125 Jahre Otterbein

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Wer a u f di e Na tur s e t z t , k ann auf uns b aue n

125 Jahre Zement- und Kalkwerke Otterbein

seit 1889

1 8 8 9 – 2 0 14 125 JAHRE ZEMENT- UND KALKWERKE OT T E R B E I N


Herausgeber

ZKW Zement- und Kalkwerke Otterbein GmbH & Co. KG Hauptstraße 50 36137 Großenlüder-Müs www.zkw-otterbein.de Text, Bild und Redaktion

Geschichtsbüro Reder, Roeseling & Prüfer, Köln www.geschichtsbuero.de Gestaltung

Georg Bungarten Grafik für Kultur, Medien & Soziales, Köln www.grafik-bungarten.de © ZKW Zement- und Kalkwerke Otterbein GmbH & Co. KG 2014

I M P R E SS U M


1889 – 2014 125 J A H R E ZEMENT- UND KALKWERKE OT T E R B E I N


I N H A LT


6 V O R WO R T 8 KAPITEL I EIN KALKWERK ENTSTEHT 1889–1918 10 E I N E FO LG E N R E I C H E B E G E G N U N G 12 K A L K G E W I N N U N G U N D K A L K I N D U S T R I E I M R A U M F U L D A 14 E I N M Ü H S A M E S G E S C H Ä F T 15 D E R A U S B A U D E S U N T E R N E H M E N S 17 D U R C H K R I S E N - U N D K R I E G S Z E I T E N

20 K A P I T E L I I WAC H S T U M I N U N R U H I G E N Z E I T E N 1 9 1 9 – 1 9 5 2 22 S TA B W E C H S E L 24 Z W E I TAT K R Ä F T I G E B R Ü D E R 27 N E U E K R A F TQ U E L L E N U N D Z U FA H R T S W E G E 28 A U FS C H W U N G M I T D Ü N G E K A L K I N D E N 1 92 0 E R J A H R E N 30 D I E N E U O R D N U N G D E R K A L K I N D U S T R I E I N D E N VO R K R I E G SJ A H R E N 33 P R O D U K T I O N I M S C H AT T E N D E S K R I E G E S 37 W I R T S C H A F T E N I M Z E I C H E N D E S M A N G E L S

38 K A P I T E L I I I M O D E R N E B A U S TO F F E F Ü R WA C H S E N D E M Ä R K T E 1 9 5 2 – 1 9 8 1 40 G E N E R AT I O N S W E C H S E L 42 M I T S C H W U N G I N S W I R T S C H A F T S W U N D E R 44 WAC H S T U M I N A L L E N B E R E I C H E N 48 E I N E I G E N E R V E R T R I E B , M O D E R N E Ö F E N U N D D E R A U S B A U D E S L A B O R S 49 E I N N E U E R B A H N H O F F Ü R M O D E R N E P R O D U K T E 52 H E R A U S FO R D E R U N G D U R C H D I E Ö L K R I S E 54 DA S W I C H T I G S T E K A P I TA L : D I E M I TA R B E I T E R 56 Z U K U N F T S FÄ H I G M I T Z E M E N T

58 K A P I T E L I V N E U E H E R A U S FO R D E R U N G E N Z U R J A H R TA U S E N D W E N D E 1 9 8 2 – 2 0 1 4 60 S C H W I E R I G E R S TA R T , R A S A N T E E N T W I C K LU N G 61 I N V E S T I T I O N E N I N D I E Z U K U N F T 64 E I N R A U S C H E N D E S F E S T U N D E I N H I S TO R I S C H E R G LÜ C K S FA L L 68 E I N B E S O N D E R E S R E F E R E N Z O BJ E K T : D I E I C E - N E U B A U S T R E C K E F R A N K F U R T – K Ö L N 70 Z U K U N F T SS I C H E R U N G U N D Z E M E N T P R E I S K R I E G 72 N E U E R G L A N Z F Ü R A LT E B A U W E R K E 75 I M Z E I C H E N D E S U M W E LT S C H U T Z E S U N D D E R R E SS O U R C E N E F F I Z I E N Z 82 1 25 JA H R E OT T E R B E I N – S T R AT E G I E N F Ü R E I N T R A D I T I O N S R E I C H E S FA M I L I E N U N T E R N E H M E N M I T Z U K U N F T 88 A N H A N G


Die Zement- und Kalkwerke sind heute ein mittelständisches Unternehmen mit breiter Produktpalette in den Bereichen Zement, Kalk und MÜrtel.


Kapitel IV

NEUE HERAUS­ FORDERUNGEN ZUR JAHRTAUSENDWENDE 1982–2014

1980/81 steigt Otterbein in die Zementproduktion ein – der Beginn einer neuen Ära. Seitdem ist das Unternehmen in den drei Segmenten Kalk, Zement und Mörtel erfolgreich tätig. Auf dem schwierigen Zementmarkt ist die Firma Raab Karcher in den Anfangsjahren ein wichtiger Vertriebspartner, der nach der deutschen Einheit gemeinsam mit Otterbein die Chancen neuer Absatzgebiete nutzt. Otterbein-Produkte kommen wegen ihrer hohen Festigkeit besonders beim Bau großer Bahnstrecken zum Einsatz. 1982 tritt mit Diplomkaufmann Winfried Müller die vierte Familiengeneration in das Unternehmen ein. Er setzt den Modernisierungskurs fort, wobei Energieeffizienz und CO2-reduzierte Zemente immer wichtiger werden. Zudem entwickelt Otterbein neue Produkte für den Umweltschutzbereich und zur Bodenstabilisierung. Auch nach der Jahrtausendwende erschließt das Unternehmen neue Märkte und produziert natürlich hydraulische Kalke für den Denkmalschutz, die Restaurierung historischer Bauten und ökologisches Bauen. 2013 tritt der Ur-Ur-Enkel des Unternehmensgründers, Dr. Christian W. Müller, in das Familienunternehmen ein. Damit wird die langfristige Entwicklung der Zement- und Kalkwerke Otterbein frühzeitig und konsequent sichergestellt.

