C.S. Lewis - Die Biografie - 9783765518065

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Leseprobe



FR E UN DS CH A FT: J . R . R . TO LK I EN Lewis’ Lehrverpflichtungen gingen über das Magdalen College hinaus. Er war Mitglied des Fachbereichs für Englische Sprache und Literatur der Universität Oxford und hielt College-übergreifende Vorlesungen zu Aspekten der englischen Literatur – zum Beispiel über «Vorläufer der romantischen Bewegung im achtzehnten Jahrhundert». Außerdem nahm er an Fachbereichssitzungen teil, auf denen meist Fragen des Lehrbetriebs und der Verwaltung zur Diskussion standen. Diese Sitzungen fanden um sechzehn Uhr statt. Anschließend gab es einen Nachmittagstee im Merton College, der Heimatbasis der beiden Merton-Professoren für Anglistik. Oft sprach man nur vom «Anglistentee». Bei einem solchen Anglistentee am 11. Mai 1926 begegnete Lewis zum ersten Mal J.R.R. Tolkien – einem «eleganten, blassen, gewandten kleinen Burschen», der im Jahr davor als Rawlinson and Bosworth Professor für Angelsächsisch an den Oxforder Anglistik-Fachbereich gekommen war. Lewis und Tolkien gerieten bald über das Curriculum ihres Lehrfachs aneinander. Tolkien war dafür, den Schwerpunkt strikt auf alte und mittelalterliche englische Texte zu legen, was die Beherrschung des Alt- und Mittelenglischen voraussetzte. Lewis dagegen fand, Anglistik sei am besten mit einem Schwerpunkt auf der englischen Literatur nach Geoffrey Chaucer (ca. 1343–1400) zu lehren. Tolkien war bereit, seine Sache zu verteidigen, und bemühte sich sehr darum, das Studium vergessener Sprachen zu fçrdern. Um seine Pläne voranzutreiben, gründete er eine Studiengruppe, die er die Kolbítar nannte. Ihr Ziel war es, die Wertschätzung der altnordischen Sprache und ihrer Literatur zu fçrdern. Lewis trat der Gruppe bei. Der eigenartige Name Kolbítar stammt aus dem Isländischen; er bedeutet wçrtlich «Kohlenbeißer». Es war ein ab· 3 ·


fälliger Ausdruck für Normannen, die nicht mit auf die Jagd oder in den Kampf ziehen wollten, sondern stattdessen lieber in ihren Häusern blieben und sich am Feuer wärmten. Nach Lewis’ Schilderung bezeichnet der Ausdruck (auf dessen korrekter Aussprache «Coal-bØet-are» er bestand) «alte Kumpane, die so dicht ums Feuer sitzen, dass es so aussieht, als würden sie in die Kohlen beißen». In diesem «kleinen isländischen Club» fand Lewis einen enormen Anreiz für seine Vorstellungskraft, der ihn zurückwarf in «einen wilden Traum von nçrdlichen Himmeln und Walkürenmusik». Die Beziehung zwischen Lewis und Tolkien ist eine der wichtigsten seines persçnlichen und beruflichen Lebens. Sie hatten viel gemeinsam, sowohl im Blick auf ihre literarischen Interessen als auch auf ihre gemeinsamen Erfahrungen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Doch erst ab Ende 1929 ist in Lewis’ Korrespondenz und Tagebuch mehr als nur gelegentlich und beiläufig von Tolkien die Rede. Zu dieser Zeit mehren sich dann die Hinweise auf eine tiefer werdende Beziehung. «In einer Woche war ich am Montag bis halb drei auf (ich unterhielt mich mit dem Angelsächsisch-Professor Tolkien, der von einer Gesellschaft mit mir zurück ins College kam und drei Stunden lang bei mir saß und über Gçtter & Riesen & Asgard redete)», schrieb Lewis an Arthur Greeves. Irgendetwas muss Lewis an jenem Abend gesagt haben, das Tolkien dazu bewegte, den jüngeren Mann in sein Vertrauen zu ziehen. Tolkien bat Lewis, eine lange Verserzählung mit dem Titel The Lay of Leithian zu lesen, an der er seit seiner Ankunft in Oxford gearbeitet hatte. Tolkien war ein führender Oxforder Akademiker mit ausgezeichnetem Ruf als Philologe, doch seine persçnliche und überaus private Leidenschaft war die Mythologie. Mit diesem Schritt hatte er die Vorhänge seines privaten innersten Wesens beiseitegezogen und Lewis in sein Heiligtum eingeladen. · 4 ·


