Keramik Ford 01/2023 64419 • € 5,50 Schweiz CHF 9,–| Österreich € 6,–TERMINHEFT als Beilage Europas Sammlermagazin 4 196441 905502 01 Á neu 2 Monate Termine
Sonderheft
Gold & Silber
Anlagemünzen in Gold und Silber
3. Auflage 2022
Format 21 x 29 cm, 128 Seiten, durchgehend farbig, Broschur
Preis: 14,90 €
In Zeiten von Nullzinsoder gar NegativzinsPolitik der Banken und einer bedrohlich steigenden Inflation sind viele Menschen auf der Suche nach stabilen Werten und einer guten Möglichkeit, ihr schwer verdientes Geld sicher anzulegen. Viele Anleger, gerade private Kleinanleger, denken gerade darüber nach, einen Teil ihrer liquiden Mittel in Gold anzulegen.
Battenberg Gietl Verlag GmbH Postfach 166 · 93122 Regenstauf Tel. 0 94 02/ 93 37- 0 · Fax 0 94 02/ 93 37-24 E-Mail: info@battenberg-gietl.de · www.battenberg-gietl.de Erhältlich im Buch- und Fachhandel oder direkt beimVerlag. Lieferbar ab 28. September 2022
n Fat Lava
?Hier habe ich einen schweren Wandteller aus Keramik der Fa. Ruscha. Er misst ca. 30 cm im Durchmesser und hat entsprechenden Aufkleber auf der Rückseite: „Ruscha Art echt Handarbeit". Das Motiv ist eine sehr stilisierte Landschaft, reliefartig gefertigt und z. T. mit lüstrierender Glasur. Können Sie den Meister und die Machart bestimmen und gegebenenfalls auch eine Schätzung vornehmen? Herzlichen Dank für Ihre Hilfe. G. Rasch, o. O.
Der Teller wurde von der Ruscha Keramik Rudolf Schardt KG in den siebziger Jahren hergestellt. Der Aufkleber mit dem Siebziger-Jahre-Font lässt eine eindeutige Datierung zu. Alles übrige scheint unklar zu sein. Mit dem Eintreten neuer Gesellschafter und mehrfacher Umfirmierung scheint auch die klare Ausrichtung der Produktion verloren gegangen zu sein. Keramiken mit dem Aufkleber „Ruscha Art“ zeigen sehr unterschiedliche Qualitäten. Thematisch sind es manchmal auf wenige Linien reduzierte „Landschaften“, dann auch Darstellungen von Pflanzenteilen, zum Beispiel Blüten oder Blätter. Am höchsten bewertet werden die großen Teller mit „mushroom fat lava“ Dekor. Insbesondere australische und amerikanische Sammler scheinen sich dafür zu begeistern. Je lebhafter und dicker die Glasuren, desto höher der Preis. Vermutlich konnten die Keramiker der Firma in dieser Zeit ihren eigenen Vorlieben folgen und tatsächlich anonym „freie“ Kunst im Rahmen der Keramikproduktion kreieren. Das hätte dem Geist der Zeit entsprochen. Teller dieser Art werden aktuell mit 20 bis 40 Euro bewertet. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Lüneburg
n Keramikvase
?Vor einigen Jahren konnten Sie mir zu einer Porzellanfigur die entscheidenden Hinweise beitragen. Nun möchte ich Sie noch einmal um Hilfe bei der Bestimmung einer Vase bitten. Ich würde gerne die Herkunft einer Keramikvase mit sehr markanter Runen-Boden-Signatur erfah-
ren. Laut Verkäufer sollte sie aus einer Hamburger Galerie der 70er-Jahren stammen. Die Vase ist 23 cm hoch und 9,5 cm im Durchmesser breit. Leider sind dies die einzigen Informationen, die ich zur Vase habe. Wegen meiner Sammler-Erfahrung im Bezug auf Industriekeramik dachte ich, dass gerade wegen der markanten Boden-Marke sich die Vase relativ einfach identifizieren ließe. Trotz intensiver Suche ist mir dies bisher nicht gelungen. Über eine Einschätzung Ihrerseits wäre ich sehr dankbar. Patryk Schastok, Hamburg
Die Vase mit schöner Rotkehlchen-EiGlasur („robin´s egg") ähnelt chinesischen Meiping 梅瓶 „Pflaumenblüten Vasen“. Die Form ist nicht ganz so elegant wie bei den historischen Vorbildern, aber der kurze Hals und die Schulter sind sehr typisch. Die Signatur aus spiegelverkehrten und spiegelgleichen Futhark-Runen gibt Rätsel auf. Die Kenntnis rund um Runen ist in Skandinavien sehr präsent. Mir scheint es wenig plausibel, dass sich ein nordischer Keramiker hier irren könnte. Aus den gut dokumentierten Siebziger-
n In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem ein oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt –mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist.
Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder unten korrigiert werden können.
Ihre Anfrage schicken Sie bitte an:
Gemi Verlags GmbH
Redaktion Leserforum
Pfaffenhofener Str. 3 85293 Reichertshausen
oder per E-Mail an info@gemiverlag.de
LESERFORUM 4
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EXPERTISEN
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Jahren wird die Vase wohl nicht stammen, eher schon aus den 1990er-Jahren.
In den chinesischen Schriftsystemen findet sich leider auch keine logische Erklärung für die Einritzungen. Vielleicht handelt es sich schlicht um eine missverstandene Kopie einer Runeninschrift, die leider – auch wenn sie richtig geschrieben wird – keinen Sinn ergibt. Sinnlose Inschriften wiederum, also ohne Bezug zum Objekt oder historischen Kontext, sind typisch für chinesische Kopien.
Bis zum Auftauchen vergleichbarer Belegstücke würde ich die Vase nach Guangzhou, VR China, verorten. Ein Schätzpreis unter 100 Euro scheint angemessen.
Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Lüneburg
n Der Ruhrkumpel
Zuerst möchte ich mich für die Expertisen bedanken, welche ich bereits von Ihnen erhalten habe. Bei meinem
Flohmarkthändler konnte ich dieses interessante Bild mit dem Titel „Der Ruhrkumpel” erwerben. Meine persönlichen Recherchen dazu führten zu keinem Ergebnis. Jetzt würde ich Sie höflichst bitten, mir vielleicht den Maler mitzuteilen. Gemalt hat es der Künstler auf Malkarton, vermutlich mit Gouache-Farbe. Das Rahmenmaß ist 60 x 80 cm. Peter Wiesner, Waldkraiburg
Die Tusche- und Aquarell-Zeichnung zeigt in Frontalansicht einen Mann vor Industriekulisse. Stilistisch erinnert das Bild an Künstler der Neuen Sachlichkeit oder auch Max Beckmann. Die Signatur links unten liest sich offenbar „K. Kadina“ oder „K. Kadinar", das Bild ist (19)´72 da-
tiert. Rückseitig wurde das Bild betitelt „Der Ruhrkumpel“. Auffällig sind hier die Varianten in der Schreibweise der Buchstaben „R“ und „E“. Man könnte spekulieren, dass der oder die Schreibende sich seiner Schrift nicht ganz sicher ist und diese Sprache nur eine Zweitsprache ist. Möglicherweise handelt es sich bei dem Namen um eine Transkription aus dem Arabischen. Eine große Hand kann ich hier nicht entdecken. Vermutlich handelt es sich um das Werk eines talentierten Laien der unter Anleitung, zum Beispiel in einem VHS-Kurs, tätig war. Als Wert würde ich einen Betrag von unter 100 Euro annehmen. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Lüneburg
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AUSSTELLUNGEN
n Mehr als ein Accessoire
Der Handschuh, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Mode gekommene Kleidungsstück, erfährt derzeit ein Comeback auf den internationalen Laufstegen und erhält auch durch die mit der Corona-Pandemie zusammenhängenden Hygiene-Maßnahmen mehr Aufmerksamkeit. Die reichhaltige Kulturgeschichte der Handbekleidung und den Facettenreichtum eines unterschätzten Accessoires zeigt das Deutsche Ledermuseum in Offenbach am Main bis zum 30. Juli in der Ausstellung „Der Handschuh: Mehr als ein Mode-Accessoire”.
Dienten einige Typen primär dem Schutz der Hände, besaßen Fingerhandschuhe über Jahrhunderte hinweg symbolischen Charakter etwa als Standeszeichen. Sie waren Teil der christlich-liturgischen Bekleidung sowie der königlichen Insignien. Gesten, wie die des FehdehandschuhWerfens waren als Aufforderung zu einem Duell allgemein verständlich. Für die elegante Garderobe waren Handschuhe lange Zeit unentbehrlich und gehörten zur höfischen, später dann zur bürgerlichen Etikette.
