Sammler Journal 01/2021

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Januar 2021 · B 1309 | € 8,00 Schweiz CHF 12,30 | Österreich € 8,90 | Be/Ne/Lux € 9,00

KUNST • ANTIQUITÄTEN • AUKTIONEN

SAMMLER JOURNAL

JANUAR 2021

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GEMI

Wie wollen wir leben?

Zukunftsweisende Projekte in der Schau „Social Design“ in Braunschweig kurartiert vom Museum für Gestaltung Zürich FOTOKUNST SPEZIAL • KUNSTMARKT • HAMMERPREISE



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SAMMLER-SERVICE

Bonheur-du-jour Möbelstück aus Frankreich

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Ich wende mich mit einem Dachbodenfund an Sie, den ich nicht einzuordnen weiß. Dieses Möbel gehörte einer Tante und stand seit Jahren auf dem Dachboden. Es ist 115 cm hoch, 75 cm breit und 45 cm tief, das Material vielleicht Mahagoni? Die Front ist verspiegelt und hat rechts und links zwei Frauenköpfe. Hinter dem Spiegel befinden sich 12 Schubladen. Um was handelt es sich hier? Ist es ein kleiner Sekretär, ein Kabinettschrank oder ein Bonheur-dujour (diesen Begriff habe ich bei google gefunden)? Hat das Uwe Blass, Wuppertal Möbel einen Wert und wie alt ist es?

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Das Möbelstück in Ihrem Besitz hat in der Tat die Eigenschaften, die typisch sind für ein Bonheur-du-jour. Per Definition ein Tisch mit Schublade und Ablageelementen. Dieser „Tagesfreude“-Damenschreibtisch-Typus wurde 1760 in Paris erfunden. Die Rückwand ist meist mit kleinen Schubladen oder offenen Regalen gestaltet, und diese sind manchmal durch verspiegelte Türen verdeckt. In diesem Fall wird die verspiegelte Fläche heruntergeklappt und die Rückseite dient als Schreibfläche. Gefertigt wurde das Möbelstück wohl in Frankreich, vermutlich aus Nussbaum und/oder Mahagoni, akzentuiert mit vergoldeter Bronze,

Galerie und Zierelementen. Das Schloss ist möglicherweise einmal ausgetauscht worden. Die Spiegelfläche ist sehr plan, was für eine Herstellung nach 1880 spricht. Aktuell würde ich das zeitlos elegante Schreibmöbel mit 1.500 bis 2.500 Euro bewerten. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde

Präsent des Adels Versilbertes Kästchen

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Ich würde gerne mehr über dieses Objekt erfahren, hauptsächlich, ob es aus dem Haus Hohenzollern stammt und was die Punzen bedeuten. Oben steht „ko 10”, unten „ko 19”. Die Vorgeschichte besagt, dass eine Dame auf der Hohenzollern-Burg gearbeitet hat und sie diese Dose zum Abschied bekommen hat. Das ist circa 70 bis 80 Jahre her. Außerdem würde mich der Wert der Dose interessieren. Ferdi Both, Leverkusen

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Das Kästchen im Stil des Historismus um 1880 ist reich mit Blattwerk, Rollwerk und Akanthus dekoriert. Der Adler in der Kartusche lässt sich vielen Adelshäusern zuordnen, aber keinem eindeutig. Der Schriftzug „Hohenzollern“ ist nicht integraler Bestandteil des komplizierten Dekors, sondern scheint später hinzugefügt worden zu sein. Vermutlich handelt es sich um eine auf vielerlei Anlässe passende serielle Schmuckschatulle, die dann für diesen speziellen Kunden leicht verändert wurde. Geschenke an Untergebene gehörten zu den Gepflogenheiten des Adels. Sehr kostbare Geschenke wurden vom Beschenkten oft an den jeweiligen Hofjuwelier sofort zurück verkauft und so recycelt. Das Kästchen in Ihrem Besitz ist vermutlich versilbert oder aus Neusilber, einer Kupfer-Nickel-Zink-Legierung, hergestellt worden. Ob es sich um eine Galvanoplastik handelt, lässt sich nur feststellen, wenn man den Samt entfernt. Das Kästchen gehörte wohl eher zu den preisgün-


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stigen Präsenten für weniger wichtige Personen. Die eingeschlagenen Nummern bezeichnen nur spezifische Formteile, die bei der Produktion zusammengesetzt werden mussten. Hersteller könnte die Firma Erhard & Söhne gewesen sein. Preislich würde ich die Schatulle mit 300 bis 500 Euro Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde taxieren.

