Gebrochene Versprechen - düstere Zukunft

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GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft

Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft Bezahlen indigene Völker und der Amazonas den Preis für den Rohstoffhunger der Welt?

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Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für verfolgte Minderheiten und indigene Völker ­einsetzt. Sie dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, informiert und sensibilisiert die Öffentlichkeit und nimmt die Interessen der Betroffenen gegenüber Behörden und Entscheidungsträgern wahr. Sie unterstützt lokale Bemühungen zur Stärkung der Menschenrechte von Minderheiten und indigenen Völkern und arbeitet national sowie international mit Organisationen und Per­sonen zusammen, die ähnliche Zielsetzungen verfolgen. Die GfbV hat sowohl beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der UNO als auch beim Europarat. Carmen Santana Dos Santos ist Praktikantin der GfbV im Bereich Kampagnen & Projekte. Sie studierte „Mehrsprachige Kommunikation“ an der Zürcher Fachhochschule (ZHAW) und hat einen M.A.S. in „Peace and Conflict Transformation“ der Universität Basel.

Herausgeberin: Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz, Schermenweg 154, CH-3072 Ostermundigen, Tel. 031 939 00 00, ­E-Mail: info@gfbv.ch, Web: www.gfbv.ch, Spendenkonto: BEKB: IBAN CH05 0079 0016 2531 7232 1  Redaktion: Carmen Santana Dos Santos


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Glossar ANA

Agência Nacional de Águas

Staatliche Wasserbehörde

ANEEL

Agência Nacional de Energia Elétrica

Brasilianische Elektrizitätsbehörde

CII

Coordenadoria de Índios Isolados

CGIIRC

Coordenadoria Geral de Índios Isolados e Recém Contatados

CIMI

Conselho Indigenista Missionário

Missionsrat für Indigene

Eletrobrás

Eletrobrás

Hauptenergieversorger Brasiliens

FUNAI

Fundação Nacional do Indio

Nationale Stiftung der Indigenen

IBAMA

Instituto Brasileiro do meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis

Brasilianische Umweltbehörde

ISA

Instituto Socioambiental

IIRSA

Integración de la Infrastructura Regional en América del Sur

NESA

Norte Energia S.A.

OEA

Organização dos Estados Americanos

PAC

Programa de Aceleração do Crescimento

REDD

Koordinationsstelle für isolierte Indigene Allgemeine Koordinationsstelle für isolierte und vor kurzem kontaktierte Indigene

Brasilianische NGO, die sich mit indigenen Völkern in Brasilien befasst Initiative zur regionalen Infrastrukturintegration in Südamerika Brasilianisches Konsortium, Konzessionsinhaber von Belo Monte Organisation Amerikanischer Staaten

Nationales Programm zur Beschleunigung des Wachstums Reducing Emissions from Deforestation and Reduzierung von Emissionen aus EntDegradation waldung und Walddegradierung

RIMA

Relatório de Impacto Ambiental

Umweltverträglichkeitsprüfung/-studie

SPI

Serviço de Proteção ao Índio

Dienst zum Schutz der Indigenen

TI

Terra Indígena

Indigenenreservat

UHE

Usina Hidroelétrica

Wasserkraftwerk


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Vorwort Während Jahrhunderten erlebten die indigenen Völker in Brasilien - wie in vielen anderen Ländern auch - Unterdrückung, Ausbeutung, Vertreibung, manchmal gar Ausrottung ganzer Gemeinschaften und Völker und die Zerstörung ihrer kulturellen Identität. In den letzten Jahrzehnten aber keimte verschiedentlich Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Richtung Selbstbestimmung auf: Am 14. April 1961 wurde der grosse Park für die Kayapo-Indigenen, der Nationalpark Xingù (Parque Indígena do Xingu), ins Leben gerufen. In einer Aufbruchsphase nach Überwindung der jahrzehntelangen Militärdiktatur sprach Brasilien 1988 den Indigenen durch die Annahme der Verfassung deutlich mehr Rechte zu und erteilte ihnen Landrechte im Sinne der Demarkierung ihrer traditionellen Lebensräume – ein Meilenstein in der Indigenenpolitik Brasiliens. Mehr als 20 Prozent der Amazonasregion wurde in der Folge demarkiert. 2002 ratifizierte Brasilien die Indigenenkonvention ILO 169 und verpflichtete sich damit zur Anerkennung der in dieser Konvention festgelegten Indigenenrechte. Im September 2007 unterstützte Brasilien schliesslich das umfassendste Rechtswerk auf internationaler Ebene, die Erklärung der Rechte indigener Völker der Vereinten Nationen, und erklärte sich damit bereit, die Indigenenrechte umfassend zu verwirklichen. Diese Hoffnungen erwiesen sich als falsch: Die brasilianische Regierung bremst in den letzten Jahren den Demarkierungsprozess und damit ein Kernstück der von der Verfassung garantierten Rechte. Im Amazonasregenwald wird ein Staudamm nach dem anderen bewilligt, ohne das Einverständnis der betroffenen indigenen Völker einzuholen. Die verfassungsmässig garantierte Anhörung der Indigenen bei Projekten entwickelt sich zu einem Feigenblatt für eine rasche Umsetzung wirtschaftlich fragwürdiger Unternehmen, Im Rahmen der Bekämpfung der Armut – und im Interesse der Wirtschaft und Grossgrundbesitzer - möchte die Regierung den artenreichen und als Ursprung sowie Heim vieler indigener Völker dienende Amazonas in ein riesiges Industriezentrum verwandeln, was massive Auswirkungen auf die indigenen Völker, die Artenvielfalt und das lokale sowie das weltweite Klima haben wird. Die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens der letzten zwei Jahrzehnte ist beeindruckend. Euphorisch plant die brasilianische Regierung, fast jeden Fleck dieses riesigen Landes in landwirtschaftliche Produktion umzuwandeln, möglichst jedes Mineral aus dem Boden zu holen, aus vielen Flüssen Strom zu erzeugen und jedes Stück Wald, das geschützt werden soll, über den Kohlenstoffmarkt in bare Münzen zu verwandeln. Dies führt paradoxerweise zur Zerstörung dessen, was man eigentlich schützen möchte: Dem Lebensraum Amazonas. Der wirtschaftliche Fortschritt darf nicht auf Kosten der indigenen Bevölkerung gehen, die dieses Land während Jahrtausenden nachhaltig genutzt hatten, bevor das Land kolonialisiert wurde und den Namen Brasilien erhielt. Er darf auch nicht auf Kosten des grössten Regenwaldgebiets gehen und damit die weltweite Klimaerwärmung anheizen. Brasilien ist mächtig geworden und muss damit mehr Verantwortung übernehmen: Die wirtschaftliche Entwicklung muss in Einklang mit den Bedürfnissen der Betroffenen und der Natur vorangetrieben werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker sieht im völkerrechtlich abgestützten Konzept des freien, informierten und vorherigen Einverständnisses (FIVE) der betroffenen indigenen Völker ein interessantes Instrument, sodass die Konflikte um Landbesitz, Landnutzung und Selbstbestimmung gemindert oder gar zu gelöst werden können. Es sieht vor, dass sämtliche Projekte, die das Leben der Indigenen betreffen, mit ihnen ausgehandelt werden und dass ihr Einverständnis dafür gesucht wird. Dies hätte zur Folge, dass schadenmindernde Massnahmen diskutiert und umgesetzt werden und dass Kompensationen und Beteiligungen am Gewinn ausgehandelt werden. Es bedeutet, dass die bisher vom Schaden betroffenen Menschen am Nutzen beteiligt werden. Es bedeutet aber auch, dass der Staat sich bereit zeigt, ein mögliches Nein der betroffenen Menschen zu akzeptieren. Davon ist Brasilien noch weit entfernt.


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Mit diesem Bericht möchte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aufzeigen, wie verheerend sich der heutige Trend auf die indigenen Völker sowie auf den Amazonas auswirken würde und warum es wichtig ist, dass die Rechte der Indigenen umgesetzt werden. Ferner schlägt die GfbV Massnahmenbereiche vor, wie Brasilien diese Rechte umsetzen könnte. Damit könnte Brasilien aufzeigen, dass wirtschaftliche Entwicklung und die Rechte der betroffenen Völker durchaus vereinbar sind und einen grossen Schritt in Richtung fortschrittlicher, menschenrechtskonformer Politik gehen. Bern, Juni 2012 Christoph Wiedmer Geschäftsleiter Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)


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Inhaltsverzeichnis 1. Einführung

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2. Allgemeine Informationen

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3. Rechtliche Grundlagen der Indigenenpolitik

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3.1 Die brasilianische Verfassung und das Indigenenstatut

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3.2 Das oberste Gericht

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3.3 Die Indigenenschutzbehörde FUNAI

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3.4 Internationales Recht

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3.4.1 Übersicht

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3.4.2 Deklaration über die Rechte indigener Völker

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3.4.3 ILO-Konvention 169

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3.4.4 Freies, Informiertes, Vorheriges Einverständnis - FIVE

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4. Indigene in Amazonien

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4.1 Indigene

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4.2 Indigene mit Erstkontakt

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4.3 Isolierte Indigene

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5. Wirtschaftliche und politische Bedrohungen

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5.1 Übersicht

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5.2 Wirtschaftliche Entwicklung

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5.2.1 Initiative zur regionalen Infrastrukturintegration in Südamerika (IIRSA)

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5.2.2 Nationales Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC)

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5.3 Strassenbau

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5.4 Staudämme

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5.4.1 Aktuelle Situation

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5.4.2 Geplante Staudämme

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5.4.3 Staudamm Belo Monte

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5.4.4 Teles Pires

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5.5 Abholzung

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5.6 Bodenschätze

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5.6.1 Mineralienreichtum

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5.6.2 Erdöl und -gas

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5.6.3 Gold

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5.7 Politische Prozesse

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5.7.1 Demarkierung der Indigenenreservate

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5.7.2 Waldgesetz

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5.8 Landwirtschaft

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5.8.1 Übersicht

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5.8.2 Rinderzucht

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5.8.3 Soja

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5.8.4 Zuckerrohr

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5.8.5 Palmöl

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5.9 Globaler Kohlenstoffmarkt

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6. Gesellschaftliche Bedrohung

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7. Schlusswort und Lösungsansätze

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Anhang Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Gesetzesartikel


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1. Einführung Wachstum ist die Zauberformel, mit der die brasilianische Regierung das Land seit Jahren entwickelt. Seit der Einführung des exportorientierten Wachstumsmodells mit Beginn der Amtszeit des damaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva im Jahr 2003 hat sich die Wirtschaftsleistung des Landes fast verdoppelt. 40 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer sind in den vergangenen Jahren in die Mittelschicht aufgestiegen, ungefähr 20 Millionen konnten sich aus der totalen Armut befreien. Dafür wird ein enormer Preis bezahlt: Die ökologischen Probleme werden immer grösser. Die Leidtragenden sind insbesondere die Indigenen, die bereits seit der Kolonisierung des Kontinents in ihrer Existenz durch Krankheiten, Versklavung, Enteignung ihres Landes, Entwaldung und Ausbeutung der Bodenschätze bedroht werden. Viele indigene Gemeinschaften sind im Laufe der Zeit ganz oder teilweise verschwunden oder haben sich in die Tiefen des Regenwaldes zurückgezogen. Im heutigen Brasilien leben noch 817‘000 indigene Menschen, was weniger als einem halben Prozent der gesamten Bevölkerung entspricht1. Viele der traditionellen Lebensräume oder Rückzugsgebiete werden mit oder ohne Erlaubnis der zuständigen Behörden ausgebeutet und zerstört. Das brasilianische Entwicklungsprogramm, das sogenannte Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC), das die brasilianische Regierung zur Bekämpfung der Armut entwickelte, umfasst riesige Infrastrukturbauten. Geplant sind neue Staudämme, ein enormer Ausbau der Nutzung von Rohstoffen, Erdöl und Erdgas sowie der Bau von Strassen. Ausserdem sind Projekte im Bereich städtischer und sozialer Infrastruktur in ganz Brasilien geplant. Nun nimmt diese Entwicklung eine neue Dimension an: Seit 2011 werden die umstrittenen Staudämme Belo Monte und Teles Pires im Bundesstaat Pará gebaut. Es bestehen zudem Pläne für bis zu 258 weitere Staudämme im Amazonasgebiet2. Nicht nur die Wasserkraftwerke haben verheeren-

de Folgen für die Menschen vor Ort, insbesondere leiden darunter die indigene Bevölkerung und ihre Umwelt. Der Hunger nach Bodenschätzen, getrieben durch die grosse Nachfrage in den sogenannt entwickelten Ländern und in den aufstrebenden Märkten China und Indien, lässt die Preise für Rohstoffe steigen. Nun lohnt sich der Rohstoffabbau auch in entferntesten Regionen des Regenwaldes. Hunderte von Gesuche für die Mineralschürfung wurden bereits eingereicht und zum Teil vom Ministerium für Bergbau bewilligt. Einige dieser Bewilligungen wurden sogar in Indigenenreservaten erteilt, was bis zum heutigen Tag illegal ist. Dies geschah alles ohne das Wissen oder die Einwilligung der indigenen Völker, welche die rechtmässigen Nutzer dieser Gebiete sind. Auch neue Siedlungsgebiete und Anbauflächen für die Landwirtschaft weiten sich aus. Riesige Flächen im Amazonaswald werden niedergebrannt und als Sojaplantagen und Grasland für Vieh genutzt. Das Volk der Xikrin am Fluss Catete ist beispielsweise vollständig von intensiv genutzten Landwirtschaftsflächen umzingelt. Besorgniserregend ist zudem die Entwicklung der brasilianischen Gesetzgebung. Während Brasilien mit der Verfassung von 1988 einen grossen Schritt in Richtung modernen Indigenenschutz unternahm, demontiert seither das Parlament den menschenrechtlichen Schutz der Indigenen und deren Lebensraum. Ein Beispiel ist der Entwurf des Waldgesetzes, das eine massive Zunahme der Abholzung und eine Amnestie für Waldgesetzesbrecher zur Folge haben wird. Äusserst besorgniserregend ist der Gesetzesentwurf PL 1610/1996 zur Regelung der Demarkierung der Indigenenreservate. Wenn dieser angenommen wird, würde er die Tore zum kommerziellen Rohstoffabbau auch in Indigenenreservaten öffnen. Gemäss der brasilianischen Nichtregierungsorganisation Instituto Socioambiental (ISA) wurden bis ins Jahr 2010 1‘338 Schürfgenehmigungen in den Reservaten erteilt. 10‘348 entsprechende Anfragen sind in Bearbei-

__________ 1 Vgl. http://www.funai.gov.br 2 Vgl. Movimento dos Atingidos por Barragens (2008): Hidréletricas no Rio Madeira: Energia para qué? E para quem?, http:// www.mabnacional.org.br/publicacoes/cartilha_riomadeira_miolo_2ed.pdf, Seite 7.


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tung, obwohl das Gesetz noch nicht verabschiedet wurde (siehe Kapitel Bergbaugesetz)3. Neben diesen gesetzgeberischen Entwicklungen richtet sich auch die Realpolitik der Regierung klar gegen die Interessen der indigenen Völker und wirkt sich verheerend auf den Schutz ihres Lebensraumes aus. Invasionen von Siedlern, Goldwäschern und Wilderern wird kein Einhalt geboten. In vielen Konfliktzonen ist der Staat nicht präsent. Neue Indigenenreservate werden kaum mehr ausgewiesen. Die Gewalt an indigenen Menschen ist besorgniserregend hoch. Brasilien kann stolz sein auf die kulturelle Vielfalt, die sich in diesem riesigen Land gebildet hat. Dazu gehören die kaum mehr vorhandenen indigenen Völker, die noch vollständig ohne Kontakt mit anderen Gruppen oder in freiwillig gewählter Isolation leben. Unbeeinflusst von der „Aussenwelt“ hat sich bei ihnen eine jahrhundertealte Kultur entwickelt, die es um jeden Preis zu schützen gilt. Da diese Gemeinschaften besonders gefährdet sind, gilt ihnen ein besonderes Augenmerk. Brasilien hat sich nicht nur der Bekämpfung der Armut verschrieben. Durch die Ratifizierung der Indigenenkonvention ILO 169 und durch die Zustimmung zur UNO-Deklaration über die Rechte der indigenen Bevölkerung hat sich Brasilien auch dem Schutz der Indigenen verpflichtet. Diesen Zugeständnissen müssen nun Taten folgen. Der Schutz der indigenen Bevölkerung muss weiterentwickelt werden, die zugesprochenen Territorien müssen vollständig ausgewiesen und die Mitbestimmung der indigenen Bevölkerung muss garantiert werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) stellt in diesem Bericht ein Konzept vor, das zur Lösung vieler Konflikte beitragen könnte: Das Recht der indigenen Bevölkerung auf ihr freies, informiertes und vorheriges Einverständnis bei allen Aktivitäten Dritter, die sie oder ihre Lebensweise beeinflussen.

__________ 3 Vgl. Veríssimo, Adalberto et al. (2011): Protected Areas in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/10381.pdf, Seite 76.

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2. Allgemeine Informationen Brasilien ist das weltweit fünftgrösste Land und rei, der Kautschukboom und die Diskriminierung verfügt über eine Fläche von 8‘511‘950 km². Die hatten diese Zahl im Laufe der folgenden Zeit grosse ethnische Vielfalt entstand durch Durchmassiv verringert. Seit 28 Jahren ist die indigene mischung der ursprünglichen indigenen BevölkeBevölkerung erstmals wieder am Wachsen. Nun berung Brasiliens mit portugiesischen Siedlern und mit verschleppten afrikanischen Sklaven. Später auch Immigranten aus Europa, dem Nahem Osten und Asien hinzu. Zu den indigenen Völker zählen laut offiziellen Statistiken der FUNAI noch ungefähr 817‘000 Menschen4. Dies entspricht ca. 0.4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie leben in Gemeinschaften in den Reservaten und in Städten. In Brasilien wurden bis ins Jahr 2011 643 Indigenenreservate demarkiert, die insgesamt eine Fläche von 1‘154‘999km², knapp 28-mal die Fläche der Schweiz, einnehmen5. Im 16. Jahrhundert, zur Zeit der portugiesischen Kolonisation, lebten schätzungsweise noch 1‘000 indigene Gemeinschaften und je nach Schätzungen und Quelle zwischen ein bis zehn Millionen Abbildung 2: Situierung Amazonien (Quelle: Imazon8) indigene Personen in ganz Brasilien6. Gewaltsame drohen die neuen wirtschaftlichen EntwicklungsKonflikte, gezielte Tötungen, Krankheiten, Sklaveprojekte erneut die Existenz der indigenen Völker. Das brasilianische Amazonasgebiet erstreckt sich auf einer Fläche von 4‘200‘000 km², das heisst es bedeckt die Hälfte des Landes9. Von dieser Fläche stehen ungefähr 43 Prozent unter Schutz: 49.4 Prozent ist Naturschutz und 50.6 Prozent sind Indigenenreservate. Diese Schutzgebiete leiden zunehmend unter Übergriffen wegen schlechter Verwaltung und unzureichenden Kontrollen seitens der Regierung.

Abbildung 1: Brasilien (Quelle: muz7 ) __________ 4 Vgl. http://www.funai.gov.br 5 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 13. 6 Vgl. http://www.funai.gov.br 7 Quelle: http://www.muz-online.de/america/brasilien1.html 8 Quelle: http://www.imazon.org.br/mapas/amazonia-legal/view 9 Auch bekannt unter der Bezeichnung „Amazonien“ - in Brasilien wird dieses Gebiet auch Amazônia Legal genannt. In diesem Bericht werden die Begriffe Amazonien und Amazonasgebiet als Synonyme verwendet.