Die Ausstellung spannt mit eindrucksvollen Exponaten – aus der Sammlung ergänzt durch Leihgaben – einen Bogen von wärmenden Fäustlingen der Inuit über Sport- und Arbeitshandschuhe bis hin zu Modellen namhafter Designer wie Marc Jacobs, Dries Van Noten und Yves Saint
Laurent sowie bedeutender Modehäuser wie Chanel, Hermès und Prada. Dabei werden auch die verwendeten Materialien aus der Handschuhfertigung wie feines Glacé-Leder, Seide oder robustes Gummi eine Rolle spielen.
Im Rahmen der Ausstellung kooperiert das Deutsche Ledermuseum mit der Fakultät für Gestaltung Design PF der Hochschule Pforzheim, die den deutschlandweit einzigen Bachelorstudiengang „Accessoire Design” anbietet. Zeitgenössische Ent-
würfe Studierender aus der Klasse von Prof. Madeleine Häse – von Ideenskizzen, Prototypen bis hin zu Endprodukten – werden die Sammlungsschau im Deutschen Ledermuseum ergänzen.
Begleitend zur Ausstellung erscheint im Verlag arnoldsche Art Publishers eine umfangreiche, zweisprachige (dt./engl.) Publikation, herausgegeben von Inez Florschütz.
Telefon: 069 82979819
Webseite: www.ledermuseum.de
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Handschuhe, Elchleder, England, 17. Jahrhundert; Deutsches Ledermuseum Offenbach am Main © DLM, M. Özkilinc
Boxhandschuhe von Max Schmeling, Rindsleder, Deutschland, um 1970; Deutsches Ledermuseum Offenbach am Main © DLM, M. Url
Eishockeyhandschuh, Leder, Textil, Deutsche Demokratische Republik, um 1965; Deutsches Ledermuseum Offenbach am Main © DLM, M. Url
n Tierisches am Weihnachtsbaum
Über 600 Tiere krabbeln, fliegen, schwimmen und hüpfen in diesem Jahr durch die Weihnachtsausstellung des Spielzeug Welten Museum Basel und zeigen, welche tierische Vielfalt bereits vor 100 Jahren die Weihnachtsbäume belebte.
Die kleinen Gäste werden von Filou, dem Weihnachtshund, durch die Ausstellung geführt. Von Abenteuerlust gepackt, bricht er zu einer großen Reise auf. Überall lernt der aufmerksame Hund neue Tiere kennen, ehe ihn in der Wüste das Heimweh packt. So kehrt er nach Hause unter den Weihnachtsbaum zurück. Den Großen bietet die Ausstellung vielfältige Einblicke in die unterschiedlichsten Techniken der frühen Christbaumschmuckindustrie: Tiere aus Dresdner Pappe finden sich neben Gablonzer und Viktorianischem Weihnachtsschmuck, Candy-Container neben Objekten aus der Glasbläserei.
Ob Schaf, Fisch, Taube oder Löwe: Teils verwies der Tierschmuck, beabsichtigt oder nicht, auf den christlichen Glauben. Er ist ein neuzeitliches Echo der „Bestiarien“ des Mittelalters – Tierdichtungen, in denen sich (vermeintliche) Eigenschaften von Tieren mit der christlichen Heilslehre verbanden.
Der ausgestellte Schmuck entstand mehrheitlich in der Zeit von 1880 bis 1930 und umfasst neben Objekten aus der eigenen Sammlung auch Leihgaben von Alfred Dünnenberger, Peter Baumann und Doris Albrecht Mäder. (Bis 19. Februar)
Telefon: +41 (0)612259596
Webseite: www.swmb.museum
n Rallye-Fahrer des Jahrhunderts
Walter Röhrl gehört zu den herausragendsten Rallye-Fahrern der internationalen Motorsport-Geschichte. Spätestens seit der Olympia-Rallye 1972 war sein Name jedem Motorsport-Fan ein Begriff, denn dies war der Anfang einer unvergleichbaren Karriere. Das Technik Museum Speyer widmet den Fahrzeugen der Rallye-Ikone bis zum 16. April einen eigenen Bereich. Mit der Sonderausstellung Walter Röhrl sind vierzehn Fahrzeuge rund um die Geschichte des Motorsportlers zu sehen. Bis heute ist der gebürtige Regensburger noch aktiv und nahm zuletzt im Sommer beim Olympia-Rallye-Revival teil. Siege und Auszeichnungen gehören zu seinem Leben dazu. In Italien wurde er zum „Rallye-Fahrer des Jahrhunderts" gewählt und eine Jury aus 100 Motorsport-Experten aus der ganzen Welt ernannten ihn zum „besten Rallye-Fahrer aller Zeiten". Zum Motorsport kam Röhrl jedoch eher per Zufall, denn nach dem Willen seines Vaters hätte er eigentlich Steinmetz werden sollen. Mit 16 trat er als Sekretär des Finanzdirektors in die Dienste des Bischöflichen Ordinariats Regensburg. An seinem 18. Geburtstag und mit Erhalt des Führerscheins wurde Sekretär Röhrl zusätzlich auch Fahrer des zuständigen Finanzdirektors und spulte im Jahr circa 120.000 km auf bayerischen Landstraßen im Namen des Ordinariats ab. Walter Röhrls Skiclub Kamerad Herbert Marecek, mit dem er oft auf den verschneiten Straßen des Bayerischen Waldes zum Skitraining unterwegs war, entdeckte das außergewöhnliche Talent des jungen Bayern und ermunterte ihn, an Rallyes teilzunehmen. Die Rallye Bavaria 1968 war der Auftakt zu Röhrls unvergleichlicher Rallye-Karriere.
