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Persönlich. Echt. Lebensnah. D 12013 ISSN 0939-138X
1/2017 sfr 5,60 3,60 (A)
3,50
Das Leben meistern –
auch mit Handicap
Die heilende Kraft des Schreibens
Wenn der
Körper spricht, was die Seele fühlt
Jutta Hartl
Gebet
heißt nicht, nichts zu tun
Kreuzfahrten und Reisen 2017 Neue Horizonte entdecken. Menschen begegnen. Urlaub genießen.
Ü be r
25 Ja hr e
Reisen und Meer
11. bis 20. August 2017
Große Sommerkreuzfahrt Zu den Hauptstädten der Ostsee bis nach St. Petersburg Mit MS BERLIN – exklusiv gechartert Kiel
Tallinn
St. Petersburg
Helsinki
Wort an Bord:
Stockholm
Kopenhagen
Kiel
Musik an Bord:
Dr. Günther Beckstein, Ministerpräsident a.D.
Sefora Nelson, Sängerin und Liedermacherin
KMD Hans-Ulrich Nonnenmann, Landesposaunenwart und Leiter der Bordposaunen
Pfarrer Hanspeter Wolfsberger, Leiter des Hauses der Besinnung Betberg und Direktor a.D. der Liebenzeller Mission
Prof. Dr. Manfred Siebald, Sänger und Liedermacher
KMD Hans-Martin Sauter, Leiter des Bordchors, Leiter der Chorarbeit des ejw, Gründer und Leiter des LAKI-Pop-Chors Württemberg
Dir. Wilfried und Doris Schulte, Missionswerk NEUES LEBEN
Samuel Jersak, Pianist und Komponist
Prof. Dr. Rüdiger Gebhardt, Rektor der CVJM-Hochschule Kassel
21. Juni bis 3. Juli 2017
17. bis 22. Oktober 2017
Kreuzfahrt mit MS OCEAN MAJESTY
Kreuzfahrt mit MS ELEGANT LADY
Kiel Vik/Sognefjord Flåm/Aurlandsfjord
Koblenz Mannheim Speyer Straßburg Basel Worms Koblenz
Weitere Reisen bei hand in hand tours
Auf Postschiffkurs bis ans Romantische Nordkap zur Mitternachtssonne Rhein-Kreuzfahrt
Ålesund Leknes/Lofoten Honningsvåg/Nordkap Tromsø Hellesylt Geiranger Bergen Kiel
Wort an Bord:
Wort an Bord:
Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz und Angelika Steeb, Autorin und Referentin
Jetzt
Pfarrer Winrich und Beate Scheffbuch
Frühbucher-Rabatte sichern
12. bis 20. April 2017 Ostern in Israel mit Prälat Ulrich und Cornelia Mack 18. Mai bis 1. Juni 2017 Große Donaukreuzfahrt bis ins Donaudelta am Schwarzen Meer mit Prof. Dr. Rolf und Dorothea Hille 20. Mai bis 2. Juni 2017 Rund um Westeuropa auf der MS BERLIN mit Siegfried und Renate Skubski 30. Mai bis 8. Juni 2017 Pfingsten in Israel mit Pfarrer Wilfried Wassermann und Prof. Dr. Manfred Siebald 16. bis 22. Juni 2017 Auf Vater Rhein in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mit Präses a.D. Dr. Christoph Morgner 2. bis 9. Juli 2017 Mittelmeer-Kreuzfahrt ab/bis Venedig mit Dir. Wilfried und Doris Schulte, NEUES LEBEN 30. Juli bis 6. August 2017 Kreuzfahrt im westlichen Mittelmeer ab/bis Barcelona mit Dekan i.R. Claus-Dieter und Gerdi Stoll 2. bis 12. August 2017 Sommer-Kreuzfahrt auf der Rhone von Lyon bis ans Mittelmeer mit Pastor Eckard Krause 20. August bis 2. September 2017 Sommerkreuzfahrt „Rund um Großbritannien“ auf MS BERLIN, mit Schwester Heidemarie Führer 15. bis 24. September 2017 Neuengland-Kanada-Kreuzfahrt zum Indian Summer mit Prof. Dr. Manfred Siebald und Prof. Stefan Claas, Pfarrer 23. September bis 7. Oktober 2017 USA-Reise „Auf den Spuren Billy Grahams“ mit Prof. Dr. Manfred Siebald und Henning Zahn 6. bis 15. Oktober 2017 Karibik-Kreuzfahrt mit Prof. Dr. Manfred Siebald und Pfarrer Wilfried Wassermann
Heiner Zahn GmbH . Postfach 65 . 72222 Ebhausen Tel. 07458 / 99 99-0 . Fax 07458 / 99 99-18 info@handinhandtours.de . www.handinhandtours.de
Ganz persönlich Ellen Nieswiodek-Martin
Beim Tagebuch-Schreiben kann ich mir eingestehen, was ich fühle, wie es wirklich in mir aussieht.
