1º|2012
VOICE
Jung und aktiv Porträts junger Menschen, die sich couragiert für Menschenrechte und Freiheit einsetzen.
Editorial Letztes Jahr haben Bilder der Demonstrationen in Nord afrika und im Nahen Osten auf der ganzen Welt Hoff nung auf mehr Freiheit und Menschenrechte verbreitet. Auffallend war, dass hinter diesen Protesten viele Men schen der jüngeren Generation standen, die sich von den politischen Eliten nicht vertreten sahen und mehr Mitsprache in Gesellschaft und Politik forderten. Mutig brachten sie zum Ausdruck, dass sie die Zukunft mitge stalten wollen. Sind Jugendliche und junge Erwachsene heute die ei gentlichen Initianten für Veränderung? Wir haben Ge spräche geführt mit verschiedenen engagierten jungen Menschen. Darunter waren Vertreterinnen und Vertreter der Roma, Tibeter und Tamilen. Alle setzen sich mit viel Herzblut für eine Verbesserung der menschenrecht lichen Situation ihrer Minderheiten-Gruppe ein. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat seit 2011 zwei Projekte zur Unterstützung junger Erwachse ner initiiert, welche sich in Gesellschaft und Politik einbringen wollen. Beim Projekt «Youth for Positive Change» werden junge Roma gecoacht, damit ihre An liegen im Kosovo vermehrt gehört werden (siehe S. 4–5). In einem weiteren Projekt, das 2012 starten wird, wird die GfbV jungen Tamilinnen und Tamilen in der Schweiz fördern, welche sich politisch einbringen möchten (siehe S. 12). Wir freuen uns sehr über diese Möglichkeit, künftige Changemaker unterstützen zu können! Gerne machen wir Sie noch auf zwei Vereinsinterna auf merksam: Am 9. Mai findet unsere jährliche Mitglieder versammlung statt (siehe S.10). Und in Bälde finden Sie auf unserer Webseite den neuen Jahresbericht 2011. Dieser wird aus ökologischen Überlegungen 2012 nicht per Post verschickt.
Franziska Stocker, GfbV Schweiz
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für verfolgte Minderheiten und indigene Völker einsetzt. Sie dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, informiert und sensibilisiert die Öffentlichkeit und nimmt die Interessen der Betroffenen gegenüber Behörden und Entscheidungsträgern wahr. Sie unterstützt lokale Bemühungen zur Stärkung der Menschenrechte von Minderheiten und indigenen Völkern und arbeitet national und international mit Organisationen und Personen zusammen, die ähnliche Zielsetzungen verfolgen. Die GfbV hat beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der UNO und beim Europarat.
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«Speak out»: Junge Roma kämpfen für mehr Mitsprache
«Wir jungen Tamilen müssen etwas tun.»
Politischer Frühling in Burma?
Viele Roma im Kosovo sehen für sich kaum Perspektiven in diesem Land, in dem sie sich als Bürger zweiter Klasse fühlen. Gerade bei der jungen Genera tion sitzt die Frustration oft tief. Eine Gruppe junger Roma engagiert sich deshalb für mehr Mitbestimmung in Gesellschaft und Politik.
Tharsika Pakeerathan (23) und Kabilan Sivapatham (29) – beide mit tamili schen Wurzeln – setzen sich seit län gerem in der Schweiz für die Anliegen der Tamilen ein. Im Gespräch berichten sie über die Herausforderungen, die dieses Engagement mit sich bringt.
Die angekündigten Reformen in Bur ma erwecken den Anschein, dass dem Vielvölkerstaat ein politischer Wandel bevorsteht. Der burmesische Menschenrechtspreisträger Bô Kyi kritisiert jedoch, dass die Situation für politische Gefangene und Minderheiten noch immer schwierig ist.
Inhaltsverzeichnis
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Junge Roma kämpfen für mehr Mitsprache
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Kurzinfos
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«Ich schätze die Möglichkeiten, die ich hier habe.»
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GfbV-Projekte und -Kampagnen
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Interview mit zwei jungen Schweizer TamilInnen
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Politischer Frühling in Burma?
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Service Bücher, Filme, Ausstellungen
Herausgeberin: Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz, Schermenweg 154, CH-3072 Ostermundigen, Tel. 031 939 00 00, E-Mail: info@gfbv.ch, Web: www.gfbv.ch, Spendenkonto: BEKB: IBAN CH05 0079 0016 2531 7232 1 Redaktion: Verantwortlich: Franziska Stocker, Mitarbeit: Nikolai Räber, Lea Hürlimann Gestaltungskonzept/Layoutsupport: Clerici Partner AG, Zürich Layout: Franziska Stocker Titelbild: Tibet-Demonstration vor der UNO in Genf anlässlich des Menschenrechtstags am 10. Dezember 2011, organisiert vom Verein Tibeter Jugend Europa (VTJE) (Fotos: VTJE) Bild Rückseite: Roma-Mädchen in Mitrovica/Kosovo (Foto: Franziska Sto cker) Erscheinungsweise: vierteljährlich Auflage: 7100 Exemplare Abonnement: CHF 30.–/Jahr, Insertionstarif auf Anfrage Näch ste Ausgabe: Juni 2012, Redaktions- und Inserateschluss: 1. Mai 2012 Copyright: © 2012 Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz. Die Wiedergabe von Artikeln ist bei Angaben der Quelle und Belegexemplaren an die Herausgeberin erlaubt Druck: gdz AG, Zürich, gedruckt auf FSC-Papier ZEWO: Die GfbV trägt das ZEWO-Gütesiegel für gemeinnützige Institutionen. Es steht für einen zweckbe stimmten und transparenten Umgang mit Spenden.
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4 «Speak out»: Junge Roma kämpfen für mehr Mitsprache Viele Roma im Kosovo sehen für sich kaum Perspektiven in diesem Land, in dem sie sich als Bürger zweiter Klasse fühlen. Gerade bei der jungen Generation sitzt die Frustra tion oft tief – sie kämpft zusätzlich mit patriarchalen Clanstrukturen. Eine Gruppe jun ger Roma engagiert sich deshalb für mehr Mitbestimmung in Gesellschaft und Politik.
