SPIRITUALITÄT (Praxis Gemeindepädagogik 1/2015)

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Januar – März

2015

68. Jahrgang

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© lalilele13 - Fotolia.com

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Anzeigenschluss für die nächste Ausgabe der PRAXIS GEMEINDEPÄDAGOGIK ist der 11. März 2014.


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inHALtsVeRZeiCHnis

Zugänge

Entwürfe

Matthias Spenn Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd-Michael Haese Auf den Spirit kammt es an … Meditation zum Thema der Ausgabe

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Corinna Dahlgrün Evangelische Spiritualität. Was ist das? . . . . . . . .

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Klaus Dettke Zur Mitte fi nden Einübungen in die christliche Spiritualität . . . . . . . . . Michael Bammessel / Monika Diercks / Ilse-Dore Grahe / Birgit Jöhrens-Borchers / Claudia Hakelberg Spiritualität heißt für mich … . . . . . . . . . .

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Praxis Petra Müller »Kloster auf Zeit« im Wandel der Zeiten

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Andrea Felsenstein-Roßberg Engel in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . .

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Sebastian Sievers Exerzitien in der Jugendarbeit Kleine Häppchen und große Brocken christlicher Meditation für Jugendliche . . . . . . . . . .

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Zurückgeblättert zum Thema dieses Heftes Unser Andachtskreis mit kleinen Kindern

. . . . . .

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Frank Hofmann Im Rausch der Sinne Spirituelle Erfahrungen im »Flow« des sportlichen Laufens . . .

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Kristin Merle »Global prayer family« Neue Wege spiritueller Praxis online

. . . . . . . . . .

Matthias Rost Hebammendienst Ausbildungen für geistliche Begleitung . . . . . . . . . .

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Isabell Hartmann Was sättigt die Seele? Biblische Aspekte einer ausgewogenen Ernährung

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Karin Berkemann Geist auf Reisen Von Morgenlandfahrern und anderen Sinnsuchern . . . . . .

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Petra Müller Wachsen und Werden ein Leben lang Ein Langzeitseminar für Frauen in der nachberuflichen Phase . . . . . . . . . .

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Lars Charbonnier Spiritualität und kirchliche Bindung im Alter Einblicke in die gegenwärtige Erforschung (nicht nur) eines Zukunftsthemas . . . . . . . . . . .

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Manja Müller und Kerstin Schulte-Körne Reise zu ME Ein Meister-Eckhart-Tag für Kinder . . . . . . . . . . .

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Susanne Menzke Da berühren sich Himmel und Erde »Oasentag« für pädagogische Mitarbeiter in Kindertageseinrichtungen . . . . . . . . . . . . .

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Meike Roth-Beck Kraftquellen entdecken – neue Wege gehen Praktische Impulse für die Kita in der Fastenzeit . . . . . .

62

Elisabeth Schweizer Schau mir in die Augen, Kleines … Film-Exerzitien als spirituelles Angebot . . . . . . . . .

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Materialien Petra Müller Buchtipps für die gemeindepädagogische Praxis

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Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Buchrezensionen . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gemeindepädagogisches Forum Informationen und Personen

Hintergründe Hubert Knoblauch Populäre Spiritualität Eine soziologische Sicht auf gegenwärtige Entgrenzungen

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Michael Blume Gott im Kopf Wie wir Religion durch die Hirnforschung neu verstehen . . . .

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Anton A. Bucher Spiritualität von Kindern Was sie ausmacht und wie sie gefördert werden kann

kirche e der Fachstelle Alter der nord Diese Ausgabe enthält eine Beilag und kdruc s ische Hans des evangelisches Zentrum, Kiel sowie bitte um freundliche Beachtung. Verlagshauses, Frank furt/ M. Wir

Exklusiv für Abonnenten: PGP-Ausgaben ab Ausgabe 1/2005 GR ATIS* unter www.praxis-gemeindepaedagogik.de * Zugriff via personalisiertem Zugriffscode (für Institutionenkunden auch via IP-Adress-Bereich möglich)


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VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser,

Dennoch bleibt für Evangelische ein Stück weit ein Unbehagen, wenn der Trend zur Spiritualität mitunter den Anschein eines Drangs zu Sonderwelten, Abgeschiedenheit, Entrückung oder elitärer Wellness erweckt. War es nicht gerade Martin Luther, dessen Reformationsimpuls wir bald mit einem großen Jubiläum feiern, der darauf hinwies, dass Gottesdienst und Alltag zusammengehören und das Heil eben nicht in einer Trennung von Profanem und Heiligem, sondern in der Gegenwart Gottes in unserer schon und zugleich noch nicht erlösten Alltagswelt, in der Menschlichkeit zu finden ist? Das Heft erscheint am Beginn des Jahres 2015, das unter der Losung »Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.« (Röm 15,7) steht. Die Jahreslosung weist auf genau diesen Zusammenhang hin, auf den es wohl ankommt: So wie Christus uns angenommen hat, dürfen wir in aller Freiheit des Angenommenen einander annehmen – auch diejenigen, die es uns schwer machen und bei denen es uns schwer erscheint – darin äußert sich das Lob Gottes. Ein wunderbarer Impuls zu evangelischer Spiritualität in der Welt und für die Welt. Wir nehmen eine Reihe von Praxisimpulsen dazu auf und geben sie Ihnen weiter, bieten zugleich Hintergründe und regen zur Reflexion und Orientierungssuche an. Denn darum geht es in der Gemeindepädagogischen Bildungspraxis: Zum Lobe Gottes die Vielfalt von Lebensdimensionen zu entfalten und Menschen zu neuen Entdeckungen für Leib, Seele und Geist zu verlocken. Ich wünsche – auch im Namen der Redaktion – verlockende Entdeckungen und grüße herzlich

© Les Cunliffe - Fotolia.com

Matthias Spenn, PGP-Schriftleiter

Spiritualität ist in aller Munde – inzwischen auch im Protestantismus. Kaum noch eine Landeskirche, die nicht eine Spiritualitätsbeauftragte oder ein spirituelles Zentrum hätte oder einrichtet. Kaum jemand, der oder die nicht nach so etwas wie spirituelle Dimension sucht oder sie betont. In der Minderheit längst diejenigen, denen das suspekt erscheint und die diese Entwicklung hinterfragen. Was früher katholisch, fernöstlich oder esoterisch anmutete, ist heute in der Mitte der Kirche angekommen. Tatsächlich gibt es einige Erklärungshintergründe für den Spiritualismus-Hype: Die Nüchternheit und Verkopftheit einer reinen Worttheologie ist an ihre Grenzen gekommen. Gesellschaftlich weit verbreiteter Zweckrationalismus und Optimierungswahn lassen nach dem Anderen fragen, nach dem, was trägt auch jenseits oder ergänzend zu Rationalisierung und Funktionalisierung.


Zug채nge

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Auf den

Skommt P I Res IanT Meditation zum Thema der Ausgabe


Bernd-Michael Haese

SPI RITUALITÄT

klang in meinen Ohren lange Zeit ein wenig anstrengend. »Geistlicher Trimmpfad« war meine Assoziation, wenn dieser Begriff mir begegnete, was früher eher selten war. Und wie der echte Trimmpfad hatte auch das Wort Spiritualität »Aufforderungsqualität«, häufig mit darauf folgendem schlechtem Gewissen. In aller Regel komme ich Trimmpfad-Aufforderungen nicht im gebotenen und die Gesundheit fördernden Maße nach. Natürlich wird das besonders prekär, wenn man Menschen begegnet, die – um im Bild zu bleiben – erkennbar gut trainiert sind und mit spirituell federnden Schritten durch ihr Leben gehen. Spiritualität hatte – so meine zugegebenermaßen nicht sehr reflektierte Reaktion – auch mehr mit der katholischen Kirche zu tun, nicht nur, weil sie so unaussprechlich lateinisch daherkommt. Unmittelbar tauchten spirituelle Großmeister vor meinem geistigen Auge auf, wie Ignatius und die von ihm begründeten Exerzitien – schon wieder so ein lateinisches Wort, das mühevoll klingt. Seltsam, dass mir auf diese Weise nie Franziskus eingefallen ist mit seiner ebenso ausgeprägten Spiritualität der Kreatürlichkeit, die wenig mehr fordert als den wachen Blick auf die Geschöpfe um uns herum. Spiritualität war für mich meistens an besondere Orte und besondere Zeiten gebunden – und hatte ich nicht gelernt, dass der Ort des Gottesdienstes für einen evangelischen Christen der Alltag bzw. die ganze Welt sei?

Foto: Kory Westerhold (iamkory/flickr.com)

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Zugänge

Zwei Dinge haben meinen Blick geweitet und meine Haltung entkrampft. Alle Welt spricht inzwischen von Spiritualität. Spätestens seitdem die fernöstliche Religiosität und zahllose mehr oder weniger seriöse religiöse Anschauungen in unsere rationalisierte Gesellschaft geschwappt sind, gilt es als chic, wenn man sich als spiritueller Mensch outet. Die Bandbreite ist groß, von A wie Ayurveda bis zu Z wie Zenmeditation kommt eigentlich alles, was nicht mit den üblichen technisch-rationalen Mustern erklärbar ist, in den Blick. Der Mensch ist mehr als ein funktionierender Biomechanismus und er lässt sich nicht alleine aus seiner Stellung im Sozialsystem definieren, so viel wird deutlich. Auf der einen Seite ist die Grenze zur Esoterik diffus, auf der anderen sind es die zu eindeutig religiösen Vorstellungen. Zwischen einer prinzipiellen und programmatischen Abwendung vom Materialistischen und der Hinwendung zu gestalteten und tradierten Formen einer religiösen oder gar kirchlichen Spiritualität bleibt ein weiter Raum. Meister Yoda und die »Macht« mit ihrer hellen und dunklen Seite im Star-Wars-Universum sind wie viele andere Filme und Romane medialer Ausdruck

einer offensichtlich faszinierenden Durchdringung des Lebens vom Geistigen selbst in einer weit entfernten Zukunft. Fast vergisst man in dieser derzeit bunten Welt der Spiritualität, dass christliche Frömmigkeit immer schon vielfältige Ausdrucksformen – eben Spiritualität – kennt. Sie sind auf den ersten Blick ein wenig altbacken und können vordergründig auf dem spirituellen Markt mit manchen ausgefeilten Techniken nicht so recht konkurrieren. Gebet, gottesdienstliche Gemeinschaft, Meditation und Bibellektüre oder – wiederentdeckt – das Pilgern. Durch meine intensive Beschäftigung mit dem Internet habe ich festgestellt, dass dieser neue Kommunikationsraum ausgesprochen gut geeignet ist, sich über Spiritualität auszutauschen und sie zu leben. Das geschieht vielleicht nicht immer streng in den Formen, die vor allem die Kirchen seit Jahrhunderten überliefern, aber in der Freiheit des Netzes leben viele Dinge wieder auf, die auch zu den christlichen Frömmigkeitstraditionen gehören. Eindrücklicher als im Netz kann man kaum erfahren, dass Spiritualität keineswegs an bestimmte Räume und bestimmte Zeiten gebunden ist, sondern sich immer neu aus den Erfahrungen der Menschen herausbildet und sich vielfältig modifiziert, aber auch sehr vertraut zeigt. Die Schwelle, sich bewusst mit seinen religiösen Gefühlen zu beschäftigen und sie darüber hinaus zum Ausdruck zu bringen, wird im Internet niedriger, und was man dort einmal als bereichernd erfahren hat, kann man gut ins Real Life übertragen. Das ist mir immer noch die liebste Erklärung für das Wort »Spiritualität«: Wenn man weiß, mit welchem Spirit, mit welcher Überzeugung, mit welchem Bewusstsein seiner selbst, in welchem Geist man die Dinge tut, die man in der Welt anpackt, dann lebt man spirituell. Hinwendung zum bedürftigen Nächsten wird damit Ausdruck von Spiritualität genauso wie Skifahren auf sonnigen Hängen. Erstaunlich, wie gut die altgedienten und geprägten Formen von Spiritualität auf einmal dazu passen: Ein Gebet oder ein Lied kann Bedürftigkeit und Glückseligkeit gleichermaßen gut ausdrücken. Auf den Spirit kommt es eben an.