Für den älteren der beiden Männer war dies ein persçnliches und professionelles Risiko. Lewis hätte es nicht ahnen kçnnen, aber zu diesem Zeitpunkt brauchte Tolkien einen «kritischen Freund», einen Mentor, der ihn in seinem Schreiben ermutigte und kritisierte, bestätigte und anspornte. Vor allem brauchte er jemanden, der ihn zwang, es zum Ende zu führen. Solche «kritischen Freunde» hatte er in der Vergangenheit bereits gehabt – seine beiden alten Schulfreunde Geoffrey Bache Smith (1894–1916) und Christopher Luke Wiseman (1893–1987). Doch Smith war zu den Lancashire Fusiliers gegangen und den Verwundungen erlegen, die er in der Schlacht an der Somme erlitt. Wiseman hatte sich von Tolkien entfernt, seit er 1926 Schulleiter am Queen’s College in Taunton im englischen West Country geworden war. Tolkien war ein perfektionistischer Tüftler, und das wusste er. Seine spätere Geschichte «Leaf by Niggle» (dt. «Blatt von Tüftler») – über einen Maler, der ein Gemälde von einem Baum nie zu Ende bringt, weil es ihn ständig drängt, es zu erweitern und zu verbessern – kann als kritische Selbstparodie über seine eigenen Schwierigkeiten beim Schreiben gelesen werden. Jemand musste ihm helfen, seinen Perfektionismus zu besiegen. Und in Lewis fand Tolkien genau das, was er brauchte. Wir dürfen gefahrlos annehmen, dass Tolkien einen mächtigen Seufzer der Erleichterung ausstieß, als Lewis voller Begeisterung auf das Gedicht reagierte. «Ich kann ganz ehrlich sagen», schrieb er an Tolkien, «dass es Ewigkeiten her ist, dass ich mich einen Abend lang so ergçtzt habe.» In der Erzählung dieser Geschichte müssen wir jetzt innehalten, um zu anderen Dingen überzugehen, aber es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass Lewis zum wesentlichen Geburtshelfer eines der großen literarischen Werke des zwanzigsten Jahrhunderts werden sollte – Tolkiens The Lord of the Rings (dt. Der Herr der Ringe). · 5 ·


Doch in gewisser Hinsicht sollte umgekehrt auch Tolkien für Lewis zum Geburtshelfer werden. Tolkien beseitigte das letzte Hindernis, das Lewis auf dem Weg zur Wiederentdeckung des christlichen Glaubens im Weg stand. Diese komplexe und wichtige Geschichte verlangt ein eigenes Kapitel. FFF EI N N ¾ C HTL I C HES GES PR ¾ C H M I T TO L KI E N: SE PTE M B ER 19 31 Das letzte Kapitel in Überrascht von Freude spricht in provozierender Kürze von Lewis’ Übergang vom «reinen und schlichten» Theismus zum Christentum. Lewis betont, dass diese Bekehrung nichts mit Verlangen oder Sehnsucht zu tun hatte. Der Gott, dem er sich im Trinity Term 1930 unterwarf, war «schier nichtmenschlich». Er ahnte nicht, dass es «je einen Zusammenhang zwischen Gott und der Freude gegeben hatte oder geben würde». Lewis’ Bekehrung war im Wesentlichen rational und ohne Bezug zu seiner langjährigen Faszination für die «Freude». «Es war überhaupt kein Begehren dabei im Spiel.» Insofern war seine Bekehrung zum Theismus eine rein rationale Angelegenheit. Lewis’ Rhetorik an dieser Stelle kann so verstanden werden, dass er der alten atheistischen Karikatur des Glaubens als «Wunscherfüllung» zuvorkommen wollte. Dieser Gedanke, der seinen klassischen Ausdruck in den Schriften von Sigmund Freud (1856–1939) fand, hat einen intellektuellen Stammbaum, der bis in die tiefste Vergangenheit zurückreicht. Aus dieser Sicht ist Gott ein trçstlicher Traum für die Verlierer im Leben, eine spirituelle Krücke für die Unzulänglichen und Bedürftigen. Von einer sol· 6 ·


chen Vorstellung distanziert sich Lewis. Er habe sich die Wahrheit der Existenz Gottes keineswegs gewünscht, betont er. Dazu sei ihm seine Unabhängigkeit viel zu wichtig gewesen. «Vor allen anderen Dingen hatte ich immer gewollt, dass man sich nicht in meine Angelegenheiten ‹einmischte›.» Im Endeffekt sah sich Lewis mit etwas konfrontiert, wovon er sich nicht wünschte, sondern wovon er zugeben musste, dass es wahr sei. Zwischen diesem rationalen Gott und Lewis’ Welt der Fantasie und Sehnsucht einerseits und der Person Jesu von Nazareth andererseits gab es kaum einen Zusammenhang. Wie und wann also stieß Lewis auf diese tieferen Verbindungen, die für ihn als gereiften Autor so typisch wurden? Die schlichte Antwort ist, dass Überrascht von Freude uns das eigentlich nicht verrät. Lewis beruft sich darauf, er wisse «heute am wenigsten» über diese letzte Etappe seiner spirituellen Reise «vom reinen Theismus zum Christentum» und kçnne nicht als zuverlässiger Berichterstatter darüber dienen. Was wir stattdessen vorfinden, ist eine papierne Spur aus unzusammenhängenden Gedanken und Erinnerungen. Es bleibt dem Leser überlassen, diese Gedanken und Episoden zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verbinden. Doch immerhin wird aus Lewis’ Korrespondenz deutlich, dass ein langes Gespräch entscheidend wichtig war, um ihm zum Übergang vom Glauben an Gott zur Annahme des Christentums zu verhelfen. Angesichts seiner Wichtigkeit werden wir dieses Gespräch ausführlich betrachten. Am Samstag, dem 19. September 1931, waren Hugo Dyson (1896–1975), Dozent für Anglistik an der nahe gelegenen Universität Reading, und J.R.R. Tolkien bei Lewis im Magdalen College zum Abendessen zu Gast. Dyson und Tolkien kannten sich bereits, da sie zur gleichen Zeit am Exeter College Anglistik studiert hatten. Es war ein stiller, warmer Abend. Nach dem Abendessen unternahmen sie einen ausgiebigen Spaziergang auf dem Addison’s · 7 ·