Foto: YPC
Seit August 2011 haben die Grenzstreitigkeiten zwischen Serbien und Kosovo wieder zugenommen. Was das Wiederauf keimen des Konflikts für Minderheiten – insbesondere für die Roma – bedeutet, ist ungewiss. Die kosovarische Verfassung garantiert zwar weitreichende Minderheitenrechte. Doch der kosovarische Staat ist nicht fähig, elementare Grundrechte wie das Recht auf Bildung, medizinische Versorgung, Wohnen und Arbeit für die Roma zu garantieren. «Über 95 Prozent der Roma sind arbeitslos und viele schlagen sich als Tagelöhner durch. Bei Krankheit fehlt oft das Geld für eine ausreichende medizi nische Versorgung. Viele Kinder und Jugendliche besuchen keine Schule oder brechen sie frühzeitig ab», so Dzafer Buzoli, Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im Ko sovo. Dass sich in dieser ohnehin schon sehr schwierigen Situ ation nun der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo wieder zuspitzt, lässt nichts Gutes erahnen. Da viele Roma Serbisch sprechen und zum Teil in serbisch besiedelten Gebieten Koso vos leben, werden sie von der kosovo-albanischen Mehrheits bevölkerung oft mit der verhassten serbischen Gemeinschaft in Verbindung gebracht und laufen damit Gefahr, zusätzlich diskriminiert zu werden.
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Patriarchale Strukturen Minderheiten haben im Kosovo aufgrund des verbrieften Min derheitenschutzes grundsätzlich Zugang zu Institutionen und können dort ihre Anliegen einbringen. In diesen offiziellen Minderheitengremien sitzen jedoch meist Vertreter der älteren Roma-Generation, die zwar in ihrer Gemeinschaft Ansehen ge niessen, denen es jedoch an Wissen, Erfahrung und Ressour cen fehlt, um die Gremien effektiv zu nutzen und so die poli tischen und sozioökonomischen Bedingungen der Roma im Kosovo zu verbessern. Zusätzlich erschwert die innere Zer splitterung der Roma-Gemeinschaften eine kohärente Politik zum Wohle aller Roma. «Oft sind es Einzelinteressen gewisser Familienclans, die den politischen Diskurs dominieren. Ein überregionales Zusammengehörigkeitsgefühl fehlt», kritisiert Buzoli. Gleichzeitig sind die zivilgesellschaftlichen Akteure der Roma schlecht organisiert. Besonders für die junge RomaGeneration ist es schwierig, ihre Anliegen einzubringen. «In nerhalb der traditionellen, meist stark patriarchal gefärbten Organisationsstrukturen der Roma können sich jüngere Männer und Frauen kaum äussern. Frustration und Politikverdrossen heit sind die Folge», so Buzoli.
Verschaffen sich Gehör: YPC-Mitglieder bei der Produktion ihrer wöchent lichen Radiosendung.
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Engagement über ethnische Grenzen hinweg Es gibt jedoch auch Hinweise auf die Erstarkung einer jungen Roma-Generation, die ein vermehrtes gesellschaftspolitisches Engagement an den Tag legt und sich für eine echte gesell schaftliche und politische Partizipation einsetzt. Dabei kommt insbesondere jungen Roma-Frauen eine sehr wichtige Rolle zu. Die GfbV hat das Potential dieser jüngeren Generation erkannt und unterstützt seit Anfang 2011 den Aufbau des überregio nalen Netwerkes «Youth for Positive Change» (YPC). YPC wurde im November 2010 von einer Gruppe junger Roma gegründet. «Das Ziel dieses Netzwerkes ist es, junge Erwachsene zu befä higen, eine aktive Rolle in der kosovarischen Gesellschaft zu übernehmen und die Lebensbedingungen der Roma-Gemein schaft zu verbessern», erklärt Mirjeta Osmani, Gründungsmit glied von YPC. Die Mitglieder sind nicht ausschliesslich Roma, sondern schliessen Albaner, Serben und Gorani mit ein. Ende 2011 zählte YPC 40 aktive Mitglieder, die sich ehrenamtlich für Minderheitenrechte engagieren.
Zuhörerinnen und Zuhörer haben die Möglichkeit, ihre Anliegen und Erfahrungen live einzubringen und zu verbreiten. Damit erhalten sie eine hörbare Stimme in der Öffentlichkeit und
Das Engagement von YPC fokussiert hauptsächlich auf die Si tuation innerhalb der Roma-Gemeinschaft. «Um zum Beispiel Hochzeiten von minderjährigen Mädchen ohne deren Einver ständnis zu verhindern und die Position der Mädchen inner halb ihrer Clans zu verbessern, werden Informationsworkshops in den Roma-Quartieren organisiert», so Osmani. Dass die eta blierten Roma-Leader dieser Entwicklung oft skeptisch gegen über stehen, überrascht sie nicht. Um sich diesbezüglich abzu sichern und die Legitimation der jüngeren Quartierbewohner hinter sich zu wissen, organisiert YPC so genannte «Speak outs». Mit diesen Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen wird die Möglichkeit geschaffen, dass junge Leute ihre Bedürf nisse und Meinungen zur gegenwärtigen Situation einbringen können. Im Anschluss an diese Diskussionsrunden suchen YPC-Ver treterInnen regelmässig das direkte Gespräch mit den kosova rischen Behörden und den offiziellen Roma-VertreterInnen. Da mit soll gewährleistet werden, dass die Anliegen der jungen Generation nicht vergessen gehen und dass die offiziellen Ro ma-VertreterInnen sich für die Anliegen aller Roma – und nicht bloss für diejenigen ihres jeweiligen Clans – einsetzen. Mit der öffentlichen Präsenz der Quartierjugend wird den verschie denen Anliegen Nachdruck verliehen. Mittels einer eigenen wöchentlichen Radio-Sendung berich tet YPC zudem kosovoweit über die Situation junger Roma. «Die Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz
Foto: Angela Mattli
Junge Changemaker
YPC-Mitglieder planen an einem Workshop gemeinsam mit der GfbV Projekte zur Unterstützung von jungen Roma.
nehmen einen Raum ein, der ihnen von der kosovo-albanischen Mehrheitsgesellschaft und der älteren Roma-Generation oft nicht zugesprochen wird», freut sich Osmani. Trotz der verfahrenen politischen Situation und dem Wieder aufkeimen des Konflikts in Nord-Kosovo macht das Engagement der jungen Roma-Generation Hoffnung: Hoffnung, dass der Ko sovo über eine Zivilgesellschaft verfügt, die sich verstärkt für den Einbezug von Minderheiten engagiert, für ihre wirtschaft lichen, politischen und kulturellen Rechte kämpft und nicht davor zurückschreckt, die Machtfrage auch innerhalb ihrer ei genen Gemeinschaft zur Debatte zu stellen.
