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Oktober – Dezember
2013
66. Jahrgang
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PRAXIS GEMEINDEPÄDAGOGIK
© Comugnero Silvana - Fotolia.com
ISBN 978-3-374-03201-3
ZEI TSCHRI F T FÜR E VA NGEL ISCHE BI L DU NGSARBEI T
Mit allen Sinnen die Bibel erleben Mit ihren spannenden Geschichten, den ausdrucksstarken Illustrationen und vielen kreativen Anregungen bringt die Mitmach-Bibel Kindern die biblische Botschaft ganz nahe.
Die Kinder-Mitmach-Bibel Texte: Susanne Jasch, Kristina Schnürle Illustrationen: Sabine Waldmann-Brun 17 x 21,6 cm, 160 Seiten, durchgehend farbig illustriert Fadenheftung, Farbeinband ISBN 978-3-438-04068-8 €(D) 12,90 €(A) 13,30 CHF 19,50 ab 10 Expl. €(D) 11,90 €(A) 12,30 CHF 17,90 ab 20 Expl. €(D) 10,90 €(A) 11,20 CHF 16,50 ab 50 Expl. €(D) 9,90 €(A) 10,20 CHF 14,90
Deutsche Bibelgesellschaft
Balinger Straße 31 A 70567 Stuttgart www.dbg.de
Bibelkompetenz seit 1812
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N E U E R SC H E I N U N G Un iv e r sa l in kle in e n un d g r o ß e n b a r. G e m e in d e n e in s e tz Hrsg. von Adelheid Schnelle in Verbindung mit Sabine Meinhold und Hanna de Boor Gottesdienste mit Kindern Handreichungen von Neujahr bis Christfest 2014 344 Seiten | 14,5 x 21,5 cm Paperback | mit CD-ROM ISBN 978-3-374-03128-3
€ 16,80 [D]
Für jeden Sonntag des gesamten Jahres 2014 bietet diese in der Praxis bewährte und erprobte Arbeitshilfe komplett ausgearbeitete Kindergottesdienste nach dem Plan des Gesamtverbandes für Kindergottesdienst. »Gottesdienste mit Kindern« gliedert sich in 15 thematische Einheiten mit Anregungen für unterschiedliche Altersstufen und Gruppenstärken. Außerdem sind enthalten: Gestaltungsvorschläge für Familiengottesdienste und für Gottesdienste zur Jahres losung und zum Schulbeginn, Entscheidungshilfen für monatliche Kindergottesdienste sowie Hinweise zu den Bibeltexten und Themen, Liturgievorschläge, Erzähl- und Anspieltexte, Gesprächsimpulse, Anregungen für kreative Gestaltung, Spielanleitungen, Lieder und Kopiervorlagen. Die beigelegte CD bietet alle Kopiervorlagen sowie farbige Abbildungen und Liedtexte.
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Anzeigenschluss für für die die nächste nächste Ausgabe Ausgabe Anzeigenschluss ist der der 13. Dezember ist September2013 2013.
www.magdalenen-verlag.de Mehr fürs PGP-Abo gibts unter w w w.praxis-gemeindepaedagogik.de
W W W. S ONNTAG-S ACHSEN.DE
Zugänge Matthias Spenn Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Teske Geld und Glaube Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wolfgang Huber Kirche und Finanzen Die theologische Dimension des Geldes . . . . . . . . . . . Dirk Oesselmann Umgang mit Geld Eine gemeindepädagogische Herausforderung . . . . . . . .
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Claudia Janssen Sollen wir unser Geld verschenken? Schuldenerlass und Schuldenvergebung im Vaterunser . . . . . .
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Nicole Piroth Die Kirche, ihre Mitglieder und das Geld Wer finanziert die evangelische Kirche? . . . . . . . . . .
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Ehrenamt begleiten
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Beate Hofmann Bezahltes Ehrenamt? Zur Ambivalenz von Aufwandsentschädigungen im Ehrenamt –ein Problemanzeige . . . . . . . . . . . .
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Praxisfelder
Praxisentwürfe
Thomas Schilling Nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen Mit Fundraising kirchengemeindliche Jugendarbeit entwickeln . .
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Dirk Buchmann Fundraising in der Kirche Nur eine Mode oder solide Finanzierungsquelle? . . . . . . .
Helgard Jamal Interkulturelles Engelsprojekt »Friede auf Erden« – Schülerinnen und Schüler arbeiten sich durch Engelbauten in ein Friedensthema hinein . . . . . .
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Corinna Ullmann Weihnachtszeit – Zeit für Singles? Praxisideen für die schönste Zeit des Jahres . . . . . . . . .
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Silke Hansen Das Jugenddankopfer Jugendliche der Evangelischen Jugend sammeln Spenden für Jugendliche . . . . . . . . . . . .
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Simone Merkel Glücksworte – Losungsworte Bausteine für die Jahreslosung 2014 . . . . . . . . . . .
Waltraud Waidelich Geld und Konsum Werte im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gemeindepädagogisches Forum
Johannes Spenn Verschuldung und Überschuldung Schuldnerberatung als profesionelles Angebot . . . . . . . .
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Bettina Heine Schuldenprävention für Jugendliche Das Planspiel »Was was kostet« und Praxismaterialien »Geldkunde« . .
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Martin Krautwurst »Unser täglich Brot gib uns heute« – die Sache mit dem Haken Gutscheine für Brot, Wurst oder einen Teller Suppe . . . . . .
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Geld-Alternativen Stichworte, Links, Tipps . . . . . . . . . . . . . . .
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Britta Laubvogel Kochen mit Pfiff – den Haushalt im Griff Ein Kurs für alle, die besser mit Einkommen auskommen möchten .
Stefan Große Die Kirche und ihr Geld Inhaltliche Kriterien für ein kirchliches Finanzgesetz und die Konsequenzen für die Praxis am Beispiel der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland . . . . . . . .
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Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Materialien Petra Müller Buchtipps für die gemeindepädagogische Praxis . . . .
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Hintergründe Hans-Nissen Andersen Das liebe Geld Theoretische und geschichtliche Hintergründe . . . . . . . .
Hans-Hermann Wilke und Matthias Spenn Bildung evangelisch – Evangelische Bildungsverantwortung in Kirche, Schule und Gesellschaft? Fachtagung in Brandenburg an der Havel mit Ehrung von Dr. Dieter Reiher anlässlich seines 80. Geburtstages . . . . . .
Im Innenteil dieser Ausgabe befindet sich das Jahresregister 2013. 39
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Diese Ausgabe enthält je eine Beilage der ejw service GmbH, 70563 Stuttgart und der Deutschen Bibelgesellschaft, 70567 Stuttgart. Einer Teilauflage liegt außerdem ein Prospekt der Evangelischen Verlagsanstalt, Leipzig, bei. Wir bitten um freundliche Beachtung.
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© sauletas - Fotolia.com
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Zugänge
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser, Geld regiert die Welt, behauptet ein allseits bekanntes Sprichwort. Aber kaum jemand würde zugeben, genug davon zu haben. In der Tat ist es sehr ungleich verteilt und die übergroße Mehrheit der Menschen auf der Erde haben den weitaus geringsten Anteil davon zur Verfügung. Auch in Deutschland ist das – auf insgesamt hohem Niveau – so. Im globalen wie insbesondere im europäischen Raum ist außerdem das Thema Geld in der öffentlichen Wahrnehmung insgesamt vorwiegend mit Problemen behaftet, denn anscheinend wird eine Finanzkrise durch die nächste abgelöst. Ob es wirklich so ist? Die meisten Menschen in unserem Land hören viel darüber, aber spüren eigentlich akut nur wenig davon. Wer weiß, wie lange noch? Oder ist alles nur ein großes, perfekt inszeniertes Ablenkungsmanöver? Für die Kirche und die gemeindepädagogische Arbeit wird das Thema Geld oft eher hinter vorgehaltener Hand thematisiert. Eigentlich geht es der Kirche ja um die Botschaft, um innere Werte, ethische Orientierung, Spiritualität und Gemeinschaft. Geld ist eher Mittel zum Zweck, über das man besser nicht viel redet, so die landläufige Meinung und Erwartung. »Inzwischen geht es doch auch bei der Kirche immer nur noch um das liebe Geld…«, lautet dagegen eine viel geäußerte Klage in Anbetracht von Sparrunden, Umstrukturierungen, Kirchensteuerprognosen und Personalstellenreduzierungen. Und Jesus? Er hatte offenbar ein entspanntes Verhältnis zum Geld, maß ihm die Bedeutung zu, die ihm zukam. Aber eben auch nicht mehr. Gottgleich sollte es keineswegs sein, das liebe Geld. Aber verteufelt hat Jesus das Geld auch nicht.
In der gemeindepädagogischen Arbeit kommt es in diesem Sinne darauf an, ein Bewusstsein für den Wert des Geldes zu entwickeln – im Verantwortungs- und Orientierungshorizont des christlichen Glaubens. Das heißt, Geld weder zu vergötzen noch zu verteufeln. Dem Geld nicht alle Macht einzuräumen oder zu überlassen. Stattdessen einen lockeren, unverkrampften Umgang damit zuzulassen (»Einen fröhlichen Geber ...«), aber auch nach Alternativen zum Geld zu suchen dort, wo es sinnvoll erscheint. Und natürlich geht es auch immer um diejenigen, die kein Geld haben, weil sie nie etwas hatten oder sich verschuldet, verzockt, verkalkuliert haben. Und damit oft über Generationen abgehängt sind. Wir bieten in dieser Ausgabe eine Reihe von Anregungen, sich mit dem Thema Geld zu beschäftigen, es aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, es zu beschaffen und auszugeben und auch Jesu Umgang mit dem Geld und der Verschuldung aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Das passt auch in den Erscheinungszeitraum dieser Ausgabe kurz vor Weihnachten. Wieder stellt sich die Frage für die einen oder den anderen: Was werden wir schenken? Etwa Geld? Wir sind gespannt auf die Entdeckungen, die Sie als Leserinnen und Leser in diesem Geld-Heft machen und was Sie besonders anregt. Dass Sie Anregungen erfahren, ist unsere große Hoffnung! Über Rückmeldungen freuen wir uns und wünschen Ihnen viele gute Erkenntnisse und kreative Impulse durch die Praxis Gemeindepädagogik in der gemeindepädagogischen Praxis. Im Namen der Redaktion
Matthias Spenn, PGP-Schriftleiter
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Wolfgang Teske
Dr. Wolfgang Teske ist Kaufmännischer Vorstand bei der Diakonie Mitteldeutschland, Halle/Saale
In der Diakonie Mitteldeutschland bin ich für den kaufmännischen Bereich verantwortlich. Für mich ist wichtig, dass das Wirtschaften und der wirtschaftliche Umgang mit Menschen und Geld eine geistliche Grundlage hat. Kaufleute können sich allein vom Ziel der Gewinnmaximierung leiten lassen oder aber sie versuchen, ein Klima zu schaffen, das den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, ein Gefühl der Wertschätzung vermittelt. Ich möchte Wertschöpfung durch Wertschätzung erreichen. Indem ich die Menschen schätze und geistliche Werte achte, schöpfe ich auch auf Dauer finanzielle Werte. Viele Menschen haben den Eindruck, es gebe eine Trennung zwischen gelebten spirituellen Werten auf der einen und wirtschaftlichem Erfolg auf der anderen Seite. Ich bin der Überzeugung, dass es sehr wohl möglich ist, beides miteinander zu verbinden. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen darüber, dass Firmen, die ihr Handeln auf Werten aufbauen, nachhaltigen Erfolg haben. Dieser auf Dauer angelegte Weg ist auch für die Menschen besser. Man kann durchaus kurzfristig mehr Geld verdienen, wenn man Werte außen vor lässt. Das geht aber auf Kosten der Menschen und auf Kosten der Umwelt. Ziel allen wirtschaftlichen Handelns gerade in der Diakonie muss der nachhaltige und kann nicht der kurzfristige Erfolg sein.
Jesu Leben und das Geld Jesus ist auch im Umgang mit dem Geld ein Vorbild für mich. Daher möchte ich wissen, wie er mit Geld umging und was er für einen angemessenen Umgang mit Geld erachtete. Wer viel in den Evangelien liest, dem wird auffallen, dass im Leben Jesu das Geld eine durchaus bemerkenswerte Rolle spielte – jedenfalls mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Jesus lebte, wie alle Menschen damals und heute, mit dem Geld und vom Geld, zumindest soweit es seine bescheidenen materiellen Bedürfnisse erforderlich machten. Bei seiner Geburt erhielten seine Eltern die sehr kostbaren Geschenke jener Weisen aus dem Morgenland. Mit Sicherheit halfen diese der jungen Familie auf der Flucht nach Ägypten. In den Jahren seiner Lehrtätigkeit lebten Jesus und seine Jünger von Spenden. Es gibt mehrere Stellen im Lukas- und im Johannesevangelium, die darüber berichten. Jesus war auch bereit, die Tempelsteuer zu bezahlen, und unterwarf sich damit bewusst der geltenden Steuerpolitik. In seinen Reden und Gleichnissen gebrauchte Jesus das Geld oft beispielhaft, um den Stellenwert des ewigen Lebens im Vergleich zum vergänglichen weltlichen Reichtum deutlich zu machen. Er sagte jedoch nicht, man brauche kein Geld oder man brauche nicht zu arbeiten. Ich bin kein Theologe, aber nach allem, was ich in den Evangelien über Jesus lese, scheint mir, dass er unverkrampft mit dem Geld umging. Er gebrauchte es als das, was es sein soll: als Zahlungsmittel. Und er stellte es bloß als das, was es NICHT sein soll: Gottesersatz. Es ist gut, sich dies immer wieder vor Augen zu führen, wenn man heute Geld in Händen hält und mit ihm arbeitet.
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Meditation
Foto: © Yingko - Fotolia
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Kirche und Finanzen Die theologische Dimension des Geldes Wolfgang Huber
Früh schon faszinierten mich Pfennige, ja Pfennige, nicht Cents. Meine vier älteren Brüder machten sich einen Spaß daraus, mich als Jüngsten ihre Schuhe putzen zu lassen, selten genug. Sie bezahlten ordentlich: einen Pfennig pro Schuh. So lernte ich auch, dass es Zwei-Pfennig-Münzen gab. Sie waren schnell wieder ausgegeben. Ärgerlich stellte ich fest, wie viele Schuhe ich für eine Kugel Eis putzen musste. Als ich später mein erstes Geld in einer Nylon-Fabrik verdiente, legte ich einen Teil meines Lohns in Aktien an, sogenannten VW-Volksaktien. So lernte auch ich, dem Geld Ehre zu erweisen. »Dem Geld erweisen die Menschen Ehren, das Geld wird über Gott gestellt.« So heißt es bei Bertolt Brecht. Das klingt wie ein Echo auf Martin Luther, der sagt, es gebe manchen, »der auch einen Gott hat, der heißet Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er alle sein Herz setzet, welcher auch der allergemeinest Abgott ist auf Erden.« Der Dichter Bertolt Brecht wie der Reformator Martin Luther nehmen damit ein Wort Jesu auf, das kurz und bündig sagt: »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.« Ist das die zwangsläufige Folge, wenn man dem Geld Ehre erweist? Ist es unausweichlich, dass Geld über Gott steht und so als Abgott wirkt? Muss man wirklich zwischen Gott und Mammon wählen? (…)
Funktionen des Geldes
Vortrag auf dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag, Dresden. Nachdruck (leicht gekürzt) aus: epd-Dokumentation 28-29/11 vom 12.7.2011. http://www.epd.de/fachdienst/fachdienst-dokumentation/schwerpunktartikel/ kirche-und-finanzen-die-theologische-dimensio Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Geld gilt als unentbehrlich. Das merken die am deutlichsten, denen es fehlt. Als Zahlungsmittel ist es nicht erst in modernen Zeiten allgegenwärtig. Drei Funktionen des Gelds schieben sich schon früh in den Vordergrund. Das Geld ist eine Recheneinheit; es dient als Tauschmittel; und es wird als Wertaufbewahrungsmittel genutzt. Für alle drei Funktionen gibt es in der Jesusgeschichte einprägsame Illustrationen.
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Zugänge
Die Rolle des Geldes als Recheneinheit lässt sich an Jesu Beispiel von den anvertrauten Zentnern illustrieren. Bevor der Herr, der außer Landes reist, sich auf den Weg macht, vertraut er seinen Dienern sein Vermögen an, dem einen fünf, dem andern zwei, dem dritten einen Zentner Silber. Es kommt hier nicht darauf an, was man für einen Zentner Silber kaufen kann, es geht nur um den Unterschied. Er wiederholt sich noch einmal: Der eine gewinnt fünf Zentner hinzu, der andere zwei, der letzte dagegen keinen, weil er das Geld in einem Erdloch vergräbt, statt es arbeiten zu lassen. Erfolg und Misserfolg werden an einer Recheneinheit gemessen, die ohne Ansehen der Person gilt: das Geld. Das Geld ist ein universales Tauschmittel. Es erleichtert den Warentausch. Statt seine Lämmer oder Eier mit sich schleppen zu müssen, braucht man nur noch sein Geld, um auf dem Markt einkaufen zu können. Jesus setzt diese Funktion des Geldes selbstverständlich voraus. Er weiß, wovon er spricht, wenn er seine Jünger anweist, ohne dieses Tauschmittel auszukommen: »Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben.« Deutlicher kann man sich von der Gesellschaft nicht absetzen als durch den Verzicht auf Geld. Jesus weiß freilich auch: Die Jünger, die sich mit ihm auf den Weg der Nachfolge begeben haben, brauchen Sympathisanten, in deren Häusern sie einkehren können. Diese Sympathisanten kaufen ein und brauchen dafür Geld. Die Jünger können dadurch auf Geld verzichten; aber sie setzen die Geldwirtschaft nicht außer Kraft. Und schließlich das Wertaufbewahrungsmittel. Wer mehr verdient, als er braucht, sucht immer wieder die Möglichkeit dazu, Erwirtschaftetes aufzubewahren. Von dem reichen Jüngling, der Jesus begegnet, heißt es, dass er viele Güter hat. Deutlicher noch ist es bei dem schon erwähnten reichen Mann: Sein Reichtum besteht aus Silbergeld. Alle drei Funktionen kennen wir auch heute. Die Recheneinheit, an die wir uns halten, gilt inzwischen sogar für eine ganze Gruppe von Ländern, die Eurozone. Die Möglichkeiten, Geld als Tauschmittel einzusetzen, haben sich vervielfacht. Man erhält das Gehalt auf ein Konto und kann online kaufen und bezahlen. Man braucht das Geld nicht mehr in die Hand zu nehmen, um es als Tauschmittel zu nutzen. Die digitale Revolution hat aber vor allem die Funktion des Gelds als Wertaufbewahrungsmittel vollständig verändert. Milliardenbeträge umkreisen den Globus genauso schnell wie elektronische Nachrichten. Genauer: Sie sind gar nichts anderes als elektronische Nachrichten.
Die Religion des Geldes (…) Die digitale Revolution, die dieses Zeitalter prägt, hat sich mit einer unvergleichlichen Liberalisierung der Finanzmärkte verbunden. Die Möglichkeiten, durch hohe Risiken hohe Gewinne zu machen, haben sich vervielfacht. In der Zukunft erwartete Preisveränderungen von Rohstoffen
oder Devisen werden in Gewinnmargen umgesetzt, Schulden werden in Wertpapiere umgewandelt und meistbietend verkauft. Man kann auch auf Kursverluste von Aktien spekulieren oder an der Insolvenz von Griechenland verdienen. Innerhalb weniger Jahrzehnte ist der Handel mit derartigen Finanzderivaten zum weltweit größten Markt überhaupt angewachsen. Er umfasst heute weit mehr als das Dreifache des Handels mit Verbrauchsgütern auf dem Globus. Der Finanzmarkt hat sich vollständig von der sogenannten »Realwirtschaft« gelöst. Das ist nur möglich, weil Preise sich nicht mehr auf Waren und Dienstleistungen, sondern wieder auf Preise beziehen: »Hier werden gegenwärtige Preise für Nichtvorhandenes nach der Erwartung künftiger Preise für Nichtvorhandenes bemessen. Hier werden Preise mit Preisen bezahlt. Die Preise sind ... von der Bindung an materielle Lasten und Beschwernisse befreit und rechtfertigen den Titel eines selbstreferentiellen Marktgeschehens« (Joseph Vogl).
Dass Geld süchtig machen kann, verdeutlicht Jesus an dem jungen Mann, der nicht vom Geld lassen kann, und zwar gerade deshalb, weil er viele Güter hat. Folgerichtigerweise sind die Informationen über Geld wichtiger geworden als das Geld selbst. Wer Millisekunden vor dem anderen den richtigen Mausklick ausführt, kann dadurch einen Milliardengewinn erzielen. Wir erleben nicht nur eine Ökonomisierung der Gesellschaft, wir erleben ihre »Finanzialisierung«. Von den Finanzmärkten gehen riesige Chancen für eine wohlhabende Minderheit aus; vor allem aber erzeugen sie riesige Gefahren für alle. Das haben wir in der Finanzmarktkrise der letzten Jahre erlebt. Zureichende Konsequenzen stehen noch aus. An der Dynamik der Finanzmärkte orientiert sich inzwischen auch das Bild vom Menschen. DieEntgegensetzung von Kapital und Arbeit wird zu den Akten gelegt. Stattdessen ist von »Humankapital« die Rede. An die Menschen werden dieselben Erwartungen gerichtet wie an Geld: Risikobereitschaft soll Gewinn garantieren; Flexibilität ist die Voraussetzung für Sicherheit. »Flexibility« und »Security« gehören zusammen; »Flexicurity« heißt deshalb das Bewegungsgesetz des Humankapitals. Auch die Gesellschaft im Ganzen soll nach dem Modell des Investmentbanking funktionieren. Sie wird in einem neuen Sinn zur »Risikogesellschaft«: Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, wird zum Motor eines vermeintlich unaufhaltsamen gesellschaftlichen Fortschritts. Das Prinzip der rationalen Wahl
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unter Gewinngesichtspunkten bestimmt alle maßgeblichen Lebensentscheidungen; es kommt zu einer »Finanzialisierung« des Lebenslaufs. Familienplanung wird zum Kosten-Nutzen-Kalkül; die Geburt von Kindern tritt in eine ökonomische Perspektive; ihre genetische Ausstattung wird an ihrem wirtschaftlichen Nutzwert gemessen. Was für den Anfang des Lebens gilt, das gilt auch für sein Ende; nicht mehr nach dem Sinn, sondern nach dem Nutzen des Lebens wird gefragt. Entfällt er, wird der Ruf nach aktiver Sterbehilfe laut. Die veränderte Atmosphäre, in der heute über PID oder assistierten Suizid diskutiert wird, zeigt, wie weit diese Finanzialisierung des Lebenslaufs schon fortgeschritten ist. Daraus wird auch ein umfassendes Zukunftsbild abgeleitet: die Verwirklichung des Reiches Gottes mit den Mitteln der Finanzmärkte. Auch in finanzieller Hinsicht wurde schon in den 1990er Jahren das »Ende der Geschichte« angesagt. Das Drama der Wirtschaftszyklen, so meinte man, werde aufhören und durch eine unabsehbar lange Epoche stetig steigender Erträge abgelöst. Aus der vermeintlichen Eigendynamik globaler Finanzströme wurde eine Reich-Gottes-Botschaft abgeleitet, das Evangelium der Finanzmärkte. (…) Doch die Glücksverheißungen des virtuellen Geldes stoßen sich an einer gegenläufigen Realität, an der Realität von Hunger, Armut und Ungleichheit. Sie dokumentiert das direkte Gegenteil jenes Reichs der Freiheit, von dem die Propheten des Finanzialismus schwärmen. Geld zum Gott zu machen, es als Mammon zu verehren, ist nicht nur eine Gefahr der Reichen. Aber sie zeigt sich dort besonders deutlich, wo die Gier nach Geld selbst dann nicht nachlässt, wenn jemand schon über große Summen verfügt. Dass Geld süchtig machen kann, verdeutlicht Jesus an dem jungen Mann, der nicht vom Geld lassen kann, und zwar gerade deshalb, weil er viele Güter hat. An die Begegnung mit ihm knüpft er die pointierte Feststellung, es sei leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme. Das ist eine paradoxe Zuspitzung; sie beschreibt die Schwierigkeit in ihrer ganzen Härte: Kamel und Nadelöhr, das größte Tier und die kleinste Öffnung werden einander gegenübergestellt. Eine ermäßigte Deutung dieses Bildworts sagt, mit dem Nadelöhr sei ein niedriges Tor in Jerusalem gemeint; wenn das Kamel auf seinen Knien hindurchrutsche, könne es das Tor überlisten. Doch ein Tor namens »Nadelöhr« hat es in Jerusalem nie gegeben; es ist erfunden worden, um dem Wort Jesu seine Schärfe zu nehmen. Die Zuspitzung hat aber einen guten Sinn: Geld dient dem Zweck, sich das Nötige kaufen zu können. Viel Geld verführt zu der Vorstellung, sich alles kaufen zu können. Lebenslustige verführt viel Geld zu der Idee, sich sogar das Glück kaufen zu können. Fromme verführt viel Geld zu der Meinung, sich auch noch das Heil kaufen zu können. Dem hält Jesus entgegen: Geld hilft zum Lebensunterhalt, dem Tagelöhner im Weinberg wie dem Reichen. Eigentum verpflichtet; der Reiche hat deshalb eine Pflicht zu teilen. Aber Geld macht nicht glücklich; und es ver-
hilft niemandem zum Heil. Der Zugang zum Reich Gottes muss allen von innen geöffnet werden; keiner kann ihn von außen aufstoßen, mag er viel Geld haben oder wenig. (…) Dem Glauben an das Geld wollte Jesus auch mit dem Satz widersprechen: »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon«. Geld ist ein Mittel, kein Selbstzweck; es ist zu nutzen, aber nicht zu verehren. Trotz aller Verführungskraft kann Geld auch zum Guten eingesetzt werden; das verdeutlicht Jesus im gleichen Zusammenhang mit der Aufforderung, sich mit dem ungerechten Mammon Freunde zu machen, nämlich dieses Geld zum Schuldenerlass einzusetzen. Wie Jesus den Umgang mit dem Geld sieht, kann man am leichtesten aus seinem Kommentar zu der Steuermünze ablesen, die ihm vorgehalten wird. Dieser Kommentar heißt: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!« Eine Unterscheidung wird eingefordert, die sich ohne Umschweife auch auf andere Funktionen des Gelds übertragen lässt. Die Konsequenz heißt: »Gebt der Wirtschaft, was der Wirtschaft ist, und Gott, was Gottes ist.« Oder eben auch in dieser Hinsicht: »Man muss Gott mehr gehorchen als dem Geld.« Die Kommentare Jesu zum Geld stehen in einer prophetischen Tradition. Sie wehren der Vergötzung des Geldes und protestieren gegen die Ungerechtigkeit, die aus der Gier nach Geld erwächst. Auch für Christen, die nicht wie die Jünger Jesu oder wie Franz von Assisi ganz auf Geld verzichten, ist die Religionskritik am vergötzten Geld unentbehrlich. Doch die Gegenwehr gegen eine solche Vergötzung besteht nicht darin, das Geld zu verteufeln. Es gibt keinen Grund zu seiner kultischen Verehrung; es gibt keinen Anlass, den Kapitalismus zur Religion zu machen. Aber es gibt auch keinen Anlass dazu, eine »Religion des Antikapitalismus« zu entwickeln (Joachim von Soosten). Der Abschied vom Heilsversprechen des Geldes erfordert keine antikapitalistische Gegenreligion, sondern den nüchternen Umgang mit dem Geld als dem, was es ist: ein wirtschaftliches Mittel. Gute Haushalterschaft ist die richtige Haltung, im Kleinen wie im Großen. Die christliche Kritik am Umgang mit Geld braucht als Basis gute Ökonomik.
Das Geld der Schuldner Geld ist nicht nur wichtig, wenn man es hat; es ist noch viel wichtiger, wenn es fehlt. Im Geld drücken sich nicht nur Vermögenswerte aus, sondern auch Schulden. Dieser Aspekt findet sogar ins Vaterunser Eingang, wo das Verhältnis zu Gott wie zu den Mitmenschen in der Sprache von Schuldnern und Gläubigern beschrieben wird. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass der christliche Glaube von Anfang an in nichtreligiöser Sprache ausgelegt wird. Schuld, Vergebung und Erlösung sind Begriffe aus der Ökonomie. Sie kreisen um die materielle Abhängigkeit, in die Menschen dadurch geraten, dass ihnen das Notwendigste zum Leben fehlt. »Vergebung« ist ur-
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Zugänge
sprünglich der Schuldenerlass, »Erlösung« ist der Freikauf aus Schuldknechtschaft. Kredite sind für erfolgreiches Wirtschaften unentbehrlich. Schuldenmachen kann aber auch Ausdruck äußerster Not sein. Weit über solche Notsituationen hinaus ist das gegenwärtige Wirtschaftssystem darauf ausgerichtet, Menschen zum Schuldenmachen zu veranlassen. Oft sind der wirtschaftliche Ruin oder die Zerstörung von Familien die Folge; dass Menschen sich bis hin zum Suizid zugrunde richten können, ist ein eindrücklicher Beleg für die allgegenwärtige Macht des Geldes. Überschuldung ist zu einem zentralen Thema von Beratung, Seelsorge und Sozialarbeit geworden. Weil das Geld auch auf diese Weise die Herrschaft über die Seelen antritt, brauchen wir eine armutsorientierte Diakonie im eigenen Land wie weltweit. Im Blick auf den Umgang mit dem Geld ist die Kirche ein Anwalt der Armen. Und sie ist ein Anwalt kommender Generationen. Denn der Teufelskreis der Verschuldung beherrscht inzwischen auch die Politik. Sie bietet ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den Pumpkapitalismus unserer Zeit. (…) Prophetische K ritik hat immer wieder die Schuldknechtschaft aufs Korn genommen. Und unter den innovativen Rechtsinstituten der Hebräischen Bibel kommt dem allgemeinen Erlassjahr nach siebenmal sieben Sabbatjahren ein besonderer Rang zu. Im Zusammenhang des Schuldenerlasses für die ärmsten Länder der Erde hat das Modell des Erlassjahrs sogar praktische Anwendung gefunden. Doch insgesamt hat das biblische Motiv, Schuldabhängigkeit in bestimmten Perioden zu durchbrechen, nicht Schule gemacht. Denn das könnte nur gelingen, wenn eine gerechte Verteilung des verfügbaren Geldes sich mit einer Ethik des »Genug« verbinden würde. Von einer solchen Ethik des »Genug« sind wir jedoch weit entfernt. Können wir als Kirche einen Beitrag dazu leisten, dem etwas näher zu kommen?
Das Geld der Kirche Die Kirche kann ihr Herz nicht an das Geld hängen, das wäre gottlos. Sie kann auch nicht auf Kosten der nächsten Generation Kirche bauen. (…) Kirche muss gebaut und gestaltet werden mit den finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit. Sie muss mit diesen Möglichkeiten so weitsichtig umgehen, dass auch eine nächste Generation, vermutlich mit weniger finanziellen Mitteln, Kirche bauen, das Evangelium verkündigen, Menschen für Gott gewinnen, aber auch für Besoldung und Versorgung aufkommen kann. Das alles ist wichtig. Dennoch ist das Ausmaß, in dem unsere Kirche bisweilen auf das fehlende Geld fixiert ist, ein Ärgernis. Ärgerlich ist auch die Art und Weise, in der in unserer Kirche wie im Staat von »Sparen« die Rede ist. »Sparen« bedeutet doch: Geld, das man hat, für spätere Aufgaben aufzuheben. Gegenwärtig wird gekürzt, nicht gespart. Da-
rum geht es, wenn man versucht, Geld, das man nicht hat, auch nicht auszugeben. Die Alternative zu der Geldfixiertheit, die es auch in der Kirche gibt, besteht nun freilich nicht in einer Gleichgültigkeit in Finanzfragen, sondern in verantwortlichem Haushalten. Geld muss benutzt werden, es darf uns nicht beherrschen. Das Rechnen in der Kirche muss im Dienst eines Glaubens stehen, der selbst nicht rechnet. Die Freiheit des Glaubens muss auch, ja gerade im Umgang mit dem Geld erkennbar sein. Ich halte es für falsch, wenn kirchliche Verän-
Der Abschied vom Heilsversprechen des Geldes erfordert keine antikapitalistische Gegenreligion, sondern den nüchternen Umgang mit dem Geld als dem, was es ist: ein wirtschaftliches Mittel. derungsprozesse vom Geld her gedacht werden; die Kirche darf sich nicht dem Finanzialismus unterwerfen. Aber auch in der Kirche darf man die Finanzierbarkeit der eigenen Vorhaben nicht außer Acht lassen. Die Kirche lebt in der Welt. Was soll mit dem Geld der Kirche geschehen? Zwei Antworten traten in der Geschichte der Christenheit immer wieder in den Vordergrund. Das Kirchengut gehört den Armen, so heißt die erste Antwort. Die zweite Antwort aber heißt, dass der Arbeiter auch in der Kirche seines Lohnes wert ist. Der Umgang der Kirche mit dem Geld ergibt sich klar aus dem Auftrag der Kirche. Die Kirche rechnet, um den Glauben zu mehren, der selbst nicht rechnet. Die Kirche rechnet, um Liebe zu üben; auch die rechnet nicht.
