GewandhausMAGAZIN Nr. 90
KURT MASUR hat weit mehr als nur eine Spur hinterlassen
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Frühjahr 2016
EUR 6,00
8. – 20. Mai
2016
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NotizeN es sind wahrhaftig Kurt Masurs Schuhabdrücke, die auf unserem Titel abgebildet sind. Die Geschichte, die sich darum rankt, hat auch mit der Frage nach Wahrhaftigkeit zu tun: Am 22. September 1979 fand auf der Baustelle des Neuen Gewandhauses das erste »Konzert« statt. Blechbläser des Gewandhausorchesters spielten, und ihr Chef stellte sich mit beiden Schuhen in die noch nicht ausgehärtete Betonplatte, mit der der künftige Platz des Dirigentenpodests markiert war. Mit breitem Grinsen hob Masur beide Arme in die Höhe – die Auslöser der Fotoapparate klickten, die Filmkamera surrte. Als »erster Schritt aufs zukünftige Podium« ging der Moment in die Publikationen ein.
wurde das Ganze ein halbes Jahr später für Film und Presse nachgestellt. Nach Aushärtung der beiden Betonplatten bekam Masur die mit dem Abdruck vom linken Schuh mit nach Hause, wo sie einen Platz in der Garage fand; der Abdruck vom rechten Schuh blieb beim Gewandhaus.
es sind jedoch zwei andere Schuhabdrücke, die auf unserem Titel zu sehen sind: Am 15. März 1979 gab es eine Baustellenbegehung mit dem Gewandhauskapellmeister. Sie war offiziell angekündigt, und so hatten die Bauleute alles vorbereiten können für Masurs »ersten Schritt aufs zukünftige Podium«. Weil aber einzig die Gewandhausfotografin Barbara Stroff an diesem Märztag dabei war und den historischen Moment festhielt,
es sind die Fragen nach der Wahrhaftigkeit des Musizierens, nach dem Wahrheitsgehalt der Musik, die Masur sein Berufsleben lang begleiteten. 2006 zitierte er bei einem Podiumsgespräch im Gewandhaus (siehe Seiten 50 ff.) zwei Musikerinnen der New Yorker Philharmoniker: »Was wir an Masur lieben: Er beantwortet jede Frage direkt mit seiner nackten Wahrheit und ist nie diplomatisch.« Und Masur fügte hinzu: »In der Kunst gilt nichts anderes. Wenn wir nur höflich miteinander reden, können wir die Wahrheit in der Musik nicht finden.« Umso gespannter wird zu verfolgen sein, wie sich in Leipzig das Gedenken an Kurt Masur fortan gestalten wird: ob mit Verklärung oder – ganz in seinem Sinne – mit Wahrhaftigkeit. Claudius Böhm
»Der erste Schritt aufs Podium«: März 1979
Nochmals »der erste Schritt«: September 1979
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Mensch & Musik 4 Kein Zweifel an der Berufswahl: Jürgen Schubert, Kana Akasaka und Edgar Heßke 6 Konzert für die Kammerorgel: Michael Schönheit 6 Keine gewöhnliche Debüt-CD: Sebastian Heindl 7 Künstlernähe dank Sponsorenklub: Görge Scheid
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LÜGeNLiBRettiStiK Die Anfänge der »Patriotischen Musikfreunde gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pamugida) waren unscheinbar: Bei Facebook riefen lediglich einzelne »besorgte Hörer« zum Boykott von Mozarts »Türkischem Marsch« auf. Doch mit wachsendem Erfolg wurde die Bewegung immer selbstsicherer: Demonstranten forderten, das Ballett solle vollständig auf die Pose »Arabesque« verzichten, weil diese der Islamisierung Vorschub leiste. Opern- und Konzertbesucher wurden als »Volksverräter« beschimpft, weil sie sich Werke wie »Scheherazade«, »Der Türke in Italien« oder die »Polowetzer Tänze« anhören wollten. Und als der muslimische Bassa in Mozarts »Die Entführung aus dem Serail« die Begnadigung der Serailflüchtlinge aussprach, riefen zahlreiche Zuschauer laut: »Lügenlibrettistik!« Dieser Protest führte allerdings zu einer allgemeinen Verwirrung, weil die Künstler auf der Bühne nur »Lischnlübreddisdik« verstanden – ein umsichtiger Requisiteur glaubte sogar, es würde dringend eine Liege benötigt, und brachte ein Feldbett in den Zuschauerraum. Dann kam es zu den Gewalttaten am Kölner Hauptbahnhof, und die Pamugidas entdeckten ihr Herz für die Oper: »So sieht’s doch aus«, schallte es aus dem Zuschauerraum, als Monostatos sich der schlafenden Pamina näherte oder als Otello Desdemona erwürgte. Die Pamugidas wurden nicht nur zu Abonnenten, sondern auch zu Experten, die den Migrationshintergrund jeder Opernfigur, jedes Instruments und jeder musikalischen Verzierung kannten. Auch im Konzert gefielen sich die neuen Abonnenten nun in lauten Zwischenrufen wie: »Siehste! Das wird man ja wohl noch komponieren dürfen!«, wenn eine Tonleiter ungewöhnlich verteilte Halbtonschritte aufwies. Intendanten, die verzweifelt ob ihrer neuen Fans in den Kulturministerien um Hilfe baten, stießen dort allerdings auf taube Ohren. Man sei froh, hieß es, dass die Leute von der Straße weg seien. Ann-Christine Mecke 11. April, Gewandhaus: Yefim Bronfman spielt Schumanns »Arabeske«.
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8 Die Bostoner Sinfoniker: 101 Musiker gehören heute dem BSO an, das unangefochten zu Amerikas »Big Five« zählt und gerade seine 135. Saison bestreitet. – Ein detailliertes Porträt des Orchesters aus aktuellem Anlass
16 Die Leipziger einflüsse: Nahezu 40 Jahre dauerte die »deutsche Periode« des Boston Symphony Orchestra. Schon dessen allererster Chefdirigent war ein Kind der Leipziger Schule. – Erkundung einer einseitigen Beziehung
20 Die ersten aus Amerika: Bostons Sinfoniker kommen jetzt zum ersten Mal nach Leipzig. Die Kollegen von der Konkurrenz waren 86 Jahre eher da: Im Mai 1930 gaben sich New Yorks Philharmoniker die Ehre. – Ein Rückblick
interview 26 tobias Haupt: Der Vorstandsvorsitzende des Gewandhausorchesters bekennt, »das war keine komfortable Situation«, und meint damit die geheime Suche nach einem neuen Gewandhauskapellmeister. – Ein Gespräch mit dem Geiger über die Ära Riccardo Chailly, über »Gottdirigenten« und über eine Hoffnung, die er nicht haben will
Musikstadt heute 30 Die Stunde danach: Was tun Musiker unmittelbar nach ihrem Auftritt, wie bauen sie die Spannung ab? – Sieben Stichproben, fünf in Leipzig, zwei in Dresden
34 Leipzig – eine Musikstadt? Drei Fragen an den Liedermacher Gerhard Schöne
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Gewandhaus gestern 46 Kurt Masur: 1946 kam er als Student nach Leipzig. 1953 wurde er hier für zwei Jahre Theater- und 1970 für 26 Jahre Gewandhauskapellmeister. – Ein Nachruf
50 »ehrenhausherr«: Vor zehn Jahren war Kurt Masur Gast einer »Begegnung im Gewandhaus«. Begrüßt wurde er nicht nur als Ehrenmitglied und Ehrendirigent des Gewandhausorchesters. – Eine Dokumentation des Podiumsgesprächs
8 Heimspiel: Das BSO mit Andris Nelsons in der Boston Symphony Hall
56 Adolph emil Wendler: Der Leipziger Jurist war von 1849 bis zu seinem Tod 1892 Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion. 1853 schrieb er an William Sterndale Bennett: Wollen Sie schnell mal Gewandhauskapellmeister werden? – Eine Erinnerung und ein Brief
Kunst et cetera 36 Foto-Magazin: Orgelstunde im Gewandhaus 42 Musik im Bild: »Das Paradiesgärtlein« 66 Weitwinkel: Ausgewählte Kulturtipps
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Kolumnen
Tobias Haupt: »Wir konnten mit dem Namen Nelsons nicht offensiv umgehen«
14 Die CD-Kolumne: Beispielhaftes aus Boston 40 Die Literaturkolumne: Ohren für Orgeln und Sibelius 64 Die illustrierte Kolumne: Neulich im Konzert
Rubriken 58 60 61 68
Rätsel-Magazin: Wer hat das fiktive Interview gegeben? Impressum & Briefe an die Redaktion Kalender: Gewandhausorchester-Konzerte im Frühjahr Fünfzig Hefte später: Lothar Petrausch
50 Kurt Masur: »Ich war ein Träumer, dessen Träume oft in Erfüllung gegangen sind«
Titelfoto: Barbara Stroff
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So Wie eR eS MAG »Drei Kapellmeister: Masur, Blomstedt, Chailly« – so die spontane Antwort auf die Frage, wie Michael Schönheit seine nunmehr 30-jährige Dienstzeit am Gewandhaus in drei Worten beschreiben würde. Es ist charakteristisch, dass der dienstälteste und einzige festangestellte Konzertorganist Deutschlands sich zuerst im Bezug zu den anderen Musikern des Hauses sieht. Denn die Orgel ist für den 54-Jährigen immer auch ein Orchesterinstrument.