Text: Angela Mattli, GfbV Schweiz Auf der GfbV-Webseite finden Sie einen kurzen Videobeitrag zum Projekt.
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6 «Ich schätze die Möglichkeiten, die ich hier habe.» Norzin-Lhamo Dotschung setzt sich mit dem Verein Tibeter Jugend in Europa (VTJE) für den Erhalt der tibetischen Kultur ein und kämpft für ein unabhängiges und freies Tibet. Die engagier te Studentin ist überzeugt, dass der gewaltlose Widerstand sich irgendwann auszahlen wird.
Foto: VTJE
Zum ersten Mal konkret auf die Menschenrechtsverletzungen in Tibet aufmerksam wurde die in der Schweiz aufgewachsene 24-jährige Norzin-Lhamo Dotschung – oder Nuri wie sie von ihren Freunden genannt wird – im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 in Peking. Die Hilflosigkeit gegenüber der Diktatur in China und die international kaum vernehmbaren kritischen Stimmen gegenüber den anhaltenden Menschenrechtsverlet zungen in Tibet bewegten die Schweizerin mit tibetischen Wurzeln: «Damals merkte ich, dass es an der Diaspora und ge rade auch an uns Jungen liegt, die Anliegen der Tibeterinnen und Tibeter an die Öffentlichkeit zu bringen. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass die Stimmen der Menschen in Tibet ge hört werden.» Seit 2008 ist die couragierte Jura-Studentin im Verein Tibe ter Jugend in Europa (VTJE) aktiv, dessen Sitz sich in Zürich befindet und der heute über 400 Mitglieder zählt. Im April 2010 hat sie das Präsidium des Vereins übernommen. Ihr Vater war bereits Mitglied der Jugendorganisation, auch viele ihrer Freunde sind dabei. Im Gespräch mit Nuri wird klar, dass das Engagement der jungen Tibeterinnen und Tibeter ein zentrales Anliegen der tibetischen Diaspora ist und auch bei den Eltern hohes Ansehen geniesst: «Dieses politische Bewusstsein wird einem von Klein auf mit auf den Weg gegeben. Man wächst in
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diesem Umfeld auf und realisiert später, dass man zusammen viel bewirken kann. Wichtig ist für mich, dass sich die tibe tische Jugend vernetzt und einen starken Zusammenhalt ent wickelt. Denn wir stehen alle für die gleiche Sache ein – ein freies Tibet.»
Politischer Aktivismus 2.0 Um die breite Öffentlichkeit mit der schwierigen Lage in Tibet vertraut zu machen, setzt der VTJE vielfach auf kreative Akti onen. «Ich denke, die jüngere Generation hat realisiert, dass eine Aktion medienwirksam sein muss. Dazu müssen gute Kon takte mit den Medien gepflegt werden. Man muss in Zeitungen erwähnt werden, um genügend Leute zu erreichen. Heute ha ben wir solche Möglichkeiten und können sie bewusst nutzen», erklärt Nuri. Eine im vergangenen Dezember in mehreren Schweizer Städ ten durchgeführte Guerilla-Aktion des VTJE verdeutlicht das Vorgehen. Unter dem Motto «Tibet brennt und die Welt schaut zu» wurden auf öffentlichen Plätzen in der Schweiz Videos an Gebäude projiziert, welche die verzweifelten Selbstverbren nungen junger tibetischer Mönche und Nonnen zeigten. Nuri erklärt dazu: «Mit dieser Aktion konnten wir Passanten errei chen und ausserdem Interessierten und der lokalen Presse Aus
Die Aktion «Tibet brennt und die Welt schaut zu».
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Dass Organisationen wie der VTJE die Geschehnisse in Tibet aufgreifen und weiterverbreiten, ist von grosser Bedeutung. Denn für die Menschen in Tibet ist es schwierig, internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Dank ausländischen Organisati onen erst erhalten sie ein Sprachrohr und können die interna tionale Gemeinschaft auf ihre missliche Lage aufmerksam ma chen.
Engagement als Lebensaufgabe Aus den Schilderungen von Nuri wird klar, dass das Engage ment für Tibet zur Lebensaufgabe vieler Tibeterinnen und Ti beter im Exil gehört. Dass sich der Kampf irgendwann auszah
Foto: Nikolai Räber
kunft über die schreckliche Lage in Tibet erteilen.» Dass solche Aktionen von der Öffentlichkeit akzeptiert werden und etwas bewirken können, davon ist Nuri überzeugt: «Aus eigener Er fahrung kann ich sagen, dass uns Leute bei Demonstrationen applaudiert und uns ihre Unterstützung gezeigt haben. Sie ha ben damit bezeugt, dass das, was wir machen, richtig ist. Ich denke, dass der tibetische Freiheitskampf weltweit grosse Sym pathien geniesst. Vor allem deshalb, weil unser Kampf gewalt los ist.» Genauso wichtig wie die Solidarität von aussen ist der Zu sammenhalt der Pro Tibet-Organisationen im internationalen Kontext. Zahlreiche Vereine rund um den Globus haben sich mittlerweile etabliert. Dank den neuen Kommunikationstech nologien und Social Media wurde der Austausch zwischen den verschiedenen Organisationen erleichtert. Internationale Kon ferenzen zum gegenseitigen Austausch über Probleme oder über Kampagnen finden regelmässig statt. «Dank Medien wie Face book und Skype sind wir in engem Kontakt und können ein facher zusammenarbeiten als früher. Diese Technologien eröff nen uns Möglichkeiten, die unsere Eltern noch nicht hatten», erläutert Nuri im Gespräch. Die neuen Kommunikationsmittel erleichtern auch den pri vaten Kontakt von Tibeterinnen und Tibetern in der Schweiz mit Menschen in Tibet; und dies trotz massiven Zensurbemühungen seitens der chinesischen Regierung. «In Tibet sind die Möglich keiten bekannt, die Restriktionen zu umgehen», erklärt Nuri.