Prof. Dr. Bernd-Michael Haese ist Oberkirchenrat im Dezernat KH (Dienste, Werke und Einrichtungen, Religionsunterricht, Schulwesen) der EvangelischLutherischen Kirche in Norddeutschland


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EVANGELISCHE SPIRITUALITÄT WAS IST DAS? Corinna Dahlgrün

Spiritualität allgemein verstanden ist eine Haltung, ein Tun und ein Lebensstil. Sie erwächst aus einer Sicht, die nicht allein auf die vorfindliche Welt beschränkt bleibt, sondern diese transzendiert. Sie ist orientiert an einem »Letztgültigen«, sucht das »Eine«, das jedoch zunächst nicht näher bestimmt sein muss. Eine in dieser Weise weit verstandene Spiritualität ist eine Suchbewegung, die auf Sinnfindung zielt, unabhängig davon, welcher Art der Sinn dann auch sein mag. Eine Defi nition »christlicher Spiritualität« widerspricht dieser Beschreibung nicht, doch kann sie genauer gefasst werden. Dazu sind fünf Aspekte zu bedenken: (1) Spiritualität hat es in verschiedener Hinsicht mit Beziehung, mit der Bezogenheit des Menschen zu tun. Auf die Frage, welche Beziehungen von der Spiritualität berührt werden, ist einfach zu antworten: schlicht alle denkbaren, die des Menschen zu Gott, die des Menschen zu sich selbst, zum anderen und damit auch die Beziehung des Menschen zur Welt. Eine explizit christliche Spiritualität kommt natürlich nicht ohne eine Christusbeziehung aus. (2) Zu Spiritualität gehört Erfahrung, denn alle Formen menschlicher Frömmigkeit antworten auf unterschiedliche Weise der Gotteserfahrung. Nun muss nicht alles, was als Gotteserfahrung wahrgenommen wird, auch eine solche sein; hier sind Kriterien erforderlich (s. Punkt 5). Doch in jedem Fall bemühen sich Menschen ohne eine entsprechende Erfahrung, d. h. ohne ein vorausgehendes Tun Gottes, eher nicht um ein geistliches Leben. Als ein solches vorausgehendes Tun kann das Aufwachsen in christlicher Tradition, das Hineinwachsen in den Glauben ebenso an-

gesprochen werden wie besondere Erlebnisse oder wie die Wahrnehmung einer inneren Leere, einer Sehnsucht nach Gott, die dem Menschen ins Herz gelegt ist. Spiritualität hat also nach christlichem Verständnis ihren Ausgangspunkt bei Gott – der Mensch ist nicht aus eigenem Antrieb spirituell, sondern infolge des Handelns Gottes. (3) Jede Spiritualität hat eine aktive Seite, zu ihr gehört ein Handlungsmoment, denn Spiritualität ist nicht nur ein Gefühl, sie ist auch ein Tun, das sich am Doppelgebot der Liebe ausrichtet. Dieses Doppelgebot konstituiert ein »anthropologisches Dreieck«, in dem jeder Mensch steht, der sich in der Welt vorfindet. Es wird gebildet aus den Eckpunkten »Gott«, »Nächster« (unter dem Aspekt, ob ich zum Nächsten werde für den, der mich braucht) und »Ich« (wie dich selbst). Die Eckpunkte des Dreiecks sind durch »Liebe« verbunden (was keine Emotion meint, die ließe sich nicht befehlen, sondern eine Einstellung und das ihr entsprechende Tun) und sie sind bestmöglich im Gleichgewicht zu halten. Geht die Balance verloren, betone ich also etwa die Nächstenliebe zu stark, gerät zwangsläufig ein Eckpunkt in Vergessenheit, manchmal auch zwei, Gott oder das eigene Ich. Die Wahrung der Balance bleibt dem Menschen aufgegeben, doch sie ist nicht dauerhaft zu erreichen, sondern allenfalls ein instabiles Gleichgewicht; sie erfordert darum immer, täglich neu, Aufmerksamkeit. (4) Spiritualität gibt es nicht ohne eine Form des Glaubens, denn Spiritualität ist eine innere Haltung bzw. eine grundsätzliche Einstellung, weder nur ein Gedanke noch lediglich eine Methode. (5) Zur Spiritualität gehört das Nachdenken über das Gelebte; sie versucht methodisch mit Erscheinungsformen der Frömmigkeit umzugehen, sie versucht aber ebenso normative Aussagen zu treffen, also Fehlformen zu identifizieren und zu kritisieren.


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Zugänge

Gott schenkt aus freier Liebe, doch er wünscht sich eine Antwort vom Menschen.

Zum Nachdenken gehört die in der gesamten Geschichte christlicher Spiritualität wichtige »Unterscheidung der Geister« (1 Kor 12,10). Deren Kriterien sind: • Glaubt der Mensch an Christus? • Versucht er, dem Doppelgebot der Liebe zu entsprechen? • Arbeitet er mit am Aufbau der christlichen Gemeinschaft? • Zeigen sich in seinem Leben Demut, Liebe, Freude, Ruhe, Gesprächsbereitschaft, das Maßhalten, d.h. keine Übertreibung im Verhalten hinsichtlich Strenge oder Rigorismus, zeigt sich wachsende Christusförmigkeit? • Erweist er sich als einer, der auf Gottes Weisung hört und vor allem zunächst selbst danach handelt (oder versucht er nur, andere zu belehren, geht er mit besonderen Einsichten hausieren)? • Besteht das, was er tut und sagt, vor der christlichen Gemeinschaft und vor dem, was die Väter und Mütter im Glauben gelehrt haben? • Kommt der Empfänger der Antwort wirklich im Leben an, d.h. ist er ganz lebendig, an Leib, Seele und Geist, lebt er ganz vor Gott und ganz in der Welt, ohne sich an sie zu verlieren? »Christliche Spiritualität«, so könnte eine knappe Defi nition lauten, ist die von Gott hervorgerufene liebende Beziehung des Menschen zu Gott, zu sich selbst und zur Welt, in der und der entsprechend der Mensch immer von Neuem sein Leben gestaltet und die er nachdenkend verantwortet. Evangelische Spiritualität ist eine Ausprägung christlicher Spiritualität, sie weist also keine ganz neuen Aspekte auf, aber sie betont manches in besonderer Weise. Hier ist zunächst die Freiheit zu nennen, die Gott dem

Menschen schenkt, indem er ihn in Christus aus der Macht von Sünde und Tod befreit und ihm Heil und Leben gibt, indem er ihn gerecht macht. Wenn ich sage, dass Rechtfertigung dem gerecht gemachten Menschen Freiheit gibt, leugne ich damit nicht, dass sie ihn zugleich in neue Bindungen führt, zuerst und zuletzt in die Bindung an Gott, doch auch in die verbindliche Gemeinschaft mit anderen, ohne die ein christliches Leben kaum durchzuhalten ist. Aus evangelischer Sicht ist zu fragen, ob damit zwingend eine Bindung an »die Kirche« als verfasste Institution verstanden gemeint ist (die ja für einen Weg der Heiligung innerhalb ihrer Grenzen nicht immer sehr hilfreich gewesen ist). Für Martin Luther war entscheidend, dass jeder Mensch, in welchem Beruf, in welchem »Stand« auch immer, gleichermaßen gerecht gemacht und gleichermaßen gerufen ist, dementsprechend zu leben. Der gerechtfertigte Sünder findet sich in der Welt an seinem Ort vor; und er ist dort durch die Rechtfertigung auf den Weg der Heiligung gesetzt. Diesen Weg geht er in der Welt, nicht herausgenommen aus ihr, in einem gesonderten, geheiligten Bereich. Und er kann ihn gehen, weil er bereits, so Luther, »angefangen hat, fromm zu sein«. Mehr als ein Anfang ist dabei für Luther weder die Taufe noch die Buße, wir werden durch sie nicht ganz gesund, sondern lediglich mit der »ersten Gnade« auf eine Weise verbunden, durch die wir täglich mehr heilen können. Wir sind, das betont Luther, ein angefangenes, nicht aber ein bereits vollbrachtes Werk Gottes. Jedem Einzelnen ist damit aufgegeben, sich in seinem Alltag um seine Heiligung zu bemühen. Aus evangelischer Perspektive sind hier zwei Hinweise wichtig: Der erste Hinweis lautet, dass der Mensch die Möglichkeit, diesen Weg zu beschreiten, die Möglichkeit der Heiligung, nicht sich selbst und dem eigenen Antrieb, sondern dem Heili-


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... weil christliche Spiritualität kein >>Event<< ist. gen Geist verdankt. Heiligung ist – ebenso wie die Gerechtigkeit – Gabe Gottes. Mit allem Bemühen, das Menschen im Idealfall gern und aus Dankbarkeit aufbringen (im weniger idealen Fall immerhin noch, weil es von ihnen gefordert ist), können sie sich das Heil, das Heil-Werden nicht verdienen oder es aus eigener Kraft herstellen. Und durch keine noch so große Anstrengung können sie sich selbst zu Heiligen machen. Heiligung ist Geschenk, ein von Gottes Gnade ermöglichtes und begleitetes Tun. Der zweite wichtige Hinweis lautet, dass Heiligung, wie Neues Testament und die Reformatoren übereinstimmend lehren, nicht im Widerspruch zum »Allein aus Glauben« und »Allein aus Gnade« steht. Heiligung gehört sogar zwingend zur Rechtfertigung dazu – als menschliche Antwort auf das Geschenk der Rechtfertigung, als ein im rechten Geist vollzogenes methodisches Gestalten von Spiritualität im eigenen Leben, als eine tägliche Rechenschaft vor und Heimkehr zu Gott. Denn: Gott schenkt aus freier Liebe, doch er wünscht sich eine Antwort vom Menschen. Diese Antwort besteht nicht nur im Annehmen des Geschenks, sie besteht auch darin, das Leben so zu leben, wie es gemeint ist, nämlich in Beziehung zu Gott, in dem Versuch, ihm näherzukommen, ihm ähnlicher zu werden. Damit versucht der Mensch, dankbar dem zu entsprechen, was zu den Schöpfungsgaben gehört: nach dem Bilde Gottes geschaffen zu sein. Und da Gott der Heilige ist, ist sein Wille unsere Heiligung. Ob es auf diesem Weg der Heiligung Fortschritte gibt, ist eine Frage, über die die Konfessionen streiten. Aus evangelischer Perspektive ist zu sagen, dass der Mensch erst im Reich Gottes vollendet sein wird, ganz heilig, ganz frei von Sünde. Es wird also bei seinem Bemühen um Heiligung immer wieder auch Rückfälle geben, die Notwendigkeit (und zum Glück die Möglichkeit), von Neuem zu beginnen: Es ist an jedem Tag meines Lebens möglich und an vielen Tagen meines Lebens notwendig, neu die Entscheidung zu treffen, den Weg der Heiligung (wieder) zu gehen. Die regelmäßig praktizierte persönliche Frömmigkeit ist aus zwei weiteren Gründen notwendig: um die Gefahr eines Austrocknens des eigenen Glaubens zu mindern und um eine Trennung von Glaube und Alltag, die Luther gerade hatte aufheben wollen, zu verhindern. Denn in einem Alltag, der losgelöst von der Gottesbeziehung geführt wird, verfehlt der Mensch seine Bestimmung.

In welcher Gestalt die persönliche Frömmigkeit praktiziert wird, liegt in der Wahl des einzelnen Menschen. Menschen sind verschieden, in ihrem Denken, ihrem Fühlen und in ihrer Frömmigkeit, sie reagieren auf vergleichbare Umstände in sehr unterschiedlicher Weise. Das heißt: Es gibt auch innerhalb der Gemeinschaft der Christen (sogar der evangelischen) unterschiedliche Spiritualitäten – wenn auch mit einem gemeinsamen Inhalt. Diese Spiritualitäten stehen nicht in Konkurrenz, sondern werden je nach der eigenen Veranlagung und den Gegebenheiten gewählt. Es gibt viele Wege, die von Menschen gegangen werden können, manchmal auch von einem Menschen in verschiedenen Phasen seines Lebens. Es gibt nicht einen einzigen richtigen Weg – wir können in evangelischer Freiheit entscheiden. Und so, wie es grundsätzlich viele verschiedene Gestalten von Spiritualität gibt, gibt es auch eine Fülle von Methoden zu ihrer Ausübung. Doch gibt es Gemeinsamkeiten: Menschen, die christliche Spiritualität praktizieren wollen, werden in ihrem Alltag versuchen, das Doppelgebot der Liebe umzusetzen, und weder sich selbst zu vernachlässigen, noch die Menschen, mit denen sie es zu tun haben, noch Gott. Dazu gehören das regelmäßige Lesen und Meditieren (als hörendes, bedenkendes Anfühlen) der biblischen Texte, regelmäßiges Gebet und regelmäßiges Gespräch mit Geschwistern im Glauben. Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit sind erforderlich, weil christliche Spiritualität kein »Event« ist. Sie ist eine Einstellung, eine Haltung, eine aufmerksame, gesammelte Ruhe, das Einüben der Disziplin des Hörens, ein Offensein auf das hin, was in mir ist und mich zugleich umgibt, ein Offensein für das, was größer ist als ich.

Dr. Corinna Dahlgrün ist Professorin auf dem Lehrstuhl Praktische Theologie der FriedrichSchiller-Universität Jena


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Zugänge

Zur Mitte finden Einübungen in die christliche Spiritualität Klaus Dettke

Spiritualität ist ein Sehnsuchtswort. Es weist auf den Wunsch hin, dass unser Glaube lebendig und frisch ist, kraftvoll und das ganze Leben durchdringend. Bei Spiritualität klingt spiritus, Geist, mit, Heiliger Geist. Damit verbindet sich die Sehnsucht, dass er in uns wirkt, konkrete Wege zeigt, Erfahrung schenkt, der wir nachdenken können. Spiritualität ist wie die gezielte Suche nach der lebendigen Quelle des Lebens, wie das Ausgraben von verschütteten Brunnen. Die härteste Strafe in biblischen Zeiten war die Vernichtung von Brunnen. Ohne Brunnen konnten Menschen und Tiere nicht überleben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass im Alten Testament immer wieder das Wasser und der Brunnen als Symbol für Leben auftauchen. Spätestens im Johannesevangelium, in der Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen, bekommen der Brunnen, die Quelle und das Wasser eindeutig eine spirituelle Bedeutung. »Wer von dem Wasser trinkt, das ich gebe«, sagt Jesus, »wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser in ihm zur sprudelnden Quelle werden.« (Vgl. Joh 4,13) Jesus vermittelt einen Zugang zu den Lebensquellen und hilft, Schutt wegzuräumen, um die vertrockneten Brunnen freizulegen. Wer Jesus begegnet, wird merken, wie im eigenen Inneren die Quellen anfangen zu sprudeln. Die Brunnengeschichten erzählen, worum es in der Spiritualität geht. Spiritualität zeigt Wege, Verschüttetes freizulegen und sich der Lebensquelle zuzuwenden. Es geht um echte Begegnung mit Jesus und seinem Geist, die so lebendig macht, dass man in sich die Quellen fließen spürt. Dieser Weg führt nicht weg von der Welt, sondern mitten in sie hinein. Christliche Spiritualität will das ganze Leben durchdringen. Ihre Gestaltung ist abhängig von der jeweiligen Lebensphase. Dabei gehören der Vollzug geistlicher Übungen, die Erfahrung und Nichterfahrung und das Nachdenken darüber zusammen.

