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BESCHWERDEVERFAHREN Verpflichtende Hinweisge- bersysteme
Sowohl das am 11. Juni 2021 im Bundestag verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, als auch die von Deutschland noch bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umzusetzende
Whistleblower-Richtlinie, regeln die unternehmensinterne Einführung eines Beschwerdeverfahrens.
Das neue deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sieht in § 8 die Einrichtung eines angemessenen unternehmensinternen Beschwerdeverfahren vor. Dieses soll Personen ermöglichen auf menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken sowie auf Verletzungen menschenrechtlicher oder umweltbezogener Pflichten hinzuweisen, die durch das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich oder eines unmittelbaren Zulieferers entstanden sind. Der Eingang eines Hinweises ist den Hinweisgebern dabei zu bestätigen und der Sachverhalt mit den Hinweisgebern zu erörtern. Die von dem Unternehmen mit der Durchführung des Verfahrens betrauten Personen müssen Gewähr für unparteiisches Handeln bieten, insbesondere müssen sie unabhängig und an Weisungen nicht gebunden sein. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Weiter müssen in geeigneter Weise klare und verständliche Informationen zur Erreichbarkeit und Zuständigkeit und zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens öffentlich zugänglich sein. Das Beschwerdeverfahren muss für potenzielle Nutzer zugänglich sein, die Vertraulichkeit der Identität wahren und wirksamen Schutz vor Benachteiligung oder Bestrafung aufgrund einer Beschwerde gewährleisten. Auch wenn das neue LkSG erst zum 01.01.2023 in Kraft tritt und zunächst nur für große Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten gilt (ab 01.01.2024 dann auch für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten), wird die Pflicht zur Einführung eines Hinweisgebersystems auch für Unternehmen mit weniger Beschäftigten durch die noch umzusetzende Whistleblower-Richtlinie viel schneller kommen.
Bereits am 7. Oktober 2019 hat die EU die „Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (kurz: Whistleblower-Richtlinie) verabschiedet (siehe MASCHE 02/2019). Damit wurden erstmalig EU-weit umfassende gesetzliche Mindestanforderungen zum Schutz von Hinweisgebern („Whistleblowern“) eingeführt. Hierzu zählen insbesondere das Verbot von Repressalien (Kündigung, Herabstufung, negative Leistungsbeurteilung etc.) gegenüber Hinweisgebern, die bestimmte Rechtsverstöße melden oder offenlegen sowie die Pflicht zur Einrichtung von internen Meldekanälen und -verfahren (Hinweisgebersysteme) für Unternehmen und andere juristische Personen des Privatrechts ab 50 Mitarbeitern. Auch wenn in Deutschland bislang nur den Entwurf eines „Gesetz zum Schutz hinweisgebender Personen (Hinweisgeberschutzgesetz - HinSchG)“ vorliegt, ist der deutsche Gesetzgeber weiterhin gehalten die Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 umzusetzen. Für kleinere Unternehmen von 50-249 Mitarbeitern gilt eine Übergangsfrist bis 2023. Damit ist es für alle Firmen mit mehr ab 50 Mitarbeitern – und insbesondere für die Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern- notwendig, sich mit dem Thema Hinweisgebersysteme zeitnah auseinanderzusetzen.
Der Gesamtverband textil+mode hat bereits unterstützend für die Mitgliedsfirmen mit einem großen Anbieter von elektronischen Hinweisgebersystemen, Sonderkonditionen ausgehandelt. Die Systeme und Konditionen wird GESAMTMASCHE im zweiten Halbjahr im Rahmen eines Seminars vorstellen.
RA Kai-Uwe Götz, goetz@gesamtmasche.de
Baumwolle aus Usbekistan
Noch wenig beachtet von Europas Textilbranche erlebt Usbekistan eine kleine Revolution. Die Produktion ist modern, und Kinder- und Zwangsarbeit auf den Baumwollfeldern sind verschwunden. Der Boykottaufruf der Cotton Campaign gegen das Land besteht dennoch fort. Die Aktivisten sollten die Reformen loben, statt sie zu torpedieren.
Usbekistan ist der sechstgrößte Baumwollproduzent der Welt. Ein Runder Tisch aus Vertretern des Auswärtigen Amts, des Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundesentwicklungsministeriums und der Wirtschaft ist sich einig: Die Arbeitsbedingungen in der Baumwollernte und Baumwollproduktion entsprechen internationalen Standards. Das Urteil der hochrangigen Experten fällt einhellig aus: Schluss mit dem Boykott der Cotton Campaign.