Altbischof Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber war bis 2009 Bischof der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz und Vorsitzender des Rates der EKD. Huber führt viele seiner Ehrenämter fort und widmet sich darüber hinaus verstärkt der Wertevermittlung in Wirtschaft und Gesellschaft. Seit 2013 ist er auch Honorarprofessor an der Universität Stellenbosch (Südafrika).
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Umgang mit Geld Dirk Oesselmann
Geld – gesellschaftliche Perspektiven Geld entstand als ein Mittel, um den Austausch von Waren und Leistungen zu erleichtern und um sich verfügbare Ressourcen anzueignen. Heute ist es ein notwendiges Instrumentarium, um Bedürfnisse zu sichern sowie unterstützende Mechanismen zur eigenen Lebensgestaltung zu aktivieren. Geld ist nützlich, aber auch verführerisch, da es unmittelbar und – zumindest auf der Ebene des Käuflichen – überall zur Anwendung und Wirkung gebracht werden kann. Viele sehen es als ein höchst erstrebenswertes Gut an, oftmals wird es als Allheilmittel verehrt. Welchen Geldwert Waren oder Dienstleistungen haben, ist nicht eindeutig. Üblicherweise wird auf den Markt verwiesen, der aus Kosten und Nachfrage den Dingen einen Preis zuschreibt. Doch diese ideologische Aussage vertuscht die dahinterstehenden Beziehungen von Abhängigkeit und Macht. Derjenige, der eine schwächere Position innehat, erhält für seine Waren oder seine Arbeit eher einen niedrigen Wert. Wie rechtfertigt sich sonst der Lohnunterschied beispielsweise zwischen unteren Lohnsektoren und Managern? In der körperlichen Anstrengung? In der Verantwortung? In der wirt-
schaftlichen Innovativkraft? Rechtfertigt all dies einen 100-fach höheren Lohn? Wertzuschreibungen sind gesellschaftlich begründet. Geld ist sichtbarer Ausdruck gesellschaftlicher Anerkennung und Macht, aber auch dessen Gegenteil. Es ist einerseits Ausgangspunkt für sozialen, politischen und religiösen Status der Besitzenden, wird aber andererseits zu einem Ausschlussund Abhängigkeitsfaktor der Nicht-Besitzenden. Unser Thema »Umgang mit Geld« steht somit immer auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Geld bringt soziale Positionen faktisch und symbolisch zum Ausdruck. Umgang mit Geld ist auch ein Spiel mit Status- und Machtsymbolen. Für viele bedeutet Geld soziale Teilhabe. Sie eignen sich Statussymbole »über ihre Verhältnisse« an, um etwas zu gelten.
»Macht Geld unmoralisch?« – aktuelle und biblische Gedanken »Macht Geld unmoralisch?« wurde am 25.4.2013 das Dossier der Wochenzeitung d i e Z e i t überschrieben. Der Anlass für diese ausführliche Auseinandersetzung waren Steuerhinterziehungen und andere Ma-
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Zugänge
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chenschaften von Managern, unter anderem des Bayern-Managers Uli Hoeness, der bis dato immer als moralisches Vorbild gegolten hatte. In mehreren Beispielen wurde dargelegt, wie sogenannte Superreiche nach immer mehr Geld streben – und dabei jegliche Skrupel verlieren. Im Fall Uli Hoeness wird der Widerspruch deutlich zwischen eigenem moralischen Anspruch und faktischem Verhalten der breiten Steuerhinterziehung. Bestätigt werde die Annahme, dass Geld eine Sogwirkung besitze, durch den Drang, immer mehr davon anzuhäufen – auch ohne es jemals für sich ausgeben zu können. Geld als Selbstzweck könne wie eine Droge wirken, produziere psychische Abhängigkeit, blende Moralität aus – so eine der Schlussfolgerungen der Autoren des Artikels. Der Umgang mit Geld ist ein komplexes und für die Sinnsuche zentrales Problem – das zeigen bereits Texte der Bibel, z. B. die Begegnung Jesu mit dem reichen Mann, der sich nicht von seinem Geld lösen kann, oder mit Zachäus, dem gierigen Steuereintreiber. Die Herausforderungen liegen dabei auf unterschiedlichen Ebenen: ➥ auf einer persönlichkeitsprägenden Ebene: Geld vermittelt Sicherheit und Macht, verspricht
Heil. Bis heute ist dies ein aktuelles Thema in einer Kultur, die von Konsum und Geldsicherheit geprägt ist. – Allerdings bleiben Zweifel angesichts der Vergänglichkeit materieller Güter. Geld kann nicht die umfassende Erlösung versprechen, es suggeriert allenfalls Sicherheit und Kontrolle mit begrenzter Reichweite. Auch der Reiche in der Bibel verspürt dies und kommt zu Jesus. Doch er sieht seinen Reichtum als zentralen Sinn des Lebens an und kann sich nicht davon trennen (Mk 10,17–22; Mt 19,16–22; Lk 18,18–25). Die Herausforderungen auf dieser Ebene sind fokussiert auf eine Sinnkrise, ausgelöst durch die Ahnung, dass die Heilsversprechen materieller Sicherheiten sich in Illusion auflösen könnten. Geld ist Verführung, Droge, Sicherheit und Machtsymbol – das Aufgeben all dessen kann den Einzelnen in tiefgreifende Sinnkrisen stürzen. Für die Kirche stellt sich die Aufgabe der seelsorgerlichen Begleitung, den Menschen gerade in solchen Krisen und Ängsten beizustehen. Gleichzeitig steht auch die positive »Strahlkraft des Evangeliums« (Ernst Lange) auf dem Spiel: Die tragende Kraft des Glaubens muss als Alternative zum Geld überzeugend erlebbar und nachvollziehbar gemacht werden.
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➥ auf einer gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Ebene: Reichtum steht in Zusammenhang mit NichtReichtum, mit Armut. Geld ist Zeichen von Macht der einen und von sozialem Ausschluss der anderen. Es wird zur Zielperspektive gesellschaftlichen Aufstiegs, zum Objekt von Begierde und zum Anlass von Abstieg. In der biblischen Geschichte (Lk 19,1–10) erfährt der Geldeinzieher Zachäus öffentliche Missgunst, da er aus seiner Machtposition heraus die Armen weiter ausbeutet. Jesus beendet nicht einfach die ausbeuterische Praktik, sondern er nimmt Zachäus hinein in die Gemeinschaft und zeigt ihm ein tragendes Beziehungsgefüge, das dem Geld die gesellschaftliche Machtstellung entzieht. Damit eröffnet er eine neue Perspektive gesellschaftlicher Teilhabe aller. Die Herausforderungen dieser Ebene liegen in der Perspektive von sozialem Zusammenhalt und Solidarität. Kirche muss sich hier mit Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen, aber auch mit alternativen gemeinschaftlichen Lebensmodellen auseinandersetzen.
»Umgang mit Geld« – gemeindepädagogische Verortung Geld spielt natürlich im gemeindlichen Alltag eine Rolle. Als Erstes kommt einem der allgemeine Rückgang von Geldmitteln in den Sinn, den die Volkskirche in den letzten Jahrzehnten in hohem Maße be-
schäftigte. Fast alle Gemeinden mussten sich mit notwendigen finanziellen Sparmaßnahmen beschäftigen. Prioritäten mussten gesetzt, Gebäude und Arbeitsbereiche aufgegeben werden. Aber nicht nur die finanziellen Ressourcen schwanden, oftmals auch die menschlichen. Gemeindepädagogisch stellt diese Situation eine Herausforderung vor allem auf strategisch-konzeptioneller Ebene dar. Mit der Frage Was können wir noch als Gemeinde leisten/anbieten? steht unlösbar eine andere in Verbindung, die nach dem Kerngeschäft von Gemeinde: Was wollen/sollen wir tun? Solche Orientierungsprozesse sind immer auch verbunden mit Kämpfen um partikulare Interessen und Vorrangstellungen bestimmter Bereiche und Gruppen. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, sich als Gemeinde zunächst auf den eigentlichen Auftrag theologisch zu besinnen und diesen in den lebensweltlichen Kontext der Menschen zu stellen. Es kristallisieren sich dringliche Herausforderungen heraus, aus denen dann übergreifende pädagogische und diakonische Zielsetzungen erarbeitet werden müssen. Die gemeindepädagogische Aufgabe ist es, diesen Suchprozess moderierend und positionierend zu begleiten hinsichtlich der Art und Weise, wie notwendige Veränderungen bezüglich materieller Ressourcen gerechtfertigt, entschieden und implementiert werden. Das Selbstverständnis als christliche Gemeinde muss dabei in Verbindung gesetzt werden a) mit den kontextuellen Fragestellungen sowie b) mit den bestehenden Möglichkei-
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ten gemeindlichen Wirkens. Hierbei ist lebensweltorientierte Sensibilität, aber auch Prozessmanagement gefragt – beides zentrale Kompetenzbereiche der Gemeindepädagogik. Geld steht darüber hinaus für ein zentrales und vielfältiges Problemfeld in der Lebenswelt von Menschen, die in der Gemeinde oder in ihrem Umfeld leben. Obdachlose an der Tür der Kirche, Kinder ohne adäquates Frühstück in den Kitas, die Armut in der Partnergemeinde in einem afrikanischen Land sollen hier nur als Beispiele für akute Geldschwierigkeiten genannt werden. Zumeist wird in diesen Fällen auf eine schnelle Lösung zurückgegriffen, die durch Geldspenden die Schwierigkeiten zumindest momentan lindert. Klar wird aber auch, dass damit die dahinterstehenden Problemstellungen nicht gelöst werden. Geld verhilft wie ein Pflaster zu einer unmittelbaren Hilfe, kann allein aber nur selten zu einer tiefgreifenden Veränderung der Problemlage führen. Ähnliches gilt für Herausforderungen wie Überschuldung oder Arbeitslosigkeit. Geld ist immer nur ein Mittel zum Zweck, kann aber als solches nie substanzielle Veränderungen in komplexen Zusammenhängen erreichen. Dazu bedarf es einer tragenden Basis, die sowohl den einzelnen Betroffenen eine mittel- und langfristige Perspektive gibt als auch in den gesellschaftlich-sozialen Abhängigkeiten so etwas wie solidarische Verbindlichkeiten errichtet. Einen solchen gemeinsam verantworteten Umgang mit Geld der Gemeindepädagogik allein zuzuschreiben, wäre eine Anmaßung. Aber sie kann als Teil eines Netzwerkes diakonisch-sozialer Einrichtungen und anderer Solidargruppen, die von kurzfristigen Maßnahmen über Beratung vielfältige Hilfen zur Verfügung stellen, darüber hinaus zu Gemeinde erneuernden Beziehungen anregen.
strebte Kompetenzbildung wie auch für die Entwicklung von theoretisch-wissenschaftlichen Grundlagen. Ein Problem ist, dass die möglichen Berufs- und Tätigkeitsfelder der Gemeindepädagogik so vielfältig sind, dass sie nicht in ihrer ganzen Breite in einen zeitlich reduzierten Ausbildungsgang einfließen können. Es kann deshalb im Blick auf die Praxis nur exemplarisch gearbeitet werden. Die Herausforderungen eines Praxishorizonts dienen letztlich dazu, die notwendigen grundlegenden und übergreifenden Kompetenzen zu erschließen, reflexiv zu durchdringen und eine Basis zur Einübung zu eröffnen. Umgang mit Geld ist, wie dargelegt wurde, eine für die gemeindepädagogische Praxis bedeutsame Herausforderung. Um ihr zu begegnen, sind Wissen und Verstehen des komplexen gesellschaftspolitischen Rahmens, aber auch eine theologisch-ethische Durchdringung dieses Rahmens erforderlich. Zusätzlich zu solchen Wissens-, Deutungs- und Reflexionskompetenzen kommen konzeptionelle und methodische Kompetenzen hinzu, die sowohl zu einer individuellen Begleitung als auch zur strategischen Unterstützung von Prozessen auf der Mesound Makro-Ebene befähigen. Das ist eine Querschnittsaufgabe eines gesamten Studiengangs. Konkret greifbar wird dies – beispielsweise an der EH Freiburg – in den im Grundstudium verankerten offenen Foren »Was liegt an?«. Aus der Sicht der Studierenden werden Fragestellungen aus dem Alltag benannt, die aus der gemeindepädagogischen Perspektive bedeutsam sind. Themen waren bereits Jesus aus Schokolade (Vermarktung des »Heiligen«), Homosexualität, Zivilcourage oder eben auch Uli Hoeness (Umgang mit Geld).
Ein Blick in die gemeindepädagogische Ausbildung Viele dieser grundlegenden Überlegungen wirken zurück auf die Ausbildungsgänge. Diese sind sehr vielfältig. Allgemein geltende Richtlinien stehen noch auf der Tagesordnung. Insgesamt handelt es sich bei der Ausbildungsform um eine angewandte Wissenschaft, d. h. der Bezug zur Praxis ist äußerst relevant für die ange-
Dr. Dirk Oesselmann ist Professor für Gemeindediakonie an der Evangelischen Hochschule Freiburg.
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Nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen … Mit Fundraising kirchengemeindliche Jugendarbeit entwickeln Thomas Schlichting
»Du, Kucki, bei Euch ist mein Zuhause«, so ein Besucher des offenen Jugendtreffs in Richtung des dort tätigen Pädagogen Stephan (Kucki) Kuckuck. Dieser Satz hat uns in der Arbeit lange begleitet und bildete auch die Einleitung zu einem der jährlichen Spendenbriefe. »Tue Gutes und sprich darüber.« Schön, wenn andere über unsere Arbeit sprechen.
Das Projekt Das Projekt »kurze Wege – sozialräumlich orientierte Jugendarbeit in Kooperation und Vernetzung von kommunalen Institutionen und evangelischer Jugendarbeit« ist seit 13 Jahren mit Treffpunkten, Aktionen und Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche in Wunstorf aktiv. Wunstorf ist eine Kleinstadt mit 42.000 Einwohnern nordwestlich von Hannover. Die Kirchengemeinde St. Johannes, die viele Jahre Träger des Projekts war, ist eine von drei Innenstadtgemeinden. Das Gemeindezentrum mit Sakralraum stammt aus den 1970er Jahren und ist durch seine Sichtbetonbauweise ortsprägend. Das Gemeindegebiet weist eine hohe Zahl an Mietwohnbebauung auf und ist als sozialer Brennpunkt eine Zeit lang in den Fokus geraten. Das Projekt »kurze Wege« bietet Kindern und Jugendlichen soziale Räume, die sie sich aneignen und in denen sie sich ausprobieren können. Es ermöglicht (benachteiligten) Kindern und Jugendlichen u. a., mit kultureller Bildung am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben; so leitet es sie zu eigener Kreativität an und hilft ihnen, ihre Potenziale zu erkennen und Talente zu unterstützen. Durch gut ausgebildete und erfahrene Mitarbeitende erhalten die jungen Menschen ein anerkennendes und wertschätzendes, aber auch kritisches Gegenüber, das unterstützt, hinterfragt, beteiligt, fordert, möglich macht und einfach da ist. Als Teil der evangelischen Jugendarbeit richten sich die Angebote offen und
voraussetzungslos an alle Kinder und Jugendlichen, zudem sind sie geprägt von einem christlichen Menschenbild und dem Gebot der Nächstenliebe. Das Projekt »kurze Wege« leistet somit einen diakonischen Auftrag für Kirche, Gemeinwesen und Gesellschaft.
Fundraising des Projektes »kurze Wege« Netzwerk transparent machen und Spendenmotive wahrnehmen Unsere ersten zaghaften Schritte im Fundraising fanden Ende der 90er Jahre statt. Die eigenen finanziellen Mittel zum Start einer aufsuchenden Jugendarbeit im Gemeindegebiet reichten nicht aus und wir mussten alternative Finanzierungsträger finden. Über unser Netzwerk fanden sich durch den Kontakt über den Ortsbürgermeister recht schnell die Stadtsparkasse und die Volksbank als Spender. Beide Institutionen, mit je einer Filiale gegenüber dem Gemeindezentrum vertreten, hatten großes Interesse an der aufsuchenden Arbeit, da einige Jugendliche die Vorräume der Filialen bei schlechtem Wetter gerne als »Partyzone« nutzten. Hier mussten wir über die Spendenmotive nicht rätseln. Als einer der ersten Spender kam auch der Wunstorfer Bauverein dazu, der als Genossenschaft viele der Wohnungen im Gebiet der Kirchengemeinde besitzt und der sich natürlich um die Qualität des Wohnumfeldes sorgte.
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Zu der Zeit war es uns ganz wich- und der Niedersächsischen Lottostiftig, die Betonung auf die Ziele der auf- tung. Dieses so entstandene Netzwerk suchenden Arbeit zu legen: Wir wollten wurde von Anfang an ebenso wie die ein adäquates zusätzliches Angebot für Kontakte zu Einzelspenderinnen und die Jugendlichen schaffen und waren -spendern in einer Adressdatenbank annicht angetreten, um den Stadtteil zu gelegt und gepflegt. beruhigen. Die aufsuchende Arbeit mit Treffund Freizeitangeboten entwickelte Dankmanagement planen sich in den folgenden Jahren und wurde auch von der Öffentlichkeit positiv Dankschreiben und zeitnahe Zuwenwahrgenommen. Anfang des Jahres dungsbestätigungen gehören zum Stan2000 zeichnete sich dann ab, dass es dard wie ein Jahresbericht zu Weihnachsinnvoll ist, diese Arbeit auszuweiten ten und Geschenke in der Dankespost. und auch finanziell über einen länge- Hier haben wir von der Samentüte (»Wir ren Zeitraum abzusichern. Es entstand hätten uns gerne mit einem Strauß bedas erste Konzept zum Projekt »kurze dankt, der passte aber nicht in den Wege«, und es begann die Suche nach Umschlag«) bis hin zum Brausepulver Finanzierungsträgern. Hier kamen (»Wir möchten gerne mit Ihnen anstozum ersten Mal Stiftungen in den Fo- ßen …«) viele kleine kostengünstige Dinkus, allen voran die Hanns-Lilje-Stif- ge beigelegt. Ein Schmankerl war auch tung der Landeskirche Hannovers, die eine CD mit dem Ergebnis eines Hipuns schnell die Zusage einer Anschub- Hop-Workshops. Für größere Spenden finanzierung gab. danken wir mit Besuchen und einem kleinen Mitbringsel. Jährlich findet ein Tag der offenen Tür statt, mit schriftliPotenzielle Finanzierungsträger cher Einladung der Spenderinnen und persönlich aufsuchen Spender. Als positiv stellte sich heraus, dass wir mit den Konzepten immer direkt zu den Verantwortlichen gefahren sind und uns Rat geholt haben. So entstanden oft auch wieder Kontakte zu anderen Stiftungen oder Institutionen. Mit einer Empfehlung sind uns in den vergangenen Jahren immer wieder Türen geöffnet worden. So erhielten wir u. a. Zuwendungen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, der Klosterkammer Hannover
Schub durch die Patenschaftskampagne 100 x 100 Einen großen und nachhaltigen Schub bekam unser Spendenwerben dann im Jahr 2004: Da fehlten uns zur Restfinanzierung des Anschlussprojektes noch 10.000 Euro. Es entstand die Idee, eine Patenschaftskampagne mit dem Titel »100 x 100« aufzulegen.
Da wir kaum finanziellen Spielraum für eine aufwändige Kampagne hatten, war die Frage: Wer kann uns in unserem Netzwerk womit unterstützen? Und das nicht nur mit Geldspenden, sondern auch mit Zeit- und Sachspenden? So hatten wir z. B. eine Grafikerin über unsere Netzwerkarbeit gefunden. Diese entwickelte das Corporate Design mit Logo, Faltblatt, Plakaten und Patenurkunde. Drei Jugendliche, Ehrenamtliche aus der Jugendarbeit, standen Modell. Alle Texte wurden angefertigt, auch bereits für die Dankbriefe. Denn nach unserer Erfahrung kommt die erste Spende schneller als erwartet.
Die Gemeinde beteiligen und einbinden Danach folgte die persönliche Vorstellung der Kampagne in allen Kreisen der Kirchengemeinde, sie diente gleichzeitig als Praxistest. Wir bekamen wertvolle Hinweise zur Verständlichkeit unserer Texte und auch zur Spendenhöhe. 100 Euro für einen Patenbrief waren einigen Gemeindegliedern dann doch zu viel. Wir boten die Möglichkeit, dass sich auch mehrere Personen eine Patenschaft teilen können. Sofort bekamen wir einige Gemeindekreise als Paten und hatten viele Gemeindeglieder als Botschafterinnen und Botschafter unseres Anliegens gewonnen. Das gipfelte darin, dass einige in ihrer Straße sogar eine Haussammlung (»Kenne ich doch noch von der evangelischen Frauenhilfe …«) durchführten und in ihrer Nachbarschaft gemeinsam für einen Patenbrief sammelten.
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Erst jetzt gab es den Kontakt zur Presse mit dem Hinweis: »Wir brauchen Hilfe, uns fehlen 10.000 Euro.« Eine neugestaltete Webseite und Artikel im Gemeindebrief vervollständigten im August 2004 die mediale Präsenz.
Spendenfortschritt visualisieren und kommunizieren Den offiziellen Start kennzeichnete dann ein Pressegespräch im September 2004 zur Eröffnung der Kampagne, bei der die Mitarbeitenden und der Kirchenvorstand eingebunden waren. Als optischer Auf hänger diente ein sogenanntes Patenschaftsthermometer im Eingangsbereich des Gemeindezentrums: Ein einfacher durchsichtiger Kunststoffschlauch mit einer Skala, der nach Spendeneingang mit Papierkugeln gefüllt wurde. Wir starteten mit zehn zugesagten Patenschaften und in den kommenden Monaten konnten alle Besucherinnen und Besucher des Zentrums die Entwicklung der Patenschaften optisch mitverfolgen. Meldungen gingen auch an die Presse, die uns in den kommenden Monaten mit wohlwollender Berichterstattung begleitete. Die von uns erstellte Patenurkunde erwies sich als zusätzliches Kommunikationsinstrument, da einige Geschäftsleute diese öffentlich aushängten. So sahen sich weitere Ladeninhaber animiert zu spenden.
Dankmanagement umsetzen Zur Halbzeit der Kampagne starteten wir das erste Patenfest mit persönlicher Einladung an alle bisher gewonnenen Patinnen und Paten. Beim Patenfest stand die Wertschätzung unserer Unterstützerinnen und Unterstützer an erster Stelle. Es gab ein kleines musikalisches Rahmenprogramm, einen Snack am Feuerkorb im Innenhof und eine Fotoaktion mit Patinnen und Paten im Bilderrahmen. Am Ende der Veranstaltung bekamen alle eine Klappkarte mit ihrem Foto mit nach Hause. Zu Weihnachten 2004 gab es dann noch eine Karte an die Spenderinnen und Spender sowie an den Rat der Stadt. Ende Januar 2005, viel früher als geplant, konnten wir zu einem Pressegespräch laden und verkünden, dass wir
unser Ziel erreicht haben. Nach außen trugen wir diese Botschaft mit einem selbstgestalteten »Dankeschön«-Großplakat an der Fassade des Gemeindezentrums. Ein zweites Patenfest zum Abschluss der Kampagne folgte dann im April sowie eine Karte mit einem Dank zu Ostern. Tenor: »Bei uns grünt und blüht es und Sie sind … daran beteiligt«.
Keine Kannibalisierungseffekte durch hauseigene Konkurrenz Im November 2005 schrieben wir die erste Weihnachtsmail mit einem Jahresbericht an Spenderinnen und Spender. Da die Kirchengemeinde mit einem Spendenbrief zeitgleich um das freiwillige Kirchgeld bat, gab es Befürchtungen, dass »Kannibalisierungseffekte« nicht ausbleiben und zu einer geringeren Gemeindespende führen würden. Genau das Gegenteil war der Fall: Das Spendenaufkommen der Gemeinde lag höher als im Vorjahr. Dieser Effekt ist bis heute geblieben.
Und heute? Fundraising zahlt sich in vielfacher Hinsicht aus … Neben dem Gütesiegel »Diakonische Gemeinde« des Diakonischen Werkes der Landeskirche Hannovers erfuhr die Arbeit der Kirchengemeinde auch Wertschätzung aus dem Bereich der Kommune, u. a. durch die Verleihung des Ortspreises Wunstorf. Es ist ein großes Netzwerk entstanden, das auch verschiedene Veranstaltungen trägt, z. B. zur beruflichen Bildung in Zusammenarbeit mit mehreren örtlichen Betrieben. Das Projekt »kurze Wege« hat bis heute einen aktiven Stamm von Förderern, obwohl die Kampagne ursprünglich auf »Einmalpaten« abzielte (Spendeneinnahmen 2012: 22.500 Euro). Die Spendenfreudigkeit zeigt sich nicht nur im finanziellen Bereich, viele Ehrenamtliche, auch Erwachsene, engagieren sich mit Zeitspenden. Es sind Menschen angesprochen worden, die nicht zur klassischen Kerngemeinde gehören. Es hat auch hier, neben der Veränderung der Struktur der Besucherinnen und Besucher der gemeindlichen Arbeit, eine Milieuerweiterung gegeben.
Tue Gutes und rede darüber Die mit der Kampagne verbundene Öffentlichkeitsarbeit und die Erfolge der Arbeit von »kurze Wege« haben dazu beigetragen, dass die Kommune dem Projekt von 2006 bis 2011 eine Grundsicherung (jährlich 55.000 Euro) gab. Durch das Projekt »kurze Wege zu Bildung und Kultur« ist seit Ende 2009 mit Mitteln der »Aktion Mensch« eine zweite Vollzeitstelle entstanden. Ab September 2012 übernahm dann die Stadt Wunstorf die Finanzierung des Projektes »kurze Wege« mit jährlich 110.000 Euro für weitere fünf Jahre. Durch das Projekt »kurze Wege« bekam die evangelische Jugendarbeit ein diakonisches Profil und die Kirchengemeinde engagiert sich erkennbar für das Gemeinwesen und die interkulturelle Arbeit. Interessant ist, dass sich die Spendenkultur in der Kirchengemeinde und in der Stadt auch etwas verändert hat. Es ist selbstverständlich geworden, dass das Projekt Geld benötigt und dass sich Menschen mit einer Spende engagieren. Viele Impulse aus dem Projekt wirkten in die allgemeine Gemeindearbeit hinein, schärften das Profil und leisteten einen Beitrag zum Gemeindeaufbau. Besonders ist das beim Dankmanagement unter dem Gesichtspunkt der Wertschätzung zu sehen. Wichtig war uns, bei aller Mehrbelastung in der Anfangszeit, durch Fundraising nicht ein komplett neues Arbeitsgebiet zu schaffen, sondern die Maßnahmen in die schon bestehende Arbeit einzubinden und zum integrativen Bestandteil der Gemeindearbeit zu machen.
Thomas Schlichting ist Leiter der »Arbeitsstelle Fundraising« in Wunstorf.
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Praxisfelder
Fundraising in der Kirche Nur eine Mode oder solide Finanzierungsquelle? Ein Gespräch mit Dirk Buchmann
Was ist eigentlich Fundraising? Dirk Buchmann: Für das, was Fundraising ist oder sein soll, gibt es vielfältige Definitionen oder Definitionsversuche. Marita Haibach, eine der wohl bekanntesten Fundraiserinnen in Deutschland, hat einmal formuliert »Fundraising ist eine Art von Marketing. Die eigene Leistung bzw. das Produkt muss immer wieder gegenwärtigen und potenziellen Kunden (Förderern) nahe gebracht werden und das auf eine Weise, die diese verstehen. Ziel ist es, sie zu wiederholter Unterstützung zu bewegen und sie außerdem zu motivieren, ihren Spendenbetrag zu erhöhen.« (Haibach 2006: 20) Eine andere und inzwischen ebenso weit verbreitete These zum Fundraising stammt von Joachim Dettmann: »Fundraising ist so grundlegend, dass man es nicht als separate betriebliche Aufgabe betrachten darf. Fundraising umfasst vielmehr die gesamte Nonprofit-Organisation, und zwar vom Endergebnis her betrachtet, d. h. vom Standpunkt des Förderers.« Damit wird schon einmal deutlich, dass Fundraising – will man es ergebnisorientiert betreiben – sozusagen »Chefsache«, also Leitungsaufgabe ist. Die Leitung einer Organisation, eines gemeinnützigen Vereins oder einer kirchlichen Einrichtung muss sich für das Fundraising verantwortlich fühlen und es als wichtigen Teil ihres (Sozial-)Marketings verstehen. Ist dieses Verständnis nicht vorhanden, wird es nur schwer gelingen, Mittel für die wichtigen Arbeitsbereiche, für Projekte oder Bauvorhaben einzuwerben.
Bedürfnissen und Wünschen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Nur wenn ich mich mit dem Menschen beschäftige, seine Interessen und Wünsche kenne, kann ich ihn auch gezielt ansprechen und beraten, wie und wo er helfen, was er unterstützen kann – mit seinem persönlichen Engagement, mit seiner Zeit, mit seinem Wissen, mit seinen Sachleistungen und oft auch mit seinem Geld. Mein Ziel im Fundraising ist es dabei, eine langfristige Beziehung zu meinen Unterstützern aufzubauen und diese zu pflegen. Fundraising ist zunächst Beziehungsarbeit, das Spendensammeln folgt dem nach. Einmalige Spendenaktionen, nach denen die Spender nie mehr etwas von dem vorher beworbenen Projekt hören, bringen mir langfristig keinen Erfolg. Wer Fundraising erfolgreich betreiben möchte, wird sich um seine Unterstützer kümmern. Dazu gehört auch, dass ich regelmäßig über den Fortgang des Projektes, über die Erfolge, aber auch über Schwierigkeiten informiere. Und es ist selbstverständlich, dass die Unterstützer zu besonderen Höhepunkten oder zum Abschluss des Projektes eingeladen werden. Das kann die sanierte Orgel sein, das neu gebaute Gemeindehaus oder auch die Kinder- und Jugendwoche, welche mit Spenden finanziert wurde. Durch die enge Beziehung zwischen der um Unterstützung bittenden Einrichtung und den Unterstützern werden Letztere zu Freunden des Projektes. Und mit Freunden hält man in der Regel einen engen Kontakt, nicht nur dann, wenn man ihre Unterstützung benötigt.