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3. Rechtliche Grundlagen der Indigenenpolitik 3.1 Die brasilianische Verfassung und das Indigenenstatut Nach Überwindung der Militärdiktatur erhielt der brasilianische Staat am 5. Oktober 1988 eine neue Verfassung. Neben fortschrittlichen Elementen für eine moderne Menschenrechtspolitik enthielt sie auch progressive Paragraphen zu den Rechten der Indigenen. Die Paragraphen 231 und 232 unterteilen die indigene Bevölkerung in drei Gruppen: integrierte, teil-integrierte und isolierte indigene Gemeinschaften. Die Verfassung bezieht sich auf den Schutz der indigenen Gemeinschaften und deren traditionellem Leben. Zusätzlich bildet sie die Grundlage für die Errichtung indigener Reservate. Auch in Bezug auf die isolierten Indigenen verbesserte sich die Verfassung, denn sie werden nicht mehr per se kontaktiert, sondern ihre freiwillige Isolation wird respektiert. Parallel zur progressiven Verfassung ist jedoch auch das veraltete Indigenenstatut vom Jahr 1973 immer noch in Kraft, welches den Grundsatz des Zivilgesetzbuches von 1916 widerspiegelt. Es entspricht nicht mehr den Bestimmungen der Verfassung und den Forderungen der indigenen Völker. Eine verfassungsangepasste Neuregelung ist aber seit geraumer Zeit im Parlament blockiert. Das alte Indigenenstatut wurde noch unter der Militärdiktatur geschrieben und deklariert die Indigenen als unmündige Personen, was verschiedenste internationale und nationale Richtlinien verletzt. Des Weiteren schreibt der Artikel 1 des Statuts vor, dass die indigene Bevölkerung auf harmonische und fortschrittliche Weise in die brasilianische Gesellschaft integriert werden soll10. Die Verfassung von 1988 gibt aber den Indigenen ausdrücklich kulturelle Autonomie und widerspricht damit dem Statut. Dies ergibt ein unübersichtliches nationales Rechtsgefüge auf Kosten der betroffenen Gemeinschaften. Die gesetzlichen Grundlagen zum Schutz der isolierten Indigenen sind damit im Prinzip gegeben, jedoch mangelt es an deren Umsetzung. Der Artikel

231 der brasilianischen Verfassung ermöglicht eine Demarkierung der Siedlungsgebiete von isolierten Indigenen, ohne zuvor direkt mit ihnen in Kontakt getreten zu sein. Früher hatte der brasilianische Staat eine indigene Gruppe und deren Gebiet erst dann anerkannt, wenn die Gemeinschaft kontaktiert wurde und eine Volkszählung erfolgt war. Werden heute konkrete Hinweise gefunden, dass isolierte Indigene in einer Region leben, wird der Demarkierungsprozess durch die Mitarbeiter der Indigenenschutzbehörde FUNAI initiiert und durchgeführt. Das Sammeln von Hinweise und Spuren, die darauf hinweisen, welches konkrete Gebiet von den Indigenen genutzt wird, kann einige Jahre dauern. Gleichzeitig werden von der FUNAI an strategisch wichtigen Punkten wie etwa an Flussmündungen, spezielle Überwachungsposten eingerichtet, um den Lebensraum der isolierten Indigenen vor dem Zutritt von Unbefugten zu schützen.

__________ 10 Übersetzung des Portugiesischen: Art.1º Esta Lei regula a situação jurídica dos índio ou silvícolas e das comunidades indígenas, com o propósito de preservar a sua cultura e integrá-los, progressiva e harmonicamente, à comunhão nacional – FUNAI: LEI Nº 6.001 - DE 19 DE DEZEMBRO DE 1973, http://www.funai.gov.br/quem/legislacao/estatuto_indio.html


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3.2 Das oberste Gericht Das oberste Bundesgericht (Supremo Tribunal Federal, STF) ist unter anderem für verfassungsrechtliche Fragen zuständig und befasst sich auch mit Entscheiden, welche die Indigenen betreffen. Eine wichtige Entscheidung, die sich teilweise negativ auf die Indigenen auswirkt, wurde am 19. März 2009 getroffen. Die Indigenen des Gebiets Raposa do Sol kämpften jahrelang für eine Demarkierung und alleinige Nutzung ihres Gebiets. Den Status als indigenes Reservat hatte der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Jahr 2005 zugesprochen, aber eine Gruppe von Reisbauern wehrten sich dagegen und reichten einen Antrag beim obersten Gericht ein, wobei sie die Aufhebung der legalen Anerkennung des Territoriums durch die Regierung forderten. Das Gericht lehnte die Klage der Reisbauern ab und erteilte den Indigenen das alleinige Nutzungsrecht der Reservate, machte jedoch gleichzeitig klar, dass die nationale Souveränität und das öffentliche Interesse über diesem Recht stehen. Im Falle von militärischen Einrichtungen, Gesundheits- oder Bildungsinstitutionen, von Strassenbau, Dämmen oder anderen alternativen Methoden von Energieproduktion und Bergbau müsse das Parlament entscheiden, ob diese Projekte auch in den Reservaten durchgeführt werden können oder nicht. Zurzeit ist ein Gesetzesentwurf in der Vernehmlassung, der diese Entscheidung gesetzlich regeln soll. Zwar ist dabei eine Anhörung der Indigenen vorgesehen, nicht aber ihr Mitbestimmungsrecht.

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3.3 Die Indigenenschutzbehörde FUNAI Die Nationale Stiftung der Indigenen (Fundação Nacional do Indio, FUNAI) ist eine nationale Organisation zum Schutz und zur Unterstützung der Indigenen in Brasilien. Sie hat ihren Hauptsitz in Brasilia und ist dem Justizministerium unterstellt. Bis zur neuen Verfassung war das Hauptziel dieser Behörde die Integration der Indigenen in die Mehrheitsgesellschaft. Danach hat die FUNAI ihre Strategie geändert und unter anderem eine eigene Koordinationsstelle (CII) für in freiwilliger Abgeschiedenheit lebende Völker und eine eigene Abteilung für isolierte und vor kurzem kontaktierte Völker (CGIIRC) eingerichtet. Die Hauptaufgabe der CGIIRC ist die Lokalisierung der isolierten Indigenen, ohne jedoch Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Die FUNAI ist heute zuständig für die Durchführung aller Massnahmen zugunsten der indigenen Gemeinschaft Brasiliens und muss sicherstellen, dass die Gesetze, die Verfassung und das veraltete Indigenenstatut eingehalten werden. Seit Ende 2009 wirkt die FUNAI nicht mehr als Vormund der indigenen Völker, sondern verfügt über Kompetenzen, die Indigenen im Namen der Regierung zu schützen und ihre Rechte zu garantieren. Des Weiteren müsste die FUNAI die Indigenen über Projekte, die sie betreffen, informieren und mit ihnen eine gemeinsame Lösung möglicher Konflikte finden. Diese Aufgabe wird aber gemäss Indigenen unzureichend wahrgenommen11. Eine zentrale Aufgabe der Behörde ist die Demarkierung und die Durchsetzung der Grenzen der Indigenenreservate. Die Demarkierung – der Prozess der Überführung des traditionellen Nutzgebietes indigener Gemeinschaften in ein Indigenenreservat – vollzieht sich in Brasilien in mehreren rechtlich vorgeschriebenen Schritten: 1. Identifizierung: Eine Arbeitsgruppe der FUNAI identifiziert die Region, die von den Indigenen be-

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ansprucht wird. Der daraus folgende Bericht muss vom Präsidenten der FUNAI bestätigt werden. Dieser veröffentlicht eine Zusammenfassung und leitet diesen Report an das Justizministerium weiter. 2. Verlautbarung: Das Justizministerium gibt nach Erhalt des Vorgangs innerhalb von 30 Tagen die Grösse des indigenen Gebietes bekannt. 3. Demarkierung: Es folgt die tatsächliche Vermessung und Abgrenzung des indigenen Territoriums. 4. Zulassung: Der Präsident oder die Präsidentin der Republik bestätigt mit der Unterschrift die Demarkierung. 5. Eintrag im Grundbuch: Nach der Zustimmung durch den Präsidenten oder die Präsidentin wird das indigene Territorium in einem Notariat offiziell registriert12. Der ganze Prozess kann sich endlos in die Länge ziehen, wenn die nicht-indigene Bevölkerung Einspruch erhebt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass in vielen Indigenenreservaten illegal Minen erschlossen werden und Wald gerodet sowie Gold geschürft wird, obwohl es die Aufgabe der FUNAI wäre, die Grenzen der demarkierten Gebiete zu schützen und derartige Aktivitäten zu verhindern. Als Folge davon erscheint die FUNAI immer wieder in einem schlechten Licht. Obwohl viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FUNAI einen ausgezeichneten Einsatz für die Indigenen leisten, hat sich die FUNAI zunehmend zu einem Instrument der Regierung entwickelt, um ihre Entwicklungspolitik gegenüber der indigenen Bevölkerung durchzusetzen. Sie ist keine Institution der indigenen Bevölkerung. So wurde zum Beispiel Megaron Txucarramãe13 , ein Häuptling der Kayapo im Xingu-Gebiet, der für die FUNAI als regionaler Koordinator arbeitete, aufgrund seiner Opposition gegen den Belo Monte-Staudamm entlassen14. Die FUNAI geniesst immer weniger Vertrauen bei

__________ 11 Vgl. Ricardo, Beto / Ricardo, Fany (2011): Povos Indígenas No Brasil 2006/2010, Instituto Socioambiental, São Paulo, Seite 92. 12 Vgl. ISA: Demarcation Process, http://pib.socioambiental.org/en/c/terras-indigenas/demarcacoes/como-e-feita-a-demarcacao-hoje 13 Megaron Txucarramãe ist der Häuptling des Stammes der Kayapo und einer der wichtigsten Indigenenführer Brasiliens. Er ist der Neffe des Indignenhäuptlings Raoni, der vor 20 Jahren mit Unterstützung des Sängers Sting eine internationale Kampagne gegen den Belo Monte Staudamm lancierte. 1982 war er der erste indigene Präsident der FUNAI. 14 Vgl. Plattform Belo Monte (01.12.2011): Índios besetzen Fuani und fordern Rückkehr von Kazike Megaron, http://plattformbelomonte.blogspot.com/2011/12/indios-besetzen-nach-entlassung-von.html


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den indigenen Gemeinschaften. Diese verlangen daher seit geraumer Zeit eine nationale Indigenenorganisation, in der sie die Führung und Entscheidung selbst übernehmen und für ihre Rechte einstehen können.

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3.4 Internationales Recht 3.4.1 Übersicht Seit Jahrzehnten setzen sich die Indigenen für die Anerkennung ihrer Rechte ein. Die zentralen Forderungen sind: • Das Recht auf Selbstbestimmung • Das Recht auf ihr Land • Das Recht, ihr Land und Ressourcen selber zu nutzen oder die Nutzung anderer kontrollieren zu können. Während die Rechte der indigenen Völker in kaum einem Land umfänglich garantiert werden, macht die Rechtsentwicklung auf internationaler Ebene Fortschritte, wie in den folgenden Unterkapiteln aufgezeigt wird. So haben bisher 22 Länder die Indigenenkonvention der Arbeitsorganisation (International Labour Organization) ILO 169 ratifiziert. Zudem hat im 2007 die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Deklaration zu den Rechten der Indigenen Völker angenommen. Im Februar 2012 erstellte die UNO Richtlinien für den Umgang mit isolierten Völkern. Sie heben hervor, dass das Land der isolierten Völker unantastbar sei und dass keine Rechte auf Ressourcen-Ausbeutung auf ihrem Territorium erteilt werden dürfen. Bei der Durchsetzung dieser Verpflichtungen besteht bei der brasilianischen Regierung wie bei den meisten anderen Ländern grosser Nachholbedarf. 3.4.2 Deklaration über die Rechte indigener Völker Am 13. September 2007 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Deklaration der Rechte für Indigene Völker (UNDRIP15) angenommen. Brasilien hat der Deklaration zugestimmt, die unter anderem einen universellen Rahmen an Mindeststandards in den Bereichen Überleben, Würde, Wohlergehen und Rechte der Indigenen fordert. Nun sollte Brasilien die Verpflichtungen in die brasilianische Gesetzgebung aufnehmen. Die Deklaration garantiert den indigenen Völkern explizit als Kollektiv und auch den Individuen alle Menschenrechte. Die Artikel 3 und 4 der Deklara-

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tion (siehe Anhang) beziehen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Bevölkerung, und der Artikel 8 legt fest, dass ihre Kultur und Lebensweise respektiert werden muss. 3.4.3 ILO-Konvention 169 Die ILO-Konvention 169 ist die einzige internationale Norm, die den Indigenen rechtsbindend Schutz und Anspruch auf eine Anzahl an Grundrechten garantiert. Diese Konvention ist am 5. September 1991 in Kraft getreten. Brasilien unterzeichnete sie am 25. Juli 2002 und verpflichtet sich damit, die 44 Artikel der grundlegenden Rechte der Indigenen in ihre nationale Gesetzgebung aufzunehmen und durchzusetzen16. In Bezug auf die Infrastrukturprojekte und Wirtschaftsprojekte in Brasilien geben die Artikel 6, 7 und 15 Rahmenbedingungen vor, wie die Regierung mit den Indigenen umgehen müsste, um sie in die Pläne einzubeziehen. Am 2. März 2012 hat die Expertenkommission der ILO einen Bericht zur Umsetzung dieser Konvention veröffentlicht17, in der sie Brasilien auffordert „die erforderlichen Massnahmen zur Durchführung von Konsultationen der betroffenen indigenen Völker gemäss Artikel 6 und 15 der Konvention 169 zum Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte zu treffen, bevor mögliche schädliche Auswirkungen dieses Projekts irreversibel sind und in Absprache mit den indigenen Völkern zusammen zu arbeiten, um festzustellen, ob die Prioritäten der indigenen Völker respektiert werden. Zudem soll die brasilianische Regierung Massnahmen zur Risikobegrenzung planen und die betroffene Bevölkerung angemessen entschädigen18.“ Auch die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (IACHR) hat die brasilianische Regierung aufgrund der Nicht-Einhaltung der ILO-Konvention 169 wegen des Kraftwerks Belo Monte kritisiert. Brasilien reagierte verärgert und setzte ihren finanziellen Beitrag an die Organisation Amerikanischer Staaten aus. Auf regionaler Ebene scheint die ILO-

__________ 15 UNDRIP = United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples. 16 Vgl. ILO (2011): Convention Nr. C169, http://www.ilo.org/ilolex/cgi-lex/ratifce.pl?C169. 17 Vgl. ILO (2012): Informe de la Comisión de Expertos en Aplicación de Convenios y Recomendaciones, http://www.politicaspublicas.net/panel/images/stories/docs/2012-informe-ceacr-oit-pueblos-indigenas.pdf 18 Vgl. Plattform Belo Monte (05.03.2012): Belo Monte verletzt die ILO-Konvention 169, http://plattformbelomonte. blogspot.com/2012_03_01_archive.html


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Konvention dagegen auf breitere Unterstützung zu stossen: Die Bundesanwaltschaft des Staates Pará hat beispielsweise mehrfach Beschwerde eingereicht gegen die Bewilligungsverfahren der Staudämme und dabei auf die mangelnde Umsetzung der Konvention 169 aufmerksam gemacht. 3.4.4 Freies, informiertes, vorheriges Einverständnis - FIVE Ein zentrales Instrument zur Durchsetzung der Rechte der Indigenen ist das freie, informierte und vorherige Einverständnis (FIVE19). Das heisst, wenn Dritte im Gebiet eines indigenen Volkes aktiv werden wollen, müssen diese das Einverständnis der betroffenen Bevölkerung einholen. Dazu müssen vorgängig ernsthafte Verhandlungen über das geplante Projekt geführt werden. Mit Hilfe dieses Konzeptes können schadenminimierende Massnahmen, Kompensationen für die Beeinträchtigung und eine Gewinnbeteiligungen ausgehandelt werden. Damit bietet das FIVE eine Chance für eine nachhaltige Entwicklung für die betroffene Bevölkerung. Industrielle oder Infrastrukturprojekte müssten damit einen stärkeren Beitrag für die lokale, nachhaltige Entwicklung leisten, wollen sie eine Chance für die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung erhalten. Vor dem Bau der Wasserkraftwerke Belo Monte und Teles Pires sowie den meisten anderen Bauvorhaben in Amazonien wurden die Indigenen vor Ort nicht oder ungenügend über die Projekte informiert und einbezogen. Der Artikel 10 der UNO-Resolution 61/29520, dem Brasilien zugestimmt hat, schreibt Folgendes vor: „Indigene Völker dürfen nicht zwangsweise aus ihrem Land oder ihren Gebieten ausgesiedelt werden. Eine Umsiedlung darf nur mit freiwilliger und in Kenntnis der Sachlage erteilter vorheriger Zustimmung der betroffenen indigenen Völker und

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nach Vereinbarung einer gerechten und fairen Entschädigung stattfinden, wobei nach Möglichkeit eine Option auf Rückkehr bestehen muss.21“ Der aktuelle FUNAI-Präsident Márcio Meira hat an einem Treffen mit Indigenenvertretern zum Wasserkraftwerk Belo Monte im Januar 2012 ausgesagt, dass die FUNAI nicht wisse, wie man eine solche Anhörung und die Miteinbeziehung der Indigenen durchführen müsste22.

__________ 19 Der Ausdruck „FIVE“ ist auch unter dem englischen Akronym FPIC (Free, Prior and Informed Consent) bekannt. 20 Die Arbeitsgruppe in Bezug auf die indigene Bevölkerungen war neben dem ständigen Forum über indigene Angelegenheiten und dem Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten indigener Völker eines der drei Organe der Vereinten Nationen, das sich ausschliesslich mit der Situation der indigenen Völker befasst. Im 1985 fing die Arbeitsgruppe bereits mit der Erarbeitung der UNO-Erklärung der Rechte der indigener Völker an, die dann erst im 2007 von der UNO-Versammlung verabschiedet wurde. 21 Vgl. UN: Resolution ohne Überweisung an einen Hauptausschuss, www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/ Declaration(German).pdf, Seite 16-25. 22 Vgl. Xingu Vivo: Problemas continuam sem respostas após reunião com presidencia da Funai, dizem indígenas (26.01.2012), http://www.xinguvivo.org.br/2012/01/26/problemas-continuam-sem-respostas-apos-reuniao-com-presidencia-da-funai-dizem-indigenas.


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Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat sich intensiv mit der Umsetzung des FIVE-Konzeptes beschäftigt. In einer Studie zur Anwendung des FIVE im Kongobecken kam die GfbV zu folgenden Schlüssen:

FIVE ist auf alle Projekte anzuwenden, welche die indigene Bevölkerung und deren Le- bensraum betreffen.

Alle relevanten Informationen müssen vor den Aktivitäten bekannt gegeben werden.

Die Informationen müssen so aufgearbeitet sein, dass sie objektiv sind, transparent ver mittelt werden und von den indigenen Gemeinschaften verstanden werden.

Eine breite Konsultation unter Berücksichtigung sämtlicher Betroffenengruppen muss durchgeführt werden.

In den Verhandlungen darf keinerlei Druck oder Manipulation gegen die Betroffenen aus geübt werden.

Die Betroffenen haben das Recht, „Ja“ zu sagen.

Die Betroffenen habe das Recht, „Wie“ zu sagen und solange zu verhandeln, bis sie ein verstanden sind.

Die Betroffenen haben aber auch das Recht, „Nein“ zu sagen.

Zentrale Aspekte der Verhandlungen sind: Schadensmindernde Massnahmen, Einrich- tung von Schutzgebieten, Kompensation für Schäden und Beteiligung am Mehrwert, der durch das Projekt generiert wird.

Am Ende der Verhandlungen entscheiden die Betroffenen, ob sie ihr Einverständnis ge- ben oder nicht.