Jesus und die Samariterin am Jakobsbrunnen. Darstellung aus dem Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (um 1180)

Schritte zur Quelle, zur Mitte christlicher Spiritualität (1)

Lebendige Beziehung zu Gott

Glauben kann man nicht, ohne Gott zu lieben. Liebe aber ist eine personale Kategorie. Christliche Spiritualität ist immer Begegnung mit dem lebendigen Gott. Begründet wird sie durch die Sehnsucht Gottes nach seinen Menschen. »Ich habe dich je und je geliebt. Darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte!« (Jer 31,3) »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.« (Jes 43,1) »Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.« (Joh 3,16) »Gottes Sehnsucht ist der Mensch« sagt Augustinus. »Die Sehnsucht gibt dem Herzen Tiefe«, fährt er fort. Spiritualität ist Resonanz auf Gottes Sehnsucht. »Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir.« (Ps 63,2) »Bei dir ist die Quelle des Lebens.« (Ps 36,10) Spirituali-


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Christliche Spiritualität dankt Gott für die Gnade, die er uns durch das Leben, das Leiden und die Auferstehung Jesu von Nazareth eröffnet hat. Darum ist christliche Spiritualität kein Leistungs- und auch kein Erlösungsweg.

tät ist Suche nach der Quelle. Gott ist die Quelle, die Mitte, um die sich Menschen sammeln, aus der sie Leben empfangen, um die sich alles dreht, ohne die alles aus der Bahn geworfen wird. Leben aus dieser Mitte, Schöpfen aus der Quelle will eingeübt werden.

(2) Nachfolge Jesu Christi In Jesus Christus hat Gott uns Menschen sein eigenes Antlitz zugewandt. Christliche Spiritualität wird Gott darum in diesem Antlitz Christi, in der Person des Jesu von Nazareth, suchen und finden. Er ist die Ikone Gottes. In christlicher Spiritualität wenden wir uns immer stärker ihm zu. Das Ziel sind nicht die außerordentlichen Erlebnisse, besondere geistliche Events. Das mag im spirituellen Leben vorkommen. Es geht um die Erfahrung der Jünger: »Sie sahen niemand als Jesus allein.« (Vgl. Matthäus 17,8) Dazu gehört die Erfahrung, die Paulus im Brief an die Galater beschreibt: »Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir.« (Gal 5,20) Es geht um das unendliche Du zu Du in der Liebe, in der der Heilige Geist fließt. In seiner Liebe kommt Gott in ­Jesus Christus dahin, wo wir sind, auch dahin, wo Leid und Tod sind. Davor bewahrt er uns nicht. Aber darin bewahrt er uns. »Nichts und niemand kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist!« (Vgl. Röm 8, 38f) Das Vertrauen darauf will täglich neu eingeübt werden.

(3) Betrachtung der Schrift Christliche Spiritualität orientiert sich an der Bibel als dem Wort, das Gott uns geschenkt hat. Wer Gott, wer Jesus Christus ist und was unsere spirituellen Erfahrungen bedeuten, wissen wir durch das Zeugnis der biblischen Schriften. Im Hören auf das Zeugnis der Bibel erfahre ich, dass Gott sich an einen Weg durch die Geschichte, an sein Volk Israel und an seine Kirche gebunden hat, gerade weil er in seiner Liebe die ganze Welt meint. Das aber erfahre ich nur im Hören auf das Zeugnis der Bibel. »Gottes Wort und das Herz des Menschen sind ja im andern zuhause«, so umschreibt Martin Luther den Zusammenhang. Wichtig ist eine achtsame Betrachtung biblischer Texte. Bibel lesen, als hätten wir sie noch nie wahr-

genommen. In der Tradition gibt es dazu die Übung der ruminatio, des Wiederkäuens. Dazu ist es gut, sich eine Kuh auf der Weide vorzustellen. Sie kaut so lange auf dem Gras, bis sich die Nährstoffe erschließen. Einzelne biblische Worte wollen auch so »einverleibt« werden, bis sich ihre nährende Quelle erschließt.

(4) Üben, aus der Gnade zu leben Christsein ist ein Weg, ein Prozess: »Das christliche Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht Sein, sondern Werden, nicht Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber ein Weg.« (M. Luther) Im Alten Testament begegnen wir dem wandernden Gottesvolk. Jesus ruft in die Nachfolge. Die ersten Christen werden »die des neuen Weges« (Apg 9,2) genannt. Geistliche Übungen sind Vollzüge des Christen, die dazu dienen, aus der Quelle zu leben, seine Beziehung zu Gott zu vertiefen. Christliche Spiritualität dankt Gott für die Gnade, die er uns durch das Leben, das Leiden und die Auferstehung Jesu von Nazareth eröffnet hat. Darum ist christliche Spiritualität kein Leistungs- und auch kein Erlösungsweg. Die Quelle ist immer schon vorgegeben. Wir machen sie nicht. Wir können aber daraus schöpfen. Geistliche Übungen helfen, auf Gott zu hören, auf sein Geheimnis zu schauen, für seine Gegenwart aufmerksam zu sein. Übungsziel ist nicht die Vervollkommnung eines Bewusstseinszustandes, sondern das Verweilen in der Gegenwart Gottes. In der Lebensbeschreibung Benedikts von Nursia schreibt Gregor der Große über ihn: »Er wohnte unter dem liebenden Blick Gottes bei sich selbst.« So werden wir durch den Geist Gottes mehr und mehr umgeformt in das Bild Christi. Was für den Glauben gilt, gilt ebenso für die Spiritualität. Wir erwerben uns nichts. Wir üben, aus dem zu schöpfen und zu leben, was Gott uns in Jesus Christus immer schon geschenkt hat. Beispiele für geistliche Übungen sind: verschiedene Formen des Gebets, verschiedene Formen der Meditation, Bibellese und biblische Betrachtung, Stille bzw. Schweigen, Gesang und Musik, geistliches Ge-


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spräch, Körperübungen, Fasten, Beichte, Gottesdienst, Abendmahl, Wallfahrten bzw. Pilgern. In allen Übungen geht es um die Spannung, die folgender Liedvers beschreibt: »Wir säen und wir streuen den Samen auf das Land. Doch Wachsen und Gedeihen ist in des Himmels Hand …« Wilhelm Stählin spricht hier von einer »fruchtbare(n) Passivität«. Das heißt, wir machen nicht die Quelle. Spirituelle Übungen helfen, aus ihr zu schöpfen. Dabei sind zwei Elemente des Übens unverzichtbar: Dauer und Wiederholung.

(5) Konkrete Schritte gehen Ein kleiner Kanon beschreibt, worum es geht: »Schweige und höre. Neige deines Herzens Ohr. Suche den Frieden.« Spirituelle Übungen schulen das achtsame Hören, und zwar primär mit dem Herzen. Für die Gestaltung christlicher Spiritualität bewähren sich einfache Abläufe: Einen einfachen Anfang setzen, z. B. eine Verneigung vor dem gegenwärtigen Gott, achtsames Sitzen, bei dem ich mich spüre. Ich beginne »im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«. (Evtl. bekreuzige ich mich. Vgl. Luthers Morgen- und Abendsegen.) Langsames, lautes Lesen der Losung, des Wochenpsalms, des Wochenevangeliums. »Nicht das Viele sättigt unsre Seele, sondern das Verkosten des Wenigen von innen her«, erschließt uns die Quelle (vgl. Ignatius von Loyola). Es lohnt sich, z. B. Psalm oder Evangelium der Woche an jedem Tag zu verkosten, auswendig zu lernen (learning by heart). So werden Geist und Seele durchdrungen und spirituell genährt. Eine Zeit der Stille, in der das Gehörte in uns nachklingen kann. Abschluss mit einem Gebet, eventuell frei gesprochen oder eines aus der Tradition, und dem langsam und laut gebeteten Vaterunser. Wichtig ist eine geschützte Zeit, die für diese geistliche Übung regelmäßig möglich ist. Wir brauchen einen Rhythmus. Wichtig ist auch ein geschützter Ort für ein ungestörtes Rendezvous mit Gott. Die Beachtung von Formen, Zeiten und Orten reinigt unser Herz. Stimmungen und Bedürfnisse sind keine guten Ratgeber. Das Gefühl innerer Erfüllung

rechtfertigt nicht die Zeit der Stille. Die Erfahrung innerer Leere verurteilt sie nicht. Das gilt auch für andere geistliche Übungen. Innere Widerstände, Anfechtungen sind dabei nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall. Spirituelle Übungen dienen der Herzensbildung, und das ist ein langfristiges, ja lebenslanges Geschehen.

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Leben und glauben in der Kirche

Glaubend und betend gehören wir Menschen auf dem Weg christlicher Spiritualität in die Gemeinschaft der Kirche, auch wenn unser persönlicher geistlicher Weg immer Züge der Einsamkeit in sich trägt. Als Glaubende sind wir verwurzelt in der Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern, die gemeinsam auf Gott hören und einander dabei begleiten. Einsames Beten, Hören und Schweigen verweist immer auf die Gemeinschaft der Glaubenden und damit auf die reale Kirche.

(7) Gottes Anliegen für diese Welt dienen Von ihrer innersten Ausrichtung als Zuwendung zu Gott weist uns christliche Spiritualität dorthin, wo Gott gewiss und immer zu finden ist: zu den Armen, den Mühseligen und Beladenen und damit zu Gottes geschundener Welt (vgl. Mt 25,31–46). Wer in die Gegenwart des lebendigen Gottes eintaucht, taucht neben den (geistlich, seelisch, leiblich …) Armen wieder auf. Auf Gottes Anliegen zielt unser Beten: »dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.« Er ruft uns auf dem spirituellen Weg zu einer Quelle, die fließt und fließt bis ins ewige Leben.

Pastor Klaus Dettke ist Referent der Missionarischen Dienste der Hannoverschen Landeskirche und Leiter des Geistlichen Zentrums Kloster Bursfelde


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Spiritualität heißt für mich …

… DIAL OG.

Das vertrauute Gespräch mit einem, der immer ansprechbar ist, mich zutiefst versteht und mich ein Leben lang begleitet. Dieser Gesprächspartner und Freund ist für mich Jesus. Ich vertiefe mich gerne in seine wegweisenden Worte und Taten, wie ich sie in den Evangelien finde. Die Bibel mit ihrer Lebensfülle fasziniert mich. Über sie nachzusinnen, ist für mich Freude und Inspirationsquelle. Michael Bammessel

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Präsident des Diakonischen Werks Bayern

�... GOTT IN MIR UND ICH IN GOTT. Verbu nden sein mit allem, was lebt, auch über den Tod

hinaus, und die geistl iche Ausric htung auf transz enden te Erfah runge n mit dem Heilig en. Monik a Dierc ks

Diakoni n in der Kranke nhausse elsorge im Diakoni ekranke nhaus Friederi kenstift in Hannove r


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s, wa s n ic h t … of fe n zu se in fü r da Him m el si ch tb ar ist zwisch en wa s Sin n un d Erde, zu sc h au en, iste s K in d gi bt un d K ra ft – we s Ge be i zu ic h bi n. U nd m ic h da ch ri st li ch en trau en, au ch üb er de n ch au en. Te ll er ra nd h in au sz us Il se-Dore Grah e

ke nh au sse elsorg e im Di ak on in in de r Kran ove r Fri ed eri ke nstift Ha nn Di ak on ie kra nk en ha us

... EIN ROTE R FADE N FÜR MEINE N LEBEN SWEG UND KRAF TQUE LLE FÜR DEN ALLTAG.

Ich bin Mitglie d im DIAKO NIA-Weltbund , dem 50.00 0 diakon isch tätige Christinnen und Christen aus 36 Ländern angehö ren. Die weltoffene und vielfältige Spiritu alität, die auf den internationale n Treffe n dieser Gemein schaft gelebt wird, ist immer wieder eine bereich ernde Erfahrung für mich. Birgit Jöhren s-Borchers

Kranken schweste r im Diakonie kranken haus Friederi kenstift auf der Sonderstation für schwer Unfallve rletzte in Hachmüh len/Bad Münder

… DA S, WA S ZW ISC HE N DE N DINGE N SP ÜR BA R IST.

Es ist ein Gef ühl von Weite, tief em Atemholen, »St aun en im Her zen «. Es geschieh t! Ich kan n es nicht herb eiwünschen. Aber ich habe eine Ahn ung, wie es sich finden lässt. Spiritualit ät braucht inn ere Ruh e, Zeit, einen frei en Kopf, kein en Str ess. Ich finde das Gef ühl man chmal beim Wan dern, wen n ich vom Berggipf el ins weit e Lan d schaue. Oder in meinem Gar ten, wen n ein san fter Win d weht. Oder beim Anblick des Meeres. Dan n spüre ich, das s es noch meh r gibt , als ich mit meinen Gedank en erfassen und erkl ären und mit meinen Augen sehen kan n. Es ist ein großes, tief es Gef ühl von Glück, Freiheit und Geborge nhe it. Man chmal finde ich Spiritualit ät auch in einem Lied oder einem Gedicht , welches mich tief berührt. Auch in meiner Arb eit mit den Kin dern gibt es spir ituelle Mom ente . Zum Beis piel , wen n die Kin der voll Staunen und Erk enn en Geschichten lauschen, die eine Bots chaf t vom gelingenden Mit einander in sich tragen, oder wen n sie die Wunder der Jahr esze iten für sich entdecken und wen n sie mir ihr Vert rauen und ihre Off enheit sche nken. Und man chmal erkenne ich Spi ritualit ät in einem Gedank en, der plöt zlich in mir laut wird. Zum Beispiel die Auf forderun g, der einsamen Nachbar in gerade jetz t ein paar Plät zchen zu brin gen. Folge ich den Gedank en, dan n spüre ich oft, das s sie für mich oder and ere Men schen einen wichtigen Sin n haben, das s ich helf en kon nte oder selb st Hilf e erfahren habe . All das ist für mich Ausdruck von Got tes Lieb e. Claudia Hak elberg Diplo m-S ozialarbe iterin/So zialp ädagogin und Erzi eherin in der Kita »Hau s der klein en Stro lche« der Gem einde Bucha bei Jena


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Gott im Kopf Wie wir Religion durch die Hirnforschung neu verstehen Michael Blume