Walk, einem Rundweg auf dem College-Gelände am Fluss Cherwell entlang. Ihr Gespräch drehte sich um die Natur von Metapher und Mythos. Als Wind aufkam und die Blätter mit einem Geräusch wie von plätscherndem Regen zu Boden fallen ließ, zogen sich die drei Männer in Lewis’ Räumlichkeiten zurück und setzten ihre Diskussion fort, die sich nun aufs Christentum verlagert hatte. Gegen drei Uhr morgens schließlich empfahl sich Tolkien und machte sich auf den Heimweg. Lewis und Dyson redeten noch eine Stunde lang weiter. Dieses nächtliche Gespräch mit seinen beiden Kollegen spielte eine entscheidende Rolle für Lewis’ Entwicklung. Das Bild des Windes deutete er als Hinweis auf die geheimnisvolle Gegenwart und das Handeln Gottes. Lewis führte zwar inzwischen kein Tagebuch mehr, aber er schrieb kurz darauf zwei Briefe an Arthur Greeves, in denen er die Ereignisse dieser Nacht und ihre Bedeutung für sein Nachdenken über den religiçsen Glauben schilderte. Im ersten Brief vom 1. Oktober informierte Lewis Greeves über das Ergebnis des nächtlichen Gesprächs, ohne auf den Inhalt einzugehen: Ich bin gerade vom Glauben an Gott zu einem entschiedenen Glauben an Christus – an das Christentum – übergegangen. Ich werde ein anderes Mal versuchen, das zu erklären. Mein langes nächtliches Gespräch mit Dyson und Tolkien hatte eine Menge damit zu tun. Natürlich wollte Greeves mehr über diese faszinierende Entwicklung wissen. Eine ausführlichere Schilderung der Ereignisse des Abends gab Lewis ihm in seinem nächsten Brief vom 18. Oktober. Seine Schwierigkeit, erklärte Lewis, sei gewesen, dass er nicht habe einsehen kçnnen, «wie das Leben und der Tod eines Anderen uns · 8 ·


hier und heute helfen kçnnten». Seine Unfähigkeit, sich darauf einen Reim zu machen, hatte Lewis «seit etwa einem Jahr» zurückgehalten. Er konnte einräumen, dass Christus uns ein gutes Vorbild geben kçnnte, aber weiter ging er nicht. Ihm war klar, dass das Neue Testament eine ganz andere Sicht vertrat und dieses Ereignis mit Begriffen wie Versçhnung und Opfer beschrieb. Doch solche Ausdrücke, erklärte Lewis, wären ihm «entweder dumm oder schockierend» vorgekommen. Obwohl an dem «langen nächtlichen Gespräch» sowohl Dyson als auch Tolkien beteiligt waren, scheint es Tolkiens Ansatz gewesen zu sein, der Lewis die Tür zu einer vçllig neuen Sichtweise des christlichen Glaubens çffnete. Um zu verstehen, wie Lewis vom Theismus zum Christentum kam, müssen wir ein wenig näher auf Tolkiens Gedanken eingehen. Denn mehr als jeder andere war er es, der Lewis auf der letzten Etappe der «Reise des Verstandes zu Gott» voranhalf, wie der mittelalterliche Schriftsteller Bonaventura von Bagnoregio (1221–1274) sie nannte. Tolkien half Lewis, zu erkennen, dass das Problem nicht darin bestand, dass Lewis rational nicht in der Lage gewesen wäre, die Theorie zu verstehen, sondern dass es seiner Vorstellungskraft nicht gelang, ihre Bedeutung zu erfassen. Es hakte nicht in erster Linie bei der Wahrheit, sondern beim Sinn. In seiner Auseinandersetzung mit der christlichen Geschichte beschränkte sich Lewis auf seine Vernunft. Stattdessen hätte er sich für die tiefsten Intuitionen seiner Vorstellungskraft çffnen sollen. Tolkien argumentierte, Lewis solle ans Neue Testament mit derselben fantasievollen Offenheit und Erwartung herangehen, mit der er sich in seiner beruflichen Arbeit der Lektüre der heidnischen Mythen näherte. Doch es gab einen entscheidenden Unterschied, wie Tolkien betonte. Lewis drückte ihn in seinem zweiten Brief an Greeves so aus: «Die Geschichte Christi ist einfach ein · 9 ·


