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Europas Sammlermagazin
02/2021 64419
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Murano Georgsmedaillen
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In der März-Ausgabe des TRÖDLER 48 Seiten als Beilage
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LESERFORUM 4
EbPERXvSEI
! 9osen Nach einem sehr freundlichen Telefonat erlaube ich mir, Ihnen zwei Bilder zu senden. Mein Vater war langjähriger Abonnent bei Ihnen und hat sehr viel mit dem Sammlerjournal gearbeitet. Meine Frage wäre, was diese Dosen wert sein könnten. Angelika Hörr, o. O.
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Für die Beschreibung der Dose ist ein kleiner Exkurs in die Geschichte sinnvoll. Der amerikanische Bürgerkrieg von 18611865 hatte zu einer großen Nachfrage nach ägyptischer Baumwolle geführt. Diese Sonderkonjunktur und die nahende Eröffnung des Suez Kanals verführte den damaligen Generalgouverneur und späteren Vizekönig der osmanischen Provinz Ägypten, Ismail Pascha, große Summen für Bauten und Infrastruktur auszugeben. Die opulente Eröffnungsfeier des Suezkanals und Verdis Oper Rigoletto/Aida ist heute noch in Erinnerung. Belastet durch hohe Kredite war Ismail Pascha gezwungen, seine Investitionen zu Geld zu machen. Der Kanal geriet so komplett unter französisch-englische Kontrolle. In diesem ökonomischen Umfeld konnte der griechische Tabakhändler Nestor Gianaclis den Palast des Erziehungsministers Ahmed Khairy Pascha mieten und darin ab 1871 seine Zigarettenfabrik betreiben. Im Jahr 1899 konnte der den Palast sogar
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kaufen. Die Abbildung des Palastes ist auf der Innenseite der Dose zu sehen. Die Inschrift auf dem im Neo-Mamluk-Stil errichteten Gebäudes lautet „Cigarette Manufactory“ und auf der Flagge steht „Nestor Gianaclis Cigarettes“. Dieses Motiv zierte noch lange die Zigarettendosen, später mit dem Vermerk „Stammhaus“. Manche Dosen lassen sich mit dem Hinweis auf Weltausstellungen datieren. z. B. „World´s Columbian Exhibition Chicago 1893“, „Grand Prix Exposition Universelle Anvers 1894“ oder „Höchste Auszeichnung International Exhibiton Cairo 1926“. Die leider etwas zerkratzte Dose aus Weißblech mit dem Orientalismus-Motiv, ChromolithoDruck, wurde vermutlich um 1890 hergestellt. Tobacciana-Sammler sind heute eher schwer zu finden, gleichzeitig ist das Angebot an solchen Zigarettendosen sehr groß. Die ältere Dose würde ich heute mit 15 Euro bewerten, die zweite, um 1930 hergestellte Dose, mit nur fünf Euro. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde
! In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem ein oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Nerlags GmHD Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Str. 3 52 3 Reichertshausen oder per E-Mail an info8gemi@erlag.de
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LESERFORUM 5
! Emailleschild Ich bin im Besitz eines alten Werbedrucks von „Klosterfrau“ – Bild anbei. Unten ist eine kleine Marke, ein großes W in einem Rechteck mit abgerundeten Ecken. Ich vermute mal, es ist die Signatur der herstellenden Siebdruckerei. Haben Sie eine Idee, wie ich diese herausfinden kann? Bei Klosterfrau konnte man mir nicht helfen. Bei Porzellan gibt es Übersichten mit Porzellanmarken. Gibt es das auch beim Siebdruck? Ich freue mich über jeden helfenden Hinweis. Heribert Eiden, Köln