A

nfang des 16. Jahrhunderts schuf Michelangelo Buonarroti (1475–1564) mit der Bemalung der Sixtinischen Kapelle in Rom eines der größten Kunstwerke der Weltgeschichte. Und von der großen Fülle der Details wurde kein Ausschnitt so bekannt wie die »Erschaffung Adams«. Sie zeigt nicht nur die tiefe Faszination des Künstlers für alle Details des menschlichen Körpers, sondern auch eine Darstellung Gottvaters in Menschengestalt – gegen die biblische Warnung vor Bildnissen der Verehrung. Wie kein anderes Bild wurde dieses zum weltweit bekanntesten Symbol römischchristlicher Kunst. Doch erst vier Jahrhunderte nach Michelangelos Tod fiel dem Neuroanatomen Frank Lynn Meshberger auf, dass die Form des Mantels, aus dem heraus Gott agiert, einer Seitendarstellung des menschlichen Gehirns glich, das grüne Tuch und die Beine gar dem Hirnstamm. Ein »Zufall« wurde dadurch unwahrscheinlicher, dass auch eine zweite Darstellung des sich abwendenden Gottvaters in einen entsprechend geformten Mantel gehüllt ist. Vor allem aber erschien es schwer vorstellbar, dass ein Mann, der so versessen auf die Details menschlicher Anatomie war wie Miche-

langelo, hier eine Körperform aus reiner Unachtsamkeit gemalt haben sollte. Meshberger veröffentlichte die Entdeckung um 1990 in einem Fachjournal und löste damit eine kunstgeschichtliche Debatte aus, die bis heute nicht beendet ist. Denn leider hat uns der symbol- und rätselverliebte Michelangelo zu dieser Frage keine Aufzeichnungen hinterlassen, so dass wir nicht sicher sagen können, was genau er möglicherweise ausdrücken wollte. An seinem tiefen, wenn auch in Aspekten eigensinnigen Glauben an Gott gibt es keinen Zweifel – als »Hirngespinst« wollte er den Ewigen also sicher nicht vorführen. Wahrscheinlicher ist, dass er hier eine Selbstbeschränkung, ja Warnung formulierte, die wir schon in der vorchristlichen Antike (etwa bei Xenophanes) und bei unzähligen Kirchenlehrenden finden: Bedenkt, dass jede Vorstellung, jedes Bild, das wir uns von Gott machen, immer nur unserem begrenzten Gehirn entspringen kann. Adam – und nach ihm Michelangelo sowie jede Betrachterin und jeder Betrachter – nimmt seinen Schöpfer so wahr, wie er ihn mit seinem Denkorgan eben wahrnehmen kann! Der Gedanke, dass wir das menschliche Gehirn verstehen müssen, um auch

die menschliche Religiosität zu verstehen, klingt aufregend neu – ist er aber nicht. Niemand Geringeres als Charles Darwin (1809–1882), der den einzigen Studienabschluss seines Lebens in anglikanischer Theologie erwarb und ein Leben lang intensiv und kundig mit religiösen Fragen rang – ging davon aus, dass auch der Glaube an höhere Wesen und schließlich Gott in der Evolution entstanden sei und sich erfolgreich in unsere »Säugetiergehirne« eingeschrieben habe. Entsprechend sei unser Oberstübchen geradezu darauf eingerichtet, »dass ein beständig während der frühen Lebensjahre eingeprägter Glaube, und zwar solange das Gehirn Eindrücken leicht zugänglich ist, fast die Natur eines Instinktes anzunehmen scheint« (in: Darwin [1871]: Die Abstammung des Menschen, Neuauflage 2005, 134). Doch leider brauchte es fast ein ganzes Jahrhundert, bis sich endlich Forscher aus den Natur-, Kultur- und Geisteswissenschaften gemeinsam daran machten, diesen Fragen nachzugehen und unter dem anfänglichen Schlagwort der »Neurotheologie« die Zusammenhänge zwischen Gehirn und Glauben zu erforschen. In den letzten Jahren ist daraus ein breiter Strom interdisziplinärer Forschung geworden, der es mit »Reli-


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HinteRgRÜnde

gion, Brain & Behavior« sogar schon zu einem eigenen Fachjournal gebracht hat. Da ich das Glück hatte, als Religionswissenschaftler über dieses Thema promovieren zu können, will ich einige für die Gemeindepädagogik wesentliche Punkte herausarbeiten, die sich in diesen letzten Jahren geklärt haben. Religiosität und Spiritualität sind nicht das Gleiche. Religiosität lässt sich definieren als Glaube an höhere Wesen (englisch: superempirical agents, fachdeutsch: überempirische Akteure) wie Ahnen, Geister, Engel und Gottheiten, die uns beobachten und zu denen wir in Beziehung treten können. Die Sozialform dafür ist das Gebet, in dem wir die Gottheit ansprechen und ihr beispielsweise auch Opfer und Gelübde darbringen können. Bei glaubenden und betenden Menschen werden dabei Gehirnareale im Stirnhirn aktiviert, die auch aktiv sind, wenn wir mit anderen Menschen sozial interagieren. Interessanterweise ist es etwa die Region, auf der Juden die Gebetskapsel binden, Christen das Kreuz zeichnen, Muslime beim Gebet den Boden berühren, Hindus das dritte Auge verorten usw. – der Bereich, aus dem Michelangelo Gottes Arm zu Adam

reichen lässt. Die menschliche Religiosität basiert weniger auf den rationalen, sondern stärker auf den sozialen Wahrnehmungsfähigkeiten unseres Gehirns. Anders formuliert: Religiöse Menschen erleben die Gottheit nicht etwa als eine fehlende Zahl in einer mathematischen Formel, mit dem sie das Universum erklären könnten, sondern als Person, mit der sie in Beziehung treten können. Religiöser Glauben ist nicht in erster Linie ein Fürwahrhalten abstrakter Dogmen, sondern eine Beziehungserfahrung, die von angstbesetzt bis zu liebevoll und beglückend reichen kann. Spiritualität wird dagegen zunehmend als Schwächung oder gar Aufhebung der Ich-Umwelt-Abgrenzung verstanden, die in hinteren, älteren Regionen unseres Gehirns erarbeitet wird. Die meist beglückende Erfahrung der Entgrenzung, des Eins-Werdens mit der Umgebung, dem Wald, Fußballverein oder gar dem ganzen Universum kann spontan auftreten, aber auch durch jahrelange Meditationspraxis eingeübt werden. Entsprechend finden wir mystische Traditionen in allen Weltreligionen (oft kritisch beäugt von Glaubenswächtern, die etwa ein »Einswerden mit Gott« als Lästerung des Höchsten betrachten) – aber auch unter Menschen, die nicht an

höhere Wesen glauben und sich auch nicht als religiös verstehen. Wir alle werden mit unterschiedlich starken religiösen und spirituellen Veranlagungen geboren, die dann – wie von Darwin zu Recht vermutet – »in den frühen Lebensjahren« auch eingeübt und trainiert werden können, völlig entsprechend beispielsweise zur menschlichen Musikalität. Und so, wie unterschiedliche Menschen unterschiedliche Musikgeschmäcker entwickeln werden – und nur ein Teil der Menschen auch aktiv musiziert –, sprechen uns auch religiöse und spirituelle Angebote unterschiedlich erfolgreich an. Eine Vielfalt an Gebets- und Gottesdienstformen muss also kein Zeichen von Zerfall und Niedergang sein, sondern kann ein Ausdruck dafür sein, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften gelernt haben, die Vielfalt von Mitgliedern und Suchenden ernst zu nehmen. Religiosität schläft unter den Bedingungen existentieller Sicherheit häufiger ein. »Not lehrt beten!«, weiß der Volksmund – und hat damit nach Erkenntnissen der heutigen Forschung absolut Recht. Überall auf der Welt rufen Menschen dort verstärkt nach den höheren


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Was sättigt die Seele? Biblische Aspekte einer ausgewogenen Ernährung Isabell Hartmann

Für die Ernährung unseres Körpers sorgen wir selbstverständlich. Ernährungsberater, Fernsehtalks, Diätenratgeber und vieles mehr halten uns an, uns bewusst zu ernähren. Doch wie steht es um die Ernährung unserer Seele? Welche Nahrung braucht sie, welche verträgt sie gut und welche nicht? Wie bekommt ihr der dichte Terminkalender und der Druck, der dadurch entsteht? Hat sie Sensibilitäten, die wir beachten sollten? Worauf hat sie Appetit und kann sie ihre Nahrung in vollen Zügen genießen? Sind es Ruhepausen nach einem anstrengenden Arbeitstag, wenn man einfach mal für sich sein kann und für niemanden ansprechbar ist, oder ist es ein inspirierender Plausch mit vertrauten Menschen? Die Geschmäcker sind verschieden. Durch den Wald joggen, eine Kunstausstellung besuchen, in der Sauna schwitzen – alles kann die Seele aufleben lassen. Wissen wir, was unsere Seele nährt? Welcher Rhythmus von Ruhe und Arbeit ihr gut tut? Welche Beziehungen stärken sie? An welchen Orten hält sie sich gerne auf, weil ihr dort Kraft zuwächst? Nicht nur unser Körper, auch unsere Seele hat ihre Bedürfnisse. Die biblischen Autoren hatten eine große Freiheit, von der Bedürftigkeit ihrer Seele zu sprechen. Vor allem in den Psalmen. Sie tun dies ganz plastisch, auch in starken lebendigen Worten. Ihre Seele ist hungrig und durstig (Ps 107,9; 63,2), bedürftig nach Trost und Ruhe (77,3; 131,2). Sie verzehrt sich vor Verlangen (Ps 119,20.81). In

ihr wohnt Vertrauen (Ps 57,2). Sie ist fröhlich oder betrübt (Ps 16,9; 71,23; 43,5). Sie kann vor Angst verzagen (Ps 107,26) und erschrecken (Ps 6,4). Sie harrt (Ps 33,20), sie sorgt sich (Ps 13,3). Das hebräische Wort näphäsch, im Deutschen meist mit »Seele« wiedergegeben, bedeutet eigentlich Schlund, Rachen, Kehle, bezeichnet also das Organ der Aufnahme der Nahrung und der Atemluft.1 Das Leben hängt elementar davon ab, dass die Kehle gefüllt wird. Die näphäsch der Hungrigen und Durstigen wäre verschmachtet und ausgetrocknet, wäre sie nicht gesättigt worden (vgl. Ps 107). Dabei schwingt immer der tiefere Sinn mit, dass sich der Mensch das Leben selbst nicht geben und erhalten kann: Gott blies dem Menschen den Odem des Lebens in seine Nase. So wurde der Mensch eine lebendige näphäsch (s. Gen 2,7). Oder Ps 63,2: »Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele (näphäsch) nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist.« Reden hebräische Menschen von ihrer näphäsch, dann sehen sie sich in ihrer Bedürftigkeit und zugleich in ihrer Gefährdung, dass ihre vitalen Bedürfnisse nicht gestillt werden. Sie erleben sich als Menschen mit Verlangen, Begehren und Sehnsucht nach Leben. Ausgehend von der Bezeichnung des Organs der Kehle und des Aktes des Begehrens weitete sich der Bedeutungsgehalt von näphäsch aus auf andere seelische Empfindungen, die der menschlichen Verletzlichkeit,


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Bedürftigkeit und Abhängigkeit entspringen. Die näphäsch ist emotional erregbar und empfindet Liebe und Hass, Freude und Trauer. Sie steht in der Bibel in besonderer Weise für die Lebendigkeit des Menschen, der das Leben begehrt und liebt. So überrascht es nicht, dass sie unmittelbar einbezogen ist, wenn Menschen zu einem lebendigen Dialog mit sich selbst und mit Gott finden. Die Psalmisten führen ein inneres Zwiegespräch mit ihrer Seele, z. B. in Psalm 42,6: »Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.« Sie sind mit sich selbst im Gespräch über ihre Empfindungen, versuchen sie zu verstehen und auf sie einzugehen. Heute würden wir sagen: Sie sind mit sich selbst und ihrer Bedürftigkeit im Kontakt. Es ist ihre Weise, »Ich« zu sagen, auch gegenüber Gott, im Gespräch mit ihm. Sie reden darüber, wie es ihrer Seele geht, was sie freut, was ihr fehlt, wonach sie verlangt. Dies hilft ihnen, ins Beten zu kommen und die eigenen Bedürfnisse in Beziehung zu setzen zu Gott, der ein offenes Ohr und Herz für sie hat. In Psalm 42,7 mündet das innere Zwiegespräch in die Anrede Gottes: »Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir, darum gedenke ich an dich …« So wird aus ihrem Gebet ein lebendiger Austausch. Ihre Gebete erzählen von der Erfahrung, dass sich Gott um ihre Seele sorgt, und – häufig nach einer längeren Zeit des Ringens und Wartens – ihre Situation sich wandelt: »Fürwahr, meine Seele ist still und ruhig geworden wie ein kleines Kind bei seiner Mutter; wie ein kleines Kind, so ist meine Seele in mir.« (Ps 131,2) Die Sorge für die Seele, wer übernimmt sie heute? Viele erwarten sie von den Hauptamtlichen der Kirchen: von Gemeindepädagogen, Pfarrern, Klinikseelsorgern etc. Vielleicht weil sie spüren: Die Bedürfnisse der Seele weisen über das hinaus, was menschlich möglich und machbar ist. Sie suchen nach Menschen, die auch Erfahrungen mit der spirituellen Dimension des Lebens und mit Gott eröffnen können. Doch beginnt die Sorge für die Seele nicht bei den Fachleuten. Wie zu biblischen Zeiten kann sie letztlich kein Mensch für den anderen übernehmen. Sie liegt bei jedem selbst. Meine Seele wohnt in mir, ich bin ihr am nächsten. Wenn ich sie nicht kenne, wer dann? Ich kann am besten für sie eintreten. Wenn ich ihr meine Aufmerksamkeit zuwende, werde ich entdecken: Sie hat ein gutes Gespür dafür, wie es ihr geht und was ihr gut tut. Sie hat auch ein gutes Empfinden für das, was sie an geistlicher Nahrung, an Gottes Nähe sucht und braucht.

