): Partizipation. In: Bröckling, Ulrich u. a. (Hrsg.): Glossar der Gegenwart. Stuttgart, 197. Illies, Florian (2001): Generation Golf. Eine Inspektion. Frankfurt/M. Mollenhauer, Klaus (2003, 6. Aufl.): Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung. München, 114 ff. Nida­Rümelin, Julian (2013): Philosophie einer humanen Bildung. Hamburg, 71. Nussbaum, Martha Craven (1998): Gerechtigkeit oder Das gute Leben. Stuttgart. Richter, Helmut/Sturzenhecker, Benedikt (2011): Demokratiebildung am Ende? Jugendverbände zwischen Familiarisierung und Verbetrieblichung, in: deutsche jugend 59 (2011), H. 2, 66. Rietzschel, Antonie (2013): Erstwählerprojekt vor der Bundestagswahl. Aufbrausende Politiker, eingeschüchterte Schüler. Süddeutsche Zeitung vom 17.09.2013, online unter: http://www. sueddeutsche.de/politik/erstwaehlerprojekt­vor­der­bundestagswahl­ aufbrausende­politiker­eingeschuechterte­schueler–1.1772910 Sennett, Richard (2012): Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält. Berlin, 191. Stiegler, Bernhard (2008): Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien. Stuttgart.


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Politische Bildung in der Erwachsenenbildung Schnittstelle Kirche – Wirtschaft – Arbeitswelt Modularisierte Form der Bildung Gila Zirfas­Krauel

Durch das Wegfallen der Evangelischen Sozialakademie Friedewald im Jahr 2006 wurden im evangelischen Bereich keine Sozialsekretäre und Sozialsekretärinnen für den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt mehr ausgebildet. Dieses Bildungsvakuum hat der Verband Kirche –Wirtschaft – Arbeitswelt (VKWA), der die Säulen Kirche und Handwerk (AHK), Evangelische Arbeitnehmer/-innen arbeit (BEA) und den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) vereint, als Herausforderung begriffen und sich auf den Weg gemacht, ein modulares Bildungssystem zu konzipieren. Was bedeutet das genau?

Zunächst wurde vom Vorstand des KDA eine Bildungskommission eingerichtet, die sich aus Akteuren und Akteurinnen der Landeskirchen zusammensetzt und unter der Leitung einer Referentin für Bildungsmanagement und Netzwerkarbeit dreimal im Jahr tagt. Die Konzeptionelle Vorüberlegung basiert auf einem

Schaubild Bildungsmanagement

Bildungsmanagementsystem, welches über einen Zeitraum von fünf Jahren angedacht ist, aber in kirchlichen Gemeinden auch in kürzeren Zeiträumen nützlich sein kann. Im Fokus stand zunächst die Bedarfs- und Bedürfnisanalyse. Es wurden Abfragen initiiert, um Themen-


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schwerpunkte herauszukristallisieren, die dann in ein Modulsystem gegossen wurden. Die Konzeptionshoheit lag in der Zusammenarbeit der hauptamtlichen Referentin mit dem korrektiv verankerten Rahmen der Bildungskommission. Die Funktion der Referentin ist als begleitendes Instrument zu verstehen, indem sie alle internen und externen Netzwerke zusammenbringt und jederzeit für neue Ideen und Impulse offen ist, ohne den roten Faden für den Verband zu verlieren. Das flexible und kooperierte Modulsystem verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an Veränderungswillen, Flexibilität und Parallelität. Es findet in dieser Systematik kein allgemeingültiger sukzessiver Prozess statt, sondern es werden viele Parallelprozesse in das kooperierte Modulsystem integriert, die zum Teil in unterschiedlichen Zeitverläufen stattfinden. Die neuesten Kompetenzbegriffe in der politischen Bildung basieren auf der Annahme, dass die Vernetzung innerhalb unseres erlernten Wissens aufeinander aufbaut und sich in immer neuer Form pragmatisch zusammensetzt, je nach Situation. Diesem Kompetenzverstä ndnisses folgend, gehen wir davon aus, dass die Fähigkeit zur Kooperation, aber auch zur Konkurrenz inhaltliche und strukturelle Dynamiken und Entwicklungen in Gang setzt, die immer wieder neu sind, nicht statisch, sondern veränderbar.

Schaubild Modulsystem Erklärungen Farben: rot = externe Kooperation, grün = interne Kooperation, blau = Verantwortlich für das Modul

Sich in den Dienst der Bildung bzw. der Bildungsprozessen zu stellen, das war und ist vorrangiges Ziel dieses modularen Systems: kein fertiges Produkt zu liefern, sondern sich in einen stetig entwickelnden Prozess zu begeben, der anhand von Kompetenzen, Ressourcen und dem Zeitgeist immer wieder nützlich und nutzbar gemacht wird. Die Bundeszentrale für politische Bildung bedient bundesweit ungefähr 400 Träger, so dass sich in dem modularen System zwei Ebenen herausgebildet haben, zum einen die interne Kooperation, die alle Themen abdeckt, die nur aus den eigenen Kreisen rekrutiert werden können. Und zum anderen die externe Kooperation, die davon ausgeht, dass andere Anbieter Themen viel besser anbieten könnten, zum Beispiel Medien oder Kommunikation. Politische Bildung ist als ein Ort der Wiedererkennung, der Begegnung, des fachlich orientierten Austauschs organisiert. Aufgrund der wegfallenden Ressourcen können gemeinnützig orientierte Strukturen es kaum noch leisten, einen realen identifikationsstiftenden Ort in Form von Bildungsstätten vorzuhalten. Deswegen geht es darum, the-


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m modularen System:

Erste Erfahrungen aus de

nicht au§ en sis mit einbeziehen, Ba die gt din be un eren , genhšhe konzeptioni È Wen iger ist mehrÇ Au f Au t. ug ze er e nd WiderstŠ n kšnn en, vor lassen, w eil das tw icklung en umgehe En d un n se es oz Pr r sicherlich un d achtsa m mit rtizipa tiver An sa tz, de pa d un r ve si lu ink ha ftlichen dies ist ein n politischen, w irtsc re ih in n he sc en M ten abholt. streitbar ist, aber die Strukturen am ehes en en og ez tb el w its un d arbe mšglichen, von der Zielgruppe er ig ng hŠ ab un n ke an ed exibel ittelpunkt stellen, fl Die konzeptionellen G M n de in n lte ha In it ihren tig t, der die Themenmodule m tz w ird jeman d benš sa An n se die r FŸ n. Mix lte itet un d ein en guten un d in Bew egun g ha gle be am ts hu be d rg fältig un ik mitbrin gt. Bildung sprozesse so stheorie un d Dida kt ng ldu Bi t, is ge eit Z , dung aus Erw achsen enbil enheit allen Beteilig ten Off t er rd fo n, he ge zu Bildung um nen mit Diese neue Art, mit mer w ieder, Inno va tio im ch au er ab ht lic eten. mög ndnissen herauszutr tŠ rs un d Flexibilität ab, er Ve d un en em st s starren Sy aufzun ehmen un d au menorientierte Orte zu schaffen, um einen inhaltlichen Identifi kationsfaktor für alle Beteiligte vorhalten zu können. Dies kann politische Bildung leisten, aber auch andere bildungspolitischen Themen. Aus diesen Überlegungen heraus, und weil es in einer Landeskirche einige neue Mitarbeitende gab, die es einzuarbeiten galt, hat ein Amtsleiter zu einem Workshop eingeladen mit dem Thema »Der Betriebsbesuch«. Diese Thematik ist eine Paradeschnittstelle der klassischen KDA-Arbeit! Er hatte analog des konzeptionellen Ansatzes der Seniormentoren zwei Referenten eingeladen, ein »Urgestein« und einen Erwachsenenbildner. Der Charme bestand in der Heterogenität der Workshopteilnehmenden, was deutlich aus der Evaluation hervorging, denn die Vergrößerung eines Kreises führte dazu, dass althergebrachte Ansichten und Strukturen hinterfragt wurden und wir dadurch in diesem Workshop schnell zum Thema »Auftrag« unserer Arbeit kamen, was politisch an Traditionslinien und dem Selbstverständnis der KDA-Arbeit anknüpfte. Schnell wurde deutlich, dass evangelische Kirche dorthin gehen sollte, wo Menschen sind, da ist der Betriebsbesuch elementar – und zwar nicht als Zuschauer, sondern als ein Akteur auf Augenhöhe. Die Arbeitswelt in heutigen Zeiten ist einer ständigen Beschleunigung und

Komplexität unterworfen und die Menschen haben an ihren Arbeitsplätzen haben eine Sehnsucht nach Oasen der Ruhe. Dabei kann ein »Kirchen-Mensch« hilfreich sein – als Person, als personifizierte Intervention, … So werden zum Beispiel Pastoren oder Pfarrer/Pfarrerinnen bei Betriebsversammlungen als förderlich erlebt, aber auch bei Andachten in Betrieben oder Gottesdiensten anlässlich von Betriebsschließungen als Wächter für Entschleunigungen wahrgenommen. Sie werden zu einem Gegengewicht der modernen, entpolitisierten Arbeitswelt und lassen sich nicht politisch instrumentalisieren, sondern stehen in erster Linie im Dienst der Menschen und des Glaubens und handeln erst in zweiter Linie als politische Akteure. Die Weiterentwicklung des kooperierten Modulsystems ist durch die Evaluation gegeben, woraus Standards für weitere Module erarbeitet wurden. Der theologische Zugang wurde von unterschiedlichen Professionen eingefordert, da dies der kleinste gemeinsame Nenner im Zusammenwirken in kirchlichen Strukturen zu sein scheint. Das Beharren auf einer politischen Richtung wird dadurch entkräftet. Immer wieder fi ndet eine Rückbindung und Selbstvergewisserung statt, neue Ideen werden sorgfältig geprüft und dann entsprechend evaluiert und in das modulare Konzept integriert.