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Das Monogramm „W im Rechteck“ könnte ein Zeichen des Gebrauchsgrafikers sein oder das Signet einer Druckerei, die im Jahre 1952 (neu / wieder – weil restituiert) gegründet wurde oder es handelt sich um ein neues Logo einer bereits etablierten Druckerei. Emailleschilder für dieses Produkt wurden schon Ende 1951 hergestellt, also würde ich eine bereits am Markt etablierte Druckerei hinter dem Monogramm vermuten (Wüsten & Co Frankfurt/Main?). Eine Antwort findet sich möglicherweise in Ausgaben der Zeitschrift „Gebrauchsgraphik. International advertising art“, alten Adressbüchern, „Klimschs Jahrbuch“ oder im Rheinischen Bildarchiv. Meines Wissens hat sich bisher noch niemand die Mühe gemacht, DruckereiSignets zu kompilieren. In der Nach-Coronazeit wird eine Recherche wieder mög-
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lich sein. Standardverfahren im Plakatdruck waren spätestens seit den zwanziger Jahren der Offset(Gummi)-Druck, ein indirektes Flachdruckverfahren mit Gummituch bespannten Zylindern, welches eine hohe Auflage ermöglicht und gleichzeitig die Druckplatte schont. Der Siebdruck fand um 1952 im Bereich des künstlerischen Plakatdrucks Verwendung, in diesem Fall würde ich daher eher den Offsetdruck vermuten. Der Wert des Drucks dürfte bei unter 50 Euro liegen. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger,
! Porträt Beim Aufräumen meines PC stieß ich auf eine Bewertung eines Bildes durch Sie. Da es 2008 war, weiß ich nicht, ob Sie dies noch machen. Aber ich versuche es. Eine Freundin schickte mir dieses Bild, über das sie absolut nichts weiß. Können Sie uns sagen, welcher Künstler das war bzw. aus welcher Zeit es stammt.
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Gabriele Heix, Bonn
Dieses kleinformatige Porträt einer jungen Frau hat über die Jahrhunderte wohl ihr männliches Gegenstück verloren. Solche Doppelporträts zeigen in der Regel Ehepaare und waren insbesondere im 19. Jahrhundert ein beliebtes Mittel, die vergängliche Schönheit eines Menschen in Öl auf Leinwand zu bannen. Der soziale Rang
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dieser Dame ist an dem Nerz und dem Goldschmuck abzulesen. Die Entstehungszeit lässt sich mit dem Zeitraum um 1840 festlegen. Die sich ständig ändernde Mode gibt häufig willkommene Hilfestellung bei der Datierung solcher Porträts. In diesem Fall sei auf den schulterfreien Ausschnitt des Kleides, der an einem Samtband getragenen Schmuck und die markanten Schläfenlocken der aufwändigen Frisur hingewiesen. In einer seitlichen Aufnahme der Bildoberfläche ist eine Beschädigung und wohl auch eine Retusche im Gesichtsbereich der Dame zu erkennen und ein Riss im Halsbereich. Die Malerei ist von der geübten Hand eines Künstlers, der sich wohl auf Porträts spezialisiert hatte, aber nicht identifiziert bleibt. Aufgrund des Zustandes ist dieses Gemälde schwerlich zu verkaufen und würde in einer Auktion unter 100 Euro eingeschätzt werden. Georg Ottomeyer, Experte Berlin 02 / 21