Bildung bringt Verantwortung Neben der Verwendung von Social Media und kreativen Akti onsformen, ist eine weitere Charakteristik des VTJE augenfäl lig. Wie Nuri haben die meisten ihrer Mitstreiterinnen und Mit streiter der zweiten oder dritten Generation einen höheren Bildungsabschluss. «Ich denke, dass wir nicht zuletzt dank den Ausbildungsmöglichkeiten hier im Westen professionellere Strukturen etablieren konnten. Die ältere Generation hat uns mitgegeben, dass wir etwas aus unserem Leben machen sollen. Ihnen wurde die Möglichkeit auf Bildung und Arbeit durch die chinesische Okkupation erschwert.» Viele junge Tibeterinnen und Tibeter erachten gerade in Anbetracht der Geschichte ihrer Eltern Bildung und politische Partizipation als ein Privileg. Die Dankbarkeit ist bei Nuri gross: «Ich schätze die Möglichkeiten, die mir hier geboten werden, und ich möchte diese auch nut zen. Das Mitspracherecht in der Schweiz ist äusserst wertvoll. Und für die junge Generation in Tibet ist es wichtig zu sehen, dass wir uns auch in der Diaspora aktiv engagieren. Dies ermu tigt die jungen Menschen dort, weiter zu kämpfen.» Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz
VTJE-Präsidentin Norzin-Lhamo Dotschung
len und Tibet frei sein wird, davon ist Nuri überzeugt. Und sie ist sich sicher, dass dieses Ziel nur über den gewaltlosen Wi derstand erreicht werden kann. Die Tatsache, dass sich die jun ge Generation noch immer voller Kraft für diese Sache einsetzt, stimmt sie optimistisch. Und dass auch die jungen Tibete rinnen und Tibeter in Tibet den Kampf noch nicht aufgegeben haben, macht Nuri stolz. «Es ist schön anzusehen, dass die Ju gend in Tibet, welche unter der chinesischen Herrschaft aufge wachsen ist und nie ein freies Tibet erlebt oder den Dalai Lama gesehen hat, noch immer die Energie besitzt, zu kämpfen. Es ist für mich äusserst erfreulich, dass es China bis jetzt nicht geschafft hat, diesen Widerstand zu brechen.» Text: Nikolai Räber, GfbV Schweiz
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8 «Wir jungen Tamilen müssen etwas tun.» Tharsika Pakeerathan (23) und Kabilan Sivapatham (29) – beide mit tamilischen Wurzeln – setzen sich seit längerem in der Schweiz für die Anliegen der Tamilen ein. Im Gespräch berichten sie über die Herausforderungen, die dieses Engagement mit sich bringt.
Wie lange engagiert ihr euch schon für die Anliegen der Tamilen? Tharsika Pakeerathan (T): Ich bin schon seit längerem im Hintergrund tätig. Ich habe in verschiedenen Vereinen mitge holfen, Berichte verfasst oder Reden gehalten. Richtig aktiv bin ich aber erst nach dem Ende des Krieges 2009 geworden. Viele Tamilinnen und Tamilen waren damals traumatisiert und ohne Hoffnung. Ich wusste, dass wir Jungen etwas tun müssen. Ohne uns würde es keine Lösung für Sri Lanka geben. Kabilan Sivapatham (K): Regional habe ich seit über 15 Jahren tamilische Kultur- und Sportanlässe organisiert. Als 2009 die massiven Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka ans Tageslicht kamen, wurde ich auch auf nationaler Ebene ak tiv. Es hat mich schockiert, was in Sri Lanka passiert ist und dass international niemand eingegriffen hat. Nach dem Krieg war auch die Gewalt nicht einfach vorbei. Das hat für mich den Ausschlag für mein weiteres Engagement gegeben.
Foto: Patrik Kummer
Gibt es viele junge Tamilinnen und Tamilen, die so aktiv sind wie ihr? K: Es gibt meiner Meinung nach noch zu wenig politisches
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Engagement. Es ist aber zu beobachten, dass sich immer mehr Junge dafür interessieren. Dies ist für mich erfreulich. Ich ver suche auch, in meinem Freundeskreis die Leute zu motivieren, etwas zu tun. T: Nach dem Ende des Krieges hat die ältere Generation auf gehört, politisch aktiv zu sein. Da kam bei uns Jungen das Ge fühl auf, dass wir etwas tun müssen. Nun liegt es an uns. Da wir die Sprache in der Schweiz können, können wir auch auf politischer Ebene eher etwas erreichen als unsere Eltern. Ich glaube, den Jungen ist erst jetzt bewusst geworden, dass sie etwas ausrichten können. Gibt es Unterschiede in Bezug auf das Vorgehen zwischen der älteren und der jüngeren Generation? T: Die ältere Generation war vor allem innerhalb der Ge meinschaft der Tamilen aktiv und viele Leute waren eng mit der Rebellenorganisation LTTE verbunden. Sie haben die jün gere Generation nicht miteinbezogen. Uns Jungen ist es ein wichtiges Anliegen, uns von der LTTE abzugrenzen und auch innerhalb der tamilischen Gemeinschaft die Demokratisierung zu fördern.
Tharsika Pakeerathan hat bereits an verschiedenen Veranstaltungen der GfbV über die Situation in Sri Lanka berichtet.
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Fotos: zvg / Franziska Stocker
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Kabilan Sivapatham (links) und Tharsika Pakeerathan
K: Der Hauptunterschied liegt für mich in der vermehrten Zusammenarbeit mit der nicht-tamilischen Bevölkerung. Es liegt an uns, das Gespräch mit Nicht-Tamilen zu suchen und die Menschen hier über die Probleme in Sri Lanka aufzuklären. Früher wurde dies überhaupt nicht gemacht. Wir merken, dass viele Schweizerinnen und Schweizer wenig über die Situation in Sri Lanka wissen.
Gibt es auch Unterschiede zwischen den Generationen im Bezug darauf, wie der Konflikt in Sri Lanka wahrgenommen wird? K: Die Jungen sehen den Moment dafür gekommen, dass eine Lösung in Sri Lanka ohne Krieg gefunden werden muss. Wir wollen eine Lösung auf politischer Ebene, eine demokra tische Lösung.