Gila Zirfas-Krauel ist Referentin für Bildungsmanagement und Netzwerkarbeit beim Evangelischen Verband Kirche – Wirtschaft – Arbeitswelt. www.kda­ekd.de


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MATeRIALIen

Buchtipps für die gemeindepädagogische Praxis Petra Müller

Wie glauben Jugendliche heute? Stimmt das Vorurteil, dass sie mit Religion und Kirche nichts am Hut haben? Im Auftrag der Evangelischen Kirche von Westfalen untersuchte das Institut empirica in einer großangelegten Studie den Glauben von Jugendlichen. Mit Fragebögen, Interviews und Collagen wurden spannende Einblicke in das Glaubensleben und die Sprachfähigkeit der Jugendlichen erzielt. Das Praxisbuch »Wenn Jugendliche über Glauben reden – Gemeinsame Erfahrungsräume gestalten« stellt die Ergebnisse dieser Studie vor und identifiziert dabei drei »Typen des Glaubens«: die Religiösen, die Alltagsgläubigen, die Pragmatiker. Daran anknüpfend fragen die Autoren Tobias Faix, Udo Bußmann und Silke Gütlich in einem großen Praxisteil nach den Konsequenzen für die kirchliche Jugendarbeit. Elf Beispiele verschiedener Jugendprojekte zeigen, wie aufgrund der Ergebnisse Jugendarbeit heute aussehen kann. Neukirchener Aussaat, Neukirchen-Vluyn 2013, 184 Seiten kartoniert, ISBN 978-3-7615-6017-4, € 19,99

Wer neu in eine Gemeinde kommt, merkt häufig, wie schwer es ist, Kontakt zu bekommen. Beim Händeschütteln an der Kirchentür wird man oft mit »Einen schönen Sonntag« verabschiedet, ohne wirklich wahrgenommen und angesehen zu werden. Bei einer Veranstaltung kommt unter Umständen niemand auf einen zu. Das beobachteten auch Renate Rogall-Adam und Gottfried Adam. Sie nahmen dies zum Anlass, eine Anleitung zur Kommunikation in der Gemeinde mit dem Titel »Small Talk an der Kirchentür« zu schreiben. Im ersten Teil geht es um die Frage, was Small Talk ist, und es werden grundlegende Kommunikationsmodelle dargestellt. Im zweiten Teil steht die Praxis des Small Talks im Mittelpunkt: das Beginnen, Gestalten und Beenden. Zuletzt werden Situationen des Small Talks thematisiert, die Anregungen für die kirchliche Praxis geben wollen. Ein sehr sinnvolles und hilfreiches Buch! Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, 208 Seiten kartoniert, ISBN 978-3-525-58026-4, € 27,99

In vielen Gemeinden findet der Kindergottesdienst schon seit Langem in anderen Zeitrhythmen als früher statt, oft einmal im Monat, vielleicht auch über mehrere Stunden. Da ist ein Arbeiten nach dem klassischen Kindergottesdienstplan nicht sinnvoll. Das Buch »12 Kindergottesdienste mit elementaren Bibelgeschichten« geht auf diese Veränderungen ein. Es will innerhalb eines Jahres eine Grundausstattung biblischer Geschichten aufbauen. Sie werden erzählt, erkundet, kreativ gestaltet und gefeiert. Das Besondere an diesen Entwürfen aber sind die von Martina Steinkühler geschriebenen Rahmengeschichten mit immer gleichen Akteuren und einer ganz eigenen Erzählperspektive. Aus einer biblischen Geschichte wird nur ein Aspekt ausgewählt, der dann mit dem Frage- und Erkenntnishorizont der Kinder und deren Lebenswelt verknüpft wird. Die Geschichten des ersten Bandes reichen von Adam bis Johannes dem Täufer. Im zweiten Band stehen Jesus-Geschichten im Mittelpunkt. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012/2013; Band 1: 127 Seiten, ISBN 978-3-525-63040–2, € 17,99 Band 2: 136 Seiten, ISBN 978-3-525-63050–1, € 19,99

»Kann’s auch etwas mehr sein?« versammelt Texte, die Thomas Weiß als geistliche Wochenendkolumnen im Badischen Tagblatt veröffentlicht hat. Es sind Sonntagsgedanken, die auf den Alltag zielen, auf das kleine Glück, die großen Herausforderungen oder das tägliche Allerlei. Anknüpfungspunkte sind die alltäglichen Erfahrungen, deren Tiefen und Untiefen in den Blick und manchmal auch ein wenig aufs Korn genommen werden. Denn gerade in ihnen erweist sich Gott als alltagstauglich, begleitend, mitgehend. Die Impulse werden in drei Themenbereiche gegliedert: So Sachen, Bei Gelegenheit und Übers Jahr. Das Büchlein ist klar und sehr schön gestaltet und dient als persönlicher Wegbegleiter und Augenöffner. Ebenso aber ist es vor allem auch für geistliche Impulse bei vielen gemeindlichen Gelegenheiten geeignet. Ich habe das Buch schon mehrfach sehr schätzen gelernt und es liegt griffbereit auf meinem Schreibtisch. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2013, 192 Seiten gebunden, ISBN 978-3-579-06187-0, € 12,99


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»Alles hat seine Zeit« – Fastenzeit gestalten mit Kindern in der Kindertageseinrichtung Ein Praxisbeispiel aus Erfurt Ellen Böttcher und Claudia Dreißig

Unser religionspädagogisches Konzept im Evangelischen Predigerkindergarten Als evangelischen Christinnen ist es uns Erzieherinnen ein besonderes Anliegen, den Kindern ein glaubwürdiges Angebot gelebter Religion zu bieten. Kinder erfahren bei uns die ermutigende Botschaft biblischer Geschichten, sie lernen Menschen kennen, die ihren Glauben leben. Wir möchten ihnen den Freiraum geben, eigene Gottesvorstellungen zu entwickeln, sich darüber auszutauschen, Fragen zu stellen und auch Zweifel und Enttäuschungen zu formulieren. Unsere christlichen Grundwerte prägen unser tägliches Miteinander und spiegeln sich im Alltag wider. Getragen vom christlichen Glauben wollen wir den Kindern Mut, Selbstbewusstsein, Geborgenheit und eine positive Lebenseinstellung nahebringen. Dabei spielen Rituale eine wesentliche Rolle. Mit den Kindern bitten wir täglich im Morgenkreis um Gottes Segen für den Tag. In unserem Tagesablauf erleben sie das Gebet mit und für andere als wichtigen Bestandteil. Das Kirchenjahr mit seinen Festen, Ritualen und Geschichten fließt immer wieder in unsere pädagogische Arbeit ein und bietet Verknüpfungspunkte der kindlichen Lebenssituation mit religiösen Inhalten. Große Bedeutung und einen festen Platz haben für uns die wöchentlichen Kinderandachten, die alle Kinder und Erzieherinnen gemeinsam begehen. In unseren Andachten werden den Kindern die biblischen Geschichten mit vielfältigen Methoden nahegebracht – hier erleben sie in Gesang und Gebet, wie man christlichen Glauben leben kann. Sie finden in unserem Kita-Saal statt und folgen einem festen liturgischen Rahmen. Einmal im Monat feiern wir zudem die Andacht in unserer Predigerkirche. Geplant und geleitet werden die Kinderandachten von uns Erzieherinnen und/oder dem Pfarrerehepaar.

Die Kinderandachten in der Fastenzeit »Alles hat seine Zeit« – so hieß unser Rahmenthema für das Kindergartenjahr. ›Welche Berührungspunkte haben Kinder mit diesem Thema?‹, fragten wir uns. Keine Zeit zu haben, alles gleichzeitig und sofort machen zu müssen, scheinen eher typische Erwachsenenprobleme zu sein. Wir fanden es dennoch interessant, denn natürlich wird auch das Leben der Kinder

durch die Zeit strukturiert. Für Kinder wird der abstrakte Begriff »Zeit« erlebbar, wenn er in ihrer Lebenswelt mit Inhalten und Erlebnissen gefüllt wird. Da gibt es Zeiten zum Spielen, Aufräumen, Essen, Feiern, Tätigsein und Ausruhen, Bewegungs- und Andachtszeit, Wald- und Wandertage. Das ganze Jahr ist geprägt durch die Jahreszeiten und das Kirchenjahr. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Bildungsbereiche boten sich vielfältige Beschäftigungen mit dem Thema an. Die Fastenzeit gibt uns in jedem Jahr Gelegenheit zur Begegnung mit ihren wiederkehrenden Bibelgeschichten. Vom Rahmenthema geleitet versuchen wir, in den Andachten eine jeweils andere Sicht darauf zu eröffnen. Die folgenden Gedanken leiteten uns durch das Jahr: Zeit ist uns geschenkt – wir können sie nutzen! Zeiten wechseln sich ab – fröhliche und schwere! Es ist gut, Zeiten bewusst zu (er)leben! Wir können darauf vertrauen, dass schöne Zeiten wiederkehren! Nach der Faschingszeit folgten wir anhand biblischer Geschichten Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem und zum Kreuz. Das Lied »Mit Jesus wollen wir gehen« (Text und Musik: Martin Göth) begleitete uns als Ritual in jeder Andacht.

Übersicht über die Kinderandachten in der Fastenzeit • • • • • •

Andacht zum Aschermittwoch: das Zeichen des Aschekreuzes Zeit für eine besondere Geste – die Salbung in Bethanien: Stabtheater Zeit zum Jubeln – Jesu Einzug in Jerusalem: darstellendes Spiel mit großer Eselsfigur Zeit zum Ärgern – die Tempelreinigung: freies Erzählen (in der Kirche) Auszeit! – Jesus in Gethsemane: Nacherzählung Zeit sich zu verabschieden – das letzte Abendmahl und Jesu Tod: Passahfeier und Abnehmen bzw. Abdecken unseres Kreuzes Zeit zum Freuen – Jesu Auferstehung: darstellendes Spiel mit Nacherzählung

Ellen Böttcher und Claudia Dreißig sind Erzieherinnen im Evangelischen Predigerkindergarten Erfurt.