Woher kommt Fundraising? Was ist denn beim Fundraising anders als beim klassischen Spendensammeln? Landläufig wird Fundraising häufig mit »Spenden sammeln« übersetzt, was den Blick aber zu sehr auf den finanziellen Aspekt lenkt und die Gefahr in sich birgt, dass darüber das eigentliche Fundraising aus den Augen verloren wird. Beim Fundraising steht jedoch der Mensch mit seinen Interessen,
Wie so viele andere Entwicklungen hat das Fundraising seine Wurzeln in den USA. Aufgrund der zunehmenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert gab es immer mehr reiche Menschen auf der einen und immer mehr Arme auf der anderen Seite. Allerdings war es verpönt, mit seinem Reichtum verschwenderisch umzugehen oder ihn nur für sich und seine eigenen Interessen zu nutzen. Gesellschaftlich hoch angese-
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hen waren diejenigen, welche einen Teil ihres Kapitals für eine gute Sache spendeten. Dieses Verhalten ist auf eine seit Jahrzehnten bestehende Tradition zurückzuführen, auf die Philantropie, was wörtlich »Menschenfreundlichkeit« oder »Menschenliebe« bedeutet. Anfang des 20. Jahrhunderts kam es in den USA zur Gründung von gemeinnützigen Organisationen und Großstiftungen, vor allem geprägt durch Industrielle wie etwa John D. Rockefeller (Rockefeller-Foundation). Seitdem ist die Organisation der Philanthropie in Amerika weit fortgeschritten und die Nutzung des kommerziellen Sektors zur Hilfe des nicht kommerziellen Sektors hat sich etabliert. Daraus sind Begriffe wie der des Fundraising entstanden und diese wurden zunehmend professionalisiert. In den USA wird es seit Jahrzehnten als selbstverständlich angesehen, dass Privatpersonen und Unternehmen mit ihrem Kapital Organisationen aus dem Non-Profit Sektor unterstützen.
Erst wenn ich diese Antworten gefunden und die Zielgruppen bestimmt habe, kann ich im nächsten Schritt überlegen, auf welche Weise, mit welcher Methode, mit welchem Instrument ich die Menschen oder Institutionen ansprechen möchte.
Seit wann gibt es das in Deutschland? In Deutschland hat das Fundraising noch keine so lange Tradition und auch die Akzeptanz in der Gesellschaft ist eine andere. Lange Zeit galt es quasi als unanständig, Spendenmarketing zu betreiben. Doch die Zeiten haben sich geändert. Mit Beginn der 1990er Jahre hat sich Fundraising als professionelle Möglichkeit der Mittelbeschaffung im gemeinnützigen Sektor auch bei uns etabliert. Der Grund liegt in der finanziellen Situation vieler Vereine und Einrichtungen, welche immer schwieriger wurde, da sich die staatlichen Kostenträger aus der Finanzierung von sozialen Diensten und Einrichtungen zurückziehen. Im kirchlichen Bereich hat es sogar noch etwas länger gedauert, bis Fundraising als notwendig erachtet wurde. Im Jahr 1999 wurde mit der Gründung der Fundraising Akademie der Grundstein für das kirchliche Fundraising gelegt und in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau wurde die erste Stelle für einen Fundraising-Beauftragten eingerichtet. Bald darauf gab es auch in anderen Landeskirchen Fundraiserinnen und Fundraiser – in Baden, Hannover, Bayern, Westfalen und Nordelbien war Fundraising ein Thema, lange bevor es von den offiziellen Stellen der EKD wahrgenommen wurde. Seitdem hat sich das kirchliche Fundraising rasant entwickelt. Inzwischen haben alle Landeskirchen Beauftragte für das Fundraising benannt, seit 2009 gibt es ein gemeinsames Serviceportal (www.fundraising-evangelisch. de) und 2010 wurde im Auftrag der EKD die »Servicestelle Fundraising und Stiftungswesen« eingerichtet, die bei der Fundraising Akademie angegliedert ist.
An erster Stelle der Spenden-Instrumente stehen mit ca. 32 Prozent die regelmäßigen Spenden, welche fast überwiegend in Form von Mitgliedsbeiträgen an Fördervereine gezahlt werden. Allein auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) gibt es über 200 Kirchbaufördervereine, die sich für die Erhaltung und Sanierung unserer Kirchengebäude einsetzen. Hinzu kommen Fördervereine für Kindertagesstätten, Schulen und für viele andere Einrichtungen und Werke. Durch den Mitgliedsbeitrag, der als Sonderausgabe auch steuerlich geltend gemacht werden kann, unterstützen die Fördervereine die Aufgaben der Kirchengemeinden oder Träger von Kitas, ohne selbst Eigentümer zu sein. Sie sind also gemeinnützig tätig, ohne einen Eigennutz für den Verein zu haben.
Was sind die wichtigsten Praxisformen? Viele haben schon einmal das Sprichwort gehört »Das Geld liegt auf der Straße, man brauch es nur aufheben!«. Aber ganz so einfach kommt man nicht an Geld bzw. Spenden. »Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt!«, lautet ein wiederum ein Sprichwort des griechischen Dichters Hesiod. Er wusste schon 700 Jahre v. Chr., dass man Erfolg nicht geschenkt bekommt. Damit wir im Fundraising auch erfolgreich agieren, benötigen wir nicht nur die richtigen Instrumente sondern vor allem eine Strategie. Bevor ich losgehen kann, um Spenden einzuwerben, muss ich mir erst einmal des Zieles bewusst werden, welches ich erreichen möchte.
Auf Platz zwei im Ranking der erfolgreichsten Spenden-Instrumente liegt trotz des Internets immer noch der persönlich adressierte Spendenbrief. Ungefähr 27 Prozent aller Spenden werden in Deutschland immer noch per Brief eingeworben. Auch der Gemeindebeitragsbrief ist prinzipiell ein Spendenbrief. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland ungefähr 4,16 Mrd. Euro Spenden gesammelt.
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Praxisfelder
Ein Spendenbrief bestehend meist aus dem Kuvert, einem Anschreiben, einer Beilage sowie dem Überweisungsträger. Damit ein sogenanntes Mailing erfolgreich ist und auch die gewünschten Spenden erbringt, müssen möglichst viele Briefe versendet werden. Um neue Adressen zu akquirieren, können eigene Festveranstaltungen genutzt werden, bei denen man Menschen direkt anspricht. Eine weitere Möglichkeit ist der unpersönliche Brief, der z. B. einer Zeitung beigelegt wird oder als Postwurfsendung verteilt wird. Der Vorteil von Spendenbriefen ist, dass man effizient über die eigene Organisation informieren kann. Sie eignen sich aber eher für das Einwerben von kleineren Spendensummen. An dritter Stelle mit knapp 10 Prozent stehen in Deutschland noch immer Spenden über Kollekten und andere Sammlungen. Auch das ist noch ein hoher Anteil. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe weiterer Instrumente, welche für das Fundraising relevant sind. Dazu gehören Anlassspenden, Benefizveranstaltungen, Lotterien und Tombolas, Geldauflagen, Merchandising, Stiftungen oder auch das Online-Fundraising. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Immer wieder kommen auch neue Methoden zur Anwendung.
men aus. Aber dieses Fundament beginnt zu bröckeln. Durch die schwindenden Gemeindegliederzahlen werden die Kirchensteuereinnahmen in absehbarer Zeit sinken. Immer mehr Aufgaben stehen auf dem Prüfstand. Was kann und will sich unsere Kirche noch leisten? Die Einnahmen gehen zurück, zugleich steigen die Kosten in allen Bereichen. Zusätzliche Mittel müssen akquiriert werden. Für viele Kirchengemeinden stellt sich deshalb gar nicht die Frage, ob man sich im Fundraising betätigt, sondern wie man dies erfolgreich tut. Fundraising muss zu einer Kernaufgabe werden, wenn man die Arbeit der Kirche auf ein solides, zukunftsorientiertes finanzielles Fundament stellen will. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch, dass über FundraisingMaßnahmen, über die Kommunikation der kirchlichen Anliegen, Menschen (wieder) erreicht werden, die den Kontakt zur Kirche verlieren bzw. die ihn schon verloren haben. Neben der Werbung um Spenden geht es in erster Linie um den Kontakt zu den Menschen! Was vielen Menschen auch gar nicht so bewusst ist: Kirchliches Fundraising ist kein neues Aufgabenfeld. Schon immer wird in den christlichen Gemeinden Fundraising praktiziert. Der Apostel Paulus war quasi der erste Fundraiser auf Erden und ist als Missionar und Gemeindeorganisator sehr pragmatisch mit Geld umgegangen. Eine seiner ersten Fundraising-Maßnahmen war die Kollektensammlung für die Ortsgemeinde in Jerusalem. Diese Verpflichtung war er eingegangen, um Freiheit für seine Mission bei allen Völkern zu gewinnen. Bei Paulus gab es keinen Gegensatz zwischen Geld und Geist. Paulus kann uns zwar kein Finanzsystem vorschreiben, aber sein Umgang mit Geld sollte uns anregen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Einstellung wir generell zum Thema Spenden haben. In Deutschland ist dieser Begriff noch sehr negativ besetzt. Unsere Kirche kommt eher aus einer Tradition des Bittens. Wir bitten um den Gemeindebeitrag, wir bitten um die Sonntagskollekte … In den USA findet man eine andere Einstellung in der Gesellschaft vor. Hier ist der Begriff Fundraising bzw. das Spendensammeln mit positiven Assoziationen der Beteiligung und Mitverantwortung verbunden. Er steht für Eigenverantwortlichkeit, für Solidarität und für Selbsthilfe. Sicherlich wird sich bei uns ein solcher Paradigmenwechsel nicht von heute auf morgen vollziehen. Zu sehr herrscht bei vielen Menschen in Deutschland die Meinung vor, dass der Staat und die großen Institutionen wie die Kirchen für Bildung und Erziehung, für die Kinder- und Jugendhilfe, die Altenhilfe sowie das Gesundheits- und Wohlfahrtswesen verantwortlich sind. Das Gespräch führte Dorothee Schneider.
Ist denn jede Methode für die Kirche und ihre Ziele geeignet, oder gibt’s da auch Grenzen? Fundraising und Kirche – für viele Menschen passen diese beiden Begriffe auf den ersten Blick gar nicht zusammen. Den großen Kirchen in unserem Land wird immer wieder ein gewisser Wohlstand unterstellt. Oftmals wird diese Meinung mit den hohen Kirchensteuereinnahmen, den Staatsleistungen und den kirchlichen Besitztümern begründet. Tatsächlich macht die Kirchensteuer zirka 70 Prozent aller kirchlichen Einnah-
Literatur:
Haibach, Marita (2006), Handbuch Fundraising – Spenden, Sponsoring, Stiftungen in der Praxis, Frankfurt/Main, 20.
Dirk Buchmann ist Beauftragter für Fundraising im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeldeutschland (EKM), Erfurt.
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Das Jugenddankopfer Jugendliche der Evangelischen Jugend sammeln Spenden für Jugendliche Silke Hansen
Die Jugendlichen der Projektgruppe des Jugenddankopfers setzen sich intensiv mit der Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen und den jeweiligen Bedingungen im Projektland auseinander und erstellen Informationsmaterialien. Sie kommen mit anderen Jugendlichen in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen ins Gespräch und ermutigen sie, sich ebenfalls mit dem Projekt zu beschäftigen und eine eigene Aktion mit Spendensammlungen durchzuführen. Das »Jugenddankopfer« ist in verschiedenen Landeskirchen ein Spendensammlungsprojekt der Evangelischen Jugend. In der Evangelischen Jugend Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz (ejbo) wird bereits seit 1956 für Projekte gesammelt. Allen Spendensammlungen ist gemeinsam, dass Jugendliche aufgrund ihrer christlichen Überzeugung mit ihrem Engagement und häufig auch mit ihrem
eigenen Taschengeld andere Kinder und Jugendliche fernab ihrer eigenen Heimat unterstützen wollen. Der Begriff »Jugenddankopfer« löst manchmal Irritationen aus. Im ersten Moment klingt er für viele Jugendliche und Erwachsene, die das Jugenddankopfer noch nicht kennen, wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Aus jugendlicher Perspektive ist allein die Zeitspanne dieser Aktion von über 67 Jahren erstaunlich. Darüber kommen die Jugendlichen der Evangelischen Jugend dann mit anderen Jugendlichen bei Informationsveranstaltungen ins Gespräch. Sie sprechen darüber, warum sie für Jugendliche in Afrika Geld sammeln, obwohl es doch auch nicht allen Jugendlichen in Deutschland gut geht. Sie erklären, dass Jugendliche selbst die Projekte auszuwählen und warum sie davon überzeugt sind, dass die Spenden gut bei den Mädchen und Jungen ankommen werden.
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Praxisfelder
Sie berichten darüber, was das Engagement bei ihnen selbst auslöst: Dankbarkeit und Wertschätzung für die eigenen Lebensbedingungen, aber auch Nachdenken und intensivere Auseinandersetzung über Gott und den eigenen Glauben. Und sie bitten ihre Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, das Materialheft zur weiteren Information anzusehen und selbst in der eigenen Gemeinde mit einer Aktion auf die Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen, für die gesammelt wird, hinzuweisen und Spenden zu sammeln. Zum Glauben gehört schon immer neben dem Gebet auch das praktische Tun. Das Jugenddankopfer ist eine Gelegenheit, dass Jugendliche konkret Verantwortung für andere übernehmen. Neben dem Einwerben von Geld wird sich anhand von Material auch inhaltlich mit dem konkreten Projekt beschäftigt. Über das Jugenddankopfer wird in Jugendgruppen, Schulklassen und Jungen Gemeinden informiert. Es ist als entwicklungspolitisches Projekt auch ein kleiner, aber wichtiger Beitrag für eine gerechtere Welt. In jüngerer Zeit kooperieren dabei die Evangelische Jugend Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und die der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Gemeinschaftlich haben sie in der vorigen Aktion über 16.000 Euro für das Bildungsprojekt »Himmelskinder« in Brasilien gespendet. Es war ein toller Erfolg: Das Jugendhaus für Straßenkinder der Kleinstadt Arraial d’Ajuda in Brasilien konnte so nicht zuletzt mit dem Geld des »Jugenddankopfers 2012 Filhos do Céo« durch den Träger erworben werden. Bei der Auswahl kommen im Prinzip Projekte aus der ganzen Welt infrage. Wichtig sind das Bestehen guter Kontakte und die Kenntnis der Bedingungen vor Ort. Der einbringende Kirchenkreis bzw. die einbringende Gruppe sollte zur Mitarbeit in einer kleinen Aktionsgruppe bereit sein, die das Jugenddankopfer begleitet und Material entwickelt. Weitere Kriterien sind: ➥ Das Projekt trägt sich von selbst, ist also nicht vom JDO abhängig. ➥ Es beschäftig t sich mit K indern oder Jugendlichen. ➥ Der Kontakt zu einer Jugendgruppe, die sich vor Ort für das Projekt engagiert, kann hergestellt werden, damit Entwicklungszusammenarbeit entstehen kann. Die Evangelische Jugend veröffentlicht eine Ausschreibung und bittet darum, Vorschläge für Projekte einzureichen. Die Entscheidung, für welches Projekt das Jugenddankopfer gesammelt wird, treffen bei diesem Kooperationsprojekt die Landesjugendversammlung BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz und der Landesjugendkonvent der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands.
Auch die Durchführung liegt in den Händen der Jugendlichen. Eine Projektgruppe erarbeitet die Inhalte des Materialheftes, holt Erkundungen zum Projekt und zum Leben der Kinder und Jugendlichen vor Ort ein und unterstützt Jugendgruppen in den örtlichen Kirchengemeinden bei der Durchführung eigener Aktionen. Das Jugenddankopfer bietet ehrenamtlichen und beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Gemeinde und Schule die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden und mit einer Gruppe eine Spendensammlungsidee zu entwickeln und durchzuführen.
Silke Hansen ist Jugendbildungsreferentin der Evangelischen Jugend Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz (EJBO) und Studienleiterin für Jugendarbeit im Amt für kirchliche Dienste der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).
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Geld und Konsum Werte im Wandel Waltraud Waidelich
Die Themen Geld und Konsum sind beständig in den Medien präsent. »Geld« beschäftigt uns seit dem Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise im Jahr 2008 fast täglich. Auch der Konsum ist in mehrfacher Hinsicht Thema in den Medien. Manchmal berichten die Nachrichten, dass die Konsumgüternachfrage stabil sei. Das ist zum einen beruhigend, weil es bedeutet, dass die Wirtschaft floriert und unsere Arbeitsplätze sicher sind. Auf ganz andere Weise werden wir mit unserem Konsum konfrontiert, wenn die »Geiz-istgeil«-Mentalität der Verbraucherinnen in Dokumentationen und Talkshows angeprangert wird und an ihre Macht zur Rettung des Klimas und der Welt appelliert wird. Menschen möchten sich in der Regel mit den geltenden Werten konform fühlen. Die Werte und Orientierungen in Bezug auf Geld und Konsum sind allerdings zurzeit im Wandel begriffen und eben auch widersprüchlich. Das auf Massenproduktion und -konsum beruhende Wirtschaftssystem der Nachkriegszeit wird auch Fordismus genannt. Henry Ford hat erkannt, dass es rentabler ist, Autos in Masse zu produzieren und zu verkaufen, und dass die Arbeiter dafür auch genug verdienen müssen. So ist ein Wirtschaftsgebilde
entstanden, in welchem die Konsumenten sich durch Konsum die eigenen Arbeitsplätze schaffen. In diesem System haben alle ihre Rolle und die Konsumentinnen konsumieren reinen Gewissens. In der Finanzkrise 2009 wurde der Kauf von neuen Autos sogar subventioniert, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Unternehmen produzieren, treiben Handel und verdienen Geld, das idealerweise wieder in Investitionen und in den Konsum fließt. Wenn Produktion und Konsum in Balance sind, herrscht eine volkswirtschaftliche Lehrbuch-Idealsituation, was allerdings in einer globalisierten Wirtschaft wie seit den 1980er Jahren nicht mehr so leicht umzusetzen ist. Die Kunst der Politiker und Ökonominnen sollte darin bestehen, Bedingungen zu schaffen, dass alle diese Größen (Produktion, Konsum, Investition oder auch die Menge an Geld) im Kreislauf in einem ausgeglichen Fluss zueinander stehen und dabei noch Geldwertstabilität herrscht. Diese Zeit des harmonischen Kreislaufs verbinden die Älteren unter uns mit Ludwig Erhard, dem Wirtschaftsminister und Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er/60er Jahren. Krisen und damit Arbeitslosigkeit entstehen, wenn die Balance von Geld, produzierten Gütern
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und Konsumgüternachfrage ins Ungleichgewicht gerät. Einige Ökonomen sehen den Grund der derzeitigen Krise im zu niedrigen Konsum, bedingt durch zu niedrige Einkommen und Sozialleistungen. Wir sind im Postfordismus angekommen. Die Einkommen, die für den Konsum zur Verfügung stehen, sind abgeschmolzen. Gleichzeitig leben wir in einer Arbeits- und Konsumgesellschaft. Einige können sich Konsum leisten, andere nicht. Der bekannte zeitgenössische Soziologe Zygmunt Baumann spricht in seinem Buch »Leben als Konsum« darüber, dass wir von einer Produzentenzu einer Konsumentengesellschaft geworden seien. Konsum sei unser Leben, mache uns aus: ›Ich shoppe, also bin ich‹. Die soziale Zugehörigkeit drücke sich durch bestimmte Konsumartikel aus. Wer zu bestimmten Gruppen gehören wolle, müsse mit den symbolischen Zugehörigkeitszeichen dieser Gruppen, sprich entsprechenden Markenartikeln, aufwarten können. Baumann sagt sogar, wir müssen uns ständig selbst als Konsumgüter anbieten und entsprechend ausstatten, indem wir unsere Arbeitskraft, unsere Talente, unser Aussehen etc. am Markt anböten, in Partnerbörsen, Internetportals, am Arbeitsmarkt. Wir existieren und würden anerkannt dadurch, dass wir genug Geld haben,
um in bestimmter Weise zu konsumieren. Wir werden ständig als Konsumenten aufgerufen und angesprochen, um die Konjunktur anzukurbeln, um etwas darzustellen. Viele Menschen können inzwischen mit den Konsumansprüchen nicht mithalten, weil ihre Einkommen das nicht hergeben. Sie fühlen sich defizitär in einer auf Konsum basierenden Gesellschaft. Der Zusammenhang von Arbeit und Konsum und die Veränderung des Menschenbildes hin zum ökonomisch rational handelnden Konsumenten hat mittlerweile fatale Folgen für das Klima und zerstört unsere Lebensgrundlagen. Die industrielle und Konsumgüterproduktion bedarf der produktiven Kraft der Natur, die nicht unendlich ausbeutbar ist oder sich als Senke für unsere Abfälle eignet (Biesecker/Hofmeister 2006). Unsere Rolle als Konsumenten, auch um die Volkswirtschaft in Gang zu halten, steht zunehmend durch die Wachstumskritik infrage. Die Bedingungen, unter denen andere Menschen unsere Konsumgüter herstellen, werden mehr und mehr durch Kampagnen und Dokumentationen offengelegt. Sie sind unmenschlich. Von den Konsumenten wird nun verlangt, durch strategischen Konsum die Welt zu retten. Der ethische Konsum hat Konjunktur. Das kostet noch
mehr Geld und bedeutet zugleich den Abschied vom Prinzip des Discount. Am Anfang der Konsumgesellschaft standen Vertreter alten Schlages wie die Brüder Albrecht (Aldi): Sie sind mit Fleiß und Sparsamkeit groß geworden. Sie sind Beispiele für die Unternehmertypen, die der Soziologe Max Weber in seinem Aufsatz »Asketischer Protestantismus und kapitalistischer Geist« beschrieben hat. Bescheidenheit, Verzicht und Sparsamkeit waren in der aufkommenden Industrialisierung die Voraussetzungen für die Bildung von Kapital und Unternehmertum. Insbesondere auf das Selbstverständnis von Unternehmern protestantischer Gesinnung war die These Webers gemünzt. Danach führte der Protestant ein Gott gefälliges Leben, wenn er kein Geld in übermäßigem Konsum verschwendete und hart arbeitete. Das heutige Prinzip Discount dagegen spricht die Sparsamkeit in den Kundinnen an und hat damit die Massenkonsum- und Wegwerfgesellschaft begründet. Viele Menschen konsumieren heute sparend. Es ist ihnen anerzogen, auf's Geld zu schauen. Für manche Ältere wäre es Geldverschwendung, nicht die billigsten Lebensmittel beim DiscountMarkt einzukaufen. Es scheint, als ob sich im Discountprinzip das protestan-
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tische Sparsamkeitsethos mit dem fordistischen Konsumenten verbunden hat. Man darf konsumieren, sich etwas gönnen, muss aber dabei sparen. Massenkonsum ist aber auch Verschwendung von ökologischen und ökonomischen Ressourcen z. B. durch das Wegwerfen bei gleichzeitiger Sparsamkeit. So wird viel Geld angespart und verdient von den Discountunternehmern. Viel Geld wird interessanterweise durch Kredit für Konsum oder Investitionen geschaffen. Das Geld entsteht bei den Banken, wenn wir einen Kredit aufnehmen. Kredit kommt von credere: glauben. Das meint, Banken glauben an die Rückzahlung des verliehenen Geldes. In früheren Zeiten gab die Religion den kulturellen Nährboden für die Glaubwürdigkeit des Geldes, sagt Christina von Braun in ihrem hochinteressanten Buch »Der Preis des Geldes«. In der Fachsprache wird der Vorgang des Geldentstehens durch Kredit Geldschöpfung genannt. Der Kredit verschwindet wieder aus der Bilanz der Bank, wenn er zurückbezahlt wird, und damit aus dem Geldkreislauf. Solange wir also glauben, dass noch Geld aus dem Bankautomaten kommt, wird es fließen. Verlieren wir den Glauben an das Geld, bricht das System zusammen. Wenn wir unsere Ersparnisse
anlegen, vergeben wir Kredite und glauben damit den Informationen der Anlageberater und den Hochglanzbroschüren. In Fonds vergeben wir Kredite für Investitionen in Projekte, die vielleicht einmal ertragreich sein werden, von denen wir nicht wissen, wie sie auf Menschen und Schöpfung wirken. Wir glauben, meist ohne substanzielle Informationen. In Anleihen leihen wir Banken, Landesbanken, Staaten oder Unternehmen unsere Ersparnisse. Wir glauben, dass wir sie verzinst zurückerhalten. Sollten wir das angesichts der bereits angehäuften Schulden von Staaten oder Landesbanken wirklich? In seinem viel beachteten Buch »Schulden – Die ersten 5000 Jahre« sagt David Graeber, dass Geld die Religion ersetzt habe. Was kommt, wenn der Glaube an das Geld verloren geht und Irgendeine laut sagt, dass der Kaiser nackt ist und unsere vergebenen Kredite nie mehr zurückgezahlt werden können, dass wir den Konsum von mehreren Generationen vorweggenommen haben, um die Banken im Jahr 2009 vor dem Zusammenbruch zu retten? Ein grundlegendes Umdenken in Bezug auf unser Verbraucherverhalten und die
Geldwirtschaft, unser Verständnis von Ökonomie und damit auch auf den Glauben an das Geld steht uns bevor. Was folgt auf die Konsum- und Geldgesellschaft? Welche Werte werden uns in Zukunft bestimmen? Die Pioniere eines neuen, anderen Wirtschaftsverständnisses denken bereits über alternative Geldund Wirtschaftskonzepte nach. Zeiten des Wandels und Umbruchs von Werten, die wir für selbstverständlich halten, stehen bevor. Die Schöpfung scheint mir ein Kredit Gottes an uns Menschen zu sein. Gott glaubt uns, dass wir sie bewahren und erhalten werden. Dazu gilt es, Werte wie Geld, Glauben, Konsum und Arbeit komplett neu zu überdenken. Literatur: Biebecker, Adelheid/Hofmeister Sabine (2006), Die Neuerfindung des Ökonomischen, München
Waltraud Waidelich, Diplom-Sozialökonomin, ist Referentin für Feministische Ethik im Frauenwerk der Nordkirche.
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Verschuldung g n u d l u h c s r e b un d Ü essionel Schuldnerberatung als prof
les Angebot
Johannes Spenn
Wer über Geld redet oder schreibt, kann zu Schulden, zu Verschuldung und Überschuldung nicht schweigen. Schulden zu machen ist heute völlig normal und so wenig neu wie das Problem ihrer Tilgung. Schriftliche Zeugnisse dazu finden wird nicht erst in Texten im Alten und Neuen Testament, sondern in wesentlich älteren Texten.
Wie sehr das Thema Verschuldung und Überschuldung uns als Einzelne und als Gesellschaft beschäftigt, erfahren wir täglich neu zum Beispiel in den Diskussionen über die finanzielle Situation, die Einnahmemöglichkeiten und das Ausgabeverhalten von Kommunen, Bundesländern und ganzen Staaten (Bundesrepublik). Wir können es ablesen an den Auseinandersetzungen über deren Zahlungs(un)fähigkeit und die folgende Zwangsverwaltung, über die Entwicklung von Programmen zur Gewährleistung (begrenzter) Zahlungsfähigkeit, die »Rettungsschirme« im Großen und die völlig anderen Diskussionen und politischen Beschlüsse, wenn es um die Verschuldung oder Überschuldung von (einkommensschwachen) Privatpersonen geht. Dazu gehören zum Teil sehr grundsätzlich geführte und dann erweiterte Diskussionen sowie Themen wie die Frage nach der Höhe existenzsichernder Löhne und Gehälter oder die notwendige Höhe staatlicher Transferleistungen (Alg II/ Regelsatz) und das Konsumverhalten Kindern und Jugendlichen, von Einzelnen, Familien usw.
Hauptauslöser Die Aufnahme von Krediten privater Haushalte hat sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zu einer üblichen und allgemein akzeptierten Handlungsweise entwickelt. Für viele Menschen sind der Hausbau oder der Erwerb einer Eigentumswohnung, die Anschaffung eines Autos oder einer neuen Wohnungseinrichtung ohne Kredite nicht durchführbar. Die Aufzählung ließe sich mühelos erweitern auch um bestimmte Heil- und Hilfsmittel wie Brillen oder Zahnersatz usw. Für Haushalte mit regelmäßigem, monatlichen Erwerbseinkommen stellt die Rückzahlung der aufgenommenen Kredite im Normalfall keine Schwierigkeit dar. Vor allem unvorhergesehene Ereignisse wie Arbeitslosigkeit, gescheiterte Immobilienfinanzierungen, gescheiterte Selbständigkeit, Trennung, Scheidung oder der Tod der Partnerin oder des Partners, Erkrankungen oder Suchtverhalten können das ganze System der geordneten Kredit-
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tilgung gefährden bzw. unmöglich machen. Bei den Gründen für die Überschuldung privater Haushalte steht die Arbeitslosigkeit nach wie vor an erster Stelle. Immer mehr Menschen sehen aber die Ursachen für ihre Überschuldung inzwischen in unwirtschaftlicher Haushaltsführung. Vor allem junge Erwachsene geben diesen Grund häufig als Hauptauslöser an. Auch dauerhaft geringe Einkommen können im Zusammenhang mit der Aufnahme von Krediten zu Überschuldung führen. Bestimmte Kreditinstitute bieten Privatverbrauchern immer wieder in unverantwortlicher Art und Weise durch entsprechende Formen der Werbung scheinbar billige Kredite an, aber auch seriöse Banken zögern bei bestimmten Kunden mit dem Angebot und der Gewährung von Krediten nicht. Die Werbestrategien unterschiedlichster Leistungsanbieter tun ein Übriges. Um dem vermuteten oder erlebten sozialen Gruppendruck in der Schuldklasse, in der Jugendgruppe oder im Freundeskreis zu entsprechen, um also dazuzugehören, wird unter Jugendlichen zum Beispiel das Tragen bestimmter Kleidermarken und der Besitz eines Handys als entscheidend erlebt. Dies ausnutzend und anheizend richtet sich seit einigen Jahren das Interesse der Werbung immer mehr auf Kinder und Jugendliche. Kinder zählen heute zu den wichtigsten Konsumentengruppen und werden deshalb als bevorzugte Zielgruppe von Werbestrategien frühzeitig und intensiv angesprochen. Zudem treffen sie als Konsumenten auf eine immer komplexere Warenwelt.
Definition von Verschuldung und Überschuldung Beide Begriffe werden im alltäglichen Sprachgebrauch synonym verwendet. Ich werde hier nicht die Fachdiskussionen zur Definition der beiden Begriffe nachzeichnen. Die allgemeinste und einfachste Definition für Verschuldung: Unter Verschuldung versteht man jede Form des Eingehens von Zahlungsverpflichtungen. Das Eingehen von Zahlungsverpflichtungen durch die Kreditaufnahme ermöglicht also die Realisierung von Ausgaben im Vorgriff auf künftig zu erwartendes Einkommen. Dazu kann neben der Realisierung von Investitionen die Erhöhung des täglichen Konsums, also des Lebensstandards, aber auch die Tilgung von (alten) Krediten gehören. Eine gesetzliche Definition für Überschuldung finden wir in der Insolvenzordnung, wobei hier bei Privatpersonen von Zahlungsunfähigkeit gesprochen wird. In § 17 (2) der Insolvenzordnung (InsO) heißt es: »Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Re-
gel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.« In Erweiterung der Definition in der InsO wird Überschuldung von bestimmten Autoren ergänzt um die Einnahme- und Ausgabensituation des Schuldners. Danach liegt eine Überschuldung dann vor, wenn nach Abzug der Lebenshaltungskosten das verbleibende Einkommen nicht mehr ausreicht, um die eingegangenen Zahlungsverpflichtungen zu begleichen. Man kann unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Überschuldung nicht nur eine finanzielle Dimension hat, auch sagen, dass Überschuldung dann vorliegt, wenn sich ein Mensch psychisch und finanziell überfordert fühlt, seine Schulden zurückzuzahlen (subjektive Überschuldung), dass trotz der Reduzierung des Lebensstils nach Abzug der Lebenshaltungskosten wie Miete und Energie (»Primärschulden«), Versicherungen, Grundnahrungsmittel usw. die verbleibenden Mittel nicht zur termingerechten Schuldentilgung ausreichen (relative Überschuldung), dass absolute Überschuldung vorliegt, wenn Einkommen und Vermögen des Schuldners nicht ausreichen, um die bestehenden Verbindlichkeiten zu decken (Insolvenz). Überschuldung ist also kein eindimensionales Geschehen, sondern wirkt sich auf das gesamte Leben des Überschuldeten und sein persönliches (Partnerschaft, Kinder, Freunde usw.) und weiteres Umfeld bis hin zum Arbeitsplatz aus. Sie führt zu psychosozialer Destabilisierung und zur Veränderung des materiellen Lebensstandards, sie kann den sozialen Status und das psychische und physische Wohlbefinden negativ beeinflussen. Durch die Überschuldung bedingter ökonomischer Stress kann zu physischen Krankheitserscheinungen und vermehrtem Alkohol- und Nikotinkonsum führen, er kann sich auf die Aggressionsbereitschaft auswirken, depressive Episoden befördern. Letztlich bleiben auch die Kinder, egal wie alt, nicht unverschont von den finanziellen Schwierigkeiten und ihren Auswirkungen. Dies kann sich ebenfalls in physischen und psychischen Problemen niederschlagen, im Leistungsabfall in der Schule, in Verhaltensauffälligkeiten, in sozialer Isolation oder Anfälligkeit für Drogenkonsum. Stabile Partnerschaften und die Einbindung in soziale Netzwerke gelten als ein wichtiger Schlüssel für die tägliche Problembewältigung. Sie können jedoch nicht die professionelle fachkundige Beratung durch anerkannte Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater ersetzen! Ohne das Angebot qualifizierter und kostenfreier Schuldnerberatung haben immer weniger überschuldete Menschen eine Chance, die sich für sie und ihr soziales Umfeld aus der Überschuldung ergebenden finanziellen und nachfolgenden Probleme zu lösen.