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! Bettgeschichten Mit keinem anderen Möbelstück verbringt der Mensch so viel Zeit wie mit dem Bett. Das Landesmuseum Zürich präsentiert Bettgeschichten über vier Jahrhunderte. Während eines Drittels seines Lebens liegt der Mensch im Bett. Kein Möbelstück ist ihm näher. Im Bett werden wir geboren und dort sterben wir. An diesem Ort lieben wir uns oder suchen Erholung nach einer Krankheit. Meist schlafen wir auf diesem Möbelstück, manchmal hängen wir darin aber auch unseren Gedanken nach, hören Musik oder lesen. Heute gelten Betten in Schlafzimmern als intime Orte. Wenn man Gäste empfängt, ist dieser Raum meist tabu. Das war nicht immer so. Im 17. Jahrhundert benutzte der französische König Ludwig XIV. das Schlafzimmer als Bühne für seine Machtdemonstrationen. Der Sonnenkönig stand vor einem ausgewählten Publikum auf und wenn er sich zum Schlafen hinlegte, war dies ebenfalls ein öffentlicher Akt. Viele europäische Fürsten kopierten die Gepflogenheiten des französischen Könighofs und bald wurden die Schlafzimmer zum Statussymbol. So auch in der Eidgenossenschaft. Der öffentliche Charakter des Schlafzimmers verschwand im 19. Jahrhundert. Auch das Bewusstsein für Hygiene begann das Verhältnis der Menschen zum Schlafen zu verändern. Ungeziefer und üble Gerüche – Jahrhunderte lang als notwendiges Übel akzeptiert – wurden nun untersucht und bekämpft: Einzelbetten ersetzten Schlafstätten für mehrere Personen, Holz als Grundmaterial wurde von Metall abgelöst, Prunk machte der Funktionalität Platz. Gleichzeitig stieg die
Himmelbett aus Schloss Bürglen TG von 16 1. In der vornehmen Wohnung dient das Schlafzimmer auch als reärUsentativer 7mäfangsraum. ieses reich geschnitzte Oaradebett ist die SchlafstUtte des Hausherrn© des St. Galler Cbervogtes Lorenz Werder; Landesmuseum Zürich E Schweizerisches Nationalmuseum Schamgrenze. Man schlief zunehmend nicht mehr in Gruppen, sondern alleine und angekleidet. Die Ausstellung „Bettgeschichten” im Landesmuseum Zürich führt die Besucherinnen und Besucher auf einen Rundgang
Hochzeitsschrank von 1D/2. ie Inschrift besagt© dass der Schrank zur Hochzeit von patharina Müller und Mathias HPrler gefertigt wurde. ie gemalten 8ocaillen verweisen auf die Zeit des 8okokos© die bildlichen arstellungen auf die Legende des Wilhelm Tell; Schweizerisches Nationalmuseum E Schweizerisches Nationalmuseum durch die Schlafzimmer der gehobenen Schweizer Gesellschaft. Vom 17. bis ins 20 Jahrhundert hat sich viel verändert. (Bis 4. April) Blick in die Ausstellung öBettgeschichten3 im Landesmuseum Zürich E Schweizerisches Nationalmuseum 02 , 21
Telefon: ”41 44 21/6964 Webseite: www.nationalmuseum.ch
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MAGAZIN D 1960er-/1970er-Jahre” illustriert mit zahlreichen zeitgenössischen Objekten die spannungsvolle Zeit zwischen wachsendem Medien- und Warenangebot und technischem Fortschritt, aber auch dem Beginn von steigender Konsumkritik und neuem Umweltbewusstseit. (Bis 18. April) Telefon: 0D142 D4560 Webseite: www.bietigheim-bissingen.de
