Lydia (Ausgabe 1/2018)

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Persönlich. Echt. Lebensnah. D 12013 ISSN 0939-138X

1/2018 sfr 5,60  4,10 (A)

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Eine Freundin für alle Fälle Mama hat jetzt Pause! Emotional gesund werden

Hoffnung in den Stürmen des Lebens

Entscheidung zum Glücklichsein

Barbara Hänni


Dem Himmel ganz nah Im Sturm ziehen sie vorbei, die Wolken. Nicht langsam, ganz schnell. Nicht weit weg, ganz nah. Über mir, um mich herum und in mir. Greifbar nah sind sie, fast wollen sie mich verschlingen. Doch vor mir reißt die Wolkendecke auf. Das Blau des Himmels lässt sich sehen. Ich atme auf, du bist da. Das Licht der Sonne blendet mich. Deine Strahlen erwärmen mein Herz. Ich ahne, dass es mehr gibt als den gegenwärtigen Sturm. „Ich bin nicht im Sturm. Ich bin da, dir ganz nah“, flüsterst du mir zu. ESTHER LIEBERKNECHT


Ganz persönlich Ellen Nieswiodek-Martin

Ich war beeindruckt, wie Gott dort wirkt und das Leben von Menschen verändert.

Afrikanische Erkenntnisse „Mein Glück ist es, mich von Gott abhängig zu machen.“ Dieser Satz eines Pfarrers und der darin enthaltene scheinbare Widerspruch bewegten mich noch einige Tage. Er erinnerte mich an die Christen, die ich vor Kurzem in Kenia getroffen hatte. Auf einer Inforeise besuchten wir die Armutsviertel in Nairobi. Im Vorfeld machte ich mir viele Gedanken, wie es sein würde, dem Elend zu begegnen. Außerdem hatte ich mulmige Gefühle wegen der Sicherheitswarnungen. Doch die Besuche in den Slums verliefen ohne Komplikationen; wir trafen wunderbare Menschen, die uns ihre Geschichten erzählten. Einen Teil davon lesen Sie in dem Artikel ab Seite 16. Ich war tief beeindruckt, wie Gott dort wirkt und das Leben von Menschen verändert. Am Sonntag besuchten wir einen Gottesdienst im Slum Mathare. Zwischen Baracken, Staub und Müll fanden wir den Eingang zum Gelände der Gemeinde. Ein Schild wies mich darauf hin, dass der Gottesdienst drei Stunden dauerte. Puh! Drei Stunden erschienen mir sehr lang – vor allem, wenn nur Kisuaheli gesprochen wurde! Als Europäer fällt man in einem kenianischen Gottesdienst unweigerlich auf – alle würden also bemerken, falls ich früher gehen würde … Aber dann hat Gott mich überrascht. Menschen, die im Elendsviertel leben und teilweise nicht wissen, was sie morgen ihren Kindern zu essen geben, sangen voller Inbrunst und Freude: „Gott, du gibst uns alles, was wir brauchen. Danke, Herr, dass du immer bei uns bist!“ Das trieb mir die Tränen in die Augen. Diese Worte singen auch wir in unseren Gottesdiensten. Wenn wir davon sprechen,

dass Gott uns versorgt, stimmt das natürlich – aber wer von uns hat das so existenziell erlebt? Dass die Vorratsschränke leer sind und Gott uns am nächsten Tag versorgt? Die Menschen in Mathare leben in der Abhängigkeit von Gott – jeden Tag. Während ich gut versorgt bin und mich bei Gott beschwere, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich es mir wünsche, wenn das Auto kaputt oder der Hund krank ist. Genau betrachtet, bitte ich Gott nicht um das, was ich brauche, sondern um ein bequemes Leben. Die Christen im Slum erfahren täglich Gottes Treue in den existenziellen Dingen. Sie schwärmen regelrecht von Gott und können stundenlang von seiner Gnade und Barmherzigkeit singen. Während ich darüber nachdenke, ob ich drei Stunden Gottesdienst aushalte. Eine beschämende Erkenntnis! Es ist Gnade, in einem reichen Land geboren zu sein. Doch möglicherweise macht es mir der Wohlstand schwerer, zu erkennen, wie viel Gott mir schenkt. Damit ich das nicht mehr vergesse, habe ich mir den Satz „Mein Glück ist es, mich von Gott abhängig zu machen“ an die Wand gehängt. Ich will dieses Jahr üben, in Abhängigkeit von Gott zu leben und Besitz nicht als selbstverständlich anzusehen. Und viel öfter Danke zu sagen! Ich wünsche Ihnen gute Erkenntnisse beim Lesen dieser Ausgabe. Ihre Ellen Nieswiodek-Martin