Aus dieser Haltung heraus entstand sein Wunsch nach einer mobilen mehrteiligen Kammerorgel für das Gewandhaus, die sowohl im Großen Saal als auch in Teilen im Mendelssohn-Saal eingesetzt werden kann – und deren Klangqualität der des Orchesters gerecht wird. »Vor allem in der Barockmusik, wo es ja neben dem Continuospiel auch obligate Orgelpartien gibt, ist die Nähe zwischen Orgel und Orchester unverzichtbar. Mit einer einfachen Truhenorgel, wie wir sie bisher einsetzen, ist diese zwar räumlich umsetzbar, aber nicht klanglich.« Schönheits Wunsch soll nun erfüllt werden: Die Freunde des Gewandhauses sammeln schon fleißig, und Schönheit 6
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macht sein eigenes Jubiläumskonzert am 23. April 2016 zur Benefizveranstaltung zugunsten der neuen Kammerorgel. Gebaut wird das etwa 600 Kilogramm schwere Instrument mit der Grundfläche eines Konzertflügels von der Firma Wegscheider in Dresden. Die Orgelwerkstatt, so Schönheit, sei aufgrund ihrer umfangreichen Erfahrungen im nord-, mittelund süddeutschen Orgelbau ausgewählt worden. »Außerdem besticht Wegscheider nicht nur beim Neubau, sondern auch bei der Restaurierung historischer Orgeln durch eine hervorragende Klangqualität.« Die neue Orgel, so schwärmt er, sei transponierbar, in verschiedenen Modi stimmbar und vor allem auf einen großen Raum hin intoniert. »Damit eröffnen sich völlig neue musikalische Welten.« Etwas muss sich der Jubilar allerdings noch gedulden: Nach derzeitigen Plänen wird die Kammerorgel ab der Spielzeit 2017/18 im Gewandhaus erklingen. Bis dahin wird sich Schönheit unter anderem dem Werk Max Regers widmen, für den 2016 ein Gedenkjahr ist. Auf einen reinen Reger-Orgelzyklus hat er verzichtet, weil nach seiner Auffassung der Zugang zu dieser sehr komplexen Musik über gemischte Programme besser gelingt. Außerdem, so Schönheit, »gehört Regers Orgelmusik eigentlich an die Kirchenorgel. Das ist der Klang, den er sich dafür vorgestellt hat.« Im Gewandhaus, das auch Spielstätte des im Mai von der Stadt Leipzig veranstalteten Max-RegerFestes ist, werden seine Stücke das ganze Jahr über in verschiedensten Konstellationen erklingen: Reger mit Bach, Reger mit Mozart, Reger mit Chor und Solisten ... Michael Schönheit ist dabei ein Musiker unter Musikern, so wie er es am liebsten mag. Juliane Moghimi
MAL NiCHt Mit BACH Nicht einmal mehr ein halbes Jahr, dann hat Sebastian Heindl das Abitur in der Tasche. Für die nächsten Monate gilt daher für den 18-Jährigen wie für Generationen vor ihm: Das Privatleben wird auf das Mindestmaß reduziert, bis zum Sommer steht vor allem Lernen auf dem Plan. Und Singen, denn Heindl gehört zum Thomanerchor und hat dort gelernt, was es heißt, in einem engen Zeitkorsett zu agieren, um Schule, Chor und sein Hobby – die Orgel – unter einen Hut zu bekommen. Dennoch erstaunt es, dass der junge Künstler ausgerechnet in dieser Zeit mit einer außergewöhnlichen Debüt-CD in Erscheinung tritt. In der Leipziger Orgelszene ist der Thomaner beileibe kein Unbekannter mehr, seit er beim Bundeswettbewerb »Jugend musiziert« 2012 einen ersten Preis erspielte. So war es auch folgerichtig, dass er die Vleugels-Orgel in der katholischen Propsteikirche spielen durfte, als dort der Thomanerchor zur Orgelweihe auftrat: »Ein tolles Instrument, das die hiesige Orgellandschaft wunderbar ergänzt«, freut sich Heindl. Bereits nach dem »Jugend musiziert«Preis erhielt er vom Leipziger Label Ron-
Konzerttipp 23. April, 20 Uhr, Gewandhaus: Jubiläumskonzert von Michael Schönheit an diversen Tasteninstrumenten. Mit dabei ist der Gewandhaus-Chor.
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deau ein Angebot für eine CD-Produktion. Doch Heindl, der von Daniel Beilschmidt unterrichtet wird, lehnte zunächst ab: »Ich wollte nicht die 174. Aufnahme von Regers BACH präsentieren – und auch nicht das bekannte Repertoire von Bach, das alle Organisten spielen.« Erst im vergangenen Jahr hatte er eine Idee für ein Programm, das so noch nie gespielt wurde, und für die Umsetzung an der Schuke-Orgel im Magdeburger Dom suchte er sich einen eigenen Tonmeister. Bei Recherchen war Heindl auf den Franzosen Paul Dukas gestoßen, der heute nur noch als Schöpfer des »Zauberlehrlings« bekannt ist. »Dass er zugleich als Lehrer Komponisten wie Jehan Alain, Maurice Duruflé und Olivier Messiaen prägte, weiß selbst die Fachwelt kaum.« Um beispielsweise die Klangfarbentechnik in Messiaens »L’Ascension« auf die Einflüsse von Dukas zurückzuführen, transkribierte Heindl dessen Ballettmusik »La péri« für die Orgel und stellte sie an den Anfang seiner CD, die Rondeau jetzt auf den Markt bringt. »Ich habe dabei unheimlich viel gelernt«, erläutert der Abiturient. »Denn wenn man 130 Seiten Partitur studiert, spielt und schließlich überträgt, erfährt man den persönlichen Stil eines Komponisten bis ins Detail.« Die Frage nach dem Berufswunsch erübrigt sich da. Natürlich möchte der gebürtige Geraer Kirchenmusik studieren, aber im Anschluss daran strebt er noch das Orgelkonzertexamen an. Und auch für die Zeit nach dem Studium hat Heindl bereits einen Plan: »Mein Ziel ist eine feste Stelle als Kirchenmusiker mit einer guten Orgel, Chor und Instrumentalensemble. Wenn ich dann noch nebenbei konzertieren kann, wäre es perfekt.« Hagen Kunze
Konzerttipp 10. April, 16 Uhr, Theater Gera: Sebastian Heindl spielt an der Sauer-Orgel des Theater-Konzertsaals Werke von Bach, Reger und Duruflé.
DeR KUNSt NAHe SeiN Bereits in seiner Kindheit ist Görge Scheid musisch geprägt worden: Schon früh nahmen ihn die Eltern in Bonn, wo er aufwuchs, ins Theater und in Konzerte mit. Nicht viel später entwickelte er ein intensives Interesse an bildender Kunst. Heute sind in seiner Kanzlei zahlreiche Originalwerke zu bewundern. So findet das Gespräch für das Gewandhaus-Magazin beispielsweise vor den »Seifenblasen« von Elena Kozlova statt, einer in Leipzig lebenden Künstlerin. Vor allem der persönliche Kontakt zu den Künstlern inspiriert den Rechtsanwalt, der seit 20 Jahren in Leipzig zu Hause ist. Und so wundert es nicht, dass er sich im Förderkreis der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst engagiert und zu seiner Sammlung mittlerweile viele Werke von HGB-Absolventen gehören. Inspirierend in Kunstdingen wirkt auch seine Frau Iuliana Stirbu, die selbst in einer Künstlerfamilie großgeworden ist und 2015 das Modeatelier »Villa Clara« in Leipzig gegründet hat. Sie wiederum engagiert sich im Förderkreis der Oper Leipzig, und so waren es zunächst Opernbesuche, mit denen Frau Stirbu ihren Mann zur erneuten Begegnung mit der Musik verführte. Die Vorfreude auf die neue Inszenierung und die gespannte Atmosphäre der Premieren fasziniere sie beide immer wieder, erzählt Görge Scheid. Ähnlich gehe es ihnen im Gewandhaus: Da die Konzertprogramme nur ein- oder zweimal wiederholt werden, sei jeder Abend überraschend und einzigartig. Vom Sponsorenklub des Gewandhausorchesters hat Scheid von Freunden erfahren. Ihn begeisterte insbesondere zu hören, dass Sponsoren die Tourneen des Orchesters begleiten und damit den Musikern nahe sein können. »Man versteht die Kunst besser, sie erschließt sich in tieferer Weise, wenn man die Menschen persönlich erlebt, die sie schaffen«, ist Scheid überzeugt. Die Tinte unter dem Sponsorenvertrag war noch nicht ganz
trocken, als er sich daher entschied, mit dem Orchester einen Abstecher nach Paris zu machen. Die Leipziger Musiker in der einzigartigen Architektur der neuen Philharmonie von Jean Nouvel zu erleben, das wollte sich Görge Scheid nicht entgehen lassen. Daneben schätzt der Fachanwalt für Insolvenzrecht, dessen Kanzlei heute weitere Büros in Erfurt, Gera, Dresden und Kassel hat, die Netzwerkidee des Sponsorenklubs. Für einen Anwalt sei es wichtig, gute Netzwerke in der Region zu pflegen, und das ließe sich, so der 49-Jährige erfreut, »kaum angenehmer gestalten als bei den After-Work-Konzerten im Gewandhaus oder den Sponsorenklubabenden«. Auch in Sachen Kundenbindung halte der Klub besondere Optionen für ihn bereit, erläutert Görge Scheid. Mit den Konzertkarten, die er als Sponsor erhalte, wolle er in Zukunft ausgewählten Mandanten etwas Besonderes bieten: Große Concerte des Gewandhausorchesters. Dirk Steiner
Weitere informationen unter www.scheid.eu und www.gewandhausorchester.de/sponsors-club.