FIVE ist nicht ein einmalig einzuholendes Einverständnis. Es muss während des gesam- ten Projektes weiter verhandelt werden. Insbesondere muss der Informationsfluss und der ständige Einbezug der indigenen Gemeinschaften gewährleistet sein. Bei neuen Informationen, oder falls sich Informationen als falsch erweisen sollten, können die Ge- meinschaften ihr Einverständnis auch wieder zurückziehen23.

__________ 23 Lewis, Jerome et al. (2008): Free, Prior and Informed Consent and Sustainable Forest Management in the Congo Basin, http://assets.gfbv.ch/downloads/fpic_congo_report_english.pdf


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4. Indigene in Amazonien 4.1 Indigene Laut dem Zensus von 2010 des brasilianischen Institut für Geographie und Statistik (IGBE) gibt es in Brasilien 817‘000 indigene Menschen, von denen 315‘000 auf dem Land und 502‘000 in den Städten wohnen24. Ungefähr 13 Prozent der Fläche Brasiliens wurde für die indigene Bevölkerung demarkiert. Die meisten Indigenen leben in Amazonien, das die Bundesstaaten Amazonas, Acre, Amapá, Pará, Rodônia, Roraima, Tocantis, Mato Grosso und einen Teil von Maranhão umfasst. Die indigene Bevölkerung ist in Brasilien am stärksten von Armut betroffen25. Armut und Landraub haben mehr als die Hälfte von ihnen in die Elendsviertel der städtischen Ballungszentren getrieben. 326‘375 indigene Menschen leben in extremer Armut und rund 64‘000 indigene Familien sind auf die Unterstützung von einem Sozialhilfeprogramm der Regierung (Bolsa Família) angewiesen26. Heute gibt es noch ungefähr 235 indigene Völker und je nach Schätzungen zwischen 150‘000 und 350‘000 Indigene im Amazonasgebiet, die zum Teil in kleinen Gemeinschaften, weniger als ein Dut-

zend Personen, zum Teil aber auch in grösseren Siedlungen mit bis zu 30‘000 Menschen zusammenleben27. Sie sprechen ungefähr 180 verschiedene indigene Sprachen. Gemäss ISA leben im Amazonien 173 indigene Gemeinschaften in 405 Indigenenreservaten, die etwa 22 Prozent des brasilianischen Amazonasgebiets ausmachen28. Der Regenwald ist nicht nur der Lebensraum der indigenen Menschen, sondern er versorgt sie auch mit Nahrung, Medizin und fast allen Materialien, die sie benötigen. Insbesondere für die Spiritualität und das traditionelle Leben ist der Amazonaswald mit den vielen heiligen Orten fundamental für das langfristige Überleben der indigenen Völker und ihrer Lebensweise. Die Entstehung der Indigenenreservate geht bis in die frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zurück. Die Verfassung von 1988 hatte zur Folge, dass viele neue Reservate verwirklicht wurden. Die Gründung neuer Reservate hat in letzter Zeit auf besorgniserregende Weise abgenommen. Die folgende Tabelle beschreibt den aktuellen Stand der Demarkation indigener Reservate.

Situation In Identifizierung Mit eingeschränkter Nutzung von Nicht-Indigenen Total

Anzahl 134 5 139

Grösse (ha) 9‘964 842‘022 851‘986

Deklariert Ausgewiesen Anerkannt In das Grundbuch eingetragen SPU/CRI29 Total in Brasilien

69 23 30 400 677

5‘059‘374‘452 138‘665 5‘549‘675 98‘289‘838 111‘523‘636

Tabelle 1: Indigenenreservate in Brasilien (Stand Juli 201130) ________ __ 24 Vgl. Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (2012): http://ibge.gov.br/indigenas/graficos.html 25 Vgl. Ministério do Desenvolvimento Social e Combate à Fome: O perfil da Extrema Pobreza no Brasil com base nos dados preliminares do universo do Censo 2010, http://www.mds.gov.br/saladeimprensa/noticias/2011/maio/arquivos/11.05.02_Nota_ Tecnica_Perfil_A.doc 26 Vgl. ISA: Cresce número de famílias indígenas beneficiadas pelo Programa Bolsa Família (31.05.2011), http://pib.socioambiental.org/en/noticias?id=102996 27 Vgl. Ricardo/Ricardo (2011): Povos Indígenas No Brasil 2006/2010, Instituto Socioambiental: São Paulo, Seite 16. 28 Viele Indigenenreservate sind noch nicht als solche deklariert worden und besitzen daher auch noch keinen Schutz von der Regierung. 29 SPU Serviçio de Patrimônio da União (Staatseigentumsedienst)/ CRI Cartórios de Registro de Imóveis (Grundbuch). 30 Vgl. Ricardo, Beto / Ricardo, Fany (2011): Povos Indígenas No Brasil 2006/2010, Instituto Socioambiental: São Paulo, Seite 90.


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Abbildung 3: Indigenenreservate in Brasilien (Quelle: © FUNAI31 )

Legende Gelbe Fläche: Indigenenreservate Rote Fläche: Rohstoffabbaugesuche in Indigenenreservaten Grüne Fläche: Indigenenreservate im Demarkierungsprozess

__________ 31 Quelle: http://www.funai.gov.br/ultimas/e_revista/iconografia/fotos/mapao.htm

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4.2 Indigene mit Erstkontakt Die Indigenen mit Erstkontakt haben erst seit kurzem Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Gemäss ISA gibt es in Brasilien sieben indigene Völker mit Erstkontakt. Die Erfahrungen der Indigenen mit Erstkontakt zeigen exemplarisch die Gefahren für die in Isolation lebenden Völker auf: Gemäss Survival International hatten zum Beispiel die Zo‘é den Erstkontakt zu Aussenstehenden im Jahr 1987, als Missionare eine Basis in ihrer unmittelbaren Umgebung errichteten. Die Zo‘é infizierten sich daraufhin an Krankheiten, gegen die sie nicht immun waren. Die Missionare hatten nicht mit einer solchen Situation gerechnet und wussten sich nicht mehr zu helfen. Sie baten die FUNAI um Hilfe, die darauf ein Team zur gesundheitlichen Versorgung zu den Zo‘é schickte, worauf sich die Lage stabilisierte. Jahre später wurde ihr Territorium offiziell von der Regierung anerkannt, ein Gesundheitsposten wurde erstellt und ihr Gebiet wurde unter Schutz gestellt. Daraufhin mussten die Missionare das Gebiet verlassen32. Ähnlich geht es den Korubo. Sie wurden im 1996 zum ersten Mal kontaktiert. Diese Gruppe besteht aus 27 Personen. Gemäss ISA wurde jeweils eine Person jeder Familie mindestens einmal in die Stadt begleitet, um dort medizinische Betreuung und Medikamente zu bekommen. Denn viele der Korubos leiden unter Malaria und anderen Krankheiten. Heute gibt es noch 27 Korubos.

__________ 32 Vgl. Survival International: Die Zo’é, http://www.survivalinternational.de/indigene/zoe/erster-kontakt

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4.3 Isolierte Indigene Gemäss dem brasilianischen Missionsrat für Indigene (CIMI) gibt es weltweit mehr als 150 indigene Völker, die in freiwilliger Isolation33 leben. Die meisten davon leben im dicht bewaldeten Amazonas, in Neuguinea sowie auf den Inseln Andamanen und Nikobaren. In Südamerika rechnet man mit 127 isolierten Völkern in sieben Ländern: In Brasilien leben ungefähr 90 isolierte Völker, 23 in Peru, 13 in Bolivien, 6 in Paraguay, 5 in Venezuela, 4 in Ecuador und 2 in Kolumbien34.

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90 isolierten Gruppen in Brasilien. Von einigen dieser Gruppen gibt es nur Anhaltspunkte durch Fotos, die man aus der Luft aufnehmen konnte und über Spuren, die man im kaum zugänglichen Urwald fand. Die FUNAI bestätigt 28 isolierte Völker in Brasilien36. Die Bezeichnung „in (freiwilliger) Isolation“ entstand, weil viele Angehörige dieser Völker Überlebende von gewalttätigen Übergriffen sind und sich nach verheerenden Erfahrungen mit der Zivilisation wieder zurückzogen. Beispielsweise wurden in der

Abbildung 4: Isolierte Völker weltweit (Quelle: Wikipedia35 )

Es gibt unterschiedliche Informationen über die Anzahl der isoliert lebenden Indigenen in Brasilien, weil es unter anderem ein kompliziertes Unterfangen ist, die Daten zu erheben. Das Institut Coordenaçao Geral de Índios Isolados e Recém Contatados (CGIIRC) der FUNAI beispielsweise weiss zurzeit von mindestens 28 verschiedenen isolierten Völkern im brasilianischen Amazonasgebiet. Die NGO Instituto Socioambiental rechnet sogar mit 46 Gemeinschaften, und gemäss dem Indigenenmissionsrat gibt es Anzeichen von mindestens

Blütezeit des Kautschukbooms gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Amazonien knapp 90 Prozent der Indigenen als Sklaven gehalten oder sie wurden Opfer brutaler Gewalttaten. Die zweite, respektive dritte Gewaltwelle erreichte Amazonien in den Jahren 1920 und 1960, wobei viele indigene Gemeinschaften nicht überlebten. Zum Beispiel hat der Unternehmer Antonio Mascarenhas Junqueira 1963 aus einem gemieteten Flugzeug das Volk Cinta Larga (Breite Gürtel) mit Dynamit beworfen, weil ihn die Indigenen beim kommerziellen Gummizapfen störten. Einige Tage nach der Bombar-

__________ 33 Isolierte Völker sind ethnische Gruppen, die gar nicht, nur geringfügigen oder nur kurz Kontakt mit anderen Menschen in der Mehrheitsgesellschaft eines bestimmten Landes haben oder hatten. 34 Loebens, Guenter Francisco/Neves, Lino Joao de Oliveira (2011): Povos Indígenas Isolados na Amazônia: A luta pela sobrevivencia: Conselho Indígenista Missionário, Seite 41. 35 Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Uncontacted_peoples.svg&filetimestamp=20100507170210. 36 Vgl. ISA: Índios Isolados, http://pib.socioambiental.org/pt/c/no-brasil-atual/quem-sao/Indios-isolados.


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dierung schickte er eine Gruppe Söldner vor Ort, um die Überlebenden auf brutalste Art und Weise zu töten37.

doch an den Grenzgebieten der Reservate oder ausserhalb solcher Schutzzonen und verfügen über keinen speziellen Schutz.

Solche traumatischen Erlebnisse prägten die Überlebenden von indigenen Gruppen, die sich deshalb

Die isolierten Indigenen leben ein reichhaltiges, kulturelles Leben mit einem ganzheitlichen

Abbildung 5: Siedlung von Indigenen in freiwilliger Isolation (Quelle: © Gleison Miranda)

dafür entschieden haben, ein Leben in Isolation zu führen. Man nimmt an, dass ein Leben in vollständiger Isolation jedoch nicht möglich ist, weil die meisten Völker Kontakte zu ihren unmittelbaren Nachbarn pflegen, um mit ihnen gelegentlich Gegenstände und Nahrungsmittel zu tauschen. Durch diesen Tauschhandel verfügen einige isolierte Völker unter anderem über Waffen aus Metall, Kochgeschirr und Metallteile, beispielsweise aus Schiffswracks. Auf den veröffentlichten Fotos von Überflügen zu Studienzwecken oder zum Schutze der Isolierten sind diese Gegenstände teilweise sichtbar. Die die Abbildung auf der folgenden Seite zeigt auf, in welchem Gebiet es Beweise oder Indizien von isolierten Völkern gibt. Einige dieser Völker leben in einem Indigenenreservat, viele leben je-

Wissen über die Flora und Fauna. Dieses Leben ist durch die gegenwärtige Entwicklung massiv bedroht: Der Bau von Staudämmen oder Strassen, aber auch die Suche und Förderung von Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas, Gold und anderen Bodenschätzen lockt viele Menschen in ihre unmittelbare Umgebung. Unter solchen Umständen ist es den indigenen Völkern nicht möglich, ihre traditionelle Lebensform weiterzuführen. In den letzten Jahren erteilte die Regierung Brasiliens Baubewilligungen für die Wasserkraftwerke Santo Antônio und Jirau am Fluss Madeira, Belo Monte am Fluss Xingu und Teles Pires am Fluss Teles Pires, obwohl bekannt ist, dass in deren Umgebung isoliert lebende Gruppen leben. Gemäss der FUNAI leben beispielsweise rund 70 Kilometer vom Staudamm Belo Monte entfernt

__________ 37 Vgl. Survival International: Warum verstecken sie sich?, http://www.survivalinternational.de/artikel/3129-warum-verstecken-sie-sich.


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eine oder mehrere Gruppen isolierter Indigene im Indigenenreservat Koatinemo und in der Nähe des Baches Ipiaçava. Auch gibt es laut der FUNAI eine Gruppe Isolierter in unmittelbarer Nähe von nur 30 Kilometern des Staudamms Santo Antônio. Dort leben sie im Indigenenreservat Katauixi/Jacareúba. Ebenso gibt es Hinweise, dass sich in der Umgebung des Wasserkraftwerks Teles Pires isolierte Indigene aufhalten39.

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henden sterben können. Jeglicher Kontakt mit der Zivilisation soll daher vermieden werden, es sei denn, sie selber suchen den Kontakt40. Mit dem Bau der interozeanischen Strasse von Rio Branco, der Hauptstadt des Bundesstaates Acre, bis zur peruanischen Küste des Pazifischen Ozeans, die in einer Entfernung von nur 300 Kilometern des Siedlungsgebiets isolierten Völker durchführt,

Abbildung 6: Situierung der brasilianischen isolierten Indigenen (Quelle: © FUNAI38)

Legende Rotes Haus: Blaues Dreieck: Gelber Punkt: Grüne Fläche: Blaue Fläche:

Nachgewiesenes isoliertes Volk Indigene, die erst seit kurzem entdeckt wurden Es wird vermutet, dass dort isolierte Indigene leben Indigenenreservate, wo isolierte Indigene leben Indigenenreservate

Neben der Bedrohung durch die Infrastrukturprojekte sind die isoliert lebenden Indigenen auch durch Krankheiten wie die Grippe, gegen die sie nicht immun sind, stark gefährdet. Die Erfahrung zeigt, dass bis zu zwei Drittel einer isoliert lebenden Gruppe nach dem Erstkontakt mit Aussenste-

kam es auf peruanischem Staatsgebiet zu einer regelrechten Invasion von ungefähr 60‘000 illegalen Holzfällern, Goldsuchern und Drogenhändlern. Diese dringen zurzeit entlang der Flussläufe des Rio de las Piedras, des Rio Tauhamanu, Rio Madre de Dios, Puru und Juruá bis in die entlegensten

__________ 38 Quelle: www.funai.gov.br 39 Vgl. ISA, Braune Wiik, Flavio (1999): Xoklenghttp://pib.socioambiental.org/pt/povo/xokleng/975 40 Vgl. ISA, Braune Wiik, Flavio (1999): Xoklenghttp://pib.socioambiental.org/pt/povo/xokleng/975


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Siedlungsgebiete der Isolierten ein. Seit der Verdreifachung des Goldpreises ist es in der Region zu einem regelrechten Goldrausch gekommen, berichtet FUNAI-Mitarbeiter José Carlos Meirelles41. Allein in der peruanischen Stadt Puerto Maldonado am Fluss Madre de Dios werden monatlich drei Tonnen Quecksilber an Goldsucher verkauft, welches in die Zuflüsse des Amazonas gelangt und nicht nur das Wasser, sondern auch die gesamte Nahrungskette verseucht. So wurden nach Kontrolluntersuchungen bei den Ashaninka-Indigenen42 Höchstwerte von Quecksilber im Blut gemessen43. Seit 1990 vergibt die peruanische Regierung aufdem Siedlungsgebiet von isolierten Völker Konzessionen an Holzfirmen, die sich ausschliesslich auf die Abholzung von Mahagoni-Bäumen spezialisiert haben, die sie über die neu errichtete Strassenverbindung zum Pazifik nach Übersee exportieren. Seit 2005 sind jedoch die meisten MahagoniBestände auf peruanischer Seite abgeholzt. Dazu kommt, dass die peruanische Regierung für fast das gesamte peruanische Amazonasgebiet Konzessionen an multinationale Ölkonzerne vergeben hat. Davon sind auch die isolierten Gruppen betroffen. So wanderten in letzter Zeit immer häufiger isolierte Völker aus Peru nach Brasilien. Dabei stiessen sie auf Gebiete, die bereits von anderen Personen bewohnt sind, was zu (bewaffneten) Konflikten führen kann. Dies führt oft zu Konflikten zwischen den Isolierten, Kautschukzapfern und Siedler die sich schon vor langer Zeit an den Flussläufen im Bundesstaat Acre niedergelassen haben. Denn isoliert lebende Indigene kennen keine Landesgrenzen im Wald. Sie fühlen sich auch nicht als Bürger der Nationalstaaten. Ein binationales Schutzgebiet könnte diese Probleme lösen. Die GfbV unterstützt daher die lokalen Initiativen für ein binationales Territorium zwischen Peru und Brasilien, welches zum Schutz der Isolierten errichtet werden soll. Auf der unten stehenden Karte ist sichtbar, wo sich das binatinale Territorium befinden könnte.

__________ 41 José Carlos Meirelles arbeitet seit 1971 für die FUNAI und ist bekannt für seine Pionierarbeit für die isolierten Indigenen in Brasilien. 42 Die Ashaninka-Indigenen befinden sich im östlichen Peru/westlichen Brasilien. 43 Mehr Information dazu unter: GfbV: Die Unsichtbaren (2012), http://www.gfbv.at/publikationen/bvbilder/bv01_2012.pdf


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Abbildung 7: Karte des binationalen Schutzgebiets isolierter Indigener in Peru/Brasilien (Quelle: © José Frank M. Silva)

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5. Wirtschaftliche und politische Bedrohungen 5.1 Übersicht Die grösste Bedrohung für indigene Völker liegt in den Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens. Der brasilianische und weltweite Rohstoffhunger und damit verbundene Preisanstieg hat ein enormes Interesse an den Bodenschätzen und Ressourcen im Amazonasgebiet ausgelöst. Die brasilianische Regierung entwickelte Pläne zur Nutzung der Wasserkraft, von Häfen, Wasserwegen und Strassen, des Bergbaus sowie der Ausdehnung von grossflächiger Agrarwirtschaft von Monokulturen

und der Viehzucht. Der Kongress weicht das Waldgesetz auf, das zu massiver Entwaldung führen wird, und es liegen Vorlagen vor, um sich die Kompetenz zur Demarkierung der Indigenenreservate zuzusprechen sowie den Bergbau selbst in Indigenenreservate zuzulassen. Das hat verheerenden Konsequenzen für die indigene Bevölkerung. Die unten aufgeführte Karte zeigt auf, welcher Druck auf den indigenen Gemeinschaften durch die kommerzielle Nutzung des Amazonas lastet.

