Kg 1991 sozialisationindividuationreflexion

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Sozialisation, Individuation, Reflexion Psychische Voraussetzungen der Verwirklichung päd­ agogischer Absichten 1 - Vorbemerkungen zur Theoriekonstruktion

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1. Das Bezugsproblem pädagogischer Kommunikation 3 - Dissoziation von Sozialisation und Individuation - Mechanismen der Sinnevolution 3 - Evolution des Bildungssystems 4 - Spezifikation des Problems 5

2. Sozialisation

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- Koppelung von Bewußtsein an Kommunikation 7 - Variationsfunktion der Mitteilungsmedien 7 - Operation und Beobachtung, Medien 1. und 2. Ordnung 9 - Variabilität durch lose Koppelung 9

3. Individuation

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- Information und Mitteilung 10 - Selektionsfunktion der Bewußtseinsmedien - Emotion, Intention, Kognition 11 - Mitteilungserleben und -handeln 11 - Selektivität durch Strukturbildung 12

4. Reflexion

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- Differenzierung des Bewußtseins 13 - Reflexion als Selbstbeobachtung zweiter Ordnung 13 - Gesteigerter Reflexionsbedarf des Bewußtseins 14 - Ambivalenz der Mitte ilungsmedien 14 - Stabilität durch Binnendifferenzierung 16 - Exkurs über Stufen psychischer Entwicklung 16

5. Wirkung pädagogischer Kommunikation - Beitrag zur Reflexion des Bewußtseins 18 - Funktion des Entwicklungscodes für Bewußtsein - Medienreflexion als pädagogische Methode - Pädagogische Selbstreflexion 20 - Aufgabe der Pädagogik 21 - Literaturhinweise 21

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- Vorbemerkungen zur Theoriekonstruktion Die unbeabsichtigten Wirkungen pädagogischen Han­ delns sind ein altes Thema pädagogischer Selbstrefle­ xion. Aber wie steht es mit den beabsichtigten Wir­ kungen? Ich möchte hier der Frage nachgehen, wie pädagogisch beabsichtigte Wirkungen überhaupt mög­ lich sind und damit eine Prämisse der Themenstellung (zur Funktion der pädagogischen Absicht im Er­ ziehungssystem) aufgreifen, die über die Analyse der entsprechenden Kommunikation hinaus auf ihre Wir­ kungen im Bewußtsein verweist. 2 Als theoretisches Hauptproblem eines solchen Beitrags sehe ich es an, die Wirkungsweise pädagogischer Kommunikation zu beschreiben, ohne damit hinter die Anforderungen an eine konstruktivistische Methode der Wirklichkeitsbe­ schreibung zurückzufallen.3 1

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Vortragsfassung für das Symposion über "Pädagogische Intention" in Hamburg vom 20. bis 23.Juni 91 (Absätze in 9p-Schrift im Vortrag weggelassen) "Schließlich richtet sich die Absicht ja auf Wirkungen..." N.LUHMANN "Die Absicht zu erziehen..." S.8 - Im Üb rigen stellt LUHMANN diesel­ be Frage in: Das Kind als Medium der Erziehung a.a.O S. 21. Vgl. N.LUHMANN. Die Wissenschaft der Gesellschaft, insbes. Kap.7 Auf mangelnde Sicherheit in diesem Punkt beziehen sich auch die mei­ sten meiner eigenen Vorbehalte bezüglich der Vo rläufigkeit der fol­ genden Formulierungen.

Der diesbezüglich springende Punkt der system­ theoretischen Analyse ist die strikte Unterscheidung der Operationsweise von psychischen und sozialen Systemen als Bewußtsein und Kommunikation. Bei allem, was im Bildungssystem geschieht, handelt es sich um Kommunikation. Damit erscheint die Frage, wie die Verwirklichung pädagogischer Absichten möglich sein soll, auf grundbegrifflicher Ebene bereits vorentschieden. Durch Kommunikation - mit welchen Intentionen auch im mer - können psychische Systeme nicht gezielt beeinflußt werden. Wenn dies aber nicht möglich ist, wie ist es dann möglich, daß pädagogi­ sche Kommunikation dennoch funktioniert? Es soll ja nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß diese Art von Kommunikation, die weltweit noch ständig expandiert, eine Funktion für die Gesellschaft hat (die im Bewir­ ken der beabsichtigten Wirkungen besteht). Die Frage zielt nicht auf den praktischen Erfolg oder Mißerfolg sondern auf eine theoretische Re­ konstruktion der evolutionären Unwahrschein lichkeit pädagogischer Kommunikation. Eine solche Konstruk­ tion kann m.E. zeigen, daß der Erfolg pädagogischer Kommunikation auf evolutionären Voraussetzungen in der Koppelung psychischer und sozialer Systeme be­ ruht, die sich dem pädago gischen Zugriff tatsächlich weitgehend entziehen und auch keineswegs immer gegeben sind. Ich sehe den Schlüssel zum Verständnis der Wirkungsweise pädagogischer Kommunikation in einer historisch-gesellschaftlichen Konstellation, in der der pädagogischen Kommunikation die Funktion zufällt, spezifische Bedingungen für die Restabi­ lisierung des Bewußtseins bereit zustellen. In der Dif­ ferenzierung von Sozialisations- und Individuations­ prozessen des Bewußtseins unter den Bedin gungen funktio naler Differenzierung der Gesellschaft sehe ich das Problem, auf das pädagogische Kommunikation reagiert. Seine funktionale Lösung bestünde also dar­ in, dem beteiligten Bewußtsein spezifische Bedingu n­ gen der Rekombination zur Verfügung zu stellen. Ziel meines Beitrags ist es nicht, in diesem Theorierahmen die pädagogischen Mittel der Problemlösung darzustellen4, sondern die evolutionären Vor aussetzungen zu beschreiben, unter denen eine solche Lösung möglich wird. Da es sich hier - wenn man LUHMANNS Theorie vorgaben folgt - um das Problem der Koppe­ lung bzw. Koevolution zweier verschiedenartiger Systemarten handelt, hat der eher theoretische Charakter der vorliegenden Skizzen5 durchaus mit dem besonde ren Thema zu tun. Nur wenn dieses theoretische Problem gelöst ist, kann der - von Luhmann selbst gegen eine zu anderen Funktionssystemen der Gesell­ schaft analoge Konstruktion des Bildungssystems immer wieder vorgebrachte - Einwand ausge räumt werden, daß pädagogische Kommunikation gar nicht bewirken könne, was sie doch stets intendiert, nämlich die sozial erwünschte Entwicklung von Be­ wußtsein. 4

Ich habe das ausführlicher in einem (unveröff.) Beitrag zur Be schreibung eines Mediencodes für das Bildungssystem getan: Die Entwicklung des Kindes. Zur Codie rung des Mediums für pädagogische Kommu nikation, Typoskript 1990 Da es m.E. möglich ist, einen solchen Code zu rekonstruieren, suche ich auch keinen funktionsspezifischen Ersatz in der pädagogischen In­ tention. Vgl.LUHMANN "Die Absicht zu erziehen..." S. 5ff. 5 Ich muß hier wohl nicht betonen, daß die Formulierung des theoretischen Modells, um das es im Folgenden geht, an vielen Stellen noch unausge­ führt bleiben muß.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion Die Fragestellung ist selbstverständlich nicht neu. Aber der Umstand, daß ideengeschichtlich versiertere Beiträge 6 immer wieder zeigen, daß innerhalb der pädagogischen Theorietradition bisher kein befriedi­ gendes Modell zur Beschreibung der Wirkungsweise pädagogischer Kommunikation gefunden wurde, mag rechtfertigen, das Problem einmal mit anderen Theo­ riebaukästen anzugehen. Es bietet sich folgende Rei­ henfolge in der Einführung der Theoriein strumente an: 1. Systemtheorie, 2. Medientheorie und 3. Evolutions­ theorie.7 Der Einstieg mit der Systemtheorie legt zu­ nächst in der Sachdimension von Sinnsystemen fest auf die Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Dabei werde ich Systemdifferenzierung (als soziale Differenzierung - nicht schon als Dif ferenzierung psy­ chischer Systeme) sofort einbeziehen, weil Diese als funktionale Differenzierung der Gesellschaft zur Be­ schreibung des Ausgangsproblems für pädagogische Kommunikation gehört. 8 In der Sozialdimension schließe ich an mit der Medientheorie, weil sich damit die Darstellung des Problems der Koevolution psychischer und sozialer Systeme respezifizieren läßt als Problem ih rer Koppe­ lung über Medien. Dabei gilt es m.E. zu unterscheiden zwischen drei Arten von Medien: Mitteilungsmedien, die die Koppelung von psychischen und sozialen Sy­ stemen auf der Ebene ihrer Grundoperationen Kom­ munikation und Bewußtsein ermöglichen; Kommuni­ kationsmedien, die eine Koppelung von Ereignissen

2 der Kommunikation und des Bewußtseins auf der Ebene der Strukturen sozialer Systeme ermöglichen; Bewußtseinsmedien, die eine Koppelung von Ereig­ nissen der Kommunikation und des Bewußtseins auf der Ebene der Strukturen psychischer Systeme ermög­ lichen.9 Schließlich berücksichtige ich die Zeitdimension mithilfe der (von LUHMANN für Sinnevolution respezi­ fizierten 10) Evolutionstheorie. Hier kann die vorge­ führte Unterscheidung der Medien evolutionstheorisch reinterpretiert werden: 1. Mitteilungsmedien wirken als Mechanismen der Varia tion sowohl für soziale wie psychische Systeme. 2. Kommunikationsmedien 11 und Bewußtseinsmedien12 wirken als Mechanismen der Selektion jeweils gesondert für soziale und psychische Systeme. Als 3. und neuen Punkt führe ich dann ­ wiederanknüpfend an Systemtheorie - System­ differenzierung als Mechanismus der Restabilisierung ein. Wobei der eigentlich neue Aspekt in der Be­ schreibung der Differenzierung psychischer Systeme im Prozess ihrer Reflexion besteht. 13 Hier kommt es darauf an zu zeigen, wie Reflexionsprozesse des Be­ wußtseins, die zu einer funktio nal dif ferenzierten Ge­ sellschaft passen, durch pädagogische Kommunikation - auf dem Hintergrund des entsprechenden Kommuni­ kationsmediums - begünstigt werden können. Auch wenn im folgenden Beitrag Voraussetzun­ gen pädagogischer Kommunikation in psychischen 9

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S.die Beiträge von OELKERS und PRANGE zu diesem Symp osion Die folgende Skizze der Theoriekonstruktion stellt eine themenspezifi­ sche Abwandlung des Konstruktionsschemas dar, das Luhmann für sei­ ne Gesellschaftsheorie verwendet: Selbstbeschreibung der Gesellschaft sozial zeitlich sachlich Kommunikation Evolution Differenzierung Autopoiesis der Gesellschaft Die primäre Einteilung folgt der Unterscheidung von drei Sinndimen­

sionen. LUHMANN hat (in seiner Vorlesung zur Gesellschaftstheorie)

ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Dreiteilung theoretisch nicht

weiter begründet ist. Es sei ihm nur bisher keine weitere Dimension

(oder andere Einteilung der Dimensionen) eingefallen. Er hält die se­

mantische Ausdifferenzierung von Sozial-, Sach- und Zeit dimension

aber selbst für ein Resultat der gesellschaftlichen Evolution zur Moder­

ne.

Die Reihenfolge der Darstellung entlang der Sinndimensionen ist eben­

falls nicht zwingend. Aber für jede der drei Sinndimensionen verwendet

LUHMANN einen anderen Strang der Theorietradition. Deren Verknüp­

fung folgt dann wiederum der Vo rstellung der Einheit der Differenz der

Sinndimensionen in der Sinnevolution.

LUHMANN beginnt seine Darstellung der Gesellschaft mit der Sozial­

dimension, weil hier mit der Kommunikationstheorie die Grundoperati­

on Kommunikation näher zu beschreiben ist. Systemtheorie ist dabei

schon vorausgesetzt (im Einleitungskapitel zum Gesellschaftsbegriff)

und wird erst unter dem Stichwort Differenzie rung (als Systemdifferen­

zierung) wieder aufgenommen.

Das hier skizzierte Modell basiert auf der von Luhmann in die Sozialwis­ senschaften eingeführten Theorie autopoietisch geschlossener Systeme der Biologen Maturana und Varela. Mithilfe anderen Anleihen bei der biologischen Beschreibung der Evolution lebender Systeme könnte man sicherlich noch zu anderen Modellen pädagogischer Kommunikation gelangen. So läge es nahe, in der Beschreibung von Er ziehung i.S. päd­ agogischer Intervention das biologische Modell des Virus, also eines Gastprogramms auszuprobieren, das die Autopoiesis des Wirtssystems ­ nicht immer zu dessen Vorteil - durchbricht. Vgl. Wolfgang Wickler: Soziobiologie: Ein starkes Konzept mit einem blinden Fleck, MPGSpiegel Heft 2, 1991 S. 34f.

Ich vermeide hier den von Maturana/Varela (vgl. Der Baum der Erkennt­ nis, 1987, S 85-90, 197-209) in die Systemtheorie (ebenendifferenziert und im Zusammenhang mit einer starken Ve rallgemeinerung des Kogni­ tionsbegriffs) eingeführten Begriff der "strukturellen" Koppelung zweier Systemarten mit verschiedenen Grundoperationen. Diese Begriffsver­ wendung ist mit den im folgenden Modell (und schon bei LUHMANN) verwendeten Annahmen nicht kompatibel, wonach die Koppelung von psychischen und sozialen Systemen gerade nicht auf der Ebene der Strukturen sondern eher "lose" auf der Ebene ihrer Grundoperationen erfolgt. Vielleicht kann man den Begriff der strukturellen Koppelung i.S. der Prädaptiertheit der evoluierten Strukturen von Organismus, Ko m­ munikation und Bewußtsein wiederaufnehmen, wenn klargestellt ist, daß die soziologisch und psychologisch beobachtbaren Wechselwirkungen nicht auf dieser Ebene stattfinden. 10 Vgl. zuletzt: Wissenschaft der Gesellschaft Kap. 8 11 Im Hinblick auf Medien der Kommunikation setze ich hier eine gewisse Kenntnis des diesbezüglichen soziologischen Sprachgebrauchs in der funktionalistischen Theorietradition voraus, wonach Kommunikati­ onsmedien der Selbststeuerung von Kommunikation in Sozialsystemen, insbesondere dann unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung, dienen. Hierzu ist allerdings anzumerken, daß die von Parsons tradierte Bezeichnung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien die von LUHMANN gemeinte Konstruktion kaum mehr abdeckt. Ve rmut ­ lich wäre es besser, diese Medien als Steuerungsmedien zu bezeichnen, Denn es geht um die Selbststeuerung der Kommunikation durch (zu Medien geronnene) Unterscheidungen. 12 Ich vermeide hier die in der Psychologie eingeführte Bezeichnung Wahrnehmungsmedien aus zwei Gründen: 1. weil der diesbez. von LUHMANN zitierte Wahrnehmungspsychologe F. Heider sich dabei eher auf die sensorische Wahrnehmung und nicht i.e.S. auf Bewußtseinsleistungen bezieht und 2. weil der Be griff der Wahrneh­ mung bzw. Kognition - mit der Verbreitung der sog. cognitive sciences ­ heute häufig für ganz verschiedenartige Systeme gebracht wird. 13 Schema der Koevolution Bewußtsein Kommunikation Variation Mitteilungsmedien Mitteilungsmedien Selektion Bewußtseinsmedien Kommunikationsmedien Restabilisie rung Systemdifferenzierung Systemdifferenzierung


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion Systemen thematisiert werden, so bleibt doch Aus­ gangs- und Endpunkt der Darstellung das Bil­ dungssystem als Teilsystem (des umfassenden Sy­ stems aller kommunikativen Operationen) der Ge­ sellschaft. Den Ausgangspunkt der Beschreibung (der Evolution) des Bildungssystems bildet die Bezeic h­ nung des besonderen Problems der Gesellschaft, auf das die Gesellschaft mit der Ausdifferenzierung des Bildungssystems reagiert.

1. Das Bezugsproblem pädagogischer Kommu­ nikation - Dissoziation von Sozialisation und Individuation Ich habe das Problem - in Anlehnung an eine einge­ führte Terminologie - vorläufig als Dissoziation von Sozialisation und Individuation bezeichnet. 14 Diese Formel bezieht sich auf die Entwicklung der sozialen Umweltbedin gungen für Prozesse der Sozialisation und Individuation und sollte nicht verwechselt werden mit der Differenz dieser psychischen Prozesse selbst, die - wie ich im Folgenden noch zeigen möchte - kon­ stitutiv ist für psychische Systeme schlechthin. Eine solche Verwechselung findet sich in großen Teilen der Theorietradition, die nicht angemessen zwischen Be­ wußtsein und Kommunikation unterscheidet. Die Dissoziation von Sozialisations- und Individuationsbedingun­ gen des Bewußtseins unter den Bedingungen funktionaler Diffe­ renzierung der Gesellschaft spie gelt sich in der bisher unauflösbar scheinenden Alternative zwischen soziologisch-positivistischen Objekttheorien15 und eher geisteswissenschaftlich-herme­ neutischen Subjekttheorien16. So führt die Beobachtung multipler funktionaler Inklusionen (ohne Einschluß der Individualität der Person) zur theoretischen Reduktion des Psychischen auf soziale Determination. So führt andererseits die Beobachtung der exklus i­ ven Vor ausgesetztheit von Individualität für funktional differen­ zierte Kommunikation zur theoretischen Reduktion des Sozialen auf die Subjektität der Person. Neuere soziologische Beiträge 17 betonen zwar, daß in der bisherigen Theoriebildung "Individuation als ein integraler Bestandteil des Sozialisationsprozesses"18 nicht genügend berücksichtigt worden sei. Diese Integrationsversuche arbeiten aber mit einer normativen Vorstellung von Persönlich­ keitsentwicklung 19 und verschließen sich damit Möglichke iten der Beschreibung ihrer Entwicklung. Das Theorieproblem kann nicht durch Auflösung der Differenz gelöst werden sondern nur durch Reflexion dieser Differenz selbst (im Me dium anderer theoriege­ leiteter Unterscheidungen).