wahrer Mythos: ein Mythos, der genauso auf uns wirkt wie die anderen, aber mit dem enormen Unterschied, dass er sich wirklich zugetragen hat.» Der Leser sollte sich vergegenwärtigen, dass das Wort Mythos hier nicht im weiten Sinne eines «Märchens» oder im abwertenden Sinn einer «bewussten Lüge zum Zweck der Täuschung» gebraucht wird. So hatte zumindest Lewis Mythen einst verstanden – als «durch Silber gehauchte Lügen». In dem Gespräch zwischen Lewis und Tolkien muss der Begriff Mythos in seinem fachlichen literarischen Sinn verstanden werden, damit die Bedeutung dieses Austauschs deutlich wird. Für Tolkien ist ein Mythos eine Geschichte, die «fundamentale Dinge» vermittelt – mit anderen Worten, die uns etwas über den tieferen Aufbau der Dinge zu sagen versucht. Die besten Mythen, argumentiert er, seien keine bewusst konstruierten Erfindungen, sondern Geschichten, die von Menschen gewoben werden, um den Widerhall tieferer Wahrheiten einzufangen. Mythen bieten ein Bruchstück dieser Wahrheit, nicht ihre Gesamtheit. Sie sind wie aufgesplitterte Fragmente des wahren Lichts. Doch wenn die vollständige, wahre Geschichte erzählt wird, dann ist sie in der Lage, alles, was in diesen fragmentarischen Sichtweisen der Dinge richtig und weise war, zur Erfüllung zu bringen. Die Bedeutsamkeit des Christentums zu begreifen hatte für Tolkien Vorrang vor dessen Wahrheit. Das Christentum bot das Gesamtbild, das all diese fragmentarischen und unvollkommenen Einsichten einte und transzendierte. Es ist nicht schwer zu erkennen, wie Tolkiens Denkweise Klarheit und Zusammenhang in das Durcheinander von Gedanken brachte, das Lewis’ Verstand zu dieser Zeit in solchen Aufruhr brachte. Aus Tolkiens Sicht weckt ein Mythos in seinen Lesern eine Sehnsucht nach etwas, was außerhalb ihrer Reichweite liegt. · 10 ·


Mythen haben die innewohnende Fähigkeit, das Bewusstsein ihrer Leser auszuweiten und sie fähig zu machen, über sich selbst hinauszugehen. Im besten Fall bieten Mythen etwas, was Lewis später «wirkliche, wenn auch unscharfe Strahlen der gçttlichen Wahrheit auf das menschliche Vorstellungsvermçgen» nannte. Das Christentum ist somit nicht ein Mythos neben vielen anderen, sondern die Erfüllung aller früheren mythologischen Religionen. Das Christentum erzählt eine wahre Geschichte über die Menschheit, durch die all die Geschichten, die die Menschheit über sich selbst erzählt, erst einen Sinn ergeben. Offenkundig sprach Tolkiens Denkweise Lewis zutiefst an. Sie beantwortete eine Frage, die Lewis seit seiner Jugend umgetrieben hatte: Wie konnte es sein, dass das Christentum allein der Wahrheit entsprach, während alles andere falsch war? Jetzt begriff Lewis, dass er gar nicht behaupten musste, die großen Mythen der heidnischen Zeit seien durch und durch falsch. Stattdessen waren sie der Widerhall oder die Vorwegnahme der vollen Wahrheit, die erst im christlichen Glauben zutage trat. Das Christentum bringt unvollkommene und bruchstückhafte Einsichten über die Wirklichkeit, wie sie in der menschlichen Kultur verstreut sind, zur Erfüllung und Vervollständigung. So verschaffte Tolkien Lewis eine Linse, eine Sichtweise, die es ihm erlaubte, das Christentum als die Erfüllung der Echos und Schatten der Wahrheit zu sehen, die sich aus dem menschlichen Suchen und Sehnen ergaben. Wenn Tolkien recht hatte, dann war es nicht verwunderlich, dass es ¾hnlichkeiten zwischen dem Christentum und den heidnischen Religionen gab: «Es muss sie geben.» Ein Problem hätten wir nur, wenn es diese ¾hnlichkeiten nicht gäbe. Noch wichtiger war vielleicht, dass Tolkien es Lewis ermçglichte, die Welten der Vernunft und der Vorstellungskraft wieder miteinander zu verbinden. Es war nun nicht mehr nçtig, den Bereich · 11 ·


der Sehnsucht an den Rand zu drängen oder zu unterdrücken, wie es der «New Look» verlangte und wie Lewis fürchtete, dass der Glaube an Gott es implizieren kçnnte. Stattdessen ließ er sich – natürlich und überzeugend – in die große Erzählung der Wirklichkeit hineinweben, die Tolkien ihm vorgestellt hatte. Wie Tolkien es später ausdrückte, hatte Gott es so gewollt, dass «die Herzen der Menschen über die Welt hinausstreben und in ihr keine Ruhe finden sollten». Das Christentum, erkannte Lewis, verschaffte ihm die Mçglichkeit, die Bedeutung der Sehnsucht und des Verlangens innerhalb einer vernünftigen Wirklichkeitsauffassung zu bejahen. Gott war die wahre «Quelle …, von der aus seit meiner Kindheit all diese Pfeile der Freude auf mich abgeschossen worden waren». So wurden Vernunft und Vorstellungskraft gleichermaßen durch die christliche Sicht der Wirklichkeit bestätigt und miteinander versçhnt. Somit verhalf Tolkien Lewis zu der Erkenntnis, dass ein «vernünftiger» Glaube nicht unbedingt fantasielos und emotional verçdet sein musste. Richtig verstanden, konnte der christliche Glaube Vernunft, Sehnsucht und Vorstellungskraft zu einer Einheit verschmelzen lassen.