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BeiSPieLHAFteS AUS BoStoN Martin Hoffmeisters CD-Kolumne »Kontrapunkt« Der Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra und designierte Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons muss ein glücklicher Mann sein. Nicht allein dirigiert er seit Jahren die renommiertesten Klangkörper weltweit, mit den Ensembles in Leipzig und Boston stehen ihm bald zwei der außergewöhnlichsten und traditionsreichsten Orchester fest zur Seite. Grundlegende Kenntnisse und Erfahrungen sammelte der lettische Dirigent noch zu Sowjetzeiten während seiner Ausbildung in Riga und am Sankt Petersburger Konservatorium. So findet sich denn vereint in dieser eindrücklichen Musikerpersönlichkeit das Beste aus drei musikalischen Welten: die Affinität zu Präzision, Organik, Ausdrucksbalance und Klangsensualismus. Bedarf es mehr, um den Olymp zu bespielen? Dass Dirigenten heute zwei, bisweilen drei Chefposten parallel ausfüllen, darüber hinaus die Welt als Gastdirigent bereisen, gehört inzwischen zur (umstrittenen) Normalität. Doch was besagt es wirklich, wenn einer zugleich Chef ist in Tokio, Madrid und Budapest? Im Zweifelsfall wenig. Denn (bei hoher Professionalität) kleinste gemeinsame (künstlerische) Nenner zu bedienen, wissen viele. Bemerkenswert allerdings wäre, wenn etwa einer sich fände, der im Verein die Berliner und Wiener Philharmoniker oder die Sankt Petersburger Philharmoniker und das Orchester der Mailänder Scala führte. Nicht weniger komplex und anspruchsvoll scheint die Doppelherausforderung Leipzig–Boston für Andris Nelsons zu sein. Zwar lassen sich zwischen den beiden Metropol-Orchestern nachvollziehbare, historisch untersetzte Linien ziehen, das kreative Spannungs14
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feld zwischen beiden Aufgaben vermag enorme Distinktionspotentiale zu generieren, doch wird – in Zeiten zunehmend nivellierter Klangtableaus – die zentrale Intention darin bestehen müssen, die Unterschiede zwischen den Orchestern nicht nur zu reflektieren, sondern in erster Linie auch: zu schärfen. Gewiss ist das kulturelle Erbe Europas in Boston nach wie vor sichtbarer als in anderen Städten der USA, der Klang aber des BSO und aller anderen amerikanischen Spitzenensembles unterscheidet sich (immer noch) zumeist deutlich von dem europäischer Traditionsorchester. Vor diesem Hintergrund gilt es, grundsätzliche und einige musikphilosophische Fragen zu klären. Die Erwartungen sind hoch.
zwischentöne abgeschmeckt Die Sinfonien Dmitri Schostakowitschs stehen für mehr als nur Musik. Sie sind in Klang, in Töne überführtes Leben. Mehrfach stand der russische Komponist im Fadenkreuz politischer Beobachtung und Intrigen, seine künstlerische und physische Existenz schien ernsthaft bedroht. Wie also komponieren in Zeiten des Terrors und der Angst? Schostakowitsch fand über zwei Jahrzehnte lang zu wechselnden Antworten. Allenthalben wusste er emotionale Tableaus zu fokussieren in seinem Werk, seine Erfahrungen der Stalin-Ära in Klangtableaus zu meißeln: Schrecken, Verzweiflung, Trauer, Traumata und Wut, Endzeitszenarien in Form gesetzt, verwandelt in opulente
sinfonische Bilder. Andris Nelsons, im Sowjetsystem ausgebildet, kennt Schostakowitschs Werk wie kaum ein anderer Dirigent seiner Generation. Seine Lesart der zehnten Sinfonie, Auftakt zu einem integralen Zyklus, präsentiert eher sublime, weniger plakative Einlassungen des komplexen Notentextes. Zwar werden Kontraste, Brüche und Zuspitzungen entsprechend formuliert, nicht aber als brutalistische Feier inszeniert. Nelsons destilliert Emotion nicht aus Übertreibung, ihn interessiert der abgeschmeckte Zwischenton. Das Boston Symphony Orchestra schenkt seinem Dirigenten federnd-pulsierende Streicher, scharf-expressive Holzbläser, atemberaubende rhythmische Präzision und einen beispielhaft organischen, balancierten Gesamtklang.
Akribisch nachgezeichnet Eine persönliche Botschaft, eine Reminiszenz zugleich an ein markantes Kindheitserlebnis: Andris Nelsons beginnt sein erstes Konzert als Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra mit Wagners »Tannhäuser«-Ouvertüre. Das Werk findet sich ebenfalls am Anfang seiner ersten CD mit dem Ensemble. Als Fünfjähriger, so schreibt der Dirigent im CDBooklet, habe er mit seinen Eltern ein Konzert besucht, bei dem die Ouvertüre zur Aufführung kam. Die Musik habe bei ihm den Wunsch ausgelöst, Dirigent zu werden. So symbolträchtig solche biographischen Einlassungen scheinen mö-
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gen: Sie schärfen die Aufmerksamkeit für die entsprechende Exegese. Tatsächlich aber widersteht Nelsons jeglicher Überhöhung respektive Mystifizierung des Werks. Gegeben wird kein erdenschwerer, raunender Wagner, vielmehr eine lichte, luzide Lesart aus dem Geist der Kammermusik. In fast aufklärerischer Manier fokussiert Nelsons auf Nuancen und Klangfarben, lässt die verschiedenen Schichten des Notentextes freilegen – ein nahezu perfektes Entree für die nachfolgende Sibelius-Sinfonie. Das sinfonische Werk des finnischen Nationalkomponisten Jean Sibelius spielte in der Geschichte des BSO mehrfach eine entscheidende Rolle. So dirigierte, noch zu Lebzeiten des Komponisten, Sergej Kussewitzki dessen sämtliche Sinfonien, Sir Colin Davis verantwortete später eine Gesamteinspielung. Nelsons vermeidet auch im Falle von Sibelius’ zweiter Sinfonie die auftrumpfende, wuchtige Geste. Er zeigt den Finnen als skrupulösen Tonsetzer, indem er akribisch Linien und Strukturen nachzeichnet, stimmig koloriert, dynamisch differenziert und beispielhaft schlank musizieren lässt. Referenz.
Schöne Stellen ausgekostet Zwischen 2004 und 2011 fungierte, als erster in Amerika geborener Dirigent des Ensembles, James Levine als Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra. Levines Mozart-Lesarten (Live-Mitschnitte aus dem Jahr 2009) nehmen zum einen
durch grandiose, souveräne Spielkultur für sich ein, polarisieren zum anderen durch ihre Tendenz zu poliertem Schönklang. Fern historisch informierter Erwägung zelebriert Levine einen transparenten, musikantischen, bisweilen romantisierenden, wenn nicht glamourösen Ansatz. Man vernimmt einen Mozart der interpretatorischen Mitte, der auf Extreme und Forcierungen verzichtet, sich jedoch auf die Auskostung »schöner Stellen« versteht. Auch wenn diese Einspielung nicht eben als Dokument experimenteller MozartAusleuchtung und originärer, überraschender Volten Geschichte schreiben wird, steht sie doch als hochkarätiges Beispiel kultivierten Mainstreams. Das ist nicht wenig in einer Zeit krawalliger Überzeichnungen.
Wie kein zweites wissend Es wirft in der Regel positive Schlaglichter auf Geist und Selbstverständnis eines Orchesters, wenn sich dessen Mitglieder über das Alltagsgeschäft hinaus als Solisten oder Kammermusiker engagieren. Einige solcher Formationen vermögen es, übernationale Aufmerksamkeit für ihr Schaffen zu generieren. Dazu gehören zweifellos die Boston Symphony Chamber Players, die seit Jahrzehnten mit ihren Konzerten nicht nur fester Saisonbestandteil sind, sondern auch eine Reihe von Referenzaufnahmen vorgelegt haben. Im Jahr 1970 entstanden die jetzt neu veröffentlichten Debussy-Einspie-
lungen an der Seite des auch als Pianist gänzlich überzeugenden Dirigenten Michael Tilson Thomas. Die klanglich völlig überarbeitete Fassung (remastered) der Aufnahme versammelt die in Debussys letzten Lebensjahren entstandenen drei Sonaten. Mit den formal und klanglich unkonventionellen Werken unterstrich der Impressionist auch in dieser Gattung seine Ausnahmestellung als Komponist und Neuerer. Viele seiner zentralen Ideen vermochte Debussy gerade in diesen Sonaten zu realisieren: die Transzendierung überlieferter Formensprache, poetische Intensität, koloristische Verdichtung und duftig-ätherische Klangtableaus. Wie kein zweites Ensemble wissen die Boston Symphony Chamber Players um die auftrumpfende Beiläufigkeit, um das Ätherisch-Schwebende, um Esprit, Leichtigkeit und das Spielerische dieser Musik, nicht zuletzt die Inszenierung von Schärfe als Unschärfe. Die Aufnahme zeigt beispielhaft, was kammermusikalisches Engagement auf höchstem Niveau vermag.