Liefen die meisten theoretischen Versuche, die Einheit von Sozialisation und Individuation zu be­

3 schreiben, bisher darauf hinaus, das Eine auf das An­ dere zu reduzieren, so möchte ich stattdessen hier ver­ suchen, die Einheit als Einheit einer Differenz zu be­ schreiben, nämlich zweier verschiedenartiger Opera­ tionen psychischer Systeme. Theoretische Vorausset­ zungen für eine solche Beschreibung sind: 1. die Un­ terscheidung von System und Umwelt (die die Unter­ scheidung selbstreferentieller und fremdreferentieller Operationen dieses Systems einschließt) 2. die Unter­ scheidung von Bewußtsein und Kommunikation als Operationen psychischer und sozialer Systeme, die wechselseitig füreinander Umwelt bilden, und 3. die Unterscheidung verschiedener Systemebenen psychi­ scher und sozialer Systeme, die die Bedingungen ihrer Koevolution (evolutionären Koppelung) definieren. Im Hinblick auf den zentralen Stellenwert der Ebenendif­ ferenzierung für eine angemessene Beschreibung des Problems beziehe ich mich auf LUHMANNS Beitrag zur Evolutionstheorie und versuche zunächst eine kurze Anwendung auf die Beschreibung des Bildungssy­ stems. - Mechanismen der Sinnevolution Durch die Verknüpfung der Evolutionstheorie mit neueren Entwicklungen der Systemtheorie ergibt sich eine (zumindest für Sinnevolution) wesentliche Umstellung in der Beschreibung des Selek­ tionsmechanismus. 20 Die entscheidende theorietechni­ sche Innovation, die sich bereits aus Darwins Selekti­ onsbegriff ergab, bestand zunächst darin, daß man ein beobachtbares Phänomen nicht länger bloß genetisch aus "Ur-sachen", die es hervorgebracht haben, sondern aus Bedingungen erklären kann, die zeitlich gesehen sogar später entstanden sein können als das Phäno­ men, zu dessen Erklä rung sie herangezogen werden.21 Im Autopoiesis -Konzept muß nun die Darwinsche Vorstellung einer selektiv wirksamen Umwelt umge­ stellt werden auf die Eigenselektivität des betreffenden Systems. Mit dieser Umstellung geht eine Erweiterung des Beschreibungsinstrumentariums der Evolu­ tionstheorie von zwei (Mutation bzw. Variation und Selektion) auf drei unabhängig voneinander wirksame Mechanismen einher. In die sem dritten Mechanis mus kommen die aus der Beschreibung des Selektionsme­ chanis mus verdrängten Umweltabhängigkeiten wieder zur Geltung, ohne daß der Umwelt eigene Operati­ onsfähigkeit unterstellt werden müßte. 22

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S. o. S.1 und noch unausgeführt in: Die Entwicklung des Kindes ... a.a.O. S.9ff

15 So in der Parsons-Durkheim-Tradition.

16 Vgl. dazu Formulierungen im ideengeschichtlichen Beitrag Geulens zum

Handbuch für Sozialisationsforschung: "Eine Position, die den Men­

schen als bedingten auffaßt, scheint nur um den Preis, ihn als Subjekt

fallenzu lassen, eine Subjekttheorie nur um den Preis des Abstrahierens

von realen Bedingungen mö glich. Die Überwindung dieses Wider­

spruchs ist, wie ich meine, auch heute das theoretische Kernproblem ei­

ner Sozialisationstheorie." Handbuch ..a.a.O. S.31

17 zusammenfassend Hurrelmann, 1986 S.9,16 u.a.

18 so Hurrelmann in seiner Parsons-Kritik S.44

19 s. zB. Doebert, Rainer; Habermas, Jürgen; Nunner-Winkler, Gertrud; Zur

Einführung in: Entwicklung des Ichs (Dieselben Hg.) Köln 1977, S.9-30

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s. zuletzt in Kap. 8, Die Wissenschaft der Gesellschaft, und im Anschluß an Arbeiten von D.T. Campbell Luhmann erwähnt in dieser Hinsicht die Schrift, die zunächst zu reinen Registraturfunktionen entwic kelt wurde und erst unter bestimmten selektiv wirksamen Bedingungen zu einem Bestandteil der Kom­ munikation wurde. In ähnlicher Weise kann man die Entwicklung sym­ bolisch generalisierter Kommunika tionsmedien beschreiben. Ich wie ­ derhole dieses Beschreibungsmittel speziell auch im Falle der Codie rung des Mediums für pädagogische Kommunikation, wo schulische Selekti­ on - etwa zum Zwecke der Ablösung der Amtsappropriation - schon entwickelt ist, bevor es die Funktion eines Zweitcodes erhält. Im Unterschied zu Systemen in der Umwelt, deren Operationsfähigkeit wiederum nur im System und nicht in ih rer Umwelt vorkommt.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion Der Restabilisierungsmechanismus basiert gene­ rell auf Differenzierungsoperationen des Systems. Durch Binnendifferenzierung eröffnet das System (die Gesellschaft oder ihre Teilsysteme, ähnlich aber auch das psychische System) sich Möglichkeiten der Wahl zwischen verschiedenen Teil-Umwelten. Die Gesamt­ abhängigkeit des Systems von seiner Umwelt (die Koppelung des Systems an seine ökologische Nische) kann sich dadurch nicht ändern. Aber dem System eröffnen sich Möglichkeiten, auf Ereignisse in seiner Umwelt selektiv zu reagieren. Nicht immer ist dann gleich das Gesamtsystem betroffen, wenn Umweltver­ änderungen drohen oder bestimmte UmweltRessourcen fehlen. Die für jeden evolutionären Vorgang konstituti­ ve wechselseitige Unabhängigkeit der evolutionären Mechanismen wird ermöglicht durch die Ebenendiffe­ renzierung der Systeme. Variation erfolgt auf der Ebe­ ne der Elemente (Systemoperationen), Selektion auf der Ebene der Strukturen (Systemstrukturen) und Re­ stabilisierung auf der Ebene der Systeme (Einheit des Systems und Bin nendifferenzierung). Die Ausdiffe­ renzierung der Mechanismen der Evolution ist selbst Resultat von Evolution. Ihre jeweilige Besetzung in der sozialen Evolution variiert historisch. LUHMANN möchte im Unterschied zur überwiege nden Lesart der Evolutionstheorie - wo selektive Retention beides zu­ sammenfaßt - einen Stabilisierungsmechanismus vom Selektionsmechanismus deutlich unterscheiden. Die Begründung hierfür setzt historisch an.23 Denn gerade für die Moderne gilt, daß Stabilisierung weniger mit Selektion als mit erneuter Variation gekoppelt ist: Laufende Änderung als Stabilitätsbedingung! Basis aller sozialen Variation ist nach LUHMANN die Sprache und hier insbesondere die Vernei­ nungsmöglichkeit, die erst mit der Zweitcodierung als Schriftsprache evolutionär wahrscheinlicher wird. Als Selektionsmechanismus bezeichnet LUHMANN im wesentlichen die symbolisch generalisierten Kommu­ nikationsmedien, die ja ebenfalls erst in Schriftkult u­ ren sich ausdifferenzieren 24. Den entscheidenden Sta­ bilisierungsmechanismus sieht LUHMANN in der Sy­ stemdifferenzierung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Selektion positiv (mit Bezug auf ein Variationser­ eignis) oder negativ (i.S. seines Ausschlusses) erfolg­ te. Jede Selektion wirft ein Stabilitätsproblem auf. In der Sinnevolu tion gilt dies zumindest heute auch für den Ausschluß von Variationsangeboten. 23

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Es kann hier dahingestellt bleiben, ob sie auf Ereignisse der Sinn­ evolution beschränkt bleiben muß. Die Evolution der funktionssystemspezifischen Kommunikationsmedien bleibt abhängig von der Evolution der Mitteilungsmedien: es gibt sie gewissermaßen schon vorklassisch in Schriftkulturen, klassische Aus­ prägung dann aufgrund des Buchdrucks und heute zu beobachten ein starker Anpassungsdruck im Hinblick auf die Erhaltung ihrer Selektions­ funktion angesichts der diversifikatorischen Evolution der Mitteilungs­ medien: zB. Geld als electronic cash, Macht durch TV-Präsenz und lau­ fende Meinungsforschung, Kindheit durch Bildme dien (vgl. Postman). Vgl. auch die Erklärung evolutionärer Schübe durch Evolution der Mit­ teilungsmedien, in: Wissenschaft der Gesellschaft S.597ff

4 - Evolution des Bildungssystems Wenn Funktionssysteme als operativ geschlossene Systeme aufgefaßt werden, dann ist in der Analyse des Bildungssystems zunächst die spezifische Grundoperation zu beschreiben, mit der es seine Sy­ stem-Umwelt-Grenze definiert. Um alle Formen päd­ agogischer Kommunikation im emergenten Funktions­ system auf entsprechende Grundoperationen zurück­ führen zu können, muß ein Medium bezeichnet wer­ den, in dem sich diese Formen der Kommunikation selektiv ausprägen. Die ses Kommunikationsmedium ist nicht nur für die Selektivität der pädagogischen Kommunikation zuständig. Darüberhinaus sorgt ein entsprechender Mediencode dafür, daß die für die Ausdifferenzie rung des Systems erforderliche Binnen­ komplexität in jeder aktuellen Operation des Systems reproduziert und damit die Geschlossenheit des Sy­ stems gesichert wird. Schließlich sorgen Reflexions­ theorien im System dafür, daß Selbst- und Fremdrefe­ renz des Systems auf passende Weise kombiniert bzw. unpassende Kombinationen revidiert werden. Mit der Semantik des Kindes als Kommunikati­ onsmedium hat LUHMANN zwar einen Selektionsme­ chanismus für die Evolution des Bildungssystems benannt. Er hat zugleich aber erklärt, dieses Medium sei aus Gründen, die in den Sonderbedingungen des Funktionssystems liegen, nicht ge eignet, die pädagogi­ sche Kommunikation so zu codieren, daß sie in ver­ gleichbarer Weise wie in anderen Funktionssystemen funktioniert. 25 In Auseinandersetzung mit dieser Posi­ tion habe ich versucht, das gesellschaftliche Problem zu spezifizieren, auf das die Gesellschaft mit der evo­ lutionären Errungenschaft eines funktionsspezifischen Mediums und der Ausdifferenzie rung des Bil­ dungssystems selbst reagiert. Im weitesten Sinne han­ delt es sich m.E. um das Problem der Koppelung von Kommunikation und Bewußtsein. Aber wieso ist das ein Problem? 26 Zumindest war es nicht schon immer ein Problem, sonst hätte es ja der Entwicklung eines besonderen Mediums und eines entsprechenden Funk­ tionssystems nicht bedurft. Um das skizzierte Instrumentarium der Evoluti­ onstheorie auf das spezifische Problem der modernen Gesellschaft anzuwenden, das der pädagogischen Kommunikation zugrundeliegt, mache ich zunächst einen Vorschlag zur Bezeichnung der evolutionären Mechanismen in der Sonderevolu tion dieses Funkti­ onssystems. Es geht 1. um die Variation der pädagogi­ schen Semantik, 2. die Selektionsmittel, die zur An­ nahme pädagogischer Kommunikation motivieren und 3. die Restabilisie rungsbedingungen für diese unwahr­ scheinliche Kommunikation. 25

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S. zuletzt: Das Kind als Medium der Erziehung, a.a.O S.20,34f. Ich habe dem an anderer Stelle entgegnet mit dem Versuch, Elemente der Codie ­ rung dieses Mediums zu beschreiben. Es ist natürlich kein Problem, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß es durch Evolution - i.S. "struktureller Koppelung" von Kommuni­ kation und Bewußtsein - immer schon gelöst erscheint.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion Als Mittel der Variation pädagogischer Kommu­ nikation zeigt sich im wesentlichen die Ausbreitung schriftlicher, insbesondere gedruckter Mitteilungen. Es lohnt kaum darüber zu streiten, ob P OSTMANs Erklä­ rung der Entstehung der Kindheit aus den durch den Buchdruck verallgemeinerten kognitiven Differenzen zwischen Erwachsenen und Kindern einseitig überzo­ gen ist. 27 Sicher wäre die Ausbreitung der diesbezügli­ chen pädagogischen Semantik nicht erklärbar ohne den Buchdruck. Allerdings muß man wohl den Varia­ tionsmechanismus im Hinblick auf die Funktionen des Bildungssystems enger fassen als in der Evolution der Kommunikation überhaupt. Das spezifische Mittei­ lungsmedium bilden hier die pädagogischen Ideen und Programme selbst. Als Selektionsmittel zeigt sich im wesentlichen das funktionsspezifische Kommunikationsmedium Kindheit mit seinen symbolisch generalisierten An­ nahmen über menschliche Entwicklung. Duch binäre Codierung dieser Annahmen ergeben sich kul­ turtechnische Möglichkeiten der pädagogischen Kom­ munikation, die über die Interaktion unter Anwesen­ den hinaus "Fernwirkungen" erzielen können. Z.B. schon über das Lesen entsprechender Kinderliteratur28, v.a. aber über organisatorische Arrangements, denen die pädagogisch codierten Entwicklungsunterstellu n­ gen zugrundeliegen. Als Stabilisierungsbedingung zeigt sich wie bei aller funktional spezialisierten Kommunikation die Ausdifferenzierung des Funktionssystems selbst, die eine entsprechende Ebenendifferenzierung einschließt. In dem gleichen Maße, in dem der Stabilisierungsme­ chanismus vom Selektionsmechanismus unabhängig wird, zeigt sich auch hier eine Tendenz zur Rückkop­ pelung mit dem Variationsmechanismus. Mit der Unterscheidung verschiedener System­ ebenen, auf denen evolutionäre Mechanismen ih ren Beitrag zur Variation, Selektion und Restabilisierung der Sinnsysteme leisten, ergibt sich m.E. eine für das vorliegende Thema brauchbare Reformulierung des Beschreibungsproblems 29, die jetzt zu einer angemes­ 27

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S. NEIL POSTMAN, (1983) Das Verschwinden der Kindheit, Frankf. M. POSTMAN macht die Differenz zwischen Erwachsenen und Kin­ dern v.a. am "Wissen" bzw. an den "Geheimnissen" fest, die durch die Literalitätsschwelle altersabhängig vorenthalten und durch die neuen Bildmedien wieder unspezifisch zugänglich würden. Abgesehen von dem psychologischen Einwand, daß auch durch die neuen Medien al­ tersabhängige kognitive Entwicklung nicht aufgehoben wird, übersieht Postman hier auch, daß der historisch-semantische Kern der pädagogi­ schen Codierung nicht im intendierten Nichtwissen (Schamgefühl, Ge ­ heimnisse etc.) sondern in der spezifischen Zurechnung von Handeln und Erleben liegt. Für die Zurechnung von Verantwortung für Handeln ist die Zurechnung von Wissen zwar ein notwendiger, keineswegs aber zureichender Aspekt. Nicht zufällig gerät dann die Semantik der Kindheit als klassische Aus­ formung des Selektionsmechanis mus durch die Evolution neuer Mittei­ lungsmedien unter erneuten Variationsdruck vgl. Postman Ich meine das - im Anschluß an LUHMANNs und SCHORRs wiederholte Hinweise auf Reflexionsprobleme des Funktionssystems ­ oben bereits angesprochene Problem der Beschreibung, wie pädagogische Kommunikation überhaupt ihre Intentionen bezüglich Bewußtsein umsetzen kann.

5 seneren Beschreibung des Bezugsproblems für päd­ agogische Kommunikation führen kann. Das Be­ schreibungsproblem läßt sich dahingehend spezifizie­ ren, daß die Koppelung der pädagogischen Kommuni­ kation mit Bewußtsein nur auf der Ebene der basalen Operationen beider Systemarten (und nicht ihrer Strukturen und Systemgrenzen) also im Bereich der Sprache und der (auch bildsprachlichen) Mitteilungs­ medien und dh. evolutionstheoretisch nur über den Mechanis mus der Variation gegeben ist. Das heißt, daß die Selektions- und Restabilisierungsmechanis­ men der pädagogischen Kommunikation und des Be­ wußtseins nicht nur als völlig unabhängig voneinander anzusehen sind - das gilt ja schon im jeweiligen Sy­ stem selbst als Bedingung von Evolution - sondern auch ohne jede Chance, in der jeweils anderen Sy­ stemart überhaupt als solche wahrge nommen zu wer­ den. - Spezifikation des Problems Ich setze im Folgenden die Unterscheidung zwischen Sozialisations- und Individuationsprozessen als Unter­ scheidung psychischer Operationen an, die auf ver­ schiedenen Ebenen psychischer Systeme ablaufen. Sozialisation findet auf der Ebene der Grundoperatio­ nen psychischer Systeme statt, auf der eine Synchroni­ sation von Kommunikation und Bewußtsein (durch Mitteilungsmedien) Variatio nen von Ereignissen in beiden Systemen auslösen kann. Ob solche Variatio­ nen vom Bewußtsein aber selegiert werden und als Voraussetzungen weiterer Selektionen sich stabilisie­ ren können, hängt von der aktuellen Struktur und Aus­ differenzierung des Systems, also von im Medium des Bewußtseins bereits abgelaufenen Sozialisationspro­ zessen ab, die dem Bewußtsein für rekursive Opera­ tionen zur Verfügung stehen, also Beobachtung er­ möglichen. Diese rekursiv-selektive Beobachtungsfä­ higkeit des Bewußtseins hängt ab von seiner Individ u­ iertheit. Individuation sorgt für die Grenzziehung zur Umwelt und damit für die autopoietische Geschlossen­ heit des Systems. Der Unterschied (und ebenso die Einheit) dieser beiden Ebenen psychischer Systeme kann vermutlich gattungsuniversell rekonstruiert wer­ den. Andererseits läßt sich sowohl in ontogenetischer wie in historischer Perspektive eine Steigerbarkeit dieser Ebenenendifferenz in der Koevolu tion mit So­ zialsystemen erkennen. Mit der bezeichneten Ebenendifferenz ist nicht nur - in der Sachdimension - eine Unterscheidung bezüglich der wechselseitigen Beeinflußbarkeit von Kommunikation und Bewußtsein (inviolate levels der Autopoiesis) sondern auch - in der Zeitdimension ­ eine Vorher-Nachher-Konstellation bezeichnet, die die Bedingungen der Koevolution spezifiziert. In der Ver­ gangenheit des Systems abgelaufene Sozialisations­ und Individuationsprozesse bestimmen die Vorausset­ zungen seiner Teilnahme an weiterer Kommunikation


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion - und in diesem Rahmen dann wie derum möglicher Variation des Bewußtseins. In der Moderne wird die Bedeutung dieser temporalen Differenz im Bewußtsein durch Differenzierungen der Gesellschaft enorm gesteigert: Einerseits steigen durch die Evolution der Mitteilungs­ medien (Schrift, Druck, elektronische Bildme dien) die Anforde­ rungen an schon sozialisiertes Bewußtsein. Zweitcodierungen der Sprache und der visue llen Interaktion müssen gelernt werden, um überhaupt Anschluß an Kommunikation finden zu können. Ande­ rerseits steigen durch die funktionale Differenzierung der Gesell­ schaft die Anforderungen an schon individuiertes Bewußtsein. Mit der funktionsspezifischen Selektivität der Kommunika tion wird Bewußtsein immer weniger als einge schlossen in soziale Zusam­ menhänge (ganzheitliche Inklusion in Gruppen) adressiert sondern individualisiert und da mit eine von sozialen Inklusionen abgeho­ bene Selbstidentifikation vorausgesetzt. Die Individualisierung der Kommunikation unter Bedingungen funktionaler Differenzierung entspricht der Herauslösung des Adressaten aus diffus funktions­ übergreifenden Gruppenzusammenhängen. Ego kann sich als Adressat von Mitteilungen nicht mehr anhand von Gruppenmerk­ malen identifizieren. Die funktionsspezifische Adressierung zwingt Ego, sich selbst als Einheit (jenseits) der verschiedenen 30 Teilinklusionen zu beschreiben.