Gedanken sortieren Selten haben wir für unsere Rubrik „Meine Meinung“ so viele Beiträge bekommen wie dieses Mal. „Schreiben Sie Tagebuch? In welchen Situationen hat Ihnen das Schreiben geholfen?“, hatten wir gefragt. Zahlreiche Zuschriften erreichten uns. Mit so vielen Reaktionen hatten wir nicht gerechnet. Viele Frauen erklärten uns, dass Schreiben für sie eine Hilfe sei, um Gedanken zu sortieren, Gefühle zu benennen oder auch schwere Erlebnisse zu verarbeiten. Wer seine Gedanken in Worte fasst, durchbricht den Kreislauf aus Grübeleien, Sorgen und Erinnerungsfetzen, die uns immer wieder quälen. Beim Tagebuch-Schreiben kann ich mir eingestehen, was ich fühle, wie es wirklich in mir aussieht. Da brauche ich keine Fassade aufrechtzuerhalten, keine Erwartungen zu erfüllen. Es geht auch nicht um die „richtige“ Formulierung, Rechtschreibung oder Satzbau – denn niemand wird meinen Text bewerten. Ein leeres Blatt kann wie ein enger Vertrauter sein. Alles darf ich bei ihm abladen und sicher sein: Er wird es für sich behalten. Besonders nach belastenden oder gar traumatischen Erlebnissen tut es gut, sich den Schmerz von der Seele zu schreiben. Was ich in Worte fassen und aufs Papier bringen kann, hat weniger Macht über mich. Ich erkenne Zusammenhänge und vielleicht sogar Lösungswege. Ich bin der Flut meiner Gedanken und Gefühle nicht mehr ausgeliefert, sondern kann sie bündeln. Immer wieder haben Frauen berichtet, wie schwere Erfahrungen dadurch ein weniger leichter und Ängste ein wenig kleiner wurden. Schreiben kann also reinigend und manchmal auch heilend wirken. Laut amerikanischen Untersuchungen fördert das Schreiben sogar die Aktivität des Immunsystems und kann depressive Symptome lindern.
Schreiben kann und soll keine Therapie ersetzen. Aber wenn wir unsere Sorgen, Nöte und Ängste benennen und unsere Gedanken ordnen, lernen wir, uns selbst besser zu verstehen. Und das ist ein erster, entscheidender Schritt auf dem Weg der Verarbeitung und Heilung. In unserem Dossier ab Seite 28 lesen Sie, welche Erfahrungen die LYDIA-Leserinnen und -Autorinnen mit dem Schreiben gemacht haben. Ich selbst schreibe seit meiner Schulzeit Tagebuch. Ich halte schöne und schwierige Situationen fest, Gebetsanliegen und Träume. Vor allem ist Schreiben für mich eine Hilfe, wenn mein Kopf so voller Gedanken, Pläne und manchmal Sorgen ist, dass ich nicht zur Ruhe komme – und dadurch oft auch nicht zum Beten. Dann formuliere ich meine Sorgen, Ideen und Anliegen schriftlich und lege alles, was mich umtreibt, vor Gott nieder. Mein Gebet lautet dann etwa so: „Herr, du siehst, was ich geschrieben habe.“ Danach bleibe ich still vor Gott sitzen. Und die Dinge ordnen sich. Das kann gleich passieren oder erst später – dann, wenn ich mein Tagebuch noch einmal aufschlage, lese und staune, wie Gott meine persönliche Geschichte in der Zwischenzeit weitergeschrieben hat. Möglicherweise kennen Sie solche Situationen und finden sich in dem einen oder anderen Text dieser Ausgabe wieder? Ich wünsche Ihnen viele gute Impulse beim Lesen! Ihre
Ellen Nieswiodek-Martin
Lydia 01/2017
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6 Foto: Pe tr a Fritzi Hennemann
Gebet heißt nicht, nichts zu tun
Lydia
Interview mit Jutta Hartl
42
Familienplanung mit Verantwortung
56
54
Glaube & Lebenshilfe
Beruf & Gesellschaft
23 Sag mal, ... Fragen an Lots Frau
20 Flor Namdar: Liebe statt Furcht Christina Bachmann
28 Meine Meinung Schreiben Sie Tagebuch? In welchen Situationen hat Ihnen das Schreiben geholfen? 33 Worte finden. Mich finden. Gott finden. – Debora Sommer 56 Meine Schatzfinder- Erinnerungskiste – Anna Wolf 62 Ein unverschämter Auftrag Kann die Herausforderung, Gott jeden Tag zu loben, mein Leben verändern? Saskia Barthelmeß 64 Tiefer graben Der Klang des Himmels – Sabine Bockel 72 Heilige heute Engel unter dem Lastwagen Grietje Credé • An seiner Seite – auch in Krankheit und Leid Gisela Graf • Nach 35 Jahren schuldenfrei Christa Klein
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Lydia 01/2017
{inhalt}
30 Jana Highholder: Paläste aus Gedanken – Elisabeth Schoft 38 „Warum bist du so anders?“ Eine deutsche Frau, ein ghanaischer Mann und 20 Jahre Ehe Christina Bachmann 40 Zwei Länder, eine Liebe Interview mit Eberhard Mühlan 53 Geplatzte Träume? Ich vertrau auf Gott! – Franziska Schröer 54 Kein Selfie mit Jesus? Glauben zwischen Ich-Wahn und Selbstlosigkeit – Jrene Bircher 58 Es begann mit einem Flüstern Eine schüchterne Frau ruft eine weltweite Bewegung ins Leben Bobbie Houston
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48
Worte finden. Mich finden. Gott finden.