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Schwieriger Start, rasante Entwicklung Winfried Müller stieg 1982 in das Familien­ unternehmen ein. Damals standen die Chan­ cen für Zement von Otterbein unter keinem guten Vorzeichen. Der westdeutsche Zement­ markt wurde von wenigen großen Zementher­ stellern beherrscht. Im nahen Fulda lagerte zudem Zement aus der DDR, der vor allem in der Umgebung verkauft wurde und Otter­ bein zusätzlich Probleme bereitete. Mehrfach sprach die Firmenleitung deswegen im Wirtschaftsministerium und dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen vor und selbst die Abendnachrichten griffen das Thema auf, vergeblich: Der DDR-Zement war Teil des politisch gewünschten und ge­förderten deutsch-deutschen Warenhandels. Otterbein wechselte deshalb seine Stra­ tegie und schloss 1982 einen Vertriebsvertrag mit dem Baustofffachhändler Raab Karcher, um den Zementabsatz zu forcieren. Da Otterbein Kapital für den weiteren Ausbau von Vertrieb und Produktion benötigte, nahm das Unternehmen auf Anregung von Fritz Baum, Vorsitzender der Geschäftsführung der Raab Karcher GmbH in Frankfurt, Anfang 1983 den Baukaufmann Horst Dreher, die Baustoff­ werke Durmersheim (HeidelbergCement) und den Baustoffhandel Raab Karcher als Kommanditisten in die Zement- und Kalkwer­ ke Otterbein GmbH & Co. KG auf. Aufgrund der hervorragenden Qualität der Zemente von Otterbein, insbesondere bei den Anfangsfestigkeiten, die für den Tunnelbau mit hohen Anforderungen nötig sind, erhielt Otterbein den Zuschlag für

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WINFRIED MÜLLER Winfried, das zweitälteste Kind der Eheleute Rosa und Josef Müller, wurde am 21. Juli 1954 in Fulda geboren. Nach Grundschule in Müs, Abitur am Marianum in Fulda und zweijährigem Bundeswehrdienst studierte er von 1976 bis 1980 Betriebswirtschaft an der Friedrich-Alexander Universität in Nürnberg. Neben diversen Praktika in der Zement- und Kalkindustrie besuchte er nach seinem Diplom Vorlesungen zum Thema Bindemittel an der Technischen Universität Clausthal. 1982 trat er als Juniorchef in das Unternehmen seiner Eltern ein, 1986 übernahm er die Geschäftsführung, nachdem sein Vater den Vorsitz im Gesellschafterbeirat übernommen hatte. Winfried Müller investierte weiter in den Ausbau und die Modernisierung des Unternehmens, wobei vor allem Fragen des Umweltschutzes und der Ressourceneffizienz immer größere Bedeutung erlangten. Als Vorstandsmitglied der Bundesverbände der deutschen Kalk- und Zementindustrie vertritt er die Interessen der Branche, als Mitglied im Bundesverband Werk­ trockenmörtel und der IHK Fulda kümmert er sich um die Anliegen des Werkes und der Industrie in diesen Gremien. Außerdem engagiert er sich in verschiedenen unternehmerischen Netzwerken. Seit 1982 ist Winfried Müller mit MariaTheresia Picker verheiratet. Das Paar hat drei Kinder, Christian (geb. 1982), MarieLuise (geb. 1985) und Katharina (geb. 1989).


Zement­lieferungen für den Landrückentunnel im Osten Hessens, bis heute der längste Eisenbahntunnel Deutschlands. Die Otterbein-Produkte bewährten sich so gut, dass Otterbein auch für weitere Bauabschnitte der 1991 vollendeten ICE-Strecke Würzburg– Hannover Aufträge erhielt. Nach einem schwierigen Start hatte der Zementabsatz von Otterbein Fahrt aufgenommen.

Der Otterbein Zement Cemfix® überzeugt durch hohe Frühfestigkeit im Tunnel- und Brückenbau.

Investitionen in die Zukunft Parallel zum Aufbau der Zementproduktion errichtete Otterbein eine leistungsfähige Palettieranlage, die 1983 in Betrieb ging. Die Anlage zählte zu den modernsten der Bundesrepublik. Sie reduzierte maßgeblich die schwere körperliche Arbeit des Verlade­ personals und steigerte die Geschwindigkeit des Versands von gesackter Ware. Zukunftsfähigkeit bedeutete aber nicht nur Modernisierung von Maschinen, Anlagen und Werk, sondern auch Fortschritte im Umweltschutz. Allein 20 Prozent der Investi­ tionen für die Zement-Produktionslinie waren in Umweltschutzmaßnahmen geflossen; 1985 rüstete Otterbein zudem auch die drei Kalkschachtöfen mit einer leistungsfähigen Entstaubungsanlage im Schüttschichtfilter-System aus, die den anspruchsvollen Umwelt­ schutzbedingungen entsprach. Im selben Jahr erweiterte das Unternehmen die Aufberei­ tungsanlage für die Produktion ungebrannter Kalke zu Edelsplitt und Kalkbrechsanden.

