Giovito Russo, Secondo und George

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Giovito Russo Secondo und George

Novellentrilogie


Giovito

Secondo und George

Š Giovito Russo 2016 Worb (Bern, Schweiz) www.giovito.ch

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Rebecca, Sofia und Elia gewidmet.

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Index SECONDO ........................................................................................6 I

Helden reisen gerne ..................................................................6

II

Angst… ..................................................................................26

III

Abwesend...............................................................................32

IV

Immer wieder .........................................................................38

V

Eines Tages... .........................................................................43

GEORGE .........................................................................................48 I

Eines Tages... .........................................................................48

II

Krempel .................................................................................49

III

Mater Morbi ...........................................................................50

IV

Staub ......................................................................................52

V

Neujahr...................................................................................54

VI

Auf und ab .............................................................................55

VII

Zu viel Licht...........................................................................56

VIII Secondo ..................................................................................58 IX

Eine Chance ...........................................................................60

X

Tanzen....................................................................................61

SECONDO UND GEORGE ............................................................64 I

Wie jetzt? ...............................................................................64

II

Fumetto ..................................................................................66

III

Einsam ...................................................................................68

IV

Ohne ihn .................................................................................70

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SECONDO I Helden reisen gerne

Seine Frau kommt zuerst, sie soll immer zuerst kommen. Die ewigen Geschichten hat er schon lange satt. Wir sehen uns nie, nie rufst du an… Wovon sollten sie auch reden? Vom kranken Rücken oder sind es diesmal die Bauchschmerzen? Secondo ärgerte sich immer, wenn seine Mutter krank war. Sie kam mit verschlafenem Gesicht aus ihrem Zimmer und jammerte: „Ich habe Fieber.“ Jaja, ungerecht, ein Mensch kann nichts dafür, nichts dagegen tun. Seine Mutter durfte aber nicht krank sein, sie musste sich um ihn kümmern. Und er war ja oft genug krank. Secondo kann mit Krankheit und Jammerei nicht umgehen,

weder

die

eigenen

noch

die

fremden

Organismen mag er besonders. Ein Schnupfen würde sie schon nicht umbringen, und wenn doch, dann hälfe Jammern und Klagen sicher nicht… süditalienische Litaneien, damit möchte er nichts zu tun haben.

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Was soll ich denn sagen? Ein Das-tut-mir-aber-Leid nützt ihr am wenigsten, ein Ich-kümmere-mich-darum geht gar nicht. Soll ich mich damit abfinden, wie sich meine Mutter ins Grab weint, unterbrochen durch Juhuu-Momente? Aber eben, Mamma, du lenkst dich lieber mit deinen kalifornischen Soap-Operas ab, und ich schaue mir lieber Bilder auf der Toilette an… nein, nicht jene Bilder, sondern Comics. Meine italienischen Dylan Dog trösten mich. Er ist ein Detektiv, der in London lebt und auf die Jagd nach Monstern geht. Indagatore dell’incubo – Detektiv der Albträume von Beruf. Ein Hamlet unserer Zeit, der einen alten Käfer fährt und als Assistenten den Verschnitt von Groucho Marx hat, die Marx Brothers, die das Stummfilmzeitalter mit Blödeleien farbig gestalteten. Die wären auch heute lustig, zumindest für mich. Dylan (der Name kommt vom Dichter und Musiker Bob) hat in jeder Ausgabe eine neue Geliebte, in die er sich auch wirklich verliebt. Ein Held eben, dem noch alles gelingt, sogar vorgaukeln, man könne wechselnde Partner mit freier Liebe bezeichnen. Dank ihm bin ich seit ich elf war überzeugt, irgendeinmal zu fliegen. Nicht, dass ich besonders aufs Fliegen stehe, aber der Gedanke, mitten in einem Spaziergang wie Superman in eine Telefonkabine zu 7


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huschen und meinen „S“ zu entblössen, keine Brille, die war auch beim amerikanischen Vorzeigehelden bescheuert, und loszufliegen, um irgendwen oder irgendwas zu retten. Ich wünsche mir etwas Zuversicht, etwas Es-wird-schongut-gehen, diciamo così. Ein Held schafft eben alles. Secondo Petrocelli – indagatore dell’incubo e dei sogni. Die Geschichte mit dem Namen. Für Ernesto und Filomena musste es jeden Moment so weit sein. Nun, eher für Filomena, da sie ja das Kind austragen sollte und von ihrem Mann war keine Spur. 11. Juli 1982 – mitten in der Nacht, in der magischen Nacht des Bernabeus in Madrid, wie Secondo später immer wieder prahlen wird – wo bleibt er wieder, ich wusste es doch, ich kenne seine Ich-spielenur-eine-wirklich-nur-eine-Partie-Briscola-mit-den-JungsTour, ich habe es ihm gesagt, aber nie hört er auf mich. Sie hat sich mit der vorbereiteten Tasche aus dem Haus geschleppt, wie sähe es aus, wenn sie ohne eigenes Nachthemd ins Spital gegangen wäre, konnte das Kind in Gedanken schon schreien hören, natürlich fährt kein Taxi um diese Zeit bei Camber Drive vorbei, da ist das Stadtzentrum San Diegos zu weit weg. Also ging Filomena zur Hauptstrasse und sass an der Bushaltestelle ab, bis das 8


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nächste Taxi sie zu dieser Liege unter den wechselnden grellen Lichtern beförderte, mit drei, vier Köpfen, die immer wieder mit „Tief atmen!“ auf sie zuredeten. Er und seine Spielsucht! Im Saal angelangt, alles vorbereitet, „Let’s go!“ und es ging gleich los und nun pressen… ohne Vater, sie hatte es doch gewusst, als in allerletzter Sekunde Ernesto reinplatzte und das Schreien von… eben „Secondo“ einläutete. Filomena fiel in Ohnmacht. Ci crederai, dopo tutto ciò. Sich aus den Fesseln des Alltags entwinden. Immer wieder treffe ich Leute wie mich, die sich gut darstellen wollen. Meistens sind es Männer. Die Sätze beginnen, unzählige Abwandlungen vorbehalten, mit: „Alle Anderen...“ und gehen mit der unvermeidlichen Unterscheidung weiter: „aber ich…“ Diese Ich-mache-es-besser-als-alle-AnderenHaltung stinkt mir, vor allem weil ich oft selber so rede. Muss ich unbedingt bei jedem Kollegen, ja gar bei jedem Dienstleistenden an einem Schalter in guter Erinnerung bleiben? Anscheinend ja. Ich komme mir da wie eine Prostituierte der Gesellschaft vor, aber bei Sex bekäme ich Spass und Geld, hierfür Anerkennung für meine stinkige aber unterhaltsame Darstellung. No way. Es gehört wohl 9