Beide Tendenzen lassen sich auf zwei nebenein­ ander laufende Differenzierungs vorgänge der Ge­ sellschaft zurückführen: einerseits die Ebenendifferen­ zierung der Gesellschaft in Kommunikationen unter­ schiedlicher Reichweite (und Abgelöstheit von perso­ nellen Trägern: differenziert nach Interaktions-, Orga­ nisations- Funktionssystemen) durch Ausdifferenzie­ rung von Mitteilungsmedien und andererseits die dar­ auf aufbauende funktionale Differenzierung der Ge­ sellschaft entlang der Ausdifferenzierung von Kom­ munikationsmedien. Beide Tendenzen divergieren je­ doch im Hinblick auf die Voraussetzungen an schon sozialisiertes und individuiertes Bewußtsein. Damit sind wir wieder bei dem Problem, auf das in der mo­ dernen Gesellschaft pädagogische Kommunikation reagiert. Gesteigerte Sozialisationsvoraussetzungen be­ züglich der Teilnahme des Bewußtseins an Kommu­ nikation entstehen überall dort, wo durch Zweitcodie­ rungen der Sprache in Schrift und Druck und neuer­ dings auch durch Zweitcodierung der bild haften Wahrnehmung in elektronischen Medien der symboli­ sche Zeichenvorrat der Gesellschaft sich ausdifferen­ ziert. Die Steigerung der Sozialisati­ onsvoraussetzungen stellt (wenn sie vom Bewußtsein als solche erkannt wird) als Auslösemechanis mus für entsprechende Variationen des Bewußtseins eine Blockie rung von Individuationsprozessen i.S. selekti­ ver Schließung des Systems dar. Verlangt wird nicht eine "abschließende" Selbstbezeichnung sondern das Reversibelhalten der Selbstbeschreibung für stets neue Sozialisationsvorgänge. Gesteigerte Anforderungen an Individuati­ onsprozesse des Bewußtseins entstehen andererseits durch funktionale Differenzierung insofern, als die Entparadoxierung der Selbstbeschreibung durch Pro­ 30

Der Individualisierung in diesem Sinne korrespondiert also eine Indivi­ duation 2. Ordnung s. Ausf.u.

6 jektion auf soziale Inklusionen (Gruppenidentitäten mit gemeinsamen Merkmalen aller Beteiligten) auf­ grund der funktionssystemisch spezialisierten Kom­ munikation blockiert, die Adresse der Mitteilung in hohem Maße individualisiert wird. Das teilnehmende Bewußtsein wird gezwungen, seine Identität jenseits der funktionsspezifischen Teilinklusionen zu rekon­ struieren. Jedoch ist ge rade solche Konstruktion stets in Gefahr, sich den gesellschaftlich erwünschten So­ zialisationsanforderungen zu entziehen, in einen ex­ tramundanen Status auszuweichen etc. Das Problem der Bewußtseinsentwicklung als Ausgangsproblem für die Evolution des Bildungs­ systems läßt sich demnach ableiten aus der Evolution der evolutio nären Mechanismen der Kommunikation unter den Bedingungen der evolutionär fort­ geschrittensten Differenzierungsform der Gesellschaft: als Verselbständigung der Stabilisierungsbedingungen (Funktionssysteme) der Kommunikation durch Ab­ koppelung vom Selektionsmechanismus der Kommu­ nikationsmedien und zunehmende Rückkoppelung mit dem Mechanismus der Variation, also der Evolution der Mitteilungs medien. Das Problem der Bewußt­ seinsentwicklung läßt sich dementsprechend spezi­ fizieren als Dis soziation von Sozialisations- und Indi­ viduationsbedingungen unter den Bedingungen der Rückkoppelung von kommunikativer Stabilität (Su­ perstabilität) der Gesellschaft mit gesellschaftlicher Variation (Wandel). Erst hieraus ergibt sich auf der Ebene der über Mitteilungsmedien ge koppelten Opera­ tionen jener enorme Beschleunigungseffekt der Be­ wußtseinsevolution, der dann die Kosten bezüglich der Selektion (Individuation) im psychischen System hoch- und einen spezif ischen Restabilisierungsbedarf hervortreibt. Daraus läßt sich nun schon eine vorläufige Be­ schreibung der spezifischen Funktion der pädagogi­ schen Kommunikation ableiten: der allzu raschen Rückkoppelung von Restabilisie rung mit erneuter Variation entgegenzuwirken - also gewissermaßen Koppelung durch Entkoppelung herzustellen. Nicht die systemkonstitutive Differenz von Sozialisation und Individuation des Bewußtseins sondern das, was die Gesellschaft aus dieser Binnendifferenzierung psychi­ scher Systeme macht, wie sie kommunikativ damit umgeht, ist das Problem, auf das pädagogische Kom­ munikation reagiert. Bei dem im Folgenden ansetzen­ den Versuch, die Mechanismen der Evolution für psy­ chische Systeme näher zu beschreiben, ist eine einfa­ che Parallelbesetzung der evolutionären Mechanismen des Bewußtseins und der pädagogischen Kommunika­ tion ausgeschlossen. Eine direkte Koppelung, die über Sprache (und andere Mitteilungsmedien) sich voll­ zieht, ist nur auf der Ebene der Grundoperationen möglich, wo beide Systemarten sich wechselseitig Variationsdruck aussetzen.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion

7 liche Sozialsysteme ihre Stabilität trotz - vielleicht kann man sogar sagen: durch die Instabilität - nämlich die extreme Tempo­ ralisiertheit - bewußtseinsbasierter Systeme erreichen. Um­ gekehrt läßt sich beobachten, daß auch psychische Systeme ihre Stabilität (vermutlich im Unterschied zu funktional äquivalenten Systemen anderer Le bewesen) weitgehend aus der Variabilität der Kommunikation beziehen. Einerseits wird das Bewußtsein auf Interaktionsebene zwar durch die Linearität der verba l­ sprachlichen Ereignisabfolge gewissermaßen gebremst. Ande­ rerseits wird es aber durch die optischen Begleitwahrnehmungen (des Verhaltens) auf Interaktionsbene (also hier multimedial) nicht nur unterstützt sondern in vieler Hinsicht auch beschle u­ nigt. 31 Genau dieser Aspekt der Primäranpassung wird in den neuen elektronischen Bildmedien ausgenutzt und wei­ terentwickelt (ohne daß die Gesellschaft schon über ähnlich ausgebaute Methoden der pädagogischen Restabilisierung ent­ sprechender Bewußtseinsentwicklung wie im Falle der Printmedien verfügte.)

2. Sozialisation - Koppelung von Bewußtsein an Kommunikation Bewußtsein ist in seiner ontogenetischen Entwicklung primär gekoppelt an die Linearität der verbalen Kom­ munikation auf Interaktionsebene. Schon diese evolu­ tionäre Koppelung ist selektiv in beiden Richtungen: Während Bewußtsein für sich genommen durchaus Wahrnehmungen auf mehreren Ebenen gleichzeitig machen kann (zB. Bauchschmerzen, akustische Ein­ drücke, optische Reize, Erinnerungen etc.) wird es in der Teilnahme an Kommunikation normalerweise beschränkt auf die Verarbeitung eines einzigen Kom­ munikationsablaufs, der nur als lineare Sequenz ver­ bal-akustischer Ereignisse in der Zeit verarbeitet wird. (Das belegt auch das komisch gemeinte Beispiel des Managers, der mit drei Telefonen gleichzeitig han­ tiert.) Auf der anderen Seite ist auch die Kommunika­ tion in entwickelten Gesellschaften gleichzeitig viel­ fältiger, als das Bewußtsein verarbeiten kann. Die strukturelle Koppelung (i.S. der evolutionären Primär­ anpassung an Kommunikation auf Interaktionsbene) wirkt in dieser Hinsicht wie ein Flaschenhals. Man kann diese Koppelung von Kommunikation und Bewußtsein als einen Mechanismus betrachten, der durch seine doppelte Selektivität den Durchlauf von Sinnereignissen aus der Wahrnehmung in Sozial­ systeme und von Kommunikation in Bewußtsein be­ hindert. Man kann aber auch sehen, daß es sich hier um die Systemgrenze handelt, die beide Arten von Sinnsystemen operativ unterscheidet und ihre jeweils eigenständige Evolution überhaupt erst ermöglicht. Erst auf dieser Grundlage können dann koevolutionäre Effekte bzw. Behinderungen der Koevolution psychi­ scher und sozialer Systeme untersucht werden. Die Koppelung funktioniert, weil das menschli­ che Bewußtsein schon gattungsge schichtlich offen­ kundig so eingerichtet ist, daß es sich einer solchen Kommunikation auf Interaktionsebene auch nur schwer (durch bewußte Verlagerung der Auf­ merksamkeit auf andere Wahrnehmungen z.B. Lesen) entziehen kann. Andererseits wird die selektive Be­ schränkung in dieser Koppelung, die Linearität der Kommunikation auf Interaktionsebene, durch die Evo­ lution der Schrift und der Druckmedien überschritten. Die Kommunikation der Gesellschaft koppelt sich von dieser restriktiven Bedingung ab. Das Bewußtsein muß nun sehen, wie es mit der entsprechenden Ver­ vielfältigung der Anschlußbedingungen an Kommuni­ kation Schritt halten kann. Hierfür bietet die Gesell­ schaft - zunächst nur für Oberschichtennachwuchs ­ gezielte Methoden der Bewußtseinsentwicklung (als ontogenetische Sekundäranpassung). Differenzierung der Kommunikation verschafft Menschenge­ sellschaften eine Art Suprastabilität. Diese Beobachtung impli­ ziert keineswegs, daß die psychischen Systeme des Menschen immer schon - durch koevolutionäre Koppelung - an ihre soziale Umwelt angepaßt seien. Vielmehr gilt, daß entwickelte mensch­

Stellen wir uns dagegen eine Welt vor, in der Menschen zwar mit ausdifferenzierter Wahrneh­ mungsfähigkeit ausgestattet wären, aber ohne die Kompetenz, sich mittels vorgefundener Elemente und Strukturen der Sprache (und anderen generalisierten Symbolen und ihren Zweitcodierungen) zu verstän­ digen, so wird erkennbar, was entfällt oder erschwert wird, wenn auf (vom Einzelbewußtsein unabhängige) Strukturen und Operationen emergenter Sozialsysteme nicht zurückgegriffen werden kann (wenn kommuni­ kative Strukturen jeweils erst mithilfe des menschli­ chen Organismus und Bewußtseins erzeugt werden müßten). Für jeden Verständigungsversuch müßte wie beim Kleinkind (aber ohne die phylogenetisch veran­ kerten Sicherungen der Mutter-Kind-Dyade) das Feld gemeinsamer Sinnfestlegungen erst mühevoll auf­ gebaut werden, indem dann bestimmte Informationen mitgeteilt und verstanden werden können. Die Beobachtung der emergenten Strukturen der Kommunikation der modernen Gesellschaft macht deutlich, welche Aufbauleistungen psychische Sy­ steme (aber nicht unbedingt jedes einzelne Bewußt­ sein) erbringen müssen, um den Fortgang der mensch­ lichen Evolution als Koevolution zu gewährleisten. Der Aufbau psychischer Strukturen angesichts der enormen Komple xität und Heterogenität der Kommu­ nikation läßt sich (systemtheoretisch) allerdings nicht als Import sozialer Ein heiten ins Bewußtsein beschrei­ ben. Zur näheren Beschreibung, wie diese Koevolu­ tion möglich ist, bedarf es nun eines Exkurses in die Medientheorie. - Variationsfunktion der Mitteilungsmedien Im Hinblick auf die Beschreibung der Koevolution sozialer und psychischer Systeme auf der Ebene ihrer Grundoperationen Kommunikation und Bewußtsein betrachte ich in diesem Abschnitt jene Art von Medi­ 31

Häufig wird in der medientheoretischen Literatur übersehen, daß die Koppelung von Kommunikation und Be wußtsein bereits auf der Ele ­ mentarebene nicht nur über Sprache i.S. des Sprechens von Wörtern und Sätzen und seiner Zweitcodierungen sondern auch über entsprechend symbolisch codierte visuelle Wahrnehmungen funktioniert. Vgl. Litera ­ turhinweise in der Gehirnforschung über die phylogenetische Priorität der Bildwahrnehmung vor verbalsprachlichen Wahrnehmu ngen.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion en, die auch alltagssprachlich so bezeichnet wird. Ihre Beschreibung muß systemtheoretisch allerdings spezi­ fiziert werden je nachdem, ob die Systemreferenz ein psychisches oder ein soziales System darstellt. In die­ ser Beschreibungsweise entfällt dann die Möglichkeit substantialisierend von Medien zu sprechen ohne Be­ zug auf Systemoperationen, durch die bestimmte Ele­ mente erst zu Medien für andere Elemente werden, die als Formen konstruiert werden. Ich spreche von Medi­ en im Rahmen der Unterscheidung von Medium und Form. Nicht nur Formen (der Wahrnehmung und der Kommunikation) sondern auch Medien sind stets Konstrukte des Systems, das sie benutzt. Das Medium darf insofern nicht schon mit dem materiellen Sub­ strat, dem Zeichenträger, identifiziert werden - sei es nun die Synapsenbildung im Hirn oder die Schrift auf dem Papier. LUHMANN unterscheidet Medium und Form32 als lose und strikte Koppelung von systemspezifischen Ereignissen. Da bei Sinnsystemen alle Ereignisse tem­ poralisiert anfallen, kann diese Unterscheidung auch dahingehend bestimmt werden, daß als lose, also me­ diale Koppelung jene Ele mente bezeichnet werden, die dem System überhaupt für seine rekurrenten Operatio­ nen zur Verfügung stehen. Es handelt sich stets um mehr Elemente, als für die je aktuelle, striktere und damit formbestimmende Koppelung gebraucht wer­ den. Da alle dem System zur Verfügung stehenden Elemente und Verknüpfungen durch das System selbst produziert und durch rekurrente Operationen reprodu­ ziert werden, handelt es sich bei Medien gewisserma­ ßen um eine lose Koppelung von Ele menten, die in der je aktuellen Operation mitproduziert wird, die in der Gegenwart der systemspezifischen Operation zugleich seine Vergangenheit (den Systemaufbau, die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten) und seine Zukunft (die nicht ausge schöpften Möglichkeiten) re­ präsentieren. Ich habe einleitend drei Medienarten unterschie­ den. Bewußtseinsmedien dienen der selektiven Selbst­ steuerung von Bewußtsein, Kommunikationsmedien der selektiven Selbststeuerung der Kommunikation. Diese Funktionen sind generell in eine bestimmte Bin­ nendifferenzierung psychischer und sozialer Systeme eingelassen, die die autopoietische Geschlossenheit der Systeme steigert und von daher keinen Hebel für ihre wechselseitige Beeinflussung bietet. Die evolu­ tionäre Koppelung psychischer und sozialer Systeme findet jedoch nicht auf der Ebene der Systemstruk­ turen sondern auf der Ebene ihrer Elementaroperatio­ nen, also der radikal verzeitlichten Operationen der Kommunikation und des Bewußtseins statt. Den Son­ derfall der Medienevolution, der hier eine Synchroni­ sation ermöglicht, bezeichne ich (im Hinblick auf die­ se Funktion und unter Absehung von der weiterhin

8 relevanten Systemreferenz) als Mitteilungsmedien. Die evolutionäre Sonderstellung dieser Medien besteht offenkundig in ihrer Doppelfunktion 33 für Kommuni­ kation und Bewußtsein: Einerseits bilden die entspre­ chenden Bewußtseinsoperationen evolutionäre Vor­ aussetzungen aller menschlichen Sozialsysteme. An­ dererseits ermöglichen die entsprechenden Operatio­ nen der Sozialsysteme es den operativ geschlossenen Systemen des Bewußtseins "in eine mit anderen geteil­ te Welt einzutreten."34 Mitteilungsmedien weisen eine lose Koppelung von Elementen auf, die sowohl in bewußtseins- wie in kommunikationsbasierten Systemen vorkommen. Für Bewußtsein handelt es sich um die (wahrscheinlich gattungsspezifische) Faszination allen Mit­ teilungsverhaltens eines symbolischen Alter Ego, die sich auf alle Elemente von Zeichengebrauch übertra­ gen läßt. Für Kommunikation handelt es sich um die selektive Inanspruchnahme von Mitteilungsverhalten, symbolischen Zeichenträgern etc. für die Autopoiesis von Kommunikation. 35 Genauer betrachtet, handelt es sich jeweils um systeminterne Referenzen auf ein ge­ meinsames Drittes, das weder Bewußtsein noch Kommunikation ist: zunächst körperbasierte, dann technische externalisierte materielle Substrate, die sich für symbolische Speicherfunktionen eignen. Das gattungsgeschichtlich primäre Mitteilungs­ medium bildet die einfache Interaktion, dh. v.a. die gesprochene Sprache aber auch schon die visuelle Wahrnehmung der Interaktion (Mimik, Gestik und an­ dere Verhaltenssignale, die nicht auf Sprache reduziert werden können). Während einfache Interaktion als Mitteilungsmedium nur fungieren kann über die Bil­ dung eines "sozialen Gedächtnisses", gewissermaßen einer sozialisierten Enklave im Gedächtnisspeicher des Bewußtseins der Beteiligten, funktionieren alle evolu­ tionären Weiterentwicklungen menschlicher Mittei­ lungsmedien durch lose Koppelung des Gedächtnis­ speichers mit externen (und dh. vor allem zeitresisten­ teren) Zeichenträgern (von steinernen Monumenten bis zu elektronischen Speichern).36 Mitteilungsmedien basieren also auf lose gekop­ pelten Ereignissen der bewußten Wahrnehmung und der Kommunikation, die gerade aufgrund des Um­ stands, daß sie weder im Bewußtsein noch in der Kommunikation als fest gekoppelte Ereignisse (For­ men) fungieren sondern in beiden Systemen gewis­ sermaßen einen Zustand des Überschusses, der Kon­ tingenz (oder des anregenden Chaos) repräsentieren, 33

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36 32

im Anschluß an F. Heider (und K.E. Weick) zit. in: Die Wissenschaft der Gesellschaft S.53ff