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Ehe & Familie
Körper & Seele
{ In jeder Ausgabe }
42 Familienplanung mit Verantwortung Eine Orientierungshilfe zum Thema Empfängnisregelung Dr. Ute Buth
12 Ganzheitlich geschaffen Wenn der Körper spricht, was die Seele fühlt – Beate Nordstrand
3 Ganz persönlich Gedanken sortieren – Ellen Nieswiodek-Martin
46 „Meine Kinder sollen meinen Glauben übernehmen!“ Tobias Künkler und Tobias Faix 48 Gottes unsichtbarer Airbag Ellen Nieswiodek-Martin 49 Ein Lob auf die Schamhaftigkeit Was uns verloren geht, wenn uns das Schamgefühl verloren geht Susanne Ospelkaus 51 LYDIA-Familientipp Ein Familien-Passahfest feiern Katrin Schmidt 52 Schmunzeln mit LYDIA 68 Unsere Geschichte Gott kennt keine Limits – Boris Vujicic
14 Feder-Worte – Nicole Sturm 16 Tanzschritte hinein ins Licht In meiner Erschöpfung lernte ich Gott auf neue Weise kennen Corinna Spiekermann
18 Liebe Leser 50 Zwischendurchgedanken Hoffnungsstrahlen – Saskia Barthelmeß 60 LYDIA kreativ – Imke Johannson 66 Für Sie entdeckt
24 Hindernisse? Kein Problem! Das Leben meistern – auch mit Handicap – Lena Maria Klingvall
76 Gut informiert. Neu inspiriert.
34 Die heilende Kraft des Schreibens – Katrin Schmidt
81 Impressum
36 Festes Vertrauen auf schwachen Beinen Von der Missionsstation auf die Krankenstation – Elisabeth Mast
80 Leserbriefe
82 Nachgedacht Vom Wert des Schreibens – Ingeborg Barker
14
Feder-Worte
LY D I A
Interview mit Jutta Hartl
Gebet Gebet heißt nicht, nichts zu tun
Gebet ist das Thema ihres Lebens: Jutta und Johannes Hartl haben das
Augsburger Gebetshaus gegründet, in dem rund um die Uhr gebetet wird.
Während ihr Mann inzwischen ein international gefragter Redner und Autor ist, organisiert Jutta Hartl den Familienalltag. Im Interview verrät die 40-jährige Mutter von vier Kindern, wann sie Zeit zur persönlichen Stille findet und wie sie mit unbeantworteten Gebeten umgeht.
Wir haben schon in unserer Jugendarbeit gemerkt: Wenn wir an den Wochenenden rund um die Uhr beten, passiert etwas. Johannes hatte früh die Vision von einem Haus, zu dem alle kommen können, um aufzutanken. 2005 sind wir nach Amerika geflogen, um uns ein Gebetshaus anzusehen. Am Anfang hat mich das befremdet. Ein paar Tage später saß ich dann im Gebetsraum und hatte klar das Gefühl, dass Gott sagt: „So ein Gebetshaus wünsche ich mir in Deutschland.“ Mein erster Gedanke war: Wenn ich das jetzt sage, macht Johannes das sofort! Erst zwei Tage später habe ich ganz vorsichtig gesagt: „Ich habe den Eindruck, dass wir in Deutschland so etwas machen sollten.“ Johannes ist die Kinnlade runtergefallen!
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Als wir zurück waren, haben wir einigen Jugendlichen erzählt, was wir erlebt hatten. Und ganz schnell waren da 20 bis 30 junge Menschen, Gleichgesinnte, die gesagt haben: „Wow, so etwas wollen wir in Deutschland auch!“ So haben wir angefangen, dieses Gebetsmodell auszuprobieren. Warum in Augsburg?
Nachdem wir wussten, dass wir ein Gebetshaus gründen sollten, war die große Frage: „Wo?“ In dem amerikanischen Gebetshaus hatte ein Mann einen prophetischen Eindruck für uns gehabt: Johannes stand mit mir und unserem Sohn auf einer Brücke über einem Fluss, als ein Kanu vorbeikam, in das wir alle hineinsprangen. Wir haben das damals so verstanden: Gott will, dass wir alles hinter uns lassen und uns auf diesen Weg machen.
Foto: Pe tra Fritzi Hennemann
Frau Hartl, Sie und Ihr Mann haben in Deutschland ein Gebetshaus ins Leben gerufen. Stimmt es, dass der Impuls damals von Ihnen kam?
