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Kapitel 3i Fröhliche Tanzmusik drang vom Park ins Foyer und lockte die neu eintreffenden Gäste hinaus. Das Klirren des Geschirrs und das glockenhelle Lachen einiger junger Frauen war bereits zu hören und die fröhlich tanzenden Lichter der im Park aufgehängten bunten Papierlampions, die bis in die Eingangshalle hineinschienen, taten ihr Übriges, um den beiden jungen Männern zu zeigen, wo sie erwartet wurden. Der etwas Schmächtigere der beiden hängte seinen Hut an einen der dafür vorgesehenen Haken und fuhr sich mit beiden Händen durch die blonden Locken – ein vergeblicher Versuch, diese ein wenig zu bändigen. Sein Begleiter grinste ob dieser Bemühungen. „André! Wunderbar, dass du es doch noch einrichten konntest, zur Hochzeit meiner Tochter zu kommen.“ Raphael Leroux kam auf die beiden zu. „Herzlich willkommen im Hause Leroux. Ich weiß, Dominique wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn du ihrer Einladung nicht hättest nachkommen können.“ „Dominique sicherlich, Raphael. Doch wie sieht es mit ihrem Ehemann aus?“ „Wir müssen ihm ja nicht verraten, dass seine Frau jahrelang für dich geschwärmt hat, nicht wahr, André?“ „Lieber nicht. Ich möchte nicht, dass sich der glückliche Bräutigam gezwungen sieht, an seinem Hochzeitstag ein Duell auszufechten“, lachte André und wandte sich seinem Begleiter 59


zu, der das kurze Gespräch aufmerksam verfolgt hatte. „Du erinnerst dich sicher an Mathieu Bouchardon, Raphael?“ „Aber sicher! Madame Bouchardons Enkel. Herzlich willkommen in New Orleans und im Hause Leroux, Monsieur Bouchardon. Sie waren lange fort.“ „Das stimmt, Monsieur Leroux. Ich war beinahe noch ein Kind, als ich zu meiner Schwester und deren Familie nach New York gezogen bin.“ „Aber New Orleans lockt immer wieder, nicht wahr?“ „Die Stadt und natürlich auch meine Großmutter, die nicht mehr die Jüngste ist – wobei sie mir diese Bemerkung sicherlich nicht verzeihen würde, Monsieur.“ Raphael lachte und nickte. Mathieu Bouchardons Großmutter war im Vieux Carré* als sehr energische Frau bekannt. „Bitte, gehen Sie doch schon in den Garten. Ich muss noch kurz nach oben und nach meiner Frau sehen.“ Der Hausherr deutete einladend auf die offen stehende Terrassentür und verschwand dann über die Stufen in den oberen Stock. „Den Berichten meiner Großmutter zufolge haben alle im Vieux Carré lange Zeit angenommen, dass aus dir und Dominique eines Tages ein Paar wird“, führte Mathieu das Gespräch fort, während die beiden jungen Männer in die laue Herbstnacht hinaustraten und von einer jungen Sklavin je ein Glas Champagner gereicht bekamen. „Wäre es nach Dominique gegangen, hättet ihr alle recht behalten.“ „Du wolltest nicht?“ André schüttelte schweigend den Kopf, während seine Augen die umhergehenden und tanzenden Menschen auf der Wiesenfläche nach dem Brautpaar absuchten. Obwohl er aus einer der angesehensten Familien Louisianas stammte, hatte André den aufop* französisches Viertel von New Orleans