CD-tipps • Shostakovich: Under Stalin’s Shadow, Symphony No. 10 – Andris Nelsons, Boston Symphony Orchestra – Deutsche Grammophon 4795059. • Wagner: Overture to Tannhäuser, Sibelius: Symphony No. 2 – Boston Symphony Orchestra, Andris Nelsons – BSO Classics 1401. • Mozart: Symphonies 14, 18, 20, 39, 41 – Boston Symphony Orchestra, James Levine – BSO Classics 1001/02 (zwei CDs). • Claude Debussy: Sonata for Violin and Piano in G minor, Sonata for Cello and Piano in D minor, Sonata for Flute, Viola and Harp, Syrinx for Flute Solo – Boston Symphony Chamber Players – Pentatone PTC 5186226.
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Die SACHe DÜRFte VeRJäHRt SeiN Was verbindet Leipzig und Boston? Claudius Böhm hat weit mehr als nur ein vorgetäuschtes Jubiläum entdeckt.
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Wir schreiben das Jahr 1881 und schauen in die Zukunft: 134 Jahre nach der Gründung des Bostoner Sinfonieorchesters wird es Leute geben, die die Verbindung zwischen Leipzig und Boston als historische Vorlage für eine Kooperation der Orchester dies- und jenseits des Atlantiks beschwören. Dabei – zurück ins 19. Jahrhundert – ist die Verbindung zur fraglichen Zeit keine partnerschaftliche Beziehung, kein Austausch auf Augenhöhe, kein gerecht verteiltes Geben und Nehmen. Vielmehr profitiert Boston einseitig von der musikalischen Bildung, die in Leipzig gepflegt und vermittelt wird. Bereits der erste Chefdirigent des 60 Mann starken Boston Symphony Orchestra, Georg Henschel, ist ein Absolvent des Leipziger Konservatoriums der Musik. Hier ist er ab 1867 drei Jahre lang unter anderem von Thomaskantor Moritz Hauptmann und Gewandhauskapellmeister Carl Reinecke unterrichtet worden. Zu seinen Kommilitonen gehörten in diesen Jahren sechs Amerikaner aus Boston. Dass werdende Musiker den weiten Weg von Boston über den Atlantik auf sich nahmen, um sich in Leipzig ausbilden zu lassen, war zu Henschels Zeit längst keine Sensation mehr. 1843 dürfte es das noch gewesen sein: Der 27. Student, der sich im April am soeben gegründeten Konservatorium einschrieb, war George L. Babcock aus Boston. Allerdings scheint der erste Amerikaner an Leipzigs neuer Musikschule seiner Heimat keine Ehre gemacht zu haben: Aufgrund einer »traurigen Sache« – so Studiendirektor Felix Mendelssohn Bartholdy – mussten Babcock und ein Kommilitone bereits im August 1843 die Musikschule wieder verlassen. Zu Näherem geben die Quellen keine Auskunft. Erst 1851 kamen die nächsten Amerikaner nach Leipzig, unter ihnen James Cutler Dunn Parker aus Boston. Er vermochte den verunglückten Beginn mit Babcock offensichtlich wettzumachen: Nach drei Jahren schloss Parker mit Erfolg die Ausbildung ab, ging zurück nach Boston und wirkte dort als
Organist, Komponist und Lehrer am New England Conservatory.
Fünf Jahre Heimweh Zurück zu Henschel: Nach einem vielversprechenden Karrierebeginn als Sänger übernimmt er im Alter von 31 Jahren in Boston die Leitung der frisch zusammengetrommelten Sinfoniker. 10 000 Dollar pro Saison bekommt er als Gage – und wird ihr nicht gerecht. Nach drei wenig erfolgreichen Jahren verlässt er die Stellung und geht mit seiner Frau Lillian – die amerikanische Sängerin hatte als 16-Jährige 1876 in Boston debütiert – erst einmal auf große Europatournee. Die führt die beiden am 9. Oktober 1884 auch ins Leipziger Gewandhaus, noch in den alten Saal, während im neuen Haus auf Hochtouren die letzten Bauarbeiten laufen. Was hat Henschel, was hat seine Frau den Leipzigern von Boston erzählt? Vermutlich nichts oder zumindest nichts Gutes. Noch setzt unter den Gewandhausmusikern keine Auswanderungswelle gen Amerika ein. Henschels Nachfolger in Boston ist kein Deutscher, aber er spricht deutsch, der Österreicher Wilhelm Gericke. Auch bei dem 39-Jährigen findet sich eine Beziehung zu Leipzig. Er ist in Wien bei Hofopernkapellmeister Felix Otto Dessoff ausgebildet worden. Der aus Leipzig stammende Dessoff war Absolvent des Leipziger Konservatoriums, hatte bei Thomaskantor Moritz Hauptmann und Gewandhauskapellmeister Julius Rietz studiert. Gericke darf also als Enkelschüler der Leipziger Bildungsstätte gelten. Fünf Jahre bleibt er in Boston. Bis er, wie es heißt, das Heimweh nicht mehr aushält. In seiner Zeit werden von BSOGründer Henry Lee Higginson die populär ausgerichteten »Boston Promenade Concerts« gegründet, bei denen die Musiker des BSO mitwirken und ab 1900 unter dem Namen »Boston Pops Orchestra« auftreten. Erster Chefdirigent der Boston
Pops ist wiederum einer, der aus Deutschland stammt: Adolf Neuendorff. Bei ihm lässt sich ebenfalls eine Verbindung zu Leipzig finden: Seine Ehefrau, Georgine von Januschofsky, hatte ihre Sängerinnenlaufbahn 1877 am Leipziger Stadttheater begonnen. Als sie das Haus 1880 wieder verließ, um nach New York zu gehen, war in Leipzig seit zwei Jahren ein Kapellmeister im Amt, der neun Jahre später ebenfalls nach Amerika aufbrechen sollte: Arthur Nikisch. Der DessoffSchüler wird 1889 Gerickes Nachfolger in Boston. Einer Freundin schreibt der 34-Jährige begeistert: »Die Stellung ... ist in jeder Beziehung ausgezeichnet, ja sie dürfte so ziemlich unter allen Capellmeister-Stellungen die günstigste sein. Die Anstrengung ist nicht zu groß, indem ich nur im Winter jede Woche ein Concert (und die nöthigen Proben natürlich) dirigiren muß, im Sommer habe ich fünf Monate ganz frei, bin in allen Dingen vollständig souverän, engagire die Künstler, mache allein die Programme und – werde collossal dafür bezahlt! Ist das nicht herrlich?«
Gute Nachricht aus tirol So herrlich ist es dann doch wohl nicht: Nur vier Jahre bleibt Nikisch in Boston. In dieser Zeit verlassen sieben teils führende Musiker das Gewandhausorchester, das zugleich das Orchester des Stadttheaters ist – Nikisch und die Musiker kennen sich also bestens –, und wechseln ins junge BSO. Zu ihnen gehört Nikischs langjähriger Freund Eugen Grünberg. Noch vor seiner eigenen Abreise nach Amerika hatte Nikisch ihn regelrecht abgeworben und sich persönlich um Grünbergs Vertrag in Boston gekümmert – sogar im Sommerurlaub. Aus Tirol teilte er dem Freund Ende Juli 1889 die gute Nachricht mit, »daß Dein Engagement für das Bostoner Symphonie-Orchester perfekt ist«. Nicht auszuschließen, dass Nikisch in gleicher Weise auch für andere Gewandhausmusiker tätig geworden ist.
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Mit sieben Musikern aus Leipzig: Arthur Nikisch und das BSO in der Boston Music Hall, dem Vorgängerbau der Symphony Hall
Nikischs Nachfolger am Leipziger Stadttheater war 1889 Emil Paur geworden. Er hatte zeitgleich mit dem gleichaltrigen Nikisch am Wiener Konservatorium unter anderem bei Dessoff studiert. Nach vier Jahren in Leipzig tritt er ein zweites Mal die Nachfolge seines ehemaligen Kommilitonen an: Er wird 1893 Chefdirigent in Boston und bleibt fünf, allerdings eher glanzlose Jahre. Nach ihm übernimmt erneut Gericke die Chefposition. Abgelöst wird er 1906 vom 47-jährigen Karl Muck, einem Absolventen des Leipziger Konservatoriums. Dort hatte er unter anderem bei Gewandhauskapellmeister Carl Reinecke studiert. Unter dessen Leitung hatte auch sein Debüt als Konzertpianist im Gewandhaus am 19. Februar 1880 gestanden. 15 Jahre später war Muck angeboten worden, Nachfolger seines ehemaligen Lehrers am Gewandhaus zu werden. Nachdem er abgelehnt hatte – er wollte nicht Mittäter am erzwunge18
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nen Rücktritt Reineckes sein –, war Nikisch für das renommierte Amt gewonnen worden.