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Bis Ende der 1980er Jahre investierte Otterbein rund 30 Prozent der Neuinvesti­ tionen in den Umweltschutz. Der Umweltschutz gewann nicht nur in der Produktion, sondern auch bei den Produkten an Bedeutung. Das durch sauren Regen verursachte Waldsterben avancierte zum wichtigsten umweltpolitischen Thema der 1980er Jahre. Als Gegenmaßnahme verschärfte die Bundesregierung die Emissiongesetzgebung, während Forst- und Umweltämter versuchten, den Waldboden durch Kalkung zu ver­ bessern, um seiner Ver­sauerung entgegenzuwirken und Säureeinträge aus der Luft zu puffern. Neu entwickelte Produkte der Firma Otterbein ließen sich für beide Zwecke nutzen: Nach intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit stellte Otterbein ab 1986 hochwertige Weißkalkhydrate für den Umweltschutzbereich her, die in Rauchgasent­ schwefelungsanlagen und Klärwerken Verwendung fanden. Die benötigten Kalksteine mit hohem Anteil an Kalziumkarbonat (CaCO3) sicherte sich das Unternehmen mit langfristigen Lieferverträgen aus Stein­brüchen im Briloner Raum und richtete 1987 hierfür eine eigene Produktionslinie ein. Für die steigende Nachfrage der Waldkalkung installierte Otterbein im gleichen Jahr eine leistungsfähige Anlage für Produkte mit ho­ hem Magnesiumanteil. Zusätzlich gebaute Silos erhöhten die Lieferfähigkeit in diesem Segment. Investiert wurde zudem in die Abwasserbehandlung, um die Produktion noch umweltverträglicher zu machen. Außerdem wurde die bestehende Sandanlage zur Her­ stellung unterschiedlicher Kalkbrechsande 1987 erweitert und modernisiert. Produktionsanlagen und Kalksteinbruch der Zement- und Kalkwerke Otterbein.

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MIT KALK GEGEN DAS WALDSTERBEN Das große Einsatzspektrum verschiedener Kalkprodukte im Umweltschutz ergibt sich aus den natürlichen Eigenschaften des Kalks: Er neutralisiert Säuren, bildet mit den meisten chemischen Stoffen wasserunlösliche Verbindungen, entzieht Schlämmen Wasser, tötet Keime und Bakterien ab und wirkt auf die Wasserhärte. Mit unterschiedlichen Kalkprodukten und Verfahren lassen sich die meisten Schadstoffe aus den Abgasen fossiler Verbrennung entfernen. Wird Kalk im sogenannten Trockenadditivverfahren mit dem Brennstoff in den Feuerraum eingebracht, bindet er die Schadstoffe bereits am Entstehungsort. Im Trockensorptionsverfahren wird der Kalk in den Abgasstrom eingedüst. Die mit den Umweltgiften eingegangene Verbindung kann dann gefiltert werden. Das Sprüh­ absorptionsverfahren funktioniert ähnlich, nur wird in diesem Fall eine wässrige Kalksuspen­ sion verwendet. Schließlich sieht das Nasswaschverfahren die Auswaschung der Abgase mit Wasser unter Zusatz von Kalk vor. Die gelösten Reaktionsprodukte lassen sich im Anschluss aus dem Waschkreislauf entfernen. Auch in den verschiedenen Klärstufen der Abwasserreinigung neutralisiert Kalk Säuren, entfernt Metallverbindungen, adsorbiert Schad- und Farbstoffe, unterstützt die biologischen Prozesse und trägt zur Wiedergewinnung von Ammoniak bei. Die Waldkalkung verbessert ähnlich wie das Düngen in der Landwirtschaft die Bodenqualität. Der ph-Wert steigt, die Humusqualität verbessert sich und Nährstoffe werden ersetzt, was die Vitalität der Bäume und Pflanzen erhöht. Rund ein Viertel der deutschen Kalkproduktion findet mittlerweile im Umweltschutz Verwendung.

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Ehrungen für langjährige Verdienste: Josef Müller wurde während des 100jährigen Betriebsjubiläums 1989 das Bundesverdienstkreuz verliehen (links); der Firmenchef verabschiedet 1986 nach fast vier Jahrzehnten der Betriebszugehörigkeit den technischen Leiter Anton Hasenau (rechts).

Ein rauschendes Fest und ein historischer Glücksfall Das Jahr 1989 – nachdem Diplomkaufmann Winfried Müller in die Geschäftsführung und sein Vater in den Vorsitz des Gesellschafterbeirats gewechselt war – stand bei Otterbein ganz im Zeichen des einhundertjährigen Betriebsjubiläums. Am 24. Novem­ ber veranstaltete das Unternehmen im Stadtsaal Fulda ein großes Jubiläumsfest, zu dem alle 135 Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten geladen waren. Auch politische Promi­ nenz gab sich die Ehre, darunter der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion Alfred Dregger, Landtags- und Kreistagsabgeordnete, die örtlichen Bürgermeister und Ortsvorsteher, Vertreter der IHK sowie des Bundesverbands der Deutschen Kalk­ industrie. Landrat Fritz Kramer hielt die Festrede und Dieter Posch, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik, nutzte die festliche Gelegenheit und überreichte dem Seniorchef Josef Müller für seine Verdienste um den Ausbau des Kalkwerks das Bundesverdienstkreuz. Nur wenige Tage vor der Jubiläumsfeier hatten sich die Grenzen zur DDR geöff­ net, was für das Unternehmen Otterbein ganz neue Chancen bot. Die Grenznähe, die früher das Absatzgebiet nach Osten beschnitten hatte, wurde nun zum Standortvorteil. Otterbein reagierte schnell: Noch vor der Einführung der D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990 nahm Otterbein an einer Messe in Chemnitz teil. Raab Karcher verfügte bereits über ein Netz von Baustoffhandelsmärkten in Ostdeutschland und suchte nun Partner für die Präsentation westlicher Baumaterialien. Auf der Messe knüpfte Otterbein Kon­ takte ins gesamte Gebiet der DDR und bot den Interessenten kurz darauf Schulungen und Informationsveranstaltungen für die Verwendung der hauseigenen Produkte. Eine

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erfolgreiche Strategie: Bald folgten große Aufträge und ganze Zugladungen Kalk und Fertigmörtel aus Müs fuhren über die offene deutsch-deutsche Grenze. Nach der deutschen Einheit im Oktober 1990 setzte ein Bauboom in den fünf neuen Bundesländern ein, wo Otterbein bereits über gute Marktanteile verfügte. Raab Karcher installierte Transportbetonwerke, die auch aus Müs beliefert wurden. An der im Mai 1990 gegründeten Südthüringer Transportbeton GmbH in Bad Salzungen betei­ ligte sich Otterbein sogar. Der Boom hielt sich bis Mitte der 1990er Jahre, als Trockenmörtelwerke in den neuen Bundesländern entstanden, sodass die Nachfrage nach Westprodukten zurückging.

