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Das Vechelder Interstadial Von
Willi S e i l e , Braunschweig-Riddagshausen. Mit 1 A b b .
Z u s a m m e n f a s s u n g . Bei Vechelde, Landkreis Braun schweig, wurde in einer Tiefe von 9,93 m eine 0,65 m mächtige Torfbank erbohrt. Die Pollenanalyse ergab, daß die Torfe während eines Interstadials zur Ablagerung kamen. Die Vegetationsgeschichte gliedert sich in eine Birken- und in eine Kiefernzeit; die Sedimente bestehen aus Bruchwald- und Braunmoostorfen. Das subarktische Klima besaß eine atlantische Tönung. Die zeitliche Einordnung des Interstadials war nicht möglich, da weder die stratigraphischen Verhältnisse eine Klärung brachten noch die Frage mit Hilfe der Pollenanalyse wegen des geringen Vergleichsmaterials gelöst werden konnte. S u m m a r y . Near Vechelde (Landkreis Braunschweig) in a borehole a peat layer of 0,65 m thickness has been found at a depth of 9,93 m. On account of the pollenanalysis this peat layer has been formed in an interstadial time. The vegetation history shows a birch zone and a pine zone. The sediments consist of marshy wood peat and brown moss peat. The climate was subarctic and somewhat atlantic. It was impossible to make out the exact age of the interstadial peat. So it m a y be of Weichsel of Saale age.
Durch Vechelde, schlossen, folgendes
eine B o h r u n g des A m t e s für Bodenforschung, Hannover, w u r d e bei Landkreis Braunschweig, in einer Tiefe v o n 9,93 m ein Torflager er das eine Mächtigkeit v o n 0 , 6 5 m hat. H e r r Dr. PREUL teilt darüber mit:
„Die B o h r u n g liegt am Westrand des Auetales südlich v o n Vechelde an der W e g b i e g u n g 1 0 0 m S S W v o m P. 71,0 im Gelände d e r Badeanstalt. Die geologische Karte verzeichnet in d e m nach Westen flach ansteigenden Gelände zunächst L ö ß lehm ü b e r Sand, dann L ö ß l e h m über Geschiebemergel (Riß) b z w . über Schotter der Mittelterrasse, die auch auf der gegenüberliegenden Talseite anstehen. Nach den Aufschlüssen des Mittellandkanals in der G e m a r k u n g Z w e i d o r f steht die Bohrung in einer Talsenke, die nach der Riß-Hauptvereisung ausgeräumt und dann zugeschüttet w u r d e (vgl. P. WOLDSTEDT, Ü b e r ein Interglazial bei Z w e i d o r f ; Z. dtsch. geol. Ges. 8 2 , 1 9 3 0 ) . D i e Schichtenfolge ist i m Prinzip ähnlich und z w a r : 0— — — / — —
1,30 1,90 8,20 9,50 9,80
—10,52
stark humoser Sand ( a n m o o r i g e r B o d e n des Talrandes) gelber Feinsand grauer Feinsand dunkelgrauer Feinsand dunkelbraungrauer humoser Sand T o r f (ab 1 0 , 4 m sandig)
—10,58
stark humoser Sand
—10,80
grünlichgrauer Lehm
—11,30 —14,00 —15,30 —19,80
w i e vorher, mit einzelnen Steinen hellgraugrüner sandiger L e h m m i t Steinen „ g r o b e r Kies, stark l e h m i g " „ g r o b e r lehmiger Sand"
—24,20
„grober Kies".
Die Schichtenfolge nach d e m Bohrprofil richtig zu deuten, ist sehr schwierig, zumal die Bohrstelle über e i n e m Salzstock liegt. Es w ä r e denkbar, daß hier ähn liche Lagerungsverhältnisse w i e im Fuhsetal nördlich v o n Lebenstedt vorliegen. Das als Interstadial gedeutete Torflager k ö n n t e mithin s o w o h l d e m Z y k l u s d e r Riß- w i e der Würm-Eiszeit angehören; letzteres ist wahrscheinlicher." Herrn Dr. PREUL danke ich auch an dieser Stelle für seine freundliche Hilfe.