Telefon: 06232 670868 www.technik-museum.de
n Sammler im Netz bei Delcampe
Im Jahr 2000 ging die Delcampe-Website online. Sie wurde entwickelt, um Sammlern eine perfekt geeignete Schnittstelle zum Kauf und Verkauf ihrer Sammlerstücke zu bieten.
Delcampe ist vor allem eine Seite für Sammler, die von Sammlern entwickelt worden ist. Das ist es, was sie so erfolgreich macht. Mitglieder mit mehr als 180 unterschiedlichen Nationalitäten entdecken Tag für Tag Tausende von neuen Sammlerstücken. Zu den vielen Kategorien zählen unter anderen Briefmarken, Ansichtskarten, Münzen und Banknoten, alte Papiere, Kunst und Antiquitäten, VinylSchallplatten, Photographica, Bücher, Zeitschriften und Comics. Jeden Monat sind mehr als eine Million Mitglieder aktiv. Im Jahr 2018 führte Delcampe eine eigene, in die Website integrierte Zahlungsmethode ein, Delcampe Pay.
Webseite: www.delcampe.net
MAGAZIN 7 01 / 23 MESSEN/MÄRKTE/BÖRSEN
Sehr dekorativ im Netz –die Spinne am Weihnachtsbaum; Spielzeug Welten Museum Basel (CH)
Rallye Elfenbeinküste Westafrika, 1982; Technik Museum Speyer Bildrechte: Reinhard Klein
LENORMAND- UND ANDERE ORAKELKARTEN
ALEXANDER GLÜCK
Die Wahrsagerei ist so alt wie die Kulturgeschichte des Menschen, ihre Erfolge allerdings waren stets großen Schwankungen unterworfen. Wissenschaftlich haltbar ist sie nicht, aber wer weiß – nicht wenige denken sich, dass doch etwas daran sein könnte. Die Versuche, etwas über die Zukunft zu erfahren, gehen vom Zufälligen oder Unvorhersehbaren aus und erhoffen Einsichten, die man durch das „Lesen” der Zeichen zu gewinnen vermag. Wahrsagerei mit Karten bedient sich ebenfalls des Zufälligen und nimmt dankbar die überreiche Symbolik an, die in den alten Drucken der Tarockkarten überliefert ist. Was zunächst als Spiel gedacht war (wenngleich es hierüber auch andere Ansichten gibt), wurde seinem Zweck entfremdet und für die Deutung der Zukunft herangezogen. Viel später erst entstanden Kartensysteme, die speziell für die Wahrsagerei geeignet sein sollten. Bei dem hier vorliegenden kleinen Spiel von 36 Karten mit alltäglichen Symbolen handelte sich ursprünglich um einen Rennparcours, auf dem Spielfiguren vorwärts zogen, angetrieben von Würfeln und dem Glück der Spielteilnehmer.