»Auch nach der deutschen Einheit waren viele ostdeutsche Kunden noch an die Kontingentierungen aus DDR-Zeiten gewöhnt und bestellten bei uns viele Baustoffe. Diese Aufträge haben uns natürlich gefreut, doch ab und zu habe ich Kunden daran erinnern müssen, dass die Produkte einem Haltbarkeitsdatum unterliegen.« Günther Undt (geb. 1943) arbeitete zwischen 1969 und 2008 im Verkauf und als Vertriebsleiter bei der Firma Otterbein.

Angesichts der guten Absatzzahlen investierte die Firmenleitung Anfang der 1990er Jahre weiter in die Modernisierung und Rationalisierung der Produktion. Moderne Anlagen, die effiziente Abläufe ermöglichten, waren gerade für ein mittelstän­ disches Unternehmen wie Otterbein entscheidend für die Behauptung im Markt. Mit dem Einbau eines TREIVO-Luftvorwärmersystems in den ­Kalkringschachtofen 1994 ließ sich der Produktionsablauf optimieren. Vor allem erleichterte die Neuerung die Reinigung der Injektoren und verbesserte die Arbeitsplatzbedingungen. Im Folgejahr installierte Otterbein in der Zementproduktion eine neue Vormühle, die die Herstel­ lung neuer Zementsorten mit besonders hoher Mahlfeinheit erlaubte und die Kapazität erweiterte. Außerdem investierte die Firma erneut in moderne Verpackungstechnik. Eine weitere moderne, besonders leistungsfähige Palettieranlage beschleunigte 1996 den Versand gesackter Ware abermals und eine neue Werkstraße sorgte für schneller fließenden Verkehr. 1999 beschritt Otterbein neue Wege in der Absacktechnologie und erwarb das allererste Modell des »Haver-Rotoseal-Packers«, der Kalk- und Zementsäcke mittels Ultraschall verschweißt und für sauberste Gebinde sorgt.

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Terrafix®-Verladung für die ICE-Strecke 1999. Auf der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Köln und Frankfurt kam das Spezial-Bindemittel Terrafix zum Einsatz (rechte Seite).

Ein besonderes Referenzobjekt: Die ICE-Neubaustrecke Frankfurt–Köln 1995 begann eines der größten Bauprojekte in der Geschichte der Deutschen Bahn. Über eine rechtsrheinisch geführte Hochgeschwindigkeitsstrecke wurde Frankfurt mit Köln verbunden. Geplante Fahrgeschwindigkeiten bis zu 300 Kilometer pro Stunde verlangten nach besonders belastbaren Gleisen und festen Untergründen. Das Planungs­ büro Arcadis ließ alle Anbieter Versuchsfelder mit ihrem Bindemittel anlegen. Als Otterbein ein Angebot abgeben wollte, hieß es, die Versuchsfelder seien bereits angelegt und diese Projektphase damit abgeschlossen. Allerdings räumte man Otterbein die Mög­ lichkeit ein, nachträglich ein Versuchsfeld auszuführen. Winfried Müller glaubte an die Qualität seiner Produkte und investierte 20.000 D-Mark in die Entwicklung eines neuen Bindemittelgemisches für die speziellen Anfor­ derungen an der Neubaustrecke. Auf eigene Kosten schickte er zehn Lastzüge mit Otterbein-Produkten an die Baustelle einer Teststrecke. Die Versuche waren so er­ folgreich und die Probekörper so fest, dass Otterbein 1998 den Zuschlag erhielt. Ein Gutachter stellte einen Probekörper des Otterbein-Versuchsfeldes sogar in seine Vitrine, so sehr überzeugte ihn das Resultat. In der Folge lieferte die Firma 150.000 Tonnen Terrafix, wie sie das neue Produkt aus Kalk und Zement nannte, für den Bahnhofsbau in Montabaur, wo für die Gleise bis zu zehn Meter Boden aufgeschüttet werden musste, der sich nur minimal setzen durfte. Damit immer genügend Material auf der Baustelle vorrätig war, belud Otterbein am Wochenende ganze Züge mit Terrafix. Montags stan­ den erneut leere Silos am Bahnhof, die auf mehr Bindemittel warteten. Mit diesem Auftrag festigte Otterbein seinen guten Ruf in der Branche, weitere Aufträge für den Bahnstreckenbau folgten. Die Firma nutzte den Erfolg und begann die Produktion spezieller Bindemittelgemische, deren Zusammensetzung sie je nach zu verfestigender Bodenart variierte.

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Zukunftssicherung und Zementpreiskrieg Ende April 1999 genehmigte das Regierungsprä­ sidium in Kassel die Erweiterung des Steinbruch­ geländes. Ein wichtiger Schritt für die Entwicklung der Zement- und Kalkwerke Otterbein war getan: Die Rohstoffbasis für 40 Jahre und damit der Fortbestand des Unternehmens und der Arbeits­ plätze in der Region war gesichert. Kundennähe, Zuverlässigkeit, Regionalität und Nachhaltigkeit Der Fischotter steht nicht nur für den Firmennamen, sondern symbolisiert auch Dynamik und Durchsetzungskraft. hat sich das Familienunternehmen auf die Fahne geschrieben und dokumentierte im Jahr 2000 die besondere Verbindung zwischen Tradition und Moderne mit einem neuen Firmen­ logo: Das Familienwappen, das neben dem Kalkwerk einen Otter mit einem Knochen im Maul zeigt, wurde in das Firmenzeichen integriert. Dabei ist der Fischotter mehr als nur ein Zeichen für den Firmennamen: Er symbolisiert ein dynamisches Lebewesen, das sich in allen Lebenslagen zu helfen weiß. Die Rohstoffsicherung ging mit anhaltender Modernisierung einher: 1999 tauschte Otterbein den bisherigen Wanderrostkühler in der Zementherstellung gegen einen modernen Schubrostkühler, bei dem der frisch gebrannte Klinker schubartig rhythmisch über luftdurchlässige Platten bewegt wird. Diese Kühlerart erlaubt, die durch die Ab­kühlung erwärmte Luft wieder der Verbrennung zuzu­ führen. Das spart Energie und verbessert durch niedrigste Kaltklinkertemperatur die Qualität des Zements.