Ausstellungsansicht; Stadtmuseum Hornmoldhaus Bietigheim-Bissingen Foto: Hornmoldhaus
! Farbe der Lebensfreude Natürlich war in den 1960er-/1970er-Jahren nicht alles orange! Doch egal ob Eierbecher, Minirock oder Familienauto, viele Alltagsgegenstände der damaligen Zeit wurden in bunten Farben gestaltet. Besonders beliebt war die Farbe Orange – gerne auch kombiniert mit Dunkelbraun, Hellgrün oder Lila. Sie zierte Küchenutensilien, Büromaterialien, Kleidung und Fahrzeuge aller Art sowie Möbel, Freizeitartikel und Kinderspielzeug. Extravagante Muster und geschwungene Linien für Tapeten, Vorhänge und Teppiche verstärkten den psychedelischen Effekt der Farben und prägten nicht nur die Inneneinrichtung vieler Haushalte, sondern auch die damalige Kunst- und Designwelt. Moderne Materialien wie Plastik unterstützten diesen Trend, da sie kostengünstig in leuchtenden Farben und schwungvollen Formen verarbeitet werden konnten. Der Farbton Orange war damals jedoch nicht nur eine beliebte Modefarbe, gemischt aus Gelb und Rot, sondern steht auch für das Lebensgefühl einer bestimmten Epoche. Orange ist bis heute eine Signalfarbe, die beispielsweise im Straßenverkehr auf Farhzeuge des städtischen Bauhofs, der Autobahnmeisterei oder der Müllabfuhr hinweist und somit warnende Funktion hat. Sie steht aber auch für das Neuartige, Auffällige, Energetische, Gewagte und Kreative einer jungen Generation, die sich von ihren Eltern und Großeltern abheben wollte. Orange ist eine warme Sekundärfarbe, die sich auf dem Spektrum des sichtbaren Lichts zwischen Gelb und Rot befindet. Sie gilt als wärmste aller Farben und wird oft mit dem Auffälligen der Lebensfreude, dem Neuen und mit Kreativität assoziiert. Es wird ihr nachgesagt, stimmungsvoll aufhellend zu wirken. Der Mensch nimmt sie
mit einer dominanten Wellenlänge zwischen 585 und 620 Nanometern wahr. Der Name „Orange” stammt von der gleichnamigen Zitrusfrucht, die portugiesische Seefahrer im späten 15. Jahrhundert aus China nach Euoropa mitbrachten und die seit dem 16. Jahrhundert an europäischen Fürstenhöfen immer beliebter wurde. Doch lange Zeit war der Name „Orange” in Europa gar nicht geläufig. So kannte Goethe die Farbe beispielsweise unter der Bezeichnung „Gelbrot”. Die Sonderausstellung im Hornmoldhaus „Orange – Farbe und Lebensgefühl der
Horttasche; Stadtmuseum Hornmoldhaus Bietigheim-Bissingen Foto: Hornmoldhaus
Telefon; Stadtmuseum Hornmoldhaus BietigheimBissingen Foto: Hornmoldhaus
Im Stil der Zeit gedeckter Tisch; Stadtmuseum Hornmoldhaus Bietigheim-Bissingen Foto: Hornmoldhaus 02 , 21
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MODE G
DRESSED „OR S ööESS üHERESIA |EüERS
Nach 500 ahren kehrt ein UModetagebuch , heute im Besitz des Herzog Anton lrich Museums in Braunschweig, an den Ort seiner Entstehung nach Augsburg zurFck. Die Ausstellung UDressed for Success , die noch bis zum 2G. „ebruar im Ma/imilianmuseum Augsburg gezeigt wird, beschäftigt sich mit einem antiken Uklaidungsbuechlin , das aus Augsburg stammt. Die fragile Schrift 3räsentiert den selbst- und standesbewussten Kaufmann Matthäus Schwarz, dessen modische Entscheidungen eng mit seiner beruflichen und sozialen Karriere verbunden waren.