Es entstand um 1798. Das Kartenlegen war verrucht, aber die Menschen wollten etwas über die kommenden Zeiten und ihr eigenes Schicksal erfahren. Gesellschaftsspiele dienten der Unterhaltung, zugleich aber auch diesem amüsierten Blick hinter den Vorhang des Schicksals. Spielwarenhersteller bedienten diese Wünsche und Sehnsüchte gern. Lenormandkarten gehen auf eine erstaunliche
und besonders interessante Vorgeschichte zurück: Es ist eine Geschichte, die von Anfang an mit Lebensidealen (Tugend) und Zweifeln (Schicksal) verbunden ist, auch wenn die betont antimystische Aufmachung des Ur-Lenormand etwas anderes nahelegt. Auch wenn dessen Schöpfer, Johann Kaspar Hechtel, als gläubiger Christ und rational eingestellter, aufgeklärter Mensch dem zu seiner Zeit grassierenden Unwesen der Scharlatanerie ein bewusst harmlos aufgemachtes Orakelspiel entgegenstellte, schöpften seine Karten aus zwei langen Traditionen: einerseits der
Losbücher, also der alten Orakel, die mit ihren Vorläufern bis in die Antike zurückreichen, und andererseits der Konversations- und Orakelkarten, die man zog, um sich Inspiration für erbauliche Gespräche zu holen. Beide Linien laufen unmittelbar vor der Erfindung dieser Karten zusammen und wurden durch die Anlage des Hechtelschen Spiels wie auch durch seine Erklärungen überdeckt. Über dreißig Jahre sollte es dauern, bis die vormalige Benutzungsweise solcher Karten wiedererweckt wurde: Erst in den 1840er-Jahren, anlässlich des Todes der berühmten fran-
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Blick in die Zukunft
Oben: Diese Karten können aufgrund vieler Elemente einem bestimmten Entstehungszeitraum zugeordnet werden. Man beachte die Kleidung, Möbel, Raumausstattung und den Reisewagen. Die anderen Karten geben noch mehr Hinweise. Entscheidend ist aber hier das frühe Farbdruckverfahren. Beschriftet wurden sie in sechs Sprachen, um möglichst viele Käufer anzusprechen. Karten dieses Typs sind deshalb relativ häufig zu finden
zösischen Kartenlegerin Mlle. Lenormand, erschienen gleichartige Karten ausdrücklich zum Zwecke der Zukunftsdeutung, setzten dann aber zu einem internationalen Erfolgslauf an, der innerhalb der Gruppe der Wahrsagekarten ohne Beispiel ist und bis heute andauert.
bürgerlichen Wohnzimmern gemacht war. Das Britische Museum in London hat dieses Spiel sowie die Anleitung zur zweiten Auflage. Die ursprüngliche, erste Anleitung konnte vom Verfasser im Zuge der Recherchen zu einer Neuausgabe aufgefunden werden. Auf diese Weise lassen sich beide Versionen miteinander vergleichen.
Das „Spiel der Hoffnung“ hält einige Überraschungen bereit. Zunächst betrifft das die Intention seines Erfinders, die aus der Anleitung ganz deutlich erkennbar wird: Es war so schlau gestaltet, dass man damit nicht nur sein Würfelrennen durchführen, sondern auch alle möglichen Kartenspiele mit französischem oder deutschem Blatt spielen konnte. Für diesen Zweck trägt
jede Karte neben dem eigentlichen Bild zwei Miniaturen der üblichen Bilder von Spielkarten – eine Tradition, die sich bei Lenormandkarten zwei Jahrhunderte lang erhalten hat. Dazu brauchte man dann nur noch zwei Würfel, Spielfiguren, Spielmarken und den „Pot“, der beim Spielen als Kasse dient. So ergänzt, wird aus den Karten ein netter, harmloser Zeitvertreib für die Gesellschaft im Salon. Aber wenn dieses Spiel zuende war, konnte man mit denselben Karten eben auch noch einen scherzhaften Blick in die Zukunft tun –dafür brauchte man sich nur an den Bildern der Karten entlang eine phantasievolle Geschichte ausdenken. Harmlos, oder?