Anregungen für die persönliche »Seelen(sorge)zeit« Unsere Seele braucht Zeit, um sich zu öffnen und auszusprechen. Sie muss sich sicher sein dürfen, dass ihr zugehört wird, ohne dass etwas von ihr gefordert wird. Wenn sie zu früh hört: »Jetzt beruhige dich doch endlich, was stellst du dich so an! Ich habe noch zu tun«, wird sie sich zurückhalten oder sich gar verschließen. Daher wäre es gut, ihr ein Vertrauensangebot zu machen: Ich suche einen Ort aus, an dem ich mich wohlfühle und für mich bin und nehme mir eine Stunde Zeit, in der ich nichts weiter vorhabe, als für meine Seele zu sorgen: Ich lasse mich nieder oder setze mich in Bewegung, wenn es mir beim Laufen leichter fällt, zu mir zu kommen. Ich entschließe mich, nach innen zu hören, zu lauschen, was sich in meiner Seele regt. Jetzt habe ich Zeit für sie. Ich lasse meine Empfindungen einfach kommen, ohne sie zu bewerten oder zu verändern. Welche Gedanken, welche Gefühle steigen in mir auf? Ich kann mit meiner Seele ins Gespräch kommen: Wie geht es dir? Was freut dich? Was macht dir Mühe? Was fehlt dir? Wonach sehnst du dich? Ich kann auch fragen: Was ersehnst du dir von Gott? Wie könnte er dir so begegnen, dass sich dein Vertrauen vertieft und deine Lebendigkeit genährt wird? Seiner Seele und ihren Sehnsüchten zuzuhören ist ein erster wichtiger Schritt in der Sorge für sie. Besonders dann, wenn sie sich einfach aussprechen will. Für konkrete »Hilfsangebote« mag sie u. U. noch nicht offen sein, aber es tut ihr gut, wenn ich ihre Klage an Gott »weiterleite«. Dann werde ich vor Gott zur Fürsprecherin für meine Seele. Dies ist ein wertvoller Dienst, den ich ihr tun kann – vielleicht der wichtigste. Weitere Schritte zur Seelen-Sorge könnten sich anschließen. Reicht es meiner Seele, wie ich für sie sorge? Was braucht sie darüber hinaus? Ich kann den inneren Dialog fortsetzen und fragen, ob und wie ich gut für sie sorgen kann … Das Sorgen für die Seele kann gut gemeint sein und doch daneben gehen. In Lukas 12,16-21 erzählt Jesus von einem Kornbauer, der viele Vorräte sammelte, um seine Seele zu beruhigen und ihr das Gefühl der Sicherheit zu verschaffen. Doch Jesus nennt ihn einen Narren, weil er die geistliche Dimension au-


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Wie die Idee entstand: Im September 2014 fand in der Evangelischen Predigergemeinde Erfurt ein Meister-EckhartTag für Kinder statt. Mit Schulkindern der 1.–6. Klasse haben wir eine Reise zu ME (Meister Eckhart) unternommen. Die Idee zu diesem Tag entstand in einer Gruppe von Frauen, die sich für die Spiritualität Eckarts interessieren und sie auch für Kinder erlebbar machen wollten. Wir haben mit der Predigerkirche und dem -kloster authentische Orte, an denen Meister Eckhart wirkte. An diesen Orten mit den Kindern in sein Leben und seine Mystik einzutauchen, war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Die Kinder konnten sich im Vorfeld für einen Workshop anmelden: »Entdecke die Vergangenheit« (Mit dem Foto-

apparat unterwegs); »Entdecke dein Kunstwerk« (Gestalten mit Speckstein) oder »Entdecke den eigenen Genius« (Theater workshop) Auf die Entdeckungsreise zum geheimnisvollen Ort oder »spirituellen Planquadrat« (Küstenmacher, 133), und somit zur Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Stille, sind wir mit allen Kindern gemeinsam gegangen. Wir stellen hier diesen Abschnitt der Reise vor, der einen wesentlichen Teil des Tages ausmachte. Für die Gruppen waren jeweils zwei Personen zuständig. Je nach Anzahl der Kinder ist eine weitere Unterstützung hilfreich. Wir möchten mit den Vorschlägen anderen Mut machen, über die Gedanken Meister Eckharts ins Gespräch zu kommen, und sein Denken und seine Spiritualität weiterzutragen.

Reise zu ME Ein Meister-Eckhart-Tag für Kinder Manja Müller und Kerstin Schulte-Körne

Entdecke den geheimnisvollen Ort Skizze des Verlaufs Die folgenden Elemente bauen aufeinander auf und veranschaulichen die Reise, auf die die Kinder sich gemeinsam begeben: vom Sensibilisieren der Sinne, hier dem Hören und der Wahrnehmung des Körpers, zum »Sich-Leer- und Bereit- machen« für die Begegnung mit Gott. Geräusche erraten Erkennen verschiedener Geräusche aus dem Klosterleben Meister Eckarts Materialien: zwei leere Kokosnussschalen Wasserkrug und Becher Schreibfeder und Büttenpapier ein altes, schweres Buch Pappkarton mit Kieselsteinen Monochord Vorbereitung: Teppich, auf dem Sitzkissen für die Kinder bereit liegen

Aufstellen einer spanischen Wand (Laken) Ablauf: Die Kinder sitzen bequem im Kreis auf dem Teppich. Das Anspielen des Monochords bündelt die Aufmerksamkeit der Kinder. Durch das Erkennen verschiedener Geräusche können sich die Kinder dem Leben Meister Eckarts im Kloster zur damaligen Zeit annähern. Eine Gruppenleiterin, die hinter der spanischen Wand steht, spielt die Geräusche vor. Bei der Reihenfolge der Geräusche wird darauf geachtet, einfach zu erkennende Geräusche mit schwierigeren abzuwechseln. Nacheinander werden das Laufen eines Pferdes, das Gehen über einen steinigen Weg, das Einschenken von Wasser, das Schreiben mit einer Feder und das Zuklappen eines Buches hinter der spanischen Wand vorgeführt. Kleine Hinweise können das Erraten erleichtern.

Ablauf des Meister-Eckart-Tages fur Kinder 10 10.30 Uhr – 12.30 12.30 Uhr – 13.00 13.00 Uhr – 14.00 14.00 Uhr – 14.30

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Beginn für alle Kinder mit einer kirchenpädagogischen Führung durch das Predigerkloster Arbeit in den drei Workshops Mittagessen »Der geheimnisvolle Ort« mit allen Kindern Kleine Präsentation aus den einzelnen Workshops und Abschluss


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Meister Eckhart der christliche Mystiker *geb. um 1260 in Tambach in Thüringen im Dominikanerkloster in Erfurt ausgebildet seine berühmten »Reden der Unterweisung« entstanden in der Zeit als Prior dieses Erfurter Predigerklosters (1294–1298); er hielt sie in deutscher Sprache als besonders begabter Dominikaner auch nach Köln und Paris entsandt, wo er »Magister«, also Professor wird; daher der Titel »Meister« ab 1303 auch als Provinzial ( Leiter) der Ordensprovinz Sachsen viel auf Reisen ab 1325 wurde ein Inquisitionsverfahren gegen Eckhart eingeleitet 1326 verfasste Eckhart eine Verteidigungsschrift; argumentierte u. a. mit diesen Worten: »Wenn man nicht Gelehrtes vor Ungelehrten vorträgt, dann werden Ungelehrte niemals gelehrt.« (Buch der göttlichen Tröstung) 1327 Lehr-Untersuchung in Avignon vor dem Papst 1328 (ungeklärter) Tod Eckharts 1329 Verurteilung einiger Lehrsätze Eckharts in einer Bulle

Bedeutung heute gilt als einer der größten mittelalterlichen Theologen, Philosophen, auch als Mystiker bemerkenswert sind sowohl seine wortgewaltigen und bilderreichen Predigten, als auch sein Entwurf religiösen Lebens in deutscher Sprache Meister Eckharts Theologie wird der intellektuellen Tradition mittelalterlicher Mystik zugerechnet, die seiner Zeit weit voraus war einzig authentisch erhaltene Wirkstätte ist das Predigerkloster in Erfurt mit dem noch originalen Sitzplatz Meister Eckharts

Christliche Mystik Mystik * griechisch »myein«, meint »Augen schließen« zielt auf eine Einswerdung (unio mystica) mit Gott als eine nach innen schauende Versenkung und was sich in ihr begibt oder begeben kann Art der Gotteserfahrung, die weder an eine bestimmte Religion noch an ein bestimmtes Alter gebunden ist

Schwer wie ein Sack Partnerübung Material: mit Kirschkernen oder Getreide gefüllte Säckchen, etwa 15 x 20 cm groß (werden oft im physiotherapeutischen Kontext verwendet) ein Raum mit Teppich oder Matten Ablauf: In dieser Übung geht es um Körperwahrnehmung. Die Kinder haben die Gelegenheit, den eigenen Körper zu erspüren. Wie mag Meister Eckhart sich gefühlt haben nach tagelangen Fußmärschen? Was mag er alles gespürt haben? Die Kinder finden sich zu zweit zusammen und suchen sich einen Platz im Raum. Eines legt sich auf den Bauch, das andere setzt sich daneben. Nun beginnt das sitzende Kind, das Partnerkind mit dem Sack zu belegen. Der Sack »wandert« sozusagen über den Körper. Das sitzende Kind richtet sich dabei nach den Wünschen des liegenden Kindes und hat achtet auf die Reaktionen. Die Gruppenleiterin kann im Vorfeld demonstrieren, wo und wie die Säcke auf dem Körper liegen können. Je nach Tageszeit, Ermüdung der Kinder und Gruppengröße wird es eine mehr oder minder ruhige Atmosphäre geben. Nach einigen Minuten kann die Übung mit dem Abklopfen des liegenden Kindes beendet werden. Nun erfolgt der Rollenwechsel. Gesamtzeit: f lexibel (in 15–20 Minuten mit 20 Kindern gut realisierbar) Die leere Tafel (Küstenmacher, 134) Material: eine große alte Schultafel bunte Kreide ein feuchter Lappen Vorbereitung: Die Kinder versammeln sich vor der Tafel, so dass jeder sie gut sehen kann. Ablauf: Die Gruppenleiterin fordert die Kinder auf, etwas auf die leere Tafel zu malen oder zu schreiben. Sie selbst kann damit beginnen, ein einfaches Bild, z. B. eine Sonne, zu zeichnen, um die anfängliche Zurückhaltung aufzu-

brechen. Die Kinder füllen die Tafel, bis sie völlig bemalt ist. Die Gruppenleiterin betrachtet mit den Kindern die vollbemalte Tafel und äußert ihre Gedanken: Oft ist es so mit Gott und uns. Diese Tafel ist wie wir Menschen, die genauso »voll« sind, angefüllt mit Gedanken, Worten und Bildern. Ob Gott da noch einen Platz hat? Was denkt ihr darüber? Habt ihr eine Idee, was man da tun kann, um Platz für Gott zu schaffen? Eine Möglichkeit besteht darin, die Tafel wieder leer zu wischen. Jedes Kind wischt sein Bild, sein Wort wieder weg. Vielleicht zögern einige Kinder, das Schöne wieder wegzuwischen. Dann ermutigt die Gruppenleiterin die Kinder, es doch zu wagen und zu sehen, was passiert, und stellt Fragen: Wann ist es schön, wenn ich etwas lösche? Wann ist es schön, wenn etwas leer ist? Es ist gut, dass es die Leere gibt. Impulse dazu: – Nur in einen leeren Topf können wir eine Blume pflanzen. – Nur in ein leeres Glas können wir Wasser füllen. – Nur auf einen leeren Platz können wir uns setzen. – Nur auf eine leere Stelle können wir Möbel stellen. (ebd. S. 134) Meister Eckhart hat es so gesagt: »Wenn dein Herz für Gott, den Allerhöchsten, bereit sein will, dann muss es auf einem reinen Nichts stehen. Denn dann ist es am empfänglichsten. Das ist so wie bei einer Tafel. Wenn ich auf der Tafel schreiben will, dann kann das, was auf der Tafel steht, zwar besonders wichtig oder klug sein – es hält mich aber trotzdem vom Schreiben ab. Wenn ich aber trotzdem schreiben will, dann muss ich das löschen, was auf der Tafel steht. Und am allerbesten kann ich auf der Tafel schreiben, wenn gar nichts mehr auf der Tafel steht. Ganz genauso ist es nun mit Gott und unserem Herzen. Wenn Gott auf allerhöchste Weise in mein Herz schreiben soll, dann muss vorher alles, dieses und jenes, aus dem Herzen herauskommen und nichts da sein.« (Küstenmacher, 129)


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Der geheimnisvolle Ort oder »das spirituelle Planquadrat« (ebd. S. 133) Material: Wolle für Kordeln Teelichter farbiger Tonkarton, Streichhölzer Baumwollsäckchen (10x15cm) Stoffmalstifte oder -kreide Vorbereitung: Kordeln von 4 m Länge drehen und je eine in ein Säckchen stecken; Quadrate (8x8cm) aus dem Karton schneiden und je ein Teelicht aufkleben Musik: Harfenmusik, Monochord oder Klangschale Ablauf: Nach dem Erleben von Fülle und Leere bei der »leeren Tafel« können die Kinder nun ihren eigenen »leeren« Ort, einen Platz für Gott für sich allein erleben. Wieder im Kreis sitzend wird den K indern ein Baumwollsäckchen gezeigt, aus dem eine Kordel geholt und zum Quadrat gelegt wird. In die Mitte wird ein Teelicht gestellt. Dazu erläutert die Gruppenleiterin die Intention und den Ablauf der folgenden Stilleübung: Jedes Kind darf sich ein Licht und ein Säckchen nehmen und einen Platz für sich allein im Raum suchen. Dort legt es sein »spirituelles Planquadrat« und setzt sich hinein oder davor. Dann wird die Kerze angezündet. All das soll schweigend geschehen. Meditative Musik leitet in die Stille. In diese Stille hinein kann dann folgendes Meister-Eckhart-Zitat gelesen werden: »Gott aber, hat man ihn, so hat man ihn allerorten; auf der Straße und un-

ter den Leuten so gut, wie in der Kirche oder in der Einöde oder in der Zelle.« (Vom Adel der menschlichen Seele, S.41) Formuliert für Kinder: Wenn Gott in meinem Herzen Platz hat und dort wohnt, so ist er bei mir, egal an welchem Ort ich gerade bin: in der Schule, zu Hause, unterwegs oder in einer Kirche. Mit Musik wird wiederum aus der Stille (einige Minuten) herausgeleitet. Der geheimnisvolle Ort oder das »spirituelle Planquadrat« erinnert die Kinder, dass Gott immer mit uns unterwegs ist. Das kleine Säckchen passt in jede Hosentasche, die Kinder können sich überall im Alltag diesen Ort schaffen. Er kann dann wieder und wieder einladen zur Stille, zum Leerwerden für Gott, zum Gespräch mit Gott, zum Danken und Singen. So können die Kinder erfahren, dass »bei Gott immer wieder Platz für Neues ist« (Küstenmacher S.133). Wir haben die Deutung und spirituelle Hinführung im Kreis sitzend erzählt. Die Spannung stieg bereits durch das Zeigen der Säckchen und der Kordel. Die Begleitung durch eine Harfenspielerin wird nicht immer möglich sein. Ein Instrument wie Klangschale, Monochord o.ä. kann ebenso gut gespielt werden, um den meditativen Charakter zu unterstützen. Wenn Zeit zur Verfügung steht, können die Kinder selbst ihre eigene Kordel im Vorfeld herstellen, da das Anfertigen der Kordeln, je nach Kinderzahl, recht zeitaufwändig ist. Um die Identifikation mit dem eigenen Säckchen zu stärken, können die Kinder ihr Säckchen bemalen und beschriften.