Abbildung 8: Druck und Bedrohungen auf die Indigenenreservate in Amazonien (Quelle: © ISA44)

Legende: Rote Schaufel und Spaten: Weisser Baum: Rote Linie: Rosa Fläche: Dunkel-orange Fläche: Grüne Fläche: Rote Fläche: Gelbe Fläche:

Goldabbau in Indigenenreservaten Illegale Abholzungen Abholzungsstrasse Gegenwärtige Rohstoffabbaugebiete Indigenenreservate Abholzungen Aktuelle Erdöl- und Gasförderfelder Zukünftige Erdöl- und Gasförderfelder

__________ 44 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 8.


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5.2 Wirtschaftliche Entwicklung 5.2.1 Initiative zur regionalen Infrastrukturintegration in Südamerika (IIRSA) Mit der Initiative zur regionalen Infrastrukturintegration in Südamerika (IIRSA) wird seit ihrer Gründung im Jahr 2000 das Ziel verfolgt, Südamerika in die Weltwirtschaft einzubinden. Dabei planen zwölf südamerikanische Staaten gemeinsam riesige Bauvorhaben in den Bereichen Telekommunikation, Energie und Transport auf dem Subkontinent. Finanziellen und technischen Support erhält das Programm von der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der Andinen Entwicklungsgesellschaft

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und dem Fonds für die Entwicklung des La-PlataBeckens. Die IIRSA umfasst insgesamt 348 Projekte, die in einem Zeitraum von 20 Jahren bei annähernd 38 Mrd. US-Dollar Investitionsvolumen realisiert werden sollen. Die Projekte verlaufen dabei entlang von zwölf Integrationsachsen, die sich, über ganz Südamerika erstreckend, miteinander verbinden und gegenwärtigen oder zukünftigen Handelsströmen entsprechen. Die unten aufgeführte Karte zeigt, wo die Achsen im Amazonasgebiet durchlaufen werden. Der Grossteil der IIRSA-Projekte befindet sich in Regionen mit reicher Biodiversität, sensiblen Ökosystemen und mit einer Bevölkerung, die massiv

Abbildung 9: IIRSA-Achsen in Südamerika (Quelle: Planet Trails Foundation45) __________ 45 Quelle: Planet Trails Foundation, Infrastructure for Deeper Integration in South America: IIRSA, http://planettrailsfoundation.org/IIRSAandAmazonia.html


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von den negativen Auswirkungen betroffen ist. Das Einverständnis der direkt betroffenen Bevölkerung wurde nie eingeholt. Die südamerikanischen Staaten kopieren damit ein Entwicklungsmodell, das in anderen Teilen der Erde massive soziale und ökologische Probleme ausgelöst hat. Die folgende Abbildung zeigt, wo die Projekte der IIRSA in Amazonien durchgeführt und welche Regionen mit neuen Wasserwegen miteinander verbunden werden.

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Einer dieser Achsen durchquert ganz Amazonien: die Pazifikhäfen Pita in Peru, Esmeraldas in Ecuador und Temuco in Kolumbien sollen mit der Amazonasmündung Belem in Brasilien verbunden werden. Auf diesen Transportwegen sollen vor allem Mineralien aus den Anden nach Europa und in der Gegenrichtung Fleisch und Holz nach Asien und Nordamerika transportiert werden.

Abbildung 10: IIRSA-Achsen im Norden von Südamerika (Quelle: GEOSUR46)

__________ 46 Quelle: Geosur, Integration and Development Hubs,http://www.geosur.info/geosur/iirsa/mapas_en.php


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5.2.2 Nationales Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) Die Regierung von Brasilien hat zur Bekämpfung der Armut und zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung das nationale Programm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) entwickelt, das sich an die Grossprojekte der IIRSA anlehnt. Es wurde unter der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva 2007 initiiert und unterstützt vor allem folgende Projekte: • Ausbau der Energieversorgung • Abbau der Rohstoffe, z.B. Erdöl und Gas • Neubau und Ausbau der vorhandenen Transportwege an Land und auf Wasser • Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche für die Viehzucht und den Ackerbau47 2010 wurde das PAC durch das PAC 2 ersetzt, das die Wirtschaft von 2011 bis 2014 noch mehr ankurbeln soll. Dabei soll der Schwerpunkt in den Bereichen Energie, Infrastruktur und dem sozialem Städtebau liegen48. Für eine rasche Umsetzung solcher Projekte hat die Regierung Ende Oktober 2011 den Erlass49 Nr. 419/2011 unterzeichnet, der auf eine verkürzte Konzessionsvergabe durch die Umweltbehörde IBAMA abzielt. Dieser Erlass verkürzt die Zeiträume, während denen die Betroffenen Informationen und Erklärungen bei den zuständigen Behörden (IBAMA, FUNAI) einholen können. Der Umweltbehörde bleiben demnach nur noch zehn Tage, die betroffene Bevölkerung über ein geplantes Projekt zu informieren und einzubeziehen. Damit wird jede demokratische Willensbildung und Mitbestimmung zur Farce. Brasilien hat sich aber durch das Ratifizieren der ILO-Konvention 169 verpflichtet, die indigene Bevölkerung durch das Einholen des freien, informierten und vorherigen Einverständnisses (FIVE) in die Projektplanung einzubeziehen, das durch den neuen Erlass gefährdet wird. Zudem wurde auch das Lizenzierungsverfahren an-

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derer Behörden verkürzt. Die Verkürzung der Fristen schliesst eine genaue wissenschaftliche Analyse aus. Erst nach der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) haben die Betroffenen die Möglichkeit, die Projektpläne der Firmen einzusehen und Fragen innerhalb von 60 Tagen zu stellen. Wenn keine UVP vorliegt, verkürzt sich diese Frist auf 20 Tage. Die Betroffenen haben allerdings höchstens die Möglichkeit, kleine Änderungen oder Anpassungen zu verlangen. Sie können hingegen ein Projekt nie ganz ablehnen50. Durch die Änderung des Lizenzverfahrens geniessen Grossvorhaben nationaler oder internationaler Firmen eine Sonderstellung und können schnell und ohne Einwände seitens der indigenen Bevölkerung umgesetzt werden. Indigene Delegierte kritisierten an einer Versammlung einer Allianz von Indigenen, Flussbewohnern und NGOs in Amazonien das Entwicklungsmodell der Regierung wie folgt: „In der Vergangenheit haben alle grossen Infrastrukturprojekte Brasiliens den mächtigen ökonomischen Gruppen immer Profit gebracht, während sie den ursprünglichen und traditionellen Völkern Zerstörung und Tod ihrer Lebensweise brachten. Der Bau der Staudämme wie Tucuruí in Pará, Samuel in Rondônia, Estreito in Tocantins und Balbinas in Amazonas sind eindeutige Beispiele des Übels, das dieses Entwicklungsmodell gebracht hat51.“

__________ 47 Vgl. PAC: http://www.brasil.gov.br/pac 48 Vgl. PAC 2: http://www.brasil.gov.br/pac/o-pac/conheca-o-pac 49 Ein Erlass ist eine Anordnung der Exekutive an andere staatliche Stellen, beim zitierten Beispiel ans Umweltministerium. 50 Vgl. CIMI (9.11.2011): Perversidade e Autoritarismo: Governo Dilma edita portarias de restrição e desconstrução de direitos territoriais indígenas e quilombolas, http://www.cimi.org.br/site/pt-br/?system=news&conteudo_id=5931&action=read 51 Erklärung einer Allianz von Bewohnern der Amazonasflüsse und NGOs anlässlich des „4 Rivers Meeting“ in Itaituba, Pará, am 27. 12.2010.


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5.3 Strassenbau Im Rahmen des PAC will die Regierung ungefähr 5 Milliarden US-Dollar in den gigantischen Strassenbau investieren. Im Amazonas sollen unter anderem die Transamazônica (BR 320) sowie die Strassen BR 163 von Cuiabá nach Santarém und BR 319, die von Manaus nach Porto Velho führt, asphaltiert werden. Der Strassenbau wirkt sich nicht nur negativ auf die ökologische Umwelt aus, sondern öffnet die Tore für eine unkontrollierte wirtschaftliche Entwicklung und illegale Aktivitäten, denn durch die Strassen können ungehindert legal und illegal gefälltes Holz sowie abgebaute Rohstoffe transportiert werden. Der Strassenbau ermöglicht den Zugang zu zuvor unzugänglichem Gebiet. Tief im Amazonaswald werden neue Siedlungen gebaut. Dadurch werden die dort wohnhaften Indigenen, ganz speziell auch die noch isoliert Lebenden, in Gefahr gebracht. Gemäss dem ISA-Bericht über die Gefahren der Indigenen in Amazonien, sind die Auswirkungen die folgenden: Illegale Holzfäller, Goldschürfer und Landbesetzer dringen in das indigene Gebiet vor und bringen unter anderem Krankheiten, Alkohol und Prostitution in ihre Nähe. Durch die verbesserten Absatzmöglichkeiten, die der Strassenbau mit sich bringt, weiten

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sich auch die landwirtschaftlich genutzten Flächen rund um die Strassen aus. Cachoeira Seca, das Indigenenresevat der Arara, wurde beispielsweise seit dem Strassenbau der Transamazônica zu einem Viertel von illegalen Landbesetzern besetzt. Von der Transamazônica ausgehend wurden insgesamt 735 Kilometer weitere Strassen und Strässchen, meist illegal, in den Amazonaswald hinein gebaut und bedecken insgesamt 735'000 Hektaren Land der indigenen Gemeinschaft Cachoeira Seca, wovon bereits 4 Prozent des Gebiets abgeholzt wurde. Eine andere Nationalstrasse durch den Amazonas, die BR 163, hat gemäss ISA 33 Indigenenreservate in Mitleidenschaft gezogen. Die BR 319 wiederum, die 877 Kilometer lang ist und grösstenteils bereits gebaut, aber noch nicht geteert ist, könnte mehr als 50 Indigenenreservate respektive etwa 6'000 Menschen beeinträchtigen52. Die ISA rechnet damit, dass bis ins Jahr 2050 insgesamt 39 Millionen Hektaren Urwald für den Strassenbau gerodet werden. Ferner werden in diesem Gebiet vier isolierte Indigenenvölker vermutet. Ohne das Recht auf Mitbestimmung der betroffenen lokalen Bevölkerung, ohne klare Auflagen und ohne rigorose Kontrollen durch den Staat, führt der Strassenbau zur Zerstörung des Amazonas und der dort lebenden indigenen Völker.

Abbildung 11: Strassennetz Amazonien (Quelle: WWF53)

__________ 52 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 15. 53 Quelle: WWF (2007), Infrastrukturprojekte am Amazonas, http://www.wwf.at/de/menu27/subartikel476


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5.4 Staudämme 5.4.1 Aktuelle Situation Die brasilianische Regierung plant im Amazonasgebiet einen massiven Ausbau von Staudämmen für die Energiegewinnung. Bereits in den 1980er

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darf an Elektrizität durch das Wachstum der brasilianischen Wirtschaft gaben den Regierungen von Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff gute Argumente, um auch weitab der bisherigen nationalen Stromnetze grosse Wasserkraftwerke zu bauen. Da über grosse Transportdistanzen viel Energie

Abbildung 12: Wasserkraftwerke in Amazonien (Quelle: © ISA54)

Legende: Schwarzes Viereck: Blaues Viereck: Rotes Viereck: Braune Fläche: Blaue Fläche: Grüne Fläche:

Wasserkraftwerke in Betrieb Wasserkraftwerke im Bau Geplante Wasserkraftwerke Indigenenreservate Betroffene Wasserfläche Amazonien

Jahren baute sie im Amazonasgebiet die Dämme Balbinas und Tucuruí. Schon damals wollte sie den höchst umstrittenen Belo Monte Staudamm bauen, scheiterte aber am massiven Widerstand der indigenen Bevölkerung und von Umweltorganisationen. Grossflächige Stromausfälle und der wachsende Be-

verloren geht, plant die Regierung, die Rohstoffe, die es im Amazonas in grossen Mengen gibt, vor Ort zu verarbeiten. Nun werden Riesenprojekte wie beispielsweise Belo Monte und Teles Pires gebaut, um vor allem die Aluminiumindustrie mit Energie zu speisen. Die Abbildung 13 zeigt die aktuelle Situation der Wasserkraftwerke in Amazonien. Einige Wasser-

__________ 54 Quelle: Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 20.


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kraftwerke sind bereits in Betrieb, die grosse Mehrheit ist jedoch noch in der Planungsphase. Diese Wasserkraftwerke verwüsten nicht nur die Umwelt der Indigenen. Sie sind entgegen den Behauptungen der Befürworter auch keine klimafreundlichen Energiequellen. Denn durch die grossflächige Flutung der Wälder, die für den Bau nötig ist, wird viel klimaschädliches Kohlendioxid ausgestossen und während des Fäulnisprozesses werden andere klimaschädliche Gase wie beispielsweise Methan freigesetzt. Des Weiteren sind die Stauseen perfekte Brutplätze für Mücken, die Krankheiten wie zum Beispiel Malaria übertragen. Die drei wichtigsten Projekte des Wirtschaftsplanes sind aufgrund ihrer hohen Kapazität der Belo Monte Staudamm mit einer Höchstleistung von 11'000 Megawatt und die Staudämme Jirau und Santo Antônio am Fluss Madeira mit zusammen

6'450 Megawatt. Gemäss ISA sind momentan 16 grössere und 67 kleinere Wasserkraftwerke in Amazonien in Betrieb. Weitere fünf grössere und 21 kleinere Kraftwerke sind bereits im Bau, 177 grössere und 70 kleinere Wasserkraftwerke sind in der Planungsphase55. 5.4.2 Geplante Staudämme Die brasilianische Regierung plant ungefähr 250 Staudämme in ganz unterschiedlichen Grössen: Von so genannten UHE (Usina Hidrelética de Energía), grossen Wasserkraftwerken mit einer Leistung ab 30 Megawatt bis zu kleineren Kraftwerken PCH (Pequena Central Hidrelétrica) mit einer Leistung zwischen 1-30 Megawatt. Kleinstkraftwerke (unter 1 Megawatt) werden als CGH (Central Geradora Hidrelétrica) bezeichnet.

Jahr 2011 2011 2012 2012 2013 2014 2015 2015 2015

Projekt UHE Estreito UHE Dardanelos UHE Randon 2 UHE Santo Antônio UHE Jirão UHE Santo Antônio do Jari UHE Ferreira Gomes UHE Colider UHE Belo Monte

2015 2016 2016 2016 2017 2019 2019 2020 2020 2020 2020

UHE Teles Pires UHE Sinop UHE São Manoel UHE Foz de Apiacás UHE São Luiz do Tapajós UHE Cachoeira dos Patos UHE Marabá UHE Jatobá UHE Cachoeira do Caí UHE Jamanxim UHE Serra Quebrada

MW 1‘087 261 74 3'150 3'300 300 252 300 11'233 1'820 400 700 230 6'133 528 2'160 2'336 802 881 1'328

Tabelle 2: Geplante Staudämme 2010 - 2020 __________ 55 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf. 56 Vgl. Plano Decenal de expansão de Energía 2020. Ministério de Minas e Energía. Seite 67-69.


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Abbildung 13: Wasserkraftwerke in Brasilien (Quelle: Plattform Belo Monte57)

__________ 57 Plattform Belo Monte (01.08.2011): Pläne für weitere Kraftwerke in Amazonien vorgestellt, http://plattformbelomonte. blogspot.com/2011/08/regeirung-stellt-plane-fur-weitere.html


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5.4.3 Staudamm Belo Monte Bereits in den 1980er Jahren sollte der Belo Monte Staudamm am Rio Xingu, einem Nebenfluss des Amazonas, entstehen, aber nach nationalem und internationalem Protest zog sich die Weltbank von der Finanzierung zurück, worauf das Projekt suspendiert wurde. Der Projektplan wurde jedoch 20 Jahre später wieder aufgenommen und eine verkleinerte Version des Wasserkraftwerks wurde trotz grossem Widerstand im Februar 2010 von der brasilianische Regierung genehmigt. Das aktuelle Projekt plant, den Fluss Xingu zu zwei

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Stausee in Brasilien mit 14'000 Megawatt) und kann während der Höchstleistung 11'200 Megawatt59 erzeugen. Er kann damit rund 11 Prozent des brasilianischen Strombedarfs decken. Jedoch kommt dieser Staudamm nur während der Regenzeit auf diese Leistung, in der Trockenzeit hingegen sinkt die Energieproduktion gegen Null, was zu einer durchschnittlichen jährlichen Leistung von lediglich 4'428 Megawatt führt. Gemäss Norte Energia (NESA60) fliessen insgesamt 3.7 Milliarden US-Dollar in das Projekt und die betroffene Region bekommt rund 50 Millionen US-Dollar an Entschädigungszahlungen pro Jahr. Experten befürchten jedoch, dass die Gesamtkosten viel höher werden als angenommen und warnen deshalb die Investoren vor den Risiken. Der brasilianische Energieexperte Célio Bermann beispielsweise, der an der Universität in São Paulo unterrichtet, rechnet mit einem Betrag von mindestens 15 Milliarden US-Dollar, wovon 80 Prozent mit öffentlichen Mitteln bezahlt werden sollen61. Die Abbildungen 16 und 17 zeigen die Lage des Staudamms Belo Monte.

Abbildung 14: Belo Monte Konstruktion, in der Nähe von Altamira (Quelle: © Greenpeace/Daniel Beltra58)

Stauseen mit einer Fläche von zusammen etwa 500 Quadratkilometern aufzustauen und, je nach Quelle, 20'000 bis 40'000 Angehörige der lokalen Bevölkerung umzusiedeln. 516 Quadratkilometer Wald werden für den Bau überschwemmt und unterhalb der Staumauer wird der Xingufluss auf einer Länge von über 100 Kilometern kaum mehr Wasser führen. Der Flusslauf des Xingu wird sich komplett verändern, weil er durch zwei Kanäle umgeleitet wird und beim Kanalbau hunderte von Millionen Kubikmetern Erde und Felsgestein (mehr als beim Bau des Panamakanals) ausgehoben werden. Der Belo Monte Staudamm wird der drittgrösste Staudamm der Welt (nach dem Drei-SchluchtenStausee in China mit 18'000 Megawatt und Itaipu__________ 58 Online verfügbar unter: http://news.mongabay.com/2012/0418-hance_belomonte_photos.html#. 59 11 200 Megawatt entsprechen der Aktivität rund 12 Schweizer AKWs. 60 Norte Energia S.A. ist ein Baukonsortium, das aus 18 privaten und staatlichen Firmen besteht, um das Grossprojekt Belo Monte umzusetzen. 61 Vgl. Brum, Eliane (31.10.2011): Belo Monte, nosso dinheiro e o bigode do Sarney, http://revistaepoca.globo.com/Sociedade/noticia/2011/10/belo-monte-nosso-dinheiro-e-o-bigode-do-sarney.html.


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Abbildung 15: Lokalisierung des Belo Monte Staudamms (Quelle: © ISA62)

Abbildung 16: Der Staudamm Belo Monte umgeben von Indigenenreservaten und Schutzgebieten (Quelle: © ISA63)

Legende: Violette Fläche: Grüne Fläche: Orange Fläche:

Bundesstaatliche Schutzgebiete Nationale Schutzgebiete Indigenenreservate

__________ 62 Quelle: ISA: Belo Monte especial, http://www.socioambiental.org/esp/bm/hist.asp.

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Der Bewilligungsprozess für den Belo Monte Staudamm wurde zum juristischen Streitgegenstand. Die Bundesanwaltschaft des Staates Pará hat den Vorgang mehrmals sistiert, wurde dann aber umgehend von der Bundesanwaltschaft in Brasilia überstimmt. Bis Mai 2012 wurden 13 Klagen gegen das Projekt eingereicht. Die interamerikanische Kommission für Menschenrechte der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) verlangte ebenfalls einen Baustopp und kritisiert den mangelnden Einbezug der Indigenen vor Ort.