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6 F OTO : H É L È N E J O R D I

Entscheidung zum Glücklichsein Interview mit Barbara Hänni

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Glaube & Lebenshilfe

Beruf & Gesellschaft

24 Meine Meinung Wie wichtig ist Ihnen die Gemeinde für Ihr Glaubensleben?

16 Wo Mütter und Kinder neue Hoffnung finden Ellen Nieswiodek-Martin

25 Warum ich meine Gemeinde liebe – Heike Malisic

20 Eine Freundin für alle Fälle Warum Beziehungen auf Distanz ein großer Segen sein können Esther Middeler

34 Wort-Schätze der Bibel Segen – Debora Sommer

64 Wörter, die im Herzen wohnen Warum es sich lohnt, Bibelverse auswendig zu lernen – Delia Holtus 72 Heilige heute Keine Stimme mehr Silke Kratz • Trotz Krebs in Gottes Hand Gabriele Hensel • Weil er mich liebt Christine Kreß

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{inhalt}

24 38 Tiefer graben Maria, die Freundin Jesu – Andreas Holzhausen

Warum ich meine Gemeinde liebe

Lydia

28 Versprechen für ein gelungenes Leben Wie Trends unsere Entscheidungen beeinflussen – Interview mit Kirstine Fratz 30 „Die Gemeinde bleibt ein umkämpfter Ort“ Christina Schöffler 32 Wenn Jesus ins Wohnzimmer kommt – Interview mit Micha Pompe 54 „Ich konnte meine Tochter nicht lieben“ Eine Mutter überlebt den Völkermord in Ruanda Carmen Schöngraf


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Wort-Schätze der Bibel: Segen

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62

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Ehe & Familie

Körper & Seele

{ In jeder Ausgabe }

37 Wo ist mein Prinz? – Ronja Wolf

12 Eine Hoffnung, die trägt Wie finden wir Halt in den Stürmen des Lebens? – Holly Wagner

3 Ganz persönlich Afrikanische Erkenntnisse – Ellen Nieswiodek-Martin

42 Mama hat jetzt Pause! Martha Jäger 46 Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – Christian Siegling 47 Schmunzeln mit LYDIA 50 Zwischendurchgedanken Der eine Augenblick mehr – Saskia Barthelmeß 51 LYDIA-Familientipp Mit Kindern über den Tod reden Sarah Mittelstädt

48 Kein Abschied für immer Anamaria Bauer

56 Liebe Leser 62 LYDIA kreativ – Imke Johannson

58 Mehr als alles behüte dein Herz Vom gesunden Umgang mit Gefühlen – Interview mit Geri Scazzero

66 Für Sie entdeckt 76 Gut informiert. Neu inspiriert. 80 Leserbriefe 81 Impressum 82 Nachgedacht Heimat – wo ich zu Hause bin – Britta Laubvogel

52 Die Familienglücklichmacherin Hanna Willhelm 68 Unsere Geschichte Original- verpackt zur Hochzeitsnacht? Debora und David Gerhardt

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Kein Abschied für immer Lydia 01/2018

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Interview mit Barbara Hänni

Entscheidung zum Glücklichsein Als Krankenschwester wusste Barbara Hänni theoretisch sehr genau, worauf sie sich einlässt, wenn sie Markus Hänni heiratet. Ihr Mann leidet an Mukoviszidose, einer unheilbaren Krankheit. Vor fünf Jahren haben die beiden Ja zueinander gesagt. Dennoch sagt Barbara: „Mein Partner ist nicht dazu da, mich glücklich zu machen.“ Im Interview erzählt Barbara Hänni, wie sie gelernt hat, mit Zweifeln und Sorgen umzugehen und auf Gott zu vertrauen.

Der ausschlaggebende Punkt war, dass wir so eng befreundet waren. Der Humor stimmte und wir hatten gemeinsame Interessen. Das war eine gute Grundlage. Ich finde diese Art des Kennenlernens sehr schön: zuerst Freunde zu sein und dann entsteht eine Liebe daraus. Als junge Frau hatten Sie gedacht, Sie würden den Traumprinz sofort erkennen, wenn er Ihren Weg kreuzt. Das kam dann anders. Wie wichtig sind bei

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der Partnerwahl die Gefühle und wie wichtig ist der Verstand?