ILO: „Kinder- und Zwangsarbeit gibt es nicht mehr“
Die ILO bestätigt enorme Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen. Die EU-Kommission hat Usbekistan kürzlich nach intensiven Prüfungen sogar ganz besondere Fortschritte im Umwelt- und Sozialbereich bescheinigt und die Anstrengungen mit zollfreiem Marktzugang belohnt. Gleich mehrere Bundesministerien befürworten daher ausdrücklich, dass die US-amerikanische Cotton Campaign ihren Boykottaufruf fallen lässt. Wegen der Erntemethoden in früheren Jahren rief die Cotton Campaign 2003 zum Boykott
usbekischer Baumwollprodukte auf. Damals schlossen ganze Schulen und Universitäten für mehrere Wochen im Herbst ihre Türen. Gemeinsam fuhren Lehrkräfte, Schüler und Studenten aufs Land zur Baumwollernte. Doch seit dem Ende der Ära Karimov 2016 hat sich politisch viel getan. Die Reformen zu Demokratie und Marktwirtschaft, die der neue Präsident Shawkat Mirsijojew vollzogen hat, gelten als die umfassendsten seit dem Ende der Sowjetunion. Dennoch gibt es weltweit immer noch 330 Unterzeichner der von der Kampagne initiierten „Cotton Pledge“. Auf deren Liste stehen neben zahlreichen US-amerikanischen Verbänden auch große, einflussreiche Labels, darunter adidas, PVH, VF Corporation und Inditex. „Das Jahr ILO wirbt für Handel und Investitionen 2020 war ein besonderes. Es gab keine KinderarDie ILO führt als unabhängige UN-Organisation seit 2013 Monitorings in Usbekistan beit und praktisch keine Zwangs- durch, seit 2015 mit besonderer Prüfung arbeit mehr in Usbekistan. Die von Kinder- und Zwangsarbeit. Der internationale Gemeinschaft sollte Däne Jonas Astrup ist Chief Technical die Reformen in Usbekistan Advisor der ILO in Taschkent. „Das Jahr 2020 war ein besonderes. Es gab unterstützen.“ keine Kinderarbeit und praktisch keine Zwangsarbeit mehr in Usbekistan“, unter-
Jonas Astrup, Chief Technical Advisor der ILO in Taschkent
streicht der Experte. Zu diesem Ergebnis kommt die ILO nach einer gründlichen Prüfung: 9.000 Interviews führten die 70 geschulten, unabhängigen Männer und Frauen durch, mit denen die ILO seit mehr als zwei Jahren arbeitet.
Die ILO ist überzeugt, dass Handel und Investitionsentscheidungen von verantwortlich handelnden, internationalen Firmen dazu beitragen werden, das Erbe der alten, zentralistischen Wirtschaft endgültig abzulegen und internationale Arbeitsstandards weiter einzuhalten. Deshalb will die ILO internationale Firmen unterstützen, die Geschäfte in Usbekistan anbahnen wollen, sie zu informieren und beraten.
GPS+ und BCI erleichtern die nachhaltige Beschaffung
Gute Aussichten für Importe aus Usbekistan in die EU: Durch die kürzlich beschlossenen Sonderpräferenzen GSP+ gelten Nullzölle für usbekische Ware. Gleichzeitig treibt Usbekistan seit Jahren die Zertifizierung seiner Baumwolle voran. Internationale und nationale Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, so auch die GIZ, begleiten die Anstrengungen vor Ort mit praktischer und finanzieller Hilfe.
Beliebtes Investitionsziel
Für 2021 erwartet Usbekistan einen Zufluss ausländischer Direktinvestitionen (inklusive direkt vergebener Kredite) in Höhe von 7,7 Milliarden US-Dollar. Davon entfällt ein knappes Fünftel auf China. Chinesische Firmen zählen seit vielen Jahren zu den Hauptinvestoren in Usbekistan. Auch Investoren aus Russland, Südkorea, der Türkei, einigen arabischen Ländern und Indien drängen mit neuen Projekten auf den Markt. Chinesische Investoren sind mit über 300 Millionen US-Dollar an drei Dutzend usbekischen Textil- und Bekleidungsbetrieben beteiligt. Derzeit sind zwei Großprojekte in den Bereichen Baumwolle und Seide in der Region Taschkent in der Planung. Chinesische Investoren wollen dafür mehrere Hundert Millionen US-Dollar bereitstellen.
„Als ich ein Kind war, habe ich wegen der Baumwollernte leider viele Schulstunden verpasst. Heute, dank der Reformen, kann meine Tochter ohne Unterbrechungen zur Schule gehen und eine gute Ausbildung bekommen.“
Dilshoda Shodmonova aus Chirchiq, Provinz Taschkent, im ILO-Interview
Schon bei der Baumwollernte 2018 blieben Schüler und Lehrer in den Schulen, die Universitäten setzten ihren Lehrbetrieb fort. Der Bildungsminister selbst überzeugte sich davon mit unangekündigten Besuchen auf den Baumwollfeldern. Inzwischen arbeiten praktisch nur noch bezahlte Erntehelfer auf den Feldern - 96 Prozent, wie der Vertreter der ILO feststellte. Vereinzelt, bei den restlichen vier Prozent der Erntehelfer, gab es Bezahlung, allerdings auch die Androhung von Konsequenzen (Schadenersatz), wenn die vereinbarte Erntehilfe verweigert würde.
Kontakt bei Gesamtmasche: Silvia Jungbauer I Tel.: +49 711 5052841-1 I jungbauer@gesamtmasche.de