Spione im Musikerfrack Zwei Jahre bleibt Muck in Boston. Den Chefdirigentenstab übernimmt nach ihm ein anderer Absolvent des Leipziger Konservatoriums: der 48-jährige Max Fiedler, der zur gleichen Zeit wie Muck in Leipzig studiert hatte. Doch vier Jahre später, 1912, kehrt Muck ans Dirigentenpult des BSO zurück und bleibt Chef des Orchesters bis zu seiner Verhaftung 1918: Er wird verdächtigt, für den Kriegsgegner Deutschland zu spionieren. Muck wird wie 29 weitere deutsch(sprachig)e Musiker des BSO interniert und 1919 nach über einem Jahr Lagerhaft aus den USA ausgewiesen. Damit endet die »deutsche Periode« der Boston Symphony. Eine Fortsetzung der Leipzig-Connection gibt es dennoch, wenngleich erst nach 30 Jahren: 1949 wird der 58-jährige Charles Munch BSOChef und bleibt es bis 1962. Munch, unter anderem bei Gustav Havemann in Leipzig
ausgebildet, war von 1925 bis 1932 Erster Konzertmeister des Gewandhausorchesters – hier nannte er sich noch Carl Münch – und hatte danach in Paris eine Dirigentenkarriere begonnen. Er geht mit dem BSO 1952 auf dessen erste Europatournee. Im geteilten Deutschland gastieren die Bostoner jedoch nur im Westen. Ein Wiedersehen mit Kollegen in Leipzig gibt es nicht.
Gut gepflegte Bärte Als das Gewandhausorchester 22 Jahre später erstmals in Boston gastiert, ist Munch seit sechs Jahren tot. Er starb auf der ersten Amerikatournee des gerade ein Jahr jungen Orchestre de Paris, dessen Chefdirigent er mit 76 Jahren geworden war. Tote gibt es bei der ersten Amerikatournee des Gewandhausorchesters nicht, obgleich sie an Strapazen der des Orchestre de Paris kaum nachgestanden haben dürfte. Nach dem von Kurt Masur dirigierten Debüt der Leipziger am 13. Oktober 1974 in der Symphony Hall schreibt der Kritiker des Boston
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ZUKUNFT
ist die Zeit
in der Sie noch besser aussehen werden Gruppenbild mit gefälschtem Jubiläum: Gewandhausorchester und Kurt Masur Am 24. oktober 1984 vor der Boston Symphony Hall
Globe: »Schallplattensammler wissen, daß das Gewandhaus ein erstklassiges Orchester ist. Besonders zeichnen sich die Streicher aus ... Die Blechbläser klingen voll, aber nicht aufdringlich. Auch die Holzbläser sind hervorragend ... Einige Beobachtungen am Rande – die Haare sind etwas kürzer als bei amerikanischen Orchestern, Koteletten sind selten, die wenigen Bärte gehören akademisch wirkenden Herren mittleren Alters und sind gut gepflegt, und die Musiker unterhalten sich zwischen den Stücken fast überhaupt nicht. Zu meiner Überraschung sah ich nur drei weibliche Mitglieder – eine spielte Harfe und zwei Violine ...«
ein gefälschtes Jubiläum Fast auf den Tag zehn Jahre später sind Gewandhausorchester und Masur zum vierten Mal in Boston. Es ist laut Eigendar-
stellung der Leipziger ihr 100. Tourneekonzert in den USA, was entsprechend vermarktet und gefeiert werden soll. Bostons Bürgermeister Raymond L. Flynn mag sich dem nicht versperren und erklärt den 24. Oktober 1984 zum »Gewandhaus Day«. Nur hat die Sache, wie zu dieser Zeit bloß wenige wissen, einen Haken: Es ist ein manipuliertes, zurechtgelegtes Jubiläum. Das Bostoner Konzert ist erst das 99. Die Jubiläumszahl gehört eigentlich East Lansing, wo die Gewandhausmusiker als nächstes gastieren. Aber in Boston, wo es so viele historische »Verbindungen« zu Leipzig gibt, feiert es sich doch viel schöner, mögen sich die Verantwortlichen gedacht haben. Inzwischen dürfte die Sache verjährt sein. Zehn Mal war das Gewandhausorchester in den 40 Jahren zwischen 1974 und 2014 in Boston, zwölf Konzerte hat es dort gegeben, die letzten drei mit Riccardo Chailly, alle anderen mit Kurt Masur. Jetzt haben sich die Bostoner aufgerafft: Am 5. Mai werden sie Leipzig ihren ersten Gegenbesuch abstatten. Wir dürfen gespannt sein, wann es den ersten »Boston Symphony Day« in Leipzig geben wird.
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iCH BiN ÜBeRzeUGt, eS WiRD FUNKtioNieReN Seit fünf Jahren ist Tobias Haupt Vorstandsvorsitzender des Gewandhausorchesters. Wir sprachen mit dem Geiger über den amtierenden und den kommenden Chefdirigenten. Zunächst jedoch fragten wir:
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Herr Haupt, wo hat Sie am 19. Dezember die Nachricht vom Tod Kurt Masurs erreicht? tobias Haupt: Ich war auf dem Weg nach München zu Freunden. Auf der Zugfahrt bekam ich die Nachricht über mein Mobiltelefon. Was ging Ihnen durch den Kopf? Haupt: Eine große Reise ist beendet. Man kann ja nicht sagen, Kurt Masur ist aus dem Leben gerissen worden. Zumindest hat er das Leben zur Gänze ausgeschritten. Und der Gedanke an eine gewisse Erlösung ist mir auch durch den Kopf gegangen. Sie haben Masur nicht mehr als Gewandhauskapellmeister, sondern nur noch als Gastdirigenten erlebt. Was verbindet Sie mit ihm? Haupt: Kurt Masur hat meinen Vater 1970 in der Dresdner Philharmonie als Soloflötisten angestellt. So bin ich über meinen Vater deutlich früher mit Masurs musikalischem Ideal in Berührung gekommen als dann im Gewandhausorchester, wo ich ihn mehrmals als Ehrendirigenten erlebt habe. Das ist mir in besonderer Weise bewusst geworden im November 2004, als er bei uns Schostakowitschs fünfte Sinfonie dirigiert hat. Das war seine spezielle Art, mit Musik umzugehen und durch sie eine Botschaft zu transportieren. Wie geht es dem Gewandhausorchester, seit es vom Tod seines langjährigen, prägenden Chefdirigenten erfahren hat? Haupt: Das bewegt das Orchester. Aber da diese Zeit schon deutlich zurückliegt, ist es etwas abgemildert. Insgesamt herrscht der gleiche Gedanke, wie ich ihn hatte, nämlich dass er jetzt seinen Frieden gefunden hat. Vermutlich sind vor allem die älteren Kollegen betroffen. Wie gehen die jüngeren damit um? Haupt: Mit Hochachtung. Sie wissen, dass sie in einem Haus arbeiten dürfen, das er maßgeblich befördert hat. Natürlich gibt es unterschiedliche Ansichten wie über jeden Dirigenten, aber dass er von seiner Persönlichkeit her etwas Besonderes dargestellt hat, ist allen bewusst.
Wie vor 20 Jahren Kurt Masur, so hat jetzt sein Nachnachfolger Riccardo Chailly den Abschied vom Amt des Gewandhauskapellmeisters verkündet. Das kam einigermaßen überraschend. Als Chailly 2013 seinen Vertrag bis 2020 verlängerte, erklärte er: »Solange das Feuer da ist, hat es Sinn für mich weiterzumachen.« Woran könnte es gelegen haben, dass das Feuer nun so schnell erloschen ist? Haupt: Im Juni 2014 sprachen wir noch über gemeinsame Pläne. Dann verletzte er sich am Arm und musste einige Zeit pausieren. Vielleicht war das der Auslöser für Gedanken, kürzer zu treten und sich auf die Mailänder Scala zu konzentrieren. Natürlich kann auch anderes eine Rolle gespielt haben: Er hat mit dem Gewandhausorchester das erreicht, was er erreichen wollte – und was er nach eigenem Gespür, mit seinem unbedingten Willen zur Präzision überhaupt erreichen konnte. Möglicherweise ist ihm das erst nach und nach bewusst geworden. Wie blicken Sie auf die Ära Riccardo Chailly zurück? Haupt: Die zehn Jahre, die wir mit ihm erlebt haben, waren eine Hoch-Zeit für das Orchester. Das ist international auch so wahrgenommen und anerkennend bestätigt worden. Das mag daran liegen, dass Chailly unnachgiebig einfordert, Präzision und Perfektion verlangt und mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, seine musikalische Idee durchsetzt. Damit zwingt er die Musiker, sich in höchstem Maße zu fokussieren. Und das hat auch den Klang verändert: Er ist flexibler geworden. Das Orchester kann eine größere dynamische Bandbreite als zuvor abbilden. Was hat die Ära Chailly in Sachen Repertoire gebracht? Haupt: Riccardo Chailly hat unser Kernrepertoire von seiner Seite aus beleuchtet und einen neuen Weg gefunden, den er mit dem Orchester verwirklicht hat. Er hat Dinge getan, die vorher keiner für möglich gehalten hätte, gerade bei Beethoven. Das war für alle Seiten sehr anstrengend, und es war ihm auch völlig bewusst, damit zu provozieren. Könnte nicht mancher Kritiker sagen, die Provokation bestand nur darin, alles wahnwitzig schnell spielen zu lassen?