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zur Tierart männlicher Mensch, das Balzverhalten zu verallgemeinern. In Bern nennen wir so einen Hochstapler „Siebesiech“. Nun, meistens würde viel weniger genügen, um eine Unterhaltung erträglich zu machen. Denn darum geht es mir: für mich und den Anderen erträglich zu sein. Es ist nicht immer einfach, mit sich selbst spazieren zu gehen. Vor allem am Morgen, wenn ich pünktlich wieder dieselbe Visage sehe. Da verstehe ich jeden, der Rollenspiele in die Liebesbeziehung einbaut. Natürlich muss es lustvoll sein, mal jemand Anderes zu sein. Leider habe ich diese Art von Lust noch nicht erfahren, also ertrage ich mich weiter. Un masochista – eh già! In der Schweiz sind wir freundlich und das hat Secondo bald gelernt, als seine Familie 1990 nach Bern kam. Er hatte auch keine Mühe sich anzupassen. Ein Lächeln aufs Gesicht, dunkle Locken, ein freundliches „Grüessech!“ und der Italo-Amerikaner wurde zum Schweizer. Schon in der fünften Klasse hörte man kaum mehr einen Akzent im berndeutschen Dialekt, Bärndütsch als zweite Sprache nebst Italienisch und irgendwelchen amerikanischen Ausdrücken, die jedoch eher aus dem Fernsehen als aus der frühen Kindheit stammten. Secondo wurde schnell in die 10


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Deutschschweizer Gesellschaft integriert, wie Politiker oder

Journalisten

sagen

würden.

Sich

mit

den

einheimischen Frauen integrieren, wie Secondo von einem türkisch-deutschen Komiker hörte… das ist Integration, die Spass macht. Wie sich Menschen in einer Gesellschaft integrieren lassen, bleibt ein Rätsel. Sind wir vielleicht wie Legobauklötze, die je nach Legoland irgendwo Platz finden? Zurück zum jungen Secondo: Erst spät, am Gymnasium und dann an der Universität fragte er sich, ob er überhaupt von der Gesellschaft ganz und gar akzeptiert werden möchte. Nein, das wollte er nicht. Dieses Lächeln, diese Selbstdarstellung, dieses Wohlwollen war nichts für ihn. Er wollte ein Held sein, aussergewöhnlich… aber wie? Secondo arbeitete in einem Comicladen. An der Uni war er zwar immer noch eingeschrieben, aber Psychologe wollte er schon lange nicht mehr werden. Es ging auch gar nie ernsthaft mit dem Ansatz einer Karriere los. Karriere machen tönt schon eigenartig. Wir haben doch sowieso einen Verlauf, wie die Seiten, die auf Internet nacheinander besucht werden. Bei einem Beruf sollen wir dann unserem Leben Prestige verleihen, indem wir am Curriculum basteln. Eigenartige Spielchen, aber genau bei diesen 11


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Machenschaften wollte Secondo nach der Matur dabei sein. Er fand es toll, wie sich Leute bezahlen liessen, um den ganzen Tag vorzugaukeln, man könnte durch ein paar Ratschläge jemandem helfen. Besser noch: Ich lasse mich fürs Helfen bezahlen, aber ohne jegliche Erfolgsgarantie für einen Ratschlag, den es wohl in ähnlicher Form auch in den Glückskeksen der asiatischen Restaurants gibt. Welch eine Karriere! Wirklich Schade, konnte Secondo dieses Spiel nicht durchziehen, denn der Gedanke, ein Held zu werden, liess ihn nicht mehr los. Er wusste zwar nicht, wie er es machen könnte, aber wie die Psychologen hatte er ganz genaue theoretische Vorstellungen: - Ein Held sucht nach der Wahrheit und ist ehrlich. - Ein Held überwindet seine Furcht und hilft Menschen. Zumindest zwei Leitsätze… è un inizio. Ehrlich sein, da fielen ganze Berufsgruppen aus: Psychologe, Anwalt, Politiker. Jaja, es geht sicher auch auf ehrliche Art und Weise, aber mit der moralischen Heldenfrage würden diese Berufe immer wieder in Konflikt geraten. Nein, ein echter Held oder gar keiner. Wenigstens im Comicladen konnte Secondo in den drei Jahren etwas bewegen, da musste 12


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doch Die-Welt-retten auch machbar sein. Er hatte in Bern die italienischen Comics in grosser Auflage eingeführt. Seither läuft der Laden besser. Das hat Tinu, der Inhaber, zu würdigen gewusst: Wenn Secondo schon alle ItaloSchweizer Comicsliebhaber heranlocken konnte, wer hätte gedacht, es wären so viele, dann könnte er auch einen neuen Namen für den Laden wählen. „Tinus Comics“ hatte sich nicht bewährt und wurde durch „Il Fumetto“ ersetzt. Aber nein – Teilhaber wollte Secondo nicht werden, er hatte ja andere Pläne… Ein Held hat immer einen Feind. Lieblingszielscheibe sind die Mächtigen. Es gibt ein Gedicht von Kurt Marti, das Secondo immer wieder durch den Kopf schiesst. Der Titel war Machtverhältnis: die ohne macht machen die mächtigen was machten die mächtigen 13


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machten die ohne macht nicht was die mächtigen machen? mächtiger sind als die mächtigen die ohne macht Eigenartig, was von der Schule bleibt. Secondo musste nicht viele Gedichte auswendig lernen. Beide haben mit Helden etwas zu tun. In der sechsten Klasse musste Secondo Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang Goethe vortragen können. Da war er erst drei Jahre lang mit Deutsch konfrontiert worden. Secondos Lehrerin war überzeugt, eine Sprache liesse sich vor allem übers Sprechen lernen. „Macht nichts, wenn du nicht alles verstehst. Lass die Worte sich in deinem Kopf entfalten.“ Sie klang poetisch, aber ihr Wohlwollen nervte. Das Auswendiglernen ging noch, Secondo war nicht sehr gesellig, demnach Gedanken, die er sich alleine machte, durch ein Gedicht ersetzen, war eine willkommene 14