www.eppli.com

www.allgaeuer-auktionshaus.de


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MAGAZIN

Frühlingsgefühle Antik & Ambiente in Sindelfingen auf April verschoben Sie gilt als ein künstlerischer Jahresauftakt: Alljährlich im Januar findet seit Jahren die renommierte Antik & Ambiente in der Messe Sindelfingen statt. Kunst, Mobiliar sowie Schmuck aus vergangenen Jahrhunderten, stilvoll gemixt mit modernem Design, edler Wohnästhetik und faszinierenden neuen Kunstobjekten sollten – so der Plan – im Januar wieder mit Leichtigkeit und Eleganz das Publikum faszinieren. In Zeiten von Corona werden Traditionen und Termine jedoch gerade gründlich durcheinandergewirbelt – und so werden im Fall der Antik & Ambiente nun aus winterlichen Kunstmomenten sehnsuchtsvolle Frühlingsgefühle: Die Antik & Ambiente soll nun vom 8. bis 11. April 2021 in der Messe Sindelfingen stattfinden. Angesichts der aktuellen Situation, so die Messemanagerinnen Birgit Strehler und Cristina Steinfeld, bietet diese Terminverschiebung in den Frühling sowohl für die Besucher als auch für die Aussteller

Kostbare Kupferstiche und Grafiken gehoren ebenso zum reichen Angebot der Antik & Ambiente wie Schmuck, Mobiliar und modernes Design Foto: Messe Sindelfingen

eine wesentlich entspanntere und attraktivere Perspektive. „Unsere Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Jetzt freuen wir uns darauf, eine große Zahl an Kunst- und Antiquitätenfreunden an diesen vier Tagen in wunderbarer ästhetischer Frühlingsstimmung auf der Antik & Ambiente 2021 begrüßen zu dürfen.“ TELEFON | 07034 237558 WEBSEITE | www.antik-ambiente-messe.de www.messe-sindelfingen.de

Bücher, die die Welt verändern Antiquariatsmessen in Ludwigsburg und Stuttgart online

„Die gestaltende Frau“ hieß eine Ausstellung, die im Oktober und November 1930 in Berlin zu sehen war, organisiert vom Staatsbürgerinnen-Verband. Den zugehörigen Katalog verlegte das Kaufhaus Wertheim und verzeichnet sind ausschließlich Arbeiten von Frauen aus allen gestaltenden Bereichen. 249 Werke sind dokumentiert, die u. a. von Anni Albers, Lore Feininger, Ilse Fehling-Witting, Tom Freud-Seidmann, Ruth Hildegard Geyer-Raack und Lotte Laserstein stammen. (250 Euro); Antiquaria online

Die reale 35. Antiquaria – Antiquariatsmesse in der Musikhalle Ludwigsburg, geplant für Ende Januar 2021 und mit 55 Ausstellerinnen und Ausstellern schon im Frühjahr ausgebucht, mussten die Veranstalter coronabedingt absagen – und sich der Situation anpassen. Es bleibt der AntiquariaKatalog, in dem alle Ausstellerinnen und Aussteller, die in der Musikhalle ausgestellt hätten, wie gehabt eine Auswahl ihres Angebots zeigen. Wie immer gibt es ein Rahmenthema, diesmal „mutationis – Bücher, die die Welt verändern", mit dem das Thema „Veränderungen" aufgegriffen wird: Veränderungen, die unsere Geschichte und Entwicklung begleiten – und die wir gerade jetzt aktuell in der für uns unbekannten, unwirklichen Situation erfahren. Ab Mitte Dezember ist der Printkatalog erhältlich und ab dann sind alle Titel sofort beim jeweiligen Antiquariat verkäuflich. Am 28. Januar, 15 Uhr, findet die Eröffnung der virtuellen Antiquaria durch die Veranstalterin und mit einem zusätzlichen aktuellen Angebot der Ausstellerinnen und Aussteller unter www.antiquaria-ludwigsburg.de statt. Am 28. Januar um 20 Uhr, wird die Preisverleihung des 27. AntiquariaPreises aus der Musikhalle unter www.antiquaria-ludwigs-