Gibt es Konflikte zwischen den Generationen, wie man am besten vorgehen sollte? K: Ja, es gibt leider immer wieder Machtkämpfe. Die ältere Generation will ungern ihre Macht abgeben. Dies führt zu Kon flikten. Meiner Meinung nach ist die zweite Generation viel besser im Organisieren. T: Ich sehe auch einen Konflikt. Bis jetzt waren immer äl tere Männer im Vordergrund. Die Älteren wollen nicht akzep tieren, dass die Jungen jetzt mitbestimmen wollen. Sie haben das Gefühl, dass alles, was die Jungen machen, falsch ist. Sie glauben, wir hätten noch nicht genug Erfahrung. Sie sind ge prägt vom Leben in Sri Lanka. Wir sind hier in der Schweiz auf
Konntet ihr auch von der Vorarbeit der älteren Generation profitieren? K: Ich denke, dass sie in der Schweiz eine gute Basis ge schaffen hat. Die Tamilen sind national gut vernetzt und ha ben einen grossen Zusammenhalt.
«Die ältere Generation will die Macht nur ungern an uns Junge abgeben.» gewachsen und denken anders als sie. Sie können unsere Ideen oft gar nicht richtig verstehen. Manchmal kommt dann sogar der Vorwurf, wir würden von der sri-lankischen Regierung un terstützt. Wir werden also von einigen Leuten sogar als «Ver räter» angeschaut. K: Ein anderes Problem ist das Kastensystem, das bei der ersten Generation noch eine hohe Bedeutung hat. Da kommt zum Beispiel schnell die Frage, warum nicht jemand von einer höheren Kaste Präsident einer Organisation ist. Bei der zwei ten Generation hat das Kastendenken an Bedeutung verloren. T: Diese kulturelle Frage war oft verbunden mit den Ort schaften, aus denen die Leute kamen. Wir wissen meist gar nicht mehr, wer welcher Kaste angehört.
Welche Art von Aktionen habt ihr denn durchgeführt? T: 2010 haben wir vom Swiss Council of Eelam Tamils (SCET) aus, bei dem ich mitarbeite, eine grosse Gedenkveranstaltung auf dem Helvetiaplatz in Zürich zu Gunsten der Opfer des Krieges organisiert. Vor der UNO in Genf haben wir Flyer ver teilt mit Web-Links von internationalen Organisationen, die Berichte über die Situation in Sri Lanka verfasst haben und haben uns dann direkt mit Vertretern der UNO getroffen. Dort erhielten wir gute Rückmeldungen für unser Vorgehen. Sie sagten uns, dass unsere Aktion im Vergleich zu früheren effizi enter war, obwohl eigentlich weniger Leute anwesend waren. Früher standen die Leute einfach nur dort und es gab gar kei ne direkte Kommunikation mit den UNO-Leuten. Wir können unsere Probleme besser artikulieren. Dann haben wir auch verschiedene Kundgebungen, die sich auch an nicht-tamilische Menschen richteten, durchgeführt. Zum Beispiel zeigten wir in der Schweiz in verschiedenen Städten die Dokumentation des britischen TV-Senders Channel 4 «Sri Lanka's Killing Fields» über die Schrecken des Krieges. Damit wir mit unseren Aktionen vermehrt auch Nicht-Tamilen erreichen, arbeiten wir auch immer wieder mit Schweizer Or ganisationen wie der GfbV zusammen. Kürzlich bei einer Filmvorführung in St. Gallen haben uns Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauer gesagt, dass sie sich der Geschehnisse in Sri Lanka nicht bewusst waren. Ich denke, eine gewisse Sensibilisierung gelingt uns also durchaus.
Fortsetzung Seite 10
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Fortsetzung von Seite 9
K: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir regelmässig solche Veran staltungen durchführen. In den Kommentaren der Online-Zeitungen in der Schweiz gibt es vermehrt auch Schweizer, die sich zur Situation in Sri Lanka äussern. Ich glaube, dies hat schon damit zu tun, dass es mehr Ak tionen von uns gibt. Früher hatten viele Schweizerinnen und Schweizer das Gefühl, dass alle Tamilen der Rebellenorganisation LTTE angehören. Heute sehen sie, dass es in der Schweiz auch noch eine «andere» tamili sche Gesellschaft gibt. Was bedeutet für euch persönlich politische Partizipation in der Schweiz? K: Für mich fehlt ein Vorbild. Ich kann nicht sagen, ich möchte ir gendeinmal wie XYZ werden. Es gibt auch niemand unter den Tamilen, der uns unterstützen könnte. Aber glücklicherweise haben wir in der Schweiz überhaupt die Möglichkeit, politisch aktiv zu werden. Nicht so wie in Sri Lanka, wo dies für Tamilen praktisch nicht möglich ist. T: Ich finde auch, dass es bei den Tamilen in der Schweiz noch wenige Leute mit Erfahrung im politischen Bereich gibt. Auch wir Jungen haben noch wenig Erfahrung, wir machen unsere ersten Versuche. Es wäre viel leicht hilfreich, wenn uns nicht-tamilische Politexperten unterstützen könnten. Wird euer politisches Engagement in Sri Lanka wahrgenommen? T: Ja, es wird schon wahrgenommen. Etwa ein halbes Jahr nach der Gründung des SCET haben uns sogar Leute aus einem Gefängnis in Sri Lanka geschrieben, die von unseren Aktivitäten gehört hatten. K: Der sri-lankische Präsident hat sich in einer Rede darüber beklagt, wie sehr er sich von der tamilische Diaspora gestört fühlt. Das zeigt, dass wir auch von der sri-lankischen Regierung wahrgenommen werden. Was wünschen ihr euch für die nächste Generation und damit die Zu kunft Sri Lankas? K: Ich wünsche mir, dass die nächste Generation politisch noch aktiver ist als wir, dass sie wirklich mitbestimmen können. T: Ich hoffe, dass die nächste Generation nicht mehr die gleichen Pro bleme hat wie wir. Wir haben viel Vorarbeit geleistet. Auch sprachlich wird es für sie einfacher sein. Sie können dann auf unser Wissen zurück greifen. Für Sri Lanka wünsche ich mir, dass die nächste Generation frei leben und ihre politische Meinung äussern kann. Interview: Franziska Stocker, GfbV Schweiz