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gewann die Ausschreibung und unterschrieb den Konzessionsvertrag. Das Baukonsortium erhielt damit das Nutzungsrecht für die kommenden 35 Jahre am Kraftwerk. Das Baukonsortium hat daraufhin die obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfung65 durchgeführt und den Bericht dazu der Umweltbehörde IBAMA vorgelegt. Innerhalb der IBAMA gab es Widerstand gegen die Erteilung der Bewilligung. Erst kurz nachdem der damalige Präsident der brasilia-

Abbildung 17: Übersicht des Staudammkomplexes Belo Monte (Quelle: © Telma Monteiro64)

Trotz allen Protesten gab der damalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am 1. Februar 2010 grünes Licht für den Bau. Darauf fand am 20. April 2010 die Ausschreibung des Projekts für Firmen respektive Konsortien statt. Viele der interessierten Firmen zogen sich wegen des hohen ökonomischen Risikos zurück. Das Baukonsortium NESA, das von der Firma Hidro-Elétrica do São Francisco angeführt wird,

nischen Umweltbehörde, Abelardo Bayma Azevedo, seinen Rücktritt eingereicht hatte, erteilte sie dem Konsortium eine Teil-Lizenz. Diese erlaubte es, die ersten Bauarbeiten für den Staudammkomplex Belo Monte durchzuführen. Viele vermuten, dass die Regierung grossen Druck auf Azevedo ausgeübt hat, die Bewilligung auch bei grossen Zweifeln der

__________ 64 Online verfügbar unter: Plattform Belo Monte (17.12.2011): Belo Monte Kraftwerk: Baustopp im Flussbereich wieder aufgehoben, http://plattformbelomonte.blogspot.com/search/label/Baustopp 65 Das Umweltgenehmigungsverfahren ist in der brasilianischen Umweltgesetzgebung verankert und verlangt vom Baukonsortium eines Grossprojektes, eine Umweltverträglichkeitsprüfung (RIMA- Relatório de Impacto Ambiental) zu erstellen, die für die Allgemeinheit verständlich und zugänglich sein sollte, sowie den Betroffenen vorgestellt werden muss.


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Umweltverträglichkeit zu bewilligen. Auch die TeilLizenz wurde zum juristischen Streitobjekt. Azevedo war nicht der erste, der wegen des Konflikts zwischen der Energie- und der Umweltbehörde zurückgetreten ist: Marina Silva trat unter der Regierung Lula als Umweltministerin zurück, um ein Zeichen gegen die fortschreitende Aufweichung des Umweltgenehmigungsverfahrens zu setzen. Auch der Häuptling der Kayapo-Indigenen Megaron Txucarramãe wurde wegen seiner Opposition gegen die Wasserkraftwerke aus der FUNAI entlassen66. Unabhängige Wissenschaftler führten ausserhalb der offiziellen Umweltverträglichkeitsprüfung des Baukonsortiums Analysen durch, die zeigen, dass die Auswirkungen des Projekts Belo Monte wesentlich grösser sind, als in der Studie des Konsortiums angegeben67. Unter anderem kritisieren sie, dass bisher noch keine Untersuchung zu den Auswirkungen auf die isolierten Indigenen durchgeführt wurden. Zudem gab es lediglich eine unzureichende

Abbildung 18: Erste Bauten des Kraftwerks mit bereits grossen Umweltschäden (Quelle: © Greenpeace/Daniel Beltra68)

Untersuchung zu den Auswirkungen der Migration auf die Indigenenreservate, zu den Arbeitssuchenden und dem damit verbundenen Anstieg von Armut, Gewalt, Prostitution sowie zum mangelhaften Zustand des Bildungs- und Gesundheitswesen für die lokale Bevölkerung.

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Die zukünftigen Betreiber des Kraftwerks geben zwar im Bericht der Umweltverträglichkeitsprüfung negative Folgen des Staudamms an, diese sollen aber durch Kompensationen ausgeglichen und somit aus der Welt geschafft werden. Die brasilianische Umweltbehörde ist für die Einhaltung aller Umweltauflagen zuständig und büsst allfällige Nichteinhaltungen der Auflagen. Das Baukonsortium Norte Energia wurde wegen Verzögerung bei der Umsetzung der Umweltauflagen bereits gebüsst. Dem Baukonsortium wurde eine Geldstrafe von ungefähr 3.58 Millionen US-Dollar auferlegt, und es musste der IBAMA einen Aktionsplan vorlegen, wie die Umweltprogramme zukünftig umgesetzt werden. Das Baukonsortium wird nicht nur wegen mangelhafter Umweltpolitik gerügt, sondern auch bezüglich des Umgangs mit den Bewohnern vor Ort und insbesondere in Bezug auf deren Umsiedlungen und Entschädigungen. Um die durch den Staudamm Belo Monte verursachten Umweltschäden zu kompensieren, muss Norte Energia etwa 533‘000 US-Dollar zur Erhaltung des Flusses Xingu und zur Abfederung negativer Folgen im sozialen und im Umweltbereich investieren. Angesichts von 2 Milliarden US-Dollar, die während der Bauzeit alleine für Zinsen fällig werden, ist der Betrag äusserst gering. Die Kompensationen werden in so genannten Lizenzgebühren den betroffenen Gemeinden bezahlt. Da es aber weder eine Transparenzpflicht noch eine Kontrolle der Zahlungen gibt, können die Gelder verschwinden, bevor sie bei den Gemeinden ankommen. Zudem verhandelt das Baukonsortium NESA vor Ort direkt mit den Indigenen, um ihren Widerstand zu brechen, allerdings in einen intransparenten Prozess, ohne umfassend zu informieren und ohne ernsthafte Verhandlung um das Einverständnis der Betroffenen. Der Indigenenhäuptling Megaron Txucarramãe sagte in einem Interview mit der GfbV im Jahr 2010, dass die staatlichen Stromversorgungskonzerne Eletro Norte und Electrobrás den Betroffenen Geld, Diesel und Grundnahrungsmittel

__________ 66 Vgl. Xingu Vivo (01.11.2011): Demitido da Funai, Megaron diz que ato foi motivado por oposição a hidrelétricas, http://www.xinguvivo.org.br/2011/11/01/demitido-da-funai-megaron-diz-que-ato-foi-motivado-por-oposicao-a-hidreletricas 67 Vgl. Plataforma Brasileira de Direitos Humanos Econômicos, Sociais, Culturais e Ambientais, Bericht der Mission Xingu – Menschenrechtsverletzung im Zuge des Genehmigungsverfahrens für das Wasserkraftwerk Belo Monte, http://www.dka.at/ fileadmin/download/entwicklung/DHESCA_Belo_Monte_Zusammenfassung_deutsch.pdf 68 Online verfügbar unter: http://news.mongabay.com/2012/0418-hance_belomonte_photos.html#


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Abbildung 19: Rodungen für das Projekt Belo Monte (Quelle: © Greenpeace/Daniel Beltra69)

Name Paquiçamba Arara da Volta Grande Juruna do KM 17 Trincheira Bacajá Koatinemo Kararaô Apyterewa Araweté do Igarapé Ipixu-na Arara Cachoeira Seca

Ethnie Juruna Arara

Population Fläche 81 4'348 ha 107 25'498 ha

Indigenenreservat Bedrohung Belo M. Im Grundbuch eingetragen Direkt betroffen Deklarierung Direkt betroffen

Juruna

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35 ha

In Identifizierung

Xikrin

673

1'650'939 ha Im Grundbuch eingetragen Indirekt betroffen70

Asurini Kararaô/ Kayapó Parakanã Araweté

144 39

387'834 ha 330'837 ha

Im Grundbuch eingetragen Indirekt betroffen Im Grundbuch eingetragen Indirekt betroffen

411 398

773'000 ha 940'900 ha

Im Grundbuch eingetragen Indirekt betroffen Im Grundbuch eingetragen Indirekt betroffen

Arara Arara

236 81

294'010 ha 734'027 ha

Im Grundbuch eingetragen Indirekt betroffen Deklarierung Indirekt betroffen

Direkt betroffen

Tabelle 3: Übersicht über die Indigenen, die gemäss FUNAI vom Belo Monte betroffen sind

__________ 69 Online verfügbar unter: http://news.mongabay.com/2012/0418-hance_belomonte_photos.html# 70 Gemäss der FUNAI sind diese Völker nur indirekt vom Projekt betroffen. Die Nachforschungen der GfbV zeigen aber, dass dieses Volk direkt vom Staudamm betroffen ist, weil sie nach dem Bau ihre Wasserwege nicht mehr benutzen können, da der Fluss zu wenig Wasser führt. Auch werden sie durch den geringen Wasserstand des Flusses einen deutlich geringeren Fischbestand haben und durch die Konsequenzen der Bevölkerungszunahme (Anstieg der Gewalt, Prostitution, neue Krankheiten, etc.) an Lebensqualität verlieren.


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offerieren, damit diese sich kooperativ zeigen. In der Umgebung des Staudamms leben etwa 29 verschiedene indigene Gemeinschaften in ebenso vielen Indigenenreservaten, die sich in den Bundesstaaten Mato Grosso und Pará befinden. Diese Indigenenreservate umfassen etwa eine Fläche von 198‘000 Quadratkilometern (fast fünfmal die Schweiz) mit ungefähr 20‘000 Indigenen71. Besonders betroffen von direkten und indirekten negativen Auswirkungen sind die indigenen Völker der Kayapó Xikrin (Rio Bacajá), Araweté (Rio Xingu), Kayapó in Kararaõ (zwischen Rio Iriri und Xingu), Juruna (Volta Grande do Xingu und Km 17),

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Assuriní (Xingu), Kuruáya (Rio Curuá), Parakanã (Rio Xingu), Xipaya (Rio Iriri) und Arara (Rio Iriri und Volta Grande), welche seit Menschengedenken in diesem Gebiet leben. Einer der direkten negativen Folgen entsteht aufgrund der Umleitung des Xingu-Flusses. Der grosse Flussbogen wird selbst in der Regenzeit nur noch ganz wenig Wasser führen und die hauptsächliche Proteinquelle der dort ansässigen Indigenen, der Fisch, wird dezimiert. Die Bewohner der Indigenenreservate Paquiçamba und Arara da Volta Grande do Xingu sind massiv betroffen, denn sie leben direkt am Flussufer unterhalb des Staudamms. Sie sind zudem auf den Bootsverkehr angewiesen, um

Abbildung 20: Massiver Druck auf die indigenen Reservate nahe Altamira und Belo Monte Damm aufgrund des grossen Interesses am Rohstoffabbau (Quelle: DNPM72)

Legende Orange schraffierte Fläche: Graue Quadrate: Rosa Quadrate: Dunkelrote Fläche: __________

Indigenenreservate Forschungsgesuch gestellt Forschungsbewilligungen für Rohstoffabbau erteilt Bewilligung für den Rohstoffabbau

71 Vgl. ISA, Belo Monte especial, http://www.socioambiental.org/esp/bm/loc.asp. 72 Online verfügbar unter: http://assets.gfbv.ch/downloads/mapa_direitos_minerarios_incidentes_na_area_de_estudo.pdf.


GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft

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Abbildung 21: Indigenenreservat Trincheira Bacajá und Schürfungsanfragen vor allem für Gold (Au) und Kupfer (Cu) (Quelle: © IBAMA)

Legende Grüne Fläche: Schürfungsanfragen Lila Fläche: Schürfungsbewilligungen Rote Linie: Indigenenreservat Trincheira Bacajá ihre Absatzmärkte in Altamira zu erreichen. Die Schiffbarkeit wird aber durch den Staudamm unmöglich gemacht. Nur ungefähr 70 Kilometer vom geplanten Ort des Staudamms entfernt vermutet man seit längerer Zeit eine oder mehrere Gruppen indigener Völker in freiwilliger Isolation, die nomadisch leben. Die

Regierung hat noch kein Konzept ausgearbeitet, wie diese Menschen vor den negativen Auswirkungen des Dammbaus und seiner indirekten Folgen geschützt werden können. Die brasilianische Verfassung garantiert eine Konsultation der indigenen Bevölkerung bei Entwicklungsprojekten, die sie betreffen (siehe Kapitel 3),


GfbV-Bericht: Gebrochene Versprechen – düstere Zukunft

aber keine Mitentscheidung. Zwar führte sowohl die FUNAI als auch das Konsortium NESA Treffen mit einigen indigenen Völkern durch, um Information auszutauschen, doch zeigen sich die Betroffenen alles andere als zufrieden und ernst genommen. Es gab keine seriösen Verhandlungen um die Kompensationen, ihre Sorgen fanden kein Gehör und die Gemeinschaften haben kein Einverständnis gegeben. Selbst wenn die direkten und indirekten Auswirkungen des eigentlichen Staudammbaus einigermassen gut abgefedert werden können, besteht darüber hinaus eine weit grössere Gefahr für die indigene Bevölkerung und ihren Reservaten. Laut dem Bericht der Umweltverträglichkeitsprüfung des Belo Monte Staudamms beantragten bereits zahlreiche Rohstoff-Firmen bei der Regierung Bewilligungen zur Suche nach Bodenschätzen. Im Indigenenreservat Apyterewa zum Beispiel ist dies, neben anderen, die Firma Vale SA, eine der weltgrössten Rohstofffirmen und Trägerin des Schmähpreises beim Public Eye on Davos 2012. Insgesamt wurden bereits für rund 63 Prozent der Fläche der Indigenenreservate im oberen Xingu solche Bewilligungen beantragt. Die Indigenen selbst sind bislang weder informiert worden, noch haben sie einem künftigen Rohstoffabbau in ihrem Siedlungsgebiet in irgendeiner Weise zugestimmt. Die Abbildung 21 zeigt, wie weit der Rohstoffabbau bereits geplant ist. Die gesamte Region könnte bald in ein Industriezentrum verwandelt werden und den Regenwald und die Indigenenreservate zerstören. Insbesondere vom Moment an, an dem der brasilianische Kongress das Gesetz zur Nutzung von Bodenschätzen in Indigenenreservate genehmigt. Die Abbildung 22 zeigt die Anträge für Forschungsbewilligungen im Indigenenreservat Trincheira Bacajá. Falls der Kongress das entsprechende Gesetz annehmen würde, wäre bald von diesem Indigenenreservat kaum mehr etwas übrig. Die lila Rechtecke sind bereits gesprochene Bewilligungen, selbst wenn sie gegen geltendes brasilianisches Gesetz verstossen. Grundsätzlich bringt Belo Monte das ganze Ökosystem des Xingu-Gebietes durcheinander. Flussläufe sowie Wassermengen werden komplett verändert.

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Der bereits bestehende Druck auf die Amazonaswälder und die indigenen Völker im Gebiet wird massiv steigen. Es werden weitere Strassen gebaut und die Stadt Altamira wird massiv wachsen. Tausende von Menschen werden in die Umgebung von Altamira strömen, in der Hoffnung, Arbeit zu finden. Eines der Argumente des Baukonsortiums und der Regierung für den Bau ist, dass dadurch viele Arbeitsplätze (18‘000 direkte und 23‘000 indirekte Arbeitsplätze) geschaffen werden. Nach Beendigung der Arbeiten muss die Region aber mit einer grossen Arbeitslosigkeitsrate rechnen, denn danach sollen gemäss den Angaben der NESA nur noch etwa 1‘000 Arbeitsplätze bestehen bleiben. Die Armut und als Folge auch Kriminalität und Gewaltbereitschaft könnten dramatisch ansteigen. Eine Bevölkerungszunahme bringt sowohl einen Anstieg illegaler Landaneignungen, Abholzungen und Brandrodungen mit sich, als auch vermehrte Fischerei und Jagd – und damit zusätzliche Konkurrenz für die indigene Bevölkerung. Aufgrund ihres traditionellen Lebens verfügen die betroffenen indigenen Gemeinschaften nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Die grossen Distanzen zwischen den Dörfern und die hohen Reisekosten erschweren es zudem, sich zu treffen, Informationen auszutauschen und ihre Position bezüglich Belo Monte zu diskutieren. Somit leiden jene Menschen am meisten, die am längsten in diesem Gebiet wohnen und bewiesen haben, dass sie mit dem Regenwald leben können, ohne ihn zu zerstören.


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Abbildung 22: Feuer entlang des Xingu Flusses am 17. September 2011 (Quelle: NASA73)

__________ 73 Vgl. NASA (17.09.2011), http://earthobservatory.nasa.gov/IOTD/view.php?id=71256

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5.4.4 Teles Pires Teles Pires ist ein weiterer Staudamm, im Rahmen des Ausbaus der brasilianischen Energievorsorg. Es ist nach dem gleichnamigen Fluss benannt. Die Bewilligungsverfahren für den Bau haben begonnen und die ersten Klagen wurden bereits eingereicht, zuletzt am 16. März 2012 von der Bundesanwaltschaft der Bundestaaten Pará und Mato Grosso74. Es ist bereits die vierte Klage im Zusammenhang mit Irregularitäten beim Bewilligungsprozess dieses Staudamms. Die Klage richtet sich an das Umweltinstitut IBAMA und die Energieforschungsfirma

Abbildung 23: Situierung des Teles Pires Staudamms und der Indigenengebiete (Quelle: epe75)

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EPE (Empresa de Pesquisa Energética) betreffend des Bewilligungsverfahrens und erreichte eine Suspendierung der Betriebsbewilligung und der Bauarbeiten. Dies wurde nach wenigen Wochen bereits wieder aufgehoben. Betroffen von diesem Staudamm sind die Indigenen der Kayabi, Munduruku, Apiaká und die isolierten Indigenen, die in unmittelbarer Umgebung vermutet werden. Die betroffenen Indigenen (ausser die isoliert Lebenden) haben sich nun zusammengeschlossen. In einem Manifest vom 9. Dezember 2011 positionieren sie sich gegen die Staudämme76 und fordern: • Das freie, informierte und vorherige Einverständnis (FIVE) muss unbedingt eingeholt werden, bevor ein Projekt bewilligt wird. • Detaillierte Studien zu den Auswirkungen der Wasserkraftwerke auf die Indigenen und Indigenenreservate müssen durchgeführt werden. • Alle sollen das Recht haben, beim Energiediskurs der Regierung mitreden zu dürfen. • Es muss einen definitiven Baustopp der Staudämme Teles Pires, São Manoel, Foz de Apiacàs und Chacorão geben. • Die indigenen Reservate vor Ort müssen demarkiert und geschützt werden77. Am 29. März 2012 haben sich die Indigenen nochmals getroffen, um über die aktuelle Situation und das weitere Vorgehen zu sprechen. Dort wurde der Bericht der Umweltverträglichkeitsprüfung des Baukonsortiums (Odebrecht Energia, Voith Hydro und Alstom) den indigenen Leader zwar gezeigt, doch lehnten sie das Projekt ab. Auch kritisierten sie, dass sie nicht in die Planungsphasen einbezogen wurden. Die negativen Auswirkungen sind verheerend für die Indigenen, denn um das Wasserkraftwerk zu bauen, müssten die sieben Wasserfälle (7 Quedas), die als Brutgebiet für Fische dienten, überschwemmt

__________ 74 Vgl. Procuradoria da República no Pará (27.03.2012) : Justiça suspende licença e ordena consulta indígena para usina Teles Pires, http://www.prpa.mpf.gov.br/news/2012/justica-suspende-licenca-e-ordena-consulta-indigena-para-usina-teles-pires-2. 75 Online verfügbar unter: Monteiro, Telma (22.08.2011): Três hidrelétricas ameaçam indígenas no rio Teles Pires, http://telmadmonteiro.blogspot.com/2011/08/tres-hidreletricas-ameacam-indigenas-no.html 76 Der Teles Pires Staudamm ist nicht der einzige Damm, der in ihrer Nähe gebaut wird, sondern gemäss den Plänen der Regierung sind zudem die Staudämme São Manuel, Foz do Apiacàs, Colíder und Chacorão im Becken des Flusses Teles Pires /Tapajós geplant. 77 Vgl. COIAB (09.12.2011): MANIFESTO KAYABI, APIAKÁ E MUNDURUKU CONTRA OS APROVEITAMENTOS HIDRELÉTRICOS NO RIO TELES PIRES, http://www.coiab.com.br/coiab.php?dest=show&back=index&id=807&tipo=A.