Daher wohl LUHMANNS diesbezügliche Formel von der "Double Helix" der Sinnevolution in: Die Wissenschaft der Gesellschaft S.51 Vgl. meine Ausf. zur Ambivalenz der Mitteilungsmedien unten. so F.J. Varela , Kognitionswissenschaft - Kognitionstechnik, Ffm, 1990, S.111. "Kommunikation gelingt und ist als gelingend erfahrbar, indem drei Selektionen (Information/Mitteilung/Verstehen) eine Einheit bilden, an die Weiteres angeschlossen werden kann." Soziale Systeme S.330 Zum Begriff des sozialen Gedächtnisses im Anschluß an M. Halbwachs s. A.u.J.Assmann, Das Gestern im Heute, Funkkolleg Medien und Kom­ munikation, Studienbrief 5


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion eine koevolutionäre Synchronisation der Elementar­ operatio nen psychischer und sozialer Systeme ermög­ lichen. Aufgrund dieser Synchronisation der unter­ schiedlich operierenden Systemarten können wechsel­ seitig Variationen ausgelöst werden. 37 Inwieweit nun diese Variationen im jeweiligen System zu Struktur­ veränderungen führen, hängt dann jedoch wiederum von deren eigenen Selektions- und Stabilisierungsme­ chanismen ab. - Operation und Beobachtung, Medien 1. und 2. Ordnung Auf der Ebene der Grundoperationen kognitionsfähi­ ger autopoietischer Systeme ist zu unterscheiden zwi­ schen Operation und Beobachtung. 38 Wenn ich Sozia­ lisation als Variationsmechanismus des psychischen Systems beschreibe, muß ich berücksichtigen, daß Variation als eine Art Auslösemechanismus im System immer schon Operationen des Systems in bezug auf seine Umwelt voraussetzt, die als wahrgenommene Auslösereize zurückkehren. Mit der Unterscheidung zwischen (immer schon vorhergehender) Operation und Beobachtung, die dann im System erst die Varia­ tionen auslöst, wird ein spezifischer Umweltkontakt des Variationsmechanismus erkennbar. Zwar sind Be­ obachtungen immer auch Operationen des Systems. Jedoch unterscheiden sich Beobachtungs operationen dadurch, daß sie immer schon Operationen der Koppe­ lung des Systems mit seiner Umwelt voraussetzen. Der zeit liche Abstand kann verschwindend gering sein, Operation und Beobachtung können gewisser­ maßen oszillieren oder aber auch durch bestimmte Maßnahmen auseinandergezogen werden. Bei den vorausgesetzten Operationen der Koppelung des Sy­ stems mit seiner Umwelt handelt es sich um Opera­ tionen, die sich - zumindest in der Aktualität des Ope­ rierens, nicht als anschließende Reflexion - der Beob­ achtung entziehen, also gewissermaßen "blind" erfol­ gen und dann erst Kognition ermöglichen. Natürlich ist diese Unterscheidung zwischen Operation und Beobachtung wiederum nur einem Be­ obachter (einschließlich der Selbstbeobachtung) zu­ gänglich. Systemevolution schließt die Geschichte abgelaufener System/Umwelt-Koppelungen ein, die aktuelle Kognition ermöglichen. Sie schließt nicht nur blinde Operationen sondern immer auch schon die Kognitionen ein, die in der Geschichte abgelaufener System/Umwelt-Koppelungen bestätigt oder korrigiert wurden. Die Ergebnisse vergangener kognitiver Ope­

9 rationen sind in einem Gedächtnisspeicher des Sy­ stems (im Falle des Bewußtseins zunächst dem Hirn) gespeichert, auf das das System durch rekurrente Ope­ rationen zurückgreifen kann.39 Nur so - durch Selbst­ korrektur - wird das kognitive Potential des Systems als Eigenselektivität des Systems gegenüber seiner Umwelt entfaltet. Auf der Ebene der Grundoperationen kognitions­ fähiger Systeme handelt es sich bei der Unter­ scheidung von Medien und Formen um die Unter­ scheidung von Operationen und Beobachtungen. Alle Ergebnisse von Beobachtungsoperationen im System erscheinen als Formen. Alle der Beobachtung voraus­ gesetzten Operationen der System/Umwelt-Koppelung können - aber wiederum nur von Beobachtern - als Medien beschrieben werden. Unter dem Gesichtspunkt der operativen Geschlossenheit der Systeme müssen System/Umwelt-Koppelungen als "lose" Koppelungen bezeichnet werden, während die Formen, die durch Beobachtungsoperationen - im rekurrenten Rückgriff auf den Gedächtnisspeicher - im System erzeugt wer­ den, stets als strik tere ("rigide") Koppelungen erschei­ nen. Diese Unterscheidung gilt freilich so nur auf der Ebene der Grundoperationen, auf der psychische und soziale Systeme ihre System-Umwelt-Koppelung wechselseitig vermittels Mitteilungsmedien vollzie­ hen. Die gattungsgeschichtlich evoluierten und histo­ risch (über Zweit- und Drittcodierung) noch sich wei­ terentwickelnden Medien der Koppelung von Kom­ munikation und Bewußtsein können als Medien erster Ordnung bezeichnet werden. Auf der Grundlage dieser Medienevolution lassen sich dann Medien zweiter Ordnung unterscheiden, in denen Ereignisse, die in Bewußtseinssystemen - etwa Emotionen, Intentionen, Kognitionen - oder in Kommunikationssystemen ­ etwa Geld, Macht, Wahrheit - durch rekurrente Opera­ tionen strikt ge koppelt erscheinen, im Hinblick auf hö­ herstufige Koppelung zu Medien für neue Formbil­ dungen werden.40 Ein derartiger Mediengebrauch fin­ det statt auf der Strukturebene psychischer und sozia­ ler Systeme und ermöglicht erst deren Koevolution. - Variabilität durch lose Koppelung Es ging in diesem Abschnitt darum zu zeigen, daß Kommunikation auf Bewußtsein nur wirken kann über die Inanspruchnahme von Mitteilungsmedien, und daß die Wir kung zunächst einmal nur in der Variation systemspezifisch wahrgenommener Ereignisse des Bewußtseins bestehen kann. Die entsprechenden Operationen des 39

37

Wenn man im Anschluß an die Terminologie von Maturana diesen Zustand als "strukturelle" Koppelung bezeichnet, muß man für Sinnsy­ steme dann unterscheiden zwischen Struktureigenschaften dieser Kop­ pelung, die auf gattungsgeschichtliche Errungenschaften der biologi­ schen Ausstattung des Menschen zurückgehen und darauf aufbauenden koevolutionären Veränderungen dieser Struktur, die durch Evolution der Mitteilungsmedien ausgelöst werden, auch wenn sie an die biologischen Strukturvorgaben gebunden bleiben. 38 Zur Unterscheidung von Operation und Beobachtung für soziale Systeme vgl. LUHMANN in Die Wissenschaft der Gesellschaft S.66

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Ich unterscheide hier zwischen dem Gedächtnis als einer Le istung (Form) des psychischen Systems und dem (systemexternen) Speicher, den es als Medium benutzt. In der neueren Diskussion der Gedächtnis ­ forschung wird allerdings deutlicher (als in meiner Formulierung) jede Analogie zur Speicherverwendung in Computern vermieden. Vgl. S.J.Schmidt (Hg,) Gedächtnis. Probleme und Perspektiven der inter­ disziplinären Gedächtnisforschung, Frankf.M. 1991 Reflexionstheorien können in diesem Sinn dann als Beobachtungsopera­ tionen bezeichnet werden, die ihrerseits die so evoluierten Strukturen als Medien dritter Ordnung gebrauchen i.S. einer erneuten Steigerung der Kontingenz für System/Umwelt-Koppelungen. Vgl. dazu LUHMANN Reden und Schweigen S.11 und Wissenschaft der Gesellschaft.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion Bewußtseins bezeichne ich als Sozialisation. Sozialisation findet statt, wann immer Bewußtsein sich an Kommunikation anschließt und dabei "lernt", sich des symbolisch generalisierten Zeichenvor­ rats der Mitteilungsmedien als Wissen zu bedie nen. Das Ergebnis der Sozialisation verwandelt sich wieder in lose gekoppelte Er­ eignisse, die dem Bewußtsein als Me dien seiner Wahrnehmung zur Verfügung stehen. Die Verfügbarkeit solcher Medien für neue Wahrnehmungen werde ich im Folgenden mit dem evolutionären Mechanismus der Individuation in Verbindung bringen.

Sozialisation und Individuation des Bewußtseins sind in der Autopoiesis des Systems normalerweise gleic h­ zeitig gegeben. Im Hinblick auf die evolutio näre Kop­ pelung des Bewußtseins an Kommunikation können beide Operationsweisen zunächst i.S. der bei jeder Be­ wußtseinsoperation mit laufenden Koppelung von Selbst- und Fremdreferenz unterschieden werden. In der Koevolution von psychischen und sozialen Syste­ men kann die fremdreferentielle Operation als Soziali­ sation, die selbstreferentielle Operation als Indivi­ duation bezeichnet werden. Sozialisation muß deshalb als rekurrenter Variationsmechanismus psychischer Systeme in der Koppelung mit Sozialsystemen be­ zeichnet werden. (Andere Teile der Variation des Be­ wußtseins beziehen sich auf Variationen, die durch die nichtsoziale Umwelt ausgelöst werden.) Auf der Operationsebene des psychischen Sy­ stems müssen stets aufs Neue die symbolischen Kon­ struktionen variiert werden, die den Zugang des Be­ wußtseins zu Kommunikation ermöglichen. Jedoch werden die ge neralisierten Symbole der Kommunika­ tion auf dieser Ebene noch nicht psychisch "angeeig­ net", dh. als Wahrnehmungsschemata fixiert. Der An­ eignungsvorgang muß demge genüber nun als eige n­ ständiger Mechanismus der Selektion auf das rekur­ rente Operieren des Bewußtseins im Medium schon gespeicherter sozialer Symbole zurückgeführt werden.

3. Individuation - Information und Mitteilung Die Vorstellung von einem feststehenden gesellschaft­ lichen Zeichenvorrat, der vom individuellen Bewußt­ sein bloß angeeignet werden könne, erinnert an den "Nürnberger Trichter" und ist ähnlich irreführend. Wie es dem Bewußtsein möglich ist, das Verhalten Ande­ rer als Mitteilung von Informatio nen und Information im Medium der Mitteilung wahrzunehmen, muß als konstruktive Leistung des Bewußtseins rekonstruiert werden. Ob und inwieweit die Wahrnehmung des Be­ wußtseins das wahrnehmbare Verhalten Anderer über­ haupt als Mitteilung interpretiert, hängt von kulturell reproduzierten symbolisch generalisierten Vorgaben ab, also von bereits emergenter Kommunikation. So können beispielsweise nicht nur Menschen sondern auch Tiere 41 und sogar Sachen, nicht nur Anwesende sondern auch der Geist Verstorbener als Quelle von Mitteilungen interpretiert werden. Die Ergiebigkeit

10 dieser Konstruktionen für den evolutionären Aufbau kommunikativer Strukturen ist natürlich verschieden. Einmal zustande gekommen produziert das Be­ wußtsein unablässig Sinn. Die evolutionär folgen­ reichste Form dieser Sinnproduktion ist wohl die Wahrnehmung von Wahrnehmungen Anderer, die die Gleichsinnigkeit dieser Wahrnehmungen unterstellt. Diese Unterstellung hat zur Folge, daß eine zweite Unterscheidung an die Unterscheidung zwischen Wahrgenommenem und Nichtwahrgenommenem (aber Wahrnehmbarem) sich anschließt: die zwischen der Zurechnung der Wahrnehmungen An derer als bloßem Erleben oder als Handeln. Die Zurechnung als bloßes Erleben (Beobachten von seiten des Anderen) ist für den Aufbau kommunikativer Strukturen zu­ nächst folgenlos (wird dann aber als Differenz rele­ vant). Die folgenreiche Zurechnung als Handeln heißt Mitteilung. Die Wahrnehmung von Mitteilungen setzt eine weitere Unterscheidung voraus: die zwischen In­ formation und Mitteilung. 42 Im Hinblick auf die evolu­ tionäre Koppelung mit Sozialsystemen handelt es sich um eine Unterscheidung, ohne die Kommunikation nicht stattfinden könnte. Das heißt jedoch nicht, daß diese Unterscheidung schon zur Beobachtung verwen­ det, also immer die Mitteilungs- oder die Infor­ mationsseite als solche bezeichnet (selegiert) werden muß. - Selektionsfunktion der Bewußtseinsmedien Mitteilungsmedien ermöglichen im Hinblick auf Kommunikation die Operation des Verstehens, also den Anschluß von Bewußtsein an Kommunikation. Sie können das, weil sie im Hinblick auf Bewußtsein die Wahrnehmbarkeit (und damit auch Erin nerbarkeit) symbolisch generalisierter (sprachlicher und außer­ sprachlicher) Zeichen der Mitteilung sichern. Mittei­ lungsmedien sichern aber nicht schon den Erfolg der Kommunikation i.S. der Übernahme der mit der In­ formationskomponente der Kommunikation verknüpf­ ten Selektionen. Sie sichern also nicht die Reprodukti­ on entsprechender Strukturen der Kommunikation. Das ist für die moderne Gesellschaft dann die Funk­ tion funktionssystemspezifischer Kommunikations­ medien. 43 Eine entsprechende Funktion auf der Struk­ turebene psychischer Systeme sehe ich in der Evoluti­ on von Bewußtseinsmedien. Als Bewußtseinsmedien bezeichne ich die lose Koppelung aktueller Wahrnehmungen des Be­ wußtseins mit dem Gedächtnisspeicher des menschli­ chen Gehirns, die dem Bewußtsein durch den rekur­ renten Vergleich mit schon gespeicherten Wahrneh­ mungen überhaupt erst Formwahrnehmungen ermög­ licht. Die Koppelung des Bewußtseins an den lebens­ geschichtlich aufgebauten Gedächtnisspeicher muß als 42 43

41

s. Kindermärchen und -comics

Vgl. Die Wissenschaft der Gesellschaft S. 115ff und SoSy 191ff Für ältere Formen der Gesellschaftsdifferenzierung können vermutlich entsprechende Kommunikationsmedien rekonstruiert werden.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion

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lose Koppelung insofern bezeichnet werden, als das Speichermedium Hirn (ähnlich wie Bücher für Kom­ munikation) zur Umwelt des Systems gehört. Wie lose diese Koppelung ist, zeigt sich zB. auch daran, daß das menschliche Gedächtnis im Lichte aktueller Wahrneh­ mungen weitgehenden Veränderungen unterworfen sein kann. Allerdings ermöglicht der privilegierte Zugriff des Bewußtseins auf dieses Organsystem durch die selektiv strukturierten rekurrenten Ope­ rationen des Bewußtseins selbst strikte Koppelungen i.S. evolutionär unwahrscheinlicher Formwahr­ nehmung. Bewußtseinsmedien enthalten i.S. der skizzierten Medium/Form-Unterscheidung lose gekoppelte Erei­ gnisse, die dem Bewußtsein für seine Formbildungen (also Wahrnehmungen) zur Verfügung stehen. Jene Wahrnehmungen, die über Mitteilungs medien in Kommunikation eingehen, stellen gewissermaßen nur eine schmale Selektion aus dem möglichen (über das körperbasierte Sensorium zugänglichen) Spektrum individueller Wahrnehmungen dar. Die meisten indi­ viduellen Wahrnehmungen sind kommunikativ nicht anschlußfähig, können gerade nicht formuliert werden (und haben dennoch Folgen für weitere Wahrnehmun­ gen). Andererseits wirken gerade jene Wahr­ nehmungen, die über Mitteilungsmedien in Kommu­ nikation eingehen, in besonderer Weise - nämlich als Wissen 44 - auf die Ausdifferenzierung von Bewußt­ seinsmedien zurück. Jene losen Koppelungen, die den Horizont und Kontingenzüberschuß für Wahrnehmun­ gen des Bewußtseins bilden, werden durch symbo­ lische Generalisie rungen sprachlicher und nichtsprach­ licher Art konstituiert, die aus bereits emergenten Strukturen der Kommunikation herrühren.

tionen zeigen sich aller empirischen Wahr nehmung - also jedem neuen Bewußtsein, jedem neuen Gedanken - vorausgesetzte Struk­ turen psychischer Systeme als Medien des Bewußtseins. Es han­ delt sich um einen evolutionären Mechanismus, dessen Selektivität 46 in der Koevolution mit Sozia lsystemen steigerbar ist.

- Emotion, Intention, Kognition

- Mitteilungserleben und -handeln

Sollen psychische Systeme als autopoietische und im Hinblick auf ihre Entwicklung selbstselektive Systeme verstanden werden, ist zunächst die Einheit ihrer Ele­ mentaroperationen zu definieren. LUHMANN hat für Sozialsysteme eine Definition gewählt, in der Kom­ munikation als emergente Einheit durch Operationen anderer (der koevolutionär relevanten organischen und psychischen) Systeme in der Umwelt des Sozia lsy­ stems ermöglicht wird. Zum sozialen Ereignis wird es erst in der Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen. In entsprechender Weise möchte ich hier Bewußtsein selbst als emergente Einheit aus solchen

In seinem Erlebensstrom fühlt sich das Indiv iduum als Teil eines größeren Zusammenhangs - sei es als Ver­ bundenheit mit positiver oder als Abhängigkeit mit negativer Gefühlstönung - eines Zusammenhangs mit anderen Wesen, denen gleichsinniges Erleben unter­ stellt werden kann (nicht notwendigerweise nur, aber normalerweise doch anderer Menschen). Mit seinen Handlungen interpunktiert das Individuum diesen Erlebensstrom in spezifischer Weise. Es lernt an den beobachtbaren Handlungsfolgen, sich selbst als Han­

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Wissen ist keine spezielle Leistung des Bildungssystems. In "Die Wis­ senschaft der Gesellschaft" (S.122) hebt LUHMANN hervor: "sprachli­ che Kommunikation setzt gemein sames Wissen immer schon voraus und käme mit ihrer Autopoiesis zum Stillstand, würde diese Voraussetzung scheitern". In "Das Kind als Medium ..." (a.a.O. S.29) gibt LUHMANN Wissen (und nicht etwa Bildung) dann als die Form an, auf die hin (und nicht Bildung) als Form an, zu der pädagogische Kommunikation "die Möglichkeiten ihres Mediums kontrahiert". Wenn es sich bei Wissen um etwas handelt, was sprachlicher Kommunikation in Bewußt­ seinssystemen generell vorausgesetzt ist, kann es sich m.E. nicht um ei­ ne Form handeln, die dem Medium für pädagogische Kommunikation korrespondiert.