Das Vechelder Interstadial
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10. OC
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10,58
1NBP-3ÖC S
Abb. 1. Pollendiagramm des Vechelder Interstadials. Gram. = Gramineen, Cyp. = Cyperaceen, Art. = Artemisia, Com. = Compositae, Pia. = Plantago, Men. = Menyanthes triioliata, Car. = Caryophyllaceen, Eric. = Ericaceen, Sphg. = Sphagnum, Fi. = Filices, Al. = Alnus, Co. = Corylus, Var. = Varia. LE.GE.N DE. V W
V V I S4NDIGFR8ÄVCHWALDT0RF
6RUCHWALDTORF
rrm RRRR U I i ü BRAUN/W0S- SANDIGERTORF 8RAVAJA\00STORF
Das Moor hat folgenden stratigraphischen A u f b a u : 9,93—10,22m: B r a u n m o o s t o r f : braun, zersetzt. B r a u n m o o s e (Drepanocladus fluitans, w e n i g ; Drepanocladus vernicosus, wenig; Campöthecium nitens, viel; Meesea triqueta, wenig), einige Sphagnum-Reste, Gramineen-Epidermis, zahlreiche S a m e n von Menyanthes trifoliata, Chifinpanzer v o n Käfern, z u m Schluß stark sandig. ~ " ;
12 Eiszeit und Gegenwart
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Willi Seile
Die B e s t i m m u n g der Braunmoose hat H e r r Dr. F. KOPPE, Biele feld, ausgeführt, w o f ü r ich ihm bestens danke. 10,22—10,43 m : B r u c h w a l d t o r f : dunkelbraun, stark zersetzt, Birken-, W e i den- und Kiefernholz, einige Samenreste v o n Menyanthes trifo liate, u. d. M., Gramineen-Epidermis, w e n i g stark zersetzte Reste von Sphagnaceen und Braunmoosen, Chitinpanzer v o n Käfern. 10,43—10,58m: S a n d i g e r B r u c h w a l d t o r f : G r a u mit einer schwach bräunlichen Tönung, stark zersetzt, stark sandig, einige kleine Holzstücke v o n W e i d e u n d Birke. Aus d e m Pollenbilde können w i r gut erkennen, daß Beginn und Ende der Sedimente in einer kälteren Zeit entstanden sind als ihr mittlerer Teil. D a außer dem die wichtigsten w ä r m e l i e b e n d e n B ä u m e fehlen, dürfen wir annehmen, daß das M o o r einem Interstadial seine Entstehung verdankt. D i e Z w e i t e i l u n g der Moorbildung, die für die Interstadiale charakteristisch zu sein scheint, tritt hier ebenfalls auf (SELLE 1953). In der ersten Hälfte bildeten sich Bruchwaldtorfe, während i m zweiten Abschnitt Braunmoostorfe zur A b l a g e r u n g kamen Die starke Durchsetzung des Torfes mit Sand, die h o h e n N B P - W e r t e und die verhältnismäßig geringe Baumpollen-Dichte von 130 p r o Präparat 18 X 18 m m am A n f a n g der M o o r e n t w i c k l u n g zeigen, daß keine geschlossene Pflanzendecke vorhanden w a r und grasreiche Steppen mit Beständen v o n Weiden, B i r k e n und Kiefern herrschten. In dieses Bild fügen sich die kurze, geschlossene S a l i x - K u r v e und die geringen P o l l e n w e r t e von Hippophae rhamnoides bei 10,52 m gut ein. Die Florenzusammensetzung hat Parallelen mit dem Ende d e r jüngeren Dryaszeit, bzw. mit d e m Beginn der Birkenzeit des Postglazials. Mit der stärkeren Ausbreitung der Birke sinken die N B P - W e r t e , und die Baumpollen-Frequenz steigt auf 350, w o r a u s ersichtlich ist, daß die W ä l d e r g e schlossener geworden sind. Die Baumpollendichte sinkt später wieder u n d bleibt während des Interstadials gering; sie beträgt im sandfreien Bruchwaldtorf 70 und i m B r a u n m o o s t o r f 130. Diese Unterschiedesind sicherlich auf die T o r f e zurück zuführen. I m Gegensatz zu den bislang erschlossenen Interstadialen dominiert die Birke i m Vechelder P o l l e n d i a g r a m m nur kurz, w ä h r e n d die Kiefer mit z w e i maliger Unterbrechung führend bleibt (SELLE 1952). Vermutlich beruhen die Kulminationen der Birke bei 10,22—10,24 m und bei 10,05 m auf K l i m a s c h w a n kungen, da ihr Vorstoß bei 10,22 m mit e i n e m auffallenden Anstieg der N B P und der zweite Birkengipfel mit d e m Erlöschen des Menyanthes trifoliata-Pollens g e koppelt ist. Die geringe M e n g e Kiefernholz in den Bruchwaldtorfen zeigt, daß die hohen Prozente des Kiefernpollens nicht auf die Pinus-Bestockung i m M o o r z u rückzuführen sind, sondern auf ihr V o r k o m m e n auf d e n benachbarten Böden. Der ü b e r w i e g e n d e A n t e i l des Holzes gehört der Birke u n d W e i d e an. Es darf da bei allerdings nicht außer acht gelassen werden, daß das angefallene H o l z v o n einer Stoßkernbohrung stammt, die nur einen kleinen Aufschluß gibt, so daß die Verteilung der H ö l z e r zufällig sein kann. Bei der Annahme, daß die Kiefernpollen ü b e r w i e g e n d aus der U m g e b u n g des Moores stammen, gliedert sich die Kiefernzeit in drei Abschnitte mit h o h e r K i e fernbeteiligung, die durch die zwei Birkengipfel gebildet werden. Die erste K i e fernzeit beginnt mit den sandfreien Bruchwaldtorfen, w ä h r e n d die zweite mit den Braunmoosablagerungen zusammenfällt, so daß auch hier klimatische Bin dungen zu bestehen scheinen. A l l e v o r k o m m e n d e n B r a u n m o o s e der zweiten Kiefernausbreitung gedeihen in der Tundra, b e v o r z u g e n Sümpfe und lassen die zunehmende Vernässung des Moores erkennen, die sehr wahrscheinlich klima tisch b e d i n g t war.