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werden. Dies würde einen grossen Einfluss auf die Ernährung der Menschen vor Ort haben. Die sieben Wasserfälle sind zudem ein heiliges Gebiet für die Indigenen, das sie verlieren würden. Ausserdem werden, wie auch beim Staudamm Belo Monte, die Wasserwege der Indigenen unterbrochen. Der Druck auf die Indigenenreservate wird sich aufgrund zunehmender illegaler Abholzung, Jagd, Rodung und Rohstoffabbau massiv erhöhen. Neben Teles Pires wurden auch die Bewilligungen zum Bau der beiden in der Nähe liegenden Staudämme São Manoel und Foz do Apiacás erteilt, die ähnliche Auswirkungen auf den Regenwald und die indigene Bevölkerung haben werden. Zudem sind alle drei Staudämme Teil einer geplanten Wasserstrasse mit Schleusen, die den Transport der Rohstoffe, vor allem von Holz und landwirtschaftlichen Produkten, in die Hafenstadt Santarém an der Mündung des Flusses Tapajós in den Amazonas ermöglichen soll, von wo aus die Weltmärkte beliefert werden können. Damit würden weitere Hindernisse zur industriellen Erschliessung des Amazonasgebietes überwunden und die Zerstörung der Region beschleunigt.

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5.5 Abholzung Mit der Abholzung des Amazonas wird nicht nur das Klima in Brasilien beeinflusst, sondern es werden auch grosse Mengen an Kohlendioxid ausgestossen. Dies hat einen massiven Einfluss auf die Klimaveränderung. In Brasilien macht die Waldrodung einen Anteil von bis zu 75 Prozent des gesamten Ausstosses des Treibhausgases aus. Bis heute wurden bereits 14 Prozent der 4'200'000 Quadratkilometer (etwa 100-mal die Fläche der Schweiz) grossen Fläche des Amazonaswaldes abgeholzt. Die Grösse der jährlich gerodeten Fläche ist aber in den letzten Jahren deutlich kleiner geworden (siehe Abbildung 26). Mit der Aufweichung

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des Waldgesetzes durch den Kongress ist allerdings wieder mit einer drastischen Zunahme zu rechnen. In den Indigenenreservaten sind 98.4 Prozent des Amazonaswaldes noch bewahrt. Gemäss ISA wurden jedoch zwischen 1998 und 2009 insgesamt 12'204 Quadratkilometer Wald in den Reservaten gerodet78. Nur ein kleiner Teil dieser Entwaldung ist der indigenen Bevölkerung selbst zuzuschreiben. Der Grossteil, mehr als 93 Prozent der Rodungen innerhalb der Reservate, geht auf die illegalen Tätigkeiten von externen Personen zurück. Der ISA zufolge liegt die Hauptschuld dafür im mangelhaften Management der Indigenenreservate durch die Behörden.

Abbildung 24: Holzwirtschaft in Amazonien (Quelle: © ISA79)

Legende Weisser Baum: Illegale Abholzung Orange Fläche: Flächen, die durch illegale Abholzung und Bergbau bedroht sind Rote Fläche: Abholzung Gelbe Fläche: Indigenenreservate __________ 78 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf , Seite 27. 79 Quelle: Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 44.


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Abbildung 25: Die Abholzungsstatistik im Amazonas 1988 bis 2011 (Quelle: © Rhett A. Butler/ Mongabay80)

Die Abbildung 25 zeigt die Abholzungsgebiete. Immer stärker dringt die Landwirtschaft in diese Gebiete, wie zum Beispiel in den Bundesstaaten Rodônia und Mato Grosso, ein. Besonders betroffen sind auch die Bundesstaaten Maranhão und Pará, in denen zwischen 18 und 58 Prozent des Waldes in den Indigenenreservaten abgeholzt wurde. Ein besonderes Augenmerk verdient das Indigenengebiet Apyterewa, welches einerseits durch den Bau des Belo Monte-Staudamms betroffen und andererseits besonders stark von der Abholzung bedroht ist (siehe Abbildung 27). Gemäss einer FUNAI-Studie aus den Jahren 2006 bis 2008 wurden acht Prozent des Reservats bereits abgeholzt81. Die folgenden zwei Satellitenbilder (Abbildung 28) des Bundesstaates Rondônia belegen das Ausmass der Abholzung innerhalb von zehn Jahren. Rondônia hatte früher 208‘000 Quadratkilometer Waldfläche und ist nun der Bundesstaat in Brasilien, der am meisten von Abholzung betroffen ist. Die erste Aufnahme wurde am 30. Juli 2000 gemacht und die zweite am 2. August 2010. Sie zei-

gen das Ausmass der Zerstörung durch die Abholzung. Leider ist dieses Beispiel keine Ausnahme. Es repräsentiert den Trend der letzten Jahrzehnte im ganzen südlichen und östlichen Amazonas. Der Amazonasregenwald beherbergt eine grosse Zahl von Baumarten. Besonders begehrt ist der Mahagoni. Um an diese Bäume zu kommen, dringen Holzfäller meist illegal tief in den Wald ein und schlagen ohne Bewilligung diese wertvollen Hölzer. Sie machen auch nicht vor den Indigenenreservaten halt. Damit werden sie zu einer ernsthaften Bedrohung für die Indigenen. Grössere Holzfirmen haben das Kapital, um über weite Distanzen Strassen zu bauen. Auch wenn sie selbst das Holz selektiv nutzen, hinterlassen sie einen beträchtlich geschädigten Wald. Entlang der Holzfällerstrassen dringen in der Folge Kleinbauern und Grossgrundbesitzer ein. Diese roden den Wald vollständig und nutzen die Fläche für die Landwirtschaft. Damit wird die Holzindustrie zum Türöffner der Zerstörung des Amazonas.

__________ 80 Quelle: http://photos.mongabay.com/06/braz_defor_88-05-lrg.jpg 81 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, Socioambiental: http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/Atlas.pdf.pdf, Seite 24-26.


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Abbildung 26: Die Abholzung im Indigenenreservat Apyterewa (Quelle: © Greenpeace82)

Abbildung 27: Rodônia Fotovergleich 10 Jahre Unterschied (Quelle: NASA, Robert Simmon and Reto Stöckli83)

__________ 82 Quelle: http://www.greenpeace.org.br/gado/googleearth/TI_Apyterewamapa.jpg 83 Vgl. NASA (30.07.2000): Amazon Deforestation, http://earthobservatory.nasa.gov/Features/WorldOfChange/deforestation. php


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5.6 Bodenschätze 5.6.1 Mineralienreichtum Brasilien ist reich an Bodenschätzen. Seit die Nachfrage für die Rohstoffe auf dem Weltmarkt und in Brasilien wächst, steigen auch deren Preise. Dadurch sehen immer mehr Firmen, auch in den entferntesten Gebieten, neue Einnahmequellen. Die brasilianische Regierung entwickelte innerhalb des PACs (siehe Unterkapitel 5.2.2) den langfristigen Plan für die Entwicklung des Bergbausektors (Plano Nacional de Mineração 2030), der für die kommenden Jahre 350 Milliarden US-Dollar Investitionen in diesem Bereich vorsieht. In weiten Gebieten Amazoniens gibt es einen grossen Reichtum an Bodenschätzen, insbesondere Eisenerz-, Bauxit84 -, Zinn-, Kupfer- und Goldvorkommen. Seit vielen Jahren beantragen daher grosse und kleine Firmen sowie Spekulanten Genehmigungen für die Suche nach Bodenschätzen, nicht selten auch in geschützten Indigenenreservaten. Gemäss der brasilianischen Verfassung dürfen keine Rohstoffe in den Indigenenreservaten abgebaut werden ohne die ausdrückliche Zustimmung des nationalen Kongresses. Ein Gesetz, das diese Ausnahmen regeln soll, wird zurzeit im Kongress diskutiert. Ausserdem müssten die Unternehmen, die in Indigenenreservaten Bergbau betreiben, der dort wohnhaften Bevölkerung und der FUNAI eine Gewinnbeteiligung (die so genannten Royalities) bezahlen. Gemäss ISA gibt es in den Indigenenreservaten Cajueiro (RR), Pequizal (MT), Kwazá do Rio São Pedro e Roosevelt (RO), Xikrin do Cateté (PA), Baú und Arara (PA) für über 90 Prozent ihres Territoriums Explorations- oder Abbaugesuche85. Bei weiteren 35 Reservaten sind Gesuche eingegangen, die 50 Prozent oder mehr des Territoriums in Anspruch nehmen würde. Die Reservate mit den meisten Anfragen sind: Yanomami (AM/RR) mit 790 Anfra-

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gen, Menkragnoti (PA) mit 410, und Alto Rio Negro (AM) mit 37786. In Waimiri Atroari (AM/RR), Xikrin do Cateté (PA) und im Osten von Pará wurden auch schon die ersten Bewilligungen in den Reservaten erteilt87. Damit wird der Schutz der Reservate de facto aufgehoben. Das Parlament arbeitet momentan an einer Gesetzesvorlage, nach deren Verabschiedung jedes Bergbauunterfangen in den Reservaten einzeln zu prüfen wäre. Zudem würde den betroffenen Gemeinschaften ein Konsultationsrecht sowie Beteiligung an Profiten garantiert. Einige Vorstösse jedoch sehen keine Notwendigkeit für vorherige Studien über die Auswirkungen des Bergbaus in der jeweiligen Region. Weiter wird befürchtet, dass das Konsultationsrecht der Gemeinschaften als reine Formalität wahrgenommen wird und Zustimmung der Betroffenen wird nicht verlangt. Gemäss ISA gibt es im Gebiet der Xikrin do Cateté acht Bergbaubewilligungen und 120 Anfragen zur Rohstoffsuche. Seit den 1980er Jahren sucht die brasilianische Firma Vale SA (früher Compania Vale do Rio Doce - CVRD88) in der Nähe des Reservats nach Bodenschätzen. Auch ausserhalb der Reservate stellen die Bergbauaktivitäten eine Bedrohung der Indigenen dar, denn für die Minen werden Strassen gebaut, Arbeiter kommen in die Gegend und Wald wird gerodet. 1989 startete Vale ein Programm für die Erziehung, Gesundheit und Infrastruktur vor Ort, um die Indigenen wegen der Minen zu entschädigen. Die Gemeinschaft erhielt dadurch Geld, worauf sich ihre Essgewohnheiten schlagartig änderten. Dadurch begannen sie an (für sie) neuen Krankheiten wie Diabetes zu leiden. Ein anderes Beispiel ist das Schutzgebiet der Waimiri Atroari. Auf 44,5 Prozent des Reservats gibt es 195 Bergbauverfahren: 193 Anfragen für Rohstoffsuche, eine Abbaugenehmigung und eine Forschungszulassung. 1970 wurden im Gebiet grosse

__________ 84 Aus Bauxit wird Aluminium gewonnen, was ein sehr energieaufwendiger Vorgang ist. Die Stromproduktion von Belo Monte würde den Strom für die Aluminiumproduktion liefern. 85 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/Atlas.pdf.pdf, Seite 35-38. 86 Vgl. Ricardo, Beto / Ricardo, Fany (2011): Povos Indígenas No Brasil 2006/2010, Instituto Socioambiental: São Paulo, Seite 127-128. 87 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 37. 88 Die Vale SA ist eines der drei grössten Bergbauunternehmen der Welt.


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Zinnerzvorkommen entdeckt. Dem 1971 gegründeten Indigenenreservat wurden jedoch nachträglich 525'000 Hektaren Land weggenommen, um die grösste Kassiterit-Mine der Welt zu bauen. Dadurch wurde viel Wald gerodet und der Fluss Alalaú, der für 55 Prozent der Wasserversorgung der Zone verantwortlich ist, wurde verschmutzt89.

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Gemäss ISA gibt es bereits über 4'903 Bodenproben und Bergbauprozesse in Indigenenreservaten, was eine totale Fläche von rund 40,3 Prozent der Reservate entspricht und dies bevor das Gesetz überhaupt verabschiedet wurde90.

Forschungsbewilligungen: Abbaugenehmigung: Bergbaugesuche von Firmen: Bergbaugesuche von Personen: Bergbaugesuche für Betriebsgenehmigung: Bergbaugesuche für Forschungsbewilligung: Verfügbarkeit: Total

178 5 5 65 4 4'404 242 4'903

Tabelle 4: Aktuelle Bergbauprozesse in den Indigenenreservaten

__________ 89 Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, Vgl. http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/Atlas.pdf.pdf, Seite 36. 90 Vgl. ISA: Terra Indígena Apyterewa , http://ti.socioambiental.org/#!/terras-indigenas/3585


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5.6.2 Erdöl und –gas Brasilien setzt seine Hoffnungen auch in Erdöl und Erdgas. Nach ihnen wird vor allem im Westen Amazoniens gesucht. Es gibt bereits zehn Orte, wo Rohölvorkommen vermutet werden. Die kommerzielle Ausbeutung ist auch schon im Tal des Flusses Urucu (AM) im Gange. In unmittelbarer Nähe des Tals befindet sich kein Indigenenreservat, aber die Folgen sind auch für die etwas weiter entfernt wohnhaften Indigenen spürbar. Die Reservate Cajuhiri Atravessado, Paumari do Lago Manissuã, Paumari do Lago Paricá und Paumari do Cuniuá liegen jedoch in der Nähe eines potentiellen Abbaugebiets. Falls keine präventiven Massnahmen unternommen werden, können Ölfelder, Raffinerien, Ölleitungen, Rodungen, Verschmutzung, Landbeschlagnahmungen und unkontrollierte Migration

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folgen, was sich verheerend auf die Indigenen auswirken wird. Darüber hinaus gab im April 2012 die Regierung grünes Licht für Erdöl- und Erdgasbohrungen im Tal Juruá im Bundesstaat Acre. Dieser Prozess ist bereits 2007 initiiert worden. In den Bezirken Cruzeiro do Sul, Mâncio Lima, Rodrigues Alves, Marechal Thaumaturgo und Porto Walter wurde bereits Erdöl und Erdgas gefunden91. Zurzeit werden rund 520 Arbeiter unter Vertrag genommen, die während zehn Monaten seismologische Untersuchungen durchführen werden. Besonders gravierend ist, dass in dieser Umgebung die meisten isoliert lebenden Indigenen in Brasilien wohnhaft sind. In der folgenden Karte ist sichtbar, wo sich die aktuellen Erdöl- und Erdgasfelder in Brasilien und in den angrenzenden Ländern befinden.

Abbildung 28: Erdöl- und Gasfelder Aktuelle und potentielle zukünftige Standorte (Quelle: © ISA92)

Legende Rote Fläche: Aktuelle und bekundetes Interesse an Erdöl- und Gasfelder Gelbe Fläche: Potentielle Förderung von Erdöl- und Gasfelder Blaue Fläche: Indigenenreservate __________ 91 Vgl. Santana, Nayanne (12.03.2012): Perfurações de petróleo e gás terão início no Vale do Juruá, http://www.vozdoacre. com/portal/03/perfuracoes-de-petroleo-e-gas-terao-inicio-no-vale-do-jurua 92 Quelle: Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 42.


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5.6.3 Gold Seit langer Zeit lockt der Goldboom Tausende von Menschen in das Amazonasgebiet, die sich davon ein besseres Leben erhoffen. Die fehlende Organisation, die mangelhafte Infrastruktur, die prekäre Lebensweise und das gewaltsame Eindringen der Goldsucher in die Indigenengebiete schüren Konflikte mit den Indigenen. Die Goldsucher dringen in die Reservate ein und verschmutzen sowie zerstören die Umwelt durch das Schürfen. Die Verfassung verbietet die Goldsuche von nicht-indigenen Personen in den Indigenenreservaten. Nichtsdestotrotz befindet sich beispielsweise in unmittelbarer Nähe des Indigenenreservats Munduruku, im Südwesten von Pará, eine der Hauptzonen für die Goldsuche. Um die Situation zu entschärfen, gründete die Regierung 1983 die Zone Garimpeira do Tapajós, ein Reservat für Goldsucher. 20'000 Goldsucher wurden durch diese neue Arbeitsquelle in die Region gelockt. Aber auch die definierte Goldsuchzone schützt die Indigenen nicht vor illegalen Invasoren. Ende der 1980er Jahre kamen Tausende von Goldgräbern in das Gebiet der Yanomami im brasilianischen Bundesstaat Roraima. Da bei der Schürfung von Gold meist das hochgiftige Schwermetall Quecksilber verwendet wird, wurden die Flussufer, Böden und Gewässer damit vergiftet. Es kam zu gewalttätigen Konflikten und über 1'500 Yanomami wurden ermordet oder starben an den eingeschleppten Krankheiten und Vergiftungen. Erst nach weltweitem Protest wurde die Regierung Brasiliens aktiv, erkannte 1992 einen Grossteil des Yanomami-Gebiets als Indigenenreservat an und wies das Militär an, die Goldsucher aus dem Gebiet zu verweisen. 2003 wurde zudem bekannt, dass im Yanomami-Gebiet ein grosses Uranvorkommen vermutet wird, was eine neue Bedrohung für das Volk darstellt. Der sozio-ökologische Einfluss der Goldsuche ist sehr gross. Für wenige Gramm Gold werden Tonnen von Erde geschwemmt und grosse Flächen Urwald gerodet. Wasser und Tiere, allen voran Fische, können durch den Prozess vergiftet werden. Aber auch Menschen können durch das Einatmen von giftigen Dämpfen, das Trinken von verseuchtem Wasser

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oder durch vergiftete Nahrung zu Schaden kommen. Auch führt der Goldabbau zu Erosion, Verschlammung und Verschmutzung des Bodens. In Amazonien gibt es schätzungsweise 1'300 Gebiete, wo nach dem wertvollen Metall gesucht wird, unter anderem auch in verschiedenen Indigenenreservaten.