Literatur: Küstenmacher, Marion, u. Louis, Hildegard: Mystik für Kinder, München 2007. einführend: Predigergemeinde Erfurt/Mieth, Dietmar: Meister Eckharts Faszination heute Mieth, Dietmar: Meister Eckhart – Einheit mit Gott, Patmos 2008 Meister Eckhart: Vom Adel der menschlichen Seele, eingeleitet v. Gerhard Wehr, Anaconda 2006 weiterführend: Wehr, Gerhard: Meister Eckhart, marix-Verlag 2010 Schmid Noerr, F.A. (Hrsg.), Meister Eckhart – Vom Wunder der Seele. Eine Auswahl aus den Predigten und Traktaten, Reclam 1996 zur Meditation: Kampmann, Irmgard: Meister Eckhart Brevier – Worte für jeden 0Tag, München 2010 Links www.predigergemeinde.de www.predigerkirche.de www.meister-eckhart-erfurt.de www.meister-eckhart-gesellschaft.de

Manja Müller und Kerstin SchulteKörne engagieren sich ehrenamtlich im Kindergottesdienstkreis der Predigergemeinde Erfurt


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SCHAU MIR IN DIE AUGEN, KLEINES … Film-Exerzitien als spirituelles Angebot Elisabeth Schweizer

Nicht wenige Filme vermögen es, unsere Seele zu berühren, wecken unsere Sehnsucht nach unserem wahren Sein. Auf den ersten Blick scheint diese »leichte Kost« unvereinbar mit Exerzitien, in denen es darum geht, die geistliche Dimension des Lebens zu vertiefen und sich selbst zu begegnen. Wie kann eine sinnvolle Verknüpfung von großem Kino und geistlicher Übung gelingen? Die Film-Exerzitien verbinden das Angebot der Exerzitien mit den bewegten und bewegenden Bildern des Kinos. Die Leinwand wird zum Spiegel, in dem die Vielfalt und Tiefe des Lebens aufscheint. Auf ungewöhnliche wie unverhoffte Weise wird es möglich, sich selbst, anderen und auch Gott intensiver zu begegnen. Viele Filme handeln von der Sehnsucht nach wirklichem Leben. Sie erzählen von den Schmerzen und Freuden, die damit verbunden sind, die eigenen Grenzen zu akzeptieren – und zugleich über

sie hinauszuwachsen. Im Handeln der Filmfi guren, in deren Höhen und Tiefen, gilt es Spuren Gottes zu entdecken. Diese Vor-Bilder können helfen, die je eigene Lebensgeschichte besser wahrzunehmen und im Lichte des Evangeliums zu deuten. Die Film-Exerzitien sind auf eine Woche angelegt, sie sind eine Auszeit vom Alltag und bewusst rhythmisiert gestaltet. Die Woche steht unter einem Thema wie z. B. »Sehnsucht nach Leben«. Es werden unter diesem Thema vier Filme ausgewählt, in denen eine möglichst große Bandbreite an Genres und »Filmtypen« repräsentiert ist. Nach einem Einführungstag wird in vier aufeinanderfolgenden Tagen jeweils ein Film gezeigt, am fünften Tag wird noch einmal das Thema, unter dem die Filme standen, und sein Bezug zum Leben jedes Einzelnen reflektiert und meditiert.

Struktur der Film-Exerzitien: ➽ Gemeinsames Ansehen eines Filmes ➽ Im Anschluss gibt es die Möglichkeit und den Raum, die Emotionen, die durch den Film geweckt wurden, kurz auszudrücken. Das ist wichtig, damit ich als Zuschauer nicht in meinen Emotionen aufgehe, sondern sie als Gefühle erlebe, die ich aussprechen und die ich (mit-) teilen kann. Erstaunt nehmen dabei die Teilnehmenden wahr, dass ein- und derselbe Film bei unterschiedlichen Menschen und in unterschiedlichen Lebenssituationen ganz verschiedene Gefühle auslösen kann. ➽ Das Mittagessen und eine lange Pause zum Laufen oder/ und Schlafen wird im Schweigen verbracht. ➽ Am Nachmittag folgt eine ca. 45 Minuten dauernde Einheit, in der Verständnisfragen gestellt werden können zu Inhalt, Zusammenhang etc. des Films. Erste, ganz

Bei »normalen« Exerzitien wird durch das Schweigen, die Meditation über ein Bibelwort und das Einzelgespräch mit dem bzw. der Exerzitienleiter/in der Schwerpunkt auf die persönliche Gottesbeziehung gelegt. Bei Film-Exerzitien ist das etwas anders: Neben der inneren Auseinandersetzung mit dem Film und dem Thema ist auch eine Phase des Austausches in der Gruppe vorgesehen. Durch die Filme werden die Teilnehmenden zum einen mit ihren eigenen Gefühlen, ihrer Lebensgeschichte, ihrer Spiritualität konfrontiert und sozusagen in die Tiefe ihres Selbst geführt. Zum anderen begegnen sie aber auch dem, was der Film bei den anderen Teilnehmenden ausgelöst hat. Das Leben in seiner ganzen Fülle und Weite, mit seinen Abgründen und Höhen ist sozusagen »Mitgestalter« dieser Woche. Jeder Tag hat die gleiche Struktur. Die einzelnen Schritte bauen aufeinander auf.

persönliche Antwortversuche werden gemacht auf Fragen, was der Film »soll«, wo der Zusammenhang mit dem Thema zu sehen ist, worin das »Spirituelle« des Filmes liegt. ➽ Auf diese Klärung und Zusammenschau folgt eine Phase der Körperarbeit, in der die Teilnehmenden wieder zu sich, in ihren Körper geführt werden, um nochmals mit dem Gehörten und Gesehenen »in sich zu gehen«. ➽ Ein Tagebucheintrag über das, was mir dieser Film in meiner Lebenssituation, an diesem Punkt meines Glaubens sagt, schließt die Einzelarbeit ab. ➽ In einer Kleingruppe (max. sechs Teilnehmende), die über die gesamte Zeit eine feste Größe bleibt, erfolgt ein Austausch über das, was mir heute persönlich wichtig geworden ist, welche Erkenntnis ich gewonnen habe, was mir aufgegangen ist.


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Gut ist es, die Film-Exerzitien an einem geeigneten Ort anzubieten, z. B. in einem Tagungs- oder Exerzitienhaus. Als Rahmen ist eine wohltuende Umgebung wichtig, mit der Möglichkeit, wirklich im Schweigen zu essen, mit angenehmer Versorgung und Rückzugsmöglichkeiten. Die Feier von Tageszeitengebeten bettet die Erfahrungen ein: Singen und Beten sind ein eigener Ausdruck des Erlebten. Ausgewählte biblische Texte setzen das Ganze in einen neuen Kontext und erweitern die Wahrnehmung, auch durch die bewusste Verortung der Andachtszeiten in einer Kapelle oder einem Andachtsraum – außerhalb der anderen Räume, als zusätzlichen Erfahrungsraum. Ab dem Abendessen ist wieder Gespräch möglich, das ganz nach eigenem Geschmack auch lockeren Ausdruck am Abend im Bierstüberl oder bei sonstigen Abendaktivitäten finden kann. So haben verschiedene Lebensäußerungen und -dimensionen in der Woche ritualisiert ihren Platz. Ein Zweier-Team kann die Begleitung gut gewährleisten, damit ist eine maximale Gruppengröße von zwölf Teilnehmern möglich. Ideal ist die Besetzung des Teams mit einer Frau und einem Mann, um gut auf genderspezifische Aspekte eingehen zu können. Dadurch, dass alle Teilnehmenden im gemeinsamen Filmschauen eine gemeinsame Erfahrung haben, kann die Gruppe gut zusammenwachsen. Es entsteht schnell eine Verbindung und Verbundenheit, die auch tiefe Gespräche und das Ausdrücken von persönlicher Betroffenheit ermöglicht und gleichzeitig weiterführt. Film-Exerzitien verbinden verschiedene Bewegungen: Der Film bietet eine ge-

Was fällt Dir ein, wenn Du an die Film-Exerzitien denkst? Rückmeldungen von Teilnehmenden sieben Monate danach … »Wenn Du einmal dabei warst, darfst Du nicht wieder hin, die Plätze sind so sehr begehrt.« »Gute, tiefgründige Gespräche über existentielle Lebensthemen, oft mit überraschenden Perspektiven (in der Wahrnehmung anderer). … ein Prickeln auf der Haut (auch ohne Popcorn) und in der Seele.« »Das war schon sehr anrührend und auch anstrengend. Vor allem der Austausch war klasse, die vielen Entdeckungen, die aus der Gruppe kamen.« »Film-Exerzitien – für mich bedeutet das, emotional berührt zu werden, zu schweigen, Zeit zu haben für meine Gedanken und Gefühle und für Gott.« »Film-Exerzitien, das ist für mich wie eine Fahrt in den Urlaub: Je mehr man die Landschaft an sich vorbeiziehen sieht, desto mehr kommt man ins Staunen. Ein Gefühl stellt sich ein: Ich bin tatsächlich unterwegs, fernab von allem, was mich in meinem Leben an Zwängen, Abläufen und Routine täglich einzuholen trachtet. Irgendwann kommt man an und springt in den wirbelnden Strudel von Gefühlen, Einsichten, Aha-Erlebnissen und den vielen Facetten dessen, was meinen Glauben ausmacht. Man taucht ein in das, was sich meinen staunenden Augen bietet, und geht doch nicht unter im Strudel der vielen Bilder – dank der nachbereitenden Gespräche.«

meinsame Blick- und Ausrichtung nach vorne. Die Gesprächsrunden und Kleingruppengespräche verstärken die Zugehörigkeit zu einem Kreis von Menschen und bieten eine Erweiterung der eigenen Wahrnehmung. Die Stille, die Einzelarbeit und die Körperwahrnehmung geben der individuellen Sicht und der Bewegung nach innen und in die Tiefe Raum und Zeit. Wenn man einmal damit begonnen hat, Kinofi lme auf ihre spirituelle Dimension hin zu betrachten, lässt einen die Faszination nicht mehr los, darüber mit anderen zu Themen des Lebens und Glaubens ins Gespräch zu kommen und (neu) Zugang zu sich selbst und zur spirituellen Dimension des eigenen Lebens

zu fi nden. Dann könnte das bekannte Filmzitat aus der populären Liebesszene in »Casablanca« vielleicht in Hinblick auf die Film-Exerzitien ergänzt und transzendiert werden: »Schau dir in die Augen und schau mir in die Augen, Kleines …« Pfarrerin Elisabeth Schweizer ist Studienleiterin am Pastoralkolleg der Ev.-Luth. Kirche in Bayern in Neuendettelsau und Supervisorin (DGfP-KSA). www.pastoralkolleg.de

Buchtipp zum EKD-Themenjahr 2015 »Reformation: Bild und Bibel« »Filmgottesdienste – wie macht man das? Kommt das Kino in die Kirche oder die Kirche ins Kino? Was lässt sich aus Filmen außerdem für die Gemeindearbeit oder die Seelsorge gewinnen? Zum Beispiel durch Filmreihen, in der Fortbildung für das Diakonie-Team oder bei Film-Exerzitien …« So wird das neue Materialbuch vom Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau angekündigt, in dessen Mittelpunkt das bewegte Bild steht. Der Titel »Wie in einem Spiegel« erinnert an einen Filmtitel von Ingmar Bergmann aus dem Jahr 1961 – in Anlehnung an 2. Kor 3,18. Kinofilme und ihre Einsatzmöglichkeiten in der Verkündigung werden vorgestellt: Es finden sich dort konkrete Ideen für Film-Gottesdienste und Film-

Andachten, Film-Predigten, Predigten mit Filmvorführung, Filmgespräche und Impulse zu Film und Theologie. Eine Fülle an Anregungen gerade auch zum EKD-Themenjahr 2015 »Reformation: Bild und Bibel« … Werner Schneider-Qunideau und Markus Zink (Hrsg.) Wie in einem Spiegel. Filmkunst und Kirche: Gottesdienste, Filmgespräche, religiöse Erfahrungen (inkl. CD-ROM) Materialbuch 122 (2014) Zentrum Verkündigung, Frankfurt/Main, www.zentrum-verkuendigung.de Mehr zum EKD-Themenjahr unter: www.luther2017.de/lutherdekade/themenjahr-2015


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Buchtipps für die gemeindepädagogische Praxis Petra Müller