»Ich stamme aus dem Zentrum der Kalkindustrie Schlesiens, dort fließt quasi Kalkmilch statt Blut in den Adern der Menschen. Nach Müs bin ich gekommen, weil der Betrieb die Möglichkeit bot, alle Facetten meines Wissens über Bindemittel anzuwenden. Dann überzeugte mich das familiäre Umfeld und das gute Einvernehmen mit dem damaligen Junior-Chef Winfried Müller – und das ist bis heute so geblieben.« Dipl.-Ing. Alfred Bomba (geb. 1956) begann 1985 als Chemiker bei Otterbein im Labor und ist seit 1999 Betriebsleiter.

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Die wirtschaftlichen Schwierigkei­ ten, gegen die seit Mitte der 1990er Jahre die deutsche Wirtschaft ankämpfte, holte auch die Baustoffindustrie ein, denn nun brach die Baukonjunktur ein. Der Zement­ verbrauch in Deutschland sank zwischen 1999 und 2002 um ein Viertel oder rund 10 Millionen Tonnen. Die Lage verschärfte sich, als 2002 zwei global agierende Ze­ menthersteller in einem Preiskrieg um die Vorherrschaft im deutschen Zementmarkt die Verkaufspreise nach unten trieben. Die Folgen waren dramatisch für die Branche und damit auch für Otterbein: Der Preis rutschte unter die variablen Kosten, das Unternehmen schrieb rote Zahlen. Die Zement- und Kalkwerke reagierten mit einer Doppelstrategie: Zum einen er­ schlossen sie neue Märkte im europäischen Ausland und konnten über den Export nach Frankreich, Österreich, Italien, Tschechien und in die Niederlande die Verluste teilwei­ se ausgleichen. Zum anderen rationalisierte die Firma weiter die Betriebsabläufe: Die Zentralisierung der Leitstände 2002 redu­ ziert die Produktionskosten, der Bau einer Anlage zur Verwendung von Sekundär­ brennstoffen am Drehofen spart Kosten. Eine 2004 gebaute neue Silo- und Verla­ deanlage erhöhte die Lagerkapazitäten für Zement und ermöglichte eine flexiblere Reaktion auf die Preise, die sich zu dieser Zeit langsam wieder erholten. Eine neue Trockentrommel ersetzte die alte von 1977 und modernisierte die Herstellung unge­ brannter Kalkprodukte. Ringschachtofen für die Branntkalkherstellung mit neuester Gewebefiltertechnologie für die Abgasreinigung.

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Neuer Glanz für alte Bauwerke Auch die Bereitschaft Otterbeins, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen, half dem Unternehmen über die Krise. Die Zement- und Kalkwerke hatten sich in den vergangenen Jahren in einer Marktnische etabliert: Kalkbindemittel von Otter­ bein für die Restauration und Sanierung historischer Denkmäler avancierten national und international zum Erfolgsschlager. Eine Begegnung mit dem Baustoff­wissenschaftler Prof. Dietbert Knöfel, einem Spezialisten für historische Baustoffe an der Universität Siegen, stand am Anfang dieser Erfolgsgeschichte. Auf einer technischen Kalktagung in den 1990ern in Bamberg hatte sich Knöfel an den Vertreter der Firma Otterbein gewandt. Er suchte nach einer Quelle für Muschelkalk mit hohem Tonanteil, mit dem sich natürlich hydraulische Kalke her­ stellen ­ließen. Ein Steinbruch in Bayern, mit dem er bis­her zusammengearbeitet hatte, hatte den Betrieb eingestellt, nun fehlte der Roh­stoff für die Herstellung historischer Baumaterialien. Gemeinsam mit der Universität Siegen entwickelte Otterbein eine Me­ thode zur Herstellung natürlicher hydraulischer Kalke, also Kalke, die durch die chemi­ sche Reaktion mit Wasser und der Aufnahme von Kohlendioxid erhärten. Das Produkt Hydradur NHL 5 eignet sich exzellent für die Denkmalpflege, denn als zementfreies Bindemittel ähnelte es stark den vor der Industrialisierung verwendeten Baumaterialien. Durch sehr langsame Erhärtung gleicht das Bindemittel Bewegungen im Mauerwerk aus und vermeidet so Mauer- oder Putzschäden.

Calcidur® und Hydradur®, natürlich hydraulische Kalke aus Müs, halfen bei der Restaurierung des weltberühmten Schlosses Neuschwanstein. Die Zement- und Kalkwerke ­Otterbein präsentierten sich auf der Messe Denkmal in Leipzig 2006.

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NATÜRLICH HYDRAULISCHER KALK FÜR DENKMALPFLEGE UND ÖKOLOGISCHES BAUEN Natürliche hydraulische Kalke (NHL) erhärten hydraulisch nach der Zugabe von Wasser. Allerdings werden natürlich hydraulische Kalke nicht durch das Mischen von Kalkstein mit Zuschlagstoffen, sondern nur durch mildes Brennen um die 1.100 Grad Celsius, sorgfältiges Löschen und Feinmahlen von speziellem tonhaltigem Kalkgestein hergestellt, das nur in wenigen Steinbrüchen zu finden ist. Nach der Verarbeitung als Mauermörtel oder Putz verläuft die Erhärtung des Bindemittels in zwei Phasen: Der hydraulischen folgt die carbonatische Erhärtung. Letztere zeichnet sich durch eine Reaktion mit Kohlendioxid aus, das der Luft entzogen wird. Dabei werden hohe Festigkeiten erreicht und das Produkt wird dauerhaft beständig. Gleichzeitig bleiben natürlich hydraulische Kalke uneingeschränkt dampfdiffusionsoffen und regulieren die Feuchtigkeit. Durch den langsamen und konstanten Festigkeitsaufbau eignen sich NHL besonders gut zur Denkmal­ sanierung, denn das Bindemittel gleicht Bewegungen im Mauerwerk spannungsarm aus.