Haupt: Es ist in meiner Beobachtung immer Chaillys Anliegen gewesen, dem tatsächlichen Notentext gerecht zu werden und persönliche Emotionen dem unterzuordnen. Die Unerbittlichkeit und Stringenz in der Tempogestaltung haben dabei für Spannungsbögen gesorgt, die erst einen größeren Überblick über das Werk ermöglichten. Um jedoch beim Repertoire zu bleiben: Was Riccardo Chailly tatsächlich beflügelt und befördert hat, ist die Beschäftigung mit Gustav Mahler. Da hat er auch technische Anforderungen an das Orchester gestellt, die sehr hoch waren, aber die wir mit ihm gemeistert haben. Mahlers Werke gehören jetzt zum Repertoire des Gewandhausorchesters in einer Selbstverständlichkeit, wie es zuvor noch nie der Fall war. Umso mehr fällt auf, dass die gleichsam in Mahlers Nachbarschaft stehende Zweite Wiener Schule in den vergangenen Jahren hier kaum eine Rolle gespielt hat. Haupt: Sie ist in diesen zehn Jahren tatsächlich etwas stiefmütterlich behandelt worden. Da hätten wir uns ein bisschen mehr erhofft. Man spielt immer mal Schönbergs »Verklärte Nacht«, aber das ist ja eher noch der Spätromantik zuzuordnen. Chaillys Amtsantritt vor gut zehn Jahren war mit großen Hoffnungen seitens des Orchesters auch in Sachen Oper verbunden. 2008 hat Chailly jedoch die Personalunion von Gewandhauskapellmeister und Generalmusikdirektor gekappt. Wie ist das Orchester seitdem in der Oper zurechtgekommen? Haupt: Wir erleben in der Oper gerade eine Konsolidierung. Ulf Schirmer baut als Intendant und GMD gezielt ein breites Repertoire für das Orchester auf und intensiviert den Spielbetrieb, soweit das möglich ist. Auch Wagners »Ring« wieder ins Repertoire zu nehmen, ist ein wichtiger Schritt für unser Orchester. Es ist zwar schwierig, ein so breites Repertoire über das Jahr verteilt zu spielen, ohne den Probenumfang haben zu können, wie man das im Konzertbetrieb kennt. Aber wir stellen uns dem, und es ist momentan die Ausrichtung, die wir auch wollen.
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Höhenflug der vergangenen zehn Jahre jetzt also einer schwachen Periode entgegen? Haupt: Das glaube ich nicht – weil wir eine Perspektive haben. Wir wissen, wohin es geht. Andris Nelsons wird sich bereits einbringen und zum Beispiel schon an Probespielen teilnehmen.
Es wäre Ihr Wunsch, mehr Proben zu haben? Ihre Vorgänger haben immer gefordert, die Oper müsse mehr spielen, das Orchester brauche in der Oper Spielroutine, jede Aufführung ersetze drei Proben. Jetzt hören wir von Ihnen das Gegenteil? Haupt: Es ist immer schwierig, die richtige Balance zu finden. Man kann einen Konzertbetrieb nicht mit dem Opernbetrieb vergleichen. Ich bin froh, dass wir in der Oper tatsächlich mehr spielen. Es macht sich bei speziellen Komponisten – etwa bei Verdi, Puccini oder Wagner – deutlich bemerkbar, wenn man deren Eigenarten besser kennt und dadurch auch eine positive Routine entwickelt. Beim »Ring« zum Beispiel ziehen sich die Leitmotive durch das gesamte Werk. Da fällt es wesentlich leichter, eine »Götterdämmerung« zu spielen, wenn man die restlichen drei Opern auch intus hat. Stichwort »Götterdämmerung« – 2005 war in der »Frankfurter Allgemeinen« zu lesen: »Blomstedt war Chaillys Prophet. Er hat den Masur-Staub weggeblasen ...« Folgt man der Zeitung, so wäre Chailly der »Gott«, der seinem »Propheten« Blomstedt den Auftrag erteilt hätte, beim Gewandhausorchester Staub zu wischen. Spöttisch gefragt: Wie geht ein Orchester mit einem Gottdirigenten um? Haupt: Chailly ist sicher kein Gottdirigent. Mir fällt auch niemand ein, dem ich dieses Prädikat zugestehen würde. Die Entwicklung über die drei Dirigenten Masur, Blomstedt, Chailly ist ein glücklicher Weg gewesen. Man kann nicht sagen, der eine war der Prophet des ande28
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ren. Ich glaube, die Orchestervorstände haben in dieser Entwicklung immer auch gut empfunden, was für das Orchester in der jeweiligen Situation das Richtige war – auch in ihrer Intention, jeweils einen Nachfolger zu finden, der nicht direkt das nahtlos fortsetzt, was vorher war, sondern eine Ergänzung oder auch einen Kontrast dazu schafft. Das Gleiche haben wir jetzt versucht. Sie spielen auf Chaillys designierten Nachfolger Andris Nelsons an. Zunächst steht aber eine Zeit ohne Chefdirigent ins Haus. Wie sehen Sie dem Interim entgegen? Haupt: Zum Glück ist das Orchester in einem sehr guten Zustand. Und wir sind froh, Herbert Blomstedt als Ehrendirigenten bei uns zu haben. Wir haben einiges mit ihm vor. Er kennt das Orchester sehr gut und kann auf seine Art auf den Zustand des Orchesters Einfluss nehmen, was auch akzeptiert wird, so dass ich den kommenden zwei Jahren ohne Angst entgegensehe. Selbst wenn Blomstedt erst einmal künstlerisch den Faden fortspinnen kann, so wird für bestimmte Entscheidungen dennoch ein Chefdirigent fehlen: Auswahl von neuen Musikern, Programm- und Spielplankonzeptionen und so weiter. Hartmut Brauer, einer Ihrer Amtsvorgänger, hat einmal bekannt: »Das Gewandhausorchester gehört nicht zu den Orchestern, welche geübt damit sind, keinen Chefdirigenten zu haben. Cheflose Zeiten waren in der Geschichte des Orchesters immer schwache Perioden.« Gehen Sie nach dem
Nicht nur cheflose Zeiten waren in der Geschichte des Gewandhausorchesters schwache Perioden, sondern auch Zeiten, in denen es seinen Chefdirigenten mit einem anderen Orchester teilen musste. Warum lässt sich das Orchester erneut auf so etwas ein? Haupt: Weil es auf der künstlerischen Ebene das ist, was wir wollen: den Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons. Was seine Doppelbelastung betrifft, bin ich überzeugt, es wird funktionieren. Verbinden Sie damit die Hoffnung, Nelsons nach einer gewissen Zeit dann doch exklusiv beim Gewandhausorchester zu haben? Haupt: Von Hoffnung muss ich gar nicht sprechen, weil es – wenn es so funktioniert, wie wir uns das vorstellen – tatsächlich für beide Seiten des Atlantiks etwas Befruchtendes haben wird. Wenn man diese Verbindung intensivieren kann, was bisher noch niemand gemacht hat, sehe ich dem positiv entgegen. Sie sagen, es hat noch niemand gemacht. Wie kommen Sie dann darauf, dass es gerade hier funktionieren wird? Sind die Erfahrungen, die das Orchester in den 90er Jahren gemacht hat, als Masur zeitgleich Chef in Leipzig und New York war, schon vergessen? Haupt: Die Welt hat sich geändert, die Orchester haben sich geändert, und auch das Bild des Dirigenten an sich hat sich verändert. Es geht weniger um eine autoritäre Person, die vorn steht und diktiert, sondern in zunehmendem Maße um eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Den Berliner Philharmonikern, die zur gleichen Zeit einen neuen Chefdirigenten gesucht haben, war Exklusivität offensichtlich ein sehr wichtiges Kriterium. Warum besteht Deutschlands Spitzenorchester darauf und das Gewandhausorchester nicht?