Für fröhliche Runden
Die schon bei seinem ersten Erscheinen verwirklichte Vielseitigkeit dieses Spiels
Lange lagen die Ursprünge dieser Karten im Dunkel der Geschichte verborgen. Die wichtigste Information zu ihrer Entstehung wurde allerdings schon 1972 veröffentlicht: Detlef Hoffmann verwies auf einen Vorläufer im Britischen Museum, nämlich ein „Spiel der Hoffnung“, das als Würfelrennen angelegt war, über dessen Spielregeln jedoch keine Einzelheiten bekannt waren. Die Nutzung für Zukunftsprognosen war bei diesem Spiel keineswegs die Hauptsache, sondern kaum mehr als eine Dreingabe zu einem Spiel, das allein zum amüsanten Zeitvertreib in den Salons und
Linke Seite und rechts: Sogenannte Londoner Kaffeekarten, mit hoher Wahrscheinlichkeit die direkten Vorläufer des „Spiels der Hoffnung“ von Hechtel. Die Bilder wurden mit geheimnisvollen Lossprüchen kombiniert, aus denen man die Bedeutung der Karten ableiten konnte. Hechtels Anti-Orakel geht also auf Karten zurück, mit denen man sein Schicksal ergründen sollte
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Schatzsuche im Britischen Museum
Spiel der Hoffnung
zielt darauf, mit den Karten möglichst viel anfangen zu können, und hierzu gehört natürlich auch die ziemlich ironische Erklärung, wie man eine kurzweilige Wahrsagerei damit anstellen kann. Die Anleitung dafür nimmt auf die Kartenbilder überhaupt keinen Bezug, setzt wahrscheinlich die Kenntnis der Bedeutungen von Bildsymbolen, wie sie noch weit ins 19. Jahrhundert verbreitet war, voraus und kümmert sich ganz und gar nicht um irgendwelche Regeln beim Vorhersagen des
Schicksals. Schon daran ist erkennbar, dass es hierbei um nichts weiter als einen Scherz für fröhliche Runden gehen sollte.
Die nächste Überraschung liegt darin, dass dieses Spielchen erst einige Jahrzehnte nach seinem Erscheinen wieder
hervorgeholt und nachgedruckt wurde. Anlass hierfür war der Tod der bekannten französischen Wahrsagerin Lenormand. Ein Verleger kam auf die Idee, diese inzwischen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwundenen und nach damaliger Praxis durchaus imitierbaren Karten als diejenigen auszugeben, die im Nachlass der Wahrsagerin gefunden worden sein sollen. Natürlich ist das eine unseriöse Täuschung wie aus den Annoncenseiten eines Groschenromans. Trotzdem ist es ein schöpferischer Akt, denn von nun an sollten sich diese „kleinen“ Lenormandkarten in immer neuen Bildgestaltungen, ausgefeilteren Bedeutungserklärungen und im Glanze einer stetig wachsenden Anhängerschar als eigene Gattung innerhalb der Wahrsagekarten etablieren. Warum aus einem aufgeklärt-harmlosen eines der ganz ernst aufgefassten Werkzeuge für Esoteriker werden konnte, kann mit zwei Umständen erklärt werden. Erstens ist die ganze Menschheitsgeschichte randvoll von Fällen, in denen von einem Missverständnis, einem Übertragungsfehler, einer Manipulation oder Lüge, einem Zufall oder einer Belanglosigkeit weitreichende Entwicklungen angestoßen wurden. Der Mensch neigt dazu, sich vom
Links oben: Völlig abgenutzte, historische Orakelkarten nach sehr reger Verwendung. Sie dürften aus dem beginnenden 19. Jahrhundert stammen oder noch älter sein. Deutlich zu erkennen ist die Kolorierung mittels Schablonen, die auch bei herkömmlichen Spielkarten lange üblich war
Links unten: Alte Loskarten gehören zu den Vorläufern der Orakelkarten mit Bildern. Die Sprüche sollten dem Fragesteller einen Hinweis auf die Zukunft geben. Ähnliche Orakel gibt es auch in anderer Form, so etwa als gläserne „Wunderkugel“, die mit Zahlen versehen ist, oder mit den Bildkarten des Seni-/Corona-Orakels
Oben: Kartenlegerin, Kind und ein Gaukler in zeitgenössischer Darstellung
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Würfelspiel zum Orakeln
Vom
Ganz oben und oben: Zwei Varianten der Lenormand-Karten. Die immer wiederkehrenden Motive wurden von Spiel zu Spiel unterschiedlich ausgestaltet. Meist ist ihnen eine gewisse liebliche Schlichtheit zueigen
Oben Mitte und oben rechts: Original-Schriftstück aus der Hand der Madame Lenormand, in dem es um geschäftliche Angelegenheiten geht. Trotz der Fehlstelle erzielte dieses fragile Dokument einen vierstelligen Preis
Rechts: Frühe Verpackung von LenormandKarten, die eindeutig auf die große Wahrsagerin Bezug nimmt. Madame Lenormand hat aber solche Karten nie verwendet und kannte sie wahrscheinlich nicht einma.