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PRAXISen TWü RFe

Ein Beispiel für unsere Kinderandachten in der Fastenzeit – die Salbung in Bethanien – Mt 26,6–13

Leitgedanken: Die Geschichte der »Salbung in Bethanien« ist bibelkundlich in die Passionsgeschichte Jesu eingebettet. Die unbekannte Frau salbt Jesus mit kostbarem Nardenöl, so wie man im Alten Testament die Könige salbte. In der Passion klingt zudem der Aspekt der traditionellen Totensalbung an. Diese theologischen Hintergründe waren uns präsent, doch stellten wir sie bewusst in unserer Andacht nicht in den Mittelpunkt, da sie den Kindern fern sind und keinen wirklichen Anknüpfungspunkt mit ihrer Lebenswirklichkeit bieten. Näher lag uns, den Aspekt der freundlichen Geste, der vertrauten Berührung und der liebevollen Zuwendung herauszuarbeiten und den Kindern durch eine vertiefende Aktion zu veranschaulichen. Methode: Erzählen der Geschichte mit Stabpuppen Quelle: Erzähltext und Bilder für Stabpuppen aus: Regine Schindler und Štĕpán Zavřel: »Mit Gott unterwegs – Die Bibel für Kinder und Erwachsene neu erzählt«, 1996, bohem press, Zürich, 222. Einstieg/Anfangsritual: Alle Kinder und Erzieherinnen nehmen im Kreis in unserem Saal Platz; die Klangschale wird geläutet, die Andachtskerze angezündet. Wir singen das Anfangslied »Gib uns Ohren, die hören«. (aus: Andreas Ebert [Hrsg.] Das Kindergesangbuch, 10. Auflage 2009, Claudius-Verlag 1998, München, 325) und begleiten es mit Bewegungen. Geschichte: Eine Erzieherin erzählt die Geschichte, eine andere führt die Stabpuppen: Jesus war mit seinen Freunden viel im Land Israel unterwegs. Zu Fuß zogen sie durch die Orte. Jesus erzählte den Menschen von Gott. Jesus machte kranke Menschen gesund. Jesus machte traurige Menschen froh. Jesus segnete Kinder. Aber in den letzten Tagen schien Jesus manchmal traurig und besorgt zu sein. Seine Freunde, die Jünger, merkten das nicht. Jetzt kommen Jesus und seine Freunde nach Bethanien. Das ist ein Ort ganz in der Nähe der großen Hauptstadt Jerusalem.

5. Szene: Doch schon ist die fremde Frau bei Jesus. Sie nimmt eine schön verzierte Glasflasche aus den Falten ihres Kleides. Alle sind still, alle schauen ihr zu, wie sie Öl aus der Flasche über Jesu Kopf gießt. Sanft streicht sie über seinen Kopf. »Das ist kostbares Nardenöl, ich rieche wie es duftet«, hört Simon eine Frau hinter sich sagen. Narde, denkt Simon, ist das nicht das teure Öl, mit dem Könige gesalbt wurden? Alle blicken auf Jesus und die Frau. Keiner isst weiter. Der herrliche Duft des Öls verbreitet sich im ganzen Haus. Jesu Freunde aber sehen Simon fragend an. Doch Simon schaut zu Boden. Er kann nichts dafür, dass diese fremde Frau in sein Haus gekommen ist. Dann beginnen die Freunde die Frau zu beschimpfen: »Frau, bist du verrückt? Eine ganze Flasche des teuren Öls gießt du aus? Du hättest das Öl verkaufen können. Mindestens dreihundert Silbergroschen hättest du dafür bekommen. Oder noch viel mehr!« Alle reden jetzt durcheinander. Sie sind empört. Einige stehen auf. »Vielen armen Menschen hätten wir mit dem Geld helfen können, ihnen etwas zu essen kaufen. Warum bist du so unvernünftig? Was soll diese Verschwendung?« 6. Szene: Da steht Jesus auf. Er stellt sich vor die Frau und schaut sie freundlich an, voller Dankbarkeit. Alle sehen seine Haare, die vom Öl glänzen. »Lasst die Frau in Ruhe! Macht sie nicht traurig! Sie hat mir gut getan. Arme Menschen habt ihr immer um euch und könnt und sollt ihnen helfen. Ich aber bin nicht mehr lange bei euch. Frau, du hast mir eine Freude gemacht. Ich danke dir.« »Sie hat ihn gesalbt, wie man früher die Könige salbte«, sagt einer der Jünger. Doch schnell wird es wieder still. Die Frau verlässt das Haus. Sie verschwindet in der Nacht. Die Öllämpchen im Raum flackern. Aktion: Nach der Erzählung folgte die Vertiefung der Geschichte. Meditative Musik begleitete diese. Die Kinder wurden dazu aufgefordert, ihrem Nachbarn die Hände aufzulegen und einfach mal in sich hineinzuspüren:

»Die Frau in unserer Geschichte hat Jesus berührt, sie hat mit Öl seinen Kopf berührt. Wir wollen zusammen ausprobieren, wie das gewesen ist. 1. Szene: Simon hat sein Haus in Bethanien festlich aufgeräumt und geLegt eure Hand auf den Rücken eures Nachbarn, ganz vorsichtig und lieschmückt. Seine Frau und die Kinder haben gebacken und gekocht. »Jesus bevoll. Spürt, wie sich das anfühlt: da berührt mich jemand. Legt nun eure kommt, Jesus, der Kranke gesund macht«, sagt Simon immer wieder. Auch Hand vorsichtig auf den Kopf eures Nachbarn. Ganz sanft, ohne zu drücken. ihn, Simon, hat Jesus von seiner schlimmen, ansteckenden Krankheit geheilt. Schließt die Augen und spürt genau! Seitdem wartet Simon auf diesen Tag. Er ist stolz, dass Jesus und seine FreunJesus hat die Berührung gut getan. Er hat die Wärme gefühlt, die Zuneide, die Jünger, heute bei ihm zu Gast sein werden. gung. Er hat gespürt, dass er nicht allein ist, dass jemand bei ihm ist, der ihm Auf der Straße vor dem Haus ist es laut. Nur noch zwei Tage, dann wird eine Freude machen möchte. Vielleicht habt ihr etwas ganz Ähnliches gespürt?!« das Passahfest gefeiert! Viele Leute sind in der Stadt. Immer wieder klopfen Menschen an, die in Jerusalem feiern möchten. »Hast du Platz für uns, dass wir bei dir wohnen können – wir bezahlen auch gut!«, rufen sie dann. Je- Lied: »Mit Jesus wollen wir gehen« (Text und Musik: Martin Göth) des Mal aber antwortet Simon mit strahlenden Augen: »Mein Haus ist heute Gebet: Guter Gott, Abend voll. Geht weiter.« wir haben gerade miterlebt wie eine Frau Jesus ihre Zuneigung mit teurem Öl zeigt. 2. Szene: Und dann stehen sie im Eingang: Jesus und seine zwölf Freunde. Dabei kommt sie ihm ganz nah wie wir eben unserem Freund. Sie sehen müde aus, auch hungrig und durstig. Simon empfängt sie mit offenen Armen, er wäscht ihre staubigen Füße. Für jeden hat er auf dem Boden Schenke uns immer wieder solche besonderen Gesten der ein Kissen bereitgelegt. Freundschaft und Liebe, vor allem aber zeige uns, wie wir Dir und unserem Nächsten unsere Liebe und Zuneigung zeigen können, 3. Szene: Bald sitzen sie im Kreis und essen. »Nehmt doch, nehmt!«, sagt Amen. Simon. Er trägt den Korb mit den Honigkuchen, die Schüsseln mit gebratenem Fleisch und Gemüse von einem zum anderen. Vaterunser 4. Szene: Simon stutzt. Wer ist die Frau, die da plötzlich ins Haus tritt? Was will sie hier? Hat sie überhaupt geklopft? Eine Bauersfrau von Bethanien ist Lied: »Gottes Segen wird stets bei uns sein« (Text: Rolf Krenzer, Musik: aus sie nicht! Aufrecht steht sie inmitten der Männer. Aufmerksam schaut sie von Brasilien, musikalische Bearbeitung: Reinhard Horn) einem Gesicht zum anderen. Dann geht sie auf Jesus zu. Simon möchte sie zurückhalten: »Lass ihn doch, er ist müde, lass ihn ausruhen.«


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Bedächtig lässt Sokey Edorh den roten Sand durch seine Hände gleiten: afrikanische Erde, die er aus seinem Heimatdorf in Togo mit nach Deutschland gebracht hat. Sie rieselt in ein Gefäß und Sokey verrührt die Masse langsam mit Wasser, bis die Konsistenz ihm passend zu sein scheint. Nun greift er zum Pinsel und verstreicht den weichen, roten Lehm auf der Leinwand. Mit schnellen und geübten Bewegungen füllt er den leeren weißen Raum. Sein ganzer Körper folgt dem Schwung des Pinsels. Sokey Edorh ist einer der international renommierten Maler Westafrikas. Im Frühjahr 2010 ist er der Einladung Misereors

gefolgt und hat eines der modernen Hungertücher gestaltet. Wie viele der ausgewählten Künstler, ist auch der Mann aus Lomé jemand, der beide kennt, den Norden und den Süden einer Welt, die immer mehr zusammenwächst. Künstler als Brückenbauer, die Verbindung herstellen wollen zwischen den verschiedenen Kulturen – Wanderer zwischen den Welten. Vielen Gemeinden und Gruppen sind die Hungertücher vertraut. Seit mehr als 35 Jahren beauftragt Misereor alle zwei Jahre einen Künstler oder eine Künstlerin aus den Südkontinenten damit, ein neues Bild zu gestalten (vgl. dazu www.hungertuch.de).