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Haupt: Die Berliner haben zwar darauf bestanden, aber sie haben es erst einmal nicht bekommen. Sie müssen sich ihren neuen Chef zumindest noch zwei Jahre mit dem Bayerischen Staatsorchester in München teilen. Die Orchesterlandschaft hat sich so verändert, dass sich selbst die Berliner Philharmoniker auf eine Art und Weise bewegen mussten, wie sie es nicht gewöhnt waren. In Berlin wählen die Philharmoniker den Chefdirigenten direkt. In Leipzig dagegen schlägt der Oberbürgermeister im Einvernehmen mit dem Orchestervorstand dem Stadtrat einen Kandidaten zur Wahl vor. Wie ist zuvor die Abstimmung innerhalb des Orchesters erfolgt? Haupt: Wir waren in einer schwierigen Situation. Wir konnten mit dem Namen Nelsons nicht offensiv umgehen, da hinsichtlich seiner vertraglichen Situation noch einiges im Klärungsprozess begriffen war. Uns kam jedoch zugute, dass wir uns regelmäßig innerhalb der Gremien abstimmen, die es im Orchester gibt. Wir beraten dort unter anderem auch längerfristige Perspektiven, an welchen Dirigenten wir stärker interessiert sind und welche wir bei uns sehen wollen. Darauf konnten wir den Vorschlag stützen, den wir schließlich dem Oberbürgermeister gemacht haben. Das heißt, der größte Teil des Orchesters hat erst am selben Tag wie die Öffentlichkeit von der Kandidatur Andris Nelsons ̕ erfahren? Haupt: Ja. Das war gewiss keine komfortable Situation. Aber glücklicherweise war Andris Nelsons zuvor schon viermal als Gastdirigent bei uns und die Resonanz der Kollegen darauf eindeutig abzulesen gewesen. Da gab es positive Bewertungen auf einer so breiten Basis, dass wir diesen Schritt ohne weiteres wagen konnten. Es ist danach auch kein einziger Kollege gekommen, um sich zu beschweren. Sie vertreten derzeit Ihr Orchester auch in der Kommission, die einen neuen Thomaskantor für Leipzig sucht. Wie läuft es da? Haupt: Es ist ein völlig anderes Verfahren, da dort wesentlich mehr Parteien am Tisch sitzen und ihre Ansprüche geltend machen: Chor, Schule, Kirche, Stadt und Orchester. Das ist halt ein Amt, des-
sen Anforderungen so umfassend sind, dass man sie kaum erfüllen kann. Kaum erfüllbar scheint auch die nahezu messianische Heilserwartung, die Sie mit Andris Nelsons verknüpft haben. Sie sagten bei der Vorstellung seiner Kandidatur vor Presse und Öffentlichkeit: »Wenn er dirigiert, wird man von der Zuversicht erfasst, dass es das Gute gibt und dass es sich auch auf der Welt durchsetzen kann.« Hat Nelsons überhaupt eine Chance, dem gerecht zu werden? Haupt: Ich habe meine Worte etwas anders in Erinnerung: ›Wenn man mit Andris Nelsons Musik macht, gibt er einem die Zuversicht, so dramatisch die Musik auch sein mag, dass es das Gute auf der Welt nicht nur gibt, sondern dass es auch tatsächlich siegreich sein könnte. Das ist das Schönste und vielleicht auch Wichtigste, was Musik in diesen Tagen bewirken kann.‹ Ich habe zuvor lange überlegt, ob ich das so sage. Ich habe es getan, weil es etwas in seinem Wesen widerspiegelt, was mir wichtig ist. Man fühlt sich bei ihm auf erstaunliche Art aufgehoben. Da ist sein Vertrauen, das er zu den Musikern hat. Und das ist etwas, wodurch man in der Lage ist, tatsächlich mehr zu leisten, als es sonst vielleicht möglich wäre. Dann gibt man nicht nur das Vertrauen zurück, sondern wächst auch über sich hinaus. Vom langjährigen Ersten Konzertmeister des Gewandhausorchesters Gerhard Bosse ist der Satz überliefert, jeder neue Kollege brauche fünf Jahre, um im Orchester an-
zukommen. Wie lange, denken Sie, wird Nelsons brauchen? Haupt: Er kennt uns ja schon ein bisschen. Und wir gehen auch mit einer gewissen Beschleunigung in diese Amtszeit hinein. Ich kenne diesen Spruch übrigens auch aus den Dresdner Orchestern, wo meine Laufbahn als Orchestermusiker begonnen hat. Ich habe hier in Leipzig tatsächlich die fünf Jahre gebraucht. Es gibt aber Menschen, die sind schneller. Wir haben im Orchester herausragende junge Musiker, die mit Anfang 20 hier begonnen und sich schnell eingefügt haben. Die Eingewöhnungszeiten sind offensichtlich sehr verschieden. Es ist schwer zu beantworten, wie lange es bei Nelsons dauern wird, bis er die Struktur komplett durchdringt. Das hat bei Chailly ja auch eine Weile gebraucht. Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie das Gewandhausorchester im Jahr 2026? Haupt: Das Gewandhausorchester wird seine Position unter den Spitzenorchestern behauptet haben. Da bin ich mir sehr sicher. Mit welchem Gewandhauskapellmeister? Haupt: Andris Nelsons. Interview: Claudius Böhm, Hagen Kunze
Konzerttipp 26./27. Mai, 20 Uhr, Gewandhaus: Andris Nelsons dirigiert das Gewandhausorchester (siehe Seite 63).
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Die AUFGABe WAR iMMeNS Kurt Masur ist gestorben. Ein Nachruf auf den Gewandhauskapellmeister von Claudius Böhm
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Es war der Aufmacher in den Nachrichtenjournalen des Fernsehens am 19. Dezember 2015: Kurt Masur ist tot. Selten widerfährt einem Dirigenten eine solch herausragende Würdigung. In den Tagen darauf gedachten die überregionalen Zeitungen genauso wie die Lokalblätter des im 89. Lebensjahr Gestorbenen mit umfangreichen Artikeln. Wir im Gewandhaus haben das alles tief bewegt und dankbar verfolgt. Was bliebe uns also noch zu sagen? Es bliebe uns eine solche Menge noch zu sagen – schließlich war Kurt Masur die längste Zeit seines Lebens bei uns in Leipzig –, dass wir uns hier auf drei Anmerkungen beschränken.
An die Kraft der Musik Die erste Anmerkung: Das Gewandhausorchester und die Musikstadt Leipzig haben Kurt Masur für sein gesamtes Musikerdasein geprägt wie keine zweite Station seiner Karriere. Vielen Werken, die er später selbst dirigiert hat, ist Masur zum ersten Mal als Besucher von Konzerten des Gewandhausorchesters begegnet. Dann als junger Dirigent lernte er das Opernrepertoire unter anderem mit dem und durch das Gewandhausorchester in dessen zweitem Wirkungsfeld, dem Musiktheater, kennen: Gerade 26 Jahre alt, wurde er Erster Kapellmeister des Leipziger Stadttheaters. In all diesen ersten Begegnungen war Kurt Masur ein Empfangender, Lernen-
der, Suchender – einer, der sich herantastete an die unüberschaubar große Welt der Musik. Das mochte auch noch für das allererste Mal gelten, als er als Gast am Dirigentenpult des Gewandhausorchesters stand. Und doch hatte sich das Blatt schon zu wenden begonnen, zeigte sich hier bereits, wie intensiv Masur einst die Geschichte des Gewandhausorchesters studiert und verinnerlicht haben würde, so dass nun er der Gebende, Lehrende, Wegweisende sein würde: Eine Streichersinfonie Mendelssohns, ein zeitgenössisches Solokonzert und eine Bruckner-Sinfonie standen im September 1959 auf dem Programm des Gewandhauskonzerts, das im Rückblick wie ein Probedirigieren um das Amt des Gewandhauskapellmeisters erscheinen mag. Doch es sollte noch ein Jahrzehnt vergehen, ehe sich erfüllte, was sich mit diesem 59er Konzert schicksalsgleich angebahnt hatte. (In Klammern, weil schon über die Anmerkung hinausgehend: Masurs Verdienste um die Mendelssohn-Renaissance inklusive Rettung und Bewahrung des Leipziger Mendelssohn-Hauses sind schon vielfach gelobt worden. Sie sollen unvergessen bleiben. Unvergessen bleiben sollten aber auch seine Bruckner-Interpretationen, weil sie, auf Tonträgern festgehalten, exemplarisch dokumentieren, woran Kurt Masur felsenfest geglaubt hat: die berührende, anrührende, gar überwältigende Kraft der Musik.)
in das Herz der Stadt Die zweite Anmerkung: Als 1970 Kurt Masur zum Gewandhauskapellmeister berufen wurde, galt das kaum einem Beobachter als ein Coup. Dass sich diese Berufung als ein Glücksfall für das Gewandhausorchester (und, nicht zu vergessen, auch für Masur selbst) erweisen sollte, dass das Gewandhaus dank Kurt Masur ein nachhaltiges Wiederaufleben erfahren würde, all das war damals nicht abzusehen. Zumal die wenig inspiriert anmutende Antrittsrede des 43-Jährigen kaum kühne Visionen heraufbeschworen haben dürfte: »Viele mögen glauben, daß eine solche Berufung bedeutet, ein wichtiges Ziel erreicht zu haben. Mir hat die Berufung zum Gewandhauskapellmeister nur klargemacht, daß es viele Menschen gibt, die das Vertrauen in mich setzen, eine solche Aufgabe meistern zu können ...« Dabei hatte Masur allen Grund tiefzustapeln: Die Aufgabe war immens. Die Institution Gewandhaus hatte kein eigenes Konzerthaus und war mit der Installation eines parteitreuen Intendanten drauf und dran, politisch-ideologischer Bevormundung zu erliegen. Das verunsicherte Gewandhausorchester, nach zwei cheflosen Jahren auch künstlerisch in keiner guten Verfassung, empfing den Neuen nicht mit offenen Armen. Umso bemerkenswerter, wie sich beide Seiten dann doch aufeinander einließen und gemeinsam zu einer internationalen Karriere starteten. Zweifellos ein Meilenstein war
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Berührend, anrührend, überwältigend: Kurt Masur 1983 im Neuen Gewandhaus dabei die für Dirigent und Orchester gleichermaßen erste USA-Tournee 1974. Doch auch diesseits des Atlantiks, zu Hause in Leipzig, wurden Meilensteine gesetzt wie etwa der mittlerweile legendäre Beethoven-Schostakowitsch-Zyklus, der sich über zwei Jahre erstreckte und in dessen Halbzeit 1977 ein anderer Meilenstein fiel: die Grundsteinlegung für das Neue Gewandhaus. Hier allerdings lauert das fatale Missverständnis, die Entstehung dieses Neuen Gewandhauses als eine reine Baugeschichte und Kurt Masur als reinen Bauherren zu begreifen. Dass Masurs Name wie kein zweiter sonst, wie nicht einmal
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der des Chefarchitekten, mit diesem Haus verbunden ist, hat den guten Grund, dass es hier um weit mehr als nur die Abenteuergeschichte ging, wie einem maroden System der Mangelwirtschaft ein glänzendes Konzerthaus abgerungen wurde. Vielmehr ging es um nichts Geringeres als um eine künstlerische wie zugleich kultur- und lokalpolitische Neudefinition des traditionsreichen Konzertinstituts: Das Gewandhaus kehrte mit größeren Sälen als einst, mit einem größeren Konzertangebot als einst, mit einem größeren künstlerischen Portfolio als einst in das Herz der Stadt zurück. Und mehr noch ist damit verbunden: Mit Eröffnung des neuen Hauses im Oktober 1981 bekam das Gewandhausorchester zum ersten Mal in seiner Geschichte eine
Heimstatt, ein auf seine Bedürfnisse maßgeschneidertes Haus, in den es nicht mehr nur als Gast wie einst in den Vorgänger-Gewandhäusern, sondern als Hausherr einzog. Gemeinsam mit seinem Gewandhauskapellmeister, der von nun an nicht mehr nur der Chefdirigent, sondern zugleich der Generalintendant dieses kulturellen Großbetriebs war. (In Klammern, weil noch zu frisch: Jetzt, da wir auf das vollendete Leben Kurt Masurs blicken können, sehen wir mit Erstaunen: Die Einweihung des Neuen Gewandhauses fand genau in der Mitte des beruflichen Lebens Kurt Masurs statt. Der Höhepunkt also? Nein, das zu behaupten wäre vermessen. Aber dass diese Hausweihe – wohlgemerkt nicht allein als baugeschichtliches Ereignis betrachtet – zu
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den herausragenden Höhepunkten im Leben des Dirigenten und Musikpolitikers Masur zählt, das dürfen wir sicher sagen.)