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ferungsvollen Beruf eines Arztes gewählt und war zum Studium nach Frankreich gegangen. Die alten Gerüchte um André und Dominique ließen Mathieu nun vermuten, dass seinem Freund dieser Auslandsaufenthalt eine willkommene Fluchtmöglichkeit vor seiner Familie und der Familie Leroux gewesen sein könnte. Es dauerte nicht lange, da entdeckte Dominique André. Sie löste sich von ihrem Tanzpartner – vermutlich ihrem Ehemann –, um auf ihn und seinen Freund zuzueilen. „André! Du bist doch noch gekommen! Wie wunderbar!“, rief sie überschwänglich. „Ich gratuliere, Dominique. Du siehst aus wie das blühende Leben. Ich freue mich, dich so glücklich zu sehen“, erwiderte André und küsste der jüngeren Frau galant die Hand. „Danke. Du kennst meinen Mann, Louis Poirier?“ Sie deutete mit einer knappen Handbewegung zu ihrem stehen gelassenen Tanzpartner hinüber. „Ja, wir waren einige Zeit lang bei demselben Fechtlehrer. Ich werde ihn gleich begrüßen.“ „Du hast einen weiteren Gast mitgebracht?“ Dominique wandte sich um und musterte Mathieu. Zögernd streckte sie ihm ihre schmale, weiße Hand entgegen, und der junge Mann hauchte den obligatorischen Kuss darauf, ohne jedoch mit den Lippen die seltsam kalt wirkende Haut zu berühren. „Mathieu Bouchardon? Sind Sie das wirklich?“ „Es ehrt mich, dass Sie mich wiedererkennen, Madame Poirier“, entgegnete Mathieu und lächelte höflich. „Sie waren lange fort. Niemand hier konnte so recht verstehen, warum Ihre Schwester diesen Amerikaner geheiratet hat und auch noch so weit in den Norden gezogen ist. Dass es Sie allerdings von Ihrer doch recht eigenwilligen Großmutter fort zu Ihrer Schwester gezogen hat, konnten wir viel besser nachvollziehen. Doch jetzt freue ich mich, dass Sie zurück in unsere wunderbare Stadt gefunden haben, Monsieur Bouchardon.“ 61


Mathieu lächelte höflich und nickte der aufgeregten Frau zu. Seine Schwester hatte den Mann geheiratet, den sie liebte, und sich wenig darum geschert, dass ein Amerikaner in der aristokratischen, kreolischen Welt von New Orleans nicht gerne gesehen war. Doch man hatte dem jungen Paar das Leben nicht leicht gemacht, und so waren sie in die Heimat ihres Ehemannes gezogen. Mathieu liebte seine Großmutter, die ihn und seine Schwester nach dem Tod des Vaters aufgezogen hatte, innig, doch er war dem Angebot seiner Schwester, bei ihnen zu wohnen, um in New York eine Universität besuchen zu können, gefolgt. Sowohl seine Schwester als auch er waren, nachdem sie das Vieux Carré verlassen hatten, in eine völlig andere Welt eingetaucht. Bereits an diesem ersten Tag zurück in der Heimat blieb ihm nicht verborgen, dass die Zeit hier offenbar stehen geblieben war – zumindest was die allgemeine Einstellung den Amerikanern gegenüber betraf. In ihm machte sich bereits wieder das seltsame einengende Gefühl bemerkbar, das er damals kennengelernt hatte, als er miterleben musste, wie seine Schwester litt, nachdem sie sich für den Amerikaner entschieden hatte. Inzwischen würde er sich mehr als einen Kaintuk – einen Hinterwäldler, wie die Kreolen die Amerikaner wenig respektvoll nannten – denn als einen Kreolen bezeichnen, doch das würde er hier nicht sagen dürfen. Er hatte die großen, prächtigen, jedoch verspielt und fröhlich wirkenden Bauten entlang der Nyades Street gesehen und ahnte, dass die Amerikaner sich seit seinem Weggang mehr und mehr ausgebreitet hatten, vermutlich sehr zum Leidwesen der alteingesessenen Familien in New Orleans. Mathieu ließ seinen Blick über den Park schweifen. Viele der älteren Gäste konnte er sofort einordnen, doch es gab einige junge Männer und Frauen, deren Namen ihm nicht sofort einfielen. Doch zumindest bei den meisten konnte er die familiären Zusammenhänge auf einen Blick erkennen. 62