Das ist Typfrage. Ich bin eher eine verstandesorientierte Person. Ich denke erst alle Szenarien gut durch. Dadurch kamen bei mir immer wieder Zweifel auf. Erst wenn ich etwas gut durchdacht habe, kann ich mich darauf einlassen und die Gefühle kommen nach. Ich kenne viele Paare, bei denen der eine zuerst mit Zweifeln konfrontiert war. Ich wusste, wenn ich zu einer Beziehung Ja sage, ist das nicht nur für ein paar Jährchen. Für mich war es wichtig, dass die Person wirklich das Potenzial hat, ein Mann fürs Leben zu sein. Ich denke, Verliebtheitsgefühle

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Frau Hänni, als Sie Ihren Mann kennenlernten, wussten Sie bereits, dass er Mukoviszidose hat und arbeitsunfähig ist. Was hat Sie an ihm angezogen?


LY D I A

Interview

verschwinden in der Regel schnell wieder. Eine Beziehung, die rein darauf aufbaut, ist zum Scheitern verurteilt. Aber natürlich müssen die Gefühle da sein, sonst würde man sich gar nicht erst auf diesen Weg begeben. Bei Ihrem Mann war die Prognose für die Zukunft durch die Krankheit nicht so gut. Schon deshalb konnten Sie den Verstand gar nicht ausblenden, oder?

Ich vermute, ich wäre bei einem gesunden Mann ähnlich zurückhaltend gewesen. Die statistische Lebenserwartung für Markus, Jahrgang lag bei dreißig Jahren, inzwischen sind es vierzig oder mehr Jahre. Aber als

Markus ein Kind war, starben Mukoviszidose-Patienten oft im Kindesalter. Als wir geheiratet haben, kannten wir den Krankheitsverlauf der letzten dreißig Jahre und hatten viel Hoffnung, dass seine Situation noch lange stabil bleiben würde. Welchen Stellenwert hat für Sie der Glaube?

Der Glaube hat einen sehr hohen Stellenwert, sowohl im Alltag als auch in der Partnerwahl. Ich war ständig im Dialog mit Gott, ob ich mit Markus zusammen sein will oder nicht, und habe ihn um Antworten gebeten. Ich denke, dass Gott durch verschiedene Wege zu uns

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Körper & Seele

Holly Wagner

Hoffnung Eine

die trägt

Wie finden wir Halt in den Stürmen des Lebens?

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Erleben Sie gerade eine Situation, die Ihnen den Boden unter den Füßen wegzureißen scheint? Wenn Ihr ganzes Leben in sich zusammenfällt, gibt es nur eine Strategie, die Ihnen weiterhelfen kann – nie die Hoffnung aufzugeben.

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s fühlte sich an, als ob eine Bombe unter meinem Bett explodierte. Ich konnte hören, wie in der Küche das Geschirr auf den Fliesenboden fiel und in tausend Stücke zersprang. Alles um mich herum schien zu beben. Dann fiel der Strom aus und ich konnte meine Hand nicht mehr vor Augen sehen. In Los Angeles gab es ein gewaltiges Erdbeben mit einer Stärke von 6,7 auf der Richterskala. Die Erschütterung war schrecklich, aber der Lärm war noch viel schlimmer. Mein Mann Philip rief mir zu, dass er unsere zweieinhalbjährige Tochter Paris holen würde. Ich sollte mir unseren sechsjährigen Sohn Jordan schnappen. Im Haus war es stockdunkel. Ich stolperte, während die Erde immer noch grollte und bebte, durch unser Schlafzimmer in Richtung Flur. Eine Kommode flog um und traf mich so stark am Bein, dass der Schlag mich in die Knie zwang. Nun kroch ich auf allen vieren weiter. In meiner Panik spürte ich gar nicht die Scherben der heruntergefallenen und zerbrochenen Bilderrahmen, die sich in meine Hände und Beine geschnitten hatten. Als Mutter wollte ich nur eins: alles tun, was notwendig war, um zu meinem Kind zu gelangen. Nachdem wir unsere Kinder aus ihren Zimmern geholt hatten, drückten wir uns alle ganz fest aneinander, als das erste Nachbeben kam. Es war nicht mehr so stark wie das erste Beben, aber immer noch beängstigend. Philip meinte, wir sollten besser das Haus verlassen, und so liefen wir die Treppe hinunter in den Vorgarten. Dann explodierten einige Häuser in der Nähe, weil die Gasleitungen geplatzt waren. Uns war angst und bange zumute, als glühende Asche über unsere Köpfe flog. Schließlich dämmerte es und die Sonne ging auf. Im Tageslicht sah ich das ganze Ausmaß der Zerstörung: Alle Wände hatten Risse bekommen. Unser Fernseher und unser Computer waren quer durchs Zimmer geflogen. Alle Teller und Gläser waren in tausend Teile zerbrochen und die Küchengeräte befanden sich nicht mehr an Ort und Stelle. Der Schaden belief sich auf ungefähr 60.000 Dollar.