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www.kuenker.de


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MAGAZIN

Schmetterlinge. Auf 491 prächtig kolorierten Kupfertafeln von J. Hübner sind exotische Schmetterlinge zu sehen – eines der schönsten und seltensten Schmetterlingswerke. Verlegt hat sie Geyer in Augsburg zwischen 1806 und 1894. 18.500 Euro sind angesetzt. Antiquaria online

burg.de übertragen. Preisträger des mit 10.000 Euro dotierten Preises ist der Buchkünstler Olaf Wegewitz. Die Laudatio hält der Schriftsteller Ingo Schulze. TELEFON | 0711 2348526 und 0160 98901629 06435 909147 WEBSEITE | http://www.antiquaria-ludwigsburg.de/ alle_aussteller.html www.petrabewer.de www.antiquariatsmesse-stuttgart.de

Ammersees oder der traditionelle Töpfermarkt im brandenburgischen Rheinsberg: Diese und viele mehr fallen auf unbestimmte Zeit der Pandemie zum Opfer. Grund genug für eine kleine Gruppe Keramikerinnen und Keramiker aus Berlin und Brandenburg, kreativ zu werden. Kaja Witt, Thomas Hirschler, Regina Müller-Huschke, Helmut Menzel und Carolin Wachter brennen im wahrsten Sinne für ihr Metier. Dass der für ihre Arbeit so wichtige Absatz und Austausch ersatzlos ausfällt, wollen sie nicht einfach hinnehmen. Schließlich geht es auch um den Erhalt eines ganz besonderen Handwerks. Die Idee einer solidarischen Internet-Plattform für ihr Gewerbe, die strengen Qualitätskriterien standhält, war geboren. „Unsere Kunden sind auch weiterhin da, aber sie finden nicht wie sonst zu uns. Mit keramikmarkt.online wollen wir den Markt und damit die Möglichkeit der Kontaktaufnahme und des Einkaufs zu ihnen bringen“, so Thomas Hirschler, der gemeinsam mit seiner Partnerin Kaja Witt eine Porzellanwerkstatt mit kleinem Verkaufsraum in Pankow betreibt. Die beiden hatten in der Keramikszene schon einmal für frischen Wind gesorgt. Nach einem Aufenthalt in den USA gründeten sie 2005 auf dem Gelände ihrer Werkstatt das Zentrum für Keramik – ein Künstlerhaus für Keramikerinnen und Keramiker aus der ganzen Welt. Auch diesmal ergriffen sie die Initiative und holten geschätzte Kolleginnen und Kollegen ins Boot. Derzeit sind rund 40 ausgewählte Künstler auf keramikmarkt.online vertreten. Bis Ende des Jahres werden es rund 60 sein. Das Team um Hirschler und Witt sucht jede Position sorgfältig aus und wägt die Zusammenstellung auch hinsichtlich einer größtmöglichen Vielfalt ab: Vom künstlerischen Einzelstück bis zum hochwertigen Gebrauchsgegenstand ist alles vertreten. Das Besondere: Einige der Künstlerinnen und Künstler haben keine eigene Internetpräsenz und werden mit keramikmarkt.online erst sichtbar, so beispielsweise die in Baden Württemberg arbeitende Künstlerin Medi Zimmermann, die ihre poetische Gebrauchskeramik mit informeller Malerei versieht, oder der Berliner Helmut Menzel, dessen farbenfrohe Gefäße sofort gute Laune verbreiten. TELEFON | 0175 4739584 WEBSEITE | https://keramikmarkt.online

Brennen fürs Metier Keramikmarkt online Die neue Webseite keramikmarkt.online versammelt eine erlesene Auswahl von rund 60 exzellenten Keramikerinnen und Keramikern aus Deutschland, Österreich, Slowenien und den Niederlanden. Auf einem digitalen Spaziergang kann durch ihre Werke gestöbert werden und persönlicher Kontakt mit den Künstlerinnen und Künstlern ist ausdrücklich erwünscht. Auch für die Keramikproduzenten ist dieses Jahr alles anders. Seien es die Internationalen Keramiktage in Oldenburg, der Dießener Keramikmarkt entlang des

Carolin Wachter, Zylindergefäße, handgedreht; Keramikmarkt online Foto: Jule Felice Frommelt