Dann blieben seine Augen an einer jungen Frau hängen. Sie stand im Kreis dreier weiterer Damen und erzählte etwas, wobei sie jedes Wort mit einer schnellen Bewegung ihrer Hände unterstrich. Ihre schwarzen, glatten Haare waren kunstvoll nach oben gesteckt, und selbst die Puffärmel und der weit fallende Krinolinenrock des weinroten Organdykleides konnten ihre zierliche Gestalt nicht verstecken. Mathieu runzelte die Stirn und versuchte, diese Person einer der alten kreolischen Familien von New Orleans zuzuordnen, was ihm jedoch nicht gelang. Die fein geschnittenen, freundlichen Gesichtszüge ließen keinen Hinweis auf eine bestimmte Familie zu, und so musste er annehmen, dass er diese junge Frau tatsächlich noch nie zuvor gesehen hatte. Neugierig geworden wandte er sich an Dominique: „Wer ist denn diese interessante kleine Erscheinung dort vor dem Springbrunnen?“ Die Angesprochene drehte sich um und folgte seinem Blick. „Da ich annehme, dass Sie die Charmande-Schwestern wiedererkennen, vermute ich, Sie sprechen von Antoinette de la Rivière?“ „Das ist die kleine Antoinette?“, mischte sich nun auch André ein und warf einen langen, intensiven Blick auf die junge Frau. Diese lachte soeben fröhlich auf. Mathieu musste unwillkürlich mitlächeln. „Antoinette de la Rivière?“ Mathieu sprach den Namen nachdenklich aus. Er wusste, er hatte den Namen bereits gehört. „Sie kam vor etwa sechs Jahren aus Paris hierher“, erklärte André seinem Freund. „Sie hatte damals ihre Eltern verloren, und ihre Großeltern ließen sie hierher zu Raphael, ihrem Patenonkel bringen. Seitdem lebt sie im Haushalt der Leroux’.“ Er wandte sich an die junge Braut. „Sie ist dir in dieser Zeit sicher wie eine Schwester geworden, nicht wahr, Dominique?“ Die junge Ehefrau nickte und lächelte unverbindlich. „Sie hat ihren eigenen Kopf – vermutlich irgendwelche Überbleibsel 63


ihrer früheren deutschen, ländlichen Erziehung. Aber sie ist ein höfliches, freundliches und liebenswertes Ding.“ „Sie dürfte nur ein Jahr jünger sein als du und ist folglich dieses Frühjahr in die Gesellschaft eingeführt worden. Vermutlich wird dein Vater sie bald gut verheiraten, Dominique?“ „Höre ich Interesse in deiner Stimme, André?“, fragte Dominique, und Mathieu wusste nicht recht zu sagen, ob die junge Frau André aufziehen wollte oder ob unterschwellig ein wenig Ärger in ihrem Tonfall mitschwang. „Nun, das ist ein bisschen seltsam“, erklärte Dominique schließlich. „Sie ist ja recht hübsch, und wie ich schon sagte, sehr liebenswert. Im Grunde hat sie sich wunderbar in unsere kreolische Gesellschaft eingefunden, zumal sie bei ihrer Ankunft schon Französisch sprach. Natürlich haben sich an ihrem großen Tag einige jüngere und auch gediegenere Männer bei meinem Vater eingefunden, um ihre Aufwartung zu machen. Doch nur zwei, drei Tage nach ihrem Ball tauchten in der Stadt Gerüchte auf, als habe der Fluss diese mit sich herangetragen, und die potenziellen Verehrer zogen sich zurück.“ „Gerüchte, die eine Horde Verehrer vertreiben?“ André schüttelte verwirrt den Kopf. Er blickte zu Antoinette de la Rivière hinüber, die sich inzwischen vom Springbrunnen entfernt hatte und nun mit einer älteren Dame sprach, diese freundlich anlächelte und von ihr mit einem ebenso freundlichen, beinahe liebevollen Lächeln bedacht wurde. Wie auch immer diese so plötzlich aufgetauchten Gerüchte lauten mochten, die jungen wie auch die älteren Frauen schienen das Mündel von Raphael Leroux in ihr Herz geschlossen zu haben. „Nun, man munkelt irgendetwas von einer Erbkrankheit“, fuhr Dominique fort. „Niemand weiß etwas Genaues. Aber die Reaktionen der Verehrer auf diese Gerüchte sind natürlich zu verstehen. Wer möchte schon eine Frau mit einer Krankheit heiraten, die diese eventuell weitervererbt, nicht wahr?“ 64