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Anfang des neuen Jahrtausends wuchs der Markt für diese Kalke, die Otterbein seit 2004 in einer eigenen Produktionslinie herstellt. Denkmalschützer und Bauherren verwendeten immer häufiger original historische Baumaterialien. Mit mehreren Restau­ rierungsprojekten in Italien gelang Otterbein der Durchbruch. 2006 nahm Otterbein erstmals an der Messe für Denkmalschutz in Leipzig teil und konnte den Vertrieb weiter ankurbeln. Bald vermarktete die Firma die natürlich hydraulischen Kalke im In- und Ausland. Für besondere Projekte passte das Unternehmen immer wieder die Mischung an besondere Anforderungen der Denkmalpfleger an. So entwickelte Otterbein für die Restaurierung des romanischen Doms in Hildesheim einen speziellen Kalkputz, beson­ ders stolz ist die Firma auf Kalklieferungen für die Arbeiten am Colosseum in Rom und an der Grabeskirche in Jerusalem 2013. Inzwischen werden die natürlich hydraulischen Kalke für Restaurierungen nach Übersee geliefert und auch im ökologischen Bauen kommen die Kalke wegen ihrer her­ vorragenden Eigenschaften und Verträglichkeit für Allergiker zum Einsatz. Mittlerweile bietet Otterbein über ein Dutzend Produkte allein für Denkmalschutz und Sanierung an und produziert auf Kundenwunsch oder unter Vorgaben von Bauinstituten Sonder­ produkte mit bestimmten Bindemitteln und Kalksteinkörnungen. Hydradur® eignet sich optimal für die Sanierung historischer Bauten. Sergej Matjuschenko, Baustoffprüfer und Produkt­entwickler bei Otterbein, beim Einsatz des Bindemittels für die Grabeskirche in Jerusalem.

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Im Otterbein Steinbruch hat sich vor einiger Zeit ein Uhu niedergelassen. Mitte des letzten Jahrhunderts nahezu ausgestorben, gibt es heute in Deutschland wieder etwa tausend Uhupaare. Die Gewinnung mineralischer Rohstoffe ist immer ein Eingriff in die Natur, doch schaffen Steinbrüche schon während der Abbauphase wertvolle Lebens­räume für Tiere und Pflanzen.

Im Zeichen des Umweltschutzes und der Ressourceneffizienz In den letzten Jahren hat bei Otterbein das Thema Umweltschutz noch einmal an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt zwang der Anstieg der Energiepreise das Unter­ nehmen zum Einsatz energiesparender Methoden, auch wenn dieser bei der energie­ intensiven Zement- und Kalkherstellung seine natürlichen Grenzen hat. Seit 2003 forstet Otterbein Waldausgleichsflächen von mehr als zwei Hektar in der Nähe des Steinbruchs auf. Die im Steinbruch entstandenen Kalkschotterhalden wurden als Natur­schutzflächen ausgewiesen. An ihren Rändern entstand eine artenreiche Flora und Fauna mit teilweise geschützten Arten wie der schopfigen Kreuzblume oder dem Streifen-Leimkraut. Im Steinbruch selbst haben sich seltene Amphibien wie die Kreuzund Geburtshelferkröte angesiedelt. Regelmäßig brütet ein Uhu ebenso wie eine Schar Flussregenpfeifer auf der Sohle des Steinbruchs. Eine Aussichtsplattform mit Themen­ tafeln informiert Besucher und Schulklassen über die besondere Geologie des Stein­ bruchs und seine Flora und Fauna. Seit 2013 sorgt Otterbein mit einer Patenschaft ­ für die »Caselower Heide« im Landkreis Uecker-Randow in Zusammenarbeit mit der Deutschen Wildtier Stiftung für den Erhalt eines Wildtierparadieses.

»In Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege haben wir bei Otterbein auf der Basis natürlich hydraulischer Kalke vielfältige Putze und Mörtel entwickelt. Diese Baustoffe entsprechen den Anforderungen historischer Mörtel und finden im Bereich der Denkmalpflege große Zustimmung.« Dipl.-Min. Birte Rowold (geb. 1976) arbeitet seit 2004 bei Otterbein und leitet seit 2006 das Labor.

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Bürgerinnen und Bürger aus der Region werden von den Zement- und Kalkwerken regelmäßig zu Besucherführungen eingeladen, hier fachkundig begleitet von Betriebsleiter Alfred Bomba (links) und Klaus Kulozik, Leiter für Produktion und Technik.

Auch in der Produktion investierte Otterbein in den Umweltschutz. Im Jahr 2007 baute die Firma einen innovativen Gewebefilter. Die neue Filteranlage für die Entstaubung im Klinkerbrennbetrieb unterschreitet die zulässigen Grenzwerte um über 80 Prozent und zählt bis heute zu den besten in der Bundesrepublik. 2008 erhielten auch die Kalk­ schachtöfen solche Filter. Ein Mehr-Kanal-Brennersystem am Drehofen sorgt seit 2007 für einen optimalen Brennstoffumsatz, einen höheren Wärmeübergang in der Sinterzone und für vergleichs­ weise niedrige Temperaturen in der Ofeneinlaufkammer. Dadurch verringern sich Brennstoffverbrauch und Emissionen. Mit der erteilten Genehmigung zum Einsatz von Sekun­ därbrennstoffen, in diesem Fall Tiermehl und Fluff – ein Gemisch gewerblicher Abfälle – konnte Otterbein die nachhaltige ­Zementerzeugung sicherstellen. 2007 installierte das Werk eine »LKW Walking Floor Andockstation« für die Lagerung und Dosierung dieser Brennstoffe. Im Folgejahr rüstete man die Kalkschachtöfen auf den Betrieb mit Braun­ kohlestaub um und flexi­bilisierte damit auch im Kalkbereich den Brennstoffeinsatz.