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Kurzinfos Einladung zur GfbV-MitgliederJahresversammlung 2012 Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) lädt alle ihre Mitglieder zur Jah resversammlung ein. Wir würden uns freuen, wenn Sie mit dabei sein könnten. Datum/Ort 9. Mai 2012, in den Räumlichkeiten der GfbV, Schermenweg 154, 3072 Oster mundigen. 19.00- 19.30 Uhr: Geschäfte der Mitglie derversammlung Traktanden 1. Begrüssung durch GfbV-Präsidentin Ruth-Gaby Vermot-Mangold 2. Genehmigung des Protokolls der Jahresversammlung 2011 3. Kenntnisnahme des Jahresberichts 2011 4. Rückblick und Ausblick durch Geschäftsleiter Christoph Wiedmer 5. Genehmigung der Jahresrechnung 2011 6. Vorlage des Revisionsberichts 2011, Décharge des Vorstands und Auftrag zur Erstellung des Revisionsberichts 2011 7. Wahlen des Vorstands Ab 19.30 Uhr informeller Teil mit an schliessendem Apéro zum Thema «Russ land nach den Wahlen: Was bedeutet dies für die Menschenrechte?» mit einem Gesprächsinput der tschetschenischen Menschenrechtlerin Zainap Gaschajewa. Wir bitten um Ihre Anmeldung bis zum 1. Mai 2012 an info@gfbv.ch oder 031 939 00 00 Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz
11 indigene Völker in aller Welt 3
Quelle: Uyghur American Association (UAA)
Kanada: Rückgang der grössten Ren tierherde der Welt bedroht Indigene Die drastische Schrumpfung der Rentier population in der kanadischen Tundra von Québec und Labrador um 92 Prozent auf knapp 70 000 Tiere bedroht die dort Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz
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Yanomami, Amazonas-Regenwald
(Fotos: Ronald de Hommel)
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Mowanjum, Australien
(Foto: Ingetje Tadros)
sesshaften Cree- und Innu-Indigenen. Das Karibu, wie das Rentier von den lo kalen Gemeinschaften genannt wird, ist für deren Kultur, Glauben und Leben von zentraler Bedeutung. Der Rückgang ist gemäss Einheimischen auf die zuneh mende Industrialisierung der Region
an der Dah Abeid teilnahm. Als er auf den Menschenrechtler schiessen wollte, konnte er von dessen Leibwächtern überwältigt werden. Dah Abeid setzt sich für die Freilassung der rund 500 000 schwarzafrikanischen Sklaven in Maure tanien ein. Für dieses mutige Engage ment wird er von vielen Sklavenhaltern und ihren Angehörigen in Verwaltung, Polizei und Politik angefeindet. 2011 wurde bekannt, dass mauretanische Ge neräle geplant hatten, den unbequemen Mahner ermorden zu lassen. Quelle: GfbV Deutschland
Foto: Alexandre Buisse
China: Harte Strafen für abgeschobene uigurische Flüchtlinge Zwei Jahre nach der Abschiebung von 20 uigurischen Flüchtlingen von Kambod scha nach China sind erstmals Informati onen über deren Verbleib bekannt gewor den. Die Uiguren waren 2009 nach Unruhen in der im Westen Chinas gele genen Stadt Urumtschi ins Nachbarland geflohen. Sie berichteten über die bru tale Niederschlagung einer uigurischen Demonstration in Urumtschi durch chi nesische Sicherheitskräfte. Die chine sische Regierung bezeichnete die Flücht linge als Kriminelle und forderte ihre Rückschaffung nach China. Menschen rechtsorganisationen befürchteten, dass die daraufhin zurückgeschafften 20 Ui guren – darunter auch eine schwangere Frau und deren zwei Kinder – Folter und lange Haftstrafen erleiden oder gar hin gerichtet würden. Inzwischen ist be kannt geworden, dass einer der abge schobenen Flüchtlinge zu 17 Jahren Gefängnis, zwei zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden sind. Abschiebungen von uigurischen Flüchtlingen nach China entsprechen einem Trend, vor allem aus Ländern, deren Wirtschaft stark von der chinesischen abhängig ist (z. B. Malay sia, Pakistan oder Kasachstan).
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und damit die Zerteilung des Weidelands zurückzuführen. Die Indigenen fordern daher den Einbezug in Entscheidungs prozesse und eine effektive Kontrolle über ihr Gebiet und dessen Rohstoffe. Quelle: Survival International
Mauretanien: Mordanschlag auf Men schenrechtler knapp vereitelt Biram Dah Abeid, der 2011 den Weimarer Menschenrechtspreis erhalten hat, ent ging Anfang Januar dieses Jahres in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott nur knapp einem Mordanschlag. Ein Polizeibeamter hatte sich unter die Teil nehmer einer Demonstration gemischt,
Bangladesch: 28 000 Burma-Flücht lingen droht Rückschaffung Gemäss Medienangaben hat die burme sische Regierung beschlossen, den Rück führungsbegehren seines Nachbarstaates Bangladesch nachzukommen und die über 28 000 politischen Flüchtlinge aus Burma, welche zur muslimischen Minder heit der Rohingya zählen, zurückzuneh men. Von dieser Massnahme verspricht sich Burma eine Verbesserung der ange spannten Beziehungen zum Nachbarland. Diese Abschiebungen sind jedoch äus serst problematisch, da die Rohingya in Burma seit Jahrzehnten diskriminiert werden und schweren Menschenrechts verletzungen ausgesetzt sind. Der bur mesische Staat verweigert ihnen die Staatsangehörigkeit und schränkt ihre Grundrechte massiv ein. Aus Sicht der GfbV ist eine Rückführung unter diesen Umständen unmenschlich und nicht ver tretbar. Quelle: GfbV Deutschland
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GfbV-Projekte
Foto: Patrik Kummer
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Brasilien: Ende 2011 lancierte die GfbV unter dem Slogan «Defend the Amazon – Protect Indiginous People’s Rights» eine weitere Kam pagne zum Schutz der indigenen Völker im brasilianischen Amazo nasgebiet. Die Existenz der dort lebenden Stämme wird zunehmend durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen bedroht. In Folge zahlreicher Bauprojekte kommt es zu Abholzung, Strassenbau, riesigen Rinderfarmen, Sojaplantagen und weiterer Zerstörung. In nerhalb weniger Wochen haben mehrere Hundert Protestmails die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff erreicht. Damit konnte ein wichtiges Zeichen gegen die zunehmende Industrialisierung in Schutzgebieten gesetzt werden. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!