„Wie sollte ein solches Gerücht von Deutschland oder Paris bis hierher nach New Orleans gelangen?“, überlegte André laut. „Und welche Erbkrankheit sollte eine Frau, die so gesund aussieht wie sie, schon in sich tragen können?“ Der Arzt hob interessiert die Augenbrauen und musterte seine Gesprächspartnerin. „Du weißt doch, wie das mit den Gerüchten hier in der Stadt ist. Oftmals entbehren sie jeglicher Grundlage, und dennoch sagt man, dass in jedem Gerücht ein Quäntchen Wahrheit stecken muss. Eulalie sprach neulich sogar davon, dass Antoinette das Gerücht unter Umständen selbst gestreut hat! Als Eulalie sie auf ihren Debütantinnenball vorbereitet hat, war Antoinette so vermessen, ihr zu sagen, dass sie nicht verstehe, warum sie sich so vollkommen ihrem Mann unterordne. Sie gewinne mehr und mehr den Eindruck, als sei Eulalie nicht freier als die Sklaven ihres Mannes!“ Mathieu unterdrückte ein Lächeln und wandte sich dem ganz in der Nähe aufgebauten Buffet zu. André, der vermutlich nicht alleine mit Dominique stehen gelassen werden wollte, schloss sich ihm an und auch die junge Braut folgte ihnen. „Na ja, jedenfalls hat Eulalie nun den Verdacht, Antoinette könnte das Gerücht selbst verbreitet haben, um sich noch nicht binden zu müssen.“ „Rind oder Hühnchen?“, fragte Mathieu seinen Freund. Dieser wandte sich, ein wenig verwirrt, aber auch dankbar den Köstlichkeiten auf dem großen, mit buntem Krepp und gigantischen Blumenschalen geschmückten Tisch zu. Dominiques Ehemann, der gut zwanzig Jahre älter sein musste als sie, wagte sich heran, grüßte die beiden Männer kurz und zog dann seine frisch angetraute Frau mit sich auf die Tanzfläche. Die beiden Freunde füllten ihre Teller und setzten sich an einen der weißen Gartentische, um von dort aus die Tanzenden zu beobachten. Neben der Braut und dem Bräutigam tanzten die Brauteltern und Mathieu entdeckte zudem den ältesten Bruder 65


von Dominique und dessen Frau Brigitte. In den Armen eines überaus frech grinsenden jungen Mannes wirbelte auch diese lebhafte, schwarzhaarige Frau zwischen den Paaren hindurch. André riss ihn aus seinen Beobachtungen. „Du konntest dich an die kleine de la Rivière nicht mehr erinnern?“ „Müsste ich das denn?“ „Sie hat einmal auf einer dieser Wohltätigkeitsveranstaltungen, die deine Großmutter immer organisiert hat, Klavier gespielt. Damals war sie zwölf oder dreizehn.“ Mathieu schüttelte den Kopf. Ihm war wohl der Name, nicht aber die Person in Erinnerung geblieben. Die beiden Männer widmeten sich schweigend ihrer Mahlzeit und ließen dabei die Tanzfläche nicht aus den Augen. Mathieu ahnte, dass sein Freund dieselben Gedanken hegte wie auch er: Sie hatten sich nun lange genug über diese junge Frau unterhalten, um zu wissen, dass sie sie beide ausgesprochen interessant fanden. Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, erhoben sie sich und schlenderten durch den schön angelegten, großen Garten. „Was denkst du?“ André deutete mit dem Kopf auf eine kleine Gruppe aufgeregter junger Frauen, bei welcher sich auch Antoinette befand. „Gern“, grinste Mathieu. „Sie wird sich aber kaum an uns erinnern.“ „Lass mich nur machen“, murmelte Mathieu und erntete einen belustigten Blick von Seiten seines Freundes. Die beiden Männer schoben sich an einigen hohen Stauden vorbei und gingen auf die Frauen zu. „Einen wunderbaren guten Abend, die Damen!“, rief André fröhlich in die Runde. „André Fourier, wie schön, Sie einmal wiederzusehen.“ Eine blonde, etwas füllige junge Frau schenkte dem Arzt ein freundliches Lächeln. 66