Operatio nen anderer (eben organischer und sozialer) Systeme in der Umwelt des psychischen Systems de­ finieren: als Einheit von Emotion, Intention und Ko­ gnition. 45 Jedes dieser drei Ereignisse kann (von Be­ obachtern) auf Operationen anderer Systeme zurück­ geführt werden. Es wird jedoch im psychischen Sy­ stem zur nicht weiter reduziblen Einheit des Be­ wußtseins. Korrespondierend zur Unterscheidung von Erle­ ben und Handeln in Sozialsystemen kann die Un­ terscheidung von Emotionen und Intentionen als eine allen empirischen Kognitionen des Bewußtseins vo­ rausgehende Struktur des Bewußtseins beschrieben werden. Erleben und Handeln sind mit dem Bewußt­ sein gekoppelte externe (organsystembasierte) Er­ eignisse, deren Wahrnehmung im psychischen System mit Emotionen und Intentionen bezeichnet werden. Jeder Wahrnehmung geht - wie rudimentär auch im­ mer - eine körperbasierte Handlung voraus. Der damit veränderte Wahrnehmungshorizont schlägt sich in ebenfalls organisch basierter Veränderung des Erle­ bens nieder. Der Akzent der Wahrnehmung kann selb­ streferentiell auf Erleben oder fremdreferentiell auf Handeln orientiert sein, jedoch bleiben bei jeder Wahrnehmung Emotionen und Intentionen unter­ scheidbar. Vor jeder (reflexiven) Unterscheidung liegt die mediale Funktion von Emotionen und Intentionen aber darin, daß sie fortlaufend schon Unterscheidun­ gen generieren (also Information im Bewußtsein er­ möglichen). Mit der Unterscheidung von Emotionen und Inten­

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Mit diesem Theorievorschlag möchte ich hier nur die Anschlußstellen für system-, medien- und evolutionstheoretisch ansetzende Beiträge der Psychologie benennen, ohne schon entsprechende Ausführungen ma­ chen zu können. 46 Den springenden Punkt dieser Konstruktion - im Hinblick auf Bildungs­ systemanalyse - sehe ich darin, daß symbolisch generalisierte Kommu ­ nikationsmedien (als evolutionäre Selektionsmechanis men der Kommu ­ nikation) zugleich auf operativer Ebene der strukturellen Koppelung von funktionsspezifischer Kommunikation mit entsprechenden Motiven des Bewußtseins dienen. Hier wird also zu fragen sein, inwieweit das Bil­ dungsmedium Kindheit an bereits sozialisierte Motive anknüpfen kann, die vom kindlichen Be wußtsein bereits - i.S. der wahrnehmungsmedia ­ len Differenzierung von Emotionen und Intentionen - selegiert und re­ stabilisiert worden sind.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion delnden zu beobachten (Handlungsfolgen ein Stück weit schon zu antezipieren) und dieses Selbst als Be­ zugspunkt der Handlungen (und dazu unterstellbaren Erlebens) Anderer wahrzunehmen. Daher führen Handlungen, insbesondere dann Mitteilungshandlu n­ gen, zur Selektion bestimmter Eigenwerte des Be­ wußtseins. Aber nicht nur Mitteilungshandeln sondern auch Mitteilungserleben interpunktiert den Erle bensstrom. Mitteilungserleben ist eine konstruktive Operation des Bewußtseins, die den diffusen Erlebensstrom unter­ bricht. In der Vieldeutigkeit des Verhaltens Anderer wird die Absicht etwas mitzuteilen "erkannt" und eine Information "entnommen". Die Operation besteht in dem - normalerweise nicht bewußten (eben medialen) - Akt der Reduktion von Vieldeutigkeit auf Absicht und Information. Diese Interpretation basiert norma­ lerweise schon auf vorgängigen und gespeicherten Erlebnissen, die das reduktive Unterscheiden (von Information und Mitteilung) ermöglichen. Es scheint sich hier um eine Schleife zu handeln, die durch eine Operation 1. Ordnung (körperbasiertes Handeln, das den Erlebensstrom interpunktiert) in Gang kommt, und die dann durch eine Operation 2. Ordnung durchbrochen werden muß, damit es zu einer individuationswirksamen Selektion kommen kann. Das wäre dann zB. eine Mitteilungshandlung, mittels derer das Bewußtsein sein fortlaufendes Erleben nicht nur unterbricht ("einklammert") sondern sich als Ab­ sender (und ggf. wieder Adressat) von Mitteilungen zu erkennen gibt. Um Kommunikation als eine Einheit verstehen zu können, die in der Ego-Alter-Dimension auf beiden Seiten Bewußtsein voraus­ setzt, scheint es mir notwendig, bezüglich der Operation der Mitteilung zu unterscheiden zwischen Mitteilungshandeln und Mitteilungserleben47, je nachdem ob die beteiligten Personen in der Rolle des Absenders oder des Empfängers von Mitteilungen beteiligt sind. Diese Unterscheidung mag in der einfachen Inter­ aktion oszillierend wechseln und sich daher normalerweise der Beobachtung entziehen. Betrachten wir jedoch die technischen Weiterentwicklungen der visuellen und sprachlichen Interaktion, so sind diese Rollen be kanntlich stärker fixiert, die entspre­ chenden Kompetenzen spezia lisiert und die Rollen funktional ausdifferenziert. Es bleibt jedoch auch unter den Bedingungen technisch erweiterter Mitteilungsmedien normalerweise dabei, daß die Unterscheidung zwischen Mitte ilungshandeln und ­ erleben spontan vollzogen, also der Kommunikation immer schon vorausgesetzt erscheint. 48 Der Unterschied, den ich hier mit Bezug auf Mitte i­ lungsmedien mache, hat Konsequenzen für die Beschreibung der Koppelung von Kommunikation und Bewußtsein auf den verschie denen Systemebenen psychischer Systeme. Die Unter­ scheidung zwischen Information und Mitteilung in der Operati­ 47

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Medientheoretisch geht es hier um eine Verknüpfung der Medium/FormUnterscheidung mit Kommunikation als emergenter Einheit der drei Operationen Information, Mitteilung und Ve rstehen. LUHMANN be­ merkt dazu im wesentlichen nur, daß Verstehen die Operation der Kommunikation abschließt, also erst ermöglicht, und zwar durch Unter­ scheidung von Information und Mitteilung auf seiten des Verstehenden. Er sagt aber (soweit ich das überblicke) nichts über die Operationen, die auf der Seite des Mitteilenden stattgefunden haben müssen, damit In­ formation und Mitteilung unterschieden werden können. Zur zunehmenden Ambivalenz der Mitteilungsmedien für Bewußtsein s. Ausf.im folgenden Abschnitt

12 on des Verstehens, also im Modus des Mitteilungserlebens, im­ pliziert Variationen des beteiligten Bewußtseins 49. Die Unter­ scheidung zwischen Information und Mitteilung in der Operati­ on der Mitteilung selbst, also im Modus des Mitteilungshan­ delns impliziert hingegen Strukturänderungen des Bewußtseins. Sie setzt die selektive Kompetenz des Formgebens (des Aus­ drucks von Information im Medium generalisierter Symbole) voraus.

Auf der Ebene der Grundoperationen des Bewußtseins handelt es sich um die Unterscheidung, ob das betei­ ligte Bewußtsein sich in der Rolle des Absenders oder des Empfängers von Mitteilungen befindet. In der Rolle des Empfängers von Mitteilungen, also in der Operation des Verstehens setzt sich das Bewußtsein (durch Teilnahme an Kommunikation) der Variation aus. Auf der Ebene der Strukturen psychischer Syste­ me werden diese Variationen dann selektionswirksam, wenn das beteiligte Bewußtsein sich in der Rolle des Absenders von Mitteilungen, also zB. des kompeten­ ten Sprechers, befindet. Die Selektion durch entspre­ chende Mitteilungshandlungen bietet allerdings unter den Bedingungen der technischen Heterogenisierung, Vervielfältigung und funktionalen Differenzierung der Kommunikation auch keine abschließende Garantie für die Stabilität solcher Selektionen. - Selektivität durch Strukturbildung Ich habe bisher v.a. in temporaler Hinsicht unterschieden zwischen Vorgängen, die koevolutio näre Veränderungen des Bewußtseins (i.S. des evolutionären Mecha nismus der Variation) auslösen und möglichen Wirkungen dieser Prozesse in der Strukturveränderung psychischer Systeme. Schon bei der durch die bloße Teilnahme an Kommunikation ausgelösten Veränderung des Bewußtseins, die ich als Sozialisation bezeichnet habe, handelt es sich um eine selektive Wahrnehmung des Bewußtseins. Die Selektion bezieht sich jedoch (fremdreferentiell) auf die Ereig nisse der Kommunika­ tion und nicht schon (selbstreferentiell) auf strukturrele vante Ei­ genzustände des psychischen Systems.

Als Individuation habe ich solche Veränderun­ gen des psychischen Systems bezeichnet, die nicht nur in einer Veränderung des dem Bewußtsein verfügba­ ren symbolisch generalisierten Zeichenvorrats sondern auch in einer Veränderung der selektiven Wahrneh­ mungsschemata, der Medien des Bewußtseins re­ sultieren. Individuation findet nicht auf der Ebene der Grundoperationen des Bewußtseins und der Kom­ munikation sondern auf der Ebene der Selbststruktu­ rierung (und Differenzierung) psychischer Systeme statt. Diese Systemebene entzieht sich bei auto­ poietischen Systemen der direkten Koppelung. Indivi­ duation ist also insofern nicht direkt durch Kommuni­ kation beein flußbar, wiewohl sie eine elementare Vor­ aussetzung der Koevolution - und damit wiederum auch erneuter Sozialisation - bildet. Sinnsysteme sind evolutionär ausgezeichnet durch ihre besondere Beobachtungsfähigkeit. Systeme mit einer Beobachtungsfähigkeit zweiter Ordnung entwickeln nicht nur gesonderte evolutio näre Mecha­ 49

"Zunächst sozialisiert das kommunikative Geschehen selbst ..." LU HMANN Soiale Systeme S.330.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion nismen der Variation (für das Unterscheiden) und der Selektion (für das Bezeichnen der Beobachtung) son­ dern bedürfen auch eines davon unabhängigen Me­ chanismus der Restabilisie rung. 50 Dies gilt in je ver­ schiedener Weise für psychische und soziale Systeme. Wenn im Hinblick auf die Evolution psychischer Sy­ steme die Operation der Sozialisation als Variations­ mechanismus unterschieden werden kann von der Operation der Individuation als Selektionsmecha­ nismus, dann muß nun gefragt werden, durch welche Veränderungen der System-Umwelt-Koppelung des Bewußtseins beide Operationen ausein andergezogen und rekombiniert (gekoppelt und entkoppelt werden) können.

13 len Wahrnehmung zu verändern. Noch weniger löst jede Kommunikation in diesem Sinne schon Reflexi­ onsvorgänge aus, indem sie das Bewußtsein zur Re­ flexion seiner Selbstbeschreibungen und damit zu einer Änderung seiner Differenzierungsstruktur zwingt. Als Reflexion werde ich im Folgenden solche Veränderungen des Bewußtseins bezeichnen, die in einer veränderten Selbstwahrnehmung des Bewußt­ seins resultieren. Reflexion setzt voraus, daß im psy­ chischen System ein Teilsystem ausdifferenziert wird, dessen Operationsweise darauf spezialisiert ist, die Einheit des Bewußtseins als Selbst in sachlicher, so­ zialer und zeitlicher Dimension zu rekonstruieren. - Reflexion als Selbstbeobachtung zweiter Ordnung

4. Reflexion - Differenzierung des Bewußtseins Ich habe eingangs die Frage aufgeworfen, inwiefern für psychische Systeme nicht nur ein Selekti­ onsmechanismus sondern unabhängig davon auch ein Stabilisierungs mechanismus zu beschreiben ist (oder ob man hier wie bei organischen Systemen mit sele k­ tiver Retention auskommt). Wenn heute auch für be­ wußtseinsbasierte Systeme gesagt werden kann, daß sie ihre evolutionäre Stabilität - egal ob positiv oder negativ selegiert wurde - der Offenheit für erneute Variation verdanken, dann muß wohl auch (vielleicht sollte man wegen der größeren Nähe des Bewußtseins zur orga nischen Evolu tion sagen: schon) hier ein ge­ sonderter Restabilisie rungsmechanismus angenommen werden. Bei der folgenden Beschreibung handelt es sich nicht nur um eine gesteigerte, fortgeschrittenere Form der Differenzierung von Sozialisations- und Individua­ tionsvorgängen (deren Möglichkeit ja bereits in der einfachen Ego-Alter-Beziehung kommunikativer In­ teraktion angelegt ist) sondern um die Ausdifferenzie­ rung eines evolutionären Restabilisierungsmechanis­ mus des Bewußtseins, der Selektivität und Variabilität (Geschlossenheit und Offenheit) des Bewußtseins rekombiniert. Ich nenne diesen Mechanismus im An­ schluß an den üblichen Sprachgebrauch Reflexion. Sozialisation und Individuation setzen die Syn­ chronisation der Grundoperationen psychischer und sozialer Systeme, also auch das Zustandekommen von Bewußtsein und Kommunikation, schon voraus. Nicht jede sozialisationswirksame Kommunikation löst auch entsprechende Individuationsvorgänge im Bewußtsein aus. Individuationsvorgänge werden ausgelöst, wenn das Bewußtsein - bei Gefahr des Mißlingens des An­ schlusses an Kommunikation - sich gezwungen sieht, die im Bewußtsein verfügbaren Schemata seiner sozia­ 50

Vielleicht kann man auf dieser Allgemeinheitsstufe formulieren, daß Beobachtung als Einheit der Differenz von Unterscheidung und Be­ zeichnung sonst nicht stabilisierbar wäre. Vgl. LUHMANN, Die Wis­ senschaft der Gesellschaft S. 81f

Als individuationswirksam können alle Operationen bezeichnet werden, in denen das psychische System selbst (und nicht etwa nur ein Beobachter wie zB. wenn ein Biologe über ein Organsystem spricht) zwi­ schen Innen und Außen, System und Umwelt unter­ scheidet. Das System kann im Medium dieser Unter­ scheidung - unter selektiver Heranziehung des Ge­ dächtnisspeichers bezüglich vergangener Wahrneh­ mungen - etwas beobachten. Das heißt noch nicht, daß diese Differenz im System selbst reflektiert wird, daß also das System sich selbst und Andere mithilfe dieser Unterscheidung beobachten kann. Reflexiv wird diese Unterscheidung erst dann, wenn in einem Kommuni­ kationsvorgang zwischen der Wahrnehmung der In­ formation (etwa dem Thema) und der Wahrnehmung der Mitteilung (etwa der Ego -Alter-Beziehung) unter­ schieden wird. Selbstbeobachtung ist eine Form der Wahrneh­ mung, die jedem Sinnsystem zur Verfügung steht (im­ mer schon mitvollzogen wird). Jedoch entzieht sich das spontan operierende System stets der Selbstbeob­ achtung. Es kann sich nur im Lichte abgelaufener Operationen und Beobachtungen objektivieren. 51 Die Einheit der Differenz zwischen dem spontan operie­ renden Bewußtsein und der durch Vergleichsmög­ lichkeiten (im Gedächtnisspeicher) objektivierbaren Einheit des Bewußtseins kann nur durch eine Selbst­ beobachtung "zweiter Ordnung" - als Reflexion - re­ konstruiert werden. . Wenn in der sozialpsychologischen Literatur In­ dividuation selbst als Prozeß (und damit steige­ rungsfähige Form) der Individualität des Bewußtseins beschrieben wird, und andererseits diese Steigerung nur als Differenzierung des Systems (als Repräsentanz des Systems im System) beschrieben werden kann, so liegt darin eine Paradoxie. Diese Paradoxie - Indivi­ dualität durch Differenzierung, Einheit durch Teilung ­ bleibt dem Bewußtsein jedoch normalerweise verbor­ gen, wird nicht bewußt, wenn es sich an Kommunika­ tion beteiligt und dabei sich selbst als Teilnehmer 51

Es handelt sich hier um eine ähnliche Unterscheidung wie die des "I" und "Me" G.H.Meads


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion identifiziert. Sie kann allerdings bewußt werden, wenn aus Gründen der besonderen Selektivität der Kommu­ nikation selbst die Frage der Identität (des Bewußt­ seins) der Teilnehmer in der Kommunikation mit­ kommuniziert wird. Dann wird die Paradoxie der Re­ präsentation der Einheit des Bewußtseins im Bewußt­ sein zum Problem und zum Anlaß spezifischer An­ strengungen zur (erneuten) Entparadoxierung. Vielleicht kann man sagen, daß menschliches Bewußtsein damit gattungsgeschichtlich zum ersten Mal gezwungen ist, die Entparadoxierung seiner Selbstidentifikation nicht mehr durch Projektion auf Sozialsysteme sondern bewußt selbstreferentiell zu lösen. Das kann nur durch Dif ferenzierung des Be­ wußtseins selbst geschehen. Ein Ergebnis dieser für Bewußtsein in der Umwelt funktional differenzierter Sozialsysteme - unter Zuhilfenahme entsprechender Kommunikation - zunehmend erforderlichen Bemü­ hungen besteht darin, daß der Individualität des Be­ wußtseins eine Art exterritorialer Status jenseits aller sozia len Inklusionen zugewiesen wird. 52 Das psychi­ sche System muß ein Teilsystem ausdifferenzieren, dessen Operationen eine fortlaufende Reflexion seiner Selbstbeschreibungen i.S. der Einheit des Systems jenseits aller Teilinklusionen ermöglichen. - Gesteigerter Reflexionsbedarf des Bewußtseins Die Selbstbeobachtung des individuierten Bewußt­ seins, die durch funktionale Differenzierung und die entsprechende Individualisierung der Kommunikation ausgelöst wird, muß im Zusammenhang mit den ge­ steigerten Voraussetzungen an die Sozialisiertheit des Bewußtseins gesehen werden, der durch die Evolution der Mitteilungsmedien und die entsprechende Multi­ plizität der Kommunikation hergestellt wird. In der funktional differenzierten Umwelt der Moderne werden die Ego-Alter-Beziehungen funk­ tionssystemspezifisch rekonstruiert. Jedes Ego erfährt sich nur als Teil-Ego, das von Alter adressiert wird. Es muß lernen, seine Einheit jenseits der Kommunikation zu reflektieren. In der einfachen Ego-Alter-Beziehung ist es die Wahrnehmung des Anderen, die zugleich Sozialisations- und Individuationsvorgänge auslösen kann. Sobald sich die Wahrnehmung des Anderen von seinem konkreten Verhalten ablöst, sobald daran sym­ bolisch generalisierbare Zeichen erkennbar werden ­ und vorher ist es ja keine Kommunikation - beginnt auch schon die Unterscheidung der Wahrnehmung von Information und der Wahrnehmung des Mittei­ lungsverhaltens, das ein individuell ausdifferenziertes System als Adressaten unterstellt. Mit der Evolution der Mitteilungsmedien wird der symbolisch generalisierte Zeichenvorrat in immer 52

Ein anderes Ergebnis ist zu erkennen in der Steigerung der Erwartungen an persönliche Beziehungen, an Intimkommunikation, als der Form der Kommunikation, in der noch eine Transzendierung der Individualität des Bewußtseins erlebt werden kann.

