Kg 1993 informationmitteilung

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Die Welt als Information und Mitteilung Kurzbeitrag für das Forschungsthemen-Heft MEDIEN der Univ. Osnabrück, das im WS 93/94 erscheinen sollte, aber nicht erschienen ist.

Veränderungen der Kommunikationsmittel der Gesellschaft lösen vielfältige Hoffnungen und Ängste aus. Gegenwärtig ist zu beobachten, wie die Einzelentwicklungen von Telegraf, Telefon, Radio, Television und Computer auf der Grundlage binär-digitaler Datenverarbeitung zu weltweiten Kommunika­ tionsnetzen zusammengeschlossen werden. Die Beschrei­ bungen dieser Entwicklung schwanken dramatisch zwischen technischen Paradiesvorstellungen und kulturellen Unter­ gangsbeschwörungen. Für eine distanziertere Betrachtung bietet sich der Vergleich mit Beschreibungen jenes Umbruchs an, der mit dem Buchdruck in der frühen Neuzeit eingetreten ist. Die epochale Bedeutung des gegenwärtigen Medienumbruchs wird am stärksten von jener Wissenschaftsdisziplin formu­ liert, die sich als "Künstliche Intelligenz"-Forschung bezeich­ net. Das Vorhaben der technischen Erzeugung von Intelligenz ist eher eine Vision als ein praktisches Projekt. Die KI-For­ schung befaßt sich wie einer ihrer Protagonisten, Marvin Minsky, als Definition vorgeschlagen hat, mit Computerpro­ blemen, die zur Zeit noch nicht gelöst sind. Die Betonung liegt auf dem "Noch". Die visionäre Seite, das große Verspre­ chen der KI-Forschung und ihre bedrohliche Seite, die Krän­ kung für das bisher entwickelte Selbstverständnis des Men­ schen, liegen allerdings eng zusammen. Abwehrreaktionen gegen das KI-Projekt werden mit den Reaktionen auf die Entdeckungen Galileis, Darwins oder Freuds verglichen. Nach der räumlichen, organischen und psychischen Relativie­ rung der Stellung des Menschen in der Welt folge nun die Relativierung seiner Fähigkeit, die Welt überhaupt zu erken­ nen. Die Vision der Künstlichen Intelligenz bezieht sich auf den Leistungsvergleich von Rechenmaschinen mit dem menschli­ chen Gehirn oder - sofern da ein Unterschied gemacht wird ­ mit dem menschlichen Bewußtsein. Sie bezieht sich nicht auf die Intelligenz der menschlichen Kommunikation. Kommuni­ kation wird nicht als eigenständiger Operationsmodus der Gesellschaft aufgefaßt sondern nur als eine Operation von Menschen mit Hirn und Bewußtsein. Die Gesellschaft kommt so immer nur unter dem Gesichtspunkt positiv oder negativ bewerteter Folgen der KI-Projekte in den Blick. Die Projektion auf das menschliche Gehirn mag einer der Gründe dafür sein, daß innerhalb der Soziologie nicht nur die ganze Debatte sondern auch ihr Gegenstand nicht ernst ge­ nommen wurde. Es fand von seiten der Soziologen kein ernst­ hafter Versuch statt, das Selbstverständnis der KI-Forschung durch eine soziologische Beschreibung ihres Gegenstandes zu korrigieren. So kam es, daß in den Sprach- und Medienwis­ senschaften mehr Beiträge zur historisch-soziologischen Be­ schreibung der neuen Kommunikationstechnologie geleistet wurden als in der Soziologie. In diesen Disziplinen besteht eine Neigung der Beobachter, als Kommunikation nur zu bezeichnen, was dem face-to-faceModell unserer Primärerfahrung ähnelt. Auch unsere Alltags­ erfahrung scheint ja einen zweistelligen Kommunikationsbe­ griff zu begünstigen: das Ausgangsmodell vom Sprecher & Hörer läßt sich so übersetzen in die Modelle vom Schreiber & Leser und vom Sender & Empfänger. Probleme bei dieser Übersetzung bereitet allerdings die eindeutige Zurechnung auf Personen. Schließlich sind schon bei der schriftlichen Kommunikation (wenn man sie nicht auf Briefe beschränkt)