Ich wusste überhaupt nicht, was ich als Nächstes tun sollte. Nur, dass dieses Erlebnis ein Albtraum war, dessen Ende ich mir sofort herbeiwünschte. Auf der Stelle! Die Beben des Lebens Vielleicht werden Sie nie ein solches Erdbeben erleben wie ich damals. Aber ich habe festgestellt, dass nicht nur richtige Erdbeben aufwühlend sein können. Auch ein Erdbeben im übertragenen Sinn kann unser Leben in Angst und Chaos stürzen. Mit „Nachbeben“, die genauso verheerend sein können. Denn leider ist es so, dass wir alle irgendwann einmal in unserem Leben mit einem solchen Erdbeben konfrontiert werden – einer Herausforderung, die düster und beängstigend ist. Die Entscheidungen, die wir in einer solchen Zeit treffen, sind ausschlaggebend dafür, ob wir die Situation mit Hilfe unseres Glaubens, unserer Beziehungen und eines klaren Verstandes meistern werden. In der Bibel steht, dass wir uns nicht darüber wundern sollen, wenn wir vor harten Proben und Stürmen stehen. Nur, dass Sie es wissen: Ich wundere mich jedes Mal. Manche Schwierigkeiten haben wir selbst zu verantworten, weil wir schlechte Entscheidungen getroffen haben. Vieles haben wir aber schlicht deshalb zu durchleben, weil wir hier auf der Erde leben. Das heißt nicht, dass Gott wütend auf Sie oder mich ist und uns bestraft. Herausforderungen treffen die Guten wie die Bösen, die Gerechten wie die Ungerechten. Herausforderungen gehören nicht zu den Wahlfächern auf dem Stundenplan unseres Lebens, sie gehören zu den Pflichtfächern unserer Lebensschule. Jesus hat uns vorausgesagt, dass wir in dieser Welt schwere Zeiten erleben werden, aber im nächsten Atemzug versprach er, dass wir keine Angst haben sollen, weil er die Welt besiegt hat. Ja, Sie werden Erdbeben und Stürmen begegnen, aber Sie dürfen die Hoffnung haben, dass er Sie hindurchbringen wird! Man sagt, dass wir Menschen vierzig Tage ohne Essen, drei Tage ohne Wasser und bis zu acht Minuten ohne Sauerstoff

überleben können. Aber wir können nur sehr kurz ohne Hoffnung leben. Im Neuen Testament wird die biblische Definition von Hoffnung als ein Wissen, eine sichere Erwartung, beschrieben. Fehlt sie im Herzen, übernimmt der Tod die Kontrolle: Träume erlöschen, Sie lassen eine Beziehung fallen, die es wert wäre, gerettet zu werden, und Sie hören auf zu glauben, dass Ihre Situation jemals besser werden wird. Die Kraft der Hoffnung aber kann Ihr wertvollstes Gut sein, weil sie eine gewaltige Energie in Ihnen freisetzt. Die Kraft der Hoffnung Hoffnung lässt sich mit Schwimmflügeln vergleichen. Haben Sie schon einmal Kinder in einem Schwimmbad beobachtet, die an ihren Armen diese kleinen Schwimmreifen tragen, damit ihre Köpfe über Wasser bleiben? Genauso ist es mit der Hoffnung. Sie lässt Sie an der Oberfläche treiben, bis Sie wieder festen Boden unter den Füßen spüren. Eine meiner Freundinnen leidet an einer Essstörung. Viele haben ihr gesagt, dass man ihr vielleicht vorübergehend helfen kann, die Störung für sie aber immer ein Kampf bleiben wird. Als ich mit ihr sprach, versicherte ich ihr, dass sie wieder Freiheit finden könne. Ich erzählte ihr Lebensgeschichten von zahlreichen Frauen, die mit demselben Problem zu kämpfen gehabt hatten und heute frei davon sind. Diese Frauen hatten sich darauf eingelassen, an ihren inneren Problemen zu arbeiten und sich vom Heiligen Geist verändern zu lassen. Sie waren nun geheilt. Ich sprach meiner Freundin zu, dass derselbe Gott, der das gute Werk in ihr begonnen hatte, es auch zu Ende führen würde. Ich erinnerte sie an ihren Wert. Als sie dann von Gott berührt wurde, verlieh ihr das sozusagen „Schwimmflügel“. Auf einmal war die Hoffnung in ihr geboren und gab ihr die Kraft, weiter bis zum Ufer zu schwimmen. Welche Situation gibt Ihnen das Gefühl, dass es keine Hoffnung mehr gibt? Vielleicht haben Sie Ihren Arbeitsplatz verloren. Oder Ihr Mann hatte eine Affäre mit einer anderen Frau. Oder Sie scheinen einfach nicht von Ihrer Sucht loszukommen. Oder Ihr Kind hat ständig Probleme in der Schule. Oder Sie hören das Wort „Krebs“ aus dem Mund Ihres Arztes. Wie ist da noch Hoffnung möglich?