Modetagebuch Wer hätte schon gedacht, dass der erste „Modeblogger“ aus Augsburg kommt: Im Jahr 1520, lange vor Instagram & Co, begann der junge Kaufmann Matthäus Schwarz (1497-1574) sein ungewöhnliches Tagebuch anzulegen: In einer Pergamenthandschrift von der Größe eines Smartphones schildert er sein Leben anhand der Geschichte seiner Kleidung. In den nächsten 40 Jahren seines Lebens ließ er sich in kostbaren, oft extravaganten Kleidungsstücken porträtieren, die er speziell zu den verschiedensten Gelegenheiten und besonderen Anlässen für sich fertigen ließ. Dabei waren seine ausgewählten Kleidungsstücke immer von seiner beruflichen und sozialen Karriere bestimmt. Das „klaidungsbuechlin“ präsentiert ihn in den verschiedensten Modellen anhand von kleinen Miniaturen. Das alte Schrift-
stück und Modetagebuch erzählt aber nicht nur die ganz persönliche Geschichte des jungen und ehrgeizigen Aufsteigers. Die Aufzeichnungen spiegeln auch in einzigartiger Weise und sehr anschaulich die Männermode des 16. Jahrhunderts wider. Oben: S. G5-G6: Outfit am 01.10.1526 p Rotes Hochzeitsgewandt auf Herr Anton „uggers Hochzeit getragen, Inv. Nr.: H27 Bd. 67a Links: S. 24-25: „ranzWsischer Rock mit Samt p schwarzes Outfit in Cenedig getragen, Inv. Nr.: H27 Bd. 67a beide © Aus dem Uklaidungsbuechlin des Matthäus Schwarz, Augsburg, 1520-1560. Herzog Anton lrich-Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen
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MODE “ dueller Modegeschmack – also sein Style – so wichtig waren, dass er sie in Bild und Text mit der Nachwelt teilen wollte. Vor mehr als 500 Jahren entstanden, ist das Tagebuch dabei verblüffend modern. Als die Handschrift 2015 in einer englischsprachigen Edition erschien, war das Presse-Echo enorm und Matthäus Schwarz wurde vielfach als „der erste Mode-Blogger“ der Geschichte bezeichnet. Das wohl bekannteste Bild im Büchlein zeigt Schwarz gemeinsam mit Jakob Fugger im Kontor, in der berühmten Goldenen Schreibstube, der Firmenzentrale am Rindermarkt in Augsburg.
Bildmotive
Denn Matthäus Schwarz machte eine Karriere bei den legendären Fuggern, der berühmten Augsburger Unternehmer- und Bankerfamilie. Als Hauptbuchhalter der bedeutendsten Handelsherren dieser Epoche erlebte er auch welthistorische Ereignisse dieser Zeit aus nächster Nähe.
Kleine Mode-Miniaturen Schwarz war wohl einer der allerersten, dem seine Persönlichkeit und sein indivi-
Tanz oben: S. 12“-180: Tewand als KWnig „erdinand auf den Reichstag kam, Inv. Nr.: H27 Bd. 67a © Aus dem Uklaidungsbuechlin des Matthäus Schwarz, Augsburg, 1520-1560. Herzog Anton lrich-Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen Oben: Das Liebes3aar und der üod von Albrecht DFrer, NFrnberg 14“6914“G © Herzog Anton lrich-Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen, Ku3ferstichkabinett, Inv. Nr.: ADFrer AB 8.14“ Rechts: Augsburger üanzbild, unbekannter Maler, Augsburg, um 1500, yl auf Leinwand © Ma/imilianmuseum, Inv. Nr. 8G21
Das weibliche Geschlecht ist in dem klaidungsbuechlin übrigens ziemlich selten vertreten. Nicht einmal die eigene Ehefrau Barbara Mangold schaffte es, hier abgebildet zu werden. Nur seine einstige Herzdame Anna Schellenberger, die wohl seine Liebe verschmäht hatte, verewigte Schwarz in dem Büchlein – aber dort auch nur als kleines Mini-Porträt. Diese Tochter aus besten Kreisen, auf die Schwarz ein Auge geworfen hatte, heiratete jedenfalls einen anderen Verehrer. Zu den Bildmotiven im Tagebuch zählt auch Kaiser Maximilian I. Der Anlass war wohl die Hochzeit von Maximilians Nichte Susanna von Bayern mit dem Marktgraf Casimir von Brandenburg-Kulmbach im August 1518, zu der auch Schwarz geladen war. Beim Tanz im Tanzhaus trug er dabei „ein guldin krantz“ an seinem Barett. Ein Freund und Nachbar, der Drucker Hans Schönsperger, der auch kaiserliche Erinnerungswerke wie „Theuerdank oder
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UDer xelt Lauf
Weißkunig“ druckte, lieferte Schwarz nicht nur einzelne Bildvorlagen, sondern auch perfekte Blaupausen für seine Inszenierungen in den unterschiedlichsten Rollen – etwa als Geistlicher, Gelehrter, Abenteurer, italienischer Edelmann, Jäger, Fechter, Bogenschütze, Schlittenfahrer oder Lautenspieler. Und natürlich in jeder Rolle gekleidet im perfekten passenden Outfit aus besten Stoffen und Schnitten und mit entsprechenden stylischen Accessoires. Sein Freund Hans Schönsperger hatte noch weitere interessante Schriften im Programm – so auch das Drama „Die Zehn Alter dieser Welt“ von Pamphilus Gengenbach: Dieses moral-theologische Reihenspiel gliedert ein Menschenleben vom Zehn- bis Hundertjährigen und prangert das Fehlverhalten jedes Lebensalters an. Angesichts des unausweichlichen Gerichts Gottes wird darin auch zur Umkehr gemahnt.