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Abwechslung. Das Vortragen mit dem unterstützenden Blick von Frau Jennhaus, das war etwas viel für das junge Gemüt. Warum müssen Lehrer immer alles überprüfen? Sie können sowieso niemanden zwingen, etwas zu lernen… Jedenfalls war Secondo an der Reihe. Frau Jennhaus bat ihn aus dem Schulzimmer heraus, um keinen Schüler vor der Klasse bloss zu stellen – das war nett. Sie war unerträglich nett. Und lächelnd: „Kannst du’s? Lass dir Zeit.“ Secondo fing an: „Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang Goethe: Hat der alte Hexenmeister Sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben! Seine Wort' und Werke Merkt' ich und den Brauch, Und mit Geistesstärke Tu' ich Wunder auch. Walle! Walle Manche Strecke, Daß, zum Zwecke, Wasser fließe 15


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Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße. Und nun komm, du alter Besen, Nimm die schlechten Lumpenhüllen! Bist schon lange Knecht gewesen, Nun erfülle meinen Willen!“ Da sah Secondo wieder auf, die Lehrerin lächelte nicht mehr, sondern staunte. Sie stotterte: „Ehm, das reicht, das war… ausgezeichnet!“ Darauf folgte eine für Secondo lästige Unterhaltung darüber, wieso-er-sonst-nie-aberwirklich-nie-mündlich-mitmachen-würde, und eine lange Lobrede

darüber,

wie-schauspielerisches-Talent-

angeboren-sei-und-er-müsste-dieses-für-die-Schule-unddann-fürs-Leben-nutzen, und noch manche pädagogischen Finessen. Secondo fragte sich, ob sich Frau Jennhaus wirklich für ihn interessierte oder einfach ihren Job gut machte. Just a job? Anyway – er hatte keine Lust zu reden, schon gar nicht in der Klasse, geschweige auf einer Bühne zu stehen. Er wollte hauptsächlich in Ruhe gelassen werden. Als Held käme ihm Schauspielerei gelegen, aber da riefe er wieder aus. Jaja, wir lassen dich schon in Ruhe, Secondo. Also ein mächtiger Feind: Da wäre der Papst… 16


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zu einfach, ihn als Feindbild zu nehmen? Wohl nicht lächerlicher, als an einem Heldengewand zu basteln. Denn daran denkt Secondo. Er hat den neuesten Batman gesehen. Batman ist einer der wenigen Helden ohne übernatürliche Kräfte. Alles, was er kann, hat er sich selber erarbeitet. Er ist weder von einer genmanipulierten Spinne gebissen worden noch sind seine Eltern vom Planeten Krypton. Batman hat als Held Karriere gemacht. Jedoch, lieber Secondo, ein Kostüm sieht immer lächerlich aus. Es ist kein Zufall, verkleiden sich die Leute an Fasnacht… um zu lachen. Die Heldenfrage klang doch ernsthaft, zieh mal etwas durch! Der Papst wäre für einen Anfängerheld ideal. Als Feindbild vereinigt er mehrere Machtposten: Religion, Politik und Wirtschaft. Er kann seine Macht als ausgezeichneter

Rhetoriker

legitimieren.

Mit

Moral

gekoppelt, ist die Kirche stärker als jeder mafiöse Verein, tausende von Jahren geben ihr recht. Menschen wollen gut sein oder wenigstens als die Guten gelten. Da ist zudem der Name, eines Superhelden würdig: Jemand, der sich Benedetto XVI nennen lässt und wie der Imperator aus Star Wars aussieht… weiss-schwarz wie Juve. Von der Wahl – weisser Rauch – bis zu den Himmelschören: Die 17


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Burschen wissen, wie Glaube inszeniert wird. Also ein würdiger Gegner, cosa ne pensi, Secondo? Scheinheiligkeit – ipocrisia. Da lohnt sich jeder Widerstand. Wahrscheinlich möchte Razinger doch auch heilig gesprochen werden, wie kürzlich sein verstorbener Vorgänger Sankt Johannes Paul II. Das habe ich doch schon mal in Boccaccio gelesen... eine Erzählung aus dem 14. Jahrhundert und heute noch dieselbe Geschichte. Ser Ceppelletto liess es sich gut gehen, er beging alle moralisch verwerflichen Taten. Am Ende seines Lebens gab er die Beichte ab und er sprach so gut, so überzeugend, dass sich der Priester in der Gemeinde stark machte, um Ceppelletto heilig zu sprechen. Die Macht des Wortes oder alles nur Schall und Rauch. Das ist die wahre dunkle Seite der Macht. Dagegen könnte ich kämpfen. Wieso nicht ein Kostüm? Auch Reeve als Superman hatte nicht gerade die beste Figur und schämte sich nicht, mit dem rot-blauen Heldenanzug herumzufliegen. Spider- und Batman sehen gut aus. Mein Bauch ist noch kaum ersichtlich und mein Feind gäbe immer wieder Anlass zum Handeln. Letztlich habe ich gelesen, Geld wäre nicht wichtig. Angesichts der Finanzkrise, viele Börsen haben letzten Freitag (nicht den 18


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13., sondern am 10. Oktober 2008) sogar frühzeitig geschlossen, um panisches Handeln zu vermeiden. Finanzmärkte, wo es um Geld geht, wo investiert wird, um eine Illusion von Sicherheit zu ergattern, zu dieser Angst wollte Benedikt etwas sagen: „Geld ist nicht wichtig!“. Das sagt er, obwohl er einen eigenen Staat hat, seine Investitionen

kleinlich

sichert,

überall

Immobilien,

Mobilien und Menschen zu seinen Diensten hat. Wenn das nicht ein gehievter Bösewicht ist. Es gehe ja nie um weltliche Dinge. Bella faccia tosta! Aber nein, gegen den Papst zu kämpfen ist wie ins Meer zu pinkeln. Das machen schon viele und ich bin gar nicht überzeugt, in Benedetto den wahren Imperator gefunden zu haben. Er ist auf jeden Fall ein guter Schauspieler. Devo continuare a cercare… Der Ansatz ist gut. Scheinheiligkeit als Feindbild. So ernste Themen mit einem Cape angehen, Secondo? Und wenn du gar nie fliegen wirst? Da wird doch unsere Erzählung zu einer Farce, du wolltest doch ein Held sein, etwas Bedeutendes leisten. Während Secondo sich überlegt, wie er heldenhaft werden könnte, erzähle ich eine Geschichte aus seiner Kindheit. Vielleicht interessiert es dich, warum Secondo heldenhaft sein will. Wenn sich Secondo von der 19