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Beruf & Gesellschaft

Esther Middeler

Eine Freundin für alle Fälle

Warum Beziehungen auf Distanz ein großer Segen sein können

Telefon, E-Mail, Facebook, WhatsApp – wir haben mehr Möglichkeiten als je zuvor, Kontakte zu pflegen. Allerdings bedeuten viele Möglichkeiten nicht automatisch, dass man sie auch nutzt. Es kostet Zeit, Beziehungen zu pflegen, insbesondere dann, wenn man sich nicht regelmäßig im Alltag sieht.

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n den letzten Jahren habe ich verschiedene Anläufe unternommen, meine Beziehungen zu priorisieren und zu ordnen. Gibt es Freundinnen, mit denen mich nicht mehr viel verbindet, zu denen ich aber Kontakt halte, weil ich mich dazu verpflichtet fühle? Wer ist mir wirklich wichtig? Da ich in meinem Leben oft umgezogen bin, habe ich gelernt, dass es sich lohnt, Fernbeziehungen zu pflegen. In einem neuen Umfeld helfen sie zu überleben. Als ich im Alter von zwölf Jahren vom Süden Deutschlands in den hohen Norden zog, habe ich seitenlange Briefe an meine Freundinnen geschrieben, die ich so sehr vermisste. Später wurden aus Briefen E-Mails. Und als zu Beginn meiner Studienzeit die Telefon-Flatrate zum Standard wurde, verbrachte ich viele Stunden mit Zuhören und Reden über Hunderte von Kilometern hinweg. So bin ich vielleicht „von Haus aus“ geübter als manch andere, Kontakte zu halten.

te berufsbedingt nach Berlin zog. Natürlich wurde sie meine Trauzeugin – und ich ihre. Inzwischen trennen uns 150 Kilometer und unsere gefüllten Familienterminkalender bieten wenig bis gar keine Kapazität für die stundenlangen Telefonate, die wir über viele Jahre geführt haben. Doch ihr vertraue ich wie kaum einem anderen Menschen. Ihr erzähle ich Dinge, bei denen ich mich in anderen Freundschaften schwertue. Sie kennt auch meinen Mann – kannte ihn sogar vor mir –, was unheimlich wertvoll für mich ist. Müsste ich eine einzige Eigenschaft wählen, um sie zu beschreiben, würde ich „Güte“ sagen. Es ist schwer, dieses alte Wort und das Gefühl, das für mich dahintersteht, zu umschreiben. Ich meine damit die Gabe, dass ich mich in ihrer Gegenwart völlig fallen lassen kann und dabei niemals auf Verurteilung treffe. Egal, was ich ihr erzähle oder wie verzweifelt ich mich fühle, sie begegnet mir mit einer Haltung der Ruhe, mit Verständnis und Ermutigung. Zusammengefasst ist das brauchen im Alltag für mich Güte.