überlieferten Nimbus einer Sache blenden zu lassen, und bei den Lenormandkarten wurde der mit jeder Neuausgabe weiter gefestigt. Wenn die Erklärung der Urversion nicht mehr greifbar ist, verlässt man sich auf die Überlieferung. Aber der zweite Grund für ihre unglaubliche Karriere liegt in den Kartenbildern selbst. Da machte jener Hechtel aus Motiven, die er aller Wahrscheinlichkeit nach in einem zwei Jahre älteren Spiel gefunden hatte, ein Würfelspiel, und natürlich kamen dort ganz naheliegende Alltagsdinge vor: Ein Haus. Ein Garten. Ein Reiter bringt Neuigkeiten. Ein Fuchs. Ein Schiff. Ein Schlüssel. Diese Auswahl geht auf ein älteres Spiel zurück, das noch eher für den
Zweck veröffentlicht worden ist, als Orakelwerkzeug benutzt zu werden. Weil aber diese Symbole dem unmittelbaren Fundus des Alltäglichen entnommen sind, eignen sie sich auch so ausgezeichnet dafür, als Orakel dieses Alltägliche zu enträtseln. Im Gegensatz zu einigen anderen Kartensystemen bleiben die Bilder der Lenormandkarten ganz im Konkreten. Ein Berg ist ein Berg, ein Brief ist ein Brief. Um abstrakte Dinge wie Falschheit, Liebe, Glück oder Neuigkeiten geht es hier zunächst noch nicht. Diese Bedeutungen kommen erst durch Interpretieren hinzu. Dadurch ergeben sich alle Möglichkeiten des spirituellen und psychologischen Deutens, die sich an diesem Spiel angelagert haben.
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Das arglose „Spiel der Hoffnung“ als älteste Version der kleinen Lenormandkarten ist die Keimzelle einer langen Reihe dieser Spiele und vermutlich auch Inspirationsquelle für so manches andere System. Es trägt bereits alle Merkmale in sich, in die später große Bedeutung gelegt wurde. Die beeindruckende Karriere dieser Karten mag überraschen, ist aber beispielhaft für die Art, wie der Mensch mit Legenden umgeht, sie weiterentwickelt und nutzt, sich
Ein weiteres Lenormand-Spiel in einfacher Gestaltung und mit der typischen Ausstrahlung solcher Spiele aus dem 19. Jahrhundert
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Das Spiel wird zum Selbstläufer
Oben, unten links und Mitte: Digital überlagerte Kartenmotive auf einem Hintergrund mit Textur. Neuausgaben können auf diese Weise einen leicht altertümlichen Anstrich bekommen, obwohl sie früher gar nicht so aussahen. Diese Version wurde nicht veröffentlicht
Unten rechts: Die gleichen Bilder, diesmal ohne Hintergrund. Sie wurden vom Verfasser für eine Neuausgabe digital überarbeitet
von ihnen inspirieren lässt und darüber ihren oft ganz profanen Ursprung vergisst. Diese kulturelle Entwicklung ist es, die an diesen Karten besonders auffällt. Anhand der Geschichte dieser Karten kann man
sehr viel über die Menschen erfahren, die sie immer wieder verbreitet oder sich mit ihnen beschäftigt haben. Und schon deshalb sind sie mehr als nur ein Würfelspiel: eben auch ein Deutungswerkzeug, und dies auf ganz verschiedenen Ebenen.
Weltweiter Trend
Das Wahrsagen mit Lenormandkarten ist ein weltweiter Trend, der trefflich zeigt, wie sich in der Menschheit immer wieder die Hinneigung zur konkreten Idee durchsetzt. Hier bekommt man alles: Vom Seminarveranstalter bis zum Lebensberater,
von der altmodischen Wahrsagerin mit wichtigtuerischem Blick bis zum Anbieter selbst hergestellter Lernkarten, Kombinationstabellen oder Übersichtstafeln. Lenormand ist ein Selbstläufer, dessen Mitläufern heute nicht mehr bekannt ist, dass sie mit einem recht harmlosen Würfelspiel, geradezu einem Anti-Orakelspiel aus dem Klassizismus arbeiten. Und doch berührt uns die Reihe der Kartenbilder, deren Zusammenstellung wohl doch weit tiefer im menschlichen Unterbewusstsein schöpfte, als es den so betont aufgeklärten Spielegestaltern Ende des 18. Jahrhunderts
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klar gewesen ist: Sie wollten etwas ganz Unschuldiges erschaffen und haben dabei auf einen Katalog von Lebensaspekten zurückgegriffen, der sich nicht erst nach 1798 in praktischer Legearbeit bestens bewährt hat.