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Schuldnerberatung als professionelles Beratungsangebot Die Anfänge der Schuldnerberatung als professionelles Beratungsangebot fußen in der Beratung von Randgruppen wie Strafgefangenen, Strafentlassenen und Obdachlosen. Die Anfänge der Schuldnerberatung als eigenständiger Bereich der Sozialen Arbeit liegen Ende der 1970er Jahre. Gründe für die zunehmende Notwendigkeit von Schuldnerberatung waren die steigende Arbeitslosigkeit seit 1980, die gleichzeitigen staatlichen Kürzungen im Sozialleistungsbereich und die Senkung der Löhne. Diese Entwicklung ging einher mit einer zunehmenden Akzeptanz der privaten Kreditaufnahme. Seit Ende der 1970er Jahre entwickelte sich die Schuldnerberatung immer mehr zu einem interdisziplinären Arbeitsfeld. Sowohl Sozialwissenschaften als auch Sozialpädagogik, Ökonomie und Rechtswissenschaften gewannen mehr und mehr an Bedeutung für die weitere Entwicklung. Die Beiträge der Sozialpädagogik konzentrierten sich dabei vor allem auf die psychosozialen Folgen von Schulden und Überschuldung. Die Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens am 1. Januar 1999 eröffnete ein weiteres Betätigungsfeld der Schuldnerberatung, die Insolvenzberatung. Diese impliziert die Information, die Beratung und die Unterstützung von Schuldnern auf ihrem Weg zur Restschuldbefreiung. Ergänzend zur Schuldnerberatung wurden in den letzten Jahren vermehrt Programme zur finanziellen Allgemeinbildung erarbeitet. Auf Anfrage der Bundesregierung hat das Institut für Finanzdienstleistungen (iff) beispielsweise einen Ansatz zur finanziellen Allgemeinbildung zur Armutsprävention entwickelt. Die Möglichkeiten professioneller Schuldnerberatung kann das folgende Fallbeispiel illustrieren: Ein damals 30-jähriger, arbeitsloser Bauarbeiter – sonst mit bundesweiter Montagetätigkeit unterwegs – suchte 2009 Hilfe in unserer Beratungsstelle, da aktuelle Miet- und Energieschulden (sanktionsbelegte Primärschulden), Schulden im Telekommunikationsbereich, bei der GEZ – insgesamt Schulden bei ca. 15 Gläubigern – aufgelaufen waren. Die Energieversorgung hatte bereits die Stromzufuhr gesperrt. Seine Schulden entstanden durch Arbeitslosigkeit, unwirtschaftliche Haushaltsführung, Sorglosigkeit, fehlende finanzielle Allgemeinbildung und Unordnung. Die Primärschulden und einige andere Kleinschulden wurden beseitigt. Wegen Nichteinhaltung von Terminen – fehlender Mitwirkung – stellten wir aber 2010 die weitere Beratung nach kleinen Erfolgen ein. 2013 – jetzt 34-jährig – als werdender Vater – kam Herr H. freudestrahlend und hochmotiviert wieder zu uns mit seiner Lebensgefährtin. Er möchte unbedingt, dass sein Kind ohne Beeinträchtigung von Schuldnersanktionen aufwachsen kann, er möchte eine kleine Familie gründen und mit unserer Hilfe
seine Schuldensituation abschließend klären und regulieren. Seither arbeitet er aktiv an unseren gemeinsam vereinbarten Zielen mit. Ein Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens konnte gestellt werden und unserem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan hat auch die Hälfte der Gläubiger zugestimmt. Dem wirtschaftlichen Neuanfang steht nun nichts mehr im Wege. Schuldnerberatung wird angeboten durch Beratungsstellen in Trägerschaft der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und zum Teil durch die Verbraucherzentralen und Kommunen. Die Angebote der Beratung durch Freie Träger unterscheiden sich von denen anderer Anbieter u. a. dadurch, dass sie kostenfrei sind. Ausdrücklich zu warnen ist vor Beratungsangeboten gewerblicher Anbieter! Schuldnerberatung gliedert sich in die Bereiche 1.) soziale Schuldnerberatung/ Schuldner beratung gemäß SGB II und SGB XII, 2.) Verbraucherinsolvenzberatung sowie 3.) Prävention.
1.) Die soziale Schuldnerberatung versteht
sich als persönliche Hilfe für Menschen in wirtschaftlicher Not. Sie wird als ganzheitliche Hilfe verstanden, die den überschuldeten Menschen und ebenso sein soziales Umfeld berücksichtigt. Sie basiert auf Beratungsgrundsätzen wie – Freiwilligkeit, – Wahrung der Eigenverantwortlichkeit, – Verschwiegenheit und Vertraulichkeit, – fachliche Unabhängigkeit der Berater. Soziale Schuldnerberatung basiert auf den rechtlichen Grundlagen der Sozialgesetzbücher I, II und XII sowie des Rechtsdienstleistungsgesetzes. Die soziale Schuldnerberatung ist in den Beratungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege, der Verbraucherverbände sowie der Kommunen grundsätzlich gebührenfrei. Die Zuständigkeit für die Umsetzung des Beratungsanspruches und die Finanzierung liegt in der Verantwortung der Kommunen.
2.) Die Verbraucherinsolvenzberatung gibt
es seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999. Das Ziel der Beratung besteht in der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger bei gegebener oder drohender Zahlungsunfähigkeit des überschuldeten Menschen. Die Insolvenzberatung ist verfahrenstechnisch orientiert und eine Ergänzung der sozialen Schuldnerberatung. Insolvenzberatung auf der Grundlage des § 305 InsO ist den anerkannten geeigneten Stellen (zum Beispiel Schuldnerberatungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege und der Verbraucherverbände sowie der Kommunen) erlaubt, wenn sie von der je-
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weiligen Zulassungsbehörde anerkannt sind, und ist den geeigneten Personen (Rechtsanwälten, Notaren, Wirtschaftsprüfern) erlaubt. Die Übergänge zwischen der Schuldnerberatung gemäß den Sozialgesetzbüchern II und XII und der Verbraucherinsolvenzberatung sind im Einzelfall fließend. Nicht jeder Ratsuchende kann das Verbraucherinsolvenzverfahren nutzen. Die Zuständigkeit für die Umsetzung des gesetzlichen Anspruches und die Finanzierung der Beratungsleistung liegt bei den Bundesländern. Für »Armutsschuldner«, also Schuldner, die ihren Gläubigeren keinerlei finanzielle Angebot unterbreiten können, kommt eine Entschuldung durch das Verbraucherinsolvenzverfahren nicht in Betracht.
3.) Schuldenprävention: Wie oben erwähnt, lebt
unsere Gesellschaft vom Konsum. Die Steigerung der Lebensverhältnisse, der Reiz, immer mehr haben zu müssen, sind weit verbreitet und machen vor Kindern und Jugendlichen nicht halt. Ganz im Gegenteil. Dem stehen die real verfügbaren finanziellen Mittel und Möglichkeiten genauso wie Gruppenzwänge, der Zwang, einen bestimmten gesellschaftlichen Status vertreten zu wollen usw. entgegen. Schuldenprävention wird als ein wichtiger Baustein der Armutsprävention angesehen. Sie muss sich an Kinder und Jungendliche genauso richten wie an erwachsene Menschen. Unverständlicherweise erfährt die Prävention insgesamt in keinster Weise die notwenige politische Wertschätzung und Anerkennung. Das drückt sich darin aus, dass in den entsprechenden Förderrichtlinien der Kommunen und Bundesländer dafür nicht explizit Stundenanteile und eine entsprechende Finanzierung der Arbeit geregelt werden. So wird alle Präventionsarbeit, die zum Beispiel in Schulen oder bei Bildungsträgern geleistet wird, werden alle Vorträge zum Beispiel in Einrichtungen der Erwachsenenbildung praktisch nebenbei und zusätzlich erledigt.
Fazit Die Aufnahme von Krediten und die Verschuldung gehören zum festen Bestandteil unseres Lebens. Daher ist Schuldnerberatung ein unverzichtbares Beratungsangebot für immer mehr Menschen in Deutschland. Gleichzeitig unterliegt sie einem ständigen Rechtfertigungsdruck: Die Fallzahlen sind zu hoch, die Beratung ist zu teuer, die Wartelisten sind zu lang. Damit Schuldnerberatung qualitätsgerecht und nachhaltig wirkend angeboten werden kann, damit allen Ratsuchenden unabhängig von ihrer sozialen und sonstigen Lebenssituation der Zugang dazu möglich ist, müssen die vorhandenen Beratungsstellennetze ausgebaut und
auskömmlich finanziert werden. Dies gilt auch für präventive Angebote! Religions- und Gemeindepädagogen können wie Gemeindepfarrer und andere Mitarbeiter zum Beispiel in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern das Thema Geld und Konsum und ihre Funktionen für den Einzelnen und unsere Gesellschaft in unterschiedlichster Form bearbeiten (u. a. kompensatorischer Konsum, Kaufsucht, demonstrativer Konsum = Bedürfnis nach Anerkennung). Das Thema ist zu verknüpfen mit Fragen nach dem Sinn unseres Lebens, nach dem, was uns hält und trägt usw. Diese Bearbeitung des Themas kann mit Unterstützung örtlicher Schuldnerberatungsstellen vorbereitet und durchgeführt werden. Diese verfügen über entsprechendes Material und kennen Zugangswege (z. B. Internetadressen), über die entsprechende Anregungen und Materialien zu bekommen sind. Die Anschriften der Schuldnerberatungsstellen diakonischer Träger sind zu erfahren über die Diakonischen Werke der EKD-Gliedkirchen, die der anderen Wohlfahrtsverbände über deren Landesverbände. Der Zugang ist niedrigschwellig, das Beratungsangebot steht grundsätzlich jedem Ratsuchenden zur Verfügung. Abschließend ein weiterer Fall aus dem Alltag einer (diakonischen) Beratungsstelle: Die 18-jährige Frau N. wird schwanger, bezieht die erste eigene Wohnung, bekommt ihr erstes Kind. Sie lebt mit ihrer Familie von Hartz IV und hat keine Ausbildung. Die junge Familie ist auf sich allein gestellt. Die eigenen Eltern sind keine große Hilfe, da sie auf eine lange Schuldnerkariere zurückblicken. Der Haushalt muss geführt und das Kind muss versorgt werden. Der junge Vater ist ebenso unerfahren in der Haushaltsführung wie seine junge Frau. Auf den ersten Blick reichen Hartz IV, Kindergeld, Elterngeld und das Einkommen aus einem Aushilfsjob aus, einen eigenen Haushalt zu finanzieren. Die junge Familie sieht zunächst einmal nur ihr »Einkommen«. Sorglos – ohne auf Preise zu achten – wird in Supermärkten eingekauft. In der Wohnung fehlen noch diverse Einrichtungsgegenstände. Die Internetversandhändler bieten länger Zahlpausen an und später dann Ratenzahlungen. Ein eigenes schickes Handy wird angeschafft. Besuche bei Kosmetikerin, Frisör und Nageldesignerin nehmen einen festen Platz bei der Terminplanung ein. Das Kind wächst, benötigt neue Kleidung. Die junge Mutter wird durch schicke Kataloge zum Kauf verführt. Auch wird man von Hochglanzkatalogen oder Werbemails davon überzeugt, dass eine gute Mutter es ihrem Baby an nichts fehlen lässt. Nachdem die ersten 12 Monate recht gut überstanden sind, flattern Stromabrechnung sowie Betriebskostenabrechnung ins Haus – der Schock. Eine Nachzahlung von mehreren hundert Euro ist zu stemmen. Die erste Ratenzahlung wird vereinbart – und zwar recht hoch, damit die Schulden schnell bezahlt sind. Kurz nach Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarungen wollen nun auch die Versandhäuser ihr Geld. Zeitgleich geht die Waschmaschine kaputt. Diese kann nur über Ratenzahlung fi-
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nanziert werden. Und als ob das noch nicht genug ist, zieht der Partner aus. Es müssen entsprechende Meldungen ans Jobcenter gehen und die Bedarfsgemeinschaft endet. Plötzlich steht die junge Mutter allein da, hat weniger Geld zur Verfügung und muss die Kosten für die Wohnung (Versicherungen, höhere Abschläge für Strom und höhere Betriebskosten …) allein tragen. Es wird finanziell sehr eng. Um alles finanzieren zu können (Handyrechnung, Ratenzahlungen verschiedener Versandhändler, Nachzahlung von Strom und Betriebskosten), wird ein Dispositionskredit bei der Hausbank aufgenommen und zudem die Miete nicht gezahlt. Das Bewusstsein, dass zunächst die Wohnung und der Strom zu bezahlen sind, fehlt. Nun macht auch noch der Vermieter Stress. Eine nächste Ratenzahlung wird aufgenommen. So sind die ersten zwei Jahre auf eigenen Beinen verstrichen. Das Kind ist alt genug und der Alltag ist von finanziellen Sorgen überschattet. Nun schickt auch noch das Jobcenter die junge Mutter in eine Aktivierungsmaßnahme. Sie soll ja für eine Ausbildung fitgemacht werden. Beim Bildungsträger spricht die junge Frau erstmals über ihre Probleme. Mit Hilfe der dortigen Mitarbeiter wird ein Termin in der Schuldnerberatung vereinbart. Es kommt zum ersten Beratungstermin. Dieser dient nur dem ersten Kennenlernen und der Aufklärung, wie Zwangsvollstreckung abläuft, und der Aufklärung über die Schuldnerrechte. Aufgrund der fehlenden Ausbildung der jungen Frau sind die Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz äußerst gering, so dass als einzige Regulierungsmöglichkeit ein Insolvenzverfahren bleibt. Das Verfahren wird vollumfänglich erklärt. Um eine Nachhaltigkeit des Verfahrens zu gewährleisten, wird der jungen Frau zunächst dringend empfohlen, ein Haushaltsbuch zu führen und sämtliche Ratenzahlungen – bis auf Miete und Strom – einzustellen. Der Gerichtsvollzieher kommt und Kontopfändungen finden statt. Nach einem Referenzzeitraum von 1–2 Monaten erfolgt die nächste Beratung zur Kontrolle des Haushaltsbuches. Es folgen noch weitere Termine und dann wird die Beratung durch die
junge Frau nicht mehr in Anspruch genommen. Sie meldet sich nicht mehr. Nach Jahren hat meist ein zweites oder drittes Kind die Familie vergrößert. Das Interesse an einer Schuldenregulierung ist zunächst verschwunden. Ein Pfändungsschutzkonto wird eingerichtet und man lebt mit den Schulden, die da sind. Zumindest hat die junge Mutter gelernt, dass Miete und Strom unbedingt bezahlt werden müssen. Immerhin. Nach weiteren Jahren, die Frau ist Mitte bis Ende 20, wird das Schuldenproblem angegangen. Neue Schulden sind nicht entstanden, da durch negative Schufaeinträge dem Schuldenmachen Einhalt geboten wurde. Die Beratung kann erfolgreich abgeschlossen werden und ein Insolvenzverfahren wird beantragt. Die sechs Jahre dauernde Wohlverhaltensphase läuft gut, so dass endlich, mit Mitte 30, die Restschuldbefreiung erteilt wird. Ein neues Leben – reich an Erfahrungen und wichtigen Informationen für die eigenen Kinder – kann beginnen. Ja und dann nimmt der ehemalige Partner eine Beratung wahr. Er lebt immer noch von Hartz IV, hat nie länger gearbeitet und präsentiert einen Schuldenberg – und hohe Unterhaltsschulden. Denn auch die Unterhaltsvorschusskasse verlangt ihr Geld zurück.
Johannes Spenn, Sozialarbeiter (FH), ist Referent für Gesellschaftliche Integration im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Halle/Saale.
Zurückgeblättert zum Thema dieses Heftes in: Die Christenlehre 2/1949, U156
KOM PROMISSE IN GELDSACHEN (Mt 22,15-22) Widerwillig müssen sie ihm Rede und Antwort stehen und Auskunft darüber geben, was auf der Münze steht, und die Umschrift der Münze spricht ja eindeutig davon, dass der Kaiser göttliche Verehrung verdient, und symbolisiert die weltweite Macht des römischen Reiches und damit das Recht, Tribut zu erheben. (…) Wenn Jesus nun seine Gegner zwingt, aus ihrer eigenen Tasche diese Münze hervorzuziehen, so will er ihnen deutlich vor Augen führen, dass sie, da es sich um Geld handelt,
zu Kompromissen bereit sind. Er legt den Finger auf die Inkonsequenz ihrer Haltung, dass sie einerseits dieses so charakterisierte Geld gern einnehmen und bei sich tragen, aber dennoch die damit verbundene Anerkenntnis der römischen Macht und des Kaisers leugnen wollen. So radikal sie sich sonst gebärden, in Geldsachen sind sie zu Kompromissen bereit (…). Sie nehmen das Reichsgeld an und sind damit Nutznießer des Reiches. (…) Sie nehmen den Kaiserdenar mit sich bis in den Tempel.
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Schuldenprävention für Jugendliche Das Planspiel »Was was kostet« und Praxismaterialien »Geldkunde« Bettina Heine
Der verantwortungsvolle Umgang mit Geld ist eine Herausforderung an die sogenannte Multioptionsgesellschaft – für den Einzelnen mit einem Spektrum an Chancen, zugleich aber bisher nicht gekannten Risiken. »Zu den wachsenden Problemen gehören: Zunahme von Familien im unteren Einkommensbereich bis zu Überschuldung- und Verarmungskrisen, der Geburtenrückgang/ Überalterung der Gesellschaft, ökologische Selbstgefährdung durch nicht nachhaltige Produktions- und Konsummuster« (Piorkowsky 2011: 13).
Planspiel »Was was kostet« Das Projekt richtet sich an 16 - bis 19-jährige Jugendliche. Entwickelt wurde »Was was kostet«, um Jugendliche dabei zu unterstützen, sich auf die eigene Haushaltsplanung vorzubereiten. Die Mitspieler erhalten einen Überblick über die festen Ausgaben und sind gefordert, wenn es um die Einschätzung der Höhe dieser Beträge geht. Wichtige Tipps zur Budgetierung und Wissenswertes rund um das Thema werden den Teilnehmern spielerisch vermittelt. Bei dem Haushaltsplanspiel »Was was kostet« handelt es sich um eine Schuldenpräventionsmaßnahme der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin e. V.
»Geldkunde« Motivation für die erstellten Materialien sind die Erfahrungen aus der praktischen Beratungsarbeit mit ver- und überschuldeten Menschen mit dem Ziel,
einer Überschuldung vorzubeugen. Prävention in der Schuldnerberatung bedeutet, einen besseren Umgang mit den eigenen Finanzen zu vermitteln. Dies ist in Zeiten unsicherer Märkte, Verknappung der natürlichen Ressourcen, Umstrukturierung der Sozial- und Arbeitsbereiche eine ausgesprochen anspruchsvolle Aufgabe. Denn wer traut sich bei diesen ungewissen Perspektiven schon zu, über ein Besser oder Schlechter zu entscheiden? Bei der Entwicklung der Materialien zur »Geld- und Konsumkunde« setzen sich die Projektverantwortlichen für eine ökonomische Bildung bei Kindern und Jugendlichen ein, – die von der Lebenswirklichkeit im Alltag ausgeht, – sich an gesellschaftlichen und individuellen Schlüsselproblemen orientiert – und dabei Lernende mehrdimensional, multiperspektivisch und kontrovers zur Gestaltung einer lebenswerten Wirtschaft und Gesellschaft befähigt.
Leitgedanken, an denen sich die Arbeit an der Geldkunde orientiert hat, waren dabei: Ökonomische Bildung sollte damit beginnen, die Individuen im Kontext ihrer Privathaushalte als basale ökonomische Akteure in ihrer Lebenswelt zu sehen. Keine abstrakte Wissensvermittlung ohne Alltagsbezug. Der »homo oeconomicus« ist nicht existent (Kahnemann/Tversky »Neue Erwartungstheorie«, Wirtschaftsnobelpreis 2002, wonach – frei übersetzt – nicht rationales Verhalten keine Anomalie, sondern eher der Normalfall ist). Grundlagen für nachhaltiges ökonomisches Verhalten können und müssen daher gelegt werden. Das konservativ geprägte Bild der Wirtschaftsordnung, abgebildet im sogenannten Kreislaufsystem, eignet sich nicht zur Darstellung der aktiven und dynamischen Rolle, die dem privaten Wirtschaftsakteur und seinem Haushalt zukommt bzw. zukommen sollte. Aspekte wie Nachhaltigkeit, Knappheit der Ressourcen und vor allem Eigen-
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produktionsanteile werden darin nicht berücksichtigt. Herausgekommen und für den Unterricht oder für die Gruppenarbeit einsetzbar sind vier Module à ca. 90 Minuten (je nach Altersstufe anzupassen). Das Material ist medial aufgearbeitet und stellt neben den Unterrichtspräsentationen eingearbeitete Spiele, Trickfilme und einen Lehrfilm zur Verfügung (http:// www.geldkunde.de). Ziel der »Geldkunde« ist die Vermittlung elementarer Grundlagen zum Umgang mit den eigenen Finanzen. Der Schwerpunkt wird hierbei auf die Unterstützung für eine gelingende finanzwirtschaftliche Gestaltung des eigenen Haushalts junger Erwachsener beim Übergang in die wirtschaftliche Selbständigkeit mit Erreichen der Volljährigkeit gelegt. Neben der Erstellung geeigneter Unterrichtsmaterialien, die einen schnellen Einstieg für die Lehrkraft in die Materie bieten, sollen die Teilnehmer durch den Medieneinsatz (animierte Präsentation) zusätzlich für das Thema moti-
viert werden. Darüber hinaus ist durch die wissenschaftliche Begleitung seitens der Universität Bonn (Professur für Haushalts- und Konsumökonomik) gewährleistet, dass die vermittelten Lerninhalte dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Untersuchungen der Universität Bonn haben anhand von Vergleichsgruppentests (http://www.huk. uni-bonn.de/pdf-dateien/wirksamkeitsnachweiszum-projekt-geldkunde-2010) einen erhebli-
chen Kompetenzzuwachs (50 Prozent) bei den Teilnehmenden der »Geldkunde« nachweisen können. Bettina Heine ist Schuldnerund Insolvenzberaterin beim Diakonischen Werk Steglitz und Teltow-Zehlendorf e. V. Literatur: Heine, Bettina (2011), Vom Haushaltsplan zum Unternehmer in eigener Sache. In: Thomas Retzmann (Hg.): Finanzielle Bildung in der Schule. Mündige Verbraucher durch Konsumentenbildung. Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag (Didaktik der ökonomischen Bildung), 115–125. Meinhold, Marianne (2003), Einspareffekte durch die Schuldnerberatungsstellen in Berlin. In: Zeitschrift für soziale und sozialverwandte Gebiete, Jg. 52, H. 8, 2003, 302–305. Piorkowsky, Michael-Burkhard (2011), Alltags- und Lebensökonomie, Erweiterte mikroökonomische Grundlagen für finanzwirtschaftliche und sozioökonomisch-ökologische Basiskompetenzen, Göttingen.
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»Unser täglich Brot gib uns heute« – die Sache mit dem Haken Gutscheine für Brot, Wurst oder einen Teller Suppe Martin Krautwurst
Neben Hamburg gibt es die Aktion »Hakenbrot« auch in Eching, Landsberg, Halle, Albstadt-Tailfingen, Hanau, Moosberg, Erlach, Sörup, Laichingen und Lübeck. Die meisten dieser Städte verweisen auf Magdala in Thüringen. Diese Art Hilfsprojekt gibt es schon seit Langem, sowohl in der Türkei als auch in Italien. Es gibt viele verschiedene Variationen vom Hakenbrot, so dass die Urheberfrage schwer zu klären ist. Auf dem Foto: Suppe am Haken im Bistro Schumann in Magdala.
Martin Krautwurst ist Pfarrer in Magdala, Thüringen.
Seit gut drei Jahren können Bedürftige im Kirchspiel Magdala in Thüringen kostenlos Brot, Wurst oder auch einen Teller Suppe in Geschäften vor Ort in Empfang nehmen. »Die Aktion hat doch sicherlich irgendwo einen Haken …«, fragten die glücklichen Empfänger. »Ja«, antwortete Pfarrer Martin Krautwurst, der die Aktion in Magdala ins Leben rief, »einen beim Bäckermeister Rost, einen in der Metzgerei Schumann und einen im Magdalaer Bistro.« Eigentlich sind es sogar mehrere Haken die dort hängen. An den Haken sind die Gutscheine angebracht, für die ein frisches Brot, eine leckere Wurst oder auch eine warme Suppe eingelöst werden können.
Besonders am Monatsende, wenn die Rente, Hartz IV oder Sozialhilfe knapp werden, ist die Nachfrage besonders groß. Ein Nachweis der Bedürftigkeit muss nicht erbracht werden. Den Initiatoren der Aktion ist wichtig, dass die Hemmschwelle so gering wie möglich ist, denn niemand soll wegen seiner sozialen Not vorgeführt werden.
So funktioniert's Wer beim Bäcker, Fleischer oder im Bistro im Ort zum Einkauf oder Essen geht und es sich leisten kann, der kauft einfach ein Brot, eine Wurst oder einen Teller Suppe mehr und lässt diese per Gutschein an einen Haken hängen. Gespendet werden die Gutscheine von jenen Kunden, die mit denen teilen wollen, denen es oft am Nötigsten fehlt. Der Aufwand ist für alle Beteiligten sehr gering: einfach einen Gutschein ausdrucken und einen Haken anbringen. Auch die Kosten für die Gutscheine bleiben mit ca. zwei Euro überschaubar. Wer regelmäßig spendet, kann eine spezielle Quittung bekommen, die im Pfarramt gegen eine Spendenquittung eingetauscht und steuerlich abgesetzt werden kann.
Das sind unsere Erfahrungen In der Bäckerei sind im vergangenen Jahr über 400 Brote weitergegeben worden. Die Aktion wird sehr gut angenommen und von allen auch äußerst verantwortlich wahrgenommen. Der Missbrauch dieser Aktion ist eher gering. In Anspruch nehmen die Gutscheine am Haken nur jene, die es wirklich brauchen. Doch die Empfänger bekommen mehr als Lebensmittel, die einfach nur kostenlos sind, nämlich richtig frisches Brot und frische Wurst, die sie sich sonst nicht leisten können. So hat die Aktion auch einen qualitativen Aspekt: Statt abgepackten Lebensmitteln mit Konservierungsstoffen gibt es Qualität und Geschmack zum Genießen!
Begegnungen ermöglichen Diese Aktion fördert bewusst die Kontakte im Ort. So wird das Brot nicht nach Hause gebracht, stattdessen soll es im Laden geholt werden. Begegnungen und Gespräche sind sehr erwünscht.
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Geld-Alternativen Stichworte, Links, Tipps
Komplementärwährung Eine Komplementärwährung ist eine Währung, die den Charakter einer Komplementarität hat. Sie ist die Vereinbarung innerhalb einer Gemeinschaft, etwas zusätzlich neben dem offiziellen Geld als Tauschmittel zu akzeptieren. Die vermutlich mit Abstand älteste Komplementärwährung in Deutschland ist der Bethel-Euro (bis zur Euro-Einführung Bethel-Mark). Sie existiert bereits seit 1908 und erlaubt den Einkauf in den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel. Dabei gilt im Einkauf ein Bethel-Euro gleich ein Euro, wer aber Euro in BethelEuro tauscht, bekommt 105 Bethel-Euro für 100 Euro. Lange Zeit bildete das Bethel-Geld jedoch eine Ausnahmeerscheinung in Deutschland. Zwischen 1926 und 1931 gab es in Deutschland das Wära-Experiment. Es gelang insbesondere, das Braunkohlebergwerk Schwanenkirchen trotz Weltwirtschaftskrise wieder in Betrieb zu nehmen, bis das Wära-Geld 1931 vom Finanzministerium verboten wurde. Seit Beginn der 1990er Jahre bildeten sich mit den sogenannten Tauschringen lokale, örtlich begrenzte Komplementärwährungen heraus. Seit 2001 verzeichnet auch Deutschland einen starken Zuwachs an regionalen Initiativen zur Etablierung von Komplementärwährungen. Gutscheinringen können sich alle Verbraucher und Gewerbetreibende anschließen. Viele der Projekte in Deutschland sind in dem Dachverband »Regiogeld e. V.« mit Sitz in Magdeburg vereinigt. Dessen Ziel ist es, neue Projekte bundesweit anzustoßen und alle Einzelprojekte untereinander konvertierbar zu machen. Es bestehen Verbindungen zu gleichgelagerten Initiativen aus Österreich und der Schweiz. Neben diesen Regionalwährungen gibt es insbesondere seit Mitte der 1990er Jahre Geldscheine zu besonderen Anlässen. Sie sind den Serienscheinen aus der Zeit um 1920 nachempfunden. Sie sind Zahlungsmittel und gültig zu besonderen Anlässen, wie Schulfesten, in der Gastronomie, bei Klassentreffen, Stadtfesten, Firmenjubiläen, Börsen/Ausstellungen, Vereinsveranstaltungen oder in Kinderspielstädten. Meist sind sie nur einen Tag lang gültig, können aber auch bis zu einem Jahr umlaufen. Quelle und weitere Informationen: http://de.wikipedia.org/wiki/Komplementärwährung
Tauschringe Die meisten Tauschringe sind Initiativen, bei denen die Teilnehmenden Fähigkeiten und Sachwerte geldlos tauschen. Der Vorteil eines Tauschringes besteht darin, dass alle Teilnehmer aus dem Angebot der gesamten Tauschgemeinschaft frei auswählen können. Deshalb kann eine Leistung auch in Anspruch genommen werden, ohne zeitgleich eine Gegenleistung erbringen zu müssen. www.tauschringadressen.de ist ein interaktives Einstiegsportal in die Welt der Tauschringe mit einer umfangreichen Übersicht und nützlichen Informationen über alle im Tauschringverzeichnis registrierten Tauschringe. Die Gliederung in PLZ-Bereiche ermöglicht eine zielgerichtete Suche. Tauschringe, die noch nicht bei uns registriert sind, können sich gerne kostenlos eintragen.