LE W I S’ GL AU B E A N DI E G Ö TT LI C HK E I T C HR I S TI Infolge seines Gesprächs mit Tolkien und Dyson begriff Lewis, wie das Christentum die Vorstellungskraft ansprach. Doch dies geschah nicht in der Form eines Verständnisses seiner einzelnen Elemente – etwa der zentralen Lehren der Glaubensbekenntnisse. Stattdessen lernte er die umfassende Wirklichkeitssicht schätzen, die er im christlichen Glauben fand. Dennoch ist in Lewis’ · 12 ·


Schilderung seiner Entdeckungsreise ausdrücklich davon die Rede, dass er mit Kernlehren rang, unter anderem mit der Frage der Identität Jesu von Nazareth. Wann fand dieser intellektuelle Erkundungsprozess statt? Lewis erinnerte sich an einen Prozess der intellektuellen Klärung und Kristallisierung, in dessen Verlauf die theologischen Aspekte seines Glaubens sich schließlich in seinem Denken sortierten. Seine Schilderung dieser Entwicklung in Überrascht von Freude macht deutlich, dass dieser Prozess während einer Fahrt zum Whipsnade Park Zoo seinen Abschluss fand, doch ein konkretes Datum nennt er nicht: Ich weiß noch sehr gut, wann, aber kaum, wie ich den letzten Schritt tat. Eines sonnigen Morgens wurde ich nach Whipsnade gefahren. Als wir aufbrachen, glaubte ich nicht, dass Jesus Christus der Sohn Gottes sei, und als wir den Zoo erreichten, glaubte ich es. Dabei hatte ich die Fahrt eigentlich nicht mit Denken zugebracht. Auch hier wieder sehen wir das Muster, dass Lewis eine Reise nutzt, um Dinge in seinem Verstand zu bewegen, sodass die Puzzleteile wie von selbst ohne übermäßige geistige Anstrengung seinerseits ihren Platz finden. Aber wann fand dieser «letzte Schritt» statt? Die Lewis-Biografen haben diesen «letzten Schritt» traditionell auf den 28. September 1931 datiert, an dem Warnie seinen Bruder an einem dunstigen Morgen im Beiwagen seines Motorrades zum Whipsnade Park Zoo in Bedfordshire fuhr. Heute wird es von den Lewis-Biografen als gegeben angenommen, dass dieses Datum Lewis’ Bekehrung zum Christentum markiert. Gestützt wird dies auch von Warnies Aussage, während dieses «Aus· 13 ·


fluges» 1931 habe Lewis sich entschieden, zur Kirche zurückzukehren. Wenn diese Deutung zutrifft, dann lassen sich die letzten Etappen auf Lewis’ Weg vom Glauben an Gott zur Hingabe ans Christentum folgendermaßen skizzieren: 1. 19. September 1931: Ein Gespräch mit Tolkien und Dyson führt Lewis zu der Erkenntnis, das Christentum sei ein «wahrer Mythos». 2. 28. September 1931: Lewis beginnt an die Gçttlichkeit Christi zu glauben, während er von seinem Bruder Warnie mit dem Motorrad zum Zoo von Whipsnade gefahren wird. 3. 1. Oktober 1931: Lewis schreibt Arthur Greeves, er sei vom Glauben an Gott zum Glauben an Christus «übergegangen». Folgt man diesem Szenario, so ging Lewis’ Bekehrung zum Christentum recht schnell vonstatten. Die entscheidenden Stationen passierte er in einer Spanne von zehn Tagen (19.–28. September 1931). Dies ist das traditionelle Verständnis der allmählichen Wiederentdeckung des Christentums durch Lewis, und es fügt sich gut in das Bild, das sich aus seinen Schriften ergibt. Lewis bekam durch sein Gespräch mit Tolkien und Dyson eine Ahnung von dem imaginativen Potenzial der christlichen Geschichte. Fragen, die ihn seit langer Zeit umtrieben, erschienen in einem neuen Licht. Nachdem er die «imaginative Umarmung» des Christentums erlebt hatte, begann Lewis dessen Landschaft rational zu erkunden. Erst wurde seine Vorstellungskraft durch die Bilder und Geschichten des Christentums gepackt, dann folgte die rationale Durchleuchtung seiner Lehren. Wie schon oft bemerkt wurde, nimmt für Lewis die Theorie den zweiten Rang hinter der Wirklichkeit ein – sie ist eine intel· 14 ·