14 größerem Maße von lebendigen Personen abgelöst und damit die für die für die Beteiligung des Bewußtseins an Kommunikation konstitutive Unterscheidung von Information und Mitteilung, einschließlich der Selbst­ identifikation als Adressat der Mitteilung, zu einem wachsenden Problem. Auf der Ebene einfacher Inter­ aktionen - etwa noch in der Oralkultur von Stammes­ gesellschaften - läßt sich wahrscheinlich eine Diffe­ renzierung zwischen Sozialisations- und Indivi­ duationsvorgängen nur insoweit rekonstruieren, als an jedem - durch Variation der Kommunikation angereg­ ten - Sozialisationsvorgang, also in der selektiven Selbststrukturierung des Bewußtseins - auch eine re­ tentive Komponente beobachtet werden kann, die dem Vorgang der Individuation i.S. einer erneuten Schlie­ ßung des Systems entspricht. Die abgelaufenen Resul­ tate von Sozialisation und Individuation zusammen bilden auf dieser Stufe gesellschaftlicher Differenzie­ rung die Art von loser Koppelung im Bewußtsein, die als Medien des Bewußtseins jeder erneuten Selektion vorausgesetzt sind. Mit der Ablösung der Mitteilungsmedien von le­ benden Personen zugunsten von Schrift - und sprung­ haft gesteigert dann mit deren technischer Reprodu­ zierbarkeit - fallen Sozialisations- und Individuations­ vorgänge zunehmend auseinander. Ähnlich wie in der Evolution der Gesellschaft genügt es damit nicht mehr, zwischen Mechanismen der Variation (Mittei­ lungsmedien) und der retentiven Selektion zu unter­ scheiden. Es differenziert sich ein vom Selektionsme­ chanismus (der Bewußtseinsmedien) unabhängiger Mechanismus der Restabilisierung des Bewußtseins aus. Der selb ständig gewordene Mechanismus der Restabilisierung (Reflexion) löst sich von dem eher konservativen Mechanismus der Selektion ab und ermöglicht eine Rekombination mit (erneuter) Variati­ on. Hierin liegen nun einerseits erhebliche Vorteile für - u.a. auch pädagogisch erwünschte - Sozialisa­ tionsprozesse des Bewußtseins, andererseits auch - im Zusammenhang mit der Entwicklung der Mittei­ lungsmedien häufig beschworene - Gefahren für eine stabile Entwicklung des Bewußtseins. - Ambivalenz der Mitteilungsmedien Soziale Systeme haben kein Instrumentarium zur sin n­ lichen Wahrnehmung ihrer Umwelt. Sie benötigen dazu Menschen, weil menschliches Bewußtsein über die Koppelung mit menschlichen Organsystemen eine Schnittstelle zur sinnlich-physischen Welt hat. Dies vorausgesetzt können Sozialsysteme aber menschliche Wahrnehmungen und Mitteilungen zu Sinnselektionen verketten, die in anderen Medien/Form-Beziehungen der Kommunikation nicht zugänglich wären. Die Er­ weiterung der Kommunikation ist möglich, weil das jeweilige Medium an sich - und nicht die spezifische Sinnselektion - das Bewußtsein fasziniert. Aber was


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion

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an den Mitteilungsmedien ist es eigentlich, das diese Anziehungskraft auf Bewußtsein ausübt? Bei allen die Grenzen der Interaktion unter An­ wesenden mit technischen Mitteln überschreitenden Medien liegt eine gewisse Ambivalenz des Mediums gegenüber Kommunikation vor. Es bleibt ja durchaus ungewiß, ob die im Medium exerzierte Operation - die Mitteilungshandlung oder Übertragung - am Ende in Kommunikation eingeht oder nicht. Jede der drei Komponenten von Kommunikation - Information, Mitteilung und Verstehen - ist ein kontingentes Ereig­ nis. Mitteilungs operationen erzeugen doppelte Kon­ tingenz - wenn sie von einem Bewußtsein als solche wahrge nommen (verstanden) werden. Aber nichts zwingt das Bewußtsein, seine Wahrnehmung (zB. bei der Lektüre einer Zeitschrift im Wartezimmer eines Zahnarztes) auf den Informationscharakter des Ge­ lesenen zu richten. Wer nur die Zeit "totschlagen" möchte, interessiert sich nicht für den Wahrheitsgehalt des Gelesenen. Er braucht sich keine Rechenschaft darüber zu geben, worin die "Botschaft" bestand. Er kann seine Wahrnehmung vom Medium "faszinieren" lassen, ohne sich dadurch zur Teilnahme an Kommu­ nikation "mitreißen" zu lassen. 53 Ich habe ein Beispiel mit Printmedien gewählt, weil mit Bezug auf das Fernsehen die Ansicht ohnehin verbreitet ist, daß es mit Kommunikation nichts zu tun habe. MacLuhans Formel "das Medium ist die Bot­ schaft" deutet es schon an: was immer mit dem Medi­ um gesagt oder mit dem Gesagten gemeint sein soll, ist gleichgültig - entscheidend ist die - ggf. Raum und Zeit übergreifende - Verbindung, die sich in der Wahr­ nehmung herstellt. 54 Dabei ist m.E. nicht zu bestreiten, daß z.B. das Fernsehen Informatio nen mitteilt, die zu Bestandteilen von Kommunikation in emergenten So­ zialsystemen werden.55 Allerdings ist das Gelingen von Kommunikation unter Verwendung dieser Medien an gesteigerte Voraussetzungen (der Selektivität) in der Evolution der Bewußtseinsmedien gebunden. Je weiter die Operationen der Mitteilung und des Verstehens raum/zeitlich auseinandergezogen sind, de­ sto mehr steht es in der Freiheit der Rezipienten 56, ob sie eine Mitteilung als solche (und damit doppelte

doppelte Kontingenz) wahrnehmen oder ob sie dieses Vorkommnis auf eine bloße Wahrnehmung (einfache Kontingenz) reduzieren. Streng genommen ist es eben nur in der Interaktion unter An wesenden schwer, "nicht zu kommunizieren". 57 Die Verselbständigung der Mitteilungskompo­ nente ist keineswegs ein Phänomen, das erst bei den neuen Medien auftritt. Die gattungsgeschichtliche Grundlage ist die durch Mitteilungshandlungen herge­ stellte Bindung zwischen zwei (oder mehr) Personen ­ jenseits des Inhalts der Mitteilung. Bereits in einfa­ chen Interaktionssystemen kann das Hören sich offen­ kundig gegenüber dem Wahrnehmen des Inhalts (dem Verstehen) verselbständigen. Begriffe wie "Hörigkeit" bezeichnen diesen gattungsgeschichtlich ererbten Aspekt der Verselbständigung der Mitteilungs- und Beziehungsebene der Kommunikation. 58 Die Mög­ lichkeit der Verselbständigung der Mitteilungskompo­ nente der Kommunikation als Bindungs- und Bezie­ hungssuggestion läßt sich in allen Mitteilungsmedien rekonstruieren. Beim Rundfunk ist es das bloße Hören von Stimmen, oder sogar des Rythmus einer Musik (Herzschlag). Beim Fernsehen der "Blickkontakt" mit dem Sprecher, der in die Kamera blickt, aber auch das Wiedererkennen vertrauter Personen und Dekors in Serien. All dies hat die selbe Funktion wie der "small talk" in der Alltagskommunikation, bei dem ebenfalls der Informations- hinter dem Mitteilungsaspekt zu­ rücktritt. Im Unterschied zu dem Selektionsdruck, der sich bei jeder Formwahrnehmung ergibt, kann die Verselb­ ständigung des Mitteilungsmediums gegenüber der Form der Restabilisierung der Wirklich­ keitswahrnehmungen des Bewußtseins dienen. 59 Diese Verselbständigung, die die spontane Enttauto­ logisierung der Selbstreferenz des Bewußtseins stört, ist keineswegs bloß eine Kommunikation "deformie­ rende", gewissermaßen pathologische Möglichkeit. Sie läßt sich auch als Regression im Dienste der Entwic k­ lung des Bewußtseins beschreiben. 60 Das Verschwin­ den des Mediums hinter der Form kann durch Reflexi­ on über das Medium blockiert werden. Wenn dies gezielt geschehen soll, solche Reflexionsleistungen

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Kommunikation und gleichzeitig die Möglichkeit der Ablehnung. Das Annehmen der Mitteilung geht mit der Möglichkeit (und gesteigerten Wahrscheinlichkeit) der Ablehnung des Mitgeteilten einher. Mittei­ lungsmedien ermöglichen Kommunikation nur um diesen Preis. Um die Unwahrscheinlichkeit der Annahme des Mitgeteilten selbst in Wahr­ scheinlichkeit zu transformie ren, bedarf es der symbolisch genera­ lisierten Kommunikationsmedien. 57 So die häufig zitierte Reduktionsformel P. Watzlawicks 58 Argument von Doelker, S. 138f 59 Vielleicht ist es dieser Stabilisierungsaspekt einer Kommunikation ohne Inhalt für die Wirklichkeitswahrnehmung, die Heinz v. Förster mit der ­ ein wenig dunkel gehaltenen - Andeutung meint, daß die Wahrnehmung einer "Beziehung zwischen dem Du und dem Ich" die Überwindung des konstruktivistischen Solipsis mus bringe. Das Konstruieren von Wirk­ lichkeit, in: P. Watzlawick (Hg.) Die erfundene Wirklichkeit, München 1985, S. 59 60 Vgl. Freuds entsprechende Formel. Das Moderne hieran ist, daß Regres­ sionsphänomene als Teil "normaler" Entwicklung gedeutet und nicht im Stile alteuropäischer Interventionspädagogik abgewehrt wird.

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vgl. LUHMANN Reden und Schweigen S.12 - hier allerdings kein Hinweis auf die mitlaufende Möglichkeit der Entkoppelung von Wahr­ nehmung und Mitteilung Doelker verweist auf eine Reihe von gattungsgeschichtlich evoluierten Verhaltensmustern, die auf die bildliche Wahrnehmung - insbesondere bewegter Bilder - reagieren. Auch auf den ersten Blick entgegengesetzt erscheinende Verhaltensmuster wie zB. Meditation - Doelker a.a.O. S107ff . Ein solcher Rekurs kann wahrscheinlich erklären, wie es kommt, daß bei den elektronischen Bildmedien, stärker als bei den Printmedien, Möglichkeiten zum Zuge kommen, die Differenz zwischen Information und Mitteilung zugunsten der Mitteilungskomponente im Medium zu ignorieren. Aktuelles Beispiel die Rolle des Fernsehens bei den Volkserhebungen in Osteuropa "Rezipieren" kann eben beides heißen: aufnehmen und annehmen. (vgl. Doelker S. ...) Ersteres bezieht sich auf die bloße Wahrnehmung und impliziert keinerlei Stellungnahme zu der Information als Mitteilung. Rezipieren i.S. von annehmen bezieht sich auf den Charakter der Infor­ mation als Mitteilung. Die Wahrnehmung dieser Differenz konstituiert


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion also erwartet werden, dann bedarf es dafür entspre­ chender Ein richtungen der Gesellschaft. 61 Die in Mitteilungsoperationen verwendete "Sprache" muß erlernt werden, damit Kommunikation stattfinden kann. Bei jedem Lernvorgang geht es um die Rückkoppelung an Primäradaptionen des Bewußt­ seins, die sich ontogenetisch in einfacher Interaktion herausgebildet haben. Mitteilungsoperationen sichern sich die nötige Aufmerksamkeit anderen Bewußtseins dadurch, daß im Medium selbst das Bin dungspotential der Kommunikation sich ausdrückt. 62 Die gattungsge­ schichtlich für die mediale Koppelung zur Verfügung stehenden symbolischen und metabolischen Elemente sind deshalb wahrscheinlich keineswegs beliebig. Der Bindungs- und Beziehungsaspekt des Mediums ver­ schafft dem Bewußtsein die notwendigen Motive, sowohl um den kulturell geteilten Symbolvorrat des Mitteilungsmediums zu erlernen63, wie auch um (krea­ tiv handelnd) Beiträge für neue symbolische Gene­ ralisierungen in die Kommunikation einzubringen. Die Verselbständigung des Mediums für Bewußtsein kann so zur Voraussetzung der Koevolution von sozialen und psychischen Systemen werden. Die Grenzziehung zwischen eher regressiver und eher reflexiver Verwendung von Mitteilungsmedien ist selbst eine höchst unwahrscheinliche Konstruktion der Kommunikation (der Psychologie und unter prakti­ schen Gesichtspunkten dann der Pädagogik 64). Die Unterscheidung zwischen Mit teilungshandeln und ­ erleben wird dann reflexiv, wenn nicht mehr nur die Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung sondern das Medium selbst beobachtet wird, in dem diese Unterscheidung getroffen wird. Die Rolle des Mitteilungshandelnden wird der Selbstbeobachtung unterzogen - und damit einerseits im spontanen Voll­ zug blockiert und andererseits mit erneuter Variation gekoppelt.

16 psychischen System voraus. Der Mechanismus der Reflexion ermöglicht den fortlaufenden Wechsel zwi­ schen Koppelung und Entkoppelung, zwischen Sozia­ lisation und Individuation, zwischen erneuter Variati­ on und Selektion. Die Umweltanpassung des psychi­ schen Systems wird damit steigerbar im Hinblick auf die besonderen Erfordernisse einer funktional diffe­ renzierten, multimedialen Kommunikation, ohne daß eine direkte Koppelung mit der sozialen Umwelt auf dieser Ebene ange nommen werden muß. Die skizzierte Zuordnung der Mechanismen hat m.E. den Vorteil, das zunehmende Auseinandertreten von Selektion und Restabilisierung mit Bezug auf soziale Systeme als Dissoziation von Sozialisations­ und Individuationsbedingungen bei zunehmender Rückkoppelung (dh. nicht: Verschmelzung!) von Sta­ bilisierung mit erneuter Varia tion erklären zu können. Hier liegt auch eine Möglichkeit zur Erklärung des zunehmenden Risikos, statt reflexiver Stabilisierung bloß Regression des Bewußtseins zu erreichen. An diesem Punkt möchte ich auf den möglichen Beitrag der pädagogischen Kommunikation zurückkommen. Zuvor ist jedoch noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Darstellung der drei evolutionären Mechanismen des Bewußtseins nicht als eine ontogenetische Stufenfolge zu ver­ stehen ist. Sozialisation setzt normalerweise Individuation schon voraus, so wie das sozialisationswirksame Verstehen einer Mit­ teilung bereits die Sprachkompetenz voraussetzt, die jedoch erst durch Sprechhandlungen erworben wird. Unter den Bedingun­ gen funktionaler Dif ferenzierung setzt Sozialisation nicht nur Individuation und eine entsprechende Differenzierung des Be­ wußtseins sondern auch eine Verknüpfung dieses Restabilisie­ rungsmechanismus mit erneuter Sozialisation voraus. Wir haben es also mit einem kreisförmigen Zusammenwirken der drei evo­ lutionären Mechanismen des Bewußtseins zu tun. 65 In der Be­ schreibung einer bestimmten (ontogenetischen) Ent­ wicklungsstufe des Bewußtseins ist prinzipiell von einer Gleich­ zeitigkeit der Mechanismen Sozialisation, Individuation und Re­ fle xion auszugehen. Andererseits unterliegen diese Mechanis­ men selbst der Evolution, werden also in der Ontogenese des Bewußtseins erst entfaltet. Dieser Aspekt soll im folgenden Ex­ kurs verdeutlicht werden, bevor ich abschließend auf die Wir­ kung pädagogischer Kommunikation zurückkomme.

- Stabilität durch Binnendifferenzierung Ich habe versucht zu zeigen, warum Individuati­ on als Selektionsmechanismus der Variationen des Bewußtseins durch einen Restabilisierungsmechanis­ mus unterstützt werden muß. Die Stabilisierung des Bewußtseins im Kontext moderner Sozialumwelt setzt die Ausdifferenzierung einer Reflexionsinstanz im 61

In traditionellen Gesellschaften etwa Rituale, Feste etc.