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Tauschen ohne Geld Die Seite tauschen-ohne-geld.de ist eine Tauschbörse, die einen herkömmlichen Tauschring um die Möglichkeiten im Internet erweitert. Auf www.tauschen-ohne-geld.de gibt es keine Registrierung, man wird von einem Tauschring zum Tauschen eingeladen. Im Unterschied zu anderen Internet-Tauschbörsen kennen sich die Mitglieder hier persönlich und können auf die Hilfe anderer Mitglieder vertrauen. Die Regeln bestimmt jeder Tauschring selbst. www.tauschen-ohne-geld.de hilft, einen Tauschring zu organisieren und zu verwalten. Ein Beispiel: Organisierte Nachbarschaftshilfe Dechsendorf, Erlangen und Umgebung. Die Organisierte Nachbarschaftshilfe Dechsendorf ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen, denen eine nicht kommerzielle freundschaftliche Nachbarschaftshilfe ein soziales Bedürfnis ist. Sie versteht sich als Vermittler zwischen den Teilnehmern, um ihre Fähigkeiten, Kenntnisse und materielle Dinge untereinander bargeldlos auszutauschen: www.tauschenohne-geld.de/organisierte-nachbarschaftshilfe-dechsendorf-erlangen-und-umgebung.
Tauschbörsen Unter www.dietauschboerse.de kann grundsätzlich alles getauscht werden. Dabei sind alle Tauschabwicklungen von den Mitgliedern selbst zu organisieren und abzusprechen. Die Tauschbörse stellt ihren Mitgliedern ausschließlich eine technische Plattform zur Verfügung und ist lediglich technischer Dienstleister. Auch www.tauschticket.de ist eine Tauschbörse, bei der nahezu jeder Artikel kostengünstig und bequem mit anderen Mitgliedern getauscht werden kann. Um tauschen zu können, werden sogenannte Tickets als Tauschwährung erworben. Ein ausreichendes Tauschguthaben ist Voraussetzung für die erfolgreiche Abwicklung eines Tauschgeschäfts.
Couchsurfing Nicht nur Artikel oder Arbeitsleistungen, auch Übernachtungsmöglichkeiten werden jenseits der gelddominierten Welt per Tausch geteilt. Beispiele dafür sind Netzwerke bzw. Online-Plattformen wie www.rentasofa.com oder www. couchsurfing.org.
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Kochen mit Pfiff — den Haushalt im Griff Ein Kurs für alle, die besser mit dem Einkommen auskommen möchten Britta Laubvogel
Ein Blick in die Küche: Köstliche Gerüche durchziehen die Küche der Ev. Familien-Bildungsstätte Bad Nauheims. Rainer holt den frischen Hefekuchen aus dem Backofen, Uwe macht gerade die Garprobe bei den Frikadellen, die in der Pfanne brutzeln, Sabine richtet grünen Salat an und Axel kämpft noch mit den Quitten, die er zur Marmelade verarbeiten will. Zwölf Teilnehmende am Kurs »Kochen mit Pfiff – den Haushalt im Griff« haben alle Hände voll zu tun, arbeiten konzentriert an ihren Plätzen, denn pünktlich um 12.30 Uhr soll das Mittagessen auf dem Tisch stehen. An der festlich gedeckten Tafel werden dann alle die schmackhaften Speisen genießen, herzhaft lachen, fröhlich miteinander reden und staunen, dass auch diese Mahlzeit wieder preisgünstig zubereitet wurde. »Hier wird Kirche mit Leib und Seele gelebt«, so bringt es Axel auf den Punkt.
Projektidee Dieser Kurs richtet sich zum einen an die Zielgruppe der eher bildungsfernen Menschen, die sich in der Regel ein Angebot an den Bildungseinrichtungen nicht leisten können, die mit geringem Einkommen auskommen müssen und sich dabei trotzdem gesund und schmackhaft ernähren möchten, mit dem Ziel, praktische Tipps und Unterstützung bei Haushaltsplanung und -führung zu geben. In dem Projekt geht es nicht um raffiniert zubereitete Gerichte, sondern eher um einfache Basics. Wir beobachten, dass Fertigkeiten und Kompetenzen im Bereich der Haushaltsführung nicht mehr selbstverständlich an die junge Generation weitergeben werden. Zum anderen denken wir an junge Familien. Viele müssen sehr genau auf ihr monatliches Budget achten und geraten durch das andauernde Diktat unserer Konsumgesellschaft, die immer neue Anreize zum Konsum schafft und dabei gerade auf die
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Zielgruppe der Kinder abzielt, unter Druck. Deutlich wird dies z. B. auch bei der Ausrichtung von Kindergeburtstagen; da werden heute vielfach enorme Summen für Restaurant-, Kino- und Zoobesuch, Geschenke und Gäste ausgegeben. Und wer nicht mithalten kann, fühlt sich schnell abgehängt. Ziel des Kurses ist es, Alternativen zu zeigen, wie mit einfachen Mitteln eine phantasievolle Dekoration entsteht oder auch ein kreatives Spiel angeboten werden kann. Durch finanzielle Unterstützung über die Stiftung Diakonie und der Erwachsenenbildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) war es möglich, dieses Projekt für einen nur sehr geringen Betrag von 20,00 Euro Selbstbeteiligung der Teilnehmer anzubieten. Bei »erfolgreicher Teilnahme« – und das bedeutet höchstens drei Fehltage – haben die Teilnehmer die Hälfte zurückerstattet bekommen. Kooperationsprojekt Der Kochkurs wurde in Kooperation zwischen der Fachstelle Bildung des Ev. Dekanats Wetterau, dem Diakonischen Werk Wetterau und der Ev. Familien-Bildungsstätte durchgeführt. Zum Gelingen des Projektes hat maßgeblich eine kompetente Hauswirtschafterin beigetragen, unter deren Anleitung die zwölf Teilnehmenden gekocht und gebacken haben. Werbung Geworben wurde durch die örtliche Presse – Wetterauer Anzeiger – und mit einem Flyer bei Ev. Kindertagesstätten im Dekanat Wetterau, der Ev. Familien-Bildungsstätte Bad Nauheim, Pfarrämtern im Dekanat, dem Diakonischen Werk Wetterau, dem Kreishaus Friedberg/ Rathaus Bad Nauheim, der Friedberger und Butzbacher Tafel, im Jobcenter, bei Beratungsstellen sowie in Lebensmittelgeschäften. Die Kooperation mit dem Diakonischen Werk, der Kontakt zur allgemeinen Lebensberatung hat den Zugang zur Zielgruppe eröffnet. Viele Teilnehmende brachten »ihre Geschichte« mit: Krisen im Leben, psychosoziale Belastungen, seelische Erkrankungen, Arbeitslosigkeit. Für einige war der Kurs ein erster oder ein weiterer Schritt in ein selbstverantwortetes Leben. Aber auch Frauen mit jungen Familien gehörten zu der Gruppe der Teilnehmenden. Konzept/Rahmen Der Kurs umfasst acht Einheiten à vier Stunden – acht Vormittage von 9.00 bis 13.00 Uhr. Der letzte Vormittag ist der krönende Abschluss, zu dem die Teilnehmenden einen Gast einladen können. Hier werden Ergebnisse der Kochkunst stolz präsentiert. Als Anerkennung für engagiertes Arbeiten erhalten die Teilnehmenden außerdem ein »Zertifikat« und viel Applaus. Uns ist immer wichtig, in einer ersten Kennenlernrunde die Wünsche und Erwartungen der Teilnehmenden abzufragen, um sie dann auch z. B. bei der Auswahl der Rezepte zu berücksichtigen. »Ich möchte so gerne mal Nudeln selbst herstellen. Wie geht das?« Ein bescheidener Wunsch – und so leicht umzusetzen. Zu Beginn des Kurses erhält jede/jeder eine Mappe, um die Rezepte und Unterlagen abzuheften. Um den Teamgeist zu stärken, erhalten alle eine Schür-
ze mit dem Cartoon, das bereits auf dem Flyer abgebildet ist. An acht Vormittagen wird ein Drei- bis Vier-GängeMenü gekocht. Dazu muss man betonen, dass die Lehrküche der Familien-Bildungsstätte ideale Voraussetzungen dazu bietet! Vom Kochtopf bis zum Schneidebrett sind alle nötigen Arbeitsmaterialien vorhanden, auch an Platz mangelt es nicht. Der Ablauf eines Kochvormittags gestaltet sich in der Regel so: Bei einem kleinen Begrüßungskaffee wird das Programm/Menü vorgestellt, die Teilnehmer entscheiden sich, welche Aufgabe sie übernehmen wollen, und dann geht es schon in die Arbeitsphase. Die Hauswirtschafterin leitet die Arbeitsschritte an, unterstützt und hilft bei Bedarf und hat stets pfiffige Ideen und Tricks parat. Wichtig ist immer auch das gemeinsame Essen mit Gesprächen und einem Feedback. Nicht zuletzt wird der Abwasch gemeinsam erledigt. Es geht in dem Kurs nicht um besonders aufwändige Menüs, die viel Zeit beanspruchen und auch kostspielig sind. Es geht vielmehr um Basics. Viele junge Menschen bekommen keinerlei Kompetenzen mehr vermittelt. Deswegen ist es uns in dem Kurs ein Anliegen, Basiswissen zu vermitteln. Besonderen Wert legen wir auf saisonales und regionales Kochen. Im Herbst gibt es Quitten und Äpfel in der Region der Wetterau, deswegen stehen Quittengelee und Apfelkuchen auf dem Programm. Auch Kürbis- und Kartoffelsuppe gehören zu den Speisen, die im Herbst »Saison« haben. Im Projekt arbeiten wir zudem mit der ortsansässigen Tafel zusammen. »Was nun – was kann ich mit den Produkten anfangen, die ich von der Tafel erhalten habe?« – diese Frage stellen sich Menschen, die auf die Körbe der Tafel angewiesen sind, und vor dieser Frage standen wir als Gruppe, als uns die Friedberger Tafel einen Korb entsprechend der Teilnehmerzahl zusammengestellt hat. Gemeinsam haben wir überlegt, wie mit den Lebensmitteln umgegangen werden kann; was sofort verarbeitet werden muss, was gelagert werden kann usw. Spontanität und Flexibilität sind dann gefragt. Zum Programm gehören auch kleine theoretische Inputs aus folgenden Themengebieten: • Haushaltsführung – Leichter den Überblick übers Geld behalten • Küchenhygiene – Küche flottmachen ohne teure Spezialreiniger • Festgestaltung – Exklusive Tischdekoration, die nichts kostet (Kindergeburtstag, Konfirmation) • Tischsitten – geregelte Mahlzeiten: wozu und warum sie wichtig sind • Tischgebete – Einüben verschiedener Gebete • Ernährung – Nährstoffe, Vitamine, Kohlehydrate, Eiweiß Ausblick: Weiterentwicklung Viele Kirchengemeinden verfügen über gut ausgestattete Küchen. Das Projekt »Kochen mit Pfiff – den Haushalt im Griff« wird zurzeit den Rahmenbedingungen von Kirchengemeinden angepasst. Dazu ist die Kooperation mit
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»Lernort Küche«: Was können Menschen erleben, welchen Gewinn haben sie? Kochkompetenzen: Zunächst erfahren die Teilnehmenden einen Zugewinn an Kochkompetenzen, sie trainieren den Umgang mit Küchengeräten, lernen Rezepte kennen u. a. m. Viele Tipps und gute Ideen werden ausgetauscht und erprobt. Mit allen Sinnen lernen: Die Küche ist ein spannender Lernort ganzheitlicher Bildung. Mit allen Sinnen sind wir dabei. Es wird geschmeckt, gesehen, gehört, gerochen, gefühlt. Diese Sinneseindrücke sind wertvolle Erfahrungen unseres Menschseins. Über die Sinne erlebe ich mich selbst als Mensch. Sie öffnen letztlich die Türen zur elementaren Erfahrung von Sinnhaftigkeit des Lebens. Selbstfürsorge: Wenn ich mir eine Mahlzeit zubereite, dann ist das ein Ausdruck von Selbstfürsorge: Ich bin es mir wert, gut für mich zu sorgen und auf mich Acht zu geben. Damit stärke ich mein Selbstwertgefühl und das ist wiederum Grundlage für gelingendes Leben. »Ich kann mir meine Suppe selbst kochen«, so sagte es eine Teilnehmerin. Und: »Der Erfolg liegt auf dem Teller« – das war unser Motto. Teamfähigkeit: Im Team zu arbeiten, das fördert soziale Kompetenzen. Unterstützung geben und annehmen – so sagte es Axel: »Hier wird keiner hängen gelassen. Wir helfen uns gegenseitig.« Selbstbewusstsein: Mit Lob und Anerkennung wird nicht gespart – auch das stärkt das Selbstbewusstsein. Selbstwirksamkeit: Gerade in schweren Krisen sind Menschen oftmals Ohnmachtsgefühlen ausgeliefert. Hier erleben sie, dass sie etwas für sich tun können, dass sie Leben gestalten können und nicht dem Schicksal ausgeliefert sind.
Alltagsstruktur: Fällt der geregelte Arbeitsalltag z. B. durch Verlust einer Arbeitsstelle fort, droht der Verlust an Tagesstruktur. Geregelte Mahlzeiten können durchaus den Tag strukturieren und so wieder einen Halt geben. Gebete/Rituale: Vor jeder gemeinsamen Mahlzeit haben wir ein Tischgebet gesprochen. Damit haben wir den Blick auf den Schöpfer der Gaben gerichtet und eine Haltung der Dankbarkeit Gott gegenüber deutlich gemacht. Positive Beziehungserfahrungen erinnern: Es ist ein spannender Moment, wenn Teilnehmer beim Duft des frischen Hefekuchens beginnen zu erzählen. »Genauso hat es in der Küche meiner Großmutter gerochen. Das war immer so schön, wenn ich bei ihr zu Besuch war.« Da steigen offensichtlich über den Geruchssinn positive Erlebnisse, die bereits viele Jahre zurückliegen, ins Bewusstsein. Besondere Mahlzeiten, Rezepte, Familienrituale oder Traditionen werden erinnert. Über das Kochen, das Zubereiten von Mahlzeiten, haben sie an positiven Beziehungserfahrungen aus der Kindheit angeknüpft, diese als Ressource wahrgenommen und als tragende Säulen ihrer Lebensgeschichte erinnert. Das ist eine sehr wertvolle Erfahrung!
einer Kindertagestätte sinnvoll, um die Zielgruppe der jungen Familien in den Blick zu bekommen. Dabei sollte man auf den Untertitel »Ein Kurs für alle, die besser mit dem Einkommen auskommen möchten« verzichten. Er könnte abschreckend wirken. Ein Kochkurs kann ein niedrigschwelliges Angebot der Gemeindearbeit sein und Teilnehmenden den Zugang zur Gemeinde eröffnen. Ich denke an eine weitere Form der Weiterentwicklung: Viele ältere Menschen tragen einen reichen Erfahrungsschatz in sich. Sie kennen Rezepte, haben Wissen über Kräuter und ihre Heilwirkungen, wissen Bescheid über Lagerung und Frischhaltung von Lebensmitteln u. v. m. Diesen »Schatz« könnten sie als »Kochpaten« in den Kursen für junge Menschen einbringen! Im Zuge des deutschlandweiten Projekts gegen Lebensmittelvernichtung ist der Kochkurs ein wertvoller
Beitrag. Selbst zubereitete Mahlzeiten, frisches Kochen sensibilisieren auch für den Umgang mit Lebensmitteln, zeigen Alternativen zu den schnellen Fertiggerichten, die möglicherweise aus Unkenntnis über die Haltbarkeitsangaben zu schnell im Abfall landen. Fazit Das Projekt »Kochen mit Pfiff – den Haushalt im Griff« ist zwar arbeitsintensiv, macht aber großen Spaß und ist aus meiner Sicht ein wertvoller Beitrag für praktische Gemeindearbeit, direkt an den Bedürfnissen von Menschen orientiert.
Britta Laubvogel ist Bildungsreferentin im Ev. Dekanat Wetterau.
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Hintergründe
Das liebe Geld Theoretische und geschichtliche Hintergründe Hans-Nissen Andersen
Der Begriff »Geld« kommt aus dem Althochdeutschen und bezeichnete eigentlich zunächst das, womit Buße oder Opfer erstattet oder entrichtet wurde. Erst ab dem 14. Jahrhundert wird mit dem Begriff Geld seine heutige Funktion insbesondere als Zahlungsmittel gemeint. Heute hat Geld drei Funktionen: 1. Zahlungsmittel Es dient als Tauschmittel, als Bezahlung von Waren oder Dienstleistungen. 2. Wertaufbewahrung Die Werte, die durch Waren oder Dienstleistungen entstehen, können durch Geld aufbewahrt werden. 3. Wertmaßstab/Recheneinheit Man misst verschiedenen Waren und Dienstleistungen verschiedene Werte zu. Diese werden in Geld ausgedrückt. Geld ist ein Maßstab für den Wert.
Es gibt das geflügelte Wort »Geld regiert die Welt« – Ist das wirklich so? Es muss beachtet werden, dass Geld einen Teil des Tauschhandels ersetzte, indem nicht mehr Ware gegen Ware getauscht wurde, sondern Ware gegen Geld. Aus diesem Grund ist Geld bis heute ein sogenanntes Zwischentauschmittel. Es dient nicht unmittelbar dem Bedarf des Tauschens, sondern soll für einen weiteren Tausch gegen eine Ware eingesetzt werden. Dementsprechend ist Geld nur Mittel zum Zweck. Ein Mittel, um Tausch einfacher zu machen, Werte aufzubewahren, oder eine Einheit zur Wertermittlung. Wir müssen uns das Geld in seiner eigentlichen Funktion zu Nutze machen. Nicht das Geld selbst ist bestimmend, sondern das, wofür wir es einsetzen. Verantwortlicher Umgang ist der zentrale Aspekt: Sich das Geld zu Nutze machen, es positiv und zielgerichtet einzusetzen, ist nicht zuletzt heute immer wichtiger.
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Wie entstand Geld? Geld, wie wir es heute kennen, hat es nicht immer gegeben. Im Laufe der Zeit hat sich seine Form je nach Gegebenheit und Zeit verändert. Zunächst wurde getauscht, später gewogen und heutzutage wird immer mehr bargeldlos gezahlt. So war Geld im heutigen Sinne zur Zeit der Naturalwirtschaft unbekannt. Die Menschen tauschten ihre Güter unmittelbar, also »Ware gegen Ware«. Allerdings musste hierzu erst einmal einen passender Tauschpartner gefunden werden: Jemand, der die Waren anbot, die man benötigte, und gleichzeitig die Waren, die man tauschen wollte, akzeptierte. Darüber hinaus waren auch der Transport der Ware, die Beschaffung der Tauschgüter, die unterschiedliche Bewertung sowie die Verderblichkeit und Unteilbarkeit der Waren ein Problem. Zwischentauschmittel – sogenanntes Naturalgeld – erleichterten den Tauschhandel. Hierbei wurden die Waren gegen Gebrauchsgüter, Schmuck, haltbare Lebensmittel oder Bekleidung getauscht. Im Laufe der Zeit übernahmen auch Edelmetalle wie Bronze, Silber oder Gold die Funktion des Zwischentauschmittels. Sie waren leicht teilbar und nutzten sich kaum ab. Aus ihnen wurden Barren, Ringe oder Stäbe gegossen. Bei Bedarf »hackte« man ein Stück ab und wog es, um den genauen Wert zu ermitteln. Daher wurde es Häck- oder Wägegeld genannt. Die ersten Münzen wurden wahrscheinlich etwa 650 v. Chr. im damaligen Königreich Lydien herausgegeben: Metallstücke aus Elektron, einer Gold-Silber-Legierung. Um das Gewicht
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und damit den Wert der Münzen zu beglaubigen, versah sie der lydische König Krösus mit seinem Wappen. Aus dieser Zeit leitet sich auch der Ausspruch »reich wie Krösus« ab. Die Römer und Griechen haben dieses erste Münzsystem weitgehend übernommen. Auch in der Neuzeit wurden zunächst nur vollwertige Münzen geprägt. Also Münzen, bei denen der Münzwert dem Wert des Metalls entsprach (Kurantmünzen). Die bekanntesten Kurantmünzen in Deutschland sind wahrscheinlich der Taler (Norddeutschland) und der Gulden (Süddeutschland). Später stellte man auch Scheidemünzen her, deren Materialwert unter dem Tauschwert lag. Aufgrund der Ausweitung von Handelsbeziehungen und damit auch des Geldverkehrs wurde es notwendig, das schwere Münzgeld durch praktikablere Zahlungsmittel zu ersetzen. In großen Mengen aber wurde Papiergeld erstmalig in Frankreich herausgegeben. Im 18. Jahrhundert wurden Papierzettel ausgeben, die garantierten, dass der Zettel jederzeit durch eine entsprechende Menge an Münzen eingetauscht werden konnte. Erst mit der offiziellen Garantie, dass die Geldscheine jederzeit gegen Münzen oder Metall eingetauscht werden konnten, wurden sie auch als Zahlungsmittel gänzlich akzeptiert. Diese Garantie stützte sich zunächst auf eine vollständige, später nur noch auf eine teilweise sogenannte Gold-Deckungspflicht. Heute garantiert der Staat den Wert der ausgegebenen Geldscheine. Geld heute Geld kommt heute in Form von Bargeld (Münzen und Scheine) oder Buchgeld (Kontoguthaben und Kredite) vor. Buchgeld, auch Giralgeld genannt, ist der Zahlungsanspruch eines Kunden gegenüber seiner Bank auf Zentralbankgeld, also Banknoten und Geldmünzen. Das Buchgeld etablierte sich zuerst in Europa in großen Handelszentren wie Amsterdam, Norditalien oder Hamburg. Dort wurden die ersten »Girobanken« gegründet. Das bedeutete, dass Kaufleute ihre Transaktionen über ein Konto abwickeln konnten. In den ersten Jahrzehnten nach der Entstehung des Buchgeldes wurden die Kontenbestände schriftlich in Kontenbüchern geführt, daher auch die Bezeichnung Buchgeld. In einer modernen Volkswirtschaft spielt Bargeld eine eher untergeordnete Rolle. Das meiste Geld existiert mittlerweile in Form von Buchgeld. Immer mehr Menschen nutzen auch im Alltag Bankkarten oder Kreditkarten, um beispielsweise ihre täglichen Einkäu-
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Hintergründe
fe, Parkgebühren, Busfahrkarten etc. zu bezahlen. Der Bedarf an Geld in Münzen und Scheinen nimmt durch diese Entwicklung stetig ab, so dass immer mal wieder über die gänzliche oder die teilweise Abschaffung, beispielsweise von Münzen mit geringem Wert, gesprochen wird. Rolle des Geldes im Wirtschaftskreislauf Geld spielt in unserem Wirtschaftssystem eine große Rolle. In dem in der Grafik dargestellten Wirtschaftskreislauf werden modellhaft alle Wirtschaftseinheiten (Unternehmen, private Haushalte, Staat und Banken) jeweils zusammengefasst und die Wertströme Güterstrom und Geldstrom aufgezeigt. Die privaten Haushalte stellen den Unternehmen ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Dafür erhalten sie von den Unternehmen Geld – ihr Einkommen. Die Unternehmen verkaufen auf der anderen Seite an die Haushalte die produzierten Güter und Dienstleistungen und erhalten dafür von den Haushalten Geld, die sogenannten Konsumausgaben. Die Haushalte verwenden allerdings nicht ihr gesamtes Einkommen für Konsumzwecke, sondern ein Teil wird gespart und geht in der Grafik an die Banken. Dieses Geld wird dort gesammelt und den Unternehmen in Form von Krediten für Investitionen zur Verfügung gestellt.
Doch auch der Staat spielt in diesem Kreislauf eine wichtige Rolle. So müssen die Haushalte einerseits Steuern an den Staat abführen. Andererseits erhalten die Haushalte sogenannte Transferleistungen in Form von Geld vom Staat, beispielsweise für Sozialleistungen, wie Kindergeld oder Wohngeld. Auch die Unternehmen müssen an den Staat Steuern abführen. Zudem erhalten die Unternehmen vom Staat auch Zahlungen, zum Beispiel in Form von Subventionen oder Aufträgen. Natürlich handelt es sich hierbei um ein abstraktes Modell, dennoch wird deutlich, wie wichtig Geld in unserem Wirtschaften und damit auch in unserem alltäglichen Leben ist.
Hans-Nissen Andersen ist Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Darlehnsgenossenschaft eG.
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Die Kirche und ihr Geld Inhaltliche Kriterien für ein kirchliches Finanzgesetz und die Konsequenzen für die Praxis am Beispiel der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland Stefan Große
Ausgangslage Finanzgesetze sind Spiegel der inneren Verfasstheit einer Kirche. Sie können nicht isoliert betrachtet werden. Sie folgen den in der Kirchenverfassung festgehaltenen Regelungen für die Zuständigkeiten der einzelnen kirchlichen Ebenen und der dort fixierten Aufgabenverteilung. Die konkrete Gestaltung eines Finanzgesetzes wird somit vorrangig von Kriterien bestimmt, die sich in der Kirchenverfassung finden bzw. sich aus dieser ableiten lassen. Der Vereinigung der ehemaligen Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der ehemaligen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland ging eine intensive Verfassungsdiskussion voraus. Teil davon war ein längerer Diskussionsprozesses, insbesondere zur Rechtsstellung und zu den Aufgaben des Kirchenkreises sowie zu den Aufgaben des Kreiskirchenamtes im Zusammenspiel mit den Kirchenkreisen, Kirchengemeinden und der Landeskirche. Daneben wurden die essenziellen Grundsätze für Finanzwesen und Vermögensverwaltung festgelegt. Mit dem Beschluss über die Verfassung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland vom 05.07.2008 waren somit auch die Grundkoordinaten für die Finanzverfassung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) bestimmt. Wichtiger Teil des Pakets der Begleitgesetze zur Verfassung war der Entwurf des Finanzgesetzes, der die Regelungen der Verfassung weiter ausgestaltete.
Erleichtert, wenn nicht sogar ermöglicht, wurde dieses Gesetz dadurch, dass zunächst die Grundprinzipien der Finanzierung der Ebenen der EKM festgestellt und die gemeinsame Finanzierung der landeskirchlichen Ebene der EKM geregelt wurden. Damit finanzierten sich zum Start der neuen Kirche die Kirchenkreise und Kirchengemeinden noch nach den bisherigen Regelungen der beiden Teilkirchen (Andocksystem). Erst nach der Vereinigung zum 01.01.2009 konnte auf dieser Grundlage die Finanzierung der mittleren Ebene und der Kirchengemeinden der neuen EKM – frei von den Belastungen der nun nicht mehr vorhandenen Teilkirchenloyalitäten – vereinheitlicht werden. Die bereits in der Verfassung, insbesondere für das Finanzwesen und die Vermögensverwaltung, enthaltenen Regelungen waren dabei maßgeblich für die Einigung auf eine Grundstruktur. Sie ermöglichten, neben der gemeinsamen Finanzierung der neuen Kirche, die Diskussion zur Vereinheitlichung der Finanzierung der mittleren Ebene und der Kirchengemeinden. Die Vorgaben aus der Verfassung der EKM sind dabei bewusst knapp gehalten: 1. Eigenverantwortung der Kirchengemeinden und Kirchenkreise (Artikel 7 Abs. 1), 2. solidarischer, sparsamer, wirtschaftlicher und transparenter Einsatz aller Mittel (Artikel 85 Abs. 1 Satz 2), 3. innerkirchlicher Finanzausgleich zwischen den Kirchengemeinden und den Kirchenkreisen und der Landeskirche (Artikel 86 Abs. 2).
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Hintergründe
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In den Grundsatzregelungen des Finanzgesetzes der EKM finden sich darauf aufbauend folgende Vorgaben, die auch für die Finanzierung der mittleren Ebene und der Kirchengemeinden umzusetzen waren: 1. Subsidiarität Die Eigenverantwortung der Kirchenkreise ist konsequent zu stärken. Mit der Übertragung von Aufgaben muss auch die finanzielle Leistungsfähigkeit korrespondieren. 2. Solidarität Das Finanzgesetz soll die unterschiedliche Leistungsfähigkeit zwischen den Kirchenkreisen bzw. Kirchengemeinden angleichen, ohne die Unterschiede vollständig auszugleichen. Eigenverantwortung und Gesamtverantwortung müssen sich ergänzen. 3. Transparenz und Nachvollziehbarkeit Die Funktionsweise der Mechanismen im System und die Auswirkungen aus dem System sollen verständlich sein. Transferleistungen sind offen zu benennen. Alle Veränderungen sollen mit Zahlen untersetzt werden. 4. Zukunftsfähigkeit Das Finanzgesetz soll Planungssicherheit für zehn Jahre geben. Mit Stressrechnungen soll seine Funktionsfähigkeit nachgewiesen werden. Es muss Anreize zu Strukturveränderungen schaffen. Inhaltliche Schwerpunktsetzungen durch die im System Handelnden sollen möglich sein.
Prozess Entscheidend für das neue gemeinsame Finanzgesetz, das das für die Finanzierung der Kirchenkreise und Kirchengemeinden geltende Andocksystem ablöste, war der breit angelegte Kommunikationsprozess. Die Landessynode hatte bereits im März 2009 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Personen aus allen Ausschüssen der Landessynode beteiligte und hinsichtlich der ehemaligen Teilkirchen annähernd paritätisch besetzt war. Diese Arbeitsgruppe erarbeitete in zwölf Sitzungen Grundsätze für das gemeinsame Finanzgesetz und stellte diese anlässlich eines Konsultationstages (mit sehr hoher Teilnehmerzahl) in der Universität Jena am 12.06.2010 öffentlich vor. Diese Grundsätze wurden von der Landessynode mit Beschluss vom 20.11.2010 bestätigt. Parallel dazu lief ein Stellungnahmeverfahren, das am 31.12.2010 endete. Dieses stand Kirchenkreisen, Kirchengemeinden und sonstigen kirchlichen Körperschaften, Gremien und Organen offen. Nur die Kombination aus den eingangs beschriebenen Kriterien und Grundsätzen sowie dem breit angelegten Kommunikationsprozess führte zum Erfolg. Die Landssynode der EKM konnte bereits im März 2011 das gemeinsame Finanzgesetz beschließen. Seit dem 01.01.2012 gilt es in der EKM und wird »gelebt«.