Während André sich mit ihr unterhielt, wandte Mathieu sich an Antoinette. „Guten Abend, Mademoiselle de la Rivière. Sie sehen zauberhaft aus.“ Mathieu wurde aus zwei dunkelbraunen Augen neugierig gemustert. Der jungen Frau war anzusehen, dass sie sich darum bemühte, ihn einzuordnen. Schließlich schlich sich ein zauberhaftes Lächeln auf ihr Gesicht, wobei sich die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenzogen. „Vielen Dank, Monsieur. Offenbar scheinen Sie mich zu kennen, doch ich muss leider gestehen, dass ich mich nicht an Sie erinnern kann.“ Der junge Mann blickte fasziniert auf das noch immer lächelnde Gesicht hinunter. „Das sei Ihnen verziehen, Mademoiselle de la Rivière. Ich habe lange Zeit im kalten New York gelebt.“ „Danke, dass Sie mir meine Unwissenheit verzeihen, doch leider weiß ich jetzt noch immer nicht Ihren Namen, Monsieur.“ „Entschuldigen Sie bitte“, murmelte Mathieu, trat einen Schritt zurück und legte seine Hände hinter seinem Rücken ineinander. Es war nicht einfach, sich auf ein Gespräch mit diesem Mädchen zu konzentrieren, wenn es einen immerfort aus diesen kirschgleichen Augen anblitzte und mit einem Lächeln bedachte, das wohl einen Eisberg zum Schmelzen bringen würde. Er erinnerte sich an seine geplante Vorgehensweise und erwiderte: „Sie können sich sicherlich an meine Großmutter, Madame Bouchardon, erinnern?“ „Selbstverständlich. Eine wunderbare Person mit einem großen Herzen für Not leidende Menschen. Ich bewundere Ihre Großmutter sehr. Allerdings kann ich Sie schwerlich mit dem Namen Ihrer Großmutter ansprechen, Monsieur . . .“ Mathieu schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Was war nur mit ihm los? Er hatte es sich so einfach vorgestellt, mit Antoinette de la Rivière ins Gespräch zu kommen, indem er 67


so tat, als seien sie sich in der Vergangenheit des Öfteren bei seiner Großmutter begegnet, doch irgendwie brachte es die junge Frau fertig, ihn fortwährend aus dem Konzept zu bringen. „Mathieu Bouchardon, sind Sie das tatsächlich?“ Eine blonde Schönheit schob sich zwischen ihn und Antoinette und legte für einen kurzen Moment ihre schlanke, weiße Hand auf seinen Oberarm. Mathieu wandte sich der jungen Frau zu und nahm die dargebotene Hand, um diese symbolisch zu küssen. „Mademoiselle Macine. Ich fühle mich geehrt, dass Sie sich an mich erinnern.“ „Sie waren lange Zeit fort, Monsieur Bouchardon. Sie haben uns sträflich vernachlässigt.“ „Ich bitte Sie demütig, diese Tatsache zu entschuldigen, Mademoiselle Macine. Immerhin bin ich reumütig zurückgekehrt.“ Mathieu verschwieg lieber, dass er nicht allzu lange in New Orleans bleiben würde, ehe er nach New York zurückmusste, um seinen Abschluss an der Universität zu erlangen. „Vergeben, Monsieur Bouchardon. Allerdings nur, wenn Sie mir den nächsten Tanz schenken“, hauchte sie, wobei sie ihren Kopf ein wenig zur Seite neigte, sodass ihre langen Ohrringe auffordernd klirrten. Mathieu warf einen kurzen Seitenblick dorthin, wo Antoinette noch kurz zuvor gestanden hatte, doch sie war verschwunden. Als er sich mit Clothilde Macine der Tanzfläche zuwandte, konnte er sie jedoch am Arm Andrés ebenfalls in Richtung der anderen Paare schlendernd entdecken. Mathieu fügte sich mit seiner ausgesprochen schönen Partnerin in die soeben begonnene Quadrille ein und schenkte seinem Freund ein schiefes Grinsen. Nach dem Tanz bedankte er sich höflich bei Mademoiselle Macine und gesellte sich wieder zu André, der sich langsam in Richtung Getränkebüffet schob. 68