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Das Müllheizkraftwerk Heddernheim in Frankfurt am Main verwendet für die Rauchgasreinigung Kalkhydrat Otterlit® aus Müs.

Vom Rohkalkstein zum Kalkhydrat.

Der 2008 neu angeschaffte Caterpillar Muldenkipper mit einer Nutzlast von 46 Tonnen und Abgaswerten unter den Grenzwerten der EU-Stufe IIIA sorgt für sicheren und sauberen Fahrbetrieb. Ein neuer Radlader und ein Tieflöffelbagger vermindern seit 2010/11 den CO2-Ausstoß der Fahrzeugflotte und ermöglichen den selektiven und erschütterungsarmen Abbau der Rohstoffe im Steinbruch. Ein Telestacker, ein tonnen­ schweres modernes Förderband, sorgt seit 2012 für den Aufbau eines homogenen Mischbetts und spart nebenbei jährlich 40.000 bis 50.000 Liter Treibstoff.


Vom modernen Leitstand aus wird die Produktion passgenau gesteuert und überwacht.­

Otterbein folgte zudem neuen Entwicklungen für den Kalkeinsatz im Umwelt­ schutzbereich und nahm 2009 eine neue Sichter- und Mischanlage für die Herstellung von »Otterlit« zur Absorption von Schadstoffen in der Rauchgasreinigung in Betrieb. Mit dem Einsatz von Sekundärbrennstoffen und der Erweiterung der Mahlkapazitäten im Zementbereich durch die Anschaffung einer neuen Zementmühle 2010 können nunmehr verstärkt energieeffiziente und CO2-reduzierte Zemente und Hochwertzemente angeboten werden. Passend zum Gedenktag der heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute und Geologen, weihte das Unternehmen die neue Zementmühle ein, die auf den Namen der Senior­chefin »Rosa« getauft wurde. Schließlich rief Otterbein 2010 einen Umweltbeirat ins Leben, dem neben Ange­ hörigen des Unternehmens Vertreter der umliegenden Gemeinden und deren Experten in Umwelt- und Baufragen angehören – eine Pioniertat und beispielhaftes Gremium für Großenlüder und den Landkreis Fulda. Mit dem Umweltbeirat ist es Otterbein gelun­ gen, gelebtes Umweltbewusstsein und nachhaltiges Wirtschaften in den Zement- und Kalkwerken aufzuzeigen, aber auch eine Anlaufstelle für Fragen und Anregungen aus der Bevölkerung zu schaffen.

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Das Otterbein Labor garantiert stetige Qualitätssicherung und Qualitätsüberwachung.

Im Gesellschafterbeirat wird über Investitions- und Finanzierungsvorhaben entschieden. Von links nach rechts: Horst Dreher, Dipl.-Kfm. Winfried Müller, Dipl.-Volkswirt Alfred Rupp, Volker Schneider, Dipl.-Kfm. Friedhelm Muhs, Prof. Dr. Albrecht Wolter, Rechtsanwalt Fritz Baum und Dr. Christian W. Müller.

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Familienunternehmen und Mitarbeiter – gelebte Gemeinschaft: Otterbein ist ein Arbeitgeber, der seiner sozialen Verantwortung gerecht wird, eine wertschätzende Unternehmenskultur pflegt und attraktive Arbeitsplätze bietet.

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Drei Generationen unter dem OtterbeinSignet: Winfried Müller mit den Kindern Katharina, Christian, Marie-Luise und Ehefrau Maria-Theresia, im Vordergrund Seniorchefin Rosa Müller.

125 Jahre Otterbein – Strategien für ein traditionsreiches Familien­ unternehmen mit Zukunft Das Unternehmen Otterbein gehört zwar zu den mittelständischen Produzenten von Kalk und Zement in Deutschland, gleichzeitig ist es aber auch einer der vielseitigsten. Für eine Vielzahl von Anwendungen bietet das Unternehmen über 80 Produkte rund um ökologisches Bauen und Denkmalpflege, Umweltschutz, Betonherstellung, Straßen­ bau und Bodenstabilisierung sowie Kalkdüngung an. Als eines der wenigen Werke, die sowohl Kalk als auch Mörtel und Zement produzieren, verfügt Otterbein über eine sehr große Herstellungstiefe. Die meisten Zutaten der Bindemittelgemische oder Fertigmör­ tel werden in Müs selbst produziert. Das schafft Vertrauen bei den Kunden, die sich darauf verlassen können, dass Otterbein die Inhaltsstoffe der einzelnen Produkte genau kennt. Die fortdauernde Stärkung der Produktlinien für ökologisches und denkmal­ schutzgerechtes Bauen sowie die Herstellung zahlreicher Sonderprodukte auf Kunden­ wunsch diversifiziert die Produktpalette weiter und festigt die gute Marktstellung. Auch die Gründung der Otterbein Spedition im Januar 2010 weist in Richtung Angebotsund Serviceerweiterung. Die Tochterfirma übernimmt inzwischen etwa ein Drittel des Frachtverkehrs des Werks. Für die Kunden erhöht das die Zuverlässigkeit, für das

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Erst der tonnenschwere Transport, dann die feierliche Einweihung: Im Dezember 2010 wurde die neue Zementmühle »Rosa« in Betrieb genommen.

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»Basierend auf unseren Werten und unserer traditionsreichen Geschichte soll Otterbein auch zukünftig als Familienunternehmen nachhaltig erfolgreich sein und weiter wachsen. Unsere langfristige Unternehmensentwicklung ist deshalb ausgerichtet auf die systematische Besetzung von strategischen Nischen – dies sichert auch künftig unseren Unternehmenserfolg, der uns zugleich verpflichtet und erlaubt, gesellschaftlichen Wert zu schaffen.« Dr. Christian W. Müller arbeitet seit 2013 bei Otterbein im Bereich Unternehmensentwicklung.

Mit der Gründung einer eigenen Spedition weitete Otterbein 2010 den Kundenservice weiter aus.