Auf Tuchfühlung Das Misereor-Hungertuch als Medium politischer Bildung Claudia Kolletzki

Bibel der Armen »Am Hungertuch nagen« – diese sprichwörtliche Redensart ist uns geläufig. Sie bedeutet so viel wie »Hunger leiden«, arm sein. Weniger bekannt ist dagegen die Hungertuch-Idee: Sie entstammt einem alten kirchlichen Brauch, der bis vor das Jahr 1000 n. Chr. zurückgeht (vgl. Bischöfliches Hilfswerk Misereor 2007). Die Tücher zeigten Bildmotive aus der Heilsgeschichte des Alten und Neuen Testaments. Einerseits verdeckten sie das Geschehen am Altar, andererseits erzählten sie die biblischen Geschichten von der Schöpfung bis zur Wiederkunft Christi und stellten so als »Armenbibel« der des Lesens meist unkundigen Gemeinde die Heilsgeschichte in Bildern vor Augen.

Eine alte Tradition neu belebt Das Hilfswerk Misereor hat 1976 die Tradition der Hungertücher wieder aufgegriffen und ihr – in modernem Gewand – weltweite Resonanz verschafft. Die Misereor-Hungertücher knüpfen nicht an die

Verhüllungstradition, sondern vielmehr an die katechetisch-didaktische Funktion der historischen Fastentücher an. Alle zwei Jahre wird ein neues Bild von engagierten Künstlern aus Afrika, Asien oder Lateinamerika gestaltet und ermöglicht Einsichten in das Leben und den Glauben von Menschen uns fremder Kulturen. Kernaussagen christlichen Glaubens verweben sich hier mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen und dem Appell für eine gerechte und solidarische Eine Welt. Die modernen Bilder laden, ganz in der Tradition der mittelalterlichen Tücher, zur Betrachtung der Heilsgeschichte ein. Neu daran ist, dass eine Verbindung mit dem Hunger und der Armut, aber auch dem kulturellen und spirituellen Reichtum der Menschen auf den Südkontinenten hergestellt wird. Die modernen Tücher hängen auch nicht nur in vielen Kirchen Deutschlands, der Schweiz und der Niederlande, sondern werden – in einem kleineren Format oder multimedial aufbereitet – in Schulen genutzt. Misereor bietet neben den Materialien zum Hungertuch für Gemeinden auch jeweils Schulmaterialien und ein »Lehrerforum« zum Hungertuch an (vgl. www.misereor.de/service/lehrer.html).


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Kunst ist mehr als schöner Schein Meist von christlichen Künstlern aus Afrika, Asien, Lateinamerika gemalt, ermöglichen die Hungertücher eine Begegnung mit dem Leben und dem Glauben von Menschen anderer Kulturen. Dieser Austausch von Impulsen beinhaltet immer auch eine Anfrage an unser eigenes Christsein und unseren eigenen Lebensstil. Misereor begann diese Arbeit in einer Zeit, als die Rezeption afrikanischer, australischer, asiatischer Kunst deutlich geprägt war von einem eurozentrischen Kulturverständnis. Außereuropäische Kunst hatte ihren Platz als folkloristisches oder kunsthandwerkliches Element in den Völkerkundemuseen. Längst hat jedoch in den Ländern der »Dritten Welt« ein Aufbruch der zeitgenössischen Kunst stattgefunden. Einigen der »Hungertuch«Künstler wie EL Loko, Li Jinyuan oder Azaria Mbatha gelang es, auch auf dem internationalen Kunstmarkt zu reüssieren, aber es bleibt nach wie vor für die meisten Maler und Bildhauer schwierig, hier Abnehmer für ihre Werke zu finden.

de nicht lediglich dekoratives Beiwerk am Rande sind. Malerei, Musik und Tanz bringen Farbe und Leben in diesen Arbeitsbereich und lassen die Anliegen der Menschen konkreter und anschaulicher werden. Miteinander ins Gespräch zu kommen und vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen und lokaler Prioritäten neue Wege und Ziele einer nachhaltigen Entwicklungspolitik zu diskutieren, ist das Anliegen der Hungertücher. Sie tragen so auch zum »Globalen Lernen« bei, der pädagogischen Auseinandersetzung damit, wie Lernen im Welthorizont, in dem junge Menschen aufwachsen, einen bedeutsamen Beitrag zu ihrer Persönlichkeitswerdung leisten kann. Sie behandeln globale Themen und sind dem Leitbild einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet (vgl. Jahrbuch 2012). Globales Lernen bedeutet Bildungsarbeit, die den Blick und das Verständnis der Menschen für die Realitäten der Welt schärft und sie zum Einsatz für eine ausgewogenere Welt mit Menschenrechten für alle aufrüttelt.

Eine bunte Palette Kunst in der Entwicklungszusammenarbeit Die globalen Zukunftsfragen der Überwindung von Armut und Ungerechtigkeit, der begrenzten Ressourcen und der zunehmenden Belastung der Ökosphäre fordern Menschen in Nord und Süd heraus. Auf unserer Seite gibt es die Notwendigkeit, sehr grundsätzlich über Wirtschaft, Wachstum, Wertschöpfung nachzudenken und so den Möglichkeiten eines menschenwürdigen Lebens aller Menschen und zukünftiger Generationen Rechnung zu tragen. Auf der Seite der armen Bevölkerungsgruppen und unserer Partner in Afrika, Asien und Lateinamerika gibt es berechtigte Erwartungen auf Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Misereor fordert und fördert diesen Dialog zwischen Menschen in Nord und Süd, um insbesondere die Anliegen unserer Partner und ihrer Zielgruppen in Afrika, Asien und Lateinamerika deutlich zu machen. Kunst, Kultur und Religion sind Orte, an denen solche Utopien entworfen und diskutiert werden. Verschiedene UN-Weltkonferenzen haben Kultur als ein existentielles Element für die Entwicklungsfähigkeit von Gesellschaften herausgearbeitet. Entwicklung ist ohne den Kontext des Menschen nicht möglich, sondern wäre wie ein Wachstum des Körpers ohne die Seele. Kunst ist wesentlicher Teil von Emanzipationsprozessen und oft genug Hoffnungsträgerin für Entwicklungsprojekte. Ein reger kultureller Austausch kann mehr Weltoffenheit und mehr Akzeptanz für die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit initiieren, solange Kulturschaffen-

Thematisch orientieren sich die Hungertücher an Kernaussagen der Bibel und verbinden sie mit aktuellen politischen Fragen von Gerechtigkeit und Solidarität (vgl. www.hungertuch.de). Sie sind zu einem wesentlichen Medium der jährlichen Fastenzeit geworden und werden auch im ökumenischen Bereich gerne genutzt. Für viele Menschen waren und sind die Bilder ein Anstoß, sich mit Visionen für das Zusammenleben in der Einen Welt auseinanderzusetzen, mit anderen Kulturen in Dialog zu treten und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Die Begegnung wird immer auch als Angebot wahrgenommen, sich zu beteiligen, Gedanken beizutragen und Verantwortung für den Erhalt unserer gemeinsamen Lebensgrundlagen zu übernehmen. Wir möchten den Glauben ganzheitlich verwirklichen, nicht nur intellektuell, nicht nur politisch. Mystik und Politik gleichzeitig sind gefragt, und dies in der Gesamtschau der Menschheit mit ihren vielfältigen Kulturen und Traditionen und in ökologischer Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung. In den Jahren seit 1976 sind 19 Hungertücher entstanden, die so unterschiedlich sind wie die Menschen, die sie gestaltet haben. Eine bunte Palette im wahrsten Sinn des Wortes, die zeigt, wie vielfältig die Wirklichkeit ist. Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Sie sind nicht nur eine einfache Abbildung der Wirklichkeit. Wer Bilder verstehen möchte, muss auch manches offen lassen, Provokantes und Mehrdeutigkeiten aushalten. Wer sie sieht, wird in jedem Fall Einsichten gewinnen.


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Jedes Jahr verwenden Gemeinden und Schulen das Misereor­Hungertuch, um sich in der Fastenzeit und darüber hinaus mit drängenden Themen der sozialen Gerechtigkeit auseinanderzusetzen. Ejti Stih aus Santa Cruz de la Sierra (Bolivien) gestaltete das Hungertuch 2013/2014 »Wie viele Brote habt ihr?«

Glauben und Leben im Gespräch Das Hungertuch aus Santiago de Pupuja/Peru (1986) zeigt, wie die Umsetzung der befreienden biblischen Botschaft in Bilder Leben verändern kann. Die Darstellungen dieses Zeugnisses aus Lateinamerika, von einfachen Leuten, nicht von einem Künstler gemalt, belegen, wie die biblische Botschaft auf lebendige Weise in die alltägliche Praxis umgesetzt werden kann. Die Menschen in Peru haben die Botschaft des befreienden Gottes auf ihre eigene Notsituation bezogen: angestiftet von der erlösenden Botschaft der Bibel dachten sie über Ansätze der Befreiung in ihrem Leben nach. Ihre Deutung des Evangeliums, ihre christliche Lebens- und Glaubenspraxis ließen die Gemeinden nicht unberührt und haben zahlreiche Gruppen auch hier bei uns angeregt, Visionen zu entwickeln, aufzubrechen und gemeinsam den Weg der Hoffnung zu gehen, um Leben und Glauben wieder näher zusammenzubringen. Kunst will Probleme aufzeigen und Brücken bauen: »Das kann so weit gehen«, meinte EL Loko (Lomé/Köln), der das Hungertuch von 2002 gestaltete, »dass Probleme, die ein deutscher Künstler aufzeigt, für Togolesen nützlich sein können und umgekehrt. (…) es kann sein, dass die Lösung von Problemen, die die man heute hier hat, aus Simbabwe oder Südafrika kommt. Und umgekehrt können Antworten auf Probleme in Togo oder Benin auch von hier kommen. Wenn man so will, sitzen wir alle in einem Boot. Und deswegen verstehe ich nicht, warum es eine erste Welt geben soll, eine zweite und

eine dritte. Das ist absurd.« (Bischöfliches Hilfswerk Misereor 2007, 118 f.) »Menschen können, durch die Kunst sensibilisiert, beginnen, die Dinge in Frage zu stellen«, so die slowenisch-bolivianische Künstlerin Ejti Stih über ihre Arbeit an dem aktuellen Misereor-Hungertuch »Wie viele Brote habt ihr?« Hinschauen, miteinander reden und hinhören – wenn das der Fall wäre, hätten die Hungertücher ihr Ziel erreicht.