Der Verein Andere Zeiten e.V. in Hamburg ist uns besonders durch den erfolg reichen Adventskalender »Der Andere Advent« oder den kleinen Bronzeengel im Gedächtnis. Nun ist mit dem Büchlein »zeit – Mein Urlaubsbuch« ein wunderbarer Urlaubsbegleiter erschienen, der durch die freien Tage des Jahres begleiten möchte, wo auch immer man sie verbringt. Er gibt Impulse mit Geschichten, Gedichten und Illustrationen zu den Themen Urlaub und Zeit und führt dabei durch sechs Phasen einer Urlaubszeit: die Vorfreude, das Ankommen, das Durchatmen und Genießen bis hin zum Abschiednehmen und Nachspüren. So wie auch der Adventskalender immer für eine Überraschung gut ist, so hat auch das Büchlein überraschende Seiten: Einige Seiten warten darauf, erst geöffnet zu werden. Ein sehr ansprechendes und schönes Buch: für den eigenen Gebrauch und zum Verschenken. Andere Zeiten e.V., Hamburg 2014, 104 Seiten, fester Einband mit Verschlussbändchen, € 8,50 zzg. Versand; Tel. 040-47 11 27 27, www.anderezeiten.de

Rüdiger Maschwitz, ein bekannter Name aus der Arbeit mit Kindern, dem Kindergottesdienst und dem Bereich der Stille und Meditation, aber auch Autor zahlreicher Publikationen. Das Buch »Gemeinsam Gott begegnen« ist Teil des Projektes »Kinder geistlich begleiten«. Das vorliegende Buch, so schreibt er, ist gedruckt, aber nicht fertig. Nicht fertig, weil es einen breiten Prozess in Gang setzen möchte. Im ersten Teil werden bekannte religionspädagogische Methoden und Konzepte der vergangenen Jahrzehnte zusammengetragen. Im Weiteren wird der Frage nachgegangen, wie die Begleitenden in Kita, Schule, Gemeinde und Familie zu einer Haltung finden können, die Kinder nicht nur unterrichtet, sondern auf ihrem spirituellen Weg begleitet. Es ist ihm ein tiefes Anliegen, dass religionspädagogische Konzepte nicht nur gute Methoden sind, um religiöse Inhalte zu transportieren, sondern dass sie Kinder auch und vor allem geistlich begleiten mögen. Der letzte Teil des Buches beinhaltet 15 religionspädagogische Entwürfe. Kösel Verlag, München 2011, 272 Seiten kartoniert, ISBN 978-3-466-36873-0, € 15,99

Titel und Cover des Buches von Peter Wild machen neugierig: Eine Holzkiste, voll mit roten Äpfeln, die zum Reinbeißen verlocken, und darunter der Titel »Sinnesmomente – Sinnmomente«. Meine Augen und mein Gehirn waren gefragt, um diese beiden Worte richtig zu erfassen und in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen. Gut und passend zum Buch entworfen, diese Titelseite, denn es ist ein Buch mit Anregungen zur Achtsamkeit und zur Bewusstseinsschulung. »Wie Spiritualität alltäglich wird« lautet der Untertitel. Der Autor entführt uns mit kurzen Texten und Beschreibungen in die Stadt oder in die Natur, lässt uns teilhaben an seinen Entdeckungen im Alltag und nimmt die Leser mit hinein. Dazwischen streut er Gedichte. Jedes Kapitel endet mit sechs verschiedenen Einladungen, man könnte sie auch Übungen nennen. Der Autor ist der Überzeugung, dass Spiritualität mitten im Alltag beginnt und auf intensiven Sinneserfahrungen basiert. Wenn wir mit den Sinnen wahrnehmen, werden spirituelle Erfahrungen nie den Bezug zum Alltag verlieren. Patmos Verlag, Ostfildern 2014, 144 Seiten gebunden, ISBN 978-3-8436-0538-0, € 12,99

An den verschiedensten Orten versammeln sich Menschen zu TaizéAndachten und Taizé-Gebeten. Jugendgruppen fahren nach Taizé in Burgund oder zu den Europäischen Jugendtreffen zum Jahreswechsel, die in wechselnden Großstädten stattfinden. Mit Gesängen im Herzen kehren sie zurück. Taizé-Gesänge gehören zum Liederrepertoire in den Gottesdiensten, einige sind im Gesangbuch aufgenommen. Wer häufiger Taize-Gesänge singen und in der gemeindlichen Arbeit einsetzen möchte, dem sei die Neuausgabe »Die Gesänge aus Taizé«, erschienen in der Edition Taizé im Verlag Herder, empfohlen. Sie enthalten die Noten von 153 Taizé-Gesängen, die teils in mehreren Sprachen gesungen werden können. In dieser Ausgabe sind Gesänge in 51 Sprachen enthalten. Verlag Herder, Freiburg 2014, 112 Seiten, 21 x 15 cm geheftet, ISBN 978-3-451-33460-3, € 6,00


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Materialien

Schon als ich den spirituellen Wegbegleiter mit Gedichten von Rainer Maria Rilke in Händen hielt, war ich begeistert. Aber als ich die Hör-CD einlegte, war es ganz um mich geschehen. Nicht nur die Buchgestaltung erfreut, auch das Hör­erlebnis ist ein reiner Genuss. In einer Kritik las ich: »Der Rilke-Band ist fast überirdisch schön«, und ich kann mich dem nur anschließen. Das Buch enthält alle Texte aus dem Stundenbuch von Rainer Maria Rilke. Im ersten Teil wählt der Herausgeber Gotthard Fermor einige Rilkegedichte aus und ordnet sie den einzelnen Stundengebeten zu. Im 2. Teil sind alle Gedichte in der Originalfolge zu finden. Schwarz-weiß-Fotografien von Klaus Diederich gestalten das Buch. Die Musik des Jazz-Pianisten Josef Marschall wurde eigens für dieses Projekt komponiert. Der Verlag nennt es ein »spirituelles Gebrauchsbuch und einen Wegbegleiter für eine offene und suchende Spiritualität«. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2004, 200 Seiten mit 90 s/w-Fotografien, 2 Hör-CDs gebunden, ISBN 978-3-579-08188-5, € 29,99

Zufällig stieß ich auf das Taschenbuch »Meine Freundin, die Nonne«. Es ist die Geschichte zweier Freundinnen aus Kindertagen, die sich zwanzig Jahre aus den Augen verloren hatten. Die eine, die Redakteurin Ilka Piepgras, macht sich nach Jahrzehnten auf die Suche nach ihrer einstigen besten Freundin Charlotte. Diese war vor vielen Jahren zum orthodoxen Glauben konvertiert und in ein griechisches Kloster eingetreten. Mittlerweile ist sie Äbtissin und leitet drei Klöster. Es ist nicht nur eine bewegende Erzählung einer Freundschaft. Vielmehr öffnet das Buch ein Fenster zur orthodoxen Spiritualität und ermöglicht den Lesern einen weiten und tiefen Einblick in die Frömmigkeit und Tradition der orthodoxen Kirche. Ich konnte von dem Buch nicht lassen und habe es erst aus den Händen gelegt, als ich es ausgelesen hatte. Es ist unterhaltsam geschrieben, es ist lehrreich, inspirierend, es regt aber auch zu Widerspruch und Auseinandersetzung an. Ich werde es sicherlich ein weiteres Mal lesen. Knaur Taschenbuch, München 2011, 304 Seiten kartoniert, ISBN 978-3-426-78271-2, € 8,99

»Einfach leben« heißen die von Anselm Grün periodisch herausgegebenen Briefe. Eine Sammlung von Texten dieser Briefe zur Lebenskunst hat der Benediktinerpater aus Münsterschwarzach erweitert und in einem Buch mit selbigem Titel als »Das große Buch der Spiritualität und Lebenskunst« herausgebracht. Die Texte bewegen sich um drei Kreise: die Jahreszeiten mit ihren einzelnen Monaten, die Zeiten des Lebens zwischen Empfängnis und Tod und die Festzeiten des Kirchenjahres als Momente des Heils. »Einfach leben« bedeutet für den Benediktinerpater, dankbar den Augenblick zu erfahren, im Hier und Jetzt zu leben und im Einklang mit sich selber zu sein. Das klingt leicht, bedarf aber der beständigen Übung auf einem spirituellen Weg. Spiritualität bedeutet für Anselm Grün, jeden Tag neu aus der Quelle des Heiligen Geistes zu leben. Verlag Herder, Freiburg 2014 (2. Auflage), 336 Seiten kartoniert, ISBN 978-3-451-06664-1, € 9,99

Spiritualität braucht Übung. Der Glaube will, wie vieles im Leben, eingeübt werden. Dabei geht es nicht zuerst oder ausschließlich um das Ansammeln von Wissen, sondern um vertiefende Glaubenserfahrungen und um Gottesbegegnungen. Schon lange gibt es »Exerzitien im Alltag«, ein geistlicher Übungsweg, der in der Gruppe oder alleine begangen werden kann. Silke Harms und Ulrike Doormann geben in dem Buch »Aufgerichtet von dir – Evangelische Exerzitien im Alltag« ihre jahrelang gesammelten Erfahrungen weiter. Nach allgemeinen Hinweisen für Teilnehmende und Kursleitende zu Form und Durchführung der »Exerzitien im Alltag« entfalten die Autorinnen vier je vierwöchige Kurseinheiten. Ein wahrer Schatz, den sie anderen damit zugänglich machen. Einer der Kurse ist auf die Kar- und Osterzeit ausgerichtet. Das Buch endet mit Überlegungen, wie man nach einer abgeschlossenen Kurszeit weiterüben kann. Neukirchener Aussaat, Neukirchen-Vluyn 2014, 300 Seiten kartoniert, ISBN 978-3-7615-6149, € 19,99


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Informationen und Personen

IMPRESSUM

Praxis Gemeindepädagogik (PGP) ehemals »Christenlehre /Religionsunterricht–PRAXIS« ehemals »Die Christenlehre«

68. Jahrgang 2015, Heft 1 Herausgeber: Amt für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin - Brandenburg - schlesische Oberlausitz Pädagogisch-Theologisches Institut der Nordkirche Theologisch-Pädagogisches Institut der Evan­gelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens Pädagogisch-Theologisches Institut der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts Anschrift der Redaktion: Matthias Spenn, c/o Evangelische Verlagsanstalt GmbH, »PGP-Redaktion«, Blumenstraße 76, 04155 Leipzig, E-Mail ‹redaktion@praxis-gemeindepaedagogik.de› Redaktionskreis: Dr. Lars Charbonnier, Führungsakademie für Kirche und Diakonie, Berliner Dom – Portal 12, Am Lustgarten, 10178 Berlin Uwe Hahn, Ev.-Luth. Kirchenbezirk Leipzig, Dienststelle des Bezirkskatecheten, Burgstraße 1–5, 04109 Leipzig Petra Müller, Fachstelle Alter der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland, Gartenstraße 20, 24103 Kiel Matthias Röhm, Amt für kirchliche Dienste in der Ev. Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz, Goethestraße 26–30, 10625 Berlin Dorothee Schneider, PTI der Ev. Kirche in Mitteldeutschland und der Landeskirche Anhalts, Zinzendorfplatz 3, 99192 Neudietendorf Matthias Spenn, Amt für kirchliche Dienste in der Ev. Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz, Goethestraße 26–30, 10625 Berlin Christine Ursel, Diakonisches Werk Bayern – Diakonie.Kolleg., Pirckheimerstraße 6, 90408 Nürnberg

Seit dem Sommersemester 2014 lehrt Frau Prof. Dr. Martina Plieth an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Als Na c h fol g e r i n vo n Prof. Dr. Beate Hofmann verantwortet sie u. a. die gemeindepädagogischen Inhalte im Studium der Religionspädagogik und Kirchlichen Bildungsarbeit. Sie arbeitete zuletzt als apl. Professorin für Praktische Theologie an der Universität Bielefeld. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte liegt im Bereich der Anthropologie des Kindes und konzentriert sich auf den Umgang von Kindern mit Sterben und Tod. Sie ist Autorin mehrerer Bücher mit thanatologischer Ausrichtung, z. B. »Tote essen auch Nutella. Die tröstende Kraft kindlicher Todesvorstellungen« (2013) und »Auch Tote sind nicht gern allein. Kinderzeichnungen von Sterben, Tod und dem Leben danach« (2014).

Inklusive Religionslehrer_innenbildung. Module und Bausteine. Inklusion • Religion • Bildung 2. Comenius-Institut (Hrsg.) Münster, 2014 Die bildungspolitische Umsetzung der inklusiven Schule stellt auch die Religionspädagogik vor neue Herausforderungen. Mit Vielfalt umgehen zu lernen ist notwendiger Bestandteil der Aus- und Fortbildung von Religionslehrer/-innen. Mit diesem Ordner liegen erstmals Module für die inklusive religionspädagogische Ausund Fortbildung vor. Die in der Praxis erprobten Bausteine weisen Zeit-, Raum- und Materialbedarf aus und enthalten kopierfähige Vorlagen zur direkten Verwendung. www.comenius.de/bookshop/buecher.php

Im Amt für Kirchliche Dienste der EKBO in Brandenburg beginnt im September 2015 ein neuer berufsbegleitender gemeindepädagogischer Grundkurs für die Arbeit mit Kindern und Familien. Der zweijährige Kurs führt zum gemeindepädagogischen Teilabschluss, der durch einen nachfolgenden Aufbaukurs zum Fachschulabschluss Gemeindepädagogik erweitert werden kann. Neben Präsenzzeiten gibt es Studienaufgaben und berufsbegleitende Praktika. Ebenso beginnt im November 2015 ein berufsbegleitender gemeindepädagogischer Aufbaukurs, in dem noch Plätze frei sind. Im Aufbaukurs werden die Teilnehmenden 2 Jahre lang in monatlichen Kurswochen und 3 Praktikumsbereichen (Arbeit m. Jugendlichen und Konfirmanden, Erwachsenen- und Altenarbeit, Öffentlichkeitsarbeit) zu Gemeindepädagoginnen und -pädagogen (FS) qualifiziert. Teilnahmevoraussetzungen sind ein abgeschlossener gemeindepädagogischer Grundkurs (C) oder eine adäquate Ausbildung, und die Teilnahme am Auswahlverfahren. Anfragen und Bewerbungen für den Grundkurs bis zum 3. Mai an Studienleiterin Evamaria Simon, Burghof 5, 14776 Brandenburg, e.simon@akd-­ekbo. de; Tel. 03381/250270. www.akd-ekbo.de/gemeindepaedagogik