lektuelle Reflexion, die stattfindet, nachdem etwas vor allem durch die Vorstellungskraft wahrgenommen oder erfahren wurde. Lewis erfasste die Wirklichkeit des Christentums durch seine Vorstellungskraft und versuchte dann, sich auf das, was seine Vorstellungskraft erfasst und aufgenommen hatte, einen rationalen Reim zu machen. Nach traditioneller Darstellung war dieser Prozess innerhalb von zehn Tagen im Wesentlichen abgeschlossen. Doch Lewis’ Korrespondenz legt nahe, dass der Prozess sich doch etwas langwieriger und komplexer gestaltete und wohl eher Monate als Tage dauerte. Wie sicher kçnnen wir also sein, dass Lewis im September 1931 auf dem Weg zum Zoo in Whipsnade seine christologische Einsicht hatte? Traditionell wird angenommen, dass sich Lewis’ Schilderung dieses bedeutsamen Besuchs im Zoo von Whipsnade in Überrascht von Freude auf den 28. September 1931 bezieht. Dass Warnie an jenem Tag mit seinem Bruder im Beiwagen nach Whipsnade fuhr, steht außer Frage. Aber war dies auch der Tag, an dem sich Lewis’ Ansicht über Christus klärte? Es ist wichtig zu beachten, dass in Überrascht von Freude von Warnie, von einem Motorrad, vom September und von 1931 keine Rede ist. Weiter ist erwähnenswert, dass Lewis kurz nach diesem Ausflug einen langen Brief an seinen Bruder schrieb, in dem er kurz auf ihren Tag in Whipsnade anspielte – ohne jedoch ein Wort über einen religiçsen Wandel oder ein bedeutsames theologisches Umdenken seinerseits zu verlieren. Eine genauere Untersuchung der Erinnerungen Warnies an jenen Tag im September 1931 gibt Anlass zu weiteren Zweifeln hinsichtlich der traditionellen Interpretation. Warnies Überlegungen zu diesem Tag beruhen offensichtlich nicht auf persçnlichen Mitteilungen seines Bruders, sondern er selbst stellt die Verbindung zwischen diesem Ausflug und der Schilderung in · 15 ·


Überrascht von Freude her. Was manche als Warnies Erinnerung an ein Gespräch mit Lewis gedeutet haben, ist offenbar lediglich Warnies spätere Interpretation eines Ereignisses. Und wie wir sehen werden, wirft diese Interpretation einige Fragen auf. Kçnnte Lewis nicht bei einer anderen Gelegenheit ebenfalls nach Whipsnade gefahren worden sein, als Warnie nicht dabei war? Kçnnte in diesem Fall nicht dies der Moment seiner theologischen Erkenntnis gewesen sein? Lewis’ Schilderung jenes denkwürdigen Tages im Zoo von Whipsnade in Überrascht von Freude enthält eine lyrische Passage, in der von «den singenden Vçgeln über dem Kopf und den Glockenblumen unter den Füßen» die Rede ist und in der Lewis anmerkt, diese Szenerie im «Wallaby Wood» sei seither durch Umbaumaßnahmen im Zoo verschandelt worden. Allerdings blüht die englische Glockenblume (Hyancinthoides non-scripta) von Ende April bis Ende Mai (je nach Wetter), und ihre Blätter verwelken und verschwinden bis zum Spätsommer. In Whipsnade blühen die Glockenblumen länger als anderswo, was auf das etwas kühlere Klima auf den Hügeln zurückzuführen ist, auf denen sich der Zoo befindet. Im September freilich wäre von «Glockenblumen unter den Füßen» auch in Whipsnade nichts mehr zu sehen gewesen. Im Mai und Anfang Juni dagegen hätten sie dort reichlich geblüht. Vielleicht ist die Bedeutung dieses Umstands bisher übersehen worden, oder man verwechselte die englische Glockenblume (bluebell) mit ihrem schottischen Gegenstück (Campanula rotundifolia, in England als harebell bekannt), die auch im September noch blüht. Lewis’ «paradiesische» Erinnerung an die Vçgel und Glockenblumen im Zoo in Überrascht von Freude geht offensichtlich nicht auf einen Tag im Frühherbst, sondern im späten Frühjahr oder Frühsommer zurück. · 16 ·


Es ist gut mçglich, dass die Glockenblumen für Lewis deshalb so eindrücklich waren, weil sie symbolisch mit seinem Erleuchtungsmoment zusammenhingen – schließlich sagte Lewis ja selbst von sich, er sei lange Zeit ein andächtiger «Verehrer der Blauen Blume» gewesen. Das Motiv der «Blauen Blume» in der deutschen Romantik hat komplexe historische Wurzeln. Zum ersten Mal tauchte es in Novalis’ posthum erschienenem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen (1802) auf. Die Blaue Blume wurde zu einem Symbol für die Sehnsucht nach der schwer zu greifenden Versçhnung von Vernunft und Vorstellungskraft, zwischen der beobachteten Welt außerhalb des Geistes und der subjektiven Welt im Innern. Als Inspiration für dieses Symbol wird oft die leuchtend blaue europäische Kornblume genannt. Es lässt sich aber auch leicht auf Glockenblumen übertragen. Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass diese «Blaue Blume»-Passage in Überrascht von Freude sich nicht auf den Herbst 1931, sondern auf einen zweiten Besuch in Whipsnade in der ersten Juniwoche 1932 bezieht. Auch da wurde Lewis zum Zoo gefahren – diesmal jedoch im Auto von Edward Foord-Kelcey (1859–1934) an einem «schçnen Montag». Am 14. Juni, kurz nach diesem Ausflug, schrieb Lewis seinem Bruder und erwähnte dabei ausdrücklich die «Massen von Glockenblumen» im «Wallaby Wood». Die Formulierungen in diesem Abschnitt des Briefes haben viel ¾hnlichkeit mit der entscheidenden Passage in Überrascht von Freude. Kçnnte es sein, dass Lewis zu diesem späteren Datum schließlich zum Glauben an die Inkarnation kam, vielleicht als Gipfelpunkt seiner intellektuellen Erkundung des christlichen Glaubens? Wenn ja, so würde dies deutlich für ein vertieftes Verständnis seines Glaubens von innen her sprechen, da Lewis sich zu dieser Zeit klar als Christ zu erkennen gegeben hatte. Damit · 17 ·