Dr. Claudia Kolletzki ist Projektleiterin »Hungertuch« bei Misereor in Aachen und hat eine Fortbildung in psychoanalytischer Kunsttherapie nach C. G. Jung absolviert. Literatur: Bischöfliches Hilfswerk Misereor (Hrsg.) (2007): Auf Tuchfühlung. Misereor­Hungertücher 1976–2008. Aachen. Jahrbuch Globales Lernen 2012. Wirkungsbeobachtung und Qualitätsentwicklung. Venro (Hrsg.), 2012.


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Kein Kre u z Weg f † r Ju ge n DLiChe ! Ein Weg, der Jugendliche bewegt Michael Seidel

Der Kreuzweg Ðzwischen Tradition und neuen Chancen, sich vom Leidensweg Jesu bewegen zu lassen Wann begegnet Ihnen ein Kreuzweg? Mir vor allem im Urlaub. Wenn ich in den Alpen wandern gehe, stehen sie manchmal am Wegesrand: die 14 Stationen des Leidensweges Jesu als Bilderzyklus, manchmal auch als Skulpturengruppe. Eine Wegmarkierung, die meinen Blick anzieht und mich fragt: Welche Erfahrungen hast du mit dem Kreuzweg gemacht? Ich komme aus einer protestantischen Tradition, in der die Mystik, das Beten des Kreuzweges keine Heimat hat. Erst seit wenigen Jahren hält er aber auch in meiner Kirche wieder Einzug, wurde aus den Kammern und Böden zwischen all den vorreformatorischen Traditionen hervorgeholt und abgestaubt. Somit ist mein Weg mit diesem Weg noch nicht sehr lang. Er beginnt mit meinem hauptberuflichen Einstieg in die Evangelische Jugendarbeit und mit dem Eintauchen in die Vorbereitungen des alljährlichen Ökumenischen Kreuzweges der Jugend (Jugendkreuzweg).

Was ist der …kumenische Kreuzweg der Jugend? Ein Exkurs auf der Internetseite des Jugendkreuzweges: »Alles beginnt 1958 auf dem Katholikentag in Berlin. Ein Kreuzweg findet statt, sehr feierlich, sehr bewegend und sehr ergrei-

fend – die jungen Beter aus Ost und West vereinend. Noch steht die Mauer nicht. Gemeinschaft im Gebet ist möglich. Und die Idee keimt: das muss es jedes Jahr geben. Einen eigenen Kreuzweg, der die Jugend in Ost und West verbindet. Alsbald wird er zur ›Gebetsbrücke‹ über die Mauer hinweg. Papiere, Matrizen, Materialien werden in die DDR geschmuggelt. Der Kreuzweg setzt religiöse und politische Zeichen. Als er 2008 seinen 50. feiert, hat er auch schon 36 Jahre das Trennende zwischen katholisch und evangelisch überwunden – ist seit 1972 ökumenisch.« (www. jugendkreuzweg-online.de) Drei Impulse will der Jugendkreuzweg setzen: die persönliche Vergegenwärtigung des Leidensweges Christi und die Übertragung in unsere Zeit, in der Gottes Schöpfung noch leiden muss. Ein politisches Signal. Dazu baut er mit dem gemeinsamen Beten von Christen verschiedener Kirchen eine ökumenische Brücke, die trägt! Auch die Trägerschaft des Jugendkreuzweg ist ökumenisch aufgestellt durch die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj) als Geschäftsführerin, den Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej). Gemeinsam verantwortet, erstellen sie das Material und die Gestaltungsideen. Jährlich stellen Künstler ihre Kreuzwege dem Jugendkreuzweg zur Verfügung. Als Fotozyklus, in Öl und Farbe oder im Skulpturenformat: »mal klassisch, mal provokant,

mal gegenständlich, mal abstrakt – immer aber so, dass es der Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben dient« (www.jugendkreuzweg-online.de). Die Materialien können über die Homepage des Jugendkreuzweges bestellt werden.

Der Jugendkreuzweg Ð ein bewegender Weg? Jedes Jahr stellen wir uns in diese große Tradition, wenn wir uns an die Vorbereitungen des Jugendkreuzweges herantasten, und ich stelle mir die Fragen: Ist die Form geeignet, junge Menschen mit dem Leidensweg Christi in Berührung zu bringen und gelingt der Transfer für die Teilnehmenden in das eigene Leben, gelingt es, seine Spuren zu entdecken auf dem eigenen Lebensweg? Ich habe Jugendliche gefragt, an was sie sich erinnern, was sie bewegte an ihrem Jugendkreuzweg. Interessant: Alle Angefragten hatten noch Erinnerungen von unterschiedlicher Intensität an ihren Jugendkreuzweg, egal ob er ein halbes Jahr oder mehrere Jahre zurücklag. »Ich erinnere mich an das kalte Wetter, das Kreuz, was geschleppt werden musste, und an die Security (Anmerkung: Aktion, die die Teilnehmenden zwangen, das relativ schwere Kreuz zu tragen).« (Jakob, 13 Jahre) »Und an den Stein, den jeder als ›Last‹ mitbekommen hat, aus dem wir alle ein kleines Kreuz gelegt haben.« (Annemarie, 15 Jahre) »Ich denke daran, wie wir jede Station vorher aufgebaut haben, und dann


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natürlich an die Stationen selbst: Vor allem die Aktion mit den Steinen, auf die wir Wünsche geschrieben haben und dann zum Kreuz gelegt haben, fand ich sehr bewegend und einprägsam.« (Felix, 18 Jahre) »Daneben erinnere ich mich eindrücklich daran, dass einmal am Beginn des Weges die erste Kirche komplett abgedunkelt war, das war ein beeindruckendes Erlebnis. (…) Neben diesen Erinnerungen ist mir noch positiv das gemeinsame Singen und Beten präsent. Sowie auch kleine Schauspielszenen an den Stationen.« (Franziska, 22 Jahre) Es sind sicherlich sehr kleine, stichpunktartige Äußerungen, die aber in mir aus dem grundsätzlichem »Ob« ein nach vorn blickendes »Wie« machen.

Chancen und Mš glichkeiten fŸr die kirchliche Jugendarbeit Im Folgenden möchte ich sieben Erfahrungen aus dem Kirchenkreis Gotha teilen, die für uns zu Grundsätzen der Vorbereitung und Durchführung des Jugendkreuzweg geworden sind.

1 Nur im Team »Also es bewegt mich, dass wir alle zusammen als Gemeinschaft diesen Weg mit den Stationen ablaufen [...] und den Leidensweg nachvollziehen können.« (Annemarie, 15 Jahre)

Der Blick auf die eigene Jugendgruppe zeugt oftmals vom Kleinen; aber viele kleine Gruppen ergeben ein großes Ganzes. Der Jugendkreuzweg führt im Kirchenkreis Gotha viele Gruppen zusammen: Jugendkreise der Katholischen wie Evangelischen Gemeinden sowie Aktions-, Konfirmanden- und Firmungsgruppen. Im Vorfeld treffen sich die Leitenden bzw. Vertreter der Gruppen, um das Material zu sichten und um Grundsätzliches zu klären. Wo soll der Weg verlaufen? Wer bereitet welche Station vor? Welche Aktionen sollen den Jugendkreuzweg beleben?

2 Beteiligung ist alles Für jede sich beteiligende Gruppe gilt, dass eine Station in Eigenregie vorbereitet wird. Dies gilt besonders für Konfirmanden- und Firmungsgruppen, die in der Regel mit »geschickten« Jugendlichen zum Jugendkreuzweg anreisen. Um ihnen den Einstieg in den Kreuzweg zu erleichtern und die Konzentration auf die Wegstationen und Aktionen zu steigern, ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Vorbereitung einer Station sehr hilfreich.

3 Ein Weg durch die Natur »Was ich generell an Jugendkreuzwegen sehr wichtig finde, ist das Wandern. Ich finde es sehr bewegend, wenn man dabei zur Ruhe kommen kann und über das Gehörte der Stationen nachdenken kann.« (Felix, 18 Jahre)

Vor Jahren verlief der Jugendkreuzweg in Gotha durch die Stadt. Die Teilnehmerzahlen nahmen kontinuierlich ab. Die Jugendliche fühlten sich nicht wohl, mit einem Kreuz vornweg durch die Stadt zu gehen und an belebten Orten zu beten. Dem Jugendkreuzweg bot sich so die Chance, durch den Kirchenkreis zu reisen und das Pilgern mit dem Kreuzweggebet zu verbinden. Seitdem wird der Jugendkreuzweg von Jugendlichen viel besser angenommen. Natürlich ist uns bewusst, dass wir dadurch die Öffentlichkeit eines Jugendkreuzweg niedrig halten, aber gleichzeitig erhöht sich die Möglichkeit der Teilnehmenden, durch die Ruhe der Natur und die Herabsetzung von Ablenkungen der Stadt auf dem Kreuzweg besser zur Ruhe und Besinnung zu gelangen.