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Masse abheben will, dann müssen wir bei seiner Langeweile anfangen. Er begann schon früh, sich als langweilig zu halten. So ganz Unrecht hat er sicher nicht. Secondo war nicht sehr aufgeweckt. Er interessierte sich weder fürs Andere-Kinder-treffen noch fürs Lesen (ausser natürlich Comics). Später wollte er am Samstag Abend gar nicht oft ausgehen, traf sich nur selten mit Frauen und was er vom Karrieremachen hält, weißt du ja schon. Bald hatte Secondo das Gefühl, ungeeignet für dieses Leben zu sein. Nichts machte ihm wirklich Spass. Ein besonders langweiliges Hobby war Stau spielen. Wie die meisten Jungen bekam Secondo Spielzeugautos. Damit spielte er Stau – stundenlang. Er war so vertieft in diesem Spiel, dass der Nachbar Giacomo langsam neugierig wurde. Giacomo sollte mit Secondo spielen, Eltern suchen für ihre Kinder immer Gesellschaft. Jedenfalls kam Giacomo häufig vorbei, und die Beiden spielten Stau mit den Autos. Eines nach dem anderen bewegen, aber nur wenige Zentimeter – Secondo ärgerte sich, wenn es zu schnell ging, es waren schliesslich auch seine Autos, und er konnte gut alleine spielen. Sie spielten Stau, schlugen die Zeit tot, jedenfalls kann Secondo auch heute stundenlang die langweiligsten Sendungen im Fernsehen anstarren. Giacomo kommt ab 20


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und zu beim Comicladen vorbei. Sie sprechen wenig und langsam. Mir ist gerne langweilig. Ich weiss nicht, wofür ich mich interessieren könnte. Ein neues Shopping-Center hat im Raume Bern eröffnet, ist es etwa aufregend, dort meine Freizeit zu verbringen? Ich spielte gerne Stau, das beruhigte mich und ich konnte mich ablenken. Es stimmt, ich habe mich häufig gefragt, wieso ich mich anders als die Anderen fühlte, aber welches Kind möchte nicht wenigstens ab und zu abnormal sein? Nein, der Held in mir ist nicht aus einer Notlage entstanden. Wie jeder Held weiss ich schon immer, einer zu sein. Lassen wir das Kostüm beiseite, du wirst nicht mehr an meinen Fähigkeiten zweifeln, wenn du mich fliegen siehst. Angst. Das wäre doch ein Gegner. Wer will nicht frei von Angst sein? Da bin ich ein Held. Ich sehe schon die Werbung mit meinem Bild: „Flieg deiner Angst davon!“ Angst. „Zieh einen Pullover an, sonst erkältest du dich. Du bist ja flotschnass, bestimmt kriegst du eine Erkältung. Geh nicht ins Wasser, du hast erst vor zwei Stunden gegessen.“ usw. Wie kann da ein Kind frei von Angst sein? 21


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Ich weiss noch, wie ich mir den Angriff von Viren- und Bakterienarmeen vorstellte, wenn ich nasse Socken hatte. Ich musste gleich husten. Meine Mutter klang glaubwürdig, als hätte sie Medizin oder irgendeine Heilkunde studiert. Fazit dieser Angstmacherei: Wenn du nicht auf mich hörst, wirst du sterben. Dies mit mediterraner Übertreibung, aber eben plausibel. Ich glaube, sie stellte sich auch dieselben Viecher wie ich bei jeder Nässe oder Kälte vor. Gegen die eigenen Ängste kämpfen, aber dies sind die Gespenster meiner Eltern, nicht meine. Das ist ebenfalls heldenhaft: die Anderen befreien. Die mittelalterlichen Ritter kämpften für irgendwelche Prinzessinnen, da könnte ich doch gegen die Ängste meiner Eltern kämpfen, indem ich mich weniger erkälte, obwohl ich nicht immer einen Pullover anziehe. Das klingt nicht gerade heroisch, höchstens die übertriebenen Befürchtungen einer Mamma, die nicht gerade zu Heldenmut antrieben. Oder gerade doch? Die Prüfungen und Krisen des Helden, damit er sich durch aussergewöhnliche Taten auszeichnen kann? Jedenfalls muss ich im Alltag weiter suchen. Mit Benedetto, Bush oder Blocher beschäftigt sich momentan schon die ganze Welt oder die ganze Schweiz. Da wäre ich nur ein Mainstreamheld. Non fa per me. 22


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Wegfliegen. Secondos Eltern haben ein schwieriges Verhältnis zur Reiserei. Sie emigrierten zuerst nach Amerika, dann in die Schweiz. Italien, Siena, hätten sie nie freiwillig verlassen. Im-Ausland-das-Glück-finden oder zumindest Geld, um sich etwas Glück zu erkaufen. Secondo mochte Geld nicht und Geld wohl ihn nicht. Er dachte bei jeder Schnäppchenjagd daran, wie er dabei seinem Vater ähnelte, da lief es ihm kalt den Rücken runter. Als Panikhandlung verschleuderte er Geld für irgendetwas, nur, um sich von seinem Alten zu unterscheiden. Er würde gerne fliegen und genüsslich in fremde Länder reisen. Die Zeiten der zugeschnürten Koffern, sieben oder acht, um fünf Wochen in Süditalien zu überleben, waren vorbei. Wenn die Grosseltern den Teufel an die Wand malten – Habt-ihr’s-geschafft-wie-wardie-Reise-habt-ihr-geschlafen-gegessen-überlebt? – wollte Secondo die Reiselust entdecken. Die Grosseltern reisten aus der Provinz Napolis nach Siena, mit wenig Gepäck und vielen Schuldgefühlen, ihre Familie verlassen zu haben. Secondos Vater kam in Siena zur Welt und wuchs dort auf. Es war ein Schock für Vittorio und Sandra zu erfahren, Ernesto ginge nach Amerika. Diese Spinnerin, Filomena, 23


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hätte es ihm eingeredet. Dabei war es Ernestos Idee gewesen, der wie seine Eltern zuvor nach Glück strebte. Die Reise war lang, das Schiff glich denen von Emigrantenfilmen. Eine volle Ladung Emigrantenvieh, da kann Reisen nie mehr lustig werden. Nach ein paar Jahren in New York ging es ins sonnige Kalifornien, nach San Diego, das klang für die gläubige Filomena gut, und in den Neunzigern nach Bern – eine Odyssee. Secondo würde überall mit gutem Gewissen reisen. Wahrscheinlich liegt es am Blickwinkel: Aus der Höhe betrachtet werden die schönsten Orte ersichtlich, aus der Tiefe ihrer Ängste konnten

sich

Secondos

Vorfahren

nur

mühselig

fortbewegen. Vor hundert Jahren gab es Emigrantenhelden, die ihr Leben beim Tunnelbauen liessen. Kürzlich gingen meine Eltern zur Gedenkfeier am Gotthard, sie waren gerührt, als sie verblasste Schwarzweissfotos von ihren Landsleuten sahen. Ich habe meinen Vater im Fernsehen gesehen. Ernesto ist nicht sehr rührselig, da hatte er Tränen in den Augen. Filomena lässt sich lieber bei Soap-Operas rühren… jeder hat eigene Tränendrüsen. Ich als Reiseheld: Der erste Emigrantensohn, der von Land zu Land fliegt 24