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Das Werk dürfte wohl Schwarz dazu inspiriert haben, eigene autobiografische Aufzeichnungen über seine Erlebnisse und Eskapaden mit „Der Welt Lauf“ zu betiteln. Der Grund für diese Autobiografie war wohl derselbe, mit dem er im Vorwort sein klaidungsbuechlin begründet – nämlich, um über einen längeren Zeitraum Veränderungen festzuhalten – hier jedoch nicht die seiner Kleidung, sondern seiner Lebensweise. Nach der Heirat mit Barbara Mangold im Jahre 1538 erschien ihm die Autobiografie aber etwas zu skandalös und musste nun zugunsten einer ehrenhaften „gedechtnus“ getilgt werden. Und auch im klaidungsbuechlin löschte Schwarz später manchen ihm peinlich erscheinenden Eintrag.
Toldene Schreibstube Der Mittelpunkt im beruflichen Leben von Schwarz war jedoch die „Goldene Schreibstube“ in der Fugger-Zentrale in Augsburg am ehemaligen Rindermarkt. Hier beschäftigte sich Schwarz mit praktischen Problemen der Buchhaltung – etwa dem Umrechnen verschiedener Ellenmaße, wofür er eine eigene Methode entwickelt hatte. Die Schreibstube lag damals nur zwei Häuser vom heutigen Maximilianmuseum entfernt. Nicht zuletzt durch das klaidungsbuechlin hat dieser Ort eine gewisse Berühmtheit erlangt. Die Schreibstube wurde jedoch in einem Feuersturm im Februar 1944 zerstört. Nur ein Wappenschild unter dem Bogen des Schreibstuben-Erkers blieben neben spätgotischen Türgewänden als Zeugnisse „stolzer standesherrlicher Bürgerkultur“ erhalten. Auch viele andere architektonische Raumsituationen, die damals als Kulisse für Schwarz´ Auftritte im klaidunsgsbuechlin dienten, sind unspezifisch. Nur einige der abgebildeten Gebäude lassen sich noch eindeutig in Augsburg identifizieren – so etwa das Nordportal der Klosterkirche St. Ulrich und Afra, die Richtstätte beim Klinkertor oder die Stadtmauer beim Jakobstor.