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Foto: Christian Bosshard
Grafik: Feinheit
Schweiz: Mit einem neuen Capacity Building Programm will die GfbV jungen tamilischen Secondos und Secondas Schlüs selkompetenzen vermitteln, um eine aktive Rolle innerhalb der Diaspora übernehmen zu können. Dabei werden die Teil nehmenden für eine verstärkte politische Partizipation sensibilisiert. Nach der Auswahl der Kandidatinnen und Kan didaten des Programms, beginnt im Mai der eigentliche Start für die Teilnehmenden mit der Einführungsveranstal tung. Die GfbV freut sich auf ein spannendes Projekt mit interessanten und engagierten jungen Menschen.
Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz
Foto: GfbV
und -Kampagnen
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Schweiz/Kosovo: Am 18. Januar 2012 lud die GfbV zur Debatte über die Zumutbarkeit von Wegweisungen von asylsuchenden Roma in den Kosovo. Ausgangspunkt für die Podiumsdiskussion war die verschärfte Rückfüh rungspraxis des Bundesamts für Migration (BFM), nach dem die Schweiz 2008 Kosovo offiziell als unabhängigen Staat anerkannt hatte. Im Gegensatz zur Schweizer Pra xis haben deutsche Bundesländer aufgrund der Span nungen zwischen Serbien und Kosovo die Abschiebungen gestoppt. Das Podium war hochkarätig besetzt. Neben Amnesty International und dem GfbV-Repräsentanten Dzafar Buzoli nahmen auch ExpertInnen des BFM sowie namhafte Schweizer PolitikerInnen an der Diskussions runde teil.
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Foto: RRN
Schweiz: Seit Januar 2011 verfügt die Schweiz über umfas sende rechtliche Instrumente, um Kriegsverbrecher oder Folterer, die sich in der Schweiz befinden, zu verfolgen. Die in diesem Bereich zur Verfügung gestellten Mittel sind je doch völlig unzureichend, obwohl Kriminelle häufig west liche Länder als Zufluchtsort benützen und es immer noch schaffen, sich dort unbestraft aufzuhalten. Die GfbV hat deshalb gemeinsam mit anderen Organisationen die Schweiz aufgefordert, eine Spezialeinheit zur Verfolgung von inter nationalen Verbrechen («War Crimes Unit») zu schaffen.
Demokratische Republik Kongo (DRK): Im Februar nahm GfbV-Mitarbeiterin Eva Schmassmann an einem Seminar der lokalen Partnerorganisation RRN (Réseau Ressources Naturelles) in Kisangani teil und referierte über die Erfahrungen der GfbV mit «FIVE», dem Recht indigener Völker, bei Grossprojekten, welche ihren Lebensraum betreffen, ihr freies, informiertes und vor gängiges Einverständnis zu geben oder zu verweigern. Das Seminar ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen in verschiedenen Provinzen des Landes, um die lokale Be völkerung – Bantu und indigene Waldvölker (Pygmäen) – über ihre Rechte aufzuklären und ihre Verhandlungs position gegenüber dem Staat und (internationalen) Unternehmen zu stärken.
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14 Politischer Frühling in Burma? Die angekündigten Reformen in Burma erwecken den Anschein, dass dem Vielvölker staat ein politischer Wandel bevorsteht. Der burmesische Menschenrechtspreisträger Bô Kyi kritisiert jedoch, dass die Situation insbesondere für politische Gefange ne und die zahlreichen ethnischen Minderheiten noch immer schwierig ist.
Foto: Franziska Stocker
Nach Jahrzehnten der Misswirtschaft und der politischen Isolation präsentiert sich der neue burmesische Staatspräsi dent Thein Sein überraschend reformwil lig. Sein lockerte die Pressezensur und kündigte die Zulassung von Gewerk schaften und Demonstrationen an. Im August 2011 fand ein historisches Tref fen mit der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi statt. Diese äusserte sich dazu in einem Interview mit der BBC op timistisch: «Ich weiss nicht, wie es mit anderen Mitgliedern der Regierung ist, aber ich denke, dass der Präsident ein guter Zuhörer ist». Die bislang verbotene, von Suu Kyi präsidierte Nationale Liga für Demokra tie (NLD) soll als politische Partei im April 2012 an den Nachparlaments wahlen teilnehmen dürfen. Burmas Füh rung hat der Oppositionsführerin zudem ein Regierungsamt in Aussicht gestellt. Dass der Westen diesen Öffnungsprozess begrüsst, davon zeugt nicht nur der Be such von US-Aussenministerin Hillary Clinton in Burma im vergangenen No vember. Auch Barack Obama gab sich am ASEAN-Gipfel 2011 in Bali zuversicht lich: «Wir haben nach Jahren der
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Finsternis in den vergangenen Wochen Anzeichen für Fortschritt aufflackern gesehen.» Trotz solch positiver Zeichen weisen Menschenrechtsorganisationen darauf hin, dass Burma nach wie vor ein autori täres Regime hat. «Die internationale Gemeinschaft sieht nur die Oberfläche und glaubt, die Entwicklungen verlaufen positiv», sagt Bô Kyi, der sich von Thai land aus mit seiner Organisation Assis tance Association for Political Prisoners (AAPP-B) für das Schicksal burmesischer politischer Gefangener einsetzt. Er hat selbst sieben Jahre in Gefangenschaft verbracht. Obwohl kürzlich mehrere Hundert politische Gefangene freigelas sen worden sind, sind gemäss AAPP-B noch immer Hunderte Menschen aus po litischen Gründen inhaftiert. «Die Lage in den Gefängnissen ist prekär», erklärt Kyi im Gespräch mit der GfbV. «Folter gehört zur Tagesordnung und medizinische Unterstützung gibt es kaum. Entlassene Häftlinge haben zu dem kaum Perspektiven.» Dazu komme, dass das burmesische Regime die Exi stenz von politischen Gefangenen kate gorisch verneine. «Bis jetzt verweigert
Bô Kyi, Träger des Schweizer Preises für Freiheit und Menschenrechte, im Gespräch mit der GfbV in Bern.