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ohne den Rucksack voller Gewissensbisse seiner Vorfahren zu spüren. Non mi sembra poco. Un’anima alla riscossa… Può succedere sempre… a casa dai genitori vent’anni fa… in treno verso Bienna… sulla strada ghiacciata… un collasso e… sei morto o quasi. Es ist schwierig, den Gedanken auszuhalten, uns würde es einmal nicht mehr geben. Als Held hätte ich mir ein Mahnmal gesetzt, aber die Angst bleibt, mit dem Gedanken des Nicht-mehr-Seins umzugehen. Keine Schmerzen und Freuden mehr. Der Trost des Glaubens. Immerhin.

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II Angst…

Kennen Sie Tagalbträume? Secondo kennt sie seit langem. Schon auf amerikanischem Boden, das weiss er noch genau, obwohl er kaum sieben Jahre alt war, kannte er diese grausamen Bilder. Horrorszenarien. Diesmal konnte nicht Dylan Dog schuld sein, denn dieser Comic bekam er erst mit elf Jahren in die Hände, seine erste Ausgabe, die Nummer 11, trug den Titel „Diabolo il grande“, eine Ristampa vom August 1987. Er bekam den Comic von seiner Cousine Danny, sie heisst eigentlich Daniela, aber sie wäre so gerne wie Secondo in den Staaten geboren worden, um offiziell Amerikanerin zu sein. Sie hat diese lockere aufgestellte how-are-you-doing-Art, was wir in Europa nicht kennen. Weder mediterrane Hektik noch Älpler Verschlossenheit – einfach nur sein und sein lassen. Sie hat auch vieles losgelassen: Freunde, Familie und vor allem la Mamma – von Napoli nach London, da liegen Welten, nicht nur ein Meer dazwischen. Es ging nicht nach New York und die britische Lebensweise lag ihr bis auf den 26


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Humor kaum, aber sie lebt und arbeitet in einer Kneipe dort. Es geht ihr ganz gut mit ihrer USA-Fahne übers Bett. Dylan Dog ist Brite, ok, aber Dylan Dog ist sowieso ein Weltbürger, ihr Mythos, Dannys und Secondos Held. Danny hat bis heute alle Nummern der Serie gesammelt, mittlerweile sind es 266. In London lässt sich der Comic kaum finden, da legt Dannys Mutter monatlich eine Nummer auf die Seite. Natürlich motzt sie genauso wie Filomena über die Sünden der Kinder. Tagalbträume. Schuld waren für Filomena der Horrorcomic oder Horrorfilme, da Secondo mit 11 Jahren, wieder die Elf, mit Schaudergeschichten anfing. Es könnte nicht schlimmer als zu Hause sein, würde er kommentieren. Filomena klagte wie in einer Litanei: „Diese-Grausamkeiten-davon-wirstdu-träumen-damit-findest-du-keinen-Schlaf!“

Es

waren

eher die Warnungen der Mutter als die ganzen abgetrennten Köpfe, die herausragenden Innereien oder die durchgeschnittenen Kehlen, die wie ein Echo den kleinen Secondo verfolgten. „Che-poi-te-li-sogni-la-notte, eeeh, aaah, uuuh!“ Es fehlte nur ein hexenähnliches Lachen und der Horroreffekt der Zauberformel wäre perfekt gewesen. Secondo antwortete bald nicht mehr auf diese Mahnungen, er hörte sie schon nicht mehr, und schaute 27


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sich weiterhin Dylan Dog oder „Dawn of the death“ im Fernsehen an. Aber die Tagalbträume, die waren unangenehm, sehr gruselig. Ich konnte zu Mittag essen, es konnte mir einigermassen gut gehen, da kam mir ein Bild vor Augen, so real wie die Suppe, die ich schlürfte. Ich-zum-Fenster-Fenster-aufAnlauf-und-runter-tot.

Meine-Mutter-rutscht-aus-bricht-

sich-das-Genick-tot. Mein-Vater-schneidet-sich-selbst-undnicht-die-Salsiccia-Blut-tot. Es war eine unerträgliche Bilderfolge. Wie damit umgehen? Auf jeden Fall muss ich mich als Held damit auseinandersetzen, auf meine Angst zugehen. Ich gebe diesen Tagalbträumen einen Namen: Hannibal. Jaja, nicht sehr originell, aber die Lämmer müssen irgendwann schweigen, diese Quälgeister. Hannibal gibt es immer noch: Sofia-hatte-einen-Unfallkommt-nicht-mehr-heim-tot. Secondo wollte einen Vertrag machen, den Sofia aber abgelehnt hatte. Er würde vor ihr sterben, um sich nicht alleine aushalten zu müssen. Klar willigte sie nicht ein, für einen Vertrag braucht es die Realisierbarkeit der Erfüllung. Diese Abmachung wäre also 28


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nichtig gewesen. Ein jämmerlicher Versuch Secondos, einem weiteren Hannibal aus dem Weg zu gehen. Es ist nicht lustig, sich selbst dauernd auszuhalten. Dieses rundliche Gesicht, aufgedunsen und rötlich. Fett am Leib und Geister im Kopf. Unerträglich. Ich weiss nicht, wie sich Leute selbst lieben können, sich selbst gut finden. Jede Verzauberung

ist

doch

spätestens

nach

einigen

Augenblicken verflogen, vielleicht dauert der Augenblick ein paar weitere Blicke, wenn die Hormone in Schwung kommen, aber ein Verfalldatum gibt es zwangsläufig. Da kommt ein Herr in den Comicladen, im besten Alter, was auch immer dies heissen mag. Mantel und Sportschuhe, gepflegtes Äusseres, über die Mittagspause einen Comic besorgen, nach der Arbeit hat er sicher noch im Fitnessclub zu schwitzen und zu lächeln. Wie-geht-essympathisch-Lächeln-super-wie-immer-sympathischLächeln, wieso lächelt er immer? Es kommt mir vor, als würde er lächelnd zu sich selbst sprechen, sein Spiegelbild in der Theke oder an der Wand suchend. Auch-beimVerkäufer-komme-ich-sympathisch-rüber-wie-immer. Ich bin nicht einmal blond und begehrenswert. Ist wohl ein Hauptsache-gut-ankommen-Typ. Da frage ich mich, ob 29