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Körper & Seele
Corinna Spiekermann
Tanzschritte hinein ins
Licht
In meiner Erschöpfung lernte ich Gott auf neue Weise kennen
Es war kalt in jenem Februar 1997. Bereits fünf Monate dauerte meine innere Lähmung schon an. Ich hatte sie mit unterschiedlicher Intensität erlebt, konnte anfangs tageweise noch meinem Studium nachgehen. Ich litt an äußerster körperlicher und seelischer Anspannung gepaart mit endloser Erschöpfung.
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wei Jahre zuvor hatte ich begonnen, mein Leben zu ordnen. Struktur wollte ich ihm geben, um noch mehr in meinen vollen Tagesablauf hineinpacken zu können. Meine schmerzhafte Vergangenheit wollte ich bearbeiten. Eine Psychotherapie sollte mir dabei helfen. Nach etwa eineinhalb Jahren beschloss ich, sie zu beenden. Es schien mir genug zu sein, genug der Gespräche, genug der Erkenntnisse – ausreichend, um ein neues Leben beginnen zu können. Ich nahm an den letzten therapeutischen Sitzungen teil und fühlte mich gut. Gerade hatte ich mein Auslandspraktikum in St. Petersburg in Russland erfolgreich absolviert. Für eine kurze Zeit entsprach ich meinen hochgesteckten Zielen und Erwartungen an mich selbst. Mein Hunger nach Bestätigung und Anerkennung war für einen Moment gestillt. Ich war als angehende Sozialarbeiterin erfolgreich tätig gewesen. Das war Beweis genug. Meine Beziehung zu Jesus empfand ich als innig; ich war von ihm geleitet und auf wundersame Weise versorgt worden. Es war spannend, mein Leben mit Gott zu leben. Auch das beflügelte mich. Es war, als wären die Grenzen, die mir gesetzt waren, gefallen. Tiefer Fall Doch dann kam das Tief und meine Grenzen wurden enger als je zuvor. Ich missachtete die körperlichen Signale, die sich schon in den letzten zwei Wochen in Russland gezeigt hatten. Plötzlich verließ mich die Kraft und ich war tageweise kaum noch in der Lage, das Bett zu verlassen. Irgendwie peitschte ich mich zurück nach Berlin, ignorierte immer wieder Anzeichen von Müdigkeit und Schwäche. Die Anforderungen von Studium und Alltag hielten mich die nächsten Wochen auf den Beinen,
bis ich zu Beginn des Herbstes körperlich zusammenbrach. Die Erschöpfung hatte sich sehr tief in meine Seele und meinen Geist eingebrannt. Hatte ich noch im Sommer das Leben als rasend und rauschhaft empfunden und war die Erfolgsleiter weiter und weiter nach oben gestiegen, so war ich nun abgestürzt. Ich konnte einfach nicht mehr. Nicht mehr arbeiten, nichts mehr leisten, nicht mal mehr beten. Selbst das Bibellesen war zu einer Qual geworden. Einzig liegen in meinem Bett war möglich, zum Laufen oder Sitzen war ich nicht fähig. Ich konnte kein Licht ertragen und keine Geräusche. Lieb gemeinte Anrufe oder Besuche waren mir zu viel. Ich war nicht mehr in der Lage, zu denken, mich zu konzentrieren oder gar etwas zu tun. Suizidgedanken schlichen sich ein, die mir zuflüsterten, es hätte keinen Sinn, weiterzumachen. Die Depression hatte mich im Griff, den ganzen langen Herbst hindurch und den Winter. Auch zu Beginn des neuen Jahres befand ich mich noch in einem schwarzen Loch, in dem sich Todesgedanken breitmachten. Nichts tun, nur sein An einem jener kalten Februartage bewegte ich mich tastend durch die Dunkelheit, um eine CD mit Anbetungsmusik einzulegen, die ich zuvor noch nicht gehört hatte. Nur eine Kerze flackerte im Raum. Mehr Licht konnten meine an monatelange Dämmerung und Dunkelheit gewöhnten Augen nicht aushalten. Ich wollte beten, wollte mit Gott zusammen sein. Nach nichts anderem sehnte ich mich mehr. Aber wie? Früher wusste ich, wie das ging: lange und intensiv beten, biblische Weisheiten aneinanderreihen. Ich hatte Jesus wirklich lieb – viele Jahre schon – und wollte ihm mit ganzem Herzen gefallen.
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Katrin Schmidt
Schon immer habe ich geschrieben. Als Kind verfasste ich Sachbücher über Tiere und Tagebücher – auch Tagebücher meiner Haustiere! Später schrieb ich Gebetsbücher. Inzwischen habe ich eine ganze Kiste voll, behutsam verpackt wie einen Schatz. Nach einer längeren Unterbrechung begann ich in einer Lebenskrise erneut zu schreiben. Die Worte flossen nur so aus mir heraus, Texte nahmen Gestalt an und ein ums andere Mal war ich selbst überrascht, was da zu Papier kam. Beim Schreiben ordnete sich mein Inneres und meine Seele wurde leichter.