„Die kleine Clothilde mochte dich schon als Kind“, lachte André und ließ sich ein Glas Beerenbowle reichen. „Nicht so offensichtlich wie Dominique dich.“ André hob seine freie Hand und lachte erneut leise auf. „Keine Sorge, ich werde nicht versuchen, dich zu verkuppeln.“ „Dafür bin ich dir ausgesprochen dankbar“, grinste Mathieu und griff ebenfalls nach einem Bowleglas. Die beiden schlenderten durch den wenig erleuchteten Teil des Gartens und setzten sich auf den Rand eines Brunnens, um von dort aus die fröhliche Feier beobachten zu können. Inzwischen war es ganz dunkel geworden, und die bunten Lampions schaukelten im leichten, warmen Wind, der den Duft der Blüten, aber auch eine Nuance des herben Geruches vom Fluss mit sich trug. Mathieu betrachtete die fliegenden, bunten Röcke und blank gewienerten Stiefel, die über die mit Steinplatten ausgelegte Tanzfläche wirbelten. Die ausnahmslos schwarzen Musiker spielten ein Tanzlied nach dem anderen, doch in diesem abseits gelegenen Teil der Parkanlage konnte der junge Mann trotz der Musik und des Lachens der Gäste das unermüdliche Zirpen der Grillen und sogar den Schrei eines Kauzes vernehmen. Die beiden Freunde nippten an ihren bauchigen Gläsern und schwiegen, sich ihren eigenen Gedanken hingebend. Schließlich durchbrach Mathieu das Schweigen. „Du wirst also hier in New Orleans eine Praxis eröffnen?“ André nickte, nahm einen weiteren Schluck und wandte sich seinem Gesprächspartner zu. „Ich habe mir bereits ein paar Räumlichkeiten angesehen, mich jedoch noch nicht entschieden. Meine Eltern wollen, dass ich hier im Vieux Carré bleibe, doch die Stadt wächst außerhalb des Carrés sehr schnell und wir haben hier bereits einige gute Ärzte.“ „Deinen Eltern gefällt die Aussicht, dass du deine Praxis eventuell bei den Amerikanern eröffnen wirst, nicht?“ 69


„Es gibt nicht nur Amerikaner außerhalb dieses Viertels, Matt“, lachte sein Freund, die amerikanische Kurzform seines Namens gebrauchend. „Sie sind nicht so schlecht, die Amerikaner. Wobei ich zugeben muss, dass viele von ihnen ihre Sklaven wesentlich schlechter behandeln als die Menschen hier im Vieux Carré.“ „Was rätst du mir?“ „Du bist ein Kind dieser Stadt. Es könnte schwierig für dich werden, dich in dieser Gesellschaft zu bewegen, wenn du in einem der neuen, amerikanischen Viertel lebst und arbeitest.“ „Würde mich das stören?“ „Diese Frage musst du schon für dich selbst beantworten, André.“ André nickte langsam und leerte sein Glas, um es anschließend nachdenklich in den Händen hin und her zu drehen. Schließlich zog er die Schultern leicht nach oben und reichte einer vorbeigehenden Sklavin das Glas. Die Musiker stellten ihre Instrumente beiseite und gönnten sich eine Pause. Kurz darauf drangen von der Terrasse leise Klaviertöne zu den Freunden hinüber. Jemand spielte Bach, und dies in einer Weise, die Mathieu interessiert den Kopf heben ließ. Scheinbar spielerisch und leicht schienen die Töne durch den Park zu schweben, und er stellte fest, dass nicht nur er auf das Klavierspiel aufmerksam geworden war. Viele der anderen Gespräche waren verstummt und die Gäste widmeten ihre Aufmerksamkeit dem Musikstück. André schob sich zwischen Mathieu und einem Rosenbeet vorbei und blickte zu dem kleinen Podest auf der Terrasse hinüber. „Antoinette de la Rivière“, flüsterte er seinem Freund leise zu. Raphael Leroux gesellte sich zu den beiden Zuhörern. „Sie haben mein Patenkind bereits kennengelernt, Monsieur Bouchardon?“ 70