Völliges Vertrauen Wir alle Von einigen Freundinnen habe ich mich allerdings bewusst verMenschen, mit denen wir Einander tragen und abschiedet. Andere Beziehungen haben sich still und leise unser Leben teilen, bei denen zuhören verlaufen. Manches Ende einer Maren ist den Lebensjahren wir zur Ruhe kommen und Freundschaft habe ich bedauert. nach die zweitälteste meiner Das bleibt wohl nicht aus. Aber Fernfreundinnen; sie ist drei mit drei Frauen habe ich eine Jahre älter als ich. Als wir uns besondere Fernfreundschaft entkennenlernten, waren wir beide können. wickelt. Es gibt noch mehr, aber mitten im Studium. Sie machte diese drei waren in den letzten gerade eine schwierige LebensJahren die wichtigsten in meinem und Glaubenskrise durch und Leben. Was jede von ihnen auszeichnet: Wir kennen uns ich dachte, ich könnte ihr helfen, indem ich mit ihr seit mindestens zwölf Jahren. Sonst gibt es nicht viele zusammen die Bibel lese. Das taten wir dann auch, aber Gemeinsamkeiten. Wir haben alle einen unterschiedli- dabei blieben wir nicht stehen. So unterschiedlich unsechen Familienstand, nur eine von ihnen ist (bisher) auch re Prägungen, Erfahrungen und Persönlichkeiten waren, Mutter, und mit jeder von ihnen verbindet mich ein wir fanden eine gemeinsame Basis, ein Interesse aneinanderer Abschnitt meiner Lebensgeschichte. ander, das mit der Zeit Vertrauen schuf. ZusammengeSonja ist die Älteste von ihnen und auch die, mit der schmiedet hat uns, dass wir beide nicht zuließen, einanich am längsten befreundet bin. Sie ist sieben Jahre älter der aus den Augen zu verlieren. So haben wir im Laufe als ich. Das fiel aber nie ins Gewicht, obwohl ich erst der Jahre aus der Ferne viel Leben miteinander geteilt sechzehn war, als unsere Freundschaft ihren Anfang und tun es nach wie vor. nahm. Sehr schnell hatten wir in unserer Beziehung Müsste ich sie mit einem Wort beschreiben, würde ich eine besondere Tiefe erreicht, und zwar dadurch, dass „Tiefe“ wählen. Sie ist eine Frau, die sich viele Gedanken wir zusammen gebetet haben: für unsere Jugendgruppe, macht und schon viel erlebt hat. Wir teilen eine Sehnunsere persönlichen Anliegen und alles, was uns sonst sucht nach innerem Ganz- und Heilsein und möchten noch einfiel. Gemeinsam haben wir an Gottesdiensten, die Frauen werden, die Gott sich ausgedacht hat. Trotz Gebetsabenden und Jugendstunden teilgenommen. Da unserer unterschiedlichen Biografien und Persönlichkeisie mich anschließend immer nach Hause fuhr, hatten ten (im Gegensatz zu mir ist sie beispielsweise hochsenwir viel Zeit zum Reden. Ich weiß noch, wie schwer mir sibel) haben wir beide erlebt, wie Gott uns weiten Raum die erste Trennung von ihr fiel, als sie für einige Mona- zum Leben schenkt und unsere Seele aufatmen lässt.

AUFTANKEN

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Körper & Seele

Interview mit Geri Scazzero:

MEHR ALS ALLES BEHÜTE DEIN HERZ Vom gesunden Umgang mit Gefühlen

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ft wünschen wir uns, geistlich zu wachsen, merken jedoch, dass unsere Emotionen immer wieder dazwischenfunken: Wir reagieren gereizt, wenn etwas nicht klappt, explodieren oder ziehen uns zurück, wenn jemand uns verletzt. Dabei wünschen wir uns Frieden im Herzen und Freude im Alltag. Wie hängen emotionale Gesundheit und geistliche Reife zusammen? Was können wir tun, um emotional heiler und geistlich reifer zu werden? Geri Scazzero ist zu diesem Thema als Referentin unterwegs. LYDIA hat ihr ein paar Fragen gestellt. Was ist emotionale Gesundheit eigentlich? Könnten Sie diesen Begriff definieren?

Zusammenfassend würde ich sagen: Emotionale Gesundheit ist ein Bewusstsein darüber, was in einem selbst vorgeht – seine Gedanken und Gefühle zu kennen sowie die eigene Reaktion darauf.. Dazu kommt ein Bewusstsein darüber, was in jemand anderem vorgeht und was zwischen einem

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selbst und dem anderen vorgeht. Diese drei Bereiche: Was geht in mir vor? Was geht in dir vor? Was geht zwischen uns vor? Wie können wir herausfinden, ob wir emotional gesund sind oder nicht?