Religiöse Orientierung gewinnen Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Gütersloh, 2014 20 Jahre nach »Identität und Verständigung« legt der Rat der EKD erneut eine Denkschrift zum Religionsunterricht vor. Die R eleva nz von Religion und religiöser Bildung ist im Zusammenhang mit der globalen wie auch regionalen gesellschaftlichen Entwicklungen in den zurückliegenden Jahren wesentlich stärker ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Ethnische, kulturelle und religiöse Pluralität als eine alltägliche Kontextbedingung anzunehmen ist eine Herausforderung auch für die evangelische Kirche und speziell evangelische Religionspädagogik. Diese Herausforderungen sowie Handlungsperspektiven zu beschreiben ist das Anliegen der Denkschrift des Rates der EKD. http://www.ekd.de/EKD-Texte/ evangelischer_religionsunterricht.html

Redaktionsassistenz: Sophie Koenig, Evangelische Verlagsanstalt GmbH Verlag: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Blumenstraße 76, 04155 Leipzig, www.eva-leipzig.de Geschäftsführung: Arnd Brummer, Sebastian Knöfel Gestaltung/Satz: Jens Luniak, Evangelisches Medienhaus GmbH Druck: Druckerei Böhlau, Ranftsche Gasse 14, 04103 Leipzig Anzeigen: Rainer Ott · Media | Buch- und Werbeservice, PF 1224, 76758 Rülzheim, Tel. (0 72 72) 91 93 19, Fax (0 72 72) 91 93 20, E-Mail ‹ott@ottmedia.com› Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 11 vom 1.1.2012 Abo-Service: Christine Herrmann, Evangelisches Medienhaus GmbH, Telefon (03 41) 7 11 41 22, Fax (03 41) 7 11 41 50, E-Mail ‹herrmann@emh-leipzig.de› Zahlung mit Bankeinzug: Ein erteiltes Lastschriftmandat (früher Einzugsermächtigung genannt) bewirkt, dass der fällige Abo-Beitrag jeweils im ersten Monat des Berechnungszeitraums, in der letzten Woche, von Ihrem Bankkonto abgebucht wird. Deshalb bitte jede Änderung Ihrer Bankverbindung dem Abo-Service mitteilen. Die GläubigerIdentifikationsnummer im Abbuchungstext auf dem Kontoauszug zeigt, wer abbucht – hier das Evangelische Medienhaus GmbH als Abo-Service der PRAXIS GEMEINDEPÄDAGOGIK . Gläubiger-Identifikationsnummer: DE03EMH00000022516 Bezugsbedingungen: Erscheinungsweise viermal jährlich, jeweils im 1. Mo­­nat des Quartals. Das Jahresabonnement umfasst die Lieferung von vier Heften sowie den Zugriff für den Download der kompletten Hefte ab 01/2005. Das Abonnement verlängert sich um 12 Monate, wenn bis zu einem Monat vor Ende des Kalenderjahres keine Abbestellung vorliegt. Bitte Abo-Anschrift prüfen und jede Änderung dem Abo-Service mitteilen. Die Post sendet Zeitschriften nicht nach.

ISSN 1860-6946 ISBN 978-3-374-03778-0 Preise: Jah­resabonnement* (inkl. Zustellung): Privat: Inland € 36,00 (inkl. MwSt.), EU-Ausland € 42,00, Nicht-EU-Ausland € 46,00; Institutionen: Inland € 44,00 (inkl. MwSt.), EU-Ausland € 50,00, Nicht-EU-Ausland € 54,00; Rabatte – gegen jährlichen Nach­weis: Studenten 35 Prozent; Vikare 20  Prozent; Einzelheft (zuzüglich Zustellung): € 12,00 (inkl. MwSt.) * Stand 01.01.2014, Preisänderungen vorbehalten Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil der Zeitschrift darf ohne schriftliche Geneh­m igung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. Unsere nächste PGP-Ausgabe erscheint im April 2015.


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Buchrezensionen

Marion Küstenmacher/Tilmann Haberer/Werner Tiki Küstenmacher: GOTT 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 5. Aufl. 2013, 319 Seiten, ISBN 978-3-579-06546-5, EUR 24,99 Mit GOTT 9.0 hat das bekannte Münchener Autorentrio ein Werk geschaffen, das offensichtlich gebildete Interessenten an der Spiritualität ebenso anspricht wie diejenigen, die ganz praktisch für sich auf der Suche nach authentischen Formen spirituellen Lebens sind. Zumindest dann, wenn sie sich im Fluss der christlichen Tradition bewegen wollen. Denn bei aller Wahrnehmung von Entwicklungen in der Welt – die wesentlichen Bezugsgrößen im Diskurs über die Religion und die Menschheitsentwicklung bleiben Figuren der Bibel und Namen der Theologie- und Kirchengeschichte. Dabei ist das Buch ebenso wenig eine streng theologische Abhandlung über die Geschichte der Spiritualität wie ein Anleitungsbüchlein für Frömmigkeitsübungen. Das Buch versucht eine Beschreibung der spirituellen Entwicklung der Welt und aller Menschen bis heute inklusive einer Prognose für die Zukunft zu sein: »der Anspruch dieses Buches ist kein geringerer als der, die gesamte geistige Entwicklung der Menschheit einzubeziehen« (13). Eine Grundannahme trägt diese Wahrnehmungen: Das menschliche Bewusstsein ist von seiner Grundkonstruktion her in Stufen aufgebaut. Deshalb habe sich auch die spirituelle Entwicklung des Menschen in Stufen vollzogen, die in der Abfolge als eine Spirale dargestellt werden können. Bisher waren es acht Stufen, so die Analyse der Autoren, die neunte – GOTT 9.0 – steht gerade in voller Blüte, und sogar eine 10. zeichnet sich bereits ab. Dieser Denkansatz wurzelt zum einen im Ansatz der ­»Spiral Dynamics« aus den USA. Somit werden Vorstellungswelten von Mystik und Bewusstseinstheorien, Diagnosen gesellschaftlichen Wandels und religiöser Entwicklung zu einem Stufenmodell der menschlichen Bewusstseinsentwicklung verknüpft. Das ist ohne Zweifel interessant: Die Lektüre der Darstellung der neun Stufen, welche den Hauptumfang des Buches ausmacht, bringt tatsächlich Freude und führt immer wieder zu Wiedererkennungseffekten bei sich und anderen. Ein großes Problem freilich bleibt, was auch durchaus zugestanden wird, dass ein Mensch in verschiedenen Dimensionen seines Lebens auch in verschiedenen Bewusstseinsstufen unterwegs sein kann: Diese Grundannahme von menschlicher Entwicklung als Stufenmodell, und noch dazu als global und interkulturell umfassend anwendbares, muss man teilen. Mir zumindest fällt das aber schwer: Nicht nur klassische Stufenmodelle der Psychologie wie der Religionspädagogik werden heutzutage hinterfragt, überhaupt wird immer weniger in Modellen geradliniger Entwicklung gedacht, sondern menschliche und persönliche wie auch die religiöse Entwicklung werden als ein multidirektionaler Prozess verstanden. Das bedeutet, dass Entwicklungen in unterschiedliche Richtungen stattfinden können und dass insbesondere Kontexte und systemische Zusammenhänge im Zusammenspiel mit personengebundenen Charakteristika und Eigenschaften individuelles menschliches Bewusstsein prägen. Wer dazu auch die menschliche Weltdeutung aus einer konstruktivistischen Sicht betrachtet, wird vor allem mit der normativen Qualifizierung menschlicher Entwicklungen – und Normativität in der Darstellung der Stufen ist nicht nur implizit im Buch vorhanden – ein Problem haben. Lars Charbonnier

Bärbel Husmann/Roland Biewald: Spiritualität. Impulse zur Reflexion religiöser Praxis im Religionsunterricht, Themenhefte Religion 11, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013, 104 Seiten, ISBN 978-3-374-03257-0, EUR 19,80 Das Paradigma des performativen Religionsunterrichts prägt seit einigen Jahren religionsdidaktische Diskurse. Auch die Schule, auch der Religionsunterricht, auch ein ordentliches Unterrichtsfach Religion kann ein Ort für religiöses Probehandeln sein, so die These dieses Ansatzes. Bärbel Husmann und Roland Biewald nehmen dieses Anliegen auf und bringen es in einen kritischen Dialog mit den aktuellen Diskursen über Spiritualität und ihre didaktischen Aufnahmen ins Gespräch. Vom Nachdenken über die Phänomene religiösen Lebens, die mit dem Containerbegriff der Spiritualität begrifflich eingefangen werden, suchen sie und die von ihnen gewonnenen Autorinnen und Autoren nach Impulsen zur Reflexion religiöser Praxis im Religionsunterricht. Die phänomenologische Offenheit, die dem Begriff der Spiritualität innewohnt und der ihm auch die gegenwärtige Popularität und Anschlussfähigkeit einer breiteren Öffentlichkeit ermöglicht, wird freilich in diesem Band schnell begrenzt und die Konzentration auf Formen evangelischer Spiritualität gelenkt – was im Rahmen von Reflexionen zum Evangelischen Religionsunterricht nicht verwundert. Der Band beginnt entsprechend mit einer Einführung in Evangelische Spiritualität vom in diesen Themen profilierten Leipziger Praktischen Theologen Peter Zimmerling. Er zeichnet sehr grob die Entwicklungslinien christlicher Spiritualität nach, schwerpunktmäßig in der Reformation und in der Nachfolge von Ignatius von Loyola, um dann aus seiner Sicht Merkmale der spirituellen Situation heute zu beschreiben – die sowohl Weihnachtsspiritualität als auch charismatische und esoterische Spiritualität umfasst. Zimmerlings Hauptaugenmerk gilt aber – und von daher beschreibt er eigentlich auch die vorherigen Punkte bereits normativ – den Kriterien christlicher Spiritualität: dem trinitarischen Gottesverständnis, der Bedeutung der Bibel, der Rechtfertigung, der Kirche und Gemeinde als sozialer Bezogenheit sowie dem Wechselspiel von Kontemplation und Aktion. Bemerkenswert insbesondere in der didaktischen Aufbereitung des Themas ist der Beitrag von Bärbel Husmann. Sie stellt klar, dass wir »hinter die Trennung von Einübung in religiöse Praxen und religiöse Bildung, die eine kognitive Sache ist«, nicht zurückkönnen und definiert spirituelles Lernen: »Wenn wir mit Peter Zimmerling unter ›Spiritualität‹ einen gelebten Glauben verstehen, der auch äußerlich Gestalt gewinnt, dann geht es beim Lernen in Sachen Spiritualität um diesen Zusammenhang zwischen inneren Glaubensüberzeugungen und den verschiedenen Arten und Weisen, wie diese Überzeugungen Gestalt gewinnen.« (16) Von diesem Grundverständnis her erläutert Husmann die grundsätzliche didaktische Perspektive auf die Unterrichtseinheiten, die im Anschluss an ihren Beitrag im Band vorgestellt werden. Dabei handelt es sich um ebenso wesentliche wie traditionelle Kernvollzüge evangelischer Spiritualität, die didaktisch für verschiedene Jahrgangsstufen aufbereitet werden: Singen (Jg. 5–6), Beten (Jg. 7–8), Hören, Lesen und Studieren der Bibel (Jg. 9-10) sowie das Pilgern (Jg. 11–12). Umfangreiches Material zu den vorgeschlagenen Unterrichtseinheiten rundet den Band, wie gewohnt in dieser Reihe, ab. Lars Charbonnier


Fabian Vogt erklärt die Bibel

Fabian Vogt Bibel für Neugierige Das kleine Handbuch göttlicher Geschichten 192 Seiten | 13,5 x 19 cm | Paperback ISBN 978-3-374-03872-5

€ 12,90 [D] Warum musste Gott am Anfang erst mal das »Tohuwabohu« aufräumen? Gilt Noah eigentlich als Archetyp? Wollte Jona Walfreiheit? War Jesus Christ? Wieso macht der gute »Vater im Himmel« gleich zwei Testamente? Hätte nicht ein Evangelium gereicht? Und: Wie kann ein 2000 Jahre altes Buch heute noch aktuell sein? Fabian Vogt gibt Antworten: Fundiert, übersichtlich und dabei höchst unterhaltsam lässt er die großen Erzählungen der Bibel neu lebendig werden, erläutert die Zusammenhänge und zeigt, welche lebensstiftende Kraft in ihnen steckt. Das Buch ist ein Lesevergnügen für Heiden wie für Fromme aller Couleur. Fabian Vogt, Dr. theol., Jahrgang 1967, studierte Theologie, Germanistik und Gesang. Er ist Pfarrer, Sachbuchautor und Kabarettist – und in allen drei Berufen sehr bekannt. Wer kennt das »Duo Camillo« nicht? Vogt gehört der Künstlervereinigung »Das Rad« an und wurde mit dem »Deutschen Science-Fiction-Preis 2001«, der »Honnefer Zündkerze 2010« und dem »Wertheimer Affen 2013« (in Silber) ausgezeichnet. Vogt lebt mit Frau und Kindern in Oberstedten.

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Segeln auf traditionellen Schiffen mit Rederij Vooruit

Rederij Vooruit hat eine lange Tradition, was die Vermietung traditioneller Schiffe anbelangt. Seit 1968 segeln unsere zahlreichen Schiffe über das Wattenmeer, das IJsselmeer und die Friesischen Gewässer. Sie sind unter anderem an der blauen Flagge mit dem weißen „V“ erkennbar. Rederij Vooruit hält die schönen nostalgischen Schiffe in Fahrt und gibt ihnen eine neue Funktion. Heutzutage werden die Schiffe hauptsächlich für Gruppenfahrten genutzt. Privatpersonen nutzen die Schiffe beispielsweise für Familienfeiern, aber auch Schulen, Unternehmen und Vereine sind regelmäßig an Bord unserer Schiffe zu Gast. Ganz gleich, ob es um einen Geburtstag, einen Betriebsausflug, ein Incentive oder einen anderen Anlass geht, Rederij Vooruit hat immer ein geeignetes Schiff. Segeln auf traditionellen Schiffen… Das ist ein unvergessliches Erlebnis!

REDERIJ

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