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solche Menschen sich selbst nie auf den Keks gehen. Mich kotzt das Leben manchmal an, wort-wörtlich, da muss ich mich übergeben. Der Arzt, der mich kaum zu sehen bekommt, ich meide Ärzte, sie haben niemanden geheilt, jedoch Doktor Tasli war lustig, denn ich bin überzeugt, er macht allen etwas vor. Eigentlich ist er gar nicht Arzt, sondern ein Schamane im Geist, der mit einem Blick heilen möchte. Tasli hat auch einen Heldentraum, denn mit Blut und Infektionen kann er wenig anfangen. Einmal bin ich also wegen meiner Übelkeit zu Tasli, dieser blickte wie üblich auf den Tisch und nicht in meine Augen, schrieb irgendetwas in seinem Heft auf, schlug in irgendeinem Buch etwas nach, stand wortlos auf, ging zum Schrank in der Ecke, wo zehntausende homöopathische Kügelchen darauf warteten, auf einer Zunge zu vergehen. Tasli legte ein paar Kügelchen auf einen Plastiklöffel, kam zu mir und wartete

auf

meinen

geöffneten

Mund.

Statt

auf-

Wiedersehen endete die übliche Sitzung mit rufen-Siemich-nächste-Woche-an-wenn-es-nicht-besser-wird. Natürlich nützen die ganzen Kügelchen nichts und ich übergebe mich ab und zu, aber es ist besser, als die selbstverliebten Litaneien von echten Ärzten zu hören. 30


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Selbstverliebt bin ich nicht, jedoch sollte ich lernen mich auszuhalten. Dylan Dog hat Platzangst und wird seekrank. Mich macht das Leben seekrank. Immer, wenn ich glaube, einen Berg bewältigt zu haben, steht der nächste Berg für mich da. Ich habe Angst, meinen Kopf ohne Herz oder mein Herz ohne Kopf zu spüren. Beides tut weh. Werde ich es schaffen? Manchmal fehlt mir aber die Lust zu arbeiten und die Lust, Freizeit zu gestalten. Wieviel Mensch und Menschen brauche ich, um zu leben? Dylan Dog vermeidet möglichst Aufzüge und Schifffahrten, darum möchte ich ein Held werden, einfach die Angst abstellen… Ich könnte sie später abholen… Ich weiss, ich weiss, so läuft es nicht. Vado spesso a Bienna e guardo il lago. M’immagino come volo fino all’altra riva. A volte sfioro l’acqua bagnandomi le mani. Continuo a volare…

31


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III Abwesend

Die Welt kreuz und quer durchfliegen und befahren. Secondo reist nicht gerne. Er mag es schon, neue Orte und Gesichter zu sehen. Es reisen aber viele Menschen. Diese Anderen sind ihm zu viele. Alleine in ausgefallenen Orten reisen ist ihm zu anstrengend. Was bleibt ihm da? Wenn Sofia Lust auf Reisen hat, das hat sie in regelmässigen Abständen, lässt er sie alles organisieren und fliegt dann mit. Ab und zu sagt sie, es wäre schön, wenn er mal auf Internet ginge und die nötigen Vorkehrungen träfe, aber er weiss ja, sie würde es dann doch wieder tun. Sofia ist ein Organisationstalent. Sie hält sie für schnulzige Worte, wenn Secondo lächelnd beteuert: „Egal, wohin wir gehen, du bleibst meine Heimat.“ Anyway – das Problem ist seine Abwesenheit. Secondo hört selten zu, er ist mit den Gedanken woanders. Wo denn? Schlussendlich landet er immer wieder bei sich, da kann er schlecht auf andere Menschen eingehen. Sie kennen sicher Leute, die in den Ferien an den nächsten Urlaub denken, nach Feierabend 32


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die Arbeit mit nach Hause nehmen, im Gespräch kaum in die Augen schauen. Secondo scheint, immer abwesend zu sein. In der Vergangenheit oder in der Zukunft. Nicht, dass er nicht an Carpe Diem glaubte, er hat sogar schon Meditationsübungen gemacht, um im Hier und Jetzt zu landen. Diese Schwäche hat er, es ist sein Kryptonit. Will er ein Held werden, da sieht er sich schon im Fluge, die Schritte überspringend, um über den Wolken zu gelangen. Oder die Bilder aus seiner Kindheit kommen hoch. Er, so klein, zwischen riesigen amerikanischen Autos, mitten in einem Parkplatz wie drei Fussballfelder gross. Secondo verzerrt die Realität, ihm sind Fakten nicht wichtig. Das Bild eines Trucks, der zu blinzeln scheint und, wenn die Erwachsenen abwesend sind, tief zu atmen beginnt wie ein Stier, der gleich loslegen wird. Ein schwarzer Truck mit feuerroten Blitzen verziert, der zum fauchenden Riesen wird. Klein-Secondo hat keine Angst, er weiss instinktiv, dass der Truck zu den „Guten“ gehört. Als dieser losfahren will, schreit Mamma „Secondo“ von weitem und alles

scheint

wieder

zur

unwichtigen

Realität

zurückzukehren, aber Secondo hat einen mächtigen Freund gefunden. Es gibt Erfahrungen, die bauen dich auf, andere stellen deine Schwäche bloss. Secondos Kryptonit ist nach 33