Mathieu nickte, wenig begeistert, eine Unterhaltung beginnen zu müssen, da sie ihn daran hindern würde, diesen wundervollen Klängen zu lauschen. „Beabsichtigen Sie wie André, sich wieder in New Orleans niederzulassen? Ihre Großmutter würde dies sicherlich sehr begrüßen. Und ihr Haus ist groß genug, um Sie – eventuell auch mit einer Frau – aufnehmen zu können.“ „Zuerst muss ich mein Jura-Studium beenden, Monsieur Leroux. Was ich nach meinem Abschluss tun werde, ist noch ungewiss.“ „Wir hoffen alle sehr, dass Sie sich entschließen können, ins Vieux Carré zurückzukehren.“ Raphael wurde von einem Diener ins Haus gebeten und entschuldigte sich, einen erleichterten Mathieu und einen breit grinsenden André zurücklassend. „Diverse Väter und junge Damen möchten dich gerne hier in New Orleans haben.“ „Ich merke schon, ich bin wieder in der Stadt!“, lachte Mathieu. „Ich würde mich auch freuen, Matt, wenn du dich entscheiden könntest, hierher zurückzukehren. Ich könnte einen Freund an meiner Seite gut brauchen.“ „Ich bin ein unruhiger Freund mit nicht immer einfachen Ansichten, das weißt du doch. Zudem war ich einige Jahre im Norden. Dieser Aufenthalt hat mich geprägt.“ „Ich weiß. Und dennoch denke ich, wir könnten weiterhin Freunde sein.“ Mathieu nickte und schenkte dem Mann an seiner Seite ein schiefes Grinsen. Antoinette de la Rivière hatte das Stück beendet und erntete begeisterten Beifall. Kurz darauf nahm die Kapelle wieder von ihren Instrumenten Besitz. Die beiden Freunde erhoben sich und gingen langsam zur Tanzfläche hinüber. Ge71


rade als sie die Tanzenden passiert hatten, zerbrach irgendwo ein Glas, und obwohl die Musiker wieder spielten, war das Klirren deutlich zu vernehmen. Eine Frau schrie erschrocken auf und eine Männerstimme stieß einen ungehaltenen Fluch aus. „Natürlich Antoinettes ungeschicktes Mädchen“, murmelte einer der Leroux-Söhne. Eine junge Sklavin war, ebenso wie ein Gäste-Ehepaar, das direkt neben ihr stand, von oben bis unten mit roter Bowle benetzt, die sich noch wenige Sekunden zuvor in einer großen Glasschale befunden hatte. Das Mädchen rang verzweifelt die Hände und murmelte eine leise Entschuldigung. Dennoch wurde es von dem besudelten Mann derb an beiden Oberarmen gepackt und geschüttelt. Ganz plötzlich befand sich Antoinette inmitten der aufgeregten Schar und bemühte sich, den wütenden Mann zu besänftigen, der schließlich nickte und das schwarze Mädchen losließ. Die junge Frau wirkte aufgebracht, redete leise auf das Mädchen ein und schob es fast grob auf eine der Türen zu, die ins Haus führten. Wenige Minuten später kam sie zurück und nahm sich der empörten Madame Nolot an, die ob ihres ruinierten Kleides den Tränen nahe war. Besänftigend und entschuldigend sprach Antoinette auf sie ein. Mathieu wandte sich ab. Ob das Mädchen von Antoinette de la Rivière heute noch mehr Unannehmlichkeiten würde aushalten müssen als die grobe Behandlung des Mannes und die harschen Worte ihrer Herrin?

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