im geschützten Raum Die letzte Anmerkung: Kurt Masur wurde nach 1989 bisweilen eine zu große Nähe zum DDR-Staat vorgeworfen. Wir gehen mit einem kleinen Umweg darauf ein – auch wenn wir uns nicht exakt erinnern können, wann Masur angefangen hat, von der »Gewandhausfamilie« zu sprechen. Es wird in den 1980er Jahren gewesen sein, als dem Gewandhausorchester mit dem neuen Haus ein riesiger Mitarbeiterstab zugewachsen war. Masur versuchte, die divergierenden Wel-
ten von »künstlerisch Beschäftigten« hier und »Verwaltungsangestellten« dort zu einen, indem er alle zu einer großen Familie erklärte. Und das offensichtlich mit Erfolg: Wer aus der grauen Stadt, aus der ruß- und schwefelgeschwängerten Leipziger Luft in das Konzerthaus trat, wurde in den hell erleuchteten, liebevoll gepflegten Räumen von freundlichen Menschen empfangen. Die Gewandhausfamilie vermittelte so manchem Konzertbesucher das Gefühl, plötzlich im »Westen« zu sein. Die Institution »Familie« ist in jüngerer Zeit etwas in Misskredit geraten. So heißt es in wissenschaftlicher Literatur etwa, Familie sei doch nur »eine ungelüftete Gefängniszelle, der wenige unbeschädigt entkommen«. Im vormund-
schaftlichen Staat DDR jedoch war Familie oftmals ein Refugium, ein Schutzraum für freies Denken und Äußern, ein Korrektiv zur staatlich verordneten Ideologie. Und genau in diesem Sinne, behaupten wir, hat Masur den Begriff »Gewandhausfamilie« gebraucht. Dass es innerhalb dieser Familie und mit dem autoritären Familienoberhaupt auch genügend Konflikte gab, braucht nicht verschwiegen zu werden. Am Ende überwiegt die Dankbarkeit und zählt das Wissen: Ohne Kurt Masur wären das Gewandhausorchester und das Gewandhaus nicht das, was sie heute sind. Und ohne das Gewandhaus, das Gewandhausorchester und die Gewandhausfamilie wäre Kurt Masur nicht der geworden, um den wir heute in großer Bewegtheit trauern.
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impressum Gewandhaus-Magazin Redaktion Augustusplatz 8 04109 Leipzig Herausgeber: Gewandhaus zu Leipzig (Eigenbetrieb der Stadt Leipzig) Gewandhausdirektor Prof. Andreas Schulz Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly Redaktion: Claudius Böhm (verantwortlich), Sonja Epping, Hagen Kunze (Assistenz), Roland Ludwig (Korrektorat), Dirk Steiner, Iris Türke (Sekretariat) Tel. (0341) 1270-387, Fax (0341) 1270-468 E-Mail: magazin@gewandhaus.de Reihengestaltung: Christopher Kunz Gestaltung dieser Ausgabe: Ines Linke Druck und Binden: D+L Reichenberg GmbH Verlag: Das Gewandhaus-Magazin erscheint im Verlag Klaus-Jürgen Kamprad, Altenburg, mit vier Ausgaben pro Spielzeit. Verlag Klaus-Jürgen Kamprad Theo-Neubauer-Straße 7, 04600 Altenburg Tel. (03447) 375610, Fax (03447) 892850 E-Mail: verlag@vkjk.de Vertrieb und Anzeigen: Verlag Klaus-Jürgen Kamprad, Altenburg, Ansprechpartnerin: Birgit Steiniger Tel. (03447) 375610, Fax (03447) 892850 E-Mail: birgit.steiniger@vkjk.de Es gilt die Anzeigenpreisliste vom 1.1.2015. Vertrieb im Bahnhofsbuch- und Zeitschriftenhandel über DPV GmbH, www.dpv.de, lange.guido@dpv.de. Autoren dieser Ausgabe: Maja Anter, Karsten Blüthgen, Claudius Böhm, Jutta Donat, Martin Hoffmeister, Hagen Kunze, Dr. Ann-Christine Mecke, Juliane Moghimi, Dr. Sieglinde Oehrlein, Anna-Barbara Schmidt, Michael Sellger, Kerstin Sieblist, Dirk Steiner, Dr. Stefan Voerkel Fotos und Abbildungen dieser Ausgabe: akg-images (S. 42), Marco Borggreve (S. 3 oben, 8, 11, 33), Felix Broede (S. 62 unten), BSO / Steve Rosenthal (S. 12) / Stu Rosner (S. 13), BuschFunk (S. 35), Yannick Coupannec (S. 62 oben), Matthias Creutziger (S. 32 re.), Janis Deinats (S. 61), Gewandhaus / Barbara Stroff (Titel, S. 1, 48/49, 52–55), Roland Hornoff (S. 67 Mitte), Lora-Kostina-Trio (S. 67 oben), Gert Mothes (S. 2, 3 Mitte u. unten, 4–7, 26–31, 32 li., 50, 68, Beilage), Kirsten Nijhof (S. 36/37), Martin Petzold (S. 64), Rokolya Photography (S. 67 unten), Christian Steiner (S. 46), Stephan Vanfleteren (S. 63), Wikimedia Commons / Digfarenough (S. 10), Gewandhausarchiv (alle übrigen) Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen. Die im Gewandhaus-Magazin veröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt, ihre Verwertung ist nur mit dem Einverständnis der Redaktion und bei Angabe der Quelle statthaft.
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Briefe an die Redaktion Nicht in dörflicher idylle Zum Beitrag »Lieben sie ihren Reger?« von Katrin Haase Zum Max-Reger-Heft aus Anlass des 100. Todesjahres des Komponisten kann man der Redaktion nur gratulieren. Zum Beitrag »Lieben sie ihren Reger?« scheinen mir einige Ergänzungen aber angebracht. Mir fehlt ein Hinweis auf die Stadt Weiden, in der Reger Kindheits- und Jugendjahre verbrachte. Für die Entscheidung, Musiker zu werden, war Regers Bayreuth-Erlebnis gewiss von Bedeutung. Wichtiger und nachhaltiger war indessen der Einfluss, den Adalbert Lindner, Lehrer und Organist an der Pfarrkirche St. Michael, auf den jungen Reger nahm. Jener war fünf Jahre lang dessen Lehrer für Klavier, Orgel, auch Theorie, gab den Anstoß zur erwähnten Ouvertüre h-Moll, war sein geistiger Mentor in vielfacher Hinsicht und blieb ihm ein lebenslanger Freund. Zu kurz gegriffen ist der Hinweis auf Regers Militärdienstjahr als Auslöser einer in »Sturm und Trank« (so Reger) und schließlich körperlichem Zusammenbruch sich zeigenden Lebenskrise. Dies zu belegen, würde den Rahmen eines Leserbriefs allerdings sprengen. Fundierte Reger-Biographien geben hierzu vielfältige Auskünfte. Auch kam Regers künstlerische Produktivität in jenen Jahren keineswegs zum Erliegen. Die Opera 1 bis 64 (Orgelwerke, Chöre, Kammermusik) belegen dies. Gesundung fand der Angeschlagene auch nicht in dörflicher Idylle, sondern im Elternhaus in Weiden, einem Städtchen von damals immerhin 5000 Einwohnern. Hier half dem Genesenden wiederum der ermutigende Einsatz Adal-
bert Lindners für die entstehenden Werke des Schülers und Freundes. Dass die »Max-Reger-Stadt« Weiden sich seit Jahrzehnten in »Max-Reger-Tagen«, die alljährlich im Herbst drei bis vier Wochen dauern, mit Konzerten, Meisterkursen, Symposien, Ausstellungen (und auch Max-Reger-Bier) dem Werke des Komponisten engagiert annimmt, versteht sich nach diesen Ergänzungen fast von selbst. Mögen doch andere RegerStädte (München, Leipzig, Meiningen) Vergleichbares leisten, nicht nur im Jahr 2016. Mit freundlichen Grüßen Gunter Baldauf (per E-Mail)
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