mehr als nur Autor und Leser beteiligt. Daß man mit einem zweistelligen Kommunikationsbegriff, in dem mindestens zwei lebendige Personen mit Organismus und Bewußtsein unterstellt werden, die Situation nicht mehr angemessen be­ schreiben kann, wird vollends deutlich mit der dezentralen Verbreitung des Computers als Bestandteil der neuen Medi­ enkonstellation. Ob man den Umgang mit Computern noch als Kommunikati­ on oder als etwas Anderes bezeichnet, ist selbstve rständlich von Theorieentscheidungen abhängig. Ich möchte hier - im Anschluß an die Kommunikationstheorie Niklas Luhmanns ­ für einen dreistelligen Kommunikationsbegriff plädieren, in dem Kommunikation als Synthese von drei Operationen - In­ formation, Mitteilung, Verstehen - verstanden wird. Kommu­ nikation ist nach diesem Theorievorschlag die Grundopera­ tion aller Sozialsysteme der Gesellschaft. Die Gesellschaft erzeugt ihre eigene Geschlossenheit durch die rekursive und prokursive Verknüpfung aller kommunikativen Operationen. Die Einheit der Kommunikation kommt durch die abschlie­ ßende Operation des Verstehens zustande, dh. prinzi piell schon unter der Voraussetzung eines Bewußtseins (einer Person). Dies wird in der neuen Medienkonstellation erkenn­ bar. Die auf Personen zurechenbaren Operationen der Infor­ mation, der Mitteilung und des Verstehens werden hier we iter auseinandergezogen und verselbständigt als je zuvor. Diese Entwicklung löst - wenn auch anders als in der KI-Forschung gedacht - tradierte Bewußtseinsunterstellungen der Kommu­ nikation auf. Bereits für den Buchdruck ist konstatiert wor­ den, daß die Kommunikation ein quasi körperloses Alter Ego konstruiert, weil Anwe senheit verzichtbar wurde. In der neu­ en Medienkonstellation scheint sich die Konstruktion eines Alter Ego überhaupt aufzulösen. Das Welt-Buch Angesichts des gegenwärtigen Medienumbruchs ist bemerkt worden, daß der epochale Wechsel von der skriptographi­ schen zur typographischen Medienkonstellation in der Ge­ schichtsschreibung der Medien noch gar nicht angemessen verarbeitet worden ist. (Darauf hat im Anschluß an M.McLuhans Vorarbeiten v.a. M.Giesecke hingewiesen mit seiner Monographie über den Buchdruck in der frühen Neu­ zeit, 1991) Gewöhnlich wird der Buchdruck rückblickend als eine technische Steigerung der Schriftverwendung gedeutet, zumal die Schrift im Druck ja wieder vorkommt. Die vormo­ derne Schriftverwendung erscheint so gewissermaßen nur als defizienter Modus der entwickelteren Form. Aus der Perspek­ tive vormoderner Schriftkulturen läßt sich aber ebensowohl das Gegenteil vertreten: Die Schrift war fast gleichbedeutend mit Religion, denn im Aufgeschriebenen wurde das Wissen vom Ursprung bewahrt und damit zugleich die Ungewißheit der Zukunft eingeschränkt. Mit dem Buchdruck tritt die kulturelle Bede utung der Schrift als soziales Gedächtnis zurück. Nicht mehr das Alte sondern das Neue zählt als Information. Die Revolution des Buch­ drucks besteht gerade darin, von der Traditionlast der Schrif­ ten zu befreien. Die Information der Mitteilung wird nicht mehr auf die Schrift, auf Übereinstimmung der Skripte, son­ dern auf die Welt bezogen. Das Wissen soll aus der prakti­ schen Erfahrung stammen. Jeder Text zählt nur insoweit, als seine Informationen - noch - stimmen. Die empirisch­ experimentelle Orientierung der modernen Naturwissenschaft ist eine Abkehr von der Schriftgelehrsamkeit, wie sehr dann auch immer Publikationen wichtig werden. Mit dem Buchdruck entsteht die gegen alle Schriftgelehrsam-