Das Vechelder Interstadial
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A m Schluß d e r dritten Kiefernzeit steigen infolge der Klimaverschlechterung die N B P - W e r t e wieder an, u n d die Sandbeimengungen i m T o r f zeigen die A u f lockerung d e r Vegetationsdecke an. Die Ericaceen-Werte b l e i b e n zwar gering, aber sie k o m m e n i m P o l l e n b i l d e der dritten Pinus-Ausbreitung gehäufter vor. Calluna vulgaris w a r führend, daneben hatte Empetrum nigrum einige B e d e u tung. Da die M o o r v e g e t a t i o n hauptsächlich aus B r a u n m o o s e n bestand, haben die Ä'phagfnum-Sporen-Werte nicht den Umfang, den sie in anderen Diagrammen v o n Interglazialen u n d Interstadialen haben, besitzen aber b e i 1 0 , 0 2 m einen deut lichen Gipfel. A u ß e r Salix, Betula u n d Pinns haben Picea, Alnus u n d Corylus einige B e deutung. D e r Schwerpunkt d e r Fichtenausbreitung lag in der zweiten und dritten Kiefernzeit u n d hing sehr wahrscheinlich v o n klimatischen Verhältnissen ab. D i e Einwanderungsgeschwindigkeit ist sicherlich nicht ohne Bedeutung gewesen, darf aber nicht z u hoch eingeschätzt w e r d e n , da d e r Fichtenpollen bereits zum Beginn der M o o r b i l d u n g auftritt. Sekundäre P o l l e n können ebenfalls eine Rolle spielen, w i e das V o r k o m m e n des Erlenpollens in den sandigen Bruchwaldtorfen gedeutet w e r d e n kann. Sie erklären aber nicht die Erlenpollen in den sandfreien Bruchwaldtorfen. Ähnliche Fragen lösen die Corylus-Pollen aus. Eine endgülitge Klärung dieser P r o b l e m e k ö n n e n w i r erst erwarten, w e n n das Untersuchungs material umfangreicher g e w o r d e n ist. A u ß e r den i m P o l l e n d i a g r a m m angeführten oder im T e x t besprochenen N B P konnten f o l g e n d e Pollen, b z w . Sporen festgestellt werden, die sämtlich m i t g e ringen Prozenten notiert w u r d e n : G a l i u m - T y p : 9,95 m, 9 , 9 7 m. Rumex sp.: 9,95 m. Chenopodium sp.: 1 0 , 1 0 m , 1 0 , 3 6 m. Armeria sp.: 1 0 , 3 2 m. Polygonum bistorta-Typ: 1 0 , 1 8 m, 1 0 , 2 0 m. Centaurea cyanus: 1 0 , 1 0 m. Lycopodium annotinum: 1 0 , 1 0 m, 1 0 , 3 6 m. Auffallend sind die hohen G r a m i n e e n - W e r t e i m Gegensatz z u denen der C y p e r a ceen, die 10°/o selten überschreiten und a u ß e r d e m nicht in allen Horizonten v o r kommen. Es h a b e n demnach d i e Sauergräser in den Pflanzengesellschaften des Interstadials n u r eine g e r i n g e Bedeutung gehabt. Die an die sandfreien Bruch waldtorfe gebundenen Filices-Sporen weisen auf eine farnkrautreiche M o o r v e g e tation. Das Auftreten der Menyanthes-Pollen ist scharf begrenzt; sie konnten nur in den A b l a g e r u n g e n des mittleren Teiles festgestellt w e r d e n . Der Fieberklee ist eine nordisch-circumpolare Pflanze mit e i n e m Verbreitungsschwergewicht i m feucht-kühlen K l i m a der nördlichen G e b i e t e u n d k o m m t b i s Island v o r (OBER DORFER 1 9 4 9 , STARK, FIRBAS & OVERBECK 1 9 3 2 ) . B e g i n n u n d E n d e d e r A u s b r e i t u n g
v o n Menyanthes trifoliata sind durch ihre h o h e n Pollenprozente gekennzeichnet. D i e Frage, o b die höheren W e r t e auf edaphische oder klimatische Ursachen z u rückzuführen sind, muß vorläufig ungeklärt bleiben. Zusammenfassung Das Pollendiagramm des Vechelder Interstadials zeigt f o l g e n d e waldgeschicht liche Zeiten: a.