Die heilende Kraft des
Schreibens
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ls ich mit 13 Jahren begann, jeden Abend meine Gebete aufzuschreiben, fühlte ich mich innerlich wacher. Die Worte hatten geschrieben mehr Kraft. Ich konnte mich besser auf Gott ausrichten und zwischen den Zeilen auf ihn hören. Jahre vergingen. Dann heiratete ich, und da ich nun abends nicht mehr allein im Zimmer war, hörte ich auf zu schreiben. Es ergab sich einfach aus der veränderten Lebenssituation. Wir erlebten herausfordernde, arbeitsreiche Jahre, machten beide unser Lehramtsexamen und Referendariat. Irgendwann vermisste ich das Schreiben, aber ich schaffte es nicht, ein neues Ritual in meinen Alltag einzubauen. Die Krise bewältigen Bis das Unfassbare geschah. Ich war zum zweiten Mal schwanger und freute mich riesig. Da bekamen wir die Diagnose, dass unser Kind außerhalb des Mutterleibes nicht lebensfähig sein würde. In diesem inneren Durcheinander spürte ich einen starken Drang, an meinen Laptop zu gehen. Es floss regelrecht aus mir heraus. Ich überlegte nicht lange, sondern schrieb mir alles von der Seele. Meistens mehrere Kurztexte hintereinander, zu unterschiedlichen Aspekten meiner Lebenssituation. Beim Lesen direkt danach hatte ich regelmäßig Aha-Effekte: „Ach, so sieht es gerade in mir aus!“ Ich fühlte, wie die geschriebenen Worte mir eine innere Ordnung in allem gaben und sich Ruhe in mir ausbreitete.
dossier
Schreiben Mit manchen Texten sprach ich mir selbst Wahrheiten zu, die ich für mich schon lange in Anspruch genommen hatte, aber gerade nicht fühlen konnte. Das Schreiben war ein wichtiges Instrument, um mit meiner Situation umzugehen, der Krise zu begegnen und sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Es half mir, eine Art Kontrolle zurückzugewinnen, die verloren schien. Als ich eine größere Anzahl von Texten verfasst hatte, begann ich, sie zu ordnen. Dabei merkte ich, wie viele meiner Lebensbereiche durch die Diagnose ins Wanken geraten waren und an wie vielen Fronten ich gerade zu kämpfen hatte. Das war mir vorher gar nicht so bewusst gewesen. Schreiben kann erleichtern Ich glaube nicht, dass man eine besondere Begabung zum Schreiben braucht, um es als heilsam zu erfahren. Sicherlich sollte man gerne schreiben. Ich denke, es bringt nichts, sich zu zwingen, verkrampft etwas aufs Papier zu bringen. Wichtig ist, beim Schreiben eine Erleichterung zu spüren, selbst wenn es um einen schwierigen Inhalt geht. Es geht nicht darum, sich möglichst perfekt auszudrücken. Schließlich muss ja nichts veröffentlicht werden. Es ist einzig und allein wichtig, herauszufinden, ob es für einen persönlich ein hilfreiches Ausdrucksmittel ist. Beim Schreiben können Dinge ans Licht kommen, von denen man gar nicht wusste, dass sie in einem sind. Das kann eine Chance sein, Lebensbereiche anzugehen, die der Heilung bedürfen. Ich glaube nicht, dass das Schreiben allein einen Menschen heilen kann. Heilung kann letztendlich nur Jesus in mir bewirken. Aber wenn ich begreife, wo der Knoten sitzt, kann ich mich für Jesus öffnen und ihn an die Wunden heranlassen. Ich kann auch Menschen gegenüber barmherziger sein, wenn mir Zusammenhänge zwischen bestimmten Verhaltensweisen und Lebensumständen bewusst werden. Dabei kann das Schreiben eine enorme Hilfe sein. So habe ich es zumindest erlebt. Worte und Bilder Als wir die Diagnose bekamen, dass unsere Tochter außerhalb des Mutterleibes lebensunfähig sein würde, entschieden wir uns, die