K.G.: Die Welt als Information und Mitteilung keit gerichtete Metapher vom "Buch der Natur". Die Welt wird "lesbar", dh. einerseits: es bedarf keiner Texte, um sie zu verstehen - und andererseits: sie wird selbst zum Objekt der Auslegung und ihr Leser zum Subjekt. Diese Metapher (deren Geschichte geschrieben wurde von H.Blumenberg, 1986) markiert den Übergang von der skriptographischen zur typo­ graphischen Medienkonstellation. Der Entstehungskontext der Metapher ist noch ganz der mittelalterlichen Anschauung verhaftet, in der die Welt als eine Gedankenkonstruktion Gottes vorgestellt wird. Sie bleibt ambivalent gegenüber der naturwissenschaftlich-technischen Objektivierung der Welt. Sie richtet sich zwar gegen die tradierte Schriftgläubigkeit ­ und ist insofern ein Vorbote des neuen Selbstve rständnisses, das sein Wissen nicht aus den Texten beziehen will. Sie ist aber auch eine Reaktion auf die vielen Bücher, die auf den Markt kommen (anstelle des Einen, von Gott Diktierten) und eine konkurrenzlose Aussage über die Welt nicht mehr plausi­ bel erscheinen lassen. Wenn die Welt selbst als Buch Gottes ausgelegt wird, so kann dies noch einmal das monozentrische Weltbild retten. (Es ist wohl auch kein Zufall, daß mit der Metapher vom Buch der Natur anstelle der Zeichen der Schrift zunächst - bis zur Bifurkation zwischen Astronomie und Astrologie - an die Zeichen der Gestirne gedacht und damit wiederum an ein Weltbild angeknüpft wurde, das älter als der biblische Schöpfungsglaube ist.) Vieles deutet daraufhin, daß im Zeitalter der neuen Medien die Objektivität der Welt - und ihr Gegenstück die Subjektivi­ tät des Menschen - als Metaphern veralten we rden, so wie das "Buch der Natur" zu einer veralteten (bzw. romantischen) Metapher geworden ist, als mit der Durchsetzung der natur­ wissenschaftlichen Weltanschauung auch die Referenz auf den biblischen Schöpfungsglauben fragwürdig wurde. Die Welt ist nicht mehr lesbar - als eine Mitteilung Gottes, die immer schon da ist - sondern nur noch beobachtbar und be­ schreibbar - als Leistung eines Beobachters, der sich selbst als Teil der Welt sehen kann. Ein solcher Beobachter kann Be­ schreibungen von der Welt für Andere anfertigen, die als Mitteilungen verstanden werden können, sofern sie auch An­ gaben über den Beobachter enthalten, der die Beschreibung angefertigt hat. Die Position des unbeobachtbaren Beobach­ ters steht nicht mehr zur Verfügung. An die Stelle der Buch-Metapher könnte nun die ComputerMetapher treten: die Welt ist nicht mehr lesbar (vorgegeben) sondern muß jeweils neu konstruiert werden. Allerdings kann man die Konstruktionsweisen Anderer studieren, um evtl. zum gleichen Ergebnis zu kommen. Ein solches Maschinen­ modell der Erkenntnis hatte schon De scartes vorgeschlagen. Der Computer ist - anders als alle Maschinen des industriellen Zeitalters - unbeschränkt programmierbar, er ist in diesem Sinne Universalmaschine. Man muß nur das jeweilige Pro­ gramm kennen, um seine kognitiven Fähigkeiten nutzen zu können. Welt-Bilder Die gegenwärtigen Veränderungen der Medienlandschaft lassen sich durchaus als lineare Steigerung durch den Buch­ druck schon vorgezeichneter Entwicklungen beschreiben: Die Speicherkapazitäten für Informationen werden immer größer ­ das schafft Probleme, die Informationslast zu reduzieren. Die von Mitteilungen überbrückten räumlichen Distanzen werden größer und ihre Verbreitung erfolgt schneller - das führt u.a. dazu, daß alle Informationen schneller veralten. Das Bild löst sich aus seiner illustrativen Funktion in Texten und droht sie

