Quart ärforschung
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Quartärforschung Einleitende W o r t e * ) v o n Paul
Woldstedt
A n d e r Schwelle der geologischen G e g e n w a r t steht ein ganz eigenartiger, w e l t w e i t e r Klimaumschwung. W ä h r e n d i m Tertiär noch w ä r m e l i e b e n d e Bäume unter d e m Polarkreise wachsen, beginnt allmählich die Temperatur auf der ganzen Erde zu sinken, fangen v o n den Polen und d e n hohen G e b i r g e n her g r o ß e Vereisungen an sich zu bilden. I m m e r tiefer steigen d i e Gletscher zu Tal, immer weiter in die gemäßigte Z o n e dringen Inlandeise v o r . D i e Klimagürtel der Erde verschieben sich. Gleichzeitig sinkt über die ganze Erde d e r Spiegel der Ozeane, weite Flächen des sonst überfluteten Schelfs d e m Festland zu rückgebend. A b e r nicht n u r einmal erfolgt dies A b s i n k e n d e r Temperatur, wachsen die Vereisungen v o n den Polen äquatorwärts und v o n den Hochgebirgen talwärts — nein, drei-, viermal w i e d e r h o l t sich der Vorgang, w i e d e r h o l t sich das Wachsen d e r Vereisungen, wiederholt sich das Sinken des Meeresspiegels. Dazwischen liegen l a n g e Zeiten — Jahrzehntausende — , in denen das Klimia w a r w i e heute und in denen M e e r und L a n d einen ähnlichen Umfang hatten w i e jetzt. Oder w a r es, w i e manche Forscher annehmen, jeweils n u r eine Halbkugel, auf der sich die e b e n geschilderten V o r g ä n g e abspielten oder v o n der sie wenigstens ihren A u s g a n g nahmen? Hier liegt ein erstes wichtiges P r o b l e m vor. Es scheint aber m e h r dafür zu sprechen, daß beide Halbkugeln gleichzeitig betroffen wurden. W a s w a r die Ursache dieses m e r k w ü r d i g e n , weltweiten Umschwingens mit allen seinen Begleiterscheinungen? Mannigfache Hypothesen, komplizierte, m a thematisch bis in einzelne durchgearbeitete Theorien sind aufgestellt w o r d e n — und im G r u n d e haben w i r doch noch keine wirklich befriedigende Erklärung für die Ursache u n d die mannigfachen Erscheinungen des Eiszeitalters. Die geologische Formation, deren wichtigstes Ereignis die großen Vereisungen waren, w i r d als „Quartär" bezeichnet; w i r k o m m e n später noch darauf zurück. Das Wissenschaftsgebiet, das sich mit d e m Quartär beschäftigt, bezeichnen w i r als Quartärforschung o d e r — w e n n w i r n u r den Hauptgegenstand berücksich tigen — als Eiszeitforschung. Nicht allein der erdgeschichtliche Abschnitt des Quartärs steht als großes, ungelöstes P r o b l e m v o r uns; es k o m m t eine weitere ungeheuer wichtige Tatsache hinzu: im Eiszeitalter, das die letzte halbe o d e r v o l l e Jahrmillion des im ganzen auf mindestens 1500 Jahrmillionen geschätzten sichtbaren Lebensalters der Erde ausfüllt, löst sich der Mensch aus dem Dunkel des Tierdaseins und steigt zu höherer Kultur auf. Hängen beide Ereignisse, der m e r k w ü r d i g e klimatische Wechsel auf der Erde und das Erwachen des M e n schen zusammen? Ist das Erscheinen des Menschen durch das Eiszeitalter b e dingt? Hat der klimatische Umschwung gewissermaßen den Impuls gegeben, so daß in seinem Gefolge ein Ruck in der Entwicklung einsetzte? Oder sind beide Ereignisse nur zufällig zu gleicher Zeit eingetreten? Auch hier ein Rätsel, das noch der Lösung bedarf. ') Der vom Verf. auf der Quartärtagung in Hannover gehaltene Vortrag befaßte sich mit Einzelfragen; er wird in dieser Form anderswo veröffentlicht. Hier handelt es sich mehr um die Herausarbeitung grundsätzlicher Fragen, die in Anlehnung an eine frühere Veröffentlichung des Verfassers hier nochmals gegeben sei.