Kleine bei uns zu behalten, so lange es ging. Wir erlebten eine schwierige, sehr intensive Zeit, die uns in vielerlei Hinsicht an unsere Grenzen brachte und auch unseren Glauben stark herausforderte. Die ganze Schwangerschaft war eine Art Sterbebegleitung. Kurz vor ihrem Geburtstermin starb unsere Tochter und wir erlebten eine stille Geburt. Während der ganzen Schwangerschaft schrieb ich Texte, setzte mich mit unserer Tochter, meinem Glauben, unserer Ehe, Reaktionen von außen und verschiedenen Themen, die die Situation mit sich brachte, auseinander. Ich fotografierte auch viel und erlebte, wie die Natur zu mir sprach. Ich fand unsere Tochter, mich und unsere Situation in Bildern in der Natur wieder. Eine Beim Schreiben können Dinge ans Licht kommen, von denen man gar nicht wusste, dass sie in einem sind. stachelige Distel, ein entwurzelter Baum, eine kahl geschlagene Schneise im frisch ergrünten Wald, Schmetterlinge … Am liebsten fotografierte ich Schmetterlinge. Irgendwann merkte ich, dass meine Texte und Fotos zusammenpassten und eine Einheit bildeten. Ich ordnete sie einander zu und stellte daraus meinen Text-Bildband „Mein Himmelskind“ zusammen. Dieses Sammeln, Ordnen und Zusammenfügen war, als ob ich mich selbst wieder ordnete, sammelte und zusammenfügte. Es war zunächst nur meine eigene Verarbeitung. Erst später kam mir die Idee, den Band zu veröffentlichen und so auch anderen Menschen Zugang zu Worten und Bildern zu geben, die auch für sie heilsam sein könnten. Ich durfte erleben, wie Jesus sich mir zuwandte und meine Wunden liebevoll versorgte. Er tut es noch immer. Heute bin ich ihm näher, als ich es vorher war. So viel hat er für mich getan! Katrin Schmidt ist Grundschullehrerin, Mutter von drei Kindern und zwei Himmelskindern. Ihr Text-Bildband „Mein Himmelskind“ kann über folgende E-Mail-Adresse bestellt werden: himmelskind@neufeld-verlag.de
Hüter meiner
Seele
In allem Elend und Leid
kann ich nur zu dir schauen, was du getan hast voll Liebe für uns, um alle Dunkelheit zu überwinden, mit Licht zu durchdringen. In allen Fragen und Zweifeln und meinem Unwissen kann ich nur auf dich vertrauen, dass alles in deiner Hand ist, du um alles weißt und ich es nicht muss. In aller Einsamkeit und Angst kann ich nur staunen über dich, dass du das freiwillig ertrugst, dich nicht davongestohlen hast, sondern aushieltest. In aller Traurigkeit und Verzweiflung kann ich nur bei dir Trost finden, weil ich weiß, dass du meine Tränen in Ewigkeit trocknen wirst und ich sehen werde, was ich jetzt nicht kann. In allen Glaubensanfechtungen kann ich erkennen, dass du meinen Glauben erhältst. Du kämpfst den Kampf für mich, besiegst den Feind. Du bist der Hüter meiner Seele.
Katrin Schmidt Aus: Mein Himmelskind
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Beruf & Gesellschaft
Bobbie Houston
Es begann mit einem
Foto: River Benne t © Hillsong Ministry
Flüstern Eine schüchterne Frau ruft eine weltweite Bewegung ins Leben
Vor ein paar Jahren vernahm Bobbie Houston ein himmlisches Flüstern, das ihr Leben für immer veränderte: „Sag ihnen, dass es einen Gott im Himmel gibt. Sag ihnen, dass es eine ganze Schar anderer auf dieser Erde gibt, die an sie glauben!“ Mit diesem Flüstern begann eine Geschichte, wie nur Gott sie schreiben kann: Eine schüchterne Frau blüht auf – und wird zur Gründerin einer weltweiten Sisterhood-Frauenbewegung.
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eder als Kind noch als Teenager fühlte ich mich irgendwie besonders. Im Rampenlicht zu stehen interessierte mich nicht. Ich war extrem schüchtern. Das war damals so und ist heute kaum anders. Nur wenn es um bestimmte Themen geht, erhebe ich meine Stimme. Dass Gott mir eine Aufgabe anvertraut hat, die zu einer weltweiten Bewegung herangewachsen ist, ist also, gelinde gesagt, amüsant. Doch bereits als kleines Mädchen ahnte ich, dass ich später einmal meinen Beitrag zu etwas Größerem leisten würde. Es war ein klarer, kühler Herbstabend in Auckland, Neuseeland, an dem mein
Leben mit Jesus Christus begann. Ich heulte wie ein Schlosshund, als ich ihm mein Leben anvertraute. Endlich verstand ich aus tiefstem Herzen, dass meine Vergangenheit vergeben und meine Zukunft mit Gott besiegelt war. Irgendwann am Anfang meines jungen Christseins las ich im Alten Testament das Buch des Propheten Micha. Ich hatte den Eindruck, als würde der Heilige Geist einige der dort geschriebenen Worte hervorheben: „Nun versammle dich in Scharen, oh Tochter der Kriegsschar, denn die Feinde haben einen Belagerungswall gegen uns aufgeworfen. Versammle die Scharen, oh Tochter der Scharen“ (freie Übersetzung nach Micha 4,13–14).