2 zu überwuchern - das führt zu Problemen, den Gehalt von Mitteilungen noch zu kontrollieren. Solche Deutungen des gegenwärtigen Medienwechsels lassen einen vergleichbaren Strukturbruch der gesellschaftlichen Kommunikation, wie er für den Buchdruck in der frühen Neuzeit festgestellt wurde, noch nicht erkennen. Die Verwendung von - bewegten! - Bildern als eigenständige Mitteilungsquelle in den neuen Medien könnte allerdings viel mehr bedeuten als nur die Befreiung aus ihrer dienenden Funktion in Buchtexten (und ihrer Sonderfunktion in der Kunst). Sie wird als Angriff auf die für die typographische Medienkonstellation typische ontologische Gegenüberstel­ lung von Text und Wirklichkeit empfunden. Wenn die sicht­ bare Wirklichkeit - oft in optisch überzeugenderer Qualität als ohne technische Hilfsmittel - zum Bestandteil von Mitteilun­ gen wird, dann zersetzt dies die gewohnte Vorstellung empiri­ scher Kontrolle für kommunikativ verwendbare Informatio­ nen. Bilder nennen die Dinge nicht mehr bei ihren Namen sondern bilden sie ab. Immer weniger kann da noch über­ zeugen, daß Mitteilungen an einer primären (objektiven) Wirklichkeit kontrolliert we rden können. Wie bei den alten Schriften muß wieder gefragt werden, ob und wie die ver­ schiedenartigen Mitteilungen zueinander passen. (Und wenn in den neuen Medien die ganze sichtbare Welt mitteilbar wird, drängt sich die Metapher vom "Buch der Natur" wieder auf. Nur daß die Bilderwelt der neuen Medien nicht mehr als Mitteilung Gottes verstanden wird.) Die Digitalisierung der Kommunikationsmittel löst den alten Gegensatz zwi schen Worten und Bildern auf, worin letztere als das sprachlich schlechthin nicht Kontrollierbare - also entweder als Kunst oder als gedankenlose Abbildung - aufge­ faßt werden. Die elektronischen Bilder und die multimedialen Benutzeroberflächen der Computer - mit ihren "Zeige"Instrumenten! - enthalten symbolische Generalisierungen, die mit denen der Schriftsprache funktional vergleichbar sind. In der neuen Medienkonstellation entsteht einerseits eine Dive r­ sifikation der Codierungs- und Standardisierungsmöglichkei­ ten für Mitteilungen - die viele neue (Lern-)Probleme auf­ wirft. Andererseits entwickeln sich mit der Ablösung der Kommunikation vom Primat der Wörter zugunsten der Bilder erst jene Standards, die - im Unterschied zu den national­ sprachlichen Codierungen des Buchdrucks - Kommunikation auf der Ebene der Weltgesellschaft ermöglichen. Künstliche Kommunikation? Die Medienkonstellation der frühen Neuzeit, die die Metapher von der Welt als Mitteilung Gottes hervorgebracht hat, hatte auch die Tendenz erzeugt, Mitteilungen schon für Kommuni­ kation zu halten. Daß Mitteilungen gelesen, ihre Informa­ tionen auch verstanden werden, erscheint nach der Durchset­ zung des Buchdrucks und der Alphabetisierung so selbstve r­ ständlich, daß normalerweise von der Operation des Verste­ hens abstrahiert werden kann. Das ist wohl ein Ausdruck der Medienkonstellation: der Leser ist ja für den Ve rfasser von Mitteilungen prinzipiell nicht verfügbar (weil körperlich nicht anwesend). Man muß ihn voraussetzen. (Diese Konstellation ist besonders ausgeprägt in der Wissenschaft, in der nur die Publikationen zählen. Ob sie auch gelesen werden, kann viel­ leicht noch mithilfe eines Zitationsindex festgestellt werden. Ansonsten aber wird das Problem des Verstehens, das mögli­ che Mißverstehen oder Nichtverstehen zur Behandlung an die Pädagogik delegiert.)