Vgl. das "illokutive" Potential der sprachlichen Kommunikation bei

Habermas nach Searle. Diese Rekonstruktion von Bindungspotential ist aber zu unterscheiden von jeglichem Bindungsautomatismus, also Zwang. In ontogenetischer Perspektive geht es um die Rekonstruktion der frühkindlichen Symbiose und ihrer lebensgeschichtlichen Auflö­ sung. 63 Ein Beispiel sind die freiwilligen Sprachkurse in VHSen. 64 Die hier skizzierten Ausführungen im Hinblick auf die Möglichkeit der Regression des Bewußtseins auf Mitteilungserleben schließen an die im 3.Teil (zur Erklärung des Selektionsmechanismus Individuation qua Mitteilungshandeln herangezogene) Unterscheidung von Mitteilungser­ leben und -handeln an und verweisen auf den im folgenden behandelten Beitrag der pädagogischen Kommunikation zur Erlangung der Komp e­ tenz, zwischen Mitteilungserleben und -handeln reflexiv umschalten zu können. 62

- Exkurs über Stufen psychischer Entwicklung Im Folgenden soll umrißhaft deutlich werden, wie psychische Systeme unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung sich entwickeln können - einerseits als zunehmende Geschlossenheit i.S. der Exklusivität des Bewußtseins gegenüber Sozia lsyste men und andererseits als zunehmende Offenheit gegenüber der Kom­ plexität von Welt i.S. eines individuellen Bildungsprozesses - ohne hier schon auf die spezifische Funktion pädagogischer Kommuni­ kation für Bewußtseinsentwicklung vor zugreifen. Die Dreistufig­ keit dieses Entwicklungsmode lls ist natürlich bloß als vereinfa­ chende Annahme zu verstehen. Außerdem wird der koevolutionäre Einfluß von Reifungsprozessen des Organismus 66 mit bezug auf die Stufenwechsel vor ausgesetzt und nicht ausdrücklich themati­ siert. Zur Zeitdimension ist vorab zu bemerken, daß die drei Ebe­ nen der Selbstreferenz evolutionär aufeinander aufbauen, aber nicht einander ablösen. Dies impliziert, daß keineswegs jedes psySozialisation � 66

Individuation � �

Reflexion �

insbesondere des ZNS - vgl. Kagan, Asendorp


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion chische System in seiner kognit iven Entwicklung die dritte Stufe überhaupt erreichen muß, daß aber jedes System auf der höheren Stufe selbstreferentielle Operationen der darunterliegenden Stufe weiter verwendet. 1. Auf der Ebene der basalen Selbstreferenz psychischer Systeme handelt es sich um das Problem der System/Umwelt-Differenz i.S. der Umweltwahrnehmung schlechthin. Bewußtseinsmedi­ en, die dem kindlichen Organismus in rudimentärer (dh. nicht­ sozialisierter) Form von Anfang an zur Verfügung stehen, er­ lauben es, sensorischen Eindrücken eine sinnhafte Form zu geben. Dabei spielt es anfangs eine große Rolle, daß bestimm­ te sensorische Eindrücke vom Organismus aufgrund seiner gattungsmäßigen Ausstattung "erwartet" werden. Welche Ein­ drücke das sind, ist in phasenspezifischen Programmen festge­ legt. Bestimmte Eindrücke werden durch Wie derkehr verstärkt oder durch ihr Ausbleiben hervorgehoben. All dies ist nicht nur vorsprachlich sondern auch noch keine Kommunikation, aber schon sinnhafte Wahrnehmung, also ba­ sale Selbstreferenz des Bewußtseins. Medium der Wahrneh­ mung sind die sensorischen Reize, die über den Wahrneh­ mungsapparat ins Bewußtsein interpenetrieren, ge wissermaßen den Leerlauf des Bewußtseins unterbrechen (asymmetrisieren) und damit zum Aufbau des Bewußtseins beitragen. Sowohl ein Zuviel wie auch ein Zuwenig an (aufgrund der Vorprogram­ mierung) "erwarteten" Reizen kann die basale Selbstreferentia­ lität des Bewußtseins stören. Es kann zB. ein evoluiertes Sy­ stem regredieren lassen wie im Falle des frühkindlichen Hospi­ talismus. 2. Auf der Stufe der Ausbildung rekursiver Selbstreferenz des Bewußtseins handelt es sich um das Problem der Unterschei­ dung von System und Umwelt in dem Sinne, daß das System sich selbst eine Identität zuschreibt, die es von seiner Umwelt (Personen und Sachen) unterscheidet (dh. nicht etwa, daß es die Differenz als solche schon reflektiert). Dies geschieht auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen Vorher und Nachher, mit der eine Reihe von Elementarereig nissen als zu­ sammengehörig gefaßt werden. Das Selbst, auf das die Sy­ stemoperationen sich beziehen, erscheint als Prozess (Konti­ nuität des Bewußtseins). In der Sozia ldimension der EgoAlter-Beziehung geht es auf dieser Stufe nicht schon um um die Reziprozität der Perspektiven sondern (mit der Auflösung der frühkindlichen Symbiose um den 6. Lebensmonat) um die Wahrnehmung anderen Bewußtseins überhaupt. Ebenso wie in der Beziehung auf andere Objekte geht es zunächst ein mal um die Konstruktion des permanenten Objekts in der Wahrneh­ mung. 67

Die Wahrnehmung anderen Bewußtseins vermittelt sich dem Bewußtsein über Mit teilungsmedien. Mittei­ lungsoperationen sind stets sinnlich wahrnehmbare Operatio nen, an denen das Bewußtsein ablesen kann (auch wenn es sonst nichts versteht) daß ein anderes Bewußtsein versucht zu kommunizieren. Der Ge­ brauch von Mitteilungsmedien läßt (doppelte) Kontin­ genz in der Wahrnehmung erkennen. Mitteilungs­ medien erlauben es dem Bewußtsein, aus der Vielzahl möglicher Wahrnehmungen in der Umwelt, die Wahr­ nehmung von Intentionalität anderen Bewußtseins herauszufiltern. Wie unsicher diese Wahrnehmung bei Kleinkindern zunächst ist, zeigt sich an der komple­ mentären Wahrnehmung des Unterschieds zwischen lebenden und toten Objekten, denen häufig ebenfalls Bewußtsein unterstellt wird. Pathologische Ent­ wicklung der Wahrnehmung kann sich auch auf Sa­ chen in der Umwelt beschränken, bzw. dann Men­ 67

Vgl. Piaget und Spitz

17 schen als Sachen behandeln. Ich vermute, daß es die wiederkehrende Wahrnehmung solcher Intentionen und die daraus resultierende Erwartung der In­ tentionalität des anderen Bewußtseins ist, die dann zur primären Emergenz einer Bewußtsseinsstruktur mit rekursiver Selbstreferenz der Operatio nen führt. Diese wäre zugleich die Grundlage für die primäre Emer­ genz eines sinnkonstituierten Sozialsystems nach der Symbiose in der Eltern-Kind-Interaktion (der Sonder­ fall einer gleichzeitigen Doppelemergenz in der Onto­ genese). 3. Auf der Stufe der Reflexion handelt es sich um selbstreferentielle Operationen des Bewußtseins, die mit dem Problem der Entscheidung über kontin­ gente Anschlußmöglichkeiten umgehen. Das Bewußt­ sein nimmt dabei nicht nur die Differenz zwischen sich und seiner Umwelt wahr sondern beginnt, sich selbst aus verschie denen Perspektiven seiner Umwelt ­ und damit die Einheit der Differenz von System und Umwelt - zu reflektieren. Diese Stufe wird normaler­ weise nicht vor dem 12. Lebensjahr erreicht 68 und impliziert strukturell nicht abschließbare Entwick­ lungsmöglichkeiten des Bewußtseins. In der Moderne wird der Ausbau dieser Entwicklungsstufe des Be­ wußtseins methodisch gefördert in der schulischen Kommunikation über Mitteilungsmedien (als reflexive Flexibilisierung der Verfügung über die in Stufe 2 bereits angeeigneten Kompetenzen). In sozialer Hinsicht handelt es sich um die Wahrnehmung von Strukturen der Kommunikation jenseits der Interaktion unter Anwesenden, d.h. in modernen Ge sellschaften um funktionssy­ stemische Kommunikation. Wenn Bewußtsein an den kon­ tingenten Strukturen funktionssystemisch differenzierter Kom­ munikation teilnehmen will, muß es situationsgemäß entsche i­ den können, um welche Art von Kommunikation es sich ha n­ delt, und darf sich dabei nicht selbst blockieren, indem es deren inkongruente Perspektiven durcheinander bringt. Dabei hilft dem Bewußtsein die Wahrnehmung funktionssystemspezifischer generalisierter Symbole. Das je weilige Kommunikationsmedium verknüpft somit die diesbezüglich sozialisierte Motivation des Bewußtseins mit der spe zifischen Selektion von Kommunikati­ onsange boten der Gesellschaft. 69 68

69

Vgl. Piagets Differenzierung zwischen konkret-operationalem und abstrahierendem Denken Die vorliegende Skizze akzentuiert die Entwicklung des Bewußtseins im Hinblick auf die Wahrnehmung der Intentionalität anderen Bewußtseins. Sie wäre jedoch ebensogut ausführbar im Hinblick auf die Wahrneh­ mung der Emotionalität anderen Bewußtseins. Norbert Bischoff hat (in einem Vortrag über frühkindliche, insbesondere ödipale Entwicklung in Osnabrück vom 6.7.89; veröff. a.a.O.) den Ve r­ such gemacht, die wahrnehmungspsychologische Unterscheidung von Medium und Form auf die affektiv-kognitive Entwicklung der frühen Kindheit i.S. einer Rekonstruktion der Freudschen Phasenlehre anzu­ wenden. Er hat dabei m.E. überzeugend gezeigt, daß die Eltern -KindBeziehung in der sich entwickelnden Selbst-Wahrnehmung des Kindes phasenspezifisch als Medium fungiert, wobei die Annahme eines einzi­ gen linearen Entwicklungsparameters (Autonomiestreben) genügt, um qualitative Brüche (Phasensprünge) zu rekonstruieren: 1. In der oralen (symbiotischen) Phase gibt es noch keine Grenzziehung zwischen Eltern und Selbst, also weder Medium noch Form i.S. der Selbstwahrnehmung. (Was übrigens nicht heißt, daß nicht auf körperli­ cher Ebene bereits Unterschiede, Körpergrenzen und sogar Unterschiede zwischen den Eltern zB. mehr Erregung beim Vater, mehr Sicherheit bei der Mutter, wahrgenommen werden können.) 2. Mit der vollständigen Auflösung der frühkindlichen Symbiose, dem Eintritt in Freuds anale Phase (nicht vor dem 18. Monat) beginnt die


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion

5. Wirkung pädagogischer Kommunikation - Beitrag zur Reflexion des Bewußtseins Das reflektierende Bewußtsein stabilisiert sich selbst, indem es Sozialisations- und Individuationsvorgänge fortlaufend rekombi­ niert. Mit der einfachen Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung von seiten des verstehende n Bewußtseins wird die Seite der Information bezeichnet, während die Mitteilungs seite (soziali­ sationswirksam) in den Hintergrund tritt. Das Bewußtsein lernt also durch Teilnahme an Kommunikation Neues. Allerdings setzt jede Teilnahme an Kommunika tion bereits selegierte Informatio­ nen, also Strukturaufbau qua Individuation, schon voraus, auf die bezogen neue Wahrnehmungen überhaupt nur als Informationen verstanden werden können. Jede Teilnahme an Kommunikation setzt andererseits eine elementare Selbstwahrnehmung als Adres­ sat der Kommunikation vor aus. In der Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung von seiten des verstehenden Bewußt­ seins wird damit die Seite der Mitteilung bezeichnet, während die Informationsseite (indiv iduationswirksam) in den Hintergrund tritt.

Die Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung von seiten des verstehenden Bewußtseins muß unter den Bedingungen multipler Mitteilungsme­ dien und funktionaler Differenzierung der Kommuni­ kation zunehmend reflexiv gehandhabt werden. Die bloße Teilnahme an Kommunikation setzt immer un­ wahrscheinlichere Voraussetzungen der Sozialisation und Individuation. Sozialisation und soziale Inklusion werden damit zeitlich auseinandergezogen. Die Teil­ nahme an Kommunikation setzt reflexiv erweiterte Selbstwahrnehmung als Adressat funktionsspezifi­ scher Kommunikation voraus. Die Individuation des Bewußtseins wird zeitlich immer enger an die je aktu­ elle Individualisierungsleistung der Kommunikation gekoppelt und damit reversibel gehalten. Das adres­ sierte Bewußtsein muß seine eigene - durch neue Wahrnehmungen veränderte - System-UmweltDifferenz stets neu als Einheit im System rekonstruie­ ren, also durch Reflexionsprozesse stabilisie ren. Selbstwahrnehmung i.S. einer Form, die sich vor dem Hintergrund einer stabilen Elternbeziehung abzeichnet. Das Elternmedium bleibt dabei noch völlig undiffe renziert, bildet gewis sermaßen nur das Feld, in dem sich Wahrnehmung ereignet angesichts der ansonsten unkontrollierbaren Überkomplexität von Ereignissen, die die Wahrnehmung herausfordern. Das Wahrgenommene, die Form, ist immer kontingent, das Medium ist schlechthin stabil. 3. Mit dem vierten Lebensjahr differenziert sich nun die Wahrnehmung dahingehend, daß die Eltern nicht mehr nur als Medium sondern zu­ gleich auch als Figuren, nämlich als Geschlecht verschiedene Personen wahrgenommen werden. Die Wahrnehmung dieses Unterschieds ist de­ halb so dramatisch (nach N. Bischoff zwar für Jungen früher, aber im Unterschied zu Freuds Annahmen für Mädchen dann noch schärfer), weil dieser Unterschied mit der Wahrnehmung des eigenen Geschlechts eine Zuordnung erzwingt, die die Einheit des Selbst vor dem Hinter­ grund eines diffusen (geschlechtsneutralen) Mediums gefährdet. Das wahrgenommene Selbst droht bildlich in der Zweiteilung des Elternme ­ diums hindurchzufallen, wenn es sich nicht in der Geschlechterpolarität selbst zuordnet (dh. mit dem einen Teil identifiziert). Bischoff interpretiert viele Mythen der Gattungsgeschichte nach diesem ontogenetisch geprägten Muster der Bewußtseinsentwicklung: die Tren­ nung von Himmel und Erde, die Vertreibung aus dem Paradies etc. (Be ­ lege in Kinderzeichnungen). Auch hier zeigt sich wieder, daß die Onto­ genese immer schon in der phylogenetischen Entwicklung als eine be­ stimmende Größe vorkommt. - Ferner sieht Bischoff in theoriegeschichtlichen Diffe renzbegriffen wie Freuds Ich und Es, oder Meads I and Me Vo rläufer die ser Medium-Form-Unterscheidung für Bewußtseinsentwicklung.

18 An dieser Stelle - an der das psychische System die Koppelung an seine Sozia lumwelt reflektiert, sie gewissermaßen zur Disposition stellt und damit zu­ gleich seine eigene Einheit zu stabilisieren sucht ­ setzen meine Überlegungen zur Wir kung der pädago­ gischen Kommunikation auf Bewußtsein ein. Die Un­ wahrscheinlichkeit der pädagogisch intendierten Kommunikation kann sich dort mit entsprechenden Motiven des Bewußtseins verknüpfen, wo die gesell­ schaftlichen Bedingungen für Sozialisation und Indi­ viduation in der oben skizzierten Weise auseinan­ derdriften. Der spezifische Beitrag der pädagogischen Kommunikation besteht dann offensichtlich in einer Kommunikation, die dem sich entwickelnden Bewußt­ sein besondere Bedingungen zum reflexiven Nachvoll­ zug und damit zur Rekombination der dissoziierten Prozesse der Sozialisation und Individuation bieten. - Funktion des Entwicklungscodes für Bewußtsein In der Koevolution psychischer und sozialer Systeme wirkt alle Kommunikation als Sozialisation. Solcher­ maßen mitlaufende Sozialisation geht normalerweise einher mit irreversiblen Strukturaufbau im psy­ chischen System. Damit ist jedoch weder eine be­ stimmte Richtung noch ein bestimmtes Niveau psychi­ scher Entwicklung vorgegeben, insbesondere nicht der für die Reproduktion funktional differenzierter Gesell­ schaften vorausgesetzte Grad der Individuie rung psy­ chischer Systeme. Um die entsprechende Diffe­ renzierungsstruktur psychischer Systeme zu gewähr­ leisten, bedarf es offenkundig spezifischer evolutio­ närer Arrangements der Gesellschaft, um der entropi­ schen Tendenz aller Sinnereignisse ein Stück Reversi­ bilität, Offenheit der Persönlichkeitsentwicklung für die Verarbeitung neuer Erfahrungen, einen immer wieder neuen Anfang des psychischen Systems abzu­ gewinnen. Dies ist die Funktion pädagogischer Kom­ munikation, was immer an Intentionen darüberhinaus noch darin programmatisch transportiert werden mag. Auf der Ebene der Grundoperationen von Kom­ munikation und Bewußtsein handelt es sich auch bei pädagogischer Kommunikation nur um einen Beitrag zur Variation des Bewußtseins, der noch keineswegs pädagogischen Intentionen entsprechen muß. Als Grundoperation des Bildungssystems kann die päd­ agogische Kommunikation jedoch auf ein funkti­ onssystemisches Kommunikationsmedium zurückgrei­ fen, das die Unwahrscheinlichkeit der pädago gisch intendierten Kommunikation mit spezifischen Moti­ ven70 des Bewußtseins koppelt. Die Unwahrscheinlichkeit dieser Konstellation wird erkennbar auf dem Hintergrund der auto­ poietischen Geschlossenheit psychischer Systeme. In seiner basalen selbstreferentiellen Geschlossenheit kennt das psychische System keine Entwicklung. Ob 70

s. meine Ausf. zur Einheit des Bewußtseins und zu Bewußtseinsmedien oben


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion es kontinuiert oder diskontinuiert, es reproduziert sich über seine Ele mente.71 Ob es sich dabei verändert, kann nur durch Beobachtung festgestellt werden. Durch Reflexionsinstanzen sind Sinnsysteme (im Un­ terschied zu lebenden Systemen) mit besonderen Mög­ lichkeiten der Selbstbeobachtung ausgestattet. Be­ wußtsein kann lernen, seine eigene Diskontinuität als Veränderung oder gar als kontinuierliche Entwicklung zu rekonstruieren. Es kann dies insbesondere aus der Teilnahme an pädagogischer Kommunikation lernen und zwar durch "Aneignung" der im Mediencode symbolisch generalisierten Erwartungen. Der entschei­ dende Schritt in der Koppelung des Bewußtseins an pädagogische Kommunikation besteht in der sym­ bolischen Generalisierung seiner eigenen Motivlage. Diese Generalisierung wird auf seiten der päd­ agogischen Kommunikation durch einen Mediencode gesichert. 72 Der semantische Gehalt des Mediums für päd­ agogische Kommunikation ist nicht neu sondern eine Synthese pädagogischer Denktraditio nen.73 Das Neue ist der Einbau dieser Semantik in einen binär schema­ tisierten Code. Die alltagssprachliche Unterschei­ dung74 zwischen Erwachsenem und Kind wird mit dieser Codierung temporal auseinandergezogen zu einer eigenständigen Lebensphase und damit über­ haupt erst pädagogisch bearbeitbar. Der Entwic k­ 71

72

73

74

Nach Luhmann wirkt sprachliche Kommunikation als solche schon als Mittel der selektiven Diskontinuie rung von Bewußtsein, und ermöglicht dadurch dessen autopoietischen Komplexitätsaufbau. Die temporale Emergenz und Kontinuierung bzw. Diskontinuierung von Bewußtsein ermö glicht und erzwingt Selektionen zur Reduktion von Kontingenz Adaptionen, die jedoch nicht zeitstabil sein müssen, sondern bei erneuter Eme rgenz "vergessen" sein können. Bei genauerer Betrachtung der Evolution des Bildungssystems muß m.E. unterschieden werden zwischen Primär- und Sekundärcodierung der pädagogischen Kommunikation. Darauf kann ich hier nicht eingehen. s. meine Ausf. in: Die Entwicklung des Kindes a.a.O. Ausgangspunkt einer ausführlicheren Rekonstruktion des Mediencodes ist die Radikalisierung der in der pädagogischen Semantik tradierten Vorstellung von menschlicher Entwicklung anhand der Unterscheidung von Erwachsenen und Kindern. Vgl. meine entsprechenden Hinweise in: Die Entwicklung des Kindes a.a.O. Zur Ge schichte des Entwicklungs­ begriffs, s. die Beiträge von K. Weyand und G. Mühle, im Historischen Wörterbuch der Philosophie, a.a.O. Bd.2 S. 550-559. Vor Darwin war Entwicklung ganz i.S. der Entfaltung schon vor­ gegebener Anlagen verstanden worden. Seit Kant wird dann normativ zwischen der Entwicklung der Natur und beim Menschen unterschieden. Beim Menschen müßten «mancherlei Keime und natürliche Anlagen bereit liegen, um gelegentlich entweder ausgewickelt oder zurückgehal­ ten zu werden» (533). Die heutige Verwendung des Entwicklungsbe­ griffs ist bestimmt durch die Auseinandersetzung mit Darwins Evolu­ tionstheorie und dh. v.a. mit der durchschlagenden Idee der Um­ welteinflüsse. In der Entwicklungspsychologie wird die andauernde Kontroverse zwischen Nativismus und Empirismus ansatzweise über­ wunden durch PIAGETs kognitiven Konstruktivismus. Irgendeine Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Kindern gibt es ­ mit variierender Altersfestlegung - in allen Gesellschaften. Die hier rele ­ vante evolutionäre Errungenschaft liegt in der sozialen Form des Über­ gangs. Der ist in segmentären und traditionalen Gesellschaften weitge­ hend bestimmt durch einen ein maligen Akt der Kommunikation (Initia ­ tionsriten, Feste etc. wie sie heute noch nachwirken in Konfirmation, Ko mmunion etc.) Dagegen wird heute niemand aus dem Stichtag des Volljährig werdens mehr als ironischerweise eine entsprechende Feier mit der Unterstellung machen, daß mit diesem Tag eine andere Persön­ lichkeit gegeben sei. Dazu ist unsere Kommunikation viel zu sehr schon psychologisiert, dh. sie referiert schon auf Bewußtseinsentwicklung und nicht mehr auf den Akt der Kommunikation selbst.