Wir können uns Fragen stellen wie: „Würden andere sagen, dass ich gut zuhören kann? Würden andere sagen, dass ich mich oft rechtfertige?“ Wenn das der Fall ist, bin ich wahrscheinlich emotional nicht gesund. „Wie gut sorge ich für mich selbst? Tue ich mehr, als gut für mich ist?“ Die meisten Menschen, die zu viele Dinge im Leben tun, sind nicht emotional gesund. „Kann ich meine Gedanken und Gefühle angemessen zum Ausdruck bringen? Respektiere ich andere Menschen und mich selbst?“ Welcher Zusammenhang besteht generell zwischen unserer geistlichen und emotionalen Gesundheit?

Oft denken wir, geistliche Gesundheit und Reife zeigen sich daran, wie viel

Bibelwissen ich habe, wie ich mit anderen über meinen Glauben spreche, ob ich regelmäßig in eine Gemeinde gehe und wie viel ich bete. Aber diese Dinge allein sind kein Beweis für geistliche Gesundheit! Das, worauf es wirklich ankommt, ist laut der Bibel unsere Fähigkeit zu lieben. In 1. Korinther 13 lesen wir: Man kann ein fantastischer Prophet sein, die Bibel inund auswendig können, all sein Geld den Armen geben und sogar um des Glaubens willen sterben, aber wenn man keine Liebe hat, ist man nicht geistlich gesund oder reif. Die Messlatte ist die Liebe. Wie liebe ich andere Menschen? Wie erleben andere Menschen mich? Bin ich nahbar? Kann ich Fehler zugeben? Respektiere ich andere? Bin ich auf respektvolle Weise ehrlich? Deswegen ist emotionale Gesundheit ein Schlüssel zu geistlicher Gesundheit: Wenn ich mir darüber bewusst bin, was in meinem Innern vorgeht, hilft mir das, andere Menschen wirklich zu lieben, weil mein Verhalten dann nicht von unbewussten Emotionen gesteuert wird.


Welche Rolle kann ein verzerrtes Gottesbild für unsere geistliche und emotionale Gesundheit spielen?

Eine große Rolle! Als ich mich entschieden habe, Jesus nachzufolgen, habe ich mir als Lebensmotto den Bibelvers ausgesucht: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Dieser Vers hat mein Leben fast zerstört! Denn ich dachte, sich selbst zu verleugnen bedeutet, immer zuerst an andere zu denken und niemals zuerst an mich zu denken. Aber das stimmt nicht. Es gibt Zeiten, in denen es angemessen ist, an mich zu denken und meine Bedürfnisse zu berücksichtigen. Ich hatte ein verzerrtes Verständnis von vielen Bibelstellen. Deshalb ist es so wichtig, einzelne Verse nicht aus dem Zusammenhang zu reißen, sondern im Kontext der ganzen Bibel zu sehen. Vielleicht sagt jemand: „Manche Leute drehen sich immer nur um sich selbst und ihre Gefühle! Die sollten einfach mal von sich selbst wegsehen und sich um andere

Im Auto leuchtet ein Lämpchen auf, wenn etwas nicht stimmt. Genauso haben wir auch innerliche Warnsignale, aber wir müssen ihnen Beachtung schenken. kümmern.“ Was würden Sie darauf antworten?

Das mag stimmen! Manche Leute sind tatsächlich übermäßig mit sich selbst und ihren Gefühlen beschäftigt. Aber meiner Erfahrung nach ist das nicht das häufigste Problem. Viel öfter begegne ich Menschen, die ihre Gefühle nicht wichtig genug nehmen und unterschätzen, welche Rolle sie in ihrem Leben spielen – wie wichtig sie tatsächlich sind, um sich selbst zu kennen und um Gott zu kennen. Wenn ich mich selbst nicht kenne, kann ich mich auch nicht als lebendiges Opfer geben, wie es im Römerbrief heißt. Dann gebe ich Gott nur einen Teil von mir. Je besser ich mich selbst kenne,

desto besser kann ich Gott kennen und für ihn leben. Manche Emotionen – etwa Wut, Traurigkeit oder Angst – werden eher als negativ bewertet. Heißt das, wir sollten diese Gefühle möglichst nicht haben?

Ich benutze lieber das Wort „schwierig“. Manche Gefühle sind schwieriger zu durchleben als andere. Ich erlebe nicht gerne Schmerz und Traurigkeit. Aber Gott selbst hat diese Gefühle erlebt, und wir sind nach seinem Bild geschaffen! Also durchleben wir diese Gefühle auch. Jesus hatte Angst. Jesus war zornig. Jesus war traurig. Auch im Alten Testament sehen wir Gottes Bandbreite an Emotionen. Gott hat uns unsere Gefühle zu einem bestimmten Zweck gegeben, einschließlich Zorn, Traurigkeit und Angst. Wie sieht eine emotional reife Reaktion aus, wenn etwas geschieht, das uns spontan wütend oder traurig macht?