K.G.: Die Welt als Information und Mitteilung In der digitalen Medienkonstellation geht die Verselbständi­ gung der drei der Kommunikation vorausgesetzten Opera­ tionen noch einen Schritt weiter. Hier wird nicht nur von der abschließenden Operation des Verstehens abstrahiert sondern auch von der der Mitteilung. Information ist nun alles. Die Welt erscheint als Konstrukt des sich informierenden Be­ wußtseins. Auch dies ist ein Ausdruck der Konstellation: In der digitalen Kommunikation sind Absender und Empänger von Mitteilungen nicht mehr klar zu unterscheiden zB. bei einer elektronischen Zeitung, die sich der Leser aus einer lau­ fend aktualisierten Datenbank selbst zusammenstellt. Ob eine Person sich in erlebender oder handelnder Einstellung an Kommunikation beteiligt, begründet keine Rollendifferenz mehr wie in der typographischen Konstellation die zwischen Leser und Autor. Die Verselbständigung der Information läßt sich bis in die Anfänge der typographischen Medienkonstellation, die Ob­ jektivierung der Welt und Subjektivierung des Menschen zurückverfolgen. Die Informatisierung setzt die aus der natur­ wissenschaftlichen Objektivitätseinstellung entstandene Technisierung der Welt fort und markiert zugleich das Ende ­ das Paradoxwerden - dieser Einstellung. Die Naturwissen­ schaften haben einseitig den Fremdbezug der Information bevorzugt: Information über etwas in der Welt (einschließlich dessen, der sich informiert). Der Informationsbegriff der Informatik ist dagegen eher selbstbezüglich konstruiert. Das Bit, die Reduktion des Zeichensatzes auf die Einheit der Bi­ när-Unterscheidung stellt ein Höchstmaß an Indifferenz ge­ genüber jedem Trägermaterial her. Damit kann alles - als Text, Bild oder Ton - ausgedrückt werden, sofern es nur als Folge von Nullen und Einsen codiert ist. Diese Digitali­ sierung löst die tradierte Prämisse allen Zeichengebrauchs, die ontologische Differenz von Bezeichnung und Bezeichne­ tem auf. Die alte Orientierung am natur wissenschaftlich­ objektivierenden Informationsbegriff schlägt allerdings noch in den ehrgeizigsten Projekten der Computer-Ingenieure durch. Deshalb wird die Entwicklung "Künstlicher Intelli­ genz" primär in Konkurrenz gesehen zu den kognitiven Struk­ turen des menschlichen Bewußtseins statt zu den diesbezüg­ lich entwickelteren Strukturen der menschlichen Kommuni­ kation - obwohl gerade die Entwicklung sogenannter wis­ sensbasierter Systeme letzteres nahelegen würde. Wenn aber der Computer menschliches Bewußtsein substituieren würde, dann müßte es sich beim Umgang mit Computern um eine Art künstlicher Kommunikation handeln: nämlich Kommunikati­ on mit Computern statt Kommunikation mit Menschen! So faszinierend und bedrohlich diese Idee auch erscheinen mag ­ sie verliert an Dramatik, wenn man sich vergegenwärtigt, daß dasselbe doch eigentlich auch schon für die Kommunikation mit Büchern gesagt werden kann. So räumt auch der BuchApologet V.Flusser (1989, S.95) ein: "das Buch ist auch schon ein Stück künstlicher Intelligenz, denn es ist eine künst­ liche Gedächtnisstütze und enthält aus Bits (Buchstaben) komputierte Informationen." Man kann noch weiter zurück­ gehen und die Artifizialität der menschlichen Kommunikation schon in den Höhlenbildern der Steinzeit erke nnen. Der Computer schreit mich nicht an! Die KI-Forschung hat eine ähnliche Zwischenstellung wie die Physik in der frühen Neuzeit: einerseits stammt sie noch aus dem Geist der vergangenen Epoche - hier dem na­ turwissenschaftlich-technischen Weltbild - andererseits ope­