Giovito

Secondo und George

wie vor die sogenannte Realität… wenn er daran glaubt. Da fühlt er sich schwach und hilflos. Daran musst du noch arbeiten, mein Freund. Letztlich kannst du nur ein Held werden, wenn du die Grenzen des Machbaren überschreitest. Secondos Kryptonit wirkte sich schon als Kind in schlaflosen Nächten aus. Vorher, eben vor der Zeit, die Vorgeschichte dieser Träumerei. Er spielte Fussball, soccer hiess es drüben. Als er in die Schweiz kam war es, als ob er ganz in der Nähe von Turin, F.C. Juventus Torino, wäre. Sofort ging er in einen Club, so wie die anderen Kinder kannten seine Träume keine Grenzen. Offiziell

hiess

es

bis-nach-ganz-oben-schafft-es-fast-

niemand und auch im Club, in der Region Bern war Secondo nicht gerade beliebtes Opfer von Talent-Scouts. Insgeheim glaubt jedes Kind an den Durchbruch, bei jedem gelungenen Spiel sieht es sich in Schwarzweiss mit Del Piero & Co. über den Rasen rennend, Interviews verweigernd, Schwalben übend, arbitro-era-rigore-netto… das ganze Paket voller Ruhm und Erfolg. Secondo schlief vor einem Spiel vor Aufregung nicht. Er kannte Lampenfieber bei jeder bevorstehenden Leistung. Ob eine Biologieprüfung,

ob

ein

Fussballspiel 34

gegen

den


Giovito

Secondo und George

Tabellenersten, Secondo mit offenen Augen und seinen Horrorszenarien. Eine Blamage vor dem Tor, er hatte einmal eine ganze Saison lang kein Tor geschossen, als Mittelfeldspieler nicht gerade ein Fähigkeitsausweis; eine verpatzte Prüfung, er wollte ja nicht „Jemand“ werden, aber der Stolz, nicht als dummer Emigrantensohn aus den USA zu gelten, hielt seine Augen offen. Horrorszenarien – schlechte Noten, keine Ausbildung, keinen Job, unter der Brücke;

schlechtes

Spiel,

ausgegrenzt

vom

Club,

ausgegrenzt von der Gesellschaft, unter der Brücke – Horrorszenarien eben. Secondo ist abwesend wie damals, als er nicht im Bett blieb, sondern in Gedanken unter der Brücke landete. Hat er gar nichts aus seinen Erfahrungen gelernt? Seine Schwester Sara kommt zu Besuch. Sie ist älter als Secondo, im September wird sie 33 Jahre alt werden, und ist ständig unterwegs. Sie hatte eine Lehre in der Bank angefangen und abgebrochen, um zu reisen und woanders zu sein. Abwesend von den Ängsten? Sara ist Secondo immer angstfrei vorgekommen, als hätte sie es tatsächlich geschafft, vor den Feinden zu fliehen. Sie spricht fünf 35


Giovito

Secondo und George

Sprachen und ruft immer wieder an, um nach dem kleinen Bruder zu sehen. Ich glaube, sie hat sich immer Sorgen um mich gemacht, wegen meines mangelnden Tatendrangs. Diesmal möchte ich sie etwas fragen, so offen wie es zwischen Geschwistern möglich ist. Da sind Bilder aus der Kindheit, gemeinsame Bilder von einer Familie. Wie können Geschwister so unterschiedlich werden, wenn sie ähnlich lange Zeit den Launen der Eltern ausgesetzt waren? Jedenfalls möchte ich sie fragen, in welchem Land, in welcher Stadt sie sich am besten fühlte. Das tönt nicht gerade nach einer psychoanalytischen Frage, aber ich möchte mehr wissen über Saras Fähigkeit, sich im Leben wohl zu fühlen. Seit fünfzehn Jahren arbeitet sie nun saisonal in der Gastronomie, morgen kommt sie aus Berlin nach Bern. Gli occhi spalancati… perdendosi in un delirio di futuro… gli occhi spalancati come un morto… assente.

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Giovito

Secondo und George

„Wo es Licht und Sonne hat“, hat sie auf meine Frage geantwortet. Es stimmt, Sara ist ein Sonnenkind, das passt zu ihr.

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Giovito

Secondo und George

IV Immer wieder

„Ein Held ist für immer heldenhaft“. Gerade als Secondo diesen Gedanken hatte, erfuhr er von den Abruzzen. Die Erde hat in Aquila gebebt und wochenlang gab es Nachbeben. Das Stadtzentrum wurde zum Teil begraben. Kein

Licht

mehr,

viele

Tote,

eine

Zeltenstadt,

Ministerpräsident Berlusconi will auch diese Tragödie zu Propagandazwecken benutzen. Sara ist wieder nach Berlin zurück. Ich habe sie zum Flughafen in Basel begleitet. Flughafen-Gesichter: der Ausdruck von Heimkehrern. Jeder hat das Gefühl, kein Tourist unter Touristen zu sein. Er nicht, da spricht einer in sein Handy, er sei zwar seit Generationen Emmentaler, aber so wie die Anderen in der Schlange zum Check-In, nein, so sei er sicher nicht. Gut-gekleidet-teure-Sachen-mitgesenktem-Blick-auf-die-teuren-Schuhe.

Er

sei

oft

geflogen, so dass er sich eher für einen Geschäftsmann halte als für einen Touristen. Gut, er habe immer Ferien 38


Giovito

Secondo und George

gemacht, aber er wisse noch, wo anstehen, wie am schnellsten ein- und wieder auschecken usw. Alles Sachen, die wir im Handy-Zeitalter nun erfahren müssen, wenn wir irgendwo anstehen oder Tram fahren. Dieses Bedürfnis, sich öffentlich mitzuteilen, als hätte die Menschheit auf die technologische Entwicklung gewartet, um allen sagen zu können, wie bestürzt wir über Michael Jacksons Tod sind. Jedenfalls fliegt dieser Emmentaler, der Dialekt ist unverkennbar, nicht nach Rom, um mit der Protezione Civile in die Abruzzen zu fahren, um in der Zeltenstadt Blut zu spenden, um Trümmer zu räumen. Aber ich selbst fahre ja auch nicht dort hin. Das wäre eine Heldentat. Und ich werde mir immer wieder bewusst, noch nicht parat zu sein. Ich muss noch bei mir aufräumen, den Mut haben, für einen höheren Zweck, mein Leben in Bern, auch nur für eine Weile, zu verlassen. Secondo hat die Quadratur des Kreises entdeckt. Das wussten wir schon lange und so kann es noch lange dauern, bis sich in der Heldensache etwas tut. Eigentlich ist er nicht ängstlich, aber immer wieder lässt er sich von grandiosen Gedanken behindern, im Hier und Jetzt zu 39