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KUNSTMARKT

Victor Brauner Der Seher der Surrealisten Großmeister des Schnabeltierordens, exzentrischer Maler, der den Dadaisten und Surrealisten nahestand, erstklassiger Kommandeur der Saturnlegion. Victor Brauner steht bis zum 10. Januar 2021 im Rampenlicht des Museum für Moderne Kunst in Paris. Die Ausstellung, die nach dem Lockdown wieder fortgeführt wird, bietet eine großartige Gelegenheit, auf sein einzigartiges Werk zurückzublicken, das angesichts seiner Kühnheit und seiner Originalität wenig Beachtung findet. „Ich bin Traum, ich bin Inspiration“, so der Titel der großen Retrospektive des Museums für Moderne Kunst in Paris, die Brauners Worte in einem Brief an André Breton im Jahre 1940 aufgreift. „Ich bin Traum, ich bin Inspiration“, wie das Versprechen einer visionären Reise durch etwa 100 Werke, wovon einige in Frankreich seit der letzten Pariser Retrospektive des Künstlers im Jahre 1972 das erste Mal gezeigt werden. Einige davon gehören zu den 150 Werken von Victor Brauner im Besitz des MAM, einem herausragenden Bestand insbesondere aus Schenkungen und Legaten der Witwe des Künstlers, Jacqueline Victor Brauner. Bedeutendere Werke, wie „La Porte“ und „Le Surréaliste“, stammen wiederum aus amerikanischen Sammlungen, deren Titel eine Erfahrung jenseits der Realität eröffnen. Victor Brauner ist ein Maler des Mysteriösen. Ein KünstlerPoet-Esoteriker, Urheber eines Werkes, das von Synkretismus und Automythologie durchdrungen ist, ebenso von Träumen

Victor Brauner, Homme debout, 1944 (Christie's, Paris, Juni 2020, Zuschlagspreis 17.000 Euro) © 2020 Christie’s Images Limited, © VG-Bildkunst Bonn

Victor Brauner, Regard du diamant, 1955 (Sotheby's, Paris, Zuschlagspreis 160.000 Euro) © VG-Bildkunst Bonn

wie von einer immensen Kultur genährt, die in die Geheimnisse der Kabbala und des Spiritismus eintaucht. Sich für das Werk von Brauner zu interessieren, bedeutet, zur Seite zu treten, die bekannten Pfade zu verlassen, die Magie der Malerei zu akzeptieren und einen Künstler zu sehen, der auch Seher ist. Vom objektiven Zufall zum Wachs „Das Gemälde, das aus den tiefsten Bereichen des Instinkts hervorgegangen ist, appelliert an den Instinkt, Kommunikation ohne Vorurteile. Das Thema des Gemäldes ist totemistisch; das Gemälde ist also magisch, es stellt beschwörende und direkte Beziehungen zu den größten primitiven Träumereien, materiellen Träumereien her.“ (Victor Brauner, 1961). Sein bedeutendes Werk „Autoportrait“, 1931 (Sammlung MAM) ebenso berühmt wie vorahnend, macht aus Victor Brauner ein lebendes Beispiel dafür, was die Surrealisten „objektiver Zufall“ genannt haben. Dieses beunruhigende Selbstporträt zeigt ihn mit ausgestochenem linkem Auge, sieben Jahre, bevor er eben dieses Auge verlor, als er einen Streit zwischen Oscar Dominguez und Esteban Frances schlichten wollte. Der Visionär wird einäugig. Der objektive Zufall ist eingetreten. Victor Brauner wird erstmals Ende der 1920er-Jahre vom Surrealismus gepackt, als er die Malerei von Giorgio De Chirico entdeckt. Er schließt sich der Bewegung 1933 auf Vermittlung von Alberto Giacometti und Yves Tanguy an, wird im November 1948 aber ausgeschlossen, als er Roberto Matta verteidigt. Während dieser Zeit flüchtet Brauner 1940 vor dem aufkommenden Faschismus in Paris, nachdem er 1938 aus Rumänien dorthin geflohen war. Er flieht nach Südfrankreich, dann in die Hautes-Alpes, wo er sich drei Jahre lang versteckt. Ohne Leinwand und Ölfarben arbeitet er auf Holz und anderen Materialien, die er zur Verfügung hat: Draht, Steine, Erde, Blätter. Er erfindet vor allem die Wachsmalerei neu, die stark alchemistisch und esoterisch aufgeladen ist. „Brauner verteilte das Wachs auf einem Brett, bevor er es mit einem Stift einritzte, als ob er es gravieren würde,“ erklärt Didier Semin. „Dann goss er Tusche oder Nussbeize darauf und wischte darüber, damit die farbige Flüssigkeit in die Rillen eindringen konnte.“


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