Kg 1979 uni duzen

Page 1

Über die Doppeldeutigkeit des Duzens Der folgende Beitrag von Dr. Gilgenmann (FB1) bezieht sich auf die von Prof. Salzmann (FB 3) und Prof. Dr. Eisfeld (FB 2) in b:uo 2 und 3 geführte Debatte über die politische Bedeutung der Anredeform "DU" an der Universität. betrifft: Universität Osnabrück Okt. 1979 Zeitung der Universität Osnabrück Wenn ich einige Überlegungen zu der von Salzmann und Eisfeld geführten Debatte beisteuern möchte, so vermutlich, weil ich selbst Schwierigkeiten mit den Anredeformen habe. Dabei vermag ich mich weder politisch vom Gebrauch des Du an der Hochschule zu distanzieren noch gewissermaßen pädagogisch dazu bekennen. Salzmanns These vom Du als einer subtilen Form der Herrschaftsausübung an den Hochschulen ist von Eisfeld mit Entschiedenheit entgegengetreten worden. Trotz der gegensätzlichen Beurteilung scheinen beide jedoch in einem Punkte übereinzustimmen: daß nämlich die Wahl der Anredeform politisch motiviert sei. Eben diesen Punkt halte ich für diskussionsbedürftig. Wenn Salzmann das politisch motivierte Du beklagt, so hat er zugleich die Vorstellung von einer Sphäre, in der das Du zu Recht gebraucht wird: das ist die Privatsphäre d.h.v.a. die Familie. Wir brauchen nun im historischen Kontext der europäischen Familie keine zweihundert Jahre zurückzublicken, um auf Verhältnisse zu stoßen, in denen das Duzen zwischen Ehegatten sowie zwischen Eltern und Kindern noch gänzlich unbekannt war. Der Übergang zum Duzen in der famili-alen Beziehung von Menschen verschiedenen Geschlechts und verschiedener Generationen geht einher mit der Abgrenzung der Familie als Innenwelt von der übrigen Gesellschaft, den Beziehungen der Konkurrenz, als Außenwelt. Das unpolitisch motivierte Du enthält bereits jenes unstillbare moderne Bedürfnis nach Identität, nach Vereinnahmung und Abgrenzung, das Salzmann dem politisch motivierten Du ankreidet. In einer Gesellschaft, in der soziale Nähe oder Distanz bereits in den Anredeformen symbolisch fixiert wird, muß der Gebrauch des Du dennoch doppeldeutig bleiben: als Zeichen besonderer Verbundenheit kann es sich sowohl auf passiv zugeschriebene wie auch auf aktiv erworbene Gemeinsamkeiten beziehen. Biographisch ist das Du stets zuerst Moment einer zugeschriebenen, wenngleich als vorübergehend definierten Rolle: der Kindheit. Kinder duzen sich und werden -unterschiedslos -

geduzt. Es bezeichnet einen Zustand der Unmündigkeit. Wenn Eisfeld die Situation beschreibt, aus der heraus das Du an den Hochschulen sich verbreitete, so hat er die Vorstellung von einer Motivlage, in der die aktiv erworbene Gemeinsamkeit dominiert, in der das Du auf der Grundlage nicht nur einer gemeinsam erlittenen Situation sondern auch eines gemeinsamen Veränderungswillens gebraucht wird, und in der das Verhältnis von Innen und Außen, von Vereinnahmung und Abgrenzung an Kriterien sich festmacht, die diskutabel, veränderbar, ja letztlich aufhebbar sein sollen. Zugleich handelt es sich um die Motivlage, in der der Protest gegen die eigenen Elternhäuser und die darin zugeschriebenen Rollen eine starke Bedeutung hatte. Kann die Entwicklung der Umgangsformen an den Hochschulen aus einer derartigen Motivlage heraus hinreichend erklärt werden? Was wir seit Ende der sechziger Jahre an den Hochschulen erleben, läßt sich auch beschreiben als eine Ausdehnung der Sozialisationsphase des gesellschaftlichen Nachwuchs, die zugleich eine Fixierung des Unmündigkeitsstatus bedeutet. Die Teilnahmeexpansion an Hochschuleinrichtungen auf ein Viertel des Altersjahrgangs geht einher mit dem Verlust traditionell mit Hochschulabschlüssen verbürgter Berufsund Lebensperspektiven. Dieser Prozess wird überformt durch Maßnahmen , in denen die bisher auf Umgang mit Erwachsenen eingerichteten Hochschulen dem Ritual schulischer Erziehung und Betreuung angepaßt werden. Der Gebrauch des Du an den Hochschulen erhält hieraus seine spezifische Ambivalenz: Meint der Widerstand gegen diese Entwicklung noch das Du aus bewußter praktischer Solidarität, so kann der ständige Gebrauch - zumal ohne Perspektive über den gegenwärtigen Zustand der Hochschulen hinaus dennoch verschwimmen mit dem Du aus der Perspektive institutionell verlängerter Kindheit. Der Gebrauch der Anredeform Du hat sich heute in der Generation der Fünfzehn- bis Fünfunddreißigjährigen - auch außerhalb der Hochschulen - in einem Maße verbreitet, daß eine eindeutige politische Motivlage darin kaum mehr nachzuweisen sein dürfte. Dies geschieht offenbar, obwohl Verhältnisse andauern, in denen das Bedürfnis besteht, Nähe oder Distanz zu wahren. Es könnte sein, daß wir hier den - unpolitischen aber nicht folgenlosenUntergang jener sprachlichen Differenzierung erleben, die uns zwingt, soziale Nähe oder Distanz bereits in der Anredeform symbolisch zu fixieren und gewissermaßen als Naturtatsache zu behandeln.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.