die Regierung ihnen jegliche Anerken nung sowie Unterstützung. Sie muss jetzt endlich Verantwortung für die Re habilitation dieser Personen überneh men», fordert Kyi. Neben den fehlenden politischen Freiheiten erachtet Kyi auch die Situati on der zahlreichen Minderheiten in Bur ma nach wie vor als sehr problematisch. Obwohl Thein Sein die Minderheitenpro blematik in seiner Inaugurationsrede zur nationalen Priorität erklärt hat und es zu einem Waffenstillstand mit den Karen und den Shan gekommen ist, hat sich die Lage in den Minderheitengebieten nicht wirklich verbessert. Menschen rechtsverletzungen durch die Armee sind immer noch weit verbreitet. Kyi bestä tigt: «Die Situation der Minderheiten ist schwierig. Wegen den Auseinanderset zungen in den Minderheitenregionen sind noch immer Hunderttausende Men schen auf der Flucht.» Unter diesen Gesichtspunkten ist es noch zu früh, von einem politischen Frühling in Burma zu sprechen. Auf die politische Rhetorik des burmesischen Regimes müssen nun Taten folgen. So braucht es etwa Gesetze, die Menschen rechtsverletzungen bestrafen. Ebenso müssen den ethnischen Minderheiten Autonomierechte zugestanden und alle politischen Gefangen freigelassen und wieder in die Gesellschaft integriert werden. Dass dies ein schrittweiter Pro zess ist, ist sich auch Kyi bewusst. «Wir sind bereit, der Regierung zu helfen. Wir wissen, dass dies viel Zeit in Anspruch nehmen wird».
Text: Nikolai Räber, GfbV Schweiz
Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz
15 Service Nordafrika: «Geboren mit Sand in den Augen» Das Nomadenleben der Tuareg kennt keine staatlichen Grenzen und umfasst das Gebiet von Mali, Niger und Algerien. Mit der Grenzziehung durch die ehemalige Kolonialmacht Fran kreich wurde diese traditionelle Lebens weise eingeschränkt und damit die Kul tur der Tuareg bedroht. Dies ist die Ausgangslage für die autobiographische Erzählung des Tuareg-Führers Mano Da yak. Hin und her gerissen zwischen dem Nomadentum und der Sesshaftigkeit, er zählt Dayak vom Leben als Tuareg, über Abenteuer in Übersee und den steten Drang, in die Sahara zurück zu kehren. Schliesslich überkommt ihn das Verlan gen, politisch für die Anliegen der Tua reg einzustehen. Er setzt sich für Ver handlungen zwischen den Tuareg und den umliegenden Staaten ein und kämpft für den Friedensvertrag, der 1995 von der Regierung des Niger und den Tua reg-Rebellen unter zeichnet wurde.
ember 2011 frei gelassen wurde. Mit der Verfilmung setzt Luc Besson der charis matischen Oppositionspolitikerin ein würdiges Denk mal. The Lady. Ein Film
Bryan und Alexander
von Luc Besson mit
Cherry. Forty Below:
Michelle Yeoh, David
The traditional life in
Thewlis, William
the Arctic. Arctica
Hope u.v.m.
Publishing (Hrsg.),
Start 22. März 2012
2011.
in diversen Kinos in der Schweiz.
les yeux»). Autobiogra-
Schweiz: «Die Rechte indigener Völker und ihre Förderung durch die Entwicklungszusammenarbeit» Welche Rechte können indigene Völker geltend machen? Wie soll und kann die Entwicklungszusammenar beit die Wahrnehmung dieser Rechte för dern? In seiner juristischen Untersu chung widmet sich der Autor Benny Mül ler diesen Fragen und belichtet zudem die bestehenden Probleme, welche indi gene Völker beim Kampf um die Durch setzung ihre Rechte haben. Eine auf schlussreiche Studie, die nicht nur Juristen und Entwicklungsfachleute in teressieren dürfte.
phie. Neuausgabe. Unions-
Benny Müller. Die Rechte indigener Völker und ihre
verlag, 2011.
Förderung durch die Entwicklungszusammenarbeit.
Mano Dayak. Geboren mit Sand in den Augen («Je suis né avec du sable dans
Helbing Lichtenhahn Verlag, 2011.
Burma: «The Lady» The Lady erzählt die bewegende Geschichte von Aung San Suu Kyi, die seit über zwei Jahrzehnten mit fried lichen Mitteln gegen die Militärregie rung kämpft und damit zur Symbolfigur der Demokratiebewegung in Burma wurde. 1991 erhielt die Dissidentin für ihr Engagement den Friedensnobelpreis. Den Einsatz für die Bürgerrechte bezahl te Kyi jedoch mit einem hohen Preis. Mehr als 15 Jahre stand sie unter Haus arrest, bis sie schliesslich am 13. Nov
Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz
gibt mit farbintensiven Illustrationen atemberaubende Einblicke in die Kultur und das Leben der Arktisbewoh ner.
Arktis: «Forty Below» Die beiden Fotografen Bryan und Cherry Alexander dokumentieren seit mehreren Jahrzehnten das Leben in der Arktis, wobei sie den indigenen Völ kern ein besonderes Augenmerk schen ken. Die Ausgabe zum vierzigjährigen Jubiläum entführt den Lesenden von den Inuit-Jägern Kanads und Grönlands, über die Yamal Nenzen bis hin zu den Chuki-Rentiernomaden Sibirens. Die Rei se an den nördlichsten Kreis der Erde
Neuseeland: «Maori» Im Buch «Maori – Neuseelands verborgener Schatz» schildert Claudia Edelmann ihre Eindrücke und Er fahrungen im Umgang mit der indigenen Bevölkerung Neuseelands. Die Autorin, welche sieben Monate bei den Maori ver bracht hat, wurde bei ihren Recherchen von Mitgliedern zahlreicher Stämme un terstützt. Der Lesende erhält faszinie rende Einblicke in das starke Familien bewusstsein, den tiefen Respekt der Ureinwohner Neuseelands für die Natur und ihre ausgeprägte Spiritualität. Claudia Edelmann. Maori – Neuseelands verborgener Schatz. F. Belletristik Verlag, 2011.
Schweiz: «An den Ufern des Amazonas» Das Museum für Völkerkunde Burg dorf beherbergt jahrhundertealte Objekte aus Peru, Brasilien und Kolum bien, die das Leben und die Kultur der indigenen Bevölkerung dokumentieren. Eine Sonderausstellung zum 100-jäh rigen Jubiläum des Museums nimmt die BesucherInnen auf eine Reise mit von den Küstenwüsten Perus bis in die Re genwälder Amazoniens und bietet Ein blicke in den Alltag der indigenen Völker. An den Ufern des Amazonas. Eine Reise zu den indianischen Kulturen Südamerikas. Museum für Völkerkunde im Schloss Burgdorf. Zusätzliche Infos unter www.kulturschloss.ch
1–2012| VOICE
Eine Stimme für Verfolgte. www.gfbv.ch
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