19 lungscode bezieht sich in der Sozialdimension auf eine asymmetrische Ausgestaltung der kommunikativen Anschlußpunkte für Bewußtsein in der Dichotomie von Erleben und Handeln und zwar zugunsten einer (kontrafaktischen) Festle gung von Alters (pädagogi­ schem) Handeln an Egos (kindlichem, sich entwik­ kelnden) Erleben. Der Code bezieht sich in der Zeit­ dimension auf die zeitliche Einheit der Differenz zwi­ schen (zeitverbrauchenden) Prozessen der Sozialisati­ on und Prozessen der Indiv iduation des Bewußtseins. Und er bezieht sich in der Sachdimension auf die Ein­ heit der Differenz zwischen fremdreferentieller Öff­ nung und selbstreferentieller Schließung des Bewußt­ seins. - Medienreflexion als pädagogische Methode Bei der Fähigkeit des menschlichen Bewußtseins, nicht nur auf je aktuelle Wahrnehmungen zu reagieren sondern einen Horizont vergangener (und dann nicht nur individuell-biografisch sondern in symbolisch generalisierter Form gespeicherter) Ereignisse einzu­ beziehen, handelt es sich wohl um das stärkste in der Evolution vorkommende Mittel, Sozialisation und Individuation temporal zu koppeln, damit die lebens­ geschichtlichen Erfahrungen (und nicht nur das gene­ tische Material) vergangener Generationen (natürlich immer selektiv) nachfolgenden Generationen noch zur Verfügung stehen. Bei der gleichzeitig gegebenen Fähigkeit des menschlichen Bewußtseins einen Hori­ zont künftiger, möglicher Ereignisse einzubeziehen (also zB. vorausdenkend Anpassungen zu vollziehen) handelt es sich andererseits wohl um das größte in der Evolution vorkommende Mittel der Differenzie rung zwischen den Generationen, das in der Moderne (durch funktionale Differenzierung) noch in spezifi­ scher Weise gesteigert wird. Das moderne Individuum ist ein Selbstbeobach­ ter, der mit der Reflexion auf Motive zu beobachten versucht, wie seine eigenen Operationen und Beobach­ tungen zustande kommen.75 Solche Beobachtungen, überhaupt Motivverdacht, sind in vormodernen Ge­ sellschaften wohl kaum vorge kommen. Die häufig beobachtete Bodenlo sigkeit solcher Selbstreflexion hat etwas damit zu tun, daß es sich hier um die Beobach­ tung der Medien handelt, die das individuelle Handeln und Erleben ermöglichen. Solche Medien sind im Vollzug der Operationen und Beobachtungen prinzipi­ ell nicht wahrnehmbar. Die psychologisch aufgeklärte Medienreflexion der Moderne ermöglicht es aber - der Binnendifferenzierung des sozialisierten und in­ dividuierten Bewußtseins entsprechend - ver­ schiedenartige Medien zu unterscheiden: etwa Inten­ tionen (als Medien der Handlungszurechnung) und Emotionen (als Medien der Erlebenszurechnung). 75

Der moderne Individualismus läßt sich - wie viele andere Aspekte funk­ tionaler Differenzierung - i.S. der Terminologie von von Förster, Matu­ rana auch als Beobachtung 2. Ordnung beschreiben.


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion Sozialisations- und Individuationsprozesse unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung der Gesellschaft werden in zunehmendem Maße gesteuert durch die Medienreflexion des Bewußtseins. Diese Reflexion findet insbesondere in der durch das Medi­ um für pädagogische Kommunikation extendierten Le­ bensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein statt. Der hier empirisch entscheidende Mechanismus (das Medium) pädagogischer Kommunikation (zur Unter­ stützung der Bewußtseinsevolution) zielt nicht einfach auf Lernen (etwa i.S. eines kognitiv offenen anstelle eines normativ geschlossenen Kommunikationsstils) sondern auf die Verknüpfung der Restabilisie­ rungsleistungen des Bewußtseins mit erneuter Variati­ on (i.S. des Reversibelhaltens der Individuation). Die Vergangenheit des psychischen Systems ­ i.S. vergangener Operationen, die zum gegenwärtigen Systemaufbau beigetragen haben - bildet das Medium seiner gegenwärtigen formbildenden Operationen. Die Vergangenheit wird dabei laufend mitrekonstruiert, aber nicht als solche schon reflektiert. Durch Medie n­ reflexion wird die Vergangenheit des Systems als ge­ genwärtige Erinnerung rekonstruiert, dh. natürlich auch verändert. Geschichtsschreibung und ihre päd­ agogische Reproduktion als Unterricht ist insofern nicht eine Rekonstruktion systemunabhängiger Daten sondern stets ein Beitrag zur systemspezifischen Me­ dienreflexion. Ähnliches gilt für (muttersprachlichen) Sprachunterricht, der ja nur das intuitiv schon Gewuß­ te der Reflexion zugänglich macht. Es gilt in erwei­ tertem Maße dann auch für die Refle xion der psychi­ schen "Aneignung" der Mitteilungsmedien, die sich in der Schule gegenwärtig noch allzusehr auf jene Print­ medien beschränkt, deren Ausbreitung den Beginn der Moderne markieren. - Pädagogische Selbstreflexion Auch im Funktionssystem für pädagogische Kommu­ nikation läßt sich die Ausdifferenzierung einer Refle­ xionsinstanz als Restabilisierungsmechanismus mit Bezug auf die Umweltanpassung des Systems identifi­ zieren.76 Diese Funktion hat im Bildungssystem die pädagogische bzw. erziehungs wissenschaftliche Theo­ riebildung, zu der ich mit den hier vorgestellten Über­ legungen einen Beitrag leisten möchte. 76

Hier könnte man (im Anschluß an einen Vorschlag LUHMANNs für Wahrheitstheorien in: Wissenschaft der Ge sellschaft ...) so weit gehen, die verschiedenen Theorietraditionen der Pädagogik, die sich bis heute kontrovers gegenüberstehen, verschiedene Mechanismen der Evolution dieser Reflexionsinstanz des Bildungssystems zu rekonstruieren. Für den Variationsmechanismus: Reformpädagogik als die nicht endende An­ strengung, die pädagogische Kommunikation an das "wirkliche Leben" anzugleichen, die zunächst nur als Variation der pädagogischen Kom­ munikation wirkt. Für den Selektionsmechanismus: die strikte Interven­ tionspädagogik, die wohl als eine eher latente Theorie der pädagogi­ schen Organisation bezeichnet werden kann. Für den Restabilisierungs­ mechanismus: die Bildungstheorie, die im Rekurs auf die Selbstreferen­ tialität der Bewußtseinsentwicklung zwar Subjektität einklagt, jedoch unter zunehmenden Druck gerät angesichts des konkurrierenden Ein ­ flusses der Mitteilungsmedien.

20 Entgegen der in der pädagogischen Theorietradi­ tion gepflegten Vorstellung, wonach die ent­ scheidenden Operationen der pädagogischen Kommu­ nikation auf der Ebene der face-to-face-Beziehung zwischen Erzieher und Zögling stattfänden, habe ich hier die Auffassung vertreten, daß auf dieser Ebene nur eine Voraussetzung für die Wirkung pädagogi­ scher Kommunikation - die lose Koppelung des Be­ wußtseins an entsprechende symbolisch generalisierte Motive - erreicht werden kann. Jenseits dieser Koppe­ lung hängt der Erfolg der pädagogischen Kommunika­ tion wesentlich von der Präadaptiertheit der Strukturen des Bildungssystems an seine Umwelt ab, und zwar nicht nur an seine soziale sondern gerade auch an sei­ ne psychische Umwelt. 77 Daß zu den genannten Vor­ aussetzungen auch Bildungsorganisationen gehören, ist zwar weltweit anerkannt. Jedoch wird leicht über­ sehen, daß das Funktionieren des Bildungssystems nicht allein von Schulen, pädagogischem Personal und pädagogischen Programmen abhängt. 78 Meine Ar­ gumentation zielt nicht auf die Entdeckung irgendei­ nes Letztfundamentes sondern auf die Nichtab­ schließbarkeit von Bildungs prozessen und die pädago­ gische Reflexion ihrer Voraussetzungen in den evolu­ tionären Koppelungen von menschlichem Orga nismus, Bewußtsein und Kommunikation. Im Hinblick auf psychische Systeme wird diese Adaption durch die Codierung der pädagogischen Kommunikation (durch den Entwicklungscode und im weiteren Sinne durch das Kommunikationsmedium) gewährleistet. Die wichtigste Voraussetzung (die sich der päd­ agogischen Interaktion entzieht) ist die Differen­ zierung des Bewußtseins selbst. Erst der mit der Dis­ soziation von Sozialisation und Individuation ge­ gebene Reflexionsbedarf verschafft die spezifische Motivlage, an die die Entwicklung des modernen Bil­ dungswesens anknüpfen kann. Es ist jedoch durchaus möglich, diese Motive anders zu befriedigen (zB. durch religiösen Fundamentalismus, Identitätssuche in kleinen geschlossenen Gemeinschaften etc.) Wo die Dissoziation entweder aufgrund des geringen Entwic k­ lungsstandes der Modernisierung noch nicht - oder aufgrund fundamentalistischer Gegenbewegungen zur Modernisierung mit anderen Mitteln als denen der Reflexion bearbeitet wird, kann sich ein modernes Bil­ dungswesen nicht entfalten. Daher gibt es diesbezüg­ lich in entwickelten Bildungssystemen "Selbstbefrie­ digungsverbote", die ein Ausweichen auf andere Lö­

77

Daher liegt der Ansatzpunkt der vieldiskutierten "pädagogischen Inter­ vention" auch nicht in der Erzieher-Zögling-Interaktion sondern in der Konstruktion einer pädagogischen Sonderumwelt für sich entwickelndes Bewußtsein. 78 S. etwa die Hilflosigkeit gewisser UNESCO-Programme, die mit der An­ nahme arbeiten, daß es "keine Grenzen des Lernens" gäbe. Edgar FAURE u.a. Wie wir leben lernen. Der UNESCO-Bericht über Ziele und Zu­ kunft unserer Erziehungsprogramme, Reinbek.b.Hbg. 1973 Vgl. die Studie des Club of Rome: J.W.Botkin, M.Elmandjra, M. Malitza, Das menschliche Dilemma. Zukunft und Lernen, Hg. A. Peccei, Wien u.a. 1979


K.G.: Sozialisation, Individuation, Reflexion sungsangebote als die der Bildung auszuschließen versuchen. - Aufgabe der Pädagogik Die wichtigste Aufgabe der Weiterentwicklung pädagogischer Kommunikation in der Gegenwart sehe ich in der Entwicklung vorbeugender Strategien gegenüber fundamentalistischen Tenden­ zen in der Gesellschaft. Gesellschaftsdiagnostische Gründe für diese Auffassung können hier nicht ausge führt werden. 79 Jede Art von Fundamentalismus stellt eine Art von sekundärer "Heilung" des Verlusts an ontogenetischen Ursprungsgewißhe iten dar, der in differenzierten Sozialsystemen mit den koevolutionären Differenzierungsprozessen des Bewußtseins ein hergeht. Insbeson­ dere die zweite Stufe der Selbstbeobachtung, in der das Bewußtsein die Selbstreferentialität seines eigenen Operie rens in den Blick bekommt, kann als "Entwurzelung", als Fall ins "Bodenlose", empfunden werden, wenn in der ontogenetischen Entwicklung des Bewußtseins keine der neuen Entwicklungs stufe angepaßten Mechanismen zur Entparadoxierung angeeig net 80 wurden. Mit der zunehmenden Unwahrscheinlichkeit der Koevolution von psychischen und sozialen Systemen unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung der Gesellschaft wird es zur Auf­ gabe der pädagogischen Kommunikation, bereits für die primäre Entwicklung des Bewußtseins soziale Bedingungen zu schaffen, unter denen die unvermeidlichen Brüche der ontogenetischen Entwicklung so verarbeitet werden können, daß die (z.T. phylo­ genetisch angelegten, in jedem Fall aber ontoge netisch zu ent­ wickelnden) Mechanismen der Entparadoxierung des Bewußt­ seins möglichst wenig beschädigt werden. Dies wäre pädagogi­ sche Vorbeugung gegen den wachsenden Bedarf an funda­ mentalistischen (in psychologischer Hinsicht: regressiv fixie r­ ten) Sekundärlösungen für das Problem, daß die Kommunikati­ onsstrukturen der Gesellschaft in sachlicher Hinsicht zuviel He­ terogenität be inhalten, in zeitlicher Hinsicht zu schnell sich wandeln und in sozialer Hinsicht keine zureichenden An­ schlußmöglichkeiten für Bewußtsein bieten. 81 79

80

81

In gewisser Weise bezieht sich mein Argument auf das alte OrdnungsProblem der Soziologie, die Frage nach den "Ligaturen" der Gesellschaft (vgl. Dahrendorf auf dem 25. Soziologentag) die herkömmlich durch Religion beantwortet wurde und für die (seit Durkheim) Strukturen - und insbesondere pädagogische Lösungsangebote - der Gesellschaft gesucht werden. Das Ordungsproblem muß heute als das Problem einer funktio ­ nal differenzierten Weltgesellschaft reformuliert werden. Gerade im Weltmaßstab zeigt sich, daß das evolutionäre Modell funktionaler Diffe ­ renzierung zwar weltweit dominant geworden ist und eine große Anzie­ hungskraft ausübt, keineswegs aber überall die gleichen Voraussetzun­ gen für seine "Implementation" vorliegen. Zur reflexiven Individualität gehört m.E. auch die Erhaltung der Fähig­ keit, Empathie zu empfinden und Bindungen zu anderen Personen her­ zustellen, die die Grenzen funktionaler Differenzierung überschreiten. Es gehört also wohl zur pädagogischen Aufgabenstellung, eine Kommu ­ nikation zu pflegen, die die Persönlichkeit des bzw. der Anderen wahr­ nimmt und dies gerade nicht nur in den dafür besonders ausdifferenzier­ ten Kommunikationsformen der Intimität (die auf Persönlichkeit und nichts anderes zentriert sind). So z.B. die Tradition christlicher Näch­ stenliebe, unter dem Aspekt der Weltgesellschaft auch als "Fernstenlie­ be" bezeichnet, jede Form der Anteilnahme an fremdem Leid, manchmal ausgedehnt auf nichtmenschliche Lebewesen. Um aufgrund der Kürze der Andeutung möglichen Mißverständnissen vorzubeugen, sei betont, daß die funktionale Differenzierungsstruktur der Gesellschaft hier keineswegs normativ als eine irgendwie wertvolle ­ re oder intelligentere Form der Gesellschaftlichkeit als andere Differen­ zie rungsformen betrachtet wird. In gewisser Weise ist funktional diffe ­ renzierte Kommunikation sogar etwas ziemlich Dummes - weil sie we ­ nig Sensibilität für Umwelt erübrigt - und auf jeden Fall nichts Morali­ sches. Es geht hier nur um die Feststellung, daß diese evolutionär fortge­ schrittene Differenzierungsform - was immer man wertend von ihr hal­ ten mag - zu ihrem eigenen Funktionieren höchst anspruchsvolle Vor­ aussetzungen in bezug auf die Entwicklung psychischer Systeme macht. Es wachsen der Pädagogik deshalb auch keine besonderen Weihen zu, wenn gesagt wird, daß ihre Aufgabe darin besteht, für eine entsprechen­ de Entwicklung des Bewußtseins zu sorgen.

21 - Literaturhinweise BISCHOFF, NORBERT, "Phase Transitions in Psychoemotional Development" in: H.Haken & M.Stadler (Eds.) Synergetics of Cognition, Springer Serie in Synergetics, Berlin, Springer Ver­ lag 1989 DOELKER, CHRISTIAN, Kulturtechnik Fernsehen. Analyse eines Mediums, Stuttgart 1989 GEULEN , DIETER, Die historische Entwicklung sozialisationstheo­ retischer Paradigmen, in: Handbuch der Sozialisationsfor­ schung a.a.O. S.15 HURRELMANN, KLAUS und ULICH, Dieter (Hg.) Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim und Basel 1980 GILGENMANN , KLAUS, Die Entwicklung des Kindes. Zur Codie­ rung des Mediums für pädagogische Kommunikation, Ty­ poskript 1990, 30 S. HURRELMANN, KLAUS, Einführung in die Sozialisationstheorie. Über den Zusammenhang von Sozialstruktur und Persönlik­ keit, Weinheim und Basel, 1986 KAGAN, JEROME, Die Natur des Kindes, München 1987 LUHMANN, Niklas, Das Kind als Medium der Erziehung, Zeit­ schrift für Pädagogik Heft 1, 1991 LUHMANN, Niklas, Die Absicht zu erziehen im Erziehungssy­ stem, Typoskript 1990, 9 S. LUHMANN, NIKLAS, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankf.M. 1990 LUHMANN, Niklas, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankf.M. 1984 LUHMANN, NIKLAS, und FUCHS, PETER, Reden und Schwei­ gen, Frankf.M 1989 LUHMANN, NIKLAS, und SCHORR, Karl-Eberhard, Reflexi­ onsprobleme im Erziehungssystem, Stuttgart 1979 P OSTMAN, NEIL, Das Verschwinden der Kindheit, Frankf.M. 1987 VARELA , FRANCISCO J. Kognitionswissenschaft - Kognitionstech­ nik, Ffm., 1990, WATZLAWICK , PAUL, (Hg.) Die erfundene Wirklichkeit, München 1985,


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