xitz und Schalk Kongenial sind jedoch Witz und Schalk des Buchmalers Narziss Renner, der in den alten Texten nicht verborgen bleibt, wenn seine gekonnten Bild-Erzählungen humorvoll auf den Textinhalt Bezug nehmen. So tritt Schwarz beispielsweise im Bildnis als 13-jähriger Schulabgänger das Schulzeug in den Staub. Dieses Motiv setzte Renner auch kurz vor seinem Tod 1535 ein, wobei Schwarz im „sterbent zu augspurg“ sein Leben als närrisch abtut. Süffisant ist Renners Humor, als sein Auftraggeber Schwarz im Jahre 1524 neue Hosen und Hemden im Trio vorführt: Der Maler spielte den drei Egos nach dem Vorbild der wetteifernden Göttinnen des Parisurteils einen goldenen Apfel zu, damit sie unter sich selbst den Schönsten ausmachten. In großzügiger Haltung gewähren in dem Bildnis zwei der eitlen Schönlinge den Preis dem dritten Ich von Schwarz in roten Beinlingen. An eitlem Verhalten hat sich bis heute nicht viel geändert, ganz im Gegenteil: Mehr denn je will man(n) einen persönlichen „Style“ definieren und dokumentieren, und so zeugen zigtausend Selfies heute im Netz nicht selten von allzu übertriebener Selbstverliebtheit. Oben von links nach rechts: Martin xeiÄ als Bräutigam, Hans Holbein d. J., Augsburg, 1522 © Städel Museum „rankfurt, Inv. Nr.: ST 457 © b3k Lederbeutel mit |osamenterie-Dekor, SFddeutsch, zweite Hälfte 16. ahrhundert © BaPerisches Nationalmuseum MFnchen, Inv. Nr.: R 772“ |aar Hornschuhe, SFddeutsch, um 1540 © Evang.-Luth. Kirchengemeinde St. Anna, Augsburg, o. Inv. Nr. nten: Rekonstruktion einer Schaube, Birgit Enkirch und üeam, Schnega, 2020 © Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Ma/imilianmuseum, Inv. Nr.: 20209240
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MODE 11 torischen Gründen leider voraussichtlich das letzte Mal. Zur Ausstellung ist ein schöner, großformatiger Katalog im Sandstein-Verlag Dresden mit zahlreichen größtenteils farbigen Abbildungen erschienen. Der Eintritt zu den vielen bunten Begleitveranstaltungen zur Ausstellung ist frei. Wegen geltender Corona-Maßnahmen und beschränkter Platzzahl ist die Teilnahme nur gegen Voranmeldung beim Besucherservice unter Telefon 0821 3244112 oder per mail besucherservicekusa@augsburg.de möglich.
Informationen „Dressed for Success“, Ausstellung noch bis 28. Februar im Maximilianmuseum Augsburg, Fuggerplatz 1, gleichnamiger Ausstellungskatalog, Hrsg. Stadt Augsburg, Sandstein-Verlag Dresden, 144 Seiten, zahlreiche Farbbilder, ISBN 97895498-589-0, www.kunstsammlungenmuseen.augsburg.de Fotos: wie angegeben
Links oben: S. 41-42: TewWhnliches Reiteroutfit p Outfit am 20.02.1520, Inv. Nr.: H27 Bd. 67a Links: S. 187: ürauerkleidung als sein Herr Anton „ugger starb, Inv. Nr.: H27 Bd. 67a beide © Aus dem Uklaidungsbuechlin des Matthäus Schwarz, Augsburg, 1520-1560. Herzog Anton lrich-Museum Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen nten: Rekonstruktion eines Tewands von Matthäus Schwarz, Birgit Enkirch und üeam, Schnega, 2020 © Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Ma/imilianmuseum, Inv. Nr.: 20209241
Kulturgeschichtliche Vuelle Die Handschrift ist jedenfalls eine unvergleichliche kulturgeschichtliche Quelle, insbesondere für die Männer-Mode der Renaissance, und dokumentiert auch die menschlichen Charakter-Züge des Protagonisten Schwarz und der ausführenden Künstler. Die Schau „Dressed for Success“, die auch Kunstwerke berühmter Meister wie Albrecht Dürer, Hans Holbein
d. Ä., Hans Daucher und Christoph Amberger neben weiteren bedeutenden Leihgaben europäischer Sammlungen und Museen vereint, beleuchtet aber nicht nur Matthäus Schwarz’ Leben, sondern blickt zugleich auf Augsburgs Stadtgeschichte und die Reichspolitik dieser Jahre. Im Rahmen einer langjährigen Kooperation zwischen dem Maximilianmuseum Augsburg und dem Herzog Anton Ulrich-Museum konnte die kostbare und sehr fragile Handschrift nun noch einmal an den Ort ihrer Entstehung zurückkehren – aus konserva02 9 21