Ein unüberhörbares Flüstern Viele Jahre später knüpfte der Heilige Geist mit einer leisen Eingebung an diesen Himmelsmoment an. Inzwischen hatte ich Brian geheiratet und mit ihm eine Kirche namens „Hillsong“ gegründet. Im Juli 1996, kurz nach meinem 39. Geburtstag, fand ich mich im ANZ-Stadium von Sydney wieder, einem riesigen Stadion, in dem vier Jahre später die Olympischen Sommerspiele stattfinden sollten. Zum ersten Mal veranstalteten wir die Hillsong-Konferenz an einem Ort wie diesem. Als die Konferenz begann und die Teilnehmer zu singen anfingen, war ich fasziniert von den wunderschönen, zum Himmel gerichteten Gesichtern der jungen Frauen im Chor. In diesem Moment vernahm ich, wie Gott mir einen Gedanken zuflüsterte. Ich sah ein großes, mit Tausenden Frauen gefülltes Stadion. Gleichzeitig nahmen folgende Worte in mir Gestalt an: „Bobbie, ruf eine Konferenz für Frauen ins Leben. Eine Konferenz für junge Frauen, die mich suchen, und für ältere Frauen, die ihnen als Schwestern zur Seite stehen. Eine Konferenz für alle meine wunderbaren Töchter. Und sag ihnen, dass es einen Gott im Himmel gibt und eine Schar anderer, die an sie glauben.“ Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Gottes Stimme regelmäßig hörbar vernehmen. Zwar habe ich seine wunderbare Gegenwart oft gespürt, doch mein nunmehr vier Jahrzehnte alter Glaube beruht vertrauensvoll darauf, dass Gott durch die Bibel, sein geschriebenes Wort, zu uns spricht. Dieser Eindruck war jedoch so deutlich, dass es mir vorkam, als sei Gottes Stimme tatsächlich hörbar gewesen. Der Schritt aufs Wasser Zum damaligen Zeitpunkt half ich in unserer Kirche dort mit, wo jemand gebraucht wurde. Als junge Ehefrau und berufsstätige Mutter war ich froh, im Hintergrund zu bleiben. Doch Gott forderte mich unmissverständlich auf, mich herauszutrauen und Verantwortung für das „weibliche Herz“ unserer Kirche zu übernehmen. Ich spürte, wie der Heilige Geist zu mir sprach: „Wer wird diesen jungen Menschen das Vorbild einer Frau Gottes sein? Sie sind in deiner Hand, Bobbie!“ Unsere Kirche besaß schon eine gewisse Anzahl an Bibelstudiengruppen für Frauen. Doch für das,
was vor uns lag, mussten sie von Grund auf umstrukturiert und mit einer neuen Vision gefüllt werden. Im September 1994 entschloss ich mich, alles, was es bis dahin an Angeboten für Frauen in unserer Gemeinde gab, zu beenden. Im Grunde meines Herzens spürte ich, dass es richtig war. Dennoch fühlte ich mich überfordert. Es war ein Schritt aufs Wasser. Doch ich folgte dem Ruf Gottes in ein neues Land: eine globale, generationenübergreifende Sisterhood (dt. Schwesternschaft) aufzubauen, die sich „versammelt, ausrüstet und mobilisiert“, um als Töchter des Höchsten für das Gute einzutreten. Die Frauen sollten das Potenzial erkennen, das Gott in sie hineingelegt hatte, und es einsetzen – für Gottes Plan und ihre vielen Schwestern im eigenen Umfeld und auf der Welt.
Beten ist ein Wunder. Es verbindet die menschliche Seele mit ihrem Schöpfer; es beruhigt, stärkt und heilt; es lässt das Unmögliche geschehen und bahnt dem Übernatürlichen einen Weg – und es gewinnt den Kampf.
„Wo ist deine Schwester?“ Mein tiefstes Anliegen ist es, dass immer mehr Frauen Jesus als ihren Retter annehmen und ihren Wert in Gottes Familie erkennen. Keine Einzige soll verloren gehen. Vor ein paar Jahren las ich in 1. Mose 4, wie Kain seinen Bruder Abel aus Neid erschlug. Daraufhin stellte Gott ihm eine Frage, die mich nicht mehr losließ: „Wo ist dein Bruder?“ Kain antwortete: „Ich weiß es nicht. Bin ich meines Bruders Hüter?“ Ich stellte mir vor, wie die gleiche Frage mir und uns gestellt werden würde, wenn wir in den Himmel einzögen. Irgendwo mitten im Staunen, Begrüßen und Feiern fragt der Herr: „Und, wo ist deine Schwester?“ Die leibliche Schwester, die Freundin, die Mutter, die Nachbarin, die Frau, die uns im Alltag begegnet ist – wo ist sie? Haben wir ihr zugehört? Haben wir
ihr unsere Hilfe angeboten? Das Evangelium, das uns so viel bedeutet – haben wir ihr jemals davon erzählt? Die Schwester in Gefangenschaft oder Sklaverei, die unser Gebet brauchte – haben wir an sie gedacht? Wo ist die Eine, für die wir berufen waren, sie Hand in Hand in Gottes Gegenwart – ins Paradies – zu führen? Gebet – ein alltägliches Wunder Mein beständiges Gebet ist es, dass ich Menschen mit Augen der Güte und Hingabe sehe und mir die Zeit nehme, aufmerksam zu sein. Und dass ich tatsächlich bete, wenn Gott mich daran erinnert. Denn das kann ich immer: beten. Beten ist ein Wunder. Es verbindet die menschliche Seele mit ihrem Schöpfer; es verändert die Atmosphäre in unserem Leben und um uns herum; es beruhigt, stärkt, heilt und rüstet aus; es lässt das Unmögliche geschehen und bahnt dem Übernatürlichen einen Weg – und es gewinnt den Kampf. Einmal plante meine Kirche in Neuseeland ein Rund-um-die-Uhr-Gebet. Ich trug mich für die Stunde ab Mitternacht ein. Wie romantisch, dachte ich. Ich machte es mir im Wohnzimmer meiner Mutter gemütlich – mit Decke, Kissen, Bibel und einem Heizlüfter. Dann wartete ich geduldig, dass es Mitternacht werden würde und ich meinen unverzichtbaren Beitrag zum Wohlergehen des Planeten leisten könnte. Ich wartete und wartete und wartete … und auf einmal war es zwei Uhr nachts. Was?! Nein! Ich war tief und fest eingeschlafen, zwischen meinen Kissen versunken, und hatte das Gebet unterbrochen! Damals waren meine Selbstvorwürfe groß. Doch die Wahrheit ist: Die Welt ging nicht unter, nur weil ich meinen Einsatz verpasst hatte. Aber die Welt wird untergehen, wenn wir alle unseren Einsatz verpassen! Wir sollten die Wirkung eines Gebets niemals unterschätzen – auch wenn wir selbst nicht mehr zum Beten in der Lage sind. Dann brauchen wir andere, die für uns eintreten und beten. Darf ich Sie ermutigen, das für andere zu tun? Bobbie Houston ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Ihre ausführliche Geschichte erzählt sie in ihrem Buch „Sisterhood – Wie Frauen mit ganzem Herzen ihr Potenzial entdecken und die Welt zu einem besseren Ort machen“ (Gerth Medien).