wäre eine weitere Revision der traditionellen Chronologie der Ereignisse erforderlich: 1. 19. September 1931: Ein Gespräch mit Tolkien und Dyson führt Lewis zu der Erkenntnis, das Christentum sei ein «wahrer Mythos». 2. 1. Oktober 1931: Lewis schreibt Arthur Greeves, er sei vom Glauben an Gott zum Glauben an Christus «übergegangen». 3. 7. (?) Juni 1932: Lewis beginnt an die Gçttlichkeit Christi zu glauben, während er von Edward Foord-Kelcey mit einem Auto zum Zoo von Whipsnade gefahren wird. Fügte also Lewis’ rastlos forschender Geist schon im September 1931 während einer Fahrt zum Zoo von Whipsnade alle Puzzleteile zusammen, nur etwa eine Woche nach seinem Gespräch mit Tolkien? Oder dauerte der Prozess der Reflexion und Kristallisation länger und fand erst während eines späteren Ausflugs nach Whipsnade im Juni 1932 seinen Abschluss? Lewis’ Brief an Greeves vom 1. Oktober 1931, in dem er erwähnt, er sei jetzt zu einem «entschiedenen Glauben an Christus übergegangen», kçnnte sicherlich auch als gerade erst aufkeimende Erkenntnis der Bedeutung Christi gedeutet werden, die noch weiterer Erkundung und Formulierung bedurfte, bis sie im Juni 1932 ihren Gipfel erreichte. Doch seine Korrespondenz aus diesem späteren Zeitraum – einschließlich des Briefes an Warnie vom 14. Juni – enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine solche Entwicklung. Auch kçnnen wir nicht die Mçglichkeit ausschließen, dass Lewis einzelne Aspekte dieser beiden Besuche in Whipsnade verwechselt haben kçnnte, als er Überrascht von Freude schrieb. Vielleicht verschmolzen die Bilder und Motive beider Besuche sogar in seiner Erinnerung miteinander. Bei welchem der beiden Besuche fand also der · 18 ·


Moment der Erleuchtung tatsächlich statt? Dass Lewis im Blick auf Daten nicht immer ein verlässlicher Informant ist, haben wir bereits bemerkt. Es ist mçglich, dass die Schilderung in Überrascht von Freude die Grenzen zwischen einander ähnelnden Ereignissen verwischt. Hier, wie so oft in diesem an unbeantworteten Fragen reichen Werk, wünschen wir uns mehr Informationen, müssen aber mit dem arbeiten, was wir haben. Gegenwärtig dürfte es die beste Lçsung sein, das traditionelle Datum für Lewis’ Bekehrung zum Christentum – September 1931 – stehen zu lassen und zugleich die damit verbundenen Zweideutigkeiten und Ungewissheiten zur Kenntnis zu nehmen. Lewis’ Brief an Greeves vom 1. Oktober 1931 ergibt am meisten Sinn, wenn der entscheidende christologische Schritt bereits getan wurde, auch wenn sich die volle Entfaltung und Erkundung dieser Einsicht bis ins folgende Jahr hinzog. Doch wann Lewis seine Einsicht auch gehabt haben mag, wir müssen sie als Abschluss eines längeren Prozesses der Reflexion und Verarbeitung sehen, der sich über mehrere Etappen erstreckte. Wir kçnnen nicht einen einzigen Moment – wie etwa diesen – als definitiven Zeitpunkt der «Bekehrung» Lewis’ zum Christentum festnageln. Stattdessen kçnnen wir eine aufsteigende Kurve der Reflexion nachzeichnen, auf der das Gespräch mit Tolkien eine entscheidende imaginative Wegmarke darstellt, deren logische Konsequenz dann während des Ausflugs nach Whipsnade folgte. Ein Punkt auf dieser aufsteigenden Kurve der Hingabe ans Christentum verdient besondere Erwähnung. Am Weihnachtstag 1931 nahm Lewis in der Holy Trinity Church in Headington Quarry erstmals seit seiner Kindheit an einer Kommunionsfeier teil. In einem langen Brief an seinen Bruder erwähnt Lewis kurz, · 19 ·