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DR. CHRISTIAN W. MÜLLER Christian, das älteste Kind von Winfried und Maria-Theresia Müller, wurde am 9. Oktober 1982 in Fulda geboren. Nach dem Abitur 2002 auf dem Marianum in Fulda studierte er von 2003 bis 2008 Betriebswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie an der Hawai’i Pacific University in den USA. Nebenbei absolvierte er mehrere Praktika in der Baustoffindustrie, im Investmentbanking und in einer strategischen Unternehmensberatung. Von 2008 bis 2012 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Rechnungswesen und Controlling an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo er 2012 mit der Arbeit »Des­investitionen und Anreizsysteme – Theoretische Fundierung und empirische Analyse in deutschen börsennotierten Unternehmen (2007–2010)« promoviert wurde. Als Berater bei der Boston Consulting Group betreute er danach vorwiegend Unternehmen der Baustoffbranche im Rahmen verschiedener Strategie- und Reorganisationsprojekte. Seit 1. Oktober 2013 ist Dr. Christian W. Müller für die Zement- und Kalkwerke Otterbein tätig. Als Verantwortlicher für die Unternehmensentwicklung setzt er seine Schwerpunkte im Bereich Kostenund Preismanagement sowie auf die strategisch-perspektivische Weiterentwicklung potentieller Wachstumsfelder.

Unternehmen verbreitert sich die Geschäfts­ basis. Mit der Genehmigung zur Tieferlegung von Teilflächen im Abbaugebiet im Jahr 2013 konnte Otterbein den Zugriff auf Rohstoffe für die nächsten Jahrzehnte sichern. Die umfangreiche Produktpalette, kurze Entscheidungswege und flexible Reaktionen auf die Marktanforderungen sichern die Unabhängigkeit des Unternehmens. Auch in Zukunft soll die Firma als Familienunterneh­ men mit fester Verwurzelung in der Region erhalten bleiben. Der Eintritt von Dr. Christian W. Müller ins Unternehmen kurz vor dem 125jährigen Jubiläum steht für Kontinuität und einen reibungslosen Übergang zur nächs­ ten Generation, denn Vater und Sohn werden noch eine Weile gemeinsam die Geschicke des Unternehmens leiten. Ein Beratungsausschuss mit Fachleuten für Baustoffe und Unternehmensentwicklung unterstützt die Geschäfts- und Betriebsleitung bei der Entwicklung strategischer Konzepte, ein Gesellschafterbeirat entscheidet vor allem bei Fragen zu Investitionen und Finanzierung. Unter dem Wahlspruch »Wer auf Natur setzt, kann auf uns bauen« setzt Otterbein auf eine nachhaltige Entwicklung, die wirtschaft­ liche Leistungsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und ökologische Verträglichkeit miteinander verbindet. So lässt sich der Leitgedanke »Wir bringen Steine zum Leben« nicht nur als Beschreibung der aus dem natürlichen Roh­ stoff Kalk gewonnenen, vielseitigen Produk­ te lesen, sondern auch als Auftrag für die Entwicklung und das Zusammenleben in der Region.

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Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zement- und Kalkwerke Otterbein für ihre freundliche und kompetente Hilfe bei der Erstellung dieses Buches. Ein besonderer Dank geht an die Interviewpartner, die die Geschichte und Gegenwart des Unternehmens anschaulich schilderten: Stefan Angelowski, Alfred Bomba, Paul Hoßfeld, Reinhold Kreis, Dr. Christian W. Müller, Rosa Müller, Winfried Müller, Bruno Otterbein, Paula Otterbein, Theo Pfeffer, Berthold Reith, Birte Rowold, Alois Rudisch, Thekla Sauer, Günter Undt und Maria Völlinger. Für seine Unterstützung gilt unser Dank ebenfalls Norbert Langer vom Geschichtsverein Großenlüder. Bildnachweis Sofern nicht anders vermerkt, befinden sich die Bilder und Bildnutzungsrechte im Besitz der Zement- und Kalkwerke Otterbein. Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie e. V.: S. 12, 17, 63 Hessisches Staatsarchiv Marburg: S. 26, 27 (180 Fulda Nr. 3434) Robert und Marie Herber, Grünberg-Queckborn: S. 16 Hans und Katharina Hartwig, Niederaula: S. 33 Dr. Klaus Lamprecht, Homberg: S. 18 Berthold Werner: S. 74 Quellen Firmenarchiv Zement- und Kalkwerke Otterbein Gemeindearchiv Müs Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Hessisches Staatsarchiv Marburg Literatur (Auswahl) A. Achternbosch, K.-R. Bräutigam, Herstellung von Zementklinkern. Verfahrensbeschreibung und Analysen zum Einsatz von Sekundärbrennstoffen, Karlsruhe 2000. Rudolf Alves, Die Deutsche Kalkindustrie während des Weltkrieges, Berlin 1922. Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie e.V, Faszination Kalk, Köln 2003. Deutsche Forschungsgesellschaft für Heraldik und Genealogie (Hrsg.), Familienforschung Otterbein, Stuttgart 2005. Heinz Otto Gremme und Christel Rogalla, Die Westfalengänger aus dem Vogelsberg. Weggang und Wiederkehr, (Lauterbacher Sammlungen, Nr. 88) Lauterbach 2005. Thomas Klehe, Das Kalkwerk, Berlin 1927. Kurt Pieper, Die deutsche Kalkindustrie, Frankfurt am Main 1922. Eberhard Schiele und Leo Berens, Kalk: Herstellung, Eigenschaften, Verwendung, Düsseldorf 1972. Ernst Schmatolla, Die Brennöfen für Tonwaren, Kalk, Magnesit, Zement und dergleichen mit besonderer Berücksichtigung der Gasbrennöfen, Hannover 1903. Werner Kasig und Birgit Weiskorn, Zur Geschichte der deutschen Kalkindustrie und ihrer Organisation, Düsseldorf 1992.

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125 J A H R E Z E M E N T - U N D K A L K W E R K E OT T E R B E I N


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