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Ergebnis Eine Darstellung aller Mechanismen des neuen gemeinsamen Finanzgesetzes ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich und würde dem Thema nicht gerecht. Im Zentrum des Finanzgesetzes steht die Finanzierung des Verkündigungsdienstes. Das liegt auf der Hand und leitet sich direkt aus dem Auftrag der Kirche ab. Die Stellenplanung für die Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst (Pfarrerinnen und Pfarrer, Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen, Jugendmitarbeiterinnen und Jugendmitarbeiter, Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker) in der EKM richtet sich nach vier im Finanzgesetz festgelegten Makrokriterien. Diese sind die angemessene Reaktion auf die Unterschiedlichkeit der Kirchenkreise in der EKM. Neben volkskirchlich geprägten Kirchenkreisen gibt es städtisch geprägte und stärker säkularisierte Kirchenkreise. Jeweils eine Stelle gibt es für 1.200 Gemeindeglieder, 36.000 Einwohner, 22 Landgemeinden und einen evangelischen Christenanteil von 4,6 Prozent. Im Blick auf die Zusammensetzung der Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst ist ein Korridor geregelt, d. h. mindestens 60 Prozent der Mitarbeitenden müssen und höchstens 70 Prozent der Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst dürfen ordiniert sein. Dies schafft den Kirchenkreisen neben der Planungssicherheit für den ordinierten Dienst auch die notwendige Flexibilität im Blick auf nicht ordinierte Mitarbeitende im Verkündigungsdienst. Weitere Vorgaben für die Stellenplanung im Verkündigungsdienst macht das Finanzgesetz nicht. Die Verteilung der aus den vier Kriterien für den Kirchenkreis errechneten Stellen ist Sache der Kirchenkreise. Sie sind gehalten, hierzu Mikrokriterien festzulegen. Dies entspricht ihrer Eigenverantwortung, die nur sie wahrnehmen können. Die Berechnung der Stellenanteile für den Verkündungsdienst in den Kirchenkreisen erfolgt jährlich. Für die sich ergebende Stellenanzahl erhalten die Kirchenkreise Finanzzuweisungen anhand eines Personalkostendurchschnittsbetrages, der tarifliche Erhöhungen bzw. Besoldungserhöhungen berücksichtigt. Aufgrund der festgelegten Formel zur Berechnung der Stellen im Verkündigungsdienst ist jeder Kirchenkreis in der Lage, Annahmen zur Entwicklung der Gemeindeglieder und Einwohner in der Region zu treffen und darauf aufbauend die Entwicklung der Stellen im Verkündigungsdienst mittelfristig hochzurechnen. Natürlich ergibt sich daraus auch die Verpflichtung, die Stellenbesetzung der Stellenentwicklung anzupassen. Die vom Finanzgesetz vorgesehene finanzielle Beteiligung der Kirchengemeinden am Verkündigungsdienst fördert die damit intendierte inhaltliche Beteiligung der Kirchengemeinden an der Stellenplanung vorerst nur schrittweise. Den Prozess der Stellenplanung in den Kirchenkreisen transparent und nachvollziehbar innerhalb der vorgegebe-
nen Makrokriterien zu gestalten, ist eine Aufgabe, die eigenverantwortliches Handeln der Kirchenkreise nicht nur ermöglicht, sondern voraussetzt. Die Kirchengemeinden erhalten finanzielle Mittel in Abhängigkeit von ihrer Größe (bezogen auf die Gemeindegliederanzahl). In einer Kirche, in der 600 Kirchengemeinden unter 100 Gemeindeglieder haben, ist die Frage, ob wir uns diese Struktur leisten können, eigentlich schon beantwortet. Das Finanzsystem enthält Bonusregelungen für größere Kirchengemeinden. Allerdings ist Geld nicht alles – eine gute Vorbereitung von Zusammenschlüssen von Kirchengemeinden ist die Basis dafür, dass die etwas höheren finanziellen Mittel auch wirklich positiv aufgenommen werden können. Ganz kurz sollen zwei Instrumente genannt werden, die es auf Ebene der einzelnen Kirchenkreise ermöglichen, strukturelle Defizite und unvorhergesehene Belastungen auszugleichen, Schwerpunkte zu setzen und bauliche Aufgaben zu unterstützen. Die Vergabe der Mittel aus dem Strukturfonds und dem Baulastfonds erfolgt über den Kreiskirchenrat. Dieser ist gefordert, mit Hilfe der kreissynodalen Ausschüsse Kriterien festzulegen, nach denen die Vergabe erfolgen soll. Eine sinnvolle Vergabe setzt voraus, dass der Kirchenkreis konzeptionelle Schwerpunkte setzt und Prioritäten sowie Posterioritäten festlegt. Da die zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind, ist auch dies eine Aufgabe, die dem Kirchenkreis und den Kirchengemeinden einerseits Chancen eröffnet, andererseits aber auch Entscheidungen abverlangt. Im Prozess der Einführung des gemeinsamen Finanzgesetzes zeigte sich, dass die Vorteile aus der höheren Eigenständigkeit der Kirchenkreise erst nach einem intensiv zu gestaltenden Übergangsprozess schrittweise sichtbar und angenommen werden. Dieser Weg ist noch nicht zu abgeschlossen, aber nach 1 ½ Jahren Geltung des Finanzgesetzes mit zwei Planungsphasen auf seiner Grundlage sind die Anfangsschwierigkeiten überwunden und die gewollten Wirkungen stellen sich nach und nach ein. Die für 2014/2015 vorgesehene Evaluation des Gesetzes ermöglicht es, nachzujustieren, wird aber an den genannten Grundsätzen festhalten.
Oberkirchenrat Stefan Große ist Finanzdezernent im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Erfurt.
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Hintergründe
S o llen wir u ns e r G e ld v e rsch en k en ? Schuldenerlass und Schuldenvergebung im Vaterunser Claudia Janssen
»Vergib uns unsere Schuld«, so lautet die Bitte im Vaterunser – »wie auch wir vergeben unseren Schuldigern«. Geht es hier um moralische Schuld, um Sündenvergebung im spirituellen Sinne oder hat diese Bitte auch etwas mit konkreten materiellen Schulden zu tun, mit unserem Umgang mit Geld? Eine erste Spur zur Beantwortung dieser Fragen findet sich im griechischen Ausgangstext in Mt 6,12. Das Wort für »Schuld« (ofeilēmata) hat zwei Bedeutungsebenen, wie auch das Wort für »vergeben, erlassen« (afhiēmi). Ursprünglich stammen sie aus dem Finanzbereich und werden im neutestamentlichen Griechisch auf die Gottesbeziehung und auf den zwischenmenschlichen Bereich des gegenseitigen Vergebens übertragen. In der Bitte um Schuldenerlass klingt ein Text aus dem 5. Buch Mose an (15,1–11), in dem diejenigen, die anderen Menschen Geld geliehen haben, dazu aufgefordert werden, die Schulden nach sieben Jahren zu erlassen, wenn diese es bis dahin nicht geschafft haben, das Geld zurückzuzahlen. Dieses hier beschriebene Erlassjahr soll dazu dienen, den Kreislauf von Verschuldung und Not alle sieben Jahre zu unterbrechen und damit das ökonomische und soziale System der Gesellschaft zu stabilisieren (M. Crüsemann 2011; F. Crüsemann 1992, 97 f.). Die griechische Übersetzung des Alten Testaments
(LXX) bietet hier dasselbe Wort für das Erlassen von Schulden wie das Vaterunser. Die Bibel in gerechter Sprache versucht diese Doppeldeutigkeit wiederzugeben und übersetzt: »Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir denen vergeben, die uns etwas schuldig sind« (Mt 6,12). Ich muss zugeben, dass mir dieser konkrete Zusammenhang von ökonomischem Schuldenerlass und Schuldvergebung nicht klar gewesen war, bevor ich mich mit dem griechischen Text des Vaterunsers beschäftigte. Das Wort »Schuldiger« kenne ich auch fast nur noch aus diesem Gebet, durch seinen altertümlichen Klang verschleiert es den konkreten Alltagsbezug der Gebetsbitte. Das hat mich dazu geführt, mich weiter mit der sozialen Situation in neutestamentlicher Zeit zu befassen. Warum steht die Bitte um Schuldenerlass so zentral im Vaterunser, direkt nach der Bitte um das tägliche Brot, das zum Überleben nötig ist? War der Druck der Verschuldung so groß, dass die Betenden Gott um Hilfe anriefen? Das Neue Testament bietet eine Vielzahl von Texten, die von der Armut der Menschen sprechen. Sie zeigen auch, wie es zu der massiven Verschuldung großer Bevölkerungsschichten kommen konnte. Vor allem in den Gleichnissen geht es oft um Geld. Deshalb habe ich eines ausgesucht, das den sozialgeschichtlichen Hintergrund des Vaterunsers beleuchten kann:
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100 Prozent Gewinn — Riesenboni gezahlt So könnte die Überschrift über dem Gleichnis lauten, das in Mt 25,14–30 erzählt wird. Ein Superreicher – in der Antike waren dies vor allem Großgrundbesitzer – sucht zuverlässige Verwalter für sein Geldvermögen. So gibt er drei Sklaven jeweils eine Summe Geld: fünf Talente, zwei Talente, ein Talent (Ernst/Arzt-Grabner /Naumann 2009, 194). Das Talent ist eine griechische Gewichtseinheit: ca. 26 kg, unterteilt in 60 Minen zu je 100 Denaren – der erste Sklave erhält also etwa 30.000 Denare zur Verwaltung. Im Vergleich dazu: Ein Tagelöhner verdient einen Denar pro Tag … Es geht also um große Geschäfte. Doch für den Besitzer sind die Talente nur »Peanuts«, bei seiner Rückkehr sagt er, dass er die Verwalter nur »im Kleinen« (V. 21.23) testen wollte. Die Erfolgreichen belohnt er nun mit den wirklich großen Aufgaben. »Erfolgreich« heißt in diesem Fall: Der Erste hat weitere 30.000 Denare erwirtschaftet, der Zweite weitere 12.000. Der Dritte hat sich der Aufgabe verweigert und hat die 6.000 Denare einfach vergraben. Der Verwurf an ihn lautet, dass er sie doch wenigstens zur Bank hätte bringen können, dann hätte er zumindest Zinsen erhalten. Er wird zur Strafe für seine Weigerung, den Besitz des Reichen zu vermehren, in den Folterkeller geworfen, wo ihn »Heulen und Zähneklappern« erwarten (V. 30). Das Gleichnis wirft ein Licht auf die Verschuldungsproblematik zur Zeit des Neuen Testaments. Denn woher kommen die 42.000 Denare Gewinn, die die beiden Finanzsklaven erwirtschaftet haben? Solche Summen kommen nur durch eine gnadenlose Ausbeutung der armen Bevölkerung zustande. Wenn die Ernte schlecht ausfiel, mussten die Menschen das Geld für das neue Saatgut gegen hohe Zinsen leihen – diese konnten bis zu 60 Prozent im Jahr betragen. Oft waren die Bäuerinnen mit ihrer kleinen Subsistenzwirtschaft nicht in der Lage, die Darlehen zurückzuzahlen, und mussten ihr Land und Vieh hergeben oder sogar Familienangehörige in die Schuldsklaverei ausliefern. Von der Gewalt der Schuldeneintreibung zeugen vielfältige Quellen. Die Eintreiber waren oft Sklaven. Im 1. Jahrhundert nahm die Land- und Besitzkonzentration in den Händen weniger reicher Großgrundbesitzer enorm zu – und ebenso Armut, Versklavung und Arbeitsmigration. Quellen aus dieser Zeit zeigen, dass Verschuldung weite Bevölkerungsgruppen in Judäa in römischer Zeit betraf. 90 Prozent der Menschen gehörten zur Unterschicht, die meisten davon waren arm, viele lebten sogar unterhalb der Grenze des Existenzminimums. Als Ausgangspunkt für den ersten jüdischen Aufstand gegen Rom nennt der Historiker Josephus, der als Augenzeuge dabei war, die Verbrennung von Schuldverschreibungen im Jahr 66 n. Chr. (Josephus, Bell. Jud. II, 426 f.)
Die Menschen waren verzweifelt angesichts der sie erdrückenden Schuldenlast. In der Nachkriegszeit, in der die Evangelien aufgeschrieben wurden, verschärfte sich die Situation weiter. Der dritte Sklave im Gleichnis begründet seine Weigerung, das Geld zu vermehren, so: »Du bist ein harter Mensch, der erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, wo er nicht ausgeteilt hat.« (V. 24) Er sagt die Wahrheit klar heraus und weigert sich, in diesem Ausbeutungssystem mitzumachen. Er ist der Held der Geschichte, der sein mutiges Handeln mit seinem Leben oder zumindest mit seiner Gesundheit bezahlt (zur Auslegung vgl. Schottroff 2010, 290–294). Eine kleine Nebenbemerkung: Dass mit dem Besitzer nicht Gott gemeint ist, ist hoffentlich deutlich geworden. Gott ist anders! Die Gleichnisse fordern dazu auf, die in der Erzählung geschilderte Wirklichkeit mit der gerechten Welt Gottes zu vergleichen – nicht: sie gleichzusetzen. Die von Luise Schottroff entwickelte Gleichnisnistheorie (vgl. Schottroff 2008) hat den Blick auf die gesellschaftskritische Dimension der Gleichnisse gerichtet. Gott ist anders! – Das ist die Hoffnung und Quelle der Widerstandskraft der Menschen, die unter dem brutalen Finanzsystem leiden.
»Erlass uns unsere Schulden« Wie bei der Bitte um das tägliche Brot geht es um das Lebensnotwendige – die Entlastung von den erdrückenden materiellen Schulden. Gott, hilf uns sie loszuwerden. Finanzielle Not war wie heute begleitet von Krankheit, Hoffnungslosigkeit und Isolation. Das existentielle Leid des Alltags hat die Menschen schwer bedrückt, oft ist das Gebet ihre einzige Möglichkeit ihre Verzweiflung in Worte zu fassen, es ist ihr Schrei um Hilfe. Doch damit ist der Sinn dieser Worte nur halb erfasst. Die Bitte spricht aber gleichzeitig auch von der Schuld Gott gegenüber. Wie werden sie an Gott schuldig? Um das zu verstehen, werfe ich erneut einen Blick in das Gleichnis von den Finanzsklaven. Es zeigt, dass das römische Unrechtssystem dadurch aufrechterhalten wird, dass Menschen mitmachen, von ihm profitieren. Die persönlich Unfreien, vom Besitzer abhängigen Sklaven profitieren davon, dass sie andere auspressen und an seiner Macht teilhaben, ein kleines Stück vom Kuchen abbekommen. Das Matthäusevangelium sagt, dass sie damit auch an Gott schuldig werden. Der dritte Sklave, der Held der Geschichte, zeigt, dass es auch die Möglichkeit gibt, das Unrecht zu unterbrechen, nicht mitzumachen, gegen den Strom zu schwimmen (vgl. Röm 12,2). Er vergräbt das Geld, sagt die Wahrheit und wird dafür ins Gefängnis geworfen. Aber ist das die Lösung angesichts der Verschuldung der Menschen um ihn
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Hintergründe
herum? Das Gleichnis lässt vieles offen – es zeigt, dass eine Unterbrechung der Gewalt möglich ist. Gleichnisse bieten keine einfachen Lösungen, sie fordern dazu auf, über das Gehörte zu sprechen, nach eigenen Wegen zu suchen, zu überlegen, was zu tun ist. Sie sind Unterbrechungsgeschichten, die zum Ausdruck bringen, dass es auch anders gehen kann. Zu überlegen, wie Gerechtigkeit konkret verwirklicht werden kann, ist Aufgabe der zuhörenden Gemeinschaft. Im Vaterunser ermutigen sie sich gegenseitig dazu. »Erlass uns unsere Schulden« heißt gleichzeitig: »Vergib uns unsere Schuld«. Diese Bitte ist von der Einsicht getragen, dass alle Menschen in das Unrechtssystem verstrickt sind, mitmachen, es als Mit-Täter und -Täterinnen unterstützen, auch wenn sie selbst Opfer sind. Die Betenden sehen, dass auch sie schuldig werden – an ihren Mitmenschen und an Gott. Das wird nicht voneinander getrennt. Dafür bitten sie um Vergebung. Nur Gott kann sie aus den Verstrickungen lösen.
»… wie auch wir denen vergeben, die uns etwas schuldig sind« Auch hier sind erneut zwei Ebenen angesprochen: die materielle und die spirituelle. Diejenigen, die Gott um Hilfe anflehen, sehen sich selbst als aktiv Beteiligte in diesem System: »wie auch wir erlassen anderen Schulden und Schuld …«. Es geht dabei sicher nicht um solche Summen wie die im Gleichnis. Aber auch im Kleinen geht es um das Ganze. Davon, dass Menschen, die wenig haben, dies miteinander teilen, erzählen die Speisungswunder. Das Vaterunser fordert konkret dazu auf, andere, die in Not sind, zu unterstützen und nicht zu erwarten, dass sie ihre Schulden später auch begleichen. »Wie auch wir denen vergeben, die uns etwas schuldig sind«, heißt zugleich, ihnen ihre Armut nicht vorzuhalten und sie in moralische Abhängigkeit zu bringen, sie zu beschämen. Damit wird deutlich gemacht: Die Verschuldung, der die Menschen oft ohne Ausweg ausgeliefert sind, ist Unrecht. ›Bei dem wollen wir nicht weiter mitmachen, indem wir uns genauso verhalten wie die, die uns auspressen‹, so könnte dieser zweite Teil der Bitte konkret lauten. Die Vaterunserbitte beinhaltet die Zumutung, »Nein« zum Unrecht zusagen, wo es möglich ist, es zu unterbrechen. Und zugleich ist es in bestem Sinne des Wortes »Rechtfertigung« – es vertraut auf die Gerechtigkeit Gottes, auch wenn nicht alles gelingt. So gehört zu der Bitte: »Erlass uns unsere Schulden« zugleich das aktive Eintreten für andere dazu: »…wie auch wir denen vergeben, die uns etwas schuldig sind«. Geschildert ist kein Nacheinander: »erst vergibt uns Gott, dann vergeben wir den anderen«, sondern zwei Seiten desselben Tuns werden gezeigt. Gottes Vergebung wird im
Vergeben der Schulden unter Menschen erfahren. Indem ich Anderen Schulden erlasse, erfahre ich die Vergebung Gottes. Und wenn ich diese erfahre, dann gebe ich sie auch weiter. Hier wird ein Kreislauf des Segens beschrieben. Das Vaterunser macht ein Beziehungsnetz von gegenseitigem Geben und Nehmen sichtbar. Es wird öffentlich in Gemeinschaft gesprochen. Ich werde beim Sprechen zum Teil eines größeren »Wir«, das sich Vergebung und die Aufforderung zum Geben gegenseitig zuspricht. Was heißt das konkret für uns heute, die wir im Gottesdienst das Vaterunser miteinander sprechen? Ich möchte dazu anregen, den dritten Finanzsklaven aus dem Gleichnis als Vorbild zu nehmen und zu fragen: Wo kommt heute der Profit her, der die Finanzwirtschaft mit Gewinnen bereichert, die höher sind als bankübliche Zinsen? Wer spricht heute offen aus, dass es Menschen gibt, »die ernten, wo sie nicht gesät haben«? Und was hält uns eigentlich davon ab, genau auf unsere eigenen Verstrickungen zu schauen? Warum erlassen wir nicht denen, die in Not sind, die Schulden? Und: Woher stammt der Mut des dritten Sklaven, woher wusste er, was Gerechtigkeit ist?
Literatur: Crüsemann, Frank (1992), »… und wie wir vergeben unseren Schuldigern«. Schulden und Schuld in der biblischen Tradition, in C. Crüsemann/W. Schottroff (Hg.), Schuld und Schulden. Biblische Traditionen in gegenwärtigen Konflikten, München, 90–103. Crüsemann, Marlene (2011), Reise zum Herzen Gottes – Das Vaterunser. Der Text für den Schlussgottesdienst: Matthäus 6,9–13, in: ... da wird auch dein Herz sein (Mt 6,21): 33. Deutscher Evangelischer Kirchentag Dresden 2011, Junge Kirche extra/2011, 9–14. Ernst, Michael/Arzt-Grabner, Peter/Naumann, Thomas (2009), Art.: Geld/ Geldwirtschaft, in: Frank Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh, 191–196. Schottroff, Luise (2010), Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 3. Aufl. Schottroff, Luise (2008), Sozialgeschichtliche Gleichnisauslegung – Überlegungen zu einer nichtdualistischen Gleichnistheorie, in: Ruben Zimmermann (Hg.), Hermeneutik der Gleichnisse Jesu, Tübingen, 138–149.
Dr. Claudia Janssen ist Studienleiterin im Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie der EKD, Hannover, und außerplanmäßige Professorin für Neues Testament an der Universität Marburg. Sie ist Mitherausgeberin der Bibel in gerechter Sprache (2006) und des Sozialgeschichtlichen Wörterbuchs zur Bibel (2009). www.claudia-janssen.eu
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Die Kirche, ihre Mitglieder und das Geld Wer finanziert die evangelische Kirche? Nicole Piroth
Die verschiedenen Aufgaben, Arbeitsfelder und Einrichtungen der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchenverursachen jährlich Kosten von fast 10 Milliarden Euro. (Die Einrichtungen der Diakonie finanzieren sich anders, hier sind Leistungsabrechnungen – insbesondere über Krankenkassen – ein tragendes Element.) Mit welchen Finanzquellen wird eigentlich die kirchliche Arbeit finanziert? Es sind vor allem drei große Finanzierungs-Säulen: 1. Die Einnahmen aus Kirchensteuern sowie Kollekten, Opfern und Spenden, 2. Leistungsentgelte, d. h. eigene Vermögenseinnahmen (Mieten, Pachten, Kapitalerträge) und Einnahmen aus kirchlichen Dienstleistungen (bspw. Elternbeiträge in Kindereinrichtungen, Schulgeld, Friedhofswesen), 3. Fördermittel und Zuschüsse von Dritten (meist Zuschüsse des Staates und der Kommunen für Leistungen im Interesse der Gesellschaft, insbesondere für Kindertagesstätten und andere Bildungseinrichtungen, Denkmalpflege u. a.). Hauptsächlich – nämlich zu rund 50 Prozent – wird die kirchliche Arbeit durch ihre
Mitglieder getragen, mit etwa 45 Prozent stellen die Kirchensteuereinnahmen die Hauptsäule der kirchlichen Gesamteinnahmen dar, danach folgen mit weiteren 5 Prozent zusätzliche monetäre Leistungen der Mitglieder wie freiwilliger Gemeindebeitrag, Spenden, Kollekten usw. Mit jeweils etwa 20 Prozent an den kirchlichen Gesamteinnahmen sind die Entgelte für kirchliche Dienstleistungen beteiligt sowie die Fördermittel und Zuschüsse von Dritten. Hinzu kommen sonstige Einnahmeposten kleineren Umfangs, bspw. aus Darlehen oder Rücklagen. Den größten Anteil an den Ausgaben haben die Bereiche Pfarrdienst, Seelsorge und Verkündigung, Religionsunterricht sowie allgemeine Gemeindearbeit und übergemeindliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Zusammen mit den Ausgaben für besondere kirchliche Dienste und den Bereich der Gemeindediakonie, zu dem auch die evangelischen Kindertagesstätten zählen, entfällt auf den Bereich der direkten Leistungen und Dienste am Menschen mit 5,8 Milliarden Euro mehr als die Hälfte der jährlichen Gesamtausgaben. Überwiegend handelt es sich dabei um Personalkosten!
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Hintergründe
Wer entrichtet wie viel Kirchensteuer? Die Kirchensteuer wird in Deutschland durch die staatlichen Finanzämter eingezogen. Der Staat erhält für diese Dienstleistung zwischen zwei und vier Prozent des kirchlichen Steuerauf kommens. Kirchensteuerpflichtig sind in Deutschland alle getauften Kirchenmitglieder mit Wohnsitz in Deutschland, die Lohn- oder Einkommensteuer bezahlen (dies gilt auch für ausländische Beschäftigte, die Mitglied der Kirche sind). Wer keine Lohn- und Einkommensteuer zahlt, bezahlt keine Kirchensteuer: Arbeitslose, Kinder, Schüler und Studierende, Geringverdienende sowie die Mehrheit der Rentner. Das Grundgesetz bestimmt, dass sämtliche Religionsgemeinschaften in Deutschland, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt sind, ein Steuererhebungsrecht besitzen. Neben der katholischen und evangelischen Kirche machen von diesem Recht Gebrauch: die jüdischen Gemeinden, das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, die Freireligiösen Gemeinden und die Unitarische Religionsgemeinschaft Freie Protestanten. Fast zwei Drittel der Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen in Deutschland gehören einer der beiden großen steuererhebenden Religionsgemeinschaften – der evangelischen oder der katholischen Kirche – an. Nur 43 Prozent aller Steuerpflichtigen sind zugleich auch Kirchensteuerzahler. In der evangelischen Kirche sind etwas weniger, nämlich etwa die Hälfte aller Mitglieder lohn- und einkommensteuerpflichtig, doch nur ein gutes Drittel aller Evangelischen entrichtet auch Kirchensteuer. Wieso kommt es zu dieser Diskrepanz? Wie viel Kirchensteuer jemand bezahlt, hängt vom Umfang des Einkommens, der Steuerklasse und der Kinderzahl ab. Steuerpflichtige mit niedrigem Einkommen und eigenen Kindern bezahlen häufig überhaupt keine Kirchensteuer, wie das Schaubild »Wer zahlt wie viel?« zeigt. Interessant ist allerdings, dass viele Menschen die Höhe der zu entrichtenden Kirchensteuer in Deutschland nicht oder nicht genau kennen (siehe Schaubild »Kenntnis des Kirchensteuersatzes). Fast 60 Prozent der westdeutschen Evangelischen und knapp 70 Prozent der ost-
* Stand 2013 geschätzt auf Basis der Erhebung 2005. (Quelle der Abbildung: Kirchenamt der EKD, 2013, Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben 2013, Hannover, 38)
* In den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern beträgt der Kirchensteuerhebesatz 8 Prozent. (Quelle der Abbildung: Kirchenamt der EKD, 2013, Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben 2013, Hannover, 36)
Kenntnis des Kirchensteuersatzes
Quelle des Schaubilds: Jan Hermelink/Thorsten Latzel (Hg.), 2008, Kirche empirisch. Ein Werkbuch, Gütersloh, CD-ROM Folie 317b
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deutschen Kirchenmitglieder konnten hierzu bei der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung keine Angaben machen. Nur etwa jeder Zehnte wusste darüber Bescheid, dass die Kirchensteuer 9 Prozent der Einkommenssteuer beträgt bzw. 8 Prozent in Baden-Württemberg und Bayern. Die restlichen Befragten konnten die Höhe der Kirchensteuer nicht korrekt beziffern. Auch dass die Kirchensteuer in voller Höhe steuerlich absetzbar ist, ist wenig bekannt. Im Durchschnitt aller evangelischen Kirchenmitglieder betrug im Jahr 2012 rein rechnerisch die jährliche Steuerlast pro Gemeindeglied 195,79 Euro. Dabei leisten allerdings den Hauptbeitrag die wohlhabenderen Kirchenmitglieder, während bspw. Rentner oder Geringverdienende im Allgemeinen nur durch freiwillige Spenden und Kollekten einen Anteil zur Finanzierung kirchlicher Arbeit leisten.
Die Kirchensteuer in Europa Manche Kirchenmitglieder ärgern sich darüber, dass sie mit ihren Mitgliedsbeiträgen in Form der Kirchensteuer kirchliche Einrichtungen finanzieren, die dann auch von jenen genutzt werden, die keinen Beitrag dazu leisten. So sagt ein Kirchenmitglied: »Wenn ich höre, dass die Leute sagen, sie treten wegen der Kirchensteuer aus, da hab‘ ich kein Verständnis dafür. Ich finde das eine Ungerechtigkeit sondergleichen, denn alle, egal wer, benutzen die kirchlichen Einrichtungen zum Nulltarif.« Wieder ein anderer ärgert sich, »dass der Staat die Kirche aus Finanzmitteln aller Steuerzahler in Millionenhöhe subventioniert!«. Zutreffend ist, dass der Staat die Kirchen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben finanziell unterstützt. Etwa 20 Prozent des kirchlichen Haushalts machen staatliche oder kommunale Zuschüsse und Fördermittel aus. Allerdings spielen dabei direkte sogenannte Staatsleistungen mit knapp 2 Prozent nur eine untergeordnete Rolle im kirchlichen Haushalt. Mehrheitlich handelt es sich vielmehr um zweckgebundene »finanzielle Leistungen in Folge des verfassungsrechtlich gebotenen Subsidiaritätsprinzips.
Dieses Prinzip beinhaltet, dass gesellschaftliche Aufgaben nicht zuerst vom Staat, sondern in eigenverantwortlichem Handeln von gesellschaftlichen Gruppierungen gelöst werden sollen. Erst wenn diese hierzu nicht in der Lage sind, darf die übergeordnete Einheit eingreifen.«1 Der Staat ist dazu gehalten, die verschiedenen Träger – seien dies Kirchen oder andere freie Träger und Wohlfahrtsverbände wie Arbeiterwohlfahrt oder Rotes Kreuz – bei der Lösung der von ihnen übernommenen gesellschaftlichen Aufgaben auch finanziell zu unterstützen. So wendet bspw. die Kirche für Kindergärten in evangelischer Trägerschaft etwa 1,9 Milliarden Euro auf, von denen rund 1,3 Milliarden auf staatliche und kommunale Zuschüsse entfallen, da sich die Kirchen durch die Bereitstellung von Kindergartenplätzen am Erbringen einer allgemein erwünschten gesellschaftlichen Leistung beteiligen. Der deutsche Staat müsste andernfalls zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergarten- bzw. Kindertagesstättenplatz selbst die entsprechenden Einrichtungen betreiben, was für den Steuerzahler Kosten in gleichem bzw. vermutlich größerem Umfang verursachen würde. Auch für das Verhältnis zwischen Europa und seinen Mitgliedsstaaten gilt das Subsidiaritätsprinzip und die europäische Ebene soll nur tätig werden, wenn Maßnahmen der einzelnen Mitgliedsstaaten nicht ausreichen und bestimmte politische Ziele (nur) gemeinsam besser erreicht werden können. So gibt es in Sachen Kirchensteuer bisher keinerlei Bestrebungen, die Finanzierung der europäischen Kirchen einheitlich zu regeln. Das Kirchensteuerrecht ist ebenso wie die Kulturhoheit nach wie vor Sache des einzelnen Staates und der jeweiligen Religion. Daher finden wir heute in Europa nach wie vor höchst unterschiedliche Modelle der Kirchenfinanzierung. Prinzipiell lassen sich – je nachdem, wie grundsätzlich das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen geregelt ist – fünf verschiedene Finanzierungssysteme unterscheiden, die teilweise auch in Mischform auftreten: 1. eine Finanzierung direkt durch den Staat, 2. Finanzierung über ein Kirchensteuersystem,
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Hintergründe
3. Finanzierung über ein Kirchenbeitragssystem, 4. Finanzierung über Erträge aus kircheneigenem Vermögen, 5. Finanzierung durch Spenden und Kollekten. Eine Finanzierung durch den Staat gibt es bspw. in Belgien und Griechenland. So werden etwa die Gehälter der griechisch-orthodoxen Kirche direkt durch den Staat bezahlt. Die staatlichen Leistungen sind in diesen Ländern neben Spenden die Hauptfinanzierungsquelle des kirchlichen Lebens. In Großbritannien wiederum finanziert sich die dortige Staatskirche überwiegend aus eigenem Vermögen, da sie über ertragreiche Besitztümer verfügt. Völlig anders ist die kirchliche Finanzierung in Ländern wie Frankreich. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist durch eine strikte Trennung gekennzeichnet (Laizismus). Außer in drei östlichen Departements mit Sonderregelungen finanziert sich die französische – überwiegend katholische – Kirche weitgehend selbst. Etwa 75 Prozent der Einnahmen stammen aus Spenden und 25 Prozent aus einem freiwilligen »Kultbeitrag«. Die kirchlichen Finanzen reichen in Frankreich nicht aus, um die kirchlichen Aufgaben und insbesondere kirchliche Hauptberufliche in ausreichendem Maße zu finanzieren. Viele französische Pfarrer müssen einem Zweitberuf nachgehen, um ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. In Schweden, Finnland oder Norwegen gibt es wie in Deutschland ein Kirchensteuersystem. Im Unterschied zu Deutschland handelt es sich bei den dortigen evangelischen Kirchen um Staatskirchen, denen der überwiegende Teil der Bevölkerung angehört. Die dortigen Kirchen werden bei Finanzierungslücken teilweise noch durch staatliche (Ergänzungs-)Leistungen unterstützt. Interessant ist, dass etwa in Finnland nicht nur die Kirchenmitglieder Steuern bezahlen, sondern auch alle geschäftlichen Unternehmungen. Auch in Italien und Spanien werden die Kirchen aus Steuermitteln finanziert. In beiden Ländern können die Steuerzahler seit 1990 bzw. 1988 entscheiden, ob ein gewisser prozentualer Anteil der Lohn- bzw. Einkommensteuer der Kirche zufließen soll oder alternativ anderen
sozialen und kulturellen Zwecken. Dieser Beitrag ist mit unter einem Prozent der Lohn- bzw. Einkommensteuer allerdings deutlich geringer als in Deutschland (i. d. R. 9 Prozent der Lohn-/ Einkommenssteuer). Österreich hat als einziges europäisches Land ein Kirchenbeitragssystem, d. h., die Beiträge werden durch die Kirchen selbst von ihren Mitgliedern eingezogen und nicht als Steuern erhoben.