Nehmen wir an, ich bin wütend, weil es schon sehr spät ist und meine Tochter

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Debora & David Gerhardt

Originalverpackt zur Hochzeitsnacht? David und Debora Gerhardt haben sich beide schon früh dazu entschieden, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten. Im Interview erzählen sie von ihrem Ringen und Kämpfen – und davon, wie Gott sie nicht im Stich ließ, als sie alles auf ihn setzten. Debora, als junge Frau haben Sie sich einmal in einem Hotelzimmer eingeschlossen. Wie kam das?

Debora: Nach langen Jahren, in denen ich unter meiner Einsamkeit litt, war ich an meinem Tiefpunkt angelangt. Ich wollte mich ganz bewusst zurückziehen, um mit Gott zu reden. Ich habe zu ihm gesagt: „Ich gehe hier nicht raus, ich esse nichts und trinke nichts, bis du zu mir sprichst.“ Dann habe ich die Bibel ziellos aufgeschlagen. Die Seiten öffneten sich bei Jesaja 46,11: „Ich rufe einen Adler aus dem Osten herbei; aus einem fernen Land hole ich den Mann, der mein Vorhaben ausführen soll. So habe ich es gesagt, und genauso wird es eintreffen. Ich habe diesen Plan gefasst und werde ihn verwirklichen.“ Mir ist bewusst, dass diese Bibelstelle in einem anderen Kontext steht, dennoch sprach sie genau in meine Situation hinein. Sie hat mir die Sicherheit gegeben, dass Gott bereits am Werkeln ist. Nach einem halben Jahr war es wieder so schlimm, dass ich mich wieder eingeschlossen habe. Dieses Mal schlug ich Jesaja 41,25 auf: „Ich aber rief einen Mann aus dem Norden, und er kam. Von Osten rief ich ihn in meinen Dienst ...“ Tatsächlich kommt David ursprünglich aus dem Osten und war bereits nach Frankfurt gezo-

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gen, was von meinem Wohnort aus betrachtet mit Norden gemeint sein könnte. Kurze Zeit später hatten wir in der Gemeinde Besuch von einem Pastor aus England, der für mich gebetet hat. Danach sagte er: „Es dauert nicht mehr lange.“ Und so war es: Drei Monate später lernte ich David bei der Partnersuche Christ-sucht-Christ im Internet kennen. David: Ich war zu diesem Zeitpunkt wirklich frustriert und hatte darüber nachgedacht, meine Prinzipien über Bord zu werfen. Zudem hatte ich einige Monate zuvor zwei meiner besten Freunde bei einem Fahrradunfall verloren. Ich habe zu Gott gesagt, ich brauche dringend jemanden, der diese leeren Flecken in meinem Herzen füllt und meinen Schmerz lindert. An jenem Abend nahm ich mir deshalb vor, Gott einmal „die Meinung zu sagen“. Ich finde, zu einer guten Beziehung gehört auch, dass man sich ungefiltert sagen kann, wie es gerade in einem aussieht – egal, ob es eine Beziehung zu einem Menschen oder zu Gott ist. Vor meiner Gebetszeit wollte ich noch kurz in meinen Account bei Christ-sucht-Christ schauen – da tauchte dort auf einmal Debora auf. Wir fingen an zu schreiben und plötzlich hatte ich keinen Grund mehr, mich bei Gott zu beschweren.


F OTO S : M I C H A E L W E B E R

Unsere Geschichte

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D 1 2 0 1 3 / Post ver triebsstück/Gebühr bezahlt/Lydia Verlag/Ger th Medien GmbH/Dillerberg 1/D -35614 Asslar-Berghausen

Mitten im Leben Mitten in das Grau des Alltags schenkst du uns die Farben des Regenbogens. Mitten in die Traurigkeit schenkst du uns das Lächeln eines Menschen. Mitten in die Mutlosigkeit schenkst du uns ein Wort des Trostes. Mitten im Winter lässt du Rosen blühen. Mitten in die Hoffnungslosigkeit bist du auferstanden. Mitten in unserem Leben bist du Glaube, Liebe, Hoffnung. Andrea Deuter


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