5 minute read
FUTURE HEALTH Visionäre und ihre Ideen: Sie verändern unseren Alltag und helfen uns, lange gesund zu leben.
FUTURE HEALTH
Visionäre Persönlichkeiten und ihre Ideen verändern unser Verständnis von Gesundheit und Medizin. Sie helfen uns, lange gesund zu leben. Vom weltberühmten Forscherpaar, klimaneutralem Gemüseanbau, raffiniertem Hometrainer bis zur App gegen Angst und Stress.
TEXT: Jutta von Campenhausen
BIONTECH Das Ehepaar Özlem Türeci und Uğur Şahin hat sich vor Jahrzehnten der Krebsforschung verschrieben. Ihr erstes Start-up Ganymed entwickelte künstliche Antikörper gegen Tumore in Magen und Bauchspeicheldrüse. Es saß in Mainz, wie auch ihr heute weltweit bekanntes Unternehmen BioNTech. Das setzt auf das Molekül mRNA, um dem Körper die Information zu liefern, die er braucht, um Krebszellen zu bekämpfen. Mit dem Ausbruch von Covid-19 schwenkten die Entwickler um und brachten den ersten Corona-Impfstoff aus mRNA auf den Markt – ein Milliardencoup. Für ihren Einsatz bekamen die beiden das Bundesverdienstkreuz. Ihr Buch „Projekt Lightspeed“ dokumentiert den Wettkampf gegen die Zeit. Es beschreibt, wie die Mediziner mit einem kleinen internationalen Team rund um die Uhr arbeiteten, mit Pharmaunternehmen und Regierungen verhandelten und schließlich zwei Milliarden Impfdosen produzierten. Beflügelt vom Erfolg, krempelt das türkischstämmige Powerpaar gleich weiter die Ärmel hoch: 2023 will BioNTech die ersten Zulassungen für Immuntherapien gegen Krebs und Malaria beantragen. Covid-19 erscheint dank mRNA-Impfstoffen beherrschbar, der Krebs ist es noch nicht.
MARTHA STEWART Über sich selbst sagt sie: „How-to“ könnte ihr zweiter Vorname sein. Eines ihrer Bücher heißt: „How to Do (Almost) Everything“. Die 80-Jährige war mit ihren Haushaltstipps und Kochshows die Mutter aller Influencerinnen, lange bevor es das Wort gab. Vor dem Börsencrash von 1973 war sie als Aktienhändlerin tätig, 2004 musste sie wegen Insidergeschäften für fünf Monate ins Gefängnis. Ihre Firma Martha Stewart Living Omnimedia produziert ihre TVShows, Bücher und Magazine, vermarktet ihre Produkte und wurde 2019 für 215 Millionen Dollar von Marquee Brands übernommen. Stewart ist unverändert auf Sendung: füttert Blogs und Tiere, zeigt Gemüse und Blumen, schreibt neue Bücher. Zuletzt überraschte sie mit einer Serie von Cannabis-Produkten. Dank ihrer Freundschaft zum Rapper Snoop Dogg (mit dem sie ein wunderbares Kochteam im TV bildet) entdeckte sie, dass Cannabidiol (CBD) ihr beim Einschlafen hilft. Der Bestandteil von Hanföl macht weder high noch abhängig, soll aber beruhigen und entkrampfen, Ängste und Entzündungen dämpfen. Und weil alles bei Martha Stewart schön oder appetitlich ist, ist ihre neueste Kreation beides. Die Geleefrüchte in Zitrus- und Beerengeschmack enthalten zehn Milligramm CBD.
HEADSPACE Nach Sport im Freien war Meditation der zweitgrößte Fitnesstrend des Jahres 2020. Seit Headspace gelingt das auch per App. Die ungewöhnliche Firmengeschichte beginnt mit drei tragischen Verlusten des Gründers Andy Puddicombe, der gerade 22-jährig zwei gute Freunde und seine Stiefschwester kurz nacheinander verlor, daraufhin sein Sportstudium abbrach, nach Asien reiste und dort zehn Jahre als Mönch lebte. Zurück in London, gründete er mit dem ausgebrannten Marketingprofi Richard Pierson in London die Firma Headspace, 2012 folgte die gleichnamige Meditations-App, eine der ersten ihrer Art. Täglich zehn Minuten mit der samtenen Stimme Puddicombes versprechen den „Weg zu Glück und Gesundheit“. 70 Millionen Mal wurde die App bereits heruntergeladen. In Coronazeiten verfünffachten sich die Firmenkunden, und die Meditationen gegen Ängste und Stress wurden rund sechsmal so oft aufgerufen wie vor der Pandemie.