Warum spenden Kirchenmitglieder? Schätzungsweise 310 Millionen Euro spenden im Jahr 2013 die Mitglieder der Evangelischen Kirche; hinzu kommt in einigen Landeskirchen die Zahlung eines freiwilligen Gemeindebeitrages, der in voller Höhe direkt dem Gemeindeleben vor Ort zugute kommt und steuerrechtlich auch als Spende gilt. Der Schritt zu einer größeren Spende, die über kleine Beträge für den Klingelbeutel hinausgeht, ist in der Regel ein bewusster und durchdachter Schritt. Doch warum und wofür spenden die Menschen? Näheren Aufschluss, aus welchen Motiven Menschen sich bewusst für eine Spende entscheiden, geben empirische Studien der letzten Jahre, insbesondere die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Hier wurde erkennbar, das abhängig von Lebensstil und Milieuzugehörigkeit sowohl die prinzipielle Bereitschaft zur Spende unterschiedlich hoch ausfällt, als auch die zugrundeliegenden Anlässe, Zwecke und Motive sich unterscheiden. So spendet beispielsweise die sogenannte Gruppe der »Bodenständigen« – eine Gruppe, die besonders durch eine regionale Orientierung und das Interesse an Geselligkeit und Nachbarschaftskontakten gekennzeichnet ist – aus dem Motiv heraus, etwas für die lokale Gemeinschaft, die eigene Heimat tun zu wollen: Eine Spende für die Jugendarbeit im Gemeinwesen oder ein Beitrag zur Sanierung des Kirchturms sind typische Beispiele. Die Gruppe der eher jungen »Mobilen« weist insgesamt den geringsten Anteil an Spendern und Spenderinnen auf: Nur 15 Prozent dieses Milieus spendeten im vorangegangenen Jahr einen größeren Beitrag für wohltätige bzw. ge-
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Spendenverhalten nach Milieus Milieu
Alter (besondere Geschlechter verteilung)
Bildung/ Berufs status
Wichtig im Leben
Freizeit und Musik
Anteil Spen der*
Typisches Spenderverhalten
Die Hoch kulturellen
Ab Mitte 50, Durchschnitt bei 63 Jahren (2/3 Frauen)
Eher hoch
Für andere da sein, Leben in gleichmäßigen Bahnen, gesellschaftliches Ansehen, gehobener Lebensstandard
Klassische Musik, Theater, Literatur
55 Prozent
Spenden aus Verpflichtung, langfristige SpenderBindung, heimatverbundenes Spenden, Interesse an Nachhaltigkeit: Spenden für Stiftungen, teilweise: Interesse an Veröffentlichung der eigenen Spende
Die Boden ständigen
Ab Ende 50, Durchschnitt bei 63 Jahren (2/3 Frauen)
Eher niedrig
Für andere da sein, Leben in gleichmäßigen Bahnen, Sparsamkeit, naturverbundene Lebensweise
Geselligkeit, Nachbarschaftskontakte, Volksmusik
30 Prozent
Spenden durch persönliche Kontakte und Heimatverbundenheit, Orientierung am praktischen Nutzen, Misstrauen gegenüber großen, überregionalen Organisationen, allzu schickem Design
Die Mobilen
14-40, selten älter, Durchschnitt um 30 Jahre
Eher höher
Lebensgenuss, gutes, attraktives Aussehen, Unabhängigkeit
Rock- und Popmusik, Kino, Disko, Computer, Aktivsport, stark unterschiedliche Nachbarschaftskontakte
15 Prozent
Spenden-Aktionen, gern aufregend: Wetten, Prämien etc. Interesse an speziellen Themen und teilweise auch persönlicher Beteiligung (Patenschaft Kind in Afrika, Teilnahme bei Youth for Understanding)
Die Kritischen
Breit gestreut von 25 bis 65, Durchschnitt Mitte 40 (2/3 Frauen)
Eher hoch
Engagement für andere, Reflexion, Lebensgenuss
Breiter Musikgeschmack: Klassik, Rock und Pop, keine Volksmusik, Theater, Kino, Aktivsport, Bücher, Weiterbildung, Kunst und Musik
46 Prozent
Spenden aus inhaltlicher Überzeugung, Interesse am konzeptionellen Mitdenken, an Mitverantwortlichkeit und Nachhaltigkeit. Langfristige Spender-Bindungen: Fördermitgliedschaft, Stiftungen etc.
Die Geselligen
30–50 Jahre, Durchschnitt Anfang 40 Jahre (Männer über repräsentiert)
Durchschnittlich oder höher
Lebensgenuss, Leben in gleichmäßigen Bahnen, Familie
Kontakte mit Nachbarn/ Freunden/Familie, Do-ityourself, Gartenarbeit, Aktivsport, Kino, Rockund Popmusik
31 Prozent
Spenden für lokale oder persönliche Belange durch persönliche Kontakte; Spenden aus Heimatverbundenheit, Sinn für praktischen Nutzen; leichte Vorliebe für Einzelaktionen mit konkretem Zweck und Möglichkeit zur Beteiligung: Kuchen verkaufen, etwas bauen
Die Zurück gezogenen
40 Jahre, breite Streuung, Durchschnitt um 55 Jahre
Gering
Leben in gleichmäßigen Bahnen, Lebensgenuss, Sparsamkeit
Interesse an Volksmusik, Distanz zu Hoch- und Jugendkultur und geselligem Freizeitverhalten, wenige Nachbarschaftskontakte
20 Prozent
Gewisse Bereitschaft zu spenden in geringem Umfang; Ambivalenz gegenüber Hilfeleistungen (»uns hilft auch keiner«); Misstrauen gegenüber großen Organisationen, überregionalen Projekten
* Der »Anteil Spender« meint den Anteil der Kirchenmitglieder, die in der EKD-Studie von 2002 angeben, in den vergangenen zwölf Monaten einen größeren Betrag für einen wohltätigen bzw. gemeinnützigen Zweck gespendet zu haben (eigene Zusammenstellung nach: C. Schulz, E. Hauschildt, E. Kohler, 2008, Milieus praktisch, Göttingen, 287.293)
meinnützige Zwecke. Anreiz können hier Mitgestaltungselemente, Spaß und Spannung bieten: »Nicht durch Zufall locken zum Beispiel Spendenmodelle mit sportlichen Anteilen und Leistungscharakter, bei denen Menschen mit Spenden für ein Projekt ihrer Wahl dafür belohnt werden, sportliche Leistungen zu erbringen.«2 Der Anteil an Spendern und Spenderinnen bei den sogenannten »Kritischen« ist mit 46 Prozent vergleichsweise hoch. Gespendet wird aus inhaltlicher Überzeugung, das Interesse gilt einer nachhaltigen Verwendung der Finanzmittel. Vielfach wird dieses auch längerfristig mitgestaltet durch das eigenen Engagement, das Mitdenken und -entscheiden in Fördervereinen oder Stiftungen.
Aus den Erkenntnissen über solche unterschiedlichen milieu- und lebensstiltypischen Vorlieben wird deutlich, dass der einfache, undifferenzierte Aufruf einer Gemeinde oder Einrichtung zum Spenden, ohne sich über solche Motivlagen zu vergewissern, ins Leere laufen kann. Die Frage, Angehörige welcher Milieus sich möglicherweise für ein bestimmtes Projekt gewinnen lassen könnten, kann die Art der Werbung und letztlich die Erfolgschancen für Fundraising und Mitteleinwerbung verbessern.
Dr. Nicole Piroth ist Professorin für Religions- und Gemeindepädagogik an der Hochschule Hannover.
Quellen: Umfangreiche Informationen rund um die kirchlichen Finanzen findet man auf der Internetseite der EKD: www.ekd.de/kirchenfinanzen/. Kirchenamt der EKD (Hg.), 2013, Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben 2013, Hannover. Online verfügbar unter: http://www.ekd.de/download/zahlen_und_fakten_2013.pdf. Jan Hermelink/Thorsten Latzel (Hg.), 2008, Kirche empirisch. Ein Werkbuch, Gütersloh. Darin insbes. die Aufsätze: Karin Bassler, Kirchenfinanzen im Umbruch, 313–328, und Claudia Andrews, Fundraising: Voraussetzungen – Strukturen – Entwicklungsmöglichkeiten, 329–348. Claudia Schulz/Eberhardt Hauschildt/Eike Kohler, 2008, Milieus praktisch, Göttingen, darin insbes. Kap. 6 Spenden, Fundraising und der gute Zweck, 174–185.
1
www.ekd.de/kirchenfinanzen (17.08.2013).
2
Claudia Schulz/Eberhardt Hauschildt/Eike Kohler, 2008, Milieus praktisch, Göttingen, 181.
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Ehrenamt begleiten
Foto: © Andrejs – Fotolia.com
Bezahltes Ehrenamt? Zur Ambivalenz von Aufwandsentschädigungen im Ehrenamt – eine Problemanzeige Beate Hofmann
Die Monetarisierung des Ehrenamtes, d. h. die Bezahlung von Tätigkeiten, die vorher oder andernorts unentgeltlich erbracht wurden, greift immer mehr um sich. Dazu drei Beispiele: Zu einem Empfang für Ehrenamtliche in der Kirchengemeinde kommt eine Frau, die Demenzkranke betreut und dafür eine Aufwandentschädigung von 5 Euro pro Stunde von der Diakonie bezahlt bekommt. Trotz dieser Entschädigung versteht sie sich selbstverständlich als Ehrenamtliche. In Württemberg gibt es ein staatlich finanziertes Jugendbegleiterprogramm zur Förderung von
»qualifiziertem Ehrenamt«, durch das in Ganztagsschulen tätige Jugendbegleiter aus Vereinen und Verbänden mit 7 bis 8 Euro pro Stunde »entschädigt« werden. Der Kreisjugendring eines bayerischen Landkreises veranstaltet Kinderfreizeiten und sucht dafür Begleiter mit JuLeiCa. Er lockt Mitarbeitende mit einer Aufwandsentschädigung, während die Evangelische Jugend für die Begleitung von Freizeiten nichts bezahlt. Zunehmend finden sich dort weniger Mitarbeitende für kirchliche Jugendfreizeiten, denn viele Jugendleiter ziehen es vor, die bezahlte Freizeitbegleitung zu machen, die ihnen den Ferienjob zur Finanzierung des Engagements bei der Jugendfreizeit erspart.
Diese drei Beispiele für die Monetarisierung von Ehrenamt deuten schon an, wie komplex das Feld Ehrenamt inzwischen geworden ist. Ehrenamt definiert sich eigentlich als »freiwilliges, selbstbestimmtes, unentgeltliches Engagement«, das einen Eigensinn hat (Hofmann, 2012, 327 f). Dabei ist es gutes Recht von Ehrenamtlichen, für entstandene Auslagen eine Kostenerstattung zu erhalten. Darum geht es hier nicht. Darüber hinaus werden zunehmende Aufwandsentschädigungen bezahlt, die zu kniffligen Fragen führen: Was ist noch (unentgeltliches) Ehrenamt, was ist schon (bezahltes) Nebenamt? Ent-
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Literatur: Untersuchung zur Monetarisierung von Ehrenamt und Bürgerschaftlichem Engagement in BadenWürttemberg im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg, vorgelegt vom Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung von Thomas Klie, Philipp Stemmer, Martina Wegner, Freiburg 2009. Hofmann, Beate (2012): Gemeindepädagogische Arbeit zwischen Engagement und Profession, in: Bubmann, Peter et al.: Gemeindepädagogik, Berlin/Boston, 325–349.
steht hier ein neuer Niedriglohnbereich, in den Menschen geschoben werden, die sonst arbeitslos wären? Wird aus dem Ehrenamt ein Instrument der Beschäftigungspolitik? In einigen ostdeutschen Bundesländern zeichnen sich solche Tendenzen ab. Das führt dazu, dass Ehrenamt als Arbeitsmarktinstrument wahrgenommen wird, das entsprechend nur die machen, die es »nötig« haben, während die, die es sich finanziell »leisten« können, sich dann nicht mehr engagieren. Das verändert das Image von Ehrenamt deutlich. Bisher war – besonders in Westdeutschland – Ehrenamt etwas, das sich vor allem die sozial besser Gestellten »leisten« konnten, weil sie durch ihre finanzielle Absicherung in der Lage sind, unentgeltlich Zeit und Energie für bürgerschaftliches Engagement zu geben. Entsprechend argumentieren die Befürworter von Aufwandsentschädigungen, dass diese geringfügige Bezahlung ein guter Weg sei, um den Menschen einen Weg ins Engagement zu eröffnen, die sich sonst ein Ehrenamt nicht leisten könnten, weil sie – manchmal durch mehrere Jobs – für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Gelegentlich wird auch argumentiert, dass in einer Gesellschaft, in der Wertschätzung vor allem über finanzielle Zuwendung ausgedrückt wird, die Aufwandsentschädigung der angemessene Weg sei, Wertschätzung zu zeigen. Doch genau an dieser Stelle haken die Kritiker der Monetarisierung ein und weisen darauf hin, dass Ehrenamt davon lebt, dass man Wertschätzung auf andere Weise erfährt und dass hier der Lohn in anderer Währung »bezahlt« wird, nämlich in Erfahrungen von Sinnerfüllung, Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit. Geld, so die Kritiker, würde gerade diese Erfahrung einer nicht ökonomisierten Zone des »Gebens« und »Nehmens« zerstören. Dadurch ginge auch der »Eigensinn« des Engagements verloren, weil mit der finanziellen Zuwendung Weisungsbindungen entstehen und Engagement ökonomisiert und funktionalisiert würde. D. h., wenn ich für eine Leistung bezahle, erwarte ich auch, dass sie verlässlich und pünktlich ausgeführt wird. Dadurch verpflichte ich »Ehrenamtliche« zu Dienstleistungen, d. h. in letzter Konsequenz, dass sie ihren Dienst nicht mehr selbstbestimmt und freiwillig, sondern angeordnet tun. Die betriebswirtschaftliche Sicht ist da eine andere: Durch die geringfügige Bezahlung bleiben Einrichtungen
wettbewerbsfähig, weil sie nicht vollen Lohn für die Arbeitszeit bezahlen müssen; gleichzeitig ist die Aufgabenwahrnehmung gesichert, weil jemand, der bezahlt wird, dann auch verlässlich da sein muss und nicht einfach mal absagen und keine Zeit oder keine Lust haben kann. Diese unterschiedlichen Argumentationslinien zeichnet eine »Untersuchung zur Monetarisierung von Ehrenamt und Bürgerschaftlichem Engagement in Baden-Württemberg« vom Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung in Freiburg, die 2009 veröffentlicht wurde, eindrücklich nach. Das Fazit der Studie: Es gibt Bereiche, in denen Aufwandsentschädigungen sinnvoll und hilfreich sind. Doch um die Eigenlogik des Ehrenamts nicht zu zerstören, ist es nützlich, die Tatbestände begrifflich zu differenzieren. Dadurch bleiben auch die unterschiedlichen Logiken transparent. So sind z. B. Menschen, die sich im Bundesfreiwilligendienst engagieren, zwar Freiwillige, aber keine Ehrenamtlichen, denn sie erhalten Unterkunft und Verpflegung und ein Taschengeld. Bezahlte Freiwilligenarbeit und unbezahltes Ehrenamt sollten, so die Autoren der Studie, als komplementäre, nicht als konkurrente Systeme entwickelt werden. Es kann Aufgaben geben, die von den Anforderungen an Verlässlichkeit, Zeit und Kompetenz durch die Entschädigung attraktiv gestaltet und abgesichert werden können. Doch wäre es verhängnisvoll, wenn sie zum Muster für alles Engagement in der Zivilgesellschaft gemacht würden und etwas, für das kein Geld bezahlt wird, nicht mehr als »wertvoll« und »wertgeschätzt« erachtet wird. Einer solchen Dynamik von Bezahlung sollte die Engagementpolitik im Kleinen wie im Großen bewusst entgegensteuern, so dass auch junge Menschen die Erfahrung machen, dass etwas, für das sie kein Geld bekommen, trotzdem kostbar und sinnvoll sein kann, und sie dabei eine »Wertschätzung« erleben, die durch kein Geld dieser Welt aufgewogen werden kann.
Prof. Dr. Beate Hofmann, Professorin für Diakoniewissenschaft an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel.
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Praxisentwürfe
Interkulturelles Engelsprojekt »Friede auf Erden« – Schülerinnen und Schüler arbeiten sich durch Engelbauten in ein Friedensthema hinein Helgard Jamal
Interkulturelle Öffnung Das Engelsprojekt zur Vorbereitung auf das interkulturelle Weihnachtsspiel haben Schülerinnen und Schüler einer Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik mit Lehrenden im Religions- und Kunstunterricht durchgeführt. Die Wertschätzung verschiedener Kulturen und die Wertschätzung der Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlicher religiöser Sozialisation waren der Ausgangspunkt für das Engelsprojekt in der Weihnachtszeit. In den Kindertagesstätten, Horten und weiteren Praxisstellen der angehenden Erzieherinnen und Erzieher sind im Durchschnitt noch etwa die Hälfte der Kinder getauft, mehr als ein Drittel der Kinder haben einen Migrationshinter-
grund. Die interkulturelle Verständigung und der Einsatz für den Religionsfrieden bleiben deshalb unverzichtbar. Inhaltlich wurde im Sinne des Textes von Kurt Marti gearbeitet: Religion: Geschichte, darin wir wurzeln; Visionen, von denen wir zehren; Geist, der uns nährt; Bilder der Seele; alte Weisung; neue Horizonte. Absolutheit? Ein Wahngebilde des Willens zur Macht, Giftquell der Fanatismen. Absolut ist nichts, auch keine Religion. Absolut ja hieße: losgelöst von Zeit, von Geschichte. Religionen aber: gewachsene Vielgestalt, zeitlich, geschichtlich. Auch das Christentum: nicht absolut! Und die anderen Religionen? Staunen, sag ich. Lernen, sag ich. Darauf achten, ob ihre Weisheit Unterdrückung rechtfertigt oder Mut weckt zur Befreiung.
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Weihnachten – »Friede auf Erden«
gibt Menschen, die gehören keiner Religion an. Im deutschen Gesetz heißt es: (Artikel 4) »(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.« Erziehende erklären: In Deutschland erleben wir Advent und Weihnachten, weil die meisten Menschen Christinnen und Christen sind. Sie feiern Weihnachten, weil Jesus geboren ist, es ist das Fest der Liebe, deshalb wird die Weihnachtsgeschichte erzählt.
Im Religionsunterricht haben wir zunächst erarbeitet, wie die Erzählung der Weihnachtsgeschichte für Kinder in multikulturellen Gruppen eingebettet sein kann: Die Kinder können in der Adventszeit davon erzählen, wie sich die Stadt verändert hat und wie sie Weihnachten und auch andere Feste erleben. Die Wertschätzung des Erziehenden liegt in folgender Vermittlung: Familien feiern religiöse Feste, Weihnachten oder andere Feste, es gibt verschiedene Feste, jedes Fest ist wichtig! Alle Religionen vermitteln: Behandle deinen Mitmenschen so, wie du behandelt werden möchtest (Goldene Regel). Kinder hören: Es gibt Menschen, die sind Juden, Christen, Muslime, Buddhisten oder Hindus, und es
Interkulturelles Engelsprojekt – was sollte ein Engel schützen? Durch die Fragestellung: Was sollte ein Engel irgendwo auf der Welt schützen? konnten sich alle gut auf das Gesamtthema »Weihnachten – Friede auf Erden« einlassen. Im Projekt wurde überlegt, wie hinsichtlich der Fragestellung Engel aus verschiedenen Kontinenten, Ländern und Kulturen künstlerisch gestaltet werden können. Nach der Ideensammlung und dem Anfertigen der Schablonen wurden die Engel aus einer Tischlerplatte, 13 mm Stärke, ausgesägt und mit umweltfreundlichen Acryl-Farben bemalt.
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Praxisentwürfe
Eine Schülerin beschreibt zum Beispiel: »Wir haben uns als Thema für unseren Engel Afrika ausgesucht. Trotz der Lebensfreude der Afrikaner gibt es dort viele Schwierigkeiten. Menschen leiden unter Hunger, Wassermangel, dem Klimawandel, Aussterben von Tieren, unterschiedlichen Wertvorstellungen. Der Engel des Friedens für Afrika hat Engelsflügel in den Konturen des afrikanischen Kontinents. Ein Regenbogen verbindet die Flügel, er ist das Zeichen des Friedens zwischen Gott und den Menschen. In den Spiegelscherben auf dem Körper mit dem afrikanischen Muster kann sich der Betrachter spiegeln und wird mit dem Bibelwort angeregt: Gastfrei zu sein vergesst nicht, denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt (Hebräer 13,2).« Es entstanden zwei Meter hohe, bunt bemalte Holzengel, die rechts und links während der Auf-
führung des interkulturellen Weihnachtsspieles zu sehen waren, in verschiedenen Räumen ausgestellt wurden und noch für Wanderausstellungen bereitstehen. Zwölf Engel wurden für die Herstellung des Geburtstagskalenders ausgesucht, namentlich: 1. Blüten-Engel, 2. Sri Lakshmi-Engel der Anmut, 3. Kontinent-Engel, 4. Konsumschutz-Engel, 5. Regenwald-Engel, 6. Afrikanischer Kinderengel, 7. Aborigines-Australischer Engel, 8. Nana-Engel, 9. Judentum-Engel, 10. Islam-Engel, 11. Fernöstlicher Engel, 12. Engel des Friedens. Die Schüler haben sich durch die Engelbauten in ein Friedensthema hineingearbeitet. Diese Vorbereitung im Kunst- und Religionsunterricht war zeitintensiv, doch sehr anregend für das interkulturelle Weihnachtsspiel und für die Einübung in den Religionsfrieden.
Helgard Jamal (Hg.) Engel haben Geburtstag Interkultureller Geburtstagskalender 12 Kalenderseiten mit Deckblatt DIN A4, farbig illustriert,€ 8,00 ISBN 978-3-86893-083-2
Dr. phil. Helgard Jamal, Dipl.-Pädagogin, ist Buchautorin und war 36 Jahre in der Ausbildung der Erzieher/-innen und im Pastoralen Dienst in den vBS Bethel, Hannover, tätig.
Helgard Jamal (Hg.) Interkulturelles Weihnachtsspiel 36 Seiten, geheftet, farbig illustriert 10 Expl. im Paketpreis von € 15,00 ISBN 978-3-86893-082-5
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Weihnachtzeit – Zeit für Singles? Praxisideen für die schönste Zeit des Jahres Corinna Ullmann
Adventsbrunch: http://www. brunchamsonntag.de/index.php. Offenes Weihnachtsfest: http://www. refhorgen.ch/ref/downloads/2012_12.pdf. Jazzige Christnacht: www.bonn-evangelisch. de/aktuell/ archiv-2012-weihnacht_2012-1901.php. Weihnachtskino: http://www2.evangelisch. de/themen/magazin/weihnachtenalleinstehend-aber-nicht-allein-feiernd8867.
Jedes Jahr stehen Kirchengemeinden vor der Frage, welche Veranstaltungen in der Weihnachtszeit angeboten werden sollen. Die immer größer werdende Zahl von Alleinlebenden legt nahe, dass Gemeinden auch spezielle Angebote für diese Zielgruppe in ihr Programm aufnehmen. Es handelt sich hierbei um Menschen, die derzeit aus verschiedensten Gründen ohne feste Partnerschaft leben. Welche Angebote bzw. Veranstaltungen sprechen die Menschen an, die alleine sind, besonders in einer Zeit, in der die »heilige Familie« für viele im Zentrum steht? Gerade die Adventssonntage können für Singles schon zur Herausforderung werden und negative Gefühle auslösen. Daher kann es hilfreich sein, gerade jetzt Alternativen anzubieten. Anregungen dazu zeigt beispielsweise die Website Brunch am Sonntag auf. Hier kann sich in eine Mailingliste eingetragen werden. Der Brunch beginnt um 11.00 Uhr, der Ort wird über den Verteiler und die Homepage bekanntgegeben. Die Zielgruppe sind sympathische Leute bis 40, und eine bunte Mischung von Singles nimmt dieses Angebot war. Eine weitere Idee wäre das offene Weihnachtsfest. So kann beispielsweise ein Gemeindehaus oder ein Begegnungszentrum ein Ort sein, an dem gemeinsam gegessen, gefeiert und ge-
sungen wird. Jeder darf kommen, verweilen und gehen, wie und wann er will. Es ist ein kostenloses Angebot und erfordert von den Durchführenden eine gute Sponsorensuche und ehrenamtliches Engagement. Alternativ dazu könnte es am Heiligabend eine jazzige Christnacht geben. Die Lutherkirche in der Südstadt in Bonn lädt seit Jahren dazu ein. Beginn ist um 22.30 Uhr und neben einem Ensemble ist der Gottesdienst durch eine Kerzenmeditation gestaltet. Anschließend ist die Kirche zu einem gemütlichen Beisammensein geöffnet, bei Brot, Wein und Käse. Die Kirche wird erst geschlossen, wenn der Letzte gegangen ist. Möglicherweise könnte auch das sogena nnte Weihnachtskino Besucher anlocken. Warum nicht auch zu Weihnachten einmal das gemütliche Beisammensein mit dem Flair von Filmen gestalten? Gemeinden könnten eine Filmnacht für alle anbieten, zu der dann natürlich verstärkt Menschen ohne Familienanbindung vor Ort kommen.
Corinna Ullmann ist Religionspädagogin im Vorbereitungsdienst in der Nähe von Nürnberg.
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Praxisentwürfe
Gott nahe zu sein ist mein Glück. Psalm 73,28 (Jahreslosung 2014)
Glücksworte – Losungsworte Bausteine zur Jahreslosung 2014 Simone Merkel
Heute trage ich wieder diesen Mantel. Lange hing er ungenutzt im Schrank, nun habe ich ihn wieder hervorgeholt. Meine Hand gleitet in die Jackentasche. Ich finde einen Zettel, darauf ein Spruch. Ich lese und erinnere mich. Ein Gruß von einem alten Freund. Die Begegnung wird wieder lebendig. Unsere Gespräche kommen mir in den Sinn. Ich höre wieder die aufmunternden Worte. Die Begegnung, die Nähe und die Worte haben mir Mut gemacht und mich gestärkt. Alles ist gelungen, seine Nähe war mein Glück. Ich falte den Zettel sorgfältig zusammen und will ihn nun an einem besonderen Ort aufbewahren. Dieses Glück will ich festhalten.
Worte des Glücks, des Dankes, der Mahnung oder der Erinnerung sind die Losungsworte, die für den Tag, die Woche oder den Monat gewählt sind. Sie können Begleiter durch das Leben sein. Sie laden zum Jubel ein oder geben Trost und Stärkung. Sie mahnen zum Innehalten oder zur Korrektur des Denkens und des Handelns. Ob und in welcher Weise sie anregend oder stärkend sind, ist gewiss individuell. Die augenblickliche Stimmung, die alltäglichen Anforderungen oder die ganz persönlichen Lebensumstände haben Einfluss darauf, welche Assoziationen freigesetzt, Fragen aufgeworfen oder Antworten gefunden werden. Dabei ist es
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manchmal nur ein Wort, das besondere Aufmerksamkeit erweckt, eine kurze Wortkette oder der Moment, in dem es gelesen oder gehört wird. Mit der Jahreslosung trage ich über lange Zeit eine Begleiterin in der Manteltasche. Für das Jahr 2014 ist ein Vers aus dem Psalter vorgeschlagen: Gott nahe zu sein ist mein Glück. (Ps 73,28) Oberflächlich gelesen, kann dieser Vers an- oder aufregen, stärken oder irritieren, zum Widerspruch herausfordern oder Zustimmung gewinnen. Hilfreich ist er dann, wenn er über den Moment hinaus seine Wirkung entfalten kann. Darum lohnt es, in den Text einzutauchen und nach den Erfahrungen im Glauben und im Leben damals wie heute zu suchen. Die nachfolgenden Anregungen dürfen als Bausteine aus Impulsen, Fragestellungen und Ideen zum Weiterarbeiten verstanden werden.
Welch ein Glück ist mein Glück Einladung zum Nachdenken Mein Glück – was ist das? Ist Glück ein menschlich erstrebenswertes, aber unerreichbares Ziel? Ist Glück eine Grundhaltung des Lebens? Ist es die Begünstigung durch den Zufall? Die Brüder Grimm lassen den Burschen Hans nach sieben Jahren treuen Dienstes ausgestattet mit einem Klumpen Gold, der so groß wie Hansens Kopf ist, nach Hause wandern. Mit schlafwandlerischer Unbekümmertheit tauscht er Gold gegen Pferd gegen Kuh gegen Schwein gegen Gans gegen Schleifstein. Schließlich kehrt er mit leeren Händen heim und ist der Hans im Glück. Ist es kalkulierter Abstand vom Reichtum, um besitzlos und arm, gelöst von belastenden Verpflichtungen in den ideellen
Werten das erstrebenswerte Ziel zu finden? Heißt demnach Gott nahe sein, im armseligen Pisspott zu sitzen, wie des Fischers unersättliche Frau in einem anderen Märchen der Brüder Grimm? Von der Antike bis heute beschäftigt das Nachdenken über das Glück des Menschen und die Glückseligkeit Denker aller Richtungen. Lässt sich Glück beschreiben? Lässt es sich definieren? An der Bedeutung des scheinbar so selbstverständlichen Begriffs scheiden sich die Geister und überlassen damit – jedenfalls heutzutage – einem breiten Konsummarkt das Feld. Talismane und Glücksbringer, Anleitungen zum Glücklichsein in Kursen, Foren, in Ratgebern und auf Postkarten finden weiten Zuspruch. Das hat sicher gute Gründe. Wenn Glück gleichzusetzen ist mit subjektivem Wohlbefinden, wenn es den Zustand vollkommener Zufriedenheit beschreibt, dann kann man es erreichen. Darauf gilt es Einfluss zu nehmen und dafür darf auch guter Rat teuer sein. Bringt Gottes Nähe den Zustand vollkommener Zufriedenheit? Kann sich ein Mensch durch eigenes Zutun in Gottes Nähe bringen? Lässt sich Glück mit der Abwesenheit von Unglück beschreiben? Oder sind beide, Glück wie Unglück, unbeschreibliche individuelle Gefühle? Paul Watzlawick fordert in seinem Buch Anleitung zum Unglücklich sein: »Es ist höchste Zeit, mit dem jahrtausendalten Ammenmärchen aufzuräumen, wonach Glück, Glücklichkeit und Glücklich sein erstrebenswerte Lebensziele sind. Zu lange hat man uns eingeredet – und haben wir treuherzig geglaubt –, dass die Suche nach dem Glück uns schließlich das Glück bescheren wird.« Denn, so meint er, das Einzige was die Menschen wirklich können, ist das Unglücklichsein. Spitzfindig und ironisch gibt er weitere Anleitungen zur Perfektion. Schließlich zitiert er F. M. Dostojewski aus dessen Buch Die Dämonen, um die einfachste aller Lösungen zu präsentieren: »Alles ist gut ... Alles. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb, das ist alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort, im selben Augenblick ...«. Mein Glück – was ist das? Die Frage ist noch immer unbeantwortet. Führt mich die Suche nach dem Glück überhaupt zu Gott?
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Praxisentwürfe
Welch ein Glück ist mein Glück Ideen zum Weiterdenken
Dorffest. Die Idee ist, drei Karten in der vorgeschlagenen Reihenfolge als Impulse einzusetzen. Drei unterschiedliche Karten können als Gesprächsimpuls dienen. Die Vorderseite bildet ein Bild, das ein Glückssymbol (z. B. siehe Foto) darstellt, auf der Rückseite ist jeweils einer der folgenden Texte abgedruckt: 1. GLÜCK 2. DAS IST MEIN GLÜCK 3. GOTT NAHE ZU SEIN IST MEIN GLÜCK
Vorschlag 1 Erzählen Sie sich und anderen das Märchen der Brüder Grimm von »Hans im Glück«! Tauschen Sie sich darüber aus, worin das Glück für Hans besteht! Erzählen Sie das Märchen aus der Perspektive einer anderen Person! Wie beurteilt diese Person die Frage nach dem Glück? Erfinden und erzählen, malen oder gestalten Sie ein modernes, ein absurdes, ein ungewöhnliches, eben ein neues Märchen von »Hans im Glück«! Tauschen Sie sich mit anderen aus! Worin besteht mein Glück? Was bedeutet Glück für mich? Unter http://www.sagen.at/texte/maerchen/ maerchen_deutschland/brueder_grimm/maerchen_brueder_grimm.htm ist das Märchen in der Textgestalt des 19. Jahrhunderts zu finden. Eine moderne und überraschende Darstellung des Märchens findet sich in: Frank Flöthmann, Grimms Märchen ohne Worte, DuMont Buchverlag 2013. Mit comicartigen Darstellungen wird das Märchen in vierfarbigen Bildern erzählt. Es kommt gänzlich ohne Worte aus und führt zu einem unerwartet neuen Ende.