3 riert sie schon jenseits von dessen Grenzen, rücksichtslos alte Überzeugungen zersetzend, ohne schon neue gefunden zu haben. Manchmal schwankt sie auch noch wie die alte Physik zwischen Astronomie und Astrologie. Die Entthronung des Subjekts durch die KI-Projekte erscheint als dramatische Begleitsemantik für eine in der neuen Medi­ enkonstellation sich ohnehin vollziehende Veränderung. In merkwürdigem Kontrast dazu stehen Alltagsbeschreibungen, die das Befriedigende an der Arbeit mit dem Computer gera­ de darin erkennen lasssen, daß er Subjekt-Eigenschaften ent­ behrt. Als das Beste an der Maschine erscheint da, daß sie zur Sklavenarbeit gezwungen werden kann, ohne daß man Angst haben muß vor Rebellion und Aggression - ohne daß man ein schlechtes Gewissen haben muß wegen der Verletzung ihrer Würde! Auch die Pädagogik kann ihre Vorteile daraus ziehen, wie das (von P.Greenfield, 1987, referierte) Schüler-Lob für ein Lernprogramm treffend beschreibt: "Der Computer schreit mich nicht an!" Innerhalb der Kommunikation legen Computerprogramme zugleich mehr und weniger fest, als wir es von Büchern (Schrift, Satzbau, Stil, Thema, Gliederung etc.) gewohnt sind. Eine symbolisch generalisierte Festlegung ist zu erkennen an der "Oberfläche" des Programms, die der Nutzer kennen muß, um überhaupt Informationen auswählen zu können. "Unter" dieser Oberfläche steckt aber - für den Nutzer verborgen - die eigentliche Steigerung: die Selektivität des Programms selbst. Programme sind im wörtlichen Sinne "Vorschriften" zur Fest­ legung eines bestimmten Verhaltens. Solche Festlegungen hat es in der menschlichen Kommunikation immer gegeben. Solange sie sich ausschließlich auf menschliches Verhalten richteten, war ihr Erfolg abhängig vom Einsatz zusätzlicher Mittel - Gewaltandrohung, Heilsversprechen, Überredung etc. - die das menschliche Verhaltensspektrum in Richtung auf die vorgeschriebenen Alternativen einengten. Im Unterschied zu dieser Tradition der Vorschriften beziehen sich Computerprogramme nicht auf das Verhalten von Men­ schen sondern von Maschinen. Programme schreiben dem im Hinblick auf bestimmte Verfahren nicht festgelegten Co mpu­ ter vor, wie er mit Informationen verfahren soll. Die Selekti­ vität der Mitteilung ist hier also delegiert an die Com­ puterprogramme, die dem Nutzer eingeschränkte Wahlmög­ lichkeiten eröffnen. Diese Wahlmöglichkeiten sind dennoch weit größer, als wir es bei Schriftsachen gewohnt sind. Wir können deshalb in gesteigertem Maße - aber wir müssen es auch - selbst entscheiden. welche Information wir Mittei­ lungen in den digitalen Medien entnehmen. In dieser Konstellation sind nicht nur Freiheitsgewinne son­ dern viele Folgeprobleme angelegt, die die sozialwissen­ schaftliche Forschung noch beschäftigen können. Vielleicht wird man zu dem Ergebnis kommen, daß durch die neuen Medien das Verstehen als Synthese kommunikativer Einzel­ operationen eher leichter geworden ist - aber wie sieht es aus mit der Anschlußkommunikation? Die Ko mmunikation der Gesellschaft besteht nicht nur aus der rekursiven Verknüp­ fung mit vergangener Kommunikation, ohne die keine Infor­ mation verstehbar wäre, sondern auch aus der prokursiven Verknüpfung mit künftiger Kommunikation, die mögliche Anschlußkommunikation vorstrukturiert. Je mehr Verknüp­ fungen der Kommunikation in technische Programme ein­ und ausgelagert sind, desto unwahrscheinlicher wird es, daß das in Mitteilungen intendierte Anschlußverhalten kontinu­ ierlich erwartet werden kann.


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