4 Vorlagen nutzen fŸr eigene Ideen »Schließlich fallen mir noch die meist abstrakten Bilder ein, die es für jede Station gab. Dabei weiß ich noch gut, dass diese mir manchmal geholfen haben, mich in die Situation einzufühlen. Manche dieser Bilder haben mich jedoch mehr verwirrt, vielleicht aber dadurch der Situation doch noch näher gebracht, da sie zum tieferen Nachdenken angeregt haben.« (Franziska, 22 Jahre) Das Vorbereitungsteam bringt jedes Jahr gute Impulse für den aktuellen Jugendkreuzweg heraus: eine Bilderserie zu den einzelnen Stationen als Plakate, Overhead-Folien und PowerPoint-Prä-


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sentationen, Lieder, »Giveaways«, Vorschläge für Aktionen usw. Ein Textheft mit einem vollständig ausformulierten Ablaufvorschlag kann die Vorbereitung erleichtern. Wir nehmen diese Vorschläge als Ideenimpuls für weitere Gestaltungsideen gerne an. Daraus entstehen kleinere Theaterstücke, Kurzfilme (wir hatten in einem Jahr eine Trilogie gedreht, die auf dem Jugendkreuzweg in drei Kirchen gezeigt wurde), Hörspiele, Talkshow usw. Gleichzeitig ist der Weg das Ziel zum Kreuzweg, wenn Gruppen motivierende eigene Ideen für ihre Kreuzwegstation vorbereiten können.

5 Gut gesehen und gehš rt werden, um gut zu sehen und zu hš ren Eigentlich ganz klar, aber oftmals von uns nicht ausreichend bedacht: Alle Aktionen müssen gut zu sehen, jede Lesung und jedes Musikstück müssen gut zu hören sein. Eine transportable Anlage ist dafür Grundvoraussetzung. Die Auswahl der Kreuzwegstation sollte u. a. danach ausgewählt werden, ob alle Teilnehmenden die Möglichkeit haben, alle Handlungen zu sehen. Manchmal sind auch wenige Worte mehr und Methoden, die in Kleingruppen zum Austausch anregen, intensiver.

6 Verbindende Aktionen zwischen den Stationen »Ein Kreuzweg bewegt mich dann, wenn es vor allem am Beginn des Weges eine gute Anleitung gibt. Gerade am Start

des Weges will ich abgeholt werden in der gegenwärtigen Situation. Dabei kann ein eindrückliches Theaterstück, Musik und Anderes helfen (das habe ich oft sehr gelungen erlebt). Bewegt haben mich die Kreuzwege immer dann, wenn ich während des Weges, von Station zu Station, eine Aufgabe bekommen habe (zum Beispiel einen Stein tragen, über etwas nachdenken, schweigen …).« (Franziska, 22 Jahre) Besinnung schaffen die Stationen, aber auch die Wege dazwischen. Einiges haben wir schon ausprobiert: Steine, auf die eine Lebenslast geschrieben werden kann und die an der nächsten Station als Klagemauer aufgebaut oder als Kreuz in ein Waldstück gelegt werden, Stilleübungen oder durch Plakate ein Rätsel lösen. Unser schweres, ca. zwei Meter hohes Holzkreuz, das von den Jugendkreuzweg-Teilnehmenden getragen wird, erfüllt auf besondere Weise die letzten Meter des Weges, den Jesus gehen musste.

Intensität ausgerichtete Gestaltung der letzten Station ganz wichtig. Ein warmer Raum, möglichst bestuhlt, warmes Licht, gute Musik, Powerpoint, Aktionen am Kreuz, Gebet. Und die Jugendlichen werden sich an ihren Kreuzweg erinnern, wenn sie einmal im Urlaub einem Kreuzweg begegnen.

7 Das Beste kommt zum Schluss »Vor allem eine dieser ›Schlussandachten‹ habe ich noch bildlich vor Augen, dort gab es eine berührende PowerPointPräsentation.« (Franziska, 22 Jahre) Der Weg kann sehr anstrengend sein, vor allem dann, wenn das Wetter nicht mitspielt. Aber wenn das Ende eindrücklich gestaltet ist, geht die Bewertungsskala des Jugendkreuzweg deutlich nach oben. Deswegen ist die liebevolle und auf

Michael Seidel ist Jugendwart in Gotha und der Region Süd-Ost im Kirchenkreis.


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Ein offener Hobbyraum mit Hang zum Weltverbessern Buchbesp

Das ist MACH!bar: Die MACH!bar ist ein generationsübergreifendes Mitmachprojekt der Ev. Jugend Wesermarsch. In einem offenen Hobbyraum werden ausgediente Dinge gesammelt und zum Weiterverarbeiten angeboten. Kreativ und experimentierfreudig entstehen hier neue, höchst individuelle Kunstwerke und Gebrauchsgegenstände, wie zum Beispiel Nietenarmbänder aus Fahrradschlauch oder Federmappen aus leeren PET-Flaschen Die MACH!bar soll zu einem Ort werden, wo alte und junge Menschen ihr Können, Erfahrung und Wissen mitein ander teilen. Sie soll zum Kreativwerden, Experimentieren, Selbermachen, Reparieren und Upcyclen anstiften. Außerdem macht das Projekt deutlich, in welchem Überfluss wir leben. Es regt zu einem bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen und einem Umdenken im Konsumverhalten an. Neben einer gut ausgestatteten Werkstatt, einer Handarbeitsecke und einer kleinen Theke fi ndet man hier ein engagiertes Team von ehrenamtlichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die sich wöchentlich gemeinsam um den laufenden Betrieb kümmern und mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die MACH!bar entsteht: Als Projektraum haben wir ein leerstehendes Ladenlokal in der ländlichen Gemeinde Berne, dem Wohnort der meisten Eh-

renamtlichen, angemietet. Zwei Monate lang renovierten rund 40 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in über 500 Stunden die alten Räume. Dank Fördermitteln des Landes Niedersachsen und der Oldenburgischen Landschaft konnten die Miete des ersten Jahres und die Anschaffung von Werkzeugen, Nähmaschinen und Ausstattungsgegenständen fi nanziert werden. Alle Möbel wurden aus Privatspenden zusammengetragen. Geldspenden von Einzelpersonen und Kollektengelder unterstützen den laufenden Betrieb. So können wir Arbeitsmaterialien und Getränke kostenfrei zur Verfügung stellen. Die MACH!bar lŠ uft: Selbstorganisiert managen die Teamkinder einen Thekendienst. Die Betreuung der restlichen MACH!bar wird ebenfalls durch einen Dienstplan geregelt. Jedes Teammitglied entscheidet selbst, wann und wie oft es sich vor Ort einbringen kann und möchte. Mindestens drei Jugendliche und Erwachsene sind zeitgleich im Einsatz. Ca. alle sechs Wochen treffen wir uns im Team, um die Arbeit zu reflektieren und Upcycling-Ideen für die nächsten Wochen zusammenzutragen. Wöchentlich geben wir einen Gestaltungsimpuls vor, durch den man sich dann inspirieren lassen kann. Diese Ideen werden zeitnah über eine offene Facebook-Seite beworben und ebenfalls »analog« auf einer Infotafel

in einem der MACH!bar-Schaufenster veröffentlicht. So können Passanten sehen, womit wir gerade arbeiten und welche Materialien gebraucht werden. Wöchentlich besuchen uns zwischen 40 und 80 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Außerdem melden sich immer wieder Einzelpersonen, die Lust haben, einen konkreten Programmpunkt zu gestalten. Dank dieser einfachen und sehr spontanen Möglichkeit der Mitgestaltung kommen regelmäßig Männer und Frauen in die MACH!bar, die spontan ihr Hobby mit anderen teilen. So entstanden zum Beispiel bereits Vogelhäuser aus Abfallholz oder auch Kettenschmuck aus Draht und Glasmurmeln. Mittlerweile haben wir eine ausgewogene Milieumischung bei den MACH!barBesuchern. Immer wieder kommen auch Menschen mit Behinderung vorbei, Kirchennahe und -ferne, Menschen mit Migrationshintergrund und »Berner Urgestein« bilden hier für ein paar Stunden eine hilfsbereite, offene Gemeinschaft. Weitere Infos, Dokumentationen und Impulse gibt’s hier: www.facebook.com/MAcH bar.Berne

Sandra Bohlken ist Kreisjugenddiakonin in der Ev. Jugend Wesermarsch


Hrsg. von Adelheid Schnelle in Verbindung mit Sabine Meinhold und Hanna de Boor Gottesdienste mit Kindern Handreichungen von Neujahr bis Christfest 2014 344 Seiten | 14,5 x 21,5 cm Paperback | mit CD­ROM ISBN 978­3­374­03128­3

€ 16,80 [D]

Für jeden Sonntag des gesamten Jahres 2014 bietet diese in der Praxis bewährte und erprobte Arbeitshilfe komplett ausgearbeitete Kindergottesdienste nach dem Plan des Gesamtverbandes für Kindergottesdienst. »Gottesdienste mit Kindern« gliedert sich in 15 thematische Einheiten mit Anregungen für unterschiedliche Altersstufen und Gruppenstärken. Außerdem sind enthalten: Gestaltungsvorschläge für Familiengottesdienste und für Gottesdienste zur Jahreslosung und zum Schulbeginn, Entscheidungshilfen für monatliche Kindergottesdienste sowie Hinweise zu den Bibeltexten und Themen, Liturgievorschläge, Erzähl- und Anspieltexte, Gesprächsimpulse, Anregungen für kreative Gestaltung, Spielanleitungen, Lieder und Kopiervorlagen. Die beigelegte CD bietet alle Kopiervorlagen sowie farbige Abbildungen und Liedtexte.