FRUTURA Als Botschafterin für Bienenschutz steht das Topmodel Charlott Cordes zwischen jungen Gurkenpflanzen im wohl nachhaltigsten Gewächshaus der Welt. Rund ums Jahr frisches Obst und Gemüse zu essen ist zwar gesund – aber gut für Erde und Klima sind weit gereistes Grünzeug und Energie fressende Gewächshäuser nicht. In seiner Thermalgemüsewelt lässt das österreichische Unternehmen Frutura mit 125 Grad heißem Thermalwasser Biotomaten, Paprika, Gurken und Auberginen klimaneutral in wohliger Wärme reifen – und das auf einer Fläche, die 36 Fußballfeldern entspricht. Heute liefert Frutura 160.000 Tonnen weitgehend plastikfrei verpacktes Obst und Gemüse pro Jahr und ist damit der größte Lieferant für Spar in Österreich. Weil 80 Prozent der heimischen Obst- und Gemüsesorten von Bienen bestäubt werden müssen, hat das Unternehmen das Projekt BioBienenApfel ins Leben gerufen: Mit Insektenhotels und Samenpaketen sollen neue blühende Reviere für Bienen geschaffen werden. Weil Frutura neben regionalen Produkten auch Mangos, Bananen und Orangen vertreibt, pflanzen die Österreicher jedes Jahr zwölf Hektar Wald. So sind sie trotz weiter Transporte klimaneutral.
MATTHIEU RICARD Dass Zeitungen ihn zum glücklichsten Menschen der Welt erklärten – darüber lacht er. Der Franzose näherte sich der Wahrheit zunächst als Wissenschaftler: Am Institut Pasteur in Paris forschte er als Molekularbiologe. Doch dann begegnete Matthieu Ricard 1967 in Nepal einem Weisen, der ausstrahlte, was er im Haus seiner intellektuellen Eltern vermisst hatte: Wahrhaftigkeit, Mitgefühl, Liebe. Er wurde sein Schüler und schließlich buddhistischer Mönch. In über 50 Jahren im Kloster drehte er sich nicht um sich selbst, vielleicht ist das sein Geheimnis. Er veröffentlichte einige Bestseller, darunter „Glück“ und gemeinsam mit seinem Vater – dem Philosophen Jean-François Revel – „Der Mönch und der Philosoph.“ Auch die Wissenschaft gewann ihn zurück: Ricard war eine der ersten Versuchspersonen, deren Hirnaktivität beim Meditieren untersucht wurde. In diesem Rahmen wurde auch sein Gehirn gescannt. Heute ist er Mitautor zahlreicher Veröffentlichungen, die den Effekt von Meditation auf Gehirn und Selbstverständnis behandeln. Sie zeigen, dass die Regionen, die für Glück zuständig sind, bei ihm stark verdichtet sind. Der Mandelkern – jener Teil des Gehirns, der Angst und Fluchtreflexe vermittelt – ist bei ihm dagegen geschrumpft.
FOTOS: BERTRAND GUAY/AFP VIA GETTY IMAGES (1), PELOTON (1) PELOTON Als Corona die Menschen zu Hause einsperrte, kam die Stunde der Heimtrainer. Das Spinning-Rad der New Yorker Fit-Tech-Firma Peloton wurde zum Verkaufsschlager. Das 2012 gegründete Unternehmen verdreifachte seine Absatzzahlen, der Umsatz stieg um mehr als eine Milliarde Dollar. Das Fitnessgerät ist alles andere als ein aufgebocktes Trainingsrad. Der drehbare und schweißfest verpackte Monitor überträgt Livekurse, die man abonnieren kann, einen persönlichen Trainingsplan, Kommentare und Ranglisten aus der Community. Es gibt Trainingseinheiten vom Bootcamp bis Yoga, für Krafttraining, Meditation und Stretching. Das Rad mit den Hanteln hinterm Sattel soll so das Fitnessstudio ersetzen. Rund die Hälfte der 4,4 Millionen Nutzer hat ein Abo, sie macht ein Viertel des Umsatzes aus. Peloton: So heißt das geschlossene Feld der Radfahrer, die in einem Rennen zusammen fahren. Nett zu wissen, dass man mit Joe Biden trainiert, wobei noch geklärt werden muss, ob dessen virtuelle Standleitung zur Firmenzentrale ein Sicherheitsrisiko darstellt.