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Boris Vujicic
Gott kennt keine Limits Boris und Dushka Vujicic waren nicht darauf vorbereitet, dass ihr erster Sohn keine Arme und Beine haben würde. Die Geburt von Nick stürzte sie in ein Gefühlschaos. Sie fühlten sich überfordert und dachten sogar daran, ihren Sohn zur Adoption freizugeben. Aber der fröhliche und beharrliche kleine Junge zeigte ihnen, dass er viel mehr konnte, als sie je geahnt hätten.
A
ls Nick geboren wurde, war meine Frau 25 Jahre alt. Ich war mit im Kreißsaal. Der Arzt benutzte eine Geburtszange, um dem Kind durch den Geburtskanal zu helfen. Nicks Kopf und Hals kamen heraus, und mir fiel auf, dass etwas mit der rechten Schulter nicht stimmte. Da war kein Arm. Die Schwestern rückten näher heran und verstellten mir die Sicht, bevor sie ihn zur weiteren Untersuchung in eine andere Ecke des Kreißsaals brachten. Niemand sagte etwas. Was ich gesehen hatte, wollte nicht in meinen Kopf. Ich vergaß zu atmen. Dushka hatte unser Kind bis dahin überhaupt noch nicht gesehen. Sie rechnete damit, dass die Hebamme jeden Augenblick mit dem Baby zurückkommen und es ihr in den Arm legen würde. Das war der normale Ablauf. Als nichts dergleichen geschah, wurde Dushka nervös. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie. Die Frage verhallte ohne Antwort. Die Ärzte und Schwestern blieben um unser Kind geschart.
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Lydia 01/2017
Irgendetwas stimmt nicht Als niemand auf die Frage meiner Frau reagierte, wurde mir übel. Wortlos führte mich eine Schwester nach draußen. Auf dem Weg zur Tür schnappte ich ein Wort auf: Phokomelie. Ich wusste nicht, was es bedeutete, aber es machte mir Angst. Ich setzte mich in den Flur und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis der Kinderarzt herauskam. Er meinte, dass er Dushka etwas gegeben habe, damit sie schlafen und sich ausruhen könne. „Ich muss mit Ihnen über Ihr Kind reden“, fuhr er fort. „Ihm fehlt ein Arm“, platzte ich dazwischen. „Ihr Kind hat weder Arme noch Beine.“ „Was? Gar keine Arme? Und keine Beine?“ Der Arzt nickte. Später erklärte er mir, dass Phokomelie der Fachbegriff für fehlende oder missgebildete Gliedmaßen sei. Ich habe noch nie einen Boxschlag gegen den Kopf bekommen, aber so stelle ich mir das Gefühl vor. Mein erster Gedanke
F o t o s : P r i vat . A b d r u c k
mit freundlicher
Genehmigung der
Familie Vujicic.
Unsere Geschichte
Lydia 01/2017
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D 1 2 0 1 3 / Post ver triebsstück/Gebühr bezahlt/Lydia Verlag/Ger th Medien GmbH/Dillerberg 1/D -35614 Asslar-Berghausen
Wunsch & Wirklichkeit Mein Herz ist leer, meine Sehnsucht ungestillt. Meine Träume kommen unerfüllt zurück. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Doch in all der Leere, in all der Sehnsucht und trotz aller unerfüllten Träume bist du da. Du hältst mich, trägst mich, trocknest meine Tränen. Du sprichst zu mir und sagst: „Geliebtes Kind.“ In deiner Gegenwart halte ich den Stürmen stand. Mein Wünschen kommt in deiner Wirklichkeit zur Ruhe. Hanna Friedrich