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HIER STEHE ICH Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens lädt vom 27. bis 29. Juni nach Leipzig ein. Feiern Sie mit ihr das erste Deutsche Evangelische Chorfest und den Landeskirchentag zu »475 Jahre Evangelisches Sachsen«. Singen Sie mit tausenden Chorsängern. Tauschen Sie sich bei Bibelarbeiten und Themengruppen darüber aus, wofür Sie »stehen«. Erleben Sie Konzerte in Kirchen und unter freiem Himmel und feiern Sie im Stadion einen bewegenden Gottesdienst. Seien Sie Teil eines großen, fröhlichen und musikalischen Festes. »Hier stehe ich!« ist das gemeinsame Motto dieser Tage. Wo liegt meine Verantwortung vor Gott und für die Menschen? Wofür stehe ich? Und wie setzte ich mich dafür ein? Das sind die Fragen, die Bibelarbeiten und thematische Veranstaltungen des Landeskirchentages prägen werden. Die sächsische Landeskirche ist Gastgeber für den Chorverband in der EKD, das erste bundesweite Evangelische Chorfest in Leipzig zu feiern. Beides passt sehr gut zusammen. Denn Chorsänger machen durch ihr »Stehen« in den Reihen ihres Chores deutlich, wofür sie im Leben stehen: für die Treue zu ihrer Kirchengemeinde, für das Erlebnis des gemeinsamen Singens, für die Freude am Glauben und am Leben. Als Chorsänger werden Sie also interessierten Kirchentagsbesuchern begegnen. Als Kirchentagsbesucher dürfen Sie sich auf vielfältige und begeisternde Chormusik freuen. Die Veranstaltungen münden in den gemeinsamen Schlussgottesdienst am Sonntag, zu dem der Thomanerchor und die Lutherbotschafterin Dr. Margot Käßmann eingeladen sind. http://www.leipzig2014.de

Deutsches Jugendinstitut: DJI Impulse 3/2013 zum Thema »Jugend und Politik« Die Ausgabe 3/2013 der DJI Impulse steht unter dem Thema »Jugend und Politik«. Dabei werden zwei Fragestellungen verfolgt. Im Blick auf die Einstellungen und Haltungen Jugendlicher wird gefragt: Wie artikulieren sie ihre Interessen? Was lockt ihr Engagement hervor? Weshalb gehen sie seit vier Jahrzehnten immer stärker auf Distanz zu den etablierten Parteien? Wie nutzen sie das Internet für politische Partizipation? Im Blick auf die Gesellschaft und die Institutionen wird nach den Möglichkeiten der politischen Teilhabe, die unsere Gesellschaft Jugendlichen bieten kann, gefragt: Wie könnte es der etablierten Politik gelingen, mehr Jugendliche zu erreichen und vielleicht sogar zu begeistern? Welche Möglichkeiten haben Schulen, politisches und gesellschaftliches Engagement zu fördern? Sollte das Mindestalter für die Wahl des Deutschen Bundestages bei 18 Jahren belassen oder auf 16 gesenkt werden? Diese und andere Fragen werden auf der Grundlage von Erkenntnissen der empirischen Jugendforschung diskutiert.

Das Heft steht als Download zur Verfügung un­ ter: http://www.dji.de/bulletin/d_bull_d/bull103_d/ DJI_3_13_Web.pdf

Besinnungsbox »Gesegnete Unruhe« für die Arbeit mit Jugendlichen Nach der Friedensdekade ist vor der Friedensdekade: Der Verein Ökumenische Friedensdekade e. V. hat eine »Besinnungsbox« unter dem Titel »Gesegnete Unruhe« erarbeitet. Darin sind Materialien für »interaktive Besinnungen zu Frieden und Gerechtigkeit« in der

Jugendarbeit enthalten. Jugendgruppen können eigenständig das Material ohne großen Vorbereitungsaufwand einsetzen, die Einheiten sind auf eine Dauer von 15–20 Minuten geplant. Grundstock sind verschiedenartige Materialkarten. Der Rahmen wird durch eine Ritualkarte vorgegeben. Eine gestaltete Mitte lässt sich mithilfe eines Lichts herstellen. Wegkarten geben den konkreten Ablauf vor und zugleich Auskunft über weiter benötigtes Material. Das findet sich auf den Text- sowie Bild-Karten. Eine praxisfreundlich und ansprechende Materialbox bewahrt das Material auf. Die Initiatoren freuen sich auf Menschen, die dieses Angebot einsetzen, ausprobieren und Rückmeldungen geben. www.friedensdekade.de

»Anständig essen« – Literatur-Tipps von »Eliport« Anlässlich des Schwerpunktthemas der EKD-Synode 2013 »Es ist genug für alle da« zu Welternährung und nachhaltiger Landwirtschaft hat das Literaturportal »Eliport« Literatur-Tipps zusammengestellt. Unter der Überschrift »Anständig essen« geht es los mit dem Klassiker: »Wie kommen eigentlich die Löcher in den Käse?« über die Themen Milch, Schokolade, »Teenager auf Veggiekurs« bis hin zu religiösen Rezepte von Juden, Christen und Muslimen. Wer tiefer ins Thema einsteigen möchte, findet eine Vielzahl von Literaturempfehlungen besonders zur grundlegende Fragen, wie eine globale Ernährung von immer mehr Menschen aussehen und funktionieren kann. Download unter http://www.ekd. de/download/20131105_aenstaendig_ essen.pdf. Weitere Informationen zum Evangelischen Leseportal mit vielen themenspezifischen und aktuellen Literaturtipps: http://www.eliport.de/ Synode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens mit Beschlussfassung zur neuen Bildungskonzeption Unter dem Titel »glauben – leben – lernen« wurde bei der Herbstsynode in Dresden die zentrale Bedeutung der Bildung für das Wirken und die Zukunft der Kirche hervorgehoben. Oberlandeskirchenrat Burkart Pilz stellte die Bildungskonzeption in ihrer Ausrichtung auf Kirche und Gesellschaft vor. Er wies darauf hin, dass damit wichtige inhaltliche Eckpunkte und Merkposten für das Bildungshandeln der Kirche gegeben sind, die Kirch-


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g eMeIn DePä DAgo g ISc HeS Fo Ru M IMPRESSUM Gemeindepädagogische Fachtagung

Pra xiS GemeinDePäDaGo Gik (PGP)

Gemeindepädagogik in Zahlen Fachtagung der Pr A x is G emein DePä DAGo Gik in Kooperation mit dem Amt für kirchliche Dienste in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Die Redaktion der »Praxis Gemeindepädagogik – Zeitschrift für evangelische Bildungsarbeit« (Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig) und das Amt für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz führen am 16. Mai 2014 eine Fachtagung zum Thema »Gemeindepädagogik in Zahlen« durch. Empirisches, datengestütztes Wissen über pädagogische Praxis hat seit 2000 stark an Bedeutung gewonnen, um die Praxis auch anhand von validen Daten darstellen zu können, empirisch gesicherte Indikatoren über die Bedingungen, Entwicklungen und Problemstellungen zu erhalten, über Daten für die Qualitätsentwicklung zu verfügen (Evaluation) und Steuerungswissen zu erlangen. Wichtig dafür sind auch verlässliche Daten aufgrund quantitativer Erhebungen, insbesondere Statistiken. Zur gemeindepädagogischen Praxis im evangelischen Kontext gibt es eine Reihe von Projekten zur datengestützten Erhebung, allerdings eher im Rahmen von Einzelprojekten, die kaum in größerem Zusammenhang aufeinander bezogen konzipiert, durchgeführt und ausgewertet werden. Es besteht noch erheblicher Klärungs-, Forschungsund Kommunikationsbedarf, um zu übergreifenden Konzepten zu gelangen.

gemeinden und allen kirchlichen Arbeitsbereichen eine Orientierung geben können. Dr. Anja Richter, Mitglied des Redaktionskreises, erläuterte die Bildungskonzeption in ihren einzelnen Aspekten und Gliederungsschritten. Die Bildungskonzeption umreißt Grundlagen evangelischen Bildungshandelns, benennt Orte evangelischer Bildung und stellt Herausforderungen, Perspektiven und Impulse für die Bildungsarbeit dar. Es werden Einrichtungen und Arbeitsbereiche näher vorgestellt und auch Hinweise für den Umgang und die Nutzung dieser Bildungskonzeption gegeben. Die Landessynode dankte für die Bildungskonzeption, in der sie ein wich-

Die Fachtagung »Gemeindepädagogik in Zahlen« soll einen Einblick in die Aufgabenstellung, Problemlagen und Entwicklungsperspektiven geben und den Austausch über einzelne Erhebungsprojekte ermöglichen. Die Fachtagung richtet sich an Verantwortliche in den gemeindepädagogischen Unterstützungssystemen und Bildungseinrichtungen der Landeskirchen, insbesondere an Leitungsverantwortliche und Multiplikatoren in der evangelischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie an Lehrende und Forschende in Evangelischen Hochschulen und Ausbildungsstätten. Geplant sind unter anderem Beiträge von Dr. Jens Pothmann, Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (AKJStat), TU Dortmund / DJI zur Frage »Was wissen wir über Kinder- und Jugendhilfe? Konzeption und Inhalte staatlicher Kinder- und Jugendhilfestatistik« und Dr. Leila Akremi, TU Berlin »Statistik: Was ist das und was kann sie leisten?« sowie Workshops zu unterschiedlichen Erhebungsprojekten und -konzepten. Die Leitfrage heißt: »Was kann man aus empirischen Studien für die Praxis lernen?« Die Tagung findet statt am Freitag, 16. Mai 2014, 10:30–16:00 Uhr im Amt für kirchliche Dienste, Berlin, Goethestraße 26–30. Informationen: Matthias Spenn, E-Mail <direktor@akd-ekbo.de>.