Dieser doppelte Aspekt: Ein unterer Boden unterm Orakel, der es als Spielchen hinstellt – aber unter diesem dann noch ein tieferer Boden, auf dem schon vor 1800 die Grundlagen der modernen tiefenpsychologischen Deutungsmöglichkeiten vorgeformt wurden, macht diese Karten so außerordentlich interessant. Dass Johann Kaspar Hechtel, der erste Anbieter dieses Spiels, als weitere Nutzungsmöglichkeit den Einfall in die Anleitung schrieb, man
könne anhand der auf einem Tisch ausgelegten Karten eine scherzhafte Zukunftsgeschichte erzählen, war dabei eben noch nicht einmal der erste Ausgangspunkt der Orakeltradition dieses Spiels, sondern ein Verweis auf die eigentliche Herkunft dieser Karten. Andere Verleger griffen den Hinweis auf, verfeinerten ihn, trugen ihre Spiele auf die Jahrmärkte – und heute sind Lenormandkarten in verschiedenster Ausgestaltung innerhalb der Lebensdeutung fest etabliert.
Wenn
Dieser bemerkenswerte Erfolg des Spiels der Hoffnung beruht auf der Tatsache, dass die verschiedenen Methoden, aus irgend etwas auf künftige Entwicklungen zu schließen, nicht an bestimmte Gegenstände gebunden sind, sondern meistens mit denen zu tun haben, in denen sich der Zufall austoben kann. Kartenspiele sind dafür besonders gut geeignet, daneben bewährten sich Handlinien, Kaffeesatzhügel, der Vogelflug, das Klappern von Blechen im Wind und noch so manches mehr. In heutiger Zeit kann man ähnliches bei denen sehen, die über Aktienkurven orakeln, und während jeder brave Christ natürlich die Wahrsagerei entschieden ablehnt, ist es in nicht wenigen Christengruppen Sitte, den Willen Gottes durch „Bibelstechen“ ergründen zu wollen, wobei man mit einer Nadel eine Stelle aus diesem Buch herausspießt und darin einen Hinweis Gottes liest. Auch hier handelt es sich zunächst um einen Sylvesterbrauch christlicher Familien, längst betreibt man es aber auch mit der ernsthaften Absicht, anhand der willkürlich aufgeschlagenen Bibelstelle wahrzusagen oder Rat einzuholen. Der Versuch, dem Schicksal in die Karten zu blicken, wohnt dem Menschen als Teil seiner Kultur inne, und er verwendet dafür, was sich ihm bietet.
Außerdem wurden die Bilder der Lenormandkarten unbewusst so geschickt gewählt, dass man damit die meisten Alltagsbegebenheiten eines Durchschnittslebens im Bürgertum darstellen kann. Wir finden keine Berufe, keinen Palast, keinen Sport und praktisch keine Waffen. Aber Garten, Weg, Berg, Brief, Stern, Turm – so etwas kam allen Menschen immer wieder unter, und so ist es noch heute. Und daraus ergibt sich der höchst ersprießliche Umstand, dass sich in diesem Spiel nun eben diejenigen Dinge zeigen, die für uns von Bedeutung sind.
Das Sammeln solcher Karten bedingt eine Eingrenzung auf die Spielsysteme und den Zeitraum. Da gut erhaltene Exemplare eher selten zu finden sind, bedarf es einiger Geduld oder ausreichender Mittel. Alte Orakelkarten werden nicht nur auf Flohmärkten und Internet-Plattformen angeboten, sondern auch von spezialisierten Händlern. Es kann sich lohnen, sich einem Sammlerkreis anzuschließen oder zumindest einem einschlägigen Online-Forum. Wenn originale antike Spiele nicht zu beschaffen sind, können Reprintausgaben stellvertretend ihren Platz einnehmen, teilweise werden sie in sehr hoher Druckqualität aufgelegt. Für den Sammler kann auch die zeitgenössische Begleitliteratur von großem Interesse sein, so zum Beispiel die Originalveröffentlichungen von Hechtel und Lenormand selbst. Als Sternstunde kann man es dabei bezeichnen, wenn man tatsächlich eines Originalschriftstückes aus der Feder von Mlle. Lenormand höchstselbst teilhaftig wird. Solche Einzelfunde erzielen vierstellige Preise, können aber durchaus auch sehr günstig zu finden sein.
Eine andere Art von Wahrsagekarten, ebenfalls mit klarer, einfacher Symbolik. Auch diese Karten sind schablonenkoloriert. Karten dieser Art werden zu sehr hohen Preisen angeboten
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Fotos: Alexander Glück
aus Spaß Ernst wird