Der Mensch als geologischer Faktor an der Nordseeküste

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Der Mensch als geologischer Faktor an der Nordseeküste V o n Ernst D i t t m e r , Husum Zusammenfassung Die Entwicklungsgeschichte des jüngsten Holozäns an der Nordseeküste läßt sich ohne Berücksichtigung des Faktors Mensch nicht deuten. Der natürlichen Schichten­ folge und Faziesverbreitung werden zahlreiche Beispiele gegenübergestellt, aus denen sich der weitgehende Einfluß des Menschen auf die Gestaltung des Küstenraums in den letzten 1000 Jahren ergibt. S u m m a r y . The development of the North-Sea coast during the Late Holocene cannot be understood without the factor Man. Many examples can be shown, where Man, during the last 1000 years, has considerably influenced the configuration of the coast area.

Die A n w e n d u n g der aktualistischen Betrachtungsweise b e i der Deutung der geologischen Vorgänge, die in vorgeschichtlicher Zeit w ä h r e n d der nacheiszeit­ lichen Flandrischen Transgression zur B i l d i m g stark differenzierter A b l a g e r u n ­ gen an der Nordseeküste geführt haben, kann zu groben Irrtümern A n l a ß g e b e n , wenn w i r die hydrographischen und morphologischen Verhältnisse des h e u t i ­ g e n Wattenmeeres bei unseren Untersuchungen der V e r g a n g e n h e i t zu­ grunde legen. Denn seit der Mensch die Marsch- und M o o r n i e d e r u n g e n besiedelte und kultivierte, hat er zweifellos in so starkem Umfange in das geologische G e ­ schehen eingegriffen, daß die natürliche Entwicklung nicht n u r beeinflußt, s o n d e r n sogar teilweise in eine ganz andere Richtung gelenkt w o r d e n ist. Dabei hat sich der menschliche Einfluß nicht nur auf die eigentlichen Siedlungsgebiete b e ­ schränkt, sondern auf d e n ganzen Küstenraum ausgewirkt. Das heutige W a t t e n ­ meer ist in seiner Gestaltung viel stärker durch die landeskulturelle Tätigkeit des Menschen verändert w o r d e n , als man annehmen möchte, auch in den Teilen, die dem unmittelbaren Einfluß nicht unterlegen sind. Da w i r an der gesamten Nordseeküste nirgends m e h r ein Gebiet besitzen, in dem die Faziesräume einigermaßen ungestört und natürlich entwickelt sind, kann man die B i l d u n g s b e d i n g u n g e n für die Sedimente der V o r z e i t nur mit Hilfe der möglichst weitgehenden A u s w e r t u n g v o n Bohrungen erschließen, ohne sich bei deren A u s d e u t u n g durch d e n gegenwärtigen Zustand der M o r p h o l o g i e u n d D y ­ namik beeinflussen zu lassen. Dabei ist es unbedingt wichtig, daß bei der Betrach­ tung der entwicklungsgeschichtlichen V o r g ä n g e stets die größeren Z u s a m m e n ­ hänge gesehen werden. Erst aus der Aneinanderreihung unzähliger örtlicher B e ­ funde läßt sich ein Bild v o n der natürlichen Faziesfolge g e w i n n e n . G e r a d e die umfangreiche Literatur ü b e r die neuzeitliche Küstensenkung bietet zahlreiche Beispiele, bei denen aus örtlichen Beobachtungen und v o m Blickpunkt der G e ­ genwart gesehen Fehlschlüsse gezogen wurden. Den g r o ß e n Küstenveränderungen, die in der Nacheiszeit durch den eustatisch bedingten Wasserspiegelanstieg verursacht waren, stand der Mensch jahrtausen­ delang passiv gegenüber. D e r Mesolithiker mußte sich bei d e m starken A u s m a ß der Niveauänderung in kurzer Zeit auf das heutige Festland zurückziehen. V o l l m a r i n e s u b a q u a t i s c h e S c h l i c k a b s ä t z e g r o ß e r Mächtigkeit w a r e n im Mündungsgebiet v o n E l b e und Eider i m frühen und mittleren A t l a n t i k u m weit verbreitet. Diese A b l a g e r u n g e n enthalten eine Molluskenfauna, die g r o ß e Ähnlichkeit mit der A b r o - M a c o m a - G e m e i n s c h a f t der heutigen Schlickgebiete der Deutschen Bucht besitzt. Es hängt mit der ganz anderen Gestaltung des K ü s t e n -


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