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5.7 Politische Prozesse 5.7.1 Demarkierung der Indigenenreservate Seit die brasilianische Verfassung von 1988 den Indigenen einen besseren Schutz zuspricht, wurden den Indigene über 20 Prozent des Amazonasregenwaldes als Reservate zugesprochen. Für die indigene Bevölkerung sind die Umwelt und das Land, auf dem sie leben, die wichtigsten Voraussetzungen, um ihr Überleben zu sichern. Doch der wirtschaftliche Druck wächst und das wirtschaftliche Interesse an Bodenschätzen nimmt zu. Dadurch ist eine konsequente Demarkierung der Indigenengebiete überlebensnotwendig. Gemäss Verfassung sollte die Demarkierung innerhalb von fünf Jahren abgeschlossen werden. Doch der Prozess stockt und der Schutz durch die Demarkierung wird aufgeweicht. Die Initiation eines Demarkierungsprozesses stellt aber hohe Anforderungen an die indigenen Gemeinschaften und ihre Vertretungen, denn für die Identifizierung eines Reservats braucht es ethnographische Kenntnisse und Instrumente, die nicht dem indigenen Verständnis entsprechen. Ist die Demarkierung eines Reservats beendet, werden die brasilianischen nicht-indigenen Bewohner aus diesem Gebiet ausgeschlossen. Diese erhalten eine „angemessene“ Entschädigung. Dieses Vorgehen provoziert Konflikte zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Bevölkerung, die nicht selten in Gewalt münden. In den letzten Jahren sind trotz vieler Anfragen kaum mehr neue Reservate deklariert worden. Mit den gesetzlichen Änderungen soll nicht mehr der Präsident oder die Präsidentin die Demarkierung genehmigen, sondern der wirtschaftsfreundlichere Kongress. Mit der geplanten Bewilligung von Rohstoffabbau ist gar der Schutz der bestehenden Indigenenreservate in allen Regionen, wo es Bodenschätze gibt, grundsätzlich gefährdet. Die Präsenz des Staates in den riesigen Gebieten Amazoniens ist äusserst schwach. Der FUNAI fehlt es an Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten, das Gesetz durchzusetzen. Wie ein ISA-Bericht belegt, wurden in den Indigenenreservaten Alto Rio

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Guamá, Awá und Caru, die zusammen eine Fläche von 1.1 Millionen Hektaren bedecken, mehr als 18 Prozent illegal entwaldet93. Die Raposa Serra do Sol im Norden Brasiliens mussten lange Zeit für ihr Reservat kämpfen. Das Reservat an der Grenze zu Venezuela wurde 2005 unter Schutz gestellt. Viele Indigene sind dabei ums Leben gekommen, denn die zugewanderten Siedler und Viehzüchter wollten das Land nicht verlassen und wehrten sich gewaltsam. Die Mehrheit hat das Land mit Entschädigungszahlungen der Regierung verlassen. Eine kleine Gruppe von Kleinbauern mit Unterstützung von Politikern ist ungeachtet dessen geblieben und hat sich an den Indigenen gerächt. Dabei wurden viele Menschen ermordet, Brücken in Brand gesteckt und es wurde sogar eine Bombe über ein indigenes Dorf geworfen94. Erst als die Bundespolizei die Siedler vertrieb, kehrte Ruhe ein. 5.7.2 Waldgesetz Die Agrarlobby macht sich für ein neues Waldgesetz (Código Florestal) stark. Das bisherige Waldgesetz, das seit 1965 in Kraft ist, versucht einen Kompromiss zwischen Schutz und Nutzen zu verwirklichen. Denn in den vergangenen 40 Jahren wurden fast 18 Prozent des Regenwaldes zerstört, was einen folgenschweren Wandel des Klimas und eine Reduzierung der Artenvielfalt zur Folge hatte. Daher steht Brasilien auf einem der ersten Plätze der grössten CO2-Emittenten der Welt. Die weiträumigen Abholzungen waren weniger das Problem der Gesetzgebung, sondern der illegalen Abholzungen und der Unfähigkeit des Staates, die Gesetze im Amazonas durchzusetzen. Die Rechtsdurchsetzung muss deshalb verbessert werden. Das bisherige Gesetz ist ein wichtiges Instrument, um Brasiliens Kohlendioxidausstoss um 40 Prozent zu reduzieren. Es sieht vor, dass beim Kauf einer grossen Waldfläche höchsten 20 Prozent des Waldes abgeholzt werden kann und somit 80 Prozent geschützt bleiben muss. Die Agrarlobby möchte nun mit der Aufweichung des Waldgesetzes die Schutzfläche auf 50 Prozent reduzieren. Darüber hinaus soll es eine Amnestie geben für die Perso-

__________ 93 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon.pdf, Seite 27. 94 Vgl. Survival International: Die Indigenen von Raposa–Serra do Sol, http://www.survivalinternational.de/indigene/raposa


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nen, die illegal abgeholzt haben. Das Parlament hat das Waldgesetz bereits verabschiedet. Die Präsidentin Dilma Rousseff hat am 25. Mai 2012 nur ein Teil-Veto gegen das Gesetz eingereicht: Sie hat mit ihrem Veto zwölf Teile des Gesetzesentwurfs blockiert, 32 Änderungen führte sie direkt am Gesetzesentwurf durch. Das Parlament hat jedoch nun das letzte Wort und könnte das Dekret der Präsidentin mit einer einfachen Mehrheit in beiden Kongresshäusern überstimmen95.

__________ 95 Vgl. Freitas, Carolina (25.05.2012): Dilma veta doze itens do Código Florestal, http://veja.abril.com.br/noticia/brasil/ dilma-veta-12-itens-do-codigo-florestal

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5.8 Landwirtschaft 5.8.1 Übersicht Die Militärregierung der 1970er Jahre prägte die Kampagne „Land ohne Menschen für Menschen ohne Land“, um damit Ansiedlungen von Menschenmassen aus stark bevölkerten Regionen oder von Dürre geprägten Gebieten im waldreichen Amazonien zu ermöglichen. Die Regierungen von Fernando Henrique Cardoso und Luiz Inácio Lula da Silva haben diese Tendenz noch verstärkt. Zwischen 2003 und 2008 befanden sich 66 Prozent der vom Institut für Landerschliessung und Agrarreformen (INCRA) verteilten Parzellen im Amazonas. Obwohl die Siedler nicht die Hauptverantwortlichen für die Abholzung sind, tragen sie einen grossen Teil dazu bei. Weit gravierender ist die Ausdehnung des Grossgrundbesitzes im südlichen und östlichen Amazonas. Wie die nächsten Kapitel zeigen, werden weiterhin riesige Flächen für die Rinderzucht, für die Sojaplantagen und in naher Zukunft vielleicht auch für Zuckerrohr kahlgeschlagen. Ohne politische Gegensteuer wird dies durch die Nachfrage der Weltgemeinschaft nach Agrarkraftstoff massiv beschleunigt. 5.8.2 Rinderzucht Seit 2004 ist Brasilien der grösste Rindfleisch-Exporteur der Welt. Da die Bodenpreise im Amazonas viel tiefer sind als im Süden, expandieren viele Rinderzüchter in den Amazonas. Dies bringt Abholzungen grosser Flächen mit sich. Bis zu 80 Prozent des Waldes werden zugunsten der Rinderweiden gerodet96. Die grossflächigen Rodungen führen zu einer Vernichtung der Artenvielfalt, zudem laugen sie die Böden aus, die dann trotzdem nur für eine kurze Zeit als Weiden nutzbar sind97.

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In den Jahren von 1992 bis 2006 hat sich die Zahl der Rinder mehr als verdoppelt. Der Trend geht weiter, und im 2010 gab es in ganz Brasilien mehr als 209 Millionen Rinder. Die grössten Zunahmen werden in Amazonien verzeichnet, vor allem im Bundesstaat Pará98. Der Wachstumstrend ist ganz im Sinne der Regierung, die eine Verdoppelung der Fleischexporte bis ins Jahr 2018 geplant hat. Die regelrechten Invasionen der Rinderzüchter bedrohen die Indigenen. So wurde beispielsweise das Land der teilweise isoliert lebenden Awá für die Rinderzucht von der Regierung freigegeben, woraufhin viele der Indigenen in Auseinandersetzungen mit den Viehzüchtern und an eingeschleppten Krankheiten gestorben sind99. 5.8.3 Soja Weil die weltweite Nachfrage nach billigen Sojabohnen für Tierfutter angestiegen ist, wird der brasilianische Amazonasregenwald immer mehr für riesige Soja-Monokulturen gerodet. Seit 2005 ist Brasilien der weltweit grösste Sojalieferant. Noch werden die Bohnen hauptsächlich im Süden angebaut. Aufgeschreckt durch die Gefahr der grossflächigen Rodung des Amazonas durch die Sojaindustrie handelte Greenpeace im Jahre 2006 erfolgreich ein Anbaumoratorium100 aus. Die bereits bestehenden Sojaanbaugebiete in Amazonien zeigen die vielen Gefahren auf. Wegen den schlechten Böden wird massiv Dünger eingesetzt. Brasilien ist zudem einer der grössten Verbrauchern von Pestiziden. Der Einsatz von chemischem Dünger führt zur weiteren Auslaugung der Böden. Gemäss WWF werden jährlich zwischen 150'000 und 200'000 Menschen mit Pestiziden vergiftet, wobei 4'000 Personen daran sterben. Es wird vermutet, dass 10 Prozent der Bevölkerung, vor allem Indigene und Landarbeiter, den Pestiziden ausge-

__________ 96 Vgl. Carneiro Filho, Arnaldo/ Braga de Souza, Oswaldo (2009): ATLAS of Pressures and Threats to Indigenous Lands in the Brazilian Amazon, http://www.socioambiental.org/banco_imagens/pdfs/AtlasofPressuresandThreatstoIndigenousLandsintheBrazilianAmazon. pdf, Seite 31. 97 Vgl. Wissensmedia: Amazonien, http://www.wissen.de/thema/amazonien?chunk=Die%20Erschlie%E2%98%82szlig%E2%98%81u ng%20Amazoniens. 98 Vgl. Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (26.10.2011): PPM 2010: Rebanho bovino nacional cresce 2,1% e chega a 209,5 milhões de cabeças, http://www.ibge.gov.br/home/presidencia/noticias/noticia_visualiza.php?id_noticia=2002&id_pagina=1 99 Vgl. Survival International: Das bedrohteste Volk der Welt, http://www.survivalinternational.de/indigene/awa 100 Das Moratorium wurde im 2006 erstmals für zwei Jahre von Greenpeace initiiert und wurde seither jährlich verlängert, zuletzt im Oktober 2011. Die weltweit grössten Getreidehändler Cargill, Bunge, Archer Daniels Midland (ADM), Dreyfus und Grupo Maggi gaben ihr Einverständnis, kein Soja von neu angelegten Sojafeldern im Amazonas-Regenwald zu kaufen. Des Weiteren müssen die Sojabauern die Rechtmässigkeit ihres angebauten Gebiets beweisen.


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setzt sind, die unter anderem auch in die Flüsse gelangen101 . Um die Sojabohne günstig auf dem Weltmarkt zu verkaufen, braucht es riesige industrielle Anlagen und mechanisierte Prozesse. Daher können kleine Sojabauern sich nicht mehr mit den grossen Industrien messen und gehen unter. Die vier grössten Unternehmungen (US Getreidehändler Cargill, Bunge und Archer Daniels Midland (ADM), sowie das brasilianische Unternehmen von Blairo Maggi102) exportieren 60 Prozent der brasilianischen Sojaernte. Diesen vier Multiunternehmen gehört zudem 80 Prozent der Sojamühlen in Europa, die das billige Sojaschrot als Tierfutter weiterverkaufen. Gemäss Nachforschungen von Greenpeace kaufen diese vier Getreidehändler das brasilianische Soja von Bauern, die auch an illegaler Landaneignung, Rodung und Sklaverei beteiligt sind103. 5.8.4 Zuckerrohr Der Zuckerrohranbau hat in Brasilien stark zugenommen. Die Hauptanbaugebiete waren früher im Süden des Landes zu finden, in den letzten Jahren wurden vor allem im nördlich gelegenen Mato Grosso neue Felder bepflanzt. Diese Plantagen sind auch Teil des Wirtschaftsplanes der Regierung, der die Kraftstofferzeugung durch den aus Zuckerrohr gewonnenen Alkohol erhöhen soll. Generell wird dem brasilianischen Benzin 20 bis 25 Prozent Ethanol beigemischt. Der alternative Treibstoff Ethanol wird kontrovers diskutiert: Einerseits ist das Ethanol im Vergleich zum Erdöl ein umweltfreundlicher Treibstoff, da es weniger Treibhausgase freisetzt. Andererseits wird das Zuckerrohr in grossflächigen Monokulturen angebaut, die massiven Pestizideinsatz benötigt. Darüber hinaus verdrängt der Zuckerrohranbau die Nahrungsmittelproduktion, was fatale Folgen für die Preise der Grundnahrungsmittel hat. Ein weiterer Kritikpunkt sind die häufig schlechten Arbeitsbedingungen auf den Plantagen.

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Ein trauriges Beispiel ist das der Guarani-Indigenen im Südwesten Brasiliens. Der multinationale Konzern Shell baut zusammen mit dem brasilianischen Unternehmen Cosan Zuckerrohr auf dem angestammten Land der Guarani an. Seit die Unternehmen ihr Land bepflanzen und auch Chemikalien für ihre Plantagen benützen, hat sich die Gesundheit der Guarani in der Umgebung rasant verschlechtert: Sie leiden vermehrt an Durchfall. Zudem beklagen sie ein Fisch- und Pflanzensterben in ihrer Umgebung. Gemäss einem Bericht von Survival International wurden die Guarani nie um ihre Bewilligung angefragt104. Da das Territorium der Guarani noch nicht als Reservat eingetragen ist, verfügen sie über keinen speziellen Schutz durch die Regierung und sind den Machenschaften der Unternehmen praktisch schutzlos ausgeliefert. 5.8.5 Palmöl Auch die brasilianische Palmölindustrie möchte die Produktion drastisch erhöhen. Die meisten Plantagen in Amazonien befinden sich im Bundesstaat Pará. Das Potential für mögliche Anbauflächen in Amazonien ist allerdings gross, da die Dendé-Palme zur Produktion des Palmöls sehr gut im tropischen Klima gedeiht. Das Palmöl wird auf riesigen monokulturellen Flächen unter Einsatz von viel Pestiziden und Dünger gepflanzt, was eine grosse Bedrohung für die Umwelt und die Menschen vor Ort darstellt. Das Palmöl wird einerseits für die Nahrungsmittelund Chemieindustrie, anderseits für die Produktion von Treibstoff weiterverarbeitet. Momentan überwiegt die Produktion des Treibstoffs aus Zuckerrohr und Soja, aber seit die brasilianische Regierung beschlossen hat, dass dem Diesel mindestens drei Prozent des so genannten Biodiesels beigemischt werden muss, wird das Palmöl auch als Alternativtreibstoff deklariert.

__________ 101 Vgl. WWF (2007): Sojaanbau am Amazonas, http://assets.wwf.ch/downloads/hg_amazonas_sojaanbau_071018.pdf 102 Blairo Maggi ist der Gouverneur des Bundesstaates Mato Grosso und gleichzeitig der grösste brasilianische Getreidehändler. 103 Vgl. Greenpeace (17.10.2006): Wir essen Amazonien auf – Zusammenfassung des Greenpeace-Reports „Eating up the Amazon“, http://www.greenpeace.de/themen/waelder/urwaelder_mittel_und_suedamerikas/artikel/wir_essen_amazonien_auf/ 104 Vgl. Survival International (6.09.2011): Brasilien: Indigene fordern Shell zum Abzug auf, http://www.survivalinternational.de/nachrichten/7677


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5.9 Globaler Kohlenstoffmarkt Brasilien gehört aufgrund des Ausmasses an Waldzerstörung weltweit zu den grössten CO2-Verursachern und steht daher im Fokus der Diskussionen um das Verfahren der Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und Walddegradierung, abgekürzt REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation)105. Mit REDD-Programmen soll die Waldzerstörung und Degradierung aufgehalten und dem in den Wäldern gespeicherte Kohlenstoffdioxid einen wirtschaftlichen Wert zugeschrieben werden106. Das Konzept ist noch nicht fertiggestellt und höchst umstritten. Die offenen Fragen drehen sich unter anderem um Zweifel bei der Finanzierung, um die Vorgehensweise und um das Mitspracherecht der indigenen Bevölkerung. Ob REDD überhaupt einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emmissionen leisten wird, ist umstritten. Griffige und verbindliche Richtlinien für die Umsetzung der Projekte fehlen. Für die indigene Bevölkerung wäre REDD nur dann akzeptabel, wenn es ihre Rechte gemäss der Erklärung der Rechte indigener Völker vollständig anerkennen würde. Dies bedeutet, dass kein Projekt finanziert werden kann, wenn nicht die indigene Gemeinschaft ihr freies, informiertes und vorheriges Einverständnis erteilt hat. Aussicht auf schnelles Geld über den Kohlenstoffmarkt lässt findige Spekulanten und Firmen spriessen, die versuchen, für Geld aus dem Kohlenstoffmarkt Schutzprojekte zu finanzieren. So behauptet die irische Firma Celestial Green Ventures PLC mit Sitz in Dublin in mindestens zehn brasilianischen Indigenenreservaten107 den Kohlenstoffbestand zu schützen108. Die Firma hat am 1. Juni 2011 einen höchst problematischen Vertrag mit den indigenen Munduruku unterzeichnet. In diesem verpflichten sich die Indigenen, ihr Reservat (rund 2'381'795

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Hektaren Wald) der irischen Firma zu einem Betrag von 120 Millionen US-Dollar während 30 Jahren zu verpachten. Die Bezahlung erfolgt durch jährliche Raten von 4 Millionen US-Dollar während den Jahren 2012 bis 2041. Im Gegenzug verlangt die Firma nicht nur das Recht auf alle Kohlenstoffkredite des Gebiets, sondern fordert auch alle Rechte der Biodiversität des gepachteten Gebiets. Mit anderen Worten: Die Indigenen dürfen während den 30 Jahren ihr eigenes Gebiet nicht mehr ohne ausdrückliche Genehmigung durch die Firma bewirtschaften, sofern es Auswirkungen auf den Kohlenstoffspeicher hat – was bei fast allen ökonomischen Aktivitäten der Fall ist. Celestial Green Ventures hat sich im Vertrag gut abgesichert: Falls sie selbst das Geld auf dem Kohlenstoffmarkt nicht beschaffen kann, ist der Vertrag nichtig und die Munduruku werden die versprochenen Zahlungen nicht erhalten. Gemäss Aussagen von Mitgliedern der Munduruku-Gemeinschaft ging es bei der Vertragsunterzeichnung nicht mit rechten Dingen zu. Bei den Gesprächen rund um die Vertragsunterzeichnung mit der Celestial Green Ventures PLC habe das Unternehmen die anwesenden Indigenen im Verlauf eines Morgens über ihr Vorhaben informiert. Die Anwesenden hätten den Vertrag aber nicht unterschrieben, weil die Häuptlinge und die Mehrheit der Indigenen dagegen gewesen seien. Erst am Nachmittag des gleichen Tages sei der umstrittene Vertrag an einem anderen Ort unter Ausschluss der Häuptlinge mit nur etwa zehn Indigenen unterschrieben worden. Der damalige Präsident der FUNAI, Márcio Meira stellte an einer Pressekonferenz klar, dass der Vertrag ungültig sei. Die FUNAI müsse bei solchen Verhandlungen zwingend involviert werden, um Missbräuche zu verhindern109. Kompensationen für Schutzbestrebungen indigener Völker könnten eine attraktive Alternative zur

__________ 105 In der Zwischenzeit gibt es auch ein REDD+, das eine nachhaltige Waldbewirtschaftung, eine Erhaltung der Wälder und eine Verbesserung der Kohlenstoffsenken garantieren soll. 106 Vgl. Kuhlmann, Wolfgang: Wald und Klima: Bäume pflanzen reicht nicht, http://www.oekom.de/nc/zeitschriften/umweltaktuell/archiv/umwelt-aktuell-ar-chiv.html?artikel_id=3850&rubrik=Klima%2B%2526%2BEnergie&backpid=448&nummer=5%2 F2009%29&mag=aus%20umwelt%20aktuell%26%23160%3B%28 107 Vgl. Lang, Chris (15.03.2012): Celestial Green Ventures’ contracts are “not valid”, says Brazil’s National Indian Foundation, FUNAI, http://www.redd-monitor.org/2012/03/15/celestial-green-ventures-contracts-are-not-valid-says-brazils-nationalindian-foundation-funai/#more-11623 108 Homepage der Celestial Green Venture: http://www.celestialgreenventures.com


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kommerziellen wirtschaftlichen Nutzung des Umfeldes der Indigenen sein. Diese dürfen aber nicht auf spekulativer Basis beruhen, sondern auf umfassender Information und Einbezug der betroffenen Gemeinschaften und nur mit ihrem Einverständnis. Der Dachverband der indigenen Völker der gesamten Amazonasregion (COICA) hat im August 2011 in Zusammenarbeit mit der brasilianischen Indigenen-Organisation COIAB eine Konferenz zum Thema "Traditionelles Wissen, indigene Völker und Leben in Eintracht mit den Wäldern“ durchgeführt. Dabei wurde auch die Debatte rund um REDD geführt und unter anderem folgende Forderungen gestellt: • Kein REDD ohne Land- und kollektive Rechte110; • Keine nachteiligen Verträge, die beispielsweise den Verzicht auf territoriale Souveränität vorsehen. Die Gesetze und Regelungen des REDDs sollen zudem auf verständliche Weise formuliert werden; • Respektierung und Förderung der ganzheitlichen Erhaltung der Wälder, nicht nur in Gebieten mit Abholzung oder indem man die Wälder auf ihren Kohlenstoffgehalt reduziert; • Respektierung der Vorschläge zu nationalen Regelungen bezüglich REDD sowie die Einhaltung des freien, informierten und vorherigen Einverständnisses111.