tiges Grundlagendokument für das Bildungshandeln der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens sieht. Sie bat das Landeskirchenamt, diese Konzeption zu publizieren und allen Kirchgemeinden, Einrichtungen und Interessierten zur Verfügung zu stellen. Die Kirchgemeinden, Kirchenbezirke, Einrichtungen und Bildungsträger werden gebeten, die Konzeption für die eigene Arbeit und die Verständigungsprozesse im Bildungsbereich zu nutzen. Um die fachliche Begleitung der Fortschreibung und die Ergebnissicherung wurde das Landeskirchenamt gebeten. http://www.evlks.de/landeskirche/ landessynode/22574.html

ehemals »Christenlehre /Religionsunterricht–PRAXI S« ehemals »Die Christenlehre«

67. Jahrgang 2014, Heft 1 Herausgeber: Amt für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin - Brandenburg - schlesische Oberlausitz Pädagogisch-Theologische Institut der Nordkirche Theologisch-Pädagogisches Institut der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens Pädagogisch-Theologisches Institut der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts Anschrift der Redaktion: Matthias Spenn, c/o Evangelische Verlagsanstalt GmbH, »PGP-Redaktion«, Blumenstraße 76, 04155 Leipzig, E-Mail ‹redaktion@praxis-gemeindepaedagogik.de› Redaktionskreis: Dr. Lars Charbonnier, Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin Wolfgang Lange, TPI der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Bahnhofstraße 9, 01468 Moritzburg Petra Müller, Fachstelle Alter der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland, Gartenstraße 20, 24103 Kiel Matthias Röhm, Amt für kirchliche Dienste in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Goethestraße 26–30, 10625 Berlin Dorothee Schneider, PTI der Ev. Kirche in Mitteldeutschland und der Landeskirche Anhalts, Zinzendorfplatz 3, 99192 Neudietendorf Matthias Spenn, Amt für kirchliche Dienste in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Goethestraße 26–30, 10625 Berlin Inga Teuber, Diakoniekrankenhaus Friederikenstift, Humboldtstraße 5, 30169 Hannover Christine Ursel, Diakonie.Kolleg. Bayern, Pirckheimerstraße 6, 90408 Nürnberg Redaktionsassistenz: Sophie Koenig Verlag: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Blumenstraße 76, 04155 Leipzig, www.eva-leipzig.de Geschäftsführung: Arnd Brummer, Sebastian Knöfel Gestaltung/Satz: Jens Luniak, Evangelisches Medienhaus GmbH Druck: Druckerei Böhlau, Ranftsche Gasse 14, 04103 Leipzig Anzeigen: Rainer Ott · Media | Buch- und Werbeservice, PF 1224, 76758 Rülzheim, Tel. (0 72 72) 91 93 19, Fax (0 72 72) 91 93 20, E-Mail ‹ott@ottmedia.com› Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 11 vom 1.1.2012 Abo-Service: Christine Herrmann, Evangelisches Medienhaus GmbH, Telefon (03 41) 7 11 41 22, Fax (03 41) 7 11 41 50, E-Mail ‹herrmann@emh-leipzig.de› Zahlung mit Bankeinzug: Ein erteiltes Lastschriftmandat (früher Einzugsermächtigung genannt) bewirkt, dass der fällige Abo-Beitrag jeweils im ersten Monat des Berechnungszeitraums, in der letzten Woche, von Ihrem Bankkonto abgebucht wird. Deshalb bitte jede Änderung Ihrer Bankverbindung dem Abo-Service mitteilen. Die GläubigerIdentifikationsnummer im Abbuchungstext auf dem Kontoauszug zeigt, wer abbucht – hier das Evangelische Medienhaus GmbH als Abo-Service der PRAXIS GEMEINDEPÄDAGOGIK . Gläubiger-Identifikationsnummer: DE03EMH00000022516 Bezugsbedingungen: Erscheinungsweise viermal jährlich, jeweils im 1. Monat des Quartals. Das Jahresabonnement umfasst die Lieferung von vier Heften sowie den Zugriff für den Download der kompletten Hefte ab 01/2005. Das Abonnement verlängert sich um 12 Monate, wenn bis zu einem Monat vor Ende des Kalenderjahres keine Abbestellung vorliegt. Bitte Abo-Anschrift prüfen und jede Änderung dem Abo-Service mitteilen. Die Post sendet Zeitschriften nicht nach.

ISSN 1860-6946 ISBN 978-3-374-03774-2 Preise*: Jahresabonnement (inkl. Zustellung): Privat: Inland € 36,00 (inkl. MwSt.), EU-Ausland € 42,00, Nicht-EU-Ausland € 46,00; Institutionen: Inland € 44,00 (inkl. MwSt.), EU-Ausland € 50,00, Nicht-EU-Ausland € 54,00; Rabatte – gegen jährlichen Nachweis: Studenten 35 Prozent; Vikare 20 Prozent; Einzelheft (zuzüglich Zustellung): € 12,00 (inkl. MwSt.) * Stand 01.01.2014, Preisänderungen vorbehalten Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil der Zeitschrift darf ohne schriftliche Geneh migung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. Unsere nächste PGP-Ausgabe erscheint im April 2014.


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Bu c HReZen SIo n en

Friedrun Erben, Heike Schlottau, Klaus Waldmann (Hrsg.): »Wir haben was zu sagen!« Politische Bildung mit sozial benachteiligten Jugendlichen. Wochenschauverlag, Schwalbach 2012, 240 Seiten, ISBN 978­3­8997­4803­1, € 22,80.

Sabine Maschke, Ludwig Stecher, Thomas Coelen, Jutta Ecarius, Frank Gusinde: Appsolutely smart! Ergebnisse der Studie Jugend.Leben. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2013, 278 Seiten, ISBN 978­3­7639­5270­0, € 29,90.

Verbandliche wie auch kirchliche Jugendarbeit ist immer wieder mit der Zuschreibung konfrontiert, primär bildungsnahe mittelschichts- bzw. aufstiegsorientierte Jugendliche zu erreichen. Die Praxis sowie empirische Erhebungen scheinen das beharrlich zu bestätigen. Dies hat ebenso politische Relevanz, denn geringere Partizipation an Bildungsangeboten vergrößert die Distanz zu anderen zivilgesellschaftlichen Gelegenheiten des Engagements, insbesondere zum politischen Engagement und zu den demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten. Um dem etwas entgegenzusetzen, hat die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung das bundesweite Projekt »Lust auf Zukunft! Politische Bildung für Jugendliche mit geringen Bildungschancen« im Zeitraum von 2008 bis 2011 durchgeführt. Es richtete sich ausdrücklich an Jugendliche mit geringen Bildungschancen bzw. geringer formaler Bildung. Erreicht wurden schwerpunktmäßig Hauptschüler und Jugendliche aus Förderschulen und solche, die ein Ausbildungsvorbereitungsjahr besuchten, sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund. Anhand der Entwicklung von Zukunftsvorstellungen eines Zusammenlebens in einer pluralen und demokratischen Gesellschaft sollten die Jugendlichen mit ihren Themen und Wünschen zu Wort kommen. In diesem Buch werden Erfahrungen sowie empirische und theoretische Ansätze in der Arbeit mit sozial benachteiligten Jugendlichen vorgestellt. Dabei wird auch das Stigmatisierende des Themas »soziale Benachteiligung« selbst reflektiert. Der Band hat drei Hauptteile: Zunächst geht es um zentrale Gestaltungsprinzipien der Arbeit, danach folgen Beiträge zu Erfahrungen in den verschiedenen Projekten. Abschließend werden theoretische Impulse zur Reflexion weitergegeben und Handlungsperspektiven aufgezeigt. Dass dieses Thema zugleich für gemeindepädagogische Praxis relevant ist, erschließt sich von selbst. Dass es bei diesem Thema über Sonntagsreden über evangelische Verantwortung für mehr Bildungsgerechtigkeit hinaus neuer Praxisansätze in Verbindung mit wissenschaftlicher Reflexion bedarf, ist überfällig. Dass dies hier verknüpft wird mit der Frage nach politischer Bildung, ist ein wichtiger Impuls insbesondere für evangelische Akteure, die in ein Themenjahr unter dem Motto »Reformation und Politik« gehen. Der Band gibt dafür Praktikern wie auch Multiplikatoren wichtige Anregungen. Matthias Spenn

Für Akteure in pädagogischen, sozialen, politischen, aber auch kirchlichen Zusammenhängen ist systematisches Wissen über Lebenslagen, Einstellungen, Interessen und Neigungen von Kindern und Jugendlichen unerlässlich. Einen Einblick in aktuelle Erkenntnisse gibt die Panoramastudie »Jugend.Leben«, für die 6000 Kinder und Jugendliche aus NRW im Alter von 10 bis 18 Jahren zu Familie, Schule, Clique, Träumen, Gesellschaft und Umwelt, Glaube, Medien und Jugendkultur befragt wurden. Der Band »Appsolutely smart!« stellt die Ergebnisse dieser Studie vor. Der Band zeichnet im Kapitel I zunächst ein zusammenfassendes »Porträt einer Generation« (12–18), um dann im Kapitel II Ergebnisse im Einzelnen vorzustellen zu Familie und Freunden, der Welt der Gleichaltrigen, Jugendszenen, Medien, Freizeitaktivitäten, Gesundheit und Körper, Geld und Verschuldung, Orten der Kinder- und Jugendarbeit, Schule, Partizipation im Gemeinwesen, Glaube und Religion sowie zu den Zukunftsperspektiven. Kapitel III »Blitzlichter« gibt noch einmal differenzierte Einblicke in Antworten zu Einzelfragen. Abschließend wird in Kapitel IV kurz und bündig der Aufbau und das Konzept der Studie beschrieben. Ihren Grundeindruck deuten die Forscher bereits mit der Wahl des Titels «Appsolutely smart!« an. Danach ergibt sich für sie ein Bild, nach dem Kinder und Jugendliche heute smart, nett und intelligent sind. Sie sind nicht auf Krawall gebürstet, sondern vertrauen Erwachsenen stärker als je zuvor. Und sie sind bildungsorientiert. Sie spüren hohe Anforderungen in Schule und Ausbildung und haben Angst vor dem persönlichen Scheitern – dies einige zusammenfassende Schlagworte. Auch wenn in der Studie vorwiegend Jugendliche in Nordrhein-Westfalen befragt wurden, sind die Ergebnisse durchaus auf die anderen Flächenländer zu übertragen. Die Anschlussfähigkeit an die Vorgängerstudie »Null Zoff und voll busy« von 2001 hat zugleich den Charme, wichtige Ergebnisse auch im Zeitvergleich zu diskutieren. Wer also aktuelles empirisches Wissen in die (gemeinde)pädagogische Arbeit und die Konzipierung der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen einbeziehen will – und wer wollte dies nicht?! – oder Material zur Sensibilisierung für die Lebenssituation junger Menschen sucht, erhält in dem Band gut, d. h. lesefreundlich und brauchbar aufbereitete Ergebnisse dieser Studie. Matthias Spenn


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