Vorschlag 2 Was denken Menschen heutzutage über das Glück? Lässt sich das individuelle Verständnis von Glück in Worte fassen? Lassen sich Gott und Glück in Verbindung bringen? Überraschen Sie Menschen mit diesen Fragen. Sprechen Sie Menschen an, die unvorbereitet sind und spontan reagieren. Nutzen Sie Orte, an denen Sie Menschen unterschiedlichster Lebensart, Herkunft oder Gewohnheit begegnen – das Einkaufszentrum, den Bahnhof, das Rathaus, das
Psalm 73 – Welch ein Gott!? Einladung zum Nachdenken Mit dem Psalter hat ein unvergleichliches Lieder- und Gebetbuch Eingang in den Kanon der Bibel gefunden. Seinen Titel verdankt es dem Saiteninstrument, mit dem die Lieder ursprünglich begleitet wurden. Die Psalmen sind einerseits an Gott gerichtete Gebete, zugleich bezeugen sie aber auch Gottes Wirken in der
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Schöpfung. Oder anders gesagt: Die Menschen machten und machen Erfahrungen mit Gott, sie erleben ihn in der Geschichte und im eigenen Leben und antworten darauf mit dem Gebet. Auf diese Weise zeigt der Glaube dialogische Struktur, in die alle Grundthemen des menschlichen Lebens eingebettet sind. Mit der Sprache der Bilder werden die Themen in den Psalmen emotional, dicht und facettenreich zum Klingen gebracht. Sie bedienen sich einer Metaphorik, die Leidenschaft, Bedrückung und Not, aber auch Freude, Glück und Gemeinschaft zum Ausdruck bringt. Auf diese Weise werden individuelle und kollektive Themen in Worte gefasst und die Gebete entfalten ihre Kraft für den Einzelnen ebenso wie für die Gemeinschaft. Über die Jahrhunderte haben sie nichts an Aussagekraft eingebüßt. Vielleicht hat die lange mündliche und schriftliche Überlieferungsgeschichte dazu beigetragen, die Wirksamkeit der Worte noch zu intensivieren. Der Psalm 73 wurde vermutlich in der Zeit nach dem Exil (4./5. Jh. v. Chr.) verfasst, er spiegelt das Denken der Weisheitsliteratur wider. Eines der großen Werke der Weisheitsliteratur ist das Buch Hiob. Wie der Psalm 73 thematisiert es die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in besonderer Weise. Ist Gott gerecht? Ist Gott dem Leidenden nahe? Leidenschaftlich verhandelt der Psalmist diese Frage mit Gott. Ihre Brisanz bekommt sie dadurch, dass sich der Beter mit anderen vergleicht. Dem Frevler geht es gut, dem Gottesfürchtigen geht es schlecht. Verzweifelt klagt er im V 12: Wahrhaftig, so sind die Frevler: Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum. Und als wäre dies noch nicht genug, laufen die Leute den Gottlosen nach, hängen an ihren Lippen, selbst wenn sie Gott verspotten. Wie sollte Gott das merken? Wie sollte der Höchste das wissen? (V. 11). Für den frommen Beter muss diese Situation unerträglich sein, denn sie stellt das Grundkonzept seines Glaubens in Frage. Bis dahin galt: Der Gottlose wird bestraft, der Gottesfürchtige wird belohnt. Wer Böses tut, dem wird Böses widerfahren. Wer Gutes tut, dem widerfährt Gutes. Auf die Tat folgt das Ergehen. Wenn, dann – so ist Gottes Gerechtigkeit. Diese Grundüberzeu-
gung ist in eine tiefe Krise geraten. Der Beter erlebt in der Realität etwas anderes. Das bisherige Glaubenskonzept trägt nicht mehr. Wie lässt sich Gott neu denken? Offensichtlich reicht die Lebensund Gotteserfahrung nicht mehr aus, um Gott zu fassen. Das Leben ist vermutlich komplexer geworden und die Erkenntnis, dass Gott größer als bisher zu denken ist, lässt sich schwer fassen. Für den Beter ermöglicht der Eintritt in das Heiligtum (V. 17) eine neue Erkenntnis. Er begreift, dass das Leben vom Ende her zu denken ist. Das Lebensende wird darüber Auskunft geben, wie das Leben als Ganzes zu beurteilen ist. Dann, so lautet die gewonnene Erkenntnis, wird der Gottesfürchtige Gott nahe sein. In den Worten des Psalms klingt das so: Schwindet (auch) dahin mein Leib und mein Herz, der Fels meines Herzens und mein Anteil (ist doch) Elohim für immer! ... Ich aber (bekenne): Die Elohim-Nähe (ist) mir gut, gesetzt habe ich in Adonaj, JHWH, meine Zuflucht, um zu erzählen alle deine Werke. (V. 26.28 nach einer Übersetzung von Beat Weber) Diese Formulierung ist Erkenntnis und Bekenntnis zugleich. Sie macht einen Blickwechsel deutlich, der sich allerdings nur auf die individuelle Perspektive bezieht. Der Beter hat verstanden: Die Nähe zu Gott und die Nähe von Gott ist mir gut! Wenn diese Erkenntnis am Ende des Lebens steht, kann das gesamte Leben im Rückblick als gelungen betrachtet werden. Eine neue Perspektive in Bezug auf Gott hat sich freilich nicht entwickelt. Die Erkenntnis, dass Tun und Ergehen zusammenhängen, besteht noch immer, auch wenn sie neu akzentuiert worden ist. So setzt der Beter in die Mitte seines Bekenntnisses: Wer gottlos lebt ... wird am Ende zugrunde gehen. (V. 27 nach einer Übersetzung von Beat Weber) Psalm 73 bildet mit den Psalmen 1 und 150 die Scharniere des gesamten Buches. In Psalm 1 ist der Tun-Ergehen-Zusammenhang noch unbestritten. Am Anfang des Psalms 73 wird die weisheitliche Grundregel aufgenommen, um dann in der Krise geprüft zu werden. Die neue Erkenntnis muss erkämpft werden und sich bewähren. So liegt der Psalm 73 in der Mitte des Weges, der zum Lobpreis in Psalm 150 führt.
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Praxisentwürfe
Psalm 73 – Welch ein Gott!? Ideen zum Weiterdenken Vorschlag 1 Um dem Psalm mit dem Hadern und Ringen des Beters gerecht zu werden, bietet es sich an, mit ausgewählten Psalmversen zu arbeiten. Auf diese Weise kann es gelingen, die Tiefe der Auseinandersetzung zwischen Mensch und Gott zu erahnen und sich damit die Erlaubnis zum heutigen Fragen und Ringen zu geben. Schritt 1 Auf einzelnen Karten oder auf einem Plakat wird V. 21 als stummer Impuls in die Mitte der Gruppe gelegt. Mein Herz war verbittert, mir bohrte der Schmerz in den Nieren. Die Teilnehmenden bringen ihre Assoziationen ins Gespräch. Ohne Worte können die ersten Assoziationen auch im Schreibgespräch auf das Plakat gebracht werden. Mögliche Impulse: Was macht bitter? Was führt zur Verbitterung? Was könnte geschehen sein? Was bereitet Schmerzen? Welche Gefühle toben im Körper? Auf den Textkarten können anschließend kleine Comics, einfache Bilder oder Symbole, das Gefühl und/oder die Situation hinter dem Text visualisieren. Schritt 2 Zwei Begriffe aus V. 3 werden zur Klärung und Deutung ins Spiel gebracht. Dazu können Wortkarten in die Mitte gelegt werden. Die Worte sind: Prahler, Frevler. Was ist ein Prahler? Was ist ein Frevler? Mimisch und gestisch werden die Typen dargestellt. Mit kleinen Spielszenen können Charaktere entwickelt, Handlungs- und Redebeispiele ausprobiert werden. Im anschließenden Gespräch werden die gedanklichen Schritte zusammengeführt: Die Bitterkeit des einen und die Prahlerei des an-
deren, lässt sich das zusammendenken? Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Schritt 3 Nun gilt es, die Geschichte hinter dem Psalm zu entdecken. Ein Beter wendet sich an Gott. Er bringt seine Sorge, Freude oder Not zu Gott. Es ist der Beter, der die Bitterkeit spürt und an den Prahlern und Frevlern verzweifelt. Die Teilnehmenden der Gruppe erhalten ein Blatt, das den ersten und den letzten Vers des Psalms 73 enthält. Fast wären meine Füße gestrauchelt, beinahe wäre ich gefallen, denn ich habe mich über den Prahler ereifert ... Nun aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück. Ich setze auf Gott, den Herrn, mein Vertrauen. Ich will all deine Werke verkünden. Nun formuliert jeder einzeln, welche Geschichte oder Gedanken zwischen den Versen stecken könnten. Im Anschluss werden die Texte vorgestellt und ins Gespräch gebracht. In das gemeinsame Nachdenken wird der Text des Psalms eingebunden. Aus dem Erahnen der Geschichte hinter dem Text kann sich ein Verständnis für den Vers der Jahreslosung entwickeln.
Vorschlag 2 Psalm 73 erlaubt den heutigen Lesern, die drängenden Fragen der ursprünglichen Beter in unserer Zeit von Neuem zu stellen. Welches Glaubenskonzept haben wir? Welches Bild von Gott tragen wir in uns? Lässt sich Gott neu denken? Ist er größer, anders, als es unsere Erkenntnis bisher fassen konnte? Die folgenden Ideen wollen dazu einladen, quer zu denken. Ausgangspunkt bildet das Konzept vom Tun-Ergehen-Zusammenhang. Schritt 1 – Kettenreaktionen Das Prinzip einer Kettenreaktion soll das Nachdenken über das Wenn-Dann-System anregen und die Möglichkeit eröffnen, den Tun-Ergehen-Zusammenhang zu hinterfragen. Im Internet sind unzählige Motive und Ideen zu Kettenreaktionen zu finden. Es kann für eine
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Gruppe sehr attraktiv sein, ein eigenes System einer Kettenreaktion aufzubauen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mit Papier und Stiften eine Kettenreaktion zu entwerfen. Anschließen ist die Aufgabe der Teilnehmenden: Beschreiben Sie die Kettenreaktion reihum mit Wenn-Dann-Sätzen! Für das sich anschließende Gespräch können folgende Impulse hilfreich sein: Welche Voraussetzungen müssen für eine funktionierende Kettenreaktion erfüllt sein? Was ist die Ursache, was ist die Wirkung? Lassen sich die Kettenreaktionen auf das menschliche Miteinander übertragen? Lässt sich das Wenn-Dann-Prinzip im Zusammenhang von Gott und Menschen denken? Was sagt das über die Menschen? Was sagt das über Gott? Und wenn alles anders wäre?
Losungsworte – Mahnworte Werde ich das Losungswort des Jahres 2014 als Mahnung zum Innehalten und zur Korrektur meines Denkens in der Manteltasche tragen? Es ist ein Vers, der mich irritiert und verstört und aufregt. Kann ich Gott neu denken? Gelingt es mir, über meine bisherige Erkenntnis hinauszuwachsen und Gott nahe zu sein? Und werde ich dafür den leidenschaftlichen Kampf führen müssen, den Hiob geführt hat? Ich seufze. Wie anstrengend es ist, an Gott zu glauben! Will ich daran bei jedem Griff in die Manteltasche erinnert werden?
Schritt 2 Der Psalm fordert zum Nachdenken, Philosophieren, Theologisieren und Neudenken heraus. Neben vielen anderen philosophischen Fragen wirft Oscar Brenifier die Frage nach dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung auf. Bebildert mit Motiven, die an Computeranimationen erinnern, lädt das Buch hervorragend zum Gespräch ein. Oscar Brenifier, Jaques Després, Norber Bolz, Was ist, wenn es nur so aussieht, als wäre ich da?, Gabriel-Verlag, Stuttgart 2011.
Martina Steinkühler hat für die Erzählung der Geschichte von Hiob eine außergewöhnliche Perspektive gewählt: König Salomo spricht mit seinem Sohn Rehabeam über seine Erfahrungen mit Gott. In einem dieser Gespräche bekennt er, wie schwer Gott zu begreifen und zu erkennen ist. Auf außerordentlich sensible Weise lädt diese Art der Erzählung dazu ein, neu nach Gott zu fragen und zu suchen. Martina Steinkühler, Wie Wind und Feuer, Das Alte Testament Kindern erzählt, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005.
Unter der Überschrift »Nach Halt suchen – Hiob und seine Freunde, Hiobs Klage« legt Martina Steinkühler einen Unterrichtsvorschlag für das erste Schuljahr vor. Sie baut die Arbeitseinheit für die Jüngsten so auf, dass sie über das Fragen, Hören und Nachdenken zu eigenen, tragfähigen Antworten gelangen können. Martina Steinkühler, Religion mit Kindern 1, Material für die Grundschule, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013.
Simone Merkel, Gemeindepädagogin und Religionspädagogin, ist Studienleiterin für gemeindliche Arbeit mit Kindern im Amt für kirchliche Dienste in der EKBO.
Literatur: Bibel mit Erklärungen (Übersetzung nach Martin Luther), Ev. HauptBibelgesellschaft zu Berlin und Altenburg, 2. Aufl. 1990. Hg. Ruth Heß, Martin Leiner, Alles in allem, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2005. Beat Weber, Werkbuch Psalmen I, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln 2001. Beat Weber, Werkbuch Psalmen II, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2003. Lukas Bormann, Bibelkunde, UTB basics, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingn 2009. Hermann Josef Frisch, Welt und Botschaft der Bibel, Patmos Verlag, Ostfildern 2012. Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklich sein, Piper Verlag GmbH, München 2011.
Themenhefte Religion: Für Schule und Gemeindearbeit
Bärbel Husmann | Roland Biewald (Hrsg.) Spiritualität Impulse zur Reflexion religiöser Praxis im Religionsunterricht Themenhefte Religion, 11 104 Seiten | 21 x 29,7 cm zahlr. Abb. | Paperback ISBN 978-3-374-03257-0
€ 19,80 [D]
Spirituelles Lernen dient im Rahmen Schule dem Kennenlernen von Ausdrucksformen evangelischen Christseins. Diese »praktische Seite« ist ein zentrales Feld jeder Religion und jeder Religionskunde. Hier wird sie für das Christentum selbst fruchtbar gemacht. Neben einer grundlegenden Einführung in evangelische Spiritualität von Peter Zimmerling und didaktischen Leitlinien von Bärbel Husmann werden erprobte Unterrichtssequenzen vorgestellt, die didaktisch kommentiert und spirituellen Tätigkeiten eines religiösen Menschen gewidmet sind: Singen (Jahrgang 5/6), Beten (Jahrgang 7/8), Hören – Lesen – Studieren der Bibel (Jahrgang 9/10) und Pilgern (Jahrgang 11/12). Die Autoren Stefan Klockgether, Daniel Ruf, Florian Dinger und Tim Hofmann sind erfahrene Religionslehrer.
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Bildung evangelisch – Evangelische Bildungsverantwortung in Kirche, Schule und Gesellschaft? Fachtagung in Brandenburg an der Havel mit Ehrung von Dr. Dieter Reiher anlässlich seines 80. Geburtstages Hans-Hermann Wilke und Matthias Spenn
Bildung hat für den christlichen Glauben und die evangelische Kirche eine zentrale Bedeutung. Das zu erinnern und zu vergewissern ist von aktueller Bedeutung, wenn es um die Frage der zukünftigen Entwicklung der evangelischen Kirche angesichts gesellschaftlicher Wandlungen und Ressourceneinsparungen geht. Allerdings ist die Herausforderung nicht neu. Mit einer Tagung am 21. September 2013 erinnerte deshalb das Amt für kirchliche Dienste der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz an die Gründung des Evangelischen Bildungszentrums in Brandenburg an der Havel vor 20 Jahren. Damals musste das evangelische Bildungsverständnis unter den veränderten gesellschaftlichen und kirchlichen Bedingungen neu ausgerichtet und eine neue Konzeption für die
Unterstützung des Bildungshandelns in Gemeinde und Schule erarbeitet werden. Aktuell stellen sich die Fragen wieder, nicht zuletzt bei der Suche nach »Orientierungspunkten« für den Reformprozess der Landeskirche unter der Überschrift »Welche Kirche morgen?«. Die Tagung spannte den zeitlichen Bogen von damals zu heute und wagte den Ausblick auf die Zukunft. Dabei kamen ehemalige Dozenten ebenso zu Wort wie gegenwärtige Praktiker, der Bischof und andere Leitungsverantwortliche wie auch Wissenschaftler. Einen besonderen Höhepunkt hatte die Veranstaltung in der Ehrung von Dr. Dieter Reiher als damaligem Gründungsdirektor anlässlich seines 80. Geburtstages, den er bereits am 17. April 2013 feiern durfte.
Dieter Reiher war in der damaligen Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (bis 1990 Ostregion) sowie im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR in unterschiedlichen Funktionen für die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen tätig. So arbeitete er, zunächst aus der benachbarten Kirchenprovinz Sachsen kommend, seit 1966 als Dozent für die katechetische Ausbildung im Predigerseminar Brandenburg und als Referent der Kirchlichen Erziehungskammer Berlin-Brandenburg. 1973 wurde er Schriftleiter der Zeitschrift »Die Christenlehre«. 1976 übernahm er in der Nachfolge von Herwig Hafa die Leitung der Kirchlichen Erziehungskammer und 1978 wurde er
Vorsitzender der Kommission für kirchliche Arbeit mit Kindern und Konfirmanden beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Hier war er maßgeblich an der Entwicklung und Erprobung des Rahmenplans für die Christenlehre und die Konfirmandenarbeit beteiligt. Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Christenlehre. Dabei stand für ihn fest: »Christenlehre orientiert nicht abgesehen von und neben der Kirche, sondern nimmt an ihren Aufgaben und an ihrer Stellung im gesellschaftlichen Leben teil« (Dieter Reiher, in: Die Christenlehre 1/73, 4). Aus theologischen Gründen also, um der Kinder und Jugendlichen willen, beobachtete Die-
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Gemeindepädagogisches Forum IMPRESSUM
Praxis Gemeindepädagogik (PGP) ehemals »Christenlehre /Religionsunterricht–PRAXI S« ehemals »Die Christenlehre«
66. Jahrgang 2013, Heft 4 Herausgeber: Amt für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Pädagogisch-Theologische Institut der Nordkirche Theologisch-Pädagogisches Institut der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens Pädagogisch-Theologisches Institut der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts Anschrift der Redaktion: Matthias Spenn, c/o Evangelische Verlagsanstalt GmbH, »PGP-Redaktion«, Blumenstraße 76, 04155 Leipzig, E-Mail ‹redaktion@praxis-gemeindepaedagogik.de› Redaktionskreis: Prof. Dr. Beate Hofmann, Kirchliche Hochschule Wuppertal-Bethel, Missionsstraße 9a/b, 42285 Wuppertal Oberkirchenrätin Friederike Schwarz, Matthias Spenn und Dr. Dieter Reiher (v.l.).
ter Reiher die Entwicklung der Schule in der DDR. Aber er beobachtete nicht nur, sondern er tat, was sich tun ließ. Er war an der kritischen Sichtung staatlicher Schulordnungen, Lehrpläne und Schulbücher beteiligt, bis hin zur Eingabe an den letzten pädagogischen Kongress der SED im Sommer/Herbst 1989. Die Randnotizen von Margot Honecker fand er nach der Friedlichen Revolution in seinem Büro als Staatssekretär für Bildung im Ministerium für Bildung und Wissenschaft der nun frei gewählten Regierung vor. Der Staatssekretärstätigkeit schloss sich noch für einige Zeit die Leitung der Gemeinsamen Einrichtung der neuen Bundesländer für Bildungsaufgaben an. Was Dieter Reiher dabei angestrebt und etwa mit seinem Engagement bei der Arbeit mit Schulleiterinnen und Schulleitern erreicht hat, bedarf noch der Aufarbeitung. Ausdrücklich erwähnt sei aber, dass Dieter Reiher bereits in den frühen 1980er Jahren fast im ›Halbdunkel‹ (so eine Teilnehmerin) Treffen für die wenigen christlichen Lehrer und Lehrerinnen organisiert hatte. Aus diesen Treffen ist die immer noch bestehende Arbeitsgemeinschaft christlicher Lehrer und Erzieher entstanden. Dieter Reiher stellte sich, wo nötig, im pädagogischen Interesse politischgesellschaftlichen Aufgaben, aber sein Ort ist unsere Kirche. 1991 kehrte er in ihren Dienst zurück: zunächst als Dezernent für die Katechetik und den Religionsunterricht in der Ostregion der Evangelischen Kirche in Berlin und
Foto: Tim Schmidt
Brandenburg, anschließend als Gründungsdirektor des Evangelischen Bildungszentrums in Brandenburg. Hier half er auf wohltuende Weise bei der Integration der Ost- und Westregion, u. a. in das gemeinsame Bildungswerk, das inzwischen eingegangen ist in das Amt für Kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz. Sein Herz schlug für die Gemeindepädagogik, besonders auch für die berufsbegleitende Ausbildung von Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen auf dem zweiten Bildungsweg, als Partnerin des Religionsunterrichts. Die Auseinandersetzungen nach der Friedlichen Revolution um den richtigen pädagogischen Weg unserer Kirche konnte er fachlich wesentlich bereichern – nicht zuletzt, weil er schon zu DDR-Zeiten an engem fachlichen, aber auch persönlichem Kontakt zu seinen Kolleginnen und Kollegen in West-Berlin, in der EKD und der Ökumene interessiert war. Dafür sei ihm Dank!
Hans-Hermann Wilke war bis 1998 Leiter des Instituts für Katechetischen Dienst und von 1999-2006 Direktor des Bildungswerks der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg in Berlin. Matthias Spenn ist seit Dezember 2012 Direktor des Amts für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg-schlesische-Oberlausitz in Berlin.
Wolfgang Lange, TPI der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Bahnhofstraße 9, 01468 Moritzburg Petra Müller, Fachstelle Alter der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland, Gartenstraße 20, 24103 Kiel Prof. Dr. Nicole Piroth, Hochschule Hannover, Blumhardtstraße 2, 30625 Hannover Matthias Röhm, Amt für kirchliche Dienste in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Goethestraße 26–30, 10625 Berlin Dorothee Schneider, PTI der Ev. Kirche in Mitteldeutschland und der Landeskirche Anhalts, Zinzendorfplatz 3, 99192 Neudietendorf Matthias Spenn, Amt für kirchliche Dienste in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Goethestraße 26–30, 10625 Berlin Redaktionsassistenz: Sophie Koenig Verlag: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Blumenstraße 76, 04155 Leipzig, www.eva-leipzig.de Geschäftsführung: Arnd Brummer, Sebastian Knöfel Gestaltung/Satz: Jens Luniak, Evangelisches Medienhaus GmbH, E-Mail ‹luniak@emh-leipzig.de› Druck: Druckerei Böhlau, Ranftsche Gasse 14, 04103 Leipzig Anzeigen: Rainer Ott · Media | Buch- und Werbeservice, PF 1224, 76758 Rülzheim, Tel. (0 72 72) 91 93 19, Fax (0 72 72) 91 93 20, E-Mail ‹ott@ottmedia.com› Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 11 vom 1.1.2012 Abo-Service: Christine Herrmann, Evangelisches Medienhaus GmbH, Telefon (03 41) 7 11 41 22, Fax (03 41) 7 11 41 50, E-Mail ‹herrmann@emh-leipzig.de› Bezugsbedingungen: Erscheinungsweise viermal jährlich, jeweils im 1. Monat des Quartals. Das Jahresabonnement umfasst die Lieferung von vier Heften sowie den persönlichen Zugriffscode für den Download der kompletten Hefte ab 01/2005. Das Abonnement verlängert sich um 12 Monate, wenn bis zu einem Monat vor Ende des Kalenderjahres keine Abbestellung vorliegt.
Bitte Abo-Anschrift prüfen und jede Änderung dem Abo-Service mitteilen. Die Post sendet Zeitschriften nicht nach. ISSN 1860-6946 ISBN 978-3-374-03201-3 Preise*: Jahresabonnement (inkl. Zustellung): Privat: Inland € 36,00 (inkl. MwSt.), EU-Ausland € 42,00, Nicht-EU-Ausland € 46,00; Institutionen: Inland € 44,00 (inkl. MwSt.), EU-Ausland € 50,00, Nicht-EU-Ausland € 54,00; Rabatte – gegen jährlichen Nachweis: Studenten 35 Prozent; Vikare 20 Prozent; Einzelheft (zuzüglich Zustellung): € 12,00 (inkl. MwSt.) * Stand 01.01.2014, Preisänderungen vorbehalten Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil der Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehm igung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.
Unsere nächste PGP-Ausgabe erscheint im Januar 2014 Anzeigenannahmeschluss ist der 13. Dezember 2013.
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Materialien
Kirchliche Altenbildung, Herausforderungen – Perspektiven – Konsequenzen, Christian Mulia, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2011, 400 S. m. 17 Abb. Kart., Euro 39,80 ISBN 978-3-17-021-494-1
Handbuch Jugend: Evangelische Perspektiven, Hg. von Yvonne Kaiser, Matthias Spenn, Michael Freitag, Thomas Rauschenbach, Mike Corsa, Opladen/Berlin/Toronto: 2013, 530 S., Euro 39,90, ISBN: 978-3-8474-0074-5
In seiner als Dissertationsschrift an der Johann Gutenberg-Universität Mainz erarbeiteten Veröffentlichung setzt sich der Autor auf 399 Seiten mit den Perspektiven der kirchlichen Altenbildung in Deutschland auseinander. Die Inhalte sind in drei Abschnitte gegliedert. Teil I beleuchtet u. a. soziologische, kulturgeschichtliche und theologische Aspekte des Alter(n)s, führt in die Begriffe ›Geragogik‹ bzw. ›kirchliche Altenbildung‹ ein und verweist auf die geringe Zahl der vorliegenden empirischen Befunde. In Teil II werden vier Sinn- bzw. Lernfelder des Alter(n)s herausgearbeitet: Biografie, Produktivität, Kunst & Kultur sowie Körper & Gesundheit. Zu jedem Lernfeld liegt eine theoretische Betrachtung sowohl aus einer human- und sozialwissenschaftlichen Perspektive als auch aus einer theologischen Perspektive vor. Die theoretischen Ausführungen werden durch jeweils zwei Praxisbeispiele der kirchlichen Altenbildung aus verschiedenen Landeskirchen ergänzt. Mit einer Zusammenfassung in fünf Perspektivbereiche und Konsequenzen für die kirchliche Altenbildung schließt der Autor in Teil III die Untersuchung ab. Die Studie von Christian Mulia stellt einen Meilenstein in der kirchlichen Bildungsarbeit dar, die ihn zu »dem« Experten kirchlicher Bildungsarbeit mit Menschen in der zweiten Lebenshälfte macht. In der Altenbildung wird dabei zunehmend von einem differenzierten Altersbild ausgegangen, das Menschen im dritten und vierten Lebensalter erfasst. Mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden der Datenerhebung und einem hohem Praxisbezug erarbeitet er eine umfassende Bestandsaufnahme. Mulia schlussfolgert in einer gut nachvollziehbaren Weise, dass sich die kirchliche Altenbildung zukünftig stärker milieusensibel, mehrper-spektivisch und gemeinwesenorientiert ausrichten muss. So kann den Herausforderungen des demografischen Wandels und auch dem soziokulturellen Wandel mit förderlichen Ermöglichungsräumen und -settings begegnet werden. Diese Veröffentlichung wird von ihrem Autor als »Denkanstoß und Ermutigung dazu verstanden, eine humane Kultur des Alter(n)s zu fördern, die um die Möglichkeiten, die Grenzen und die Segensbedürftigkeit des menschlichen Lebens weiß – und auf die Verheißung von Gottes Lebensbegleitung baut: Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet.« (267) Petra Müller
Keine Altersspanne im Menschen ist so gut erforscht und dokumentiert wie das Jugendalter. Das gesamte Spektrum wird in schier unzähligen Publikationen beleuchtet. Braucht es da noch eine weitere Veröffentlichung, gar ein Handbuch? Die Antwort für mich, kurz und klar: Ja! Den Herausgebern ist mit diesem Handbuch etwas Besonderes gelungen. In ihrem ambitionierten Vorhaben haben sie es geschafft, die vielfältigen Aspekte, die das Jugendalter und die evangelischen Perspektiven dazu betreffen, in einem Band zusammenzufassen. Der Aufbau folgt einem logischen Schema. Zuerst wird das Thema »Jugend« allgemein beleuchtet, nach Grundlagen (z. B. Geschichte der Jugend), gesellschaftlichen Perspektiven (z. B. Jugend und Armut) und nach Bildung (z. B. Peer Education). Alle Artikel des Bandes sind mit sechs Seiten sehr knapp, aber pointiert gehalten und zeichnen sich weitestgehend durch eine klare und sehr gut lesbare Sprache aus. Der Informationsgehalt und Diskussionsstand ist auf der Höhe der Zeit. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der »Arbeit mit Jugendlichen« im allgemeinen Kontext, um dann im dritten Kapitel auf die Besonderheiten der »Evangelischen Arbeit mit Jugendlichen« einzugehen, dem Kernpunkt dieses Handbuches. Dieses Kapitel ist ebenfalls in einzelne Abschnitte untergliedert, fragt bei den Strukturen z. B. nach dem Verhältnis von Jugend und Kirche, beleuchtet bei den Arbeitsfeldern die einzelnen Bereiche, die wir aus unserer Praxis vor Ort kennen (z. B. Konfirmandenarbeit), und setzt Impulse für Bereiche, die wir vielleicht (noch) nicht kennen (z. B. Seelsorge von Jugendlichen für Jugendliche). Ebenso wird den Fragen nach den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (ehrenamtlich und beruflich) und deren Professionalisierung und Qualifizierung nachgespürt, und zum Schluss des Bandes gibt es gar einen Blick über unseren Tellerrand der Evangelischen Perspektiven hinaus auf die katholische, muslimische und jüdische Arbeit mit Jugendlichen in Deutschland. Diese große Spannbreite zum Thema Jugend und der Evangelischen Perspektiven geben dem Leser einen Band in die Hand, der ihm schnell und informativ zu einzelnen Fragestellungen und Herausforderungen seiner Praxis hilft. Er erleichtert auch die Verknüpfung verschiedener Aspekte zum Thema und birgt das Potential in sich, Impulse für noch nicht Gedachtes zu setzen. Ein Handbuch, zu empfehlen allen, die mit Jugendlichen zu tun haben. Ein reicher Schatz, bereit, entdeckt zu werden. Matthias Röhm
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Gruppen-Studienreisen in die Länder der Bibel und in alle Kulturländer der Erde Mitreisegelegenheiten für Einzelreisende Informationsreisen für Gruppenverantwortliche Über 30 Jahre Erfahrung
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Rederij Vooruit hat eine lange Tradition, was die Vermietung traditioneller Schiffe anbelangt. Seit 1968 segeln unsere zahlreichen Schiffe über das Wattenmeer, das IJsselmeer und die Friesischen Gewässer. Sie sind unter anderem an der blauen Flagge mit dem weißen „V“ erkennbar. Rederij Vooruit hält die schönen nostalgischen Schiffe in Fahrt und gibt ihnen eine neue Funktion. Heutzutage werden die Schiffe hauptsächlich für Gruppenfahrten genutzt. Privatpersonen nutzen die Schiffe beispielsweise für Familienfeiern, aber auch Schulen, Unternehmen und Vereine sind regelmäßig an Bord unserer Schiffe zu Gast. Ganz gleich, ob es um einen Geburtstag, einen Betriebsausflug, ein Incentive oder einen anderen Anlass geht, Rederij Vooruit hat immer ein geeignetes Schiff. Segeln auf traditionellen Schiffen… Das ist ein unvergessliches Erlebnis!
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