__________ 109 Vgl. REDD-Monitor (15.03.2012): Celestial Green Ventures‘ Contracts are „not valid“ says Brazils National Indian Foundation FUNAI, http://www.redd-monitor.org/2012/03/15/celestial-green-ventures-contracts-are-not-valid-says-brazils-nationalindian-foundation-funai/#more-11623 110 Freie Übersetzung der Forderungen unter: http://www.redd-monitor.org/2012/03/15/celestial-green-ventures-contractsare-not-valid-says-brazils-national-indian-foundation-funai/#more-11623 111 Vgl. Coordenação das Organizações Indígenas da Bacia Amazônica (15.- 18. August 2011), http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:hStXvBe4EY4J:dialogos2012.org/novo/Biblioteca/Territorios/Biblioteca/TerritorioseBemViver_COICA.rtf+conferencia+manaus+15-18.+agosto+2011+coica&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=ch


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6. Gesellschaftliche Bedrohung Neben den Risiken, die aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens für die indigenen Gemeinschaften und ihr Umfeld ausgehen, bestehen weitere Bedrohungen aufgrund der NichtEinhaltung von fundamentalen Menschenrechten durch die brasilianische Gesellschaft und den Staat. Gewalt und Todesdrohungen gegen indigene Menschenrechtler nehmen zu. Zwischen den Jahren 2003 und 2010 wurden in Brasilien insgesamt 452 indigene Menschen umgebracht. In den letzten Jahren waren es durchschnittlich 60 Personen pro Jahr112. Viele Aktivisten und Indigenenführer werden zudem mit Todesdrohungen eingeschüchtert und bedroht. Viel Gewalt geht von illegalen Besetzern indigener Territorien aus. Es sind oft Grossgrundbesitzer und deren bezahlten Söldner, Mitarbeiter von Holzunternehmen und andere Einzelpersonen. Weiter schliessen sich auch Jäger und Fischer in bewaffnete Gruppen zusammen, um in die Reservate einzudringen und bei Widerstand Angehörige der indigenen Gemeinschaften zu töten, zu verwunden, zu bedrohen, zu vergewaltigen und auszurauben. Die Regierung Brasiliens ist nicht in der Lage, der indigenen Bevölkerung die Ausübung des Rechts auf Leben, auf medizinische Grundversorgung, auf Schutz vor ihren Angreifern und auf die Wahrung ihres materiellen sowie kulturellen Erbes zu ermöglichen. In den entlegenen Waldgebieten herrscht die Macht des Stärkeren, der Staat ist kaum präsent und in der Regel sind die Indigenen im Konfliktfall ganz auf sich gestellt. Beamte des Staates pflegen stereotype, diskriminierende Anschauungen über indigene Gemeinschaften. Letztlich führen auch die Diskriminierung und die Marginalisierung durch die Politik und Gesellschaft zu Gewalt gegen die Indigenen. Viele Gewalttaten werden des Weiteren gar nicht erst geahndet.

Der Zustand der Gesundheitsvorsorge und der Schulbildung für die indigene Bevölkerung wird seit langer Zeit kritisiert. Internationale und nationale Organisationen sowie die Indigenen vor Ort machen sich für eine Neuorganisation dieser zwei Bereiche stark. Indigene Völker haben 2009 bei der Bundesanwaltschaft Klage wegen der mangelnden Gesundheitsvorsorge eingereicht113. Viele Indigene sterben an Krankheiten, die bekämpft oder ausgerottet werden könnten, oder leiden an Mangelernährung. Die Kindersterblichkeit ist im Vergleich zum nationalen Durchschnitt besorgniserregend hoch und die Indigenen haben im Schnitt eine viel geringere Lebenserwartung als der Rest der Bevölkerung. James Anaya, der Sonderberichterstatter der UNO für die Rechte von indigenen Völkern, kritisierte in seinem Bericht114 zur Situation der Indigenen in Brasilien den Zugang zum Gesundheitssystem. Die staatliche Gesundheitsbehörde (FUNASA) hat spezielle Massnahmen ergriffen, um das Gesundheitswesen auch weit abgelegenen indigenen Gruppen zugänglich zu machen, jedoch limitieren die strukturellen Mängel der FUNASA die Arbeit. 2011 starben beispielsweise sechs Xavante-Indigene an den Folgen von Lungenentzündungen und Entbindungen. 2010 starben 200 Neugeborene unter anderem auch an Erkrankungen der Atemwege aufgrund unzureichender medizinischer Betreuung115. Die neue Verfassung von 1988 macht deutlich, dass die Indigenen das Recht haben, in ihrer Sprache und ihnen bekannten Methoden unterrichtet zu werden. Die anfänglichen Bemühungen der Regierung zeigten erste Früchte und im Jahr 2007 gab es landesweit 2'480 indigene Schulen und 176'714 indigene Schülerinnen und Schüler. Bedeutende Herausforderung bleiben aber bestehen: Es herrscht ein Mangel an Lehrerinnen und Leh-

112 Vgl. Relatório Violência contra os povos indígenas no Brasil – Dados de 2010, CIMI. 113 Vgl. CIMI (16.01.2011): O caos no atendimento à saúde indígena, http://www.adital.com.br/site/noticia. asp?lang=PT&cod=53409 114 Vgl. UN Report on the Situation of Human Rights of Indigenous Peoples in Brazil (26.08.2009), http://unsr.jamesanaya. org/country-reports/report-on-the-situation-of-human-rights-of-indigenous-peoples-in-brazil-2009, Seite 18-19. 115 Vgl. CIMI (16.01.2011): O caos no atendimento à saúde indígena, http://www.adital.com.br/site/noticia. asp?lang=PT&cod=53409.


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rern und die Einbeziehung indigener Sprachen und indigener Kultur im Unterricht ist unzureichend. Darüber hinaus schliesst die Mehrheit der indigene Kinder nur die Grundschule ab und bleibt dem Bildungswesen danach fern116.

__________ 106 Vgl. UN Report on the Situation of Human Rights of Indigenous Peoples in Brazil (26.08.2009), http://unsr.jamesanaya. org/country-reports/report-on-the-situation-of-human-rights-of-indigenous-peoples-in-brazil-2009, Seite 19-20.


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7. Schlusswort und Lösungsansätze Für die Durchsetzung der Indigenenrechte ist der Staat verantwortlich. Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert daher von der brasilianischen Regierung, den Sinn und Geist der brasilianischen Verfassung von 1988 wieder aufzunehmen und die Erklärung der Rechte der Indigenen Völker der UNO und der Indigenenkonvention ILO 169 umzusetzen. Dies bedeutet insbesondere: 1. Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker; 2. Eine echte Partizipation der indigenen Völker bei allen parlamentarischen Vorstössen und Regierungsprogrammen wie die Projekte zur Beschleunigung des Wachstums und weitere entwicklungspolitische Prozesse, die Auswirkungen auf das Leben der Indigenen und deren Umfeld haben; 3. Eine Anpassung der Institutionen des brasilianischen Bundesstaates, der Staaten und der Gemeinden, die sich um die indigenen Anliegen kümmern, um eine echte Vertretung der indigenen Interessen gegenüber dem Staat und den Behörden zu gewährleisten, sowie die Überarbeitung des Indigenenstatuts, unter Partizipation und mit dem Einverständnis der indigenen Völker; 4. Die Garantierung des Rechts auf das freie, informierte und vorherige Einverständnis der betroffenen Indigenengemeinschaft für sämtliche wirtschaftliche und entwicklungspolitische Projekte. Dies betrifft insbesondere Infrastrukturbauten (Strassen, Eisenbahnlinien, Wasserstrassen, Staudämme), wirtschaftliche Projekte (Holznutzung, Bodenschätze), Landwirtschaftliche Entwicklung und die Einrichtung von Schutzgebieten sowie Klimaprojekte in den Indigenenreservaten; 5. Die zügige Demarkierung aller Regionen, die von indigenen Gruppen traditionellerweise genutzt werden; 6. Den Aufbau eines Schutzsystems für die Indigenenreservate, die sämtliche illegale Aktivitäten unterbindet, unter Mitwirkung und Einverständnis der betroffenen indigenen Bevölkerung; 7. Die sofortige Demarkierung aller Gegenden, in denen unkontaktierte Indigene leben oder vermutet werden, und wirkungsvolle Abschottung dieser Gebiete, unabhängig jeglicher wirtschaftlichen Interessen; 8. Die Erarbeitung wirksamer Schutzprogramme für gefährdete indigenen Menschenrechtlern und die Verfolgung und Verurteilung der Verantwortlichen, die Gewalt androhen oder ausüben; 9. Die Lancierung nationaler Programme zugunsten der indigenen Bevölkerung und sowohl gegen die Marginalisierung als auch die Stigmatisierung der Indigenen in der brasilianischen Gesellschaft.


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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Brasilien (Quelle: muz).................................................................................... Abbildung 2: Situierung Amazonien (Quelle: Imazon)............................................................... Abbildung 3: Indigenenreservate in Brasilien (Quelle: © FUNAI)................................................. Abbildung 4: Isolierte Völker weltweit (Quelle: Wikipedia)......................................................... Abbildung 5: Siedlung von Indigenen in freiwilliger Isolation (Quelle: © Gleison Miranda)............. Abbildung 6: Situierung der brasilianischen isolierten Indigenen (Quelle: © FUNAI)...................... Abbildung 7: Karte des binationalen Schutzgebiets isolierter Indigener in Peru/Brasilien (Quelle: © José Frank M. Silva)............................................................................................................. Abbildung 8: Druck und Bedrohungen auf die Indigenenreservate in Amazonien (Quelle: © ISA)...... Abbildung 9: IIRSA-Achsen in Südamerika (Quelle: Planet Trails Foundation)................................ Abbildung 10: IIRSA-Achsen im Norden von Südamerika (Quelle: GEOSUR).................................... Abbildung 11: Strassennetz Amazonien (Quelle: WWF)............................................................... Abbildung 12: Wasserkraftwerke in Amazonien (Quelle: © ISA).................................................... Abbildung 13: Wasserkraftwerke in Brasilien (Quelle: Plattform Belo Monte)................................. Abbildung 14: Belo Monte Konstruktion, in der Nähe von Altamira (Quelle: © Greenpeace/Daniel Beltra)............................................................................................................................... Abbildung 15: Lokalisierung des Belo Monte Staudamms (Quelle: © ISA)...................................... Abbildung 16: Der Staudamm Belo Monte umgeben von Indigenenreservaten und Schutzgebieten (Quelle: © ISA).................................................................................................................... Abbildung 17: Übersicht des Staudammkomplexes Belo Monte (Quelle: © Telma Monteiro)......... Abbildung 18: Erste Bauten des Kraftwerks mit bereits grossen Umweltschäden (Quelle: © Greenpeace/Daniel Beltra)............................................................................................................. Abbildung 19: Rodungen für das Projekt Belo Monte (Quelle: © Greenpeace/Daniel Beltra).............. Abbildung 20: Massiver Druck auf die indigenen Reservate nahe Altamira und Belo Monte Damm aufgrund des grossen Interesses am Rohstoffabbau (Quelle: DNPM)............................................. Abbildung 21: Indigenenreservat Trincheira Bacajá und Schürfungsanfragen vor allem für Gold und Kupfer (Quelle: © IBAMA)...................................................................................................... Abbildung 22: Feuer entlang des Xingu Flusses am 17. September 2011 (Quelle: NASA).................. Abbildung 23: Situierung des Teles Pires Staudamms und der Indigenengebiete (Quelle: epe).......... Abbildung 24: Holzwirtschaft in Amazonien (Quelle: © ISA)....................................................... Abbildung 25: Die Abholzungsstatistik im Amazonas 1988 bis 2011 (Quelle: © Rhett A. Butler, Mongabay)............................................................................................................................... Abbildung 26: Die Abholzung im Indigenenreservat Apyterewa (Quelle: © Greenpeace)................... Abbildung 27: Rodônia Fotovergleich 10 Jahre Unterschied (Quelle: Robert Simmon und Reto Stöckli, NASA)............................................................................................................................ Abbildung 28: Erdöl- und Gasfelder Aktuelle und potentielle zukünftige Standorte (Quelle: © ISA)...

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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Indigenenreservate in Brasilien (Stand Juli 2011) Tabelle 2: Geplante Staudämme 2010 - 2015 Tabelle 3: Übersicht über die Indigenen, die vom Belo Monte betroffen sind gemäss FUNAI Tabelle 4: Aktuelle Bergbauprozesse in den Indigenenreservaten

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Brasilianische Verfassung Artikel 231 Die sozialen Organisationsformen, Bräuche, Sprachen, Glauben und Traditionen der Indigenen werden anerkannt, sowie die Rechte auf die von ihnen seit langen Zeiten besetzten Gebiete, wobei der Bund die Aufgabe hat, diese zu demarkieren und alle ihre Güter zu schützen und respektieren. § 1: Als von den Indigenen besetzte Gebiete gelten jene Territorien, die von ihnen in ständiger Weise bewohnt werden, die sie für produktive Aktivitäten benutzen, die für ihr Wohlergehen und für ihre physische und kulturelle Reproduktion notwendig und unerlässlich sind, gemäss ihren Gewohnheiten, Sitten und Traditionen. § 2: Die von den Indigenen besetzten Gebiete sind deren ständigem Besitz vorbehalten, und ihnen steht die alleinige Nutzung der darin vorkommenden Reichtümer des Bodens, der Flüsse und Seen zu. § 3: Die Nutzung der Wasserkraft und der Energie, die Untersuchung und Ausbeutung der Mineralschätze kann nur auf Anordnung des Nationalkongresses durchgeführt werden, nach Anhörung der betroffenen Gemeinschaften, denen eine Beteiligung an den Erträgen zugesichert wird, laut Vorschrift des Gesetzes. § 4: Die in diesem Artikel erwähnten Gebiete sind unerlässlich, über sie kann nicht verfügt werden und die Rechte darüber sind unanfechtbar. § 5: Es ist verboten, indigene Gruppen von ihrem Land zu entfernen, es sei denn zum Schutz „per Abstimmung“ durch den Nationalkongress im Falle einer Katastrophe oder Epidemie, die die Bevölkerung gefährdet oder im Interesse der Souveränität des Landes liegt […] § 6: Ungültig und ohne rechtliche Wirkung sind all jene Handlungen, die auf Besetzung, Herrschaft und Besitz der in diesem Artikel behandelten Gebiete oder die Ausbeutung der im Boden, in Flüssen und Seen vorhandenen Naturschätze abzielen, ausser bei relevantem öffentlichem Interesse des Bundes und nur im Einklang wie ein Ergänzungsgesetz angeordnet. Aus dieser Nichtigkeit lässt sich kein Recht auf Schadenersatz oder ein Verfahren gegen den Bund ableiten, es sei denn nach geltendem Recht hinsichtlich der Güter, die in gutem Glauben in Besitz genommen wurden. § 7: Die indigenen Gebiete bleiben unberührt von der Verfügung im Artikel 174, §§ 3 und 4. Artikel. Artikel 232 Die Indigene, ihre Gemeinschaften und Organisationen, sind anerkannte Parteien bei Gericht zur Verteidigung ihrer Rechte und Interessen unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft bei jedem Schritt eines Prozesses.

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UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker Artikel 3 Indigene Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. Artikel 4 Bei der Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung haben indigene Völker das Recht auf Autonomie oder Selbstverwaltung in Fragen, die ihre inneren und lokalen Angelegenheiten betreffen, sowie das Recht, über die Mittel zur Finanzierung ihrer autonomen Aufgaben zu verfügen. Artikel 8 1. Indigene Völker und Menschen haben das Recht, keiner Zwangsassimilation oder Zerstörung ihrer Kultur ausgesetzt zu werden. 2. Die Staaten richten wirksame Mechanismen zur Verhütung und Wiedergutmachung der folgenden Handlungen ein: a) jeder Handlung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass indigene Völker und Menschen ihrer Integrität als eigenständige Völker oder ihrer kulturellen Werte oder ihrer ethnischen Identität beraubt werden; b) jeder Handlung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass ihnen der Besitz ihres Landes, ihrer Gebiete oder ihrer Ressourcen entzogen wird; c) jeder Form der zwangsweisen Überführung der Bevölkerung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass ihre Rechte verletzt oder untergraben werden; d) jeder Form der Zwangsassimilation oder Zwangsintegration; e) jeder Form der Propaganda, die darauf abzielt, rassische oder ethnische Diskriminierung, die sich gegen sie richtet, zu fördern oder dazu aufzustacheln. ILO-Konvention 169 Artikel 6 1. Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens haben die Regierungen a) die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren können, erwogen werden; b) Mittel zu schaffen, durch die diese Völker sich im mindestens gleichen Umfang wie andere Teile der Bevölkerung ungehindert auf allen Entscheidungsebenen an auf dem Wahlprinzip beruhenden Einrichtungen sowie an Verwaltungs- und sonstigen Organen beteiligen können, die für sie betreffende Maßnahmen und Programme verantwortlich sind; c) Mittel zu schaffen, die es diesen Völkern ermöglichen, ihre eigenen Einrichtungen und Initiativen voll zu entfalten, und in geeigneten Fällen die für diesen Zweck erforderlichen Ressourcen bereitzustellen.

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2. Die in Anwendung dieses Übereinkommens vorgenommenen Konsultationen sind in gutem Glauben und in einer den Umständen entsprechenden Form mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen. Artikel 7 1. Die betreffenden Völker müssen das Recht haben, ihre eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozess, soweit er sich auf ihr Leben, ihre Überzeugungen, ihre Einrichtungen und ihr geistiges Wohl und das von ihnen besiedelte oder anderweitig genutzte Land auswirkt, festzulegen und soweit wie möglich Kontrolle über ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung auszuüben. Darüber hinaus haben sie an der Aufstellung, Durchführung und Bewertung von Plänen und Programmen für die nationale und regionale Entwicklung mitzuwirken, die sie unmittelbar berühren können. 2. Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie des Gesundheits- und Bildungsstandes der betreffenden Völker mit ihrer Beteiligung und Unterstützung muss in den allgemeinen Plänen für die wirtschaftliche Entwicklung der von ihnen bewohnten Gebiete Vorrang haben. Auch die besonderen Entwicklungspläne für diese Gebiete sind so zu gestalten, dass sie diese Verbesserung begünstigen. 3. Die Regierungen haben sicherzustellen, dass in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern gegebenenfalls Untersuchungen durchgeführt werden, um die sozialen, geistigen, kulturellen und Umweltauswirkungen geplanter Entwicklungstätigkeiten auf diese Völker zu beurteilen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind als grundlegende Kriterien für die Durchführung dieser Tätigkeiten anzusehen. 4. Die Regierungen haben in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern Massnahmen zu ergreifen, um die Umwelt der von ihnen bewohnten Gebiete zu schützen und zu erhalten. Artikel 15 1. Die Rechte der betreffenden Völker an den natürlichen Ressourcen ihres Landes sind besonders zu schützen. Diese Rechte schließen das Recht dieser Völker ein, sich an der Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser Ressourcen zu beteiligen. 2. In Fällen, in denen der Staat das Eigentum an den mineralischen oder unterirdischen Ressourcen oder Rechte an anderen Ressourcen des Landes behält, haben die Regierungen Verfahren festzulegen oder aufrechtzuerhalten, mit deren Hilfe sie die betreffenden Völker zu konsultieren haben, um festzustellen, ob und in welchem Ausmaß ihre Interessen beeinträchtigt werden würden, bevor sie Programme zur Erkundung oder Ausbeutung solcher Ressourcen ihres Landes durchführen oder genehmigen. Die betreffenden Völker müssen wo immer möglich an dem Nutzen aus solchen Tätigkeiten teilhaben und müssen einen angemessenen Ersatz für alle Schäden erhalten, die sie infolge solcher Tätigkeiten erleiden.

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