Birkenzeit: a. Birkenzeit mit grasreichen Steppen, i n denen Bestände v o n Birken, W e i d e n und K i e f e r n vorkamen. ß. Birkenzeit mit fast geschlossenen B i r k e n - K i e f e r n - W ä l d e r n . 12 •
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Willi Selle
b.
Kiefernzeit: Fast geschlossene K i e f e r n - B i r k e n - W ä l d e r , b z w . B i r k e n - K i e f e r n - W ä l d e r . 1. 1. Kiefernzeit. 2. 1. Birkenvorstoß. 3. 2. Kiefernzeit. 4. 2. Birkenvorstoß. 5. 3. Kiefernzeit: a. K i e f e m z e i t mit fast geschlossenen Kiefern-Birken-Wäldern. ß. Kiefernzeit mit grasreichen Steppen, in denen Kiefern-Birken-Bestände vorkamen. Das subarktische K l i m a w a r atlantisch und besaß eine deutliche T e m p e r a t u r m i n d e r u n g a m A n f a n g u n d Ende des Interstadials. In der Birkenzeit w a r e n d i e S o m m e r kühler als in der Kiefernzeit, w i e aus d e m Verhalten der V e g e t a t i o n hervorgeht. Die Einordnung des Interstadials bereitet große Schwierigkeiten, da w e d e r die Pollenanalyse, noch die Stratigraphie eine eindeutige Erklärung g e b e n k ö n nen. Unsere Untersuchungen an nordwestdeutschen Interglazialen haben gezeigt, daß die Deckschichten der letztinterglazialen H o h l f o r m e n eine verschiedene Mächtigkeit haben; jedoch w e r d e n 9 — 1 0 m selten erreicht (WOLDSTEDT, REIN & SELLE 1 9 5 1 ) . Bedenken w i r weiter, daß die Weichsel-Interstadiale sich ü b e r d e n A b l a g e r u n g e n des letzten Interglazials befinden, so liegt w e g e n der mächtigen Deckschichten der Schluß nahe, das Vechelder Interstadial in die Saale-Eiszeit z u verlegen. Z u einem gleichen Ergebnis führt die Pollenanalyse, da die V e g e t a t i o n s entwicklung einige A b w e i c h u n g e n gegenüber N e d d e n - A v e r b e r g e n u n d Örrel zeigt. Z w i n g e n d sind diese B e w e i s e infolge des w e n i g e n Vergleichsmaterials selbstverständlich nicht, so daß die Möglichkeit besteht, daß das Vechelder Inter stadial ins Weichsel-Glazial gehört. Schrifttum OBERDÖRFER, E.: Pfianzensoziologische Exkursionsflora für Süddeutschland und die an grenzenden Gebiete. - Stuttgart 1 9 4 9 . SELLE, W . : Die Interglaziale der Weichselvereisung. - Eiszeitalter und Gegenwart 2 , S. 1 1 2 - 1 1 9 , 1 9 5 2 . - - Gesetzmäßigkeiten im pleistozänen und holozänen K l i m a ablauf. - Abh. naturw. Ver. Bremen 3 3 , S. 2 5 9 - 2 9 0 . 1 9 5 3 . STARK, P., FIRBAS, F . & OVERBECK, F . : Die Vegetationsentwicklung des Interglazials von Rinnersdorf in der M a r k Brandenburg. - Abh. naturw. Ver. Bremen 2 8 , S. 1 0 5 bis 1 3 0 , 1 9 3 2 . WOLDSTEDT, P., REIN, U. & SELLE, W . : Untersuchungen an nordwestdeutschen Intergla zialen. - Eiszeitalter und Gegenwart 1, S. 8 4 - 9 6 , 1 9 5 1 . Manuskr. eingeg. 1 2 . 1. 1 9 5 4 . Anschr. d. Verf.: Studienrat W . Selle, Braunschweig-Riddagshausen, A m Kreuzteich 6.