Quaternary Science Journal - Zur Stellung des Neandertalers in der Menschheitsgeschichte

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Gisela Asmus

Zur Stellung des Neandertalers in der Menschheitsgeschichte V o n Gisela A s m u s , Hannover. Mit 1 A b b . A l s F U H L R O T T im Jahre 1856 den für eine ganze Menschengruppe namen­ gebenden Patenfund im Neandertal hob, entbrannte die allgemein bekannte Polemik um die Frage, o b es einen „Neandertaler" gegeben habe oder nicht. D e r im Laufe der Jahre m e h r u n d m e h r angewachsene Fundstoff urgeschichtlicher Menschenfunde konnte schließlich durch sich selbst die unzweifelhafte Existenz eines „Neandertalers" entscheiden und räumte diesem durch die Reichhaltigkeit der Funde sogar eine recht nachdrückliche Stellung ein. D i e Auseinanderset­ zungen um den Neandertaler fielen ungefähr in die Zeit der damals aufkommen­ den naturwissenschaftlichen Anschauungen D A R W I N ' s über die Evolution des Menschen. Und es erscheint heute ganz selbstverständlich, daß zur Stützung dieser Theorie die damals erst kürzlich entdeckten epochemachenden Neander­ taler in die neu begründete menschliche A b s t a m m u n g s l e h r e einbezogen wurden. Ebenso erging es später gehobenen menschlichen Fossilfunden, u m die L e h r e zu unterbauen und die klaffenden Lücken auszufüllen. Erinnert sei in diesem Z u ­ sammenhange an die planmäßige Suche D U B O I S ' nach dem „missing link", das er entgegen aller Wahrscheinlichkeit in dem Pithecanthropus erectus auf Java fand. Nach und nach w u r d e n aber auch Funde bekannt, die sich nicht ohne w e i ­ teres d e m damals aufgestellten Schema eingliedern lassen wollten, sondern durch erhebliche A b w e i c h u n g e n im Sinne des Modern-Menschlichen aus der Reihe der bisherigen Altmenschenfunde heraussprangen. Genannt seien der Fund v o n Steinheim aus einer W ä r m e - S c h w a n k u n g der Riß-Vereisung und die einwandfrei mit dem oberen Acheuleen und dem unteren Mousterien Palästinas verknüpften Mount-Carmel-Funde. Angesichts ihrer geologisch und kulturell v o r d e m westeuropäischen klassischen Neandertaler liegenden Datierung und in Anbetracht des trotz gewisser Primitivität auffallend modernmeschlichen Ha­ bitus einiger Skelette m u ß man den in den letzten Jahren durch i m m e r neu hinzu­ k o m m e n d e Funde zu einem K o m p l e x g e w o r d e n e n Begriff „Neandertaler", der in seiner Vormachtstellung vielfach als Maßstab aller fossilen Menschenfunde überhaupt angelegt wird, einmal überprüfen. M a n läuft andernfalls Gefahr, sich den W e g zu einer weiteren exakten Forschung zu verbauen. Es kann in diesem Rahmen die Fragestellung nach dem recht problemreich g e w o r d e n e n K o m p l e x „Neandertaler" nur in den wichtigsten Linien umrissen und die sich ergebende Problemstellung nur angedeutet werden. A u f g r u n d der vorliegenden Funde kann m a n heute verschiedene morphologisch voneinander abweichende Gruppen dessen, w a s im allgemeinen als „Neandertaler" ange­ sprochen wird, unterscheiden. D a ist zunächst der aus Westeuropa allgemein bekannte klassische eigentliche Neandertaler aus d e m jüngeren, also kalten Mousterien zu nennen, als dessen bester Vertreter der Fund v o n La Chapelle-aux-Saints anzusehen ist. In die gleiche G r u p p e gehören die Funde v o m Neandertal, v o n S p y u n d L e Moustier, um nur einige zu nennen. Bei diesen Neandertalern handelt es sich u m knapp mittelgroße Menschen v o n p l u m p e m K ö r p e r - und Gliedmaßenbau mit faßförm i g e m Brustkorb, und einem für die geringe K ö r p e r h ö h e unverhältnismäßig großen und schweren Kopf, an dem ein erheblicher Überaugenwulst w i e auch Hinterhauptwulst, eine breite, flache, horizontal w e n i g gewölbte, fliehende Stirn und der flache Scheitelverlauf auffallen. Die Warzenfortsätze sind klein. Das


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