aber ausdrücklich, er habe an jenem Tag an der «Frühfeier» seiner Pfarrkirche teilgenommen – mit anderen Worten, an einer Kommunionsfeier. Angesichts der Traditionen jener Zeit in der Church of England dürfte Lewis nicht daran gezweifelt haben, dass sein Bruder die Bedeutung dieser Entwicklung verstehen würde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lewis die «Matins» besucht, einen «Wortgottesdienst», und oftmals die Kirche – sehr zum ¾rger des Pfarrers Wilfrid Thomas – während des letzten Chorals verlassen, bevor der Gottesdienst richtig beendet war. Doch Lewis war klar, dass an den Matins jeder teilnehmen konnte, die Kommunion aber den entschiedenen Christen vorbehalten war. Indem er seinem Bruder mitteilte, er habe sich entschlossen, an einer Kommunionsfeier teilzunehmen, wollte er ihn wissen lassen, dass er auf seinem Glaubensweg einen entscheidenden Schritt getan hatte. Was Lewis nicht wusste, war, dass Warnie einen ähnlichen Glaubensweg gegangen war und in der Bubbling Well Chapel in Schanghai zum ersten Mal seit seiner Kindheit die Kommunion empfangen hatte – ebenfalls am Weihnachtstag 1931. Somit hatten die beiden Brüder, ohne es voneinander zu wissen, sich am selben Tag çffentlich zum christlichen Glauben bekannt. Letzten Endes ist das genaue Datum von Lewis’ Bekehrung zum Christentum nicht so sehr von Belang wie die Konsequenzen, die sie für sein weiteres schriftstellerisches Schaffen hatte. Immerhin hätte seine Bekehrung ja auch ein rein innerliches Ereignis bleiben kçnnen – wichtig für Lewis, aber ohne erkennbare Auswirkungen auf sein literarisches Werk. T.S. Eliot zum Beispiel wurde 1927 Christ und erregte damit in der Öffentlichkeit viel Aufsehen. Trotzdem waren seine späteren Schriften nach Ansicht vieler nicht so stark von seiner Bekehrung geprägt, wie man hätte erwarten kçnnen. · 20 ·


Bei Lewis ist das anders. Er scheint von Anfang an erkannt zu haben, dass das Christentum, wenn es die Wahrheit war, die intellektuellen und imaginativen Rätsel auflçste, die ihn seit seiner Jugend umgetrieben hatten. Der «Vertrag mit der Wirklichkeit», den er als junger Mann geschlossen hatte, war sein Versuch gewesen, einer chaotischen Welt eine willkürliche (wenn auch praktische) Ordnung aufzuzwingen. Jetzt dämmerte ihm, dass es eine tiefere Ordnung gab, die im Wesen Gottes gründete und die man erkennen konnte – und die, wenn man sie einmal begriffen hatte, der Kultur, der Geschichte, der Wissenschaft und vor allem den literarischen Schçpfungen, die er so hoch schätzte und sein Leben lang studierte, ihren Sinn gab. Lewis neu gefundener Glaube ließ ihn nicht nur mit einem neuen Verständnis an seine Lektüre herangehen; er gab ihm auch Motivation und einen theoretischen Unterbau für seine eigenen literarischen Schçpfungen. Am besten zeigt sich das in seinem Spätwerk Till We Have Faces (1956; dt. Du selbst bist die Antwort), aber auch in den Chroniken von Narnia ist es offensichtlich. Es ist schlicht nicht mçglich, Lewis’ Wirken als Gelehrter und Schriftsteller zu verstehen, ohne die Ordnungsprinzipien seiner inneren Welt zu begreifen, die sich – nach einer Phase des Aufkeimens und der Reflexion – im Frühherbst 1931 herausbildeten und ihre endgültige Synthese schließlich im Sommer 1932 erreichten. Als Lewis zu einem Urlaub bei Arthur Greeves vom 15. bis 29. August 1932 aufbrach, war er so weit, dass er seine neue und im Wesentlichen komplette Sicht des christlichen Glaubens in dem Werk darlegen konnte, das später als The Pilgrim’s Regress (dt. Das Schloss und die Insel) erschien. Auch wenn Lewis sich weiterhin mit der Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Vorstellungskraft im Bereich des Glaubens beschäftigen würde, war sein Verständnis des Christentums nun in seinen Grundzügen gefestigt. · 21 ·


In diesem Kapitel sind wir der Bahn der komplexen und langwierigen Bekehrung Lewis’ zum christlichen Glauben gefolgt und haben dabei Einwände gegen einige traditionelle Datierungen und Deutungen dieser Entwicklung erhoben. Wir sollten es jedoch vermeiden, Lewis’ Bekehrung als repräsentativ oder typisch darzustellen. Wie Lewis später selbst anmerkte, war sein persçnlicher Weg zum Glauben einer, der «nur sehr selten beschritten wird» und keinesfalls als normativ gelten konnte. Er stellt seine Bekehrungsgeschichte als eine im Wesentlichen private Angelegenheit dar, gekennzeichnet von Understatement und sorgfältiger Vermeidung irgendwelcher dramatischer Gesten oder Aussagen. Doch nach und nach sollte Lewis’ Glaube weithin sichtbar an die Öffentlichkeit treten, wie wir sehen werden, wenn wir uns mit seiner Rolle als Apologet in der Zeit des Zweiten Weltkrieges beschäftigen. Aber zunächst ist noch viel zu Lewis als Oxforder Don zu sagen, vor allem zu seiner Herangehensweise an die Literatur. Diesem Thema wenden wir uns im nächsten Kapitel zu.

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Alister McGrath C.S. Lewis – Die Biographie 496 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag 16 x 23,5 cm ISBN: 978-3-7655-1806-5 Bestell-Nr.: 191806 € 24,99 (D) / € 25,70 (A) / SFr 36,80* *unverb. Preisempf.

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Die grandiose neue C.S. Lewis-Biographie


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