Giovito

Secondo und George

leben. Wenn er ehrlich wäre, müsste er zugeben, genauso Angst wie andere zu haben. Niente eroe per il momento, ma almeno solidarietà morale per gli Abruzzi. Donerà qualche soldo alla catena della solidarietà per calmare la sua coscienza… almeno quello per tirare avanti. Secondo weiss, wann er es geschafft hätte. Ein Held kennt sich und seine Fähigkeiten, also fliegt er auch im richtigen Moment davon. In den Comics oder Filmen braucht die Welt einen Helden, erst da wurden Batman, Spiderman oder Dylan Dog geboren. Als das Bonelli-Fumetto im 1986 von der Feder von Tiziano Sclavi entstand, brauchte die Welt einen Indagatore dell’Incubo – Detektiv der Albträume. Wer wünscht sich nicht einen Helden, der die eigenen Albträume bekämpft? Nicht die, die wir mit Lust erleben, nicht den Nervenkitzel bei Horrorszenen in Filmen, sondern Albträume, die uns auch im wachen Zustand

verfolgen,

die

unser

Leben

erschweren,

unerträglich machen. Die Albträume, in denen die Ehefrau umkommt

oder

die

ganze

Familie

verschwindet,

Albträume, in denen die Anderen glücklich wirken, die 40


Giovito

Secondo und George

eigene Hoffnung aber erloschen ist. Albträume, die in eine Sackgasse enden, in denen du lauthals schreiend nicht aufwachst. Albträume, in denen du deine Stadt, dein Haus, deine Freunde nicht wieder erkennst, in denen eine einfache Bemerkung eines Freundes einen schrecklichen Ton erhält. Die Welt braucht heute noch Dylan Dog. Immer diese Träume. Sofia spielt Fussball, das hat sie noch nie. Es muss ein wichtiges Spiel sein, denn das Stadion ist voll. Sie spielt als Verteidigerin und zeigt Einsatz. Zu viel. Nach einem erneuten Foul bekommt sie die gelbe Karte, die Zuschauer pfeifen. Kurz darauf foult Sofia wieder einen Gegenspieler. Der Schiedsrichter zögert nicht, zeigt die rote Karte. Die Zuschauer sind aus dem Häuschen, pfeifen-buuu-Rufe-werfen-mit-Gegenständen. Sie wird für das Scheitern der Mannschaft verantwortlich gemacht. Ich eile herbei, gehe auf das Spielfeld und beschütze mit den Armen meine schluchzende Frau. Wir gehen zusammen raus. Ich würde mit dem Auto vor dem Stadion warten... Wie soll Secondo diesen Traum verstehen? Überhaupt: Nun will er Psychoanalytiker spielen. Glaubt er so herauszufinden, was er wirklich will, was Ich-Überich-Es & 41


Giovito

Secondo und George

Co. von ihm wollen? Machen wir lieber weiter mit unserer Heldengeschichte und Träume Träume sein. Però m’interesserebbe capire attraverso i miei sogni... inoltre si tratta di mia moglie, dunque sarà importante. Ma vorrei lasciar fuori da questa storia Sofia, in fondo riguarda solo me. Io e i miei sogni...

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Giovito

Secondo und George

V Eines Tages...

... kam Secondo von der Arbeit nach Hause und Sofia war weg. Er hatte einen ruhigen Tag gehabt. Der neue Dylan Dog Special war herausgekommen. Im „Fumetto“ konnten Tinu und er die italienischen Comics billiger verkaufen als die Konkurrenz, da sie grössere Mengen importierten. In den Kiosks musste man drei Mal so viel wie in Italien bezahlen, bei „il Fumetto“ nur das Doppelte. Der neue Dylan Dog – „L’angelo caduto“ – ein alter Bekannter Dylans, Saul, einer dieser Engel, die nicht lange fackeln und nach dem Sprichwort „der Zweck heiligt die Mitteln“ böse Menschen wörtlich verschwinden lassen, indem nur noch Asche übrig bleibt. Mit blossen Gedanken fangen die Opfer nämlich Feuer. Sind diese Engel immer noch auf der Seite der Guten oder sind sie bereits gefallen? Nicht unwichtig für Secondos Heldenfrage. Da war also Secondo im Flur mit einem Notizzettel in der Hand. „Ich brauche eine Bedenkpause. Die Tomatensauce 43


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sollte für zwei Wochen reichen. Bitte lass mich in dieser Zeit in Ruhe. Sofia“. Sie wusste, täglich dasselbe zu essen, machte Secondo nichts aus. Er mochte Regelmässigkeiten, Rituale. Und er würde sich auch nicht viele Fragen stellen. Es stand schwarz auf weiss: Pause – zwei Wochen – Ruhe. Ok, das machen wir so. Wahrscheinlich ist sie wieder nach England gefahren, nach Bournemouth, wo sie nach der Matur bei einer Gastfamilie als Au Pair ein halbes Jahr verbrachte... auf dem Land, nahe dem Meer. Und doch habe ich nicht geglaubt, es stünde so schlecht um uns. Aber eben: Sie hat zwei Wochen Frist verlangt, diese gönne ich meinen Gedanken auch. Auf jeden Fall muss ich mich nun um den Haushalt kümmern... nicht gerade meine Stärke. Das Putzen überliess ich immer ihr. Musste sie gerade an einem Freitag abhauen? Na gut, Putzmittel scheinen vorrätig zu sein und einkaufen gehe ich sowieso oft. Wieder mit Kochen beginnen? Höchstens jeden zweiten Tag. Tiefkühlkost wird mich nicht umbringen. Wie lange braucht es bis Bournemouth? Zwei, drei Stunden? Auf jeden Fall ist sie jetzt dort, wo sie sein wollte. Nicht bei mir. 44


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Secondo und George

Eines Tages, eines Tages musst du aufwachen! Wir wissen doch beide, was wirklich passiert ist, wer ich bin und wohin Sofia gegangen ist. Dorthin musst du auch: zurück zur Realität! Du hast dir all diese Geschichten erschaffen, du brauchtest sie, du brauchtest die Krankheit, aber es gibt noch viele Sofias für dich. Du erfindest Geschichten, drückst dich aus, Secondo, du könntest wieder „Ja!“ sagen, du könntest zurückfinden zu dir, du bist nicht unerträglich und die Welt ist es auch nicht. Secondo Petrocelli lebt seit zwei Jahren in der Waldau, eine psychotherapeutische Klinik in Bern. Er ist psychotisch. Trotz den Medikamenten ist er nur selten ganz bei Sinnen. Er liess sich freiwillig hospitalisieren, nachdem ihn seine Freundin Sofia verlassen hatte. Nur wenige kommen ihn besuchen. Tinu bringt jede Woche einen Comic mit. Sein Betreuer, Noa Rastic, versucht ihn auf seiner Heldenreise zu begleiten. Schon zum fünften Mal erhält er den Abschiedszettel von Sofia und zum fünften Mal wird er ihn wieder verstecken und vergessen. Das Pflegeteam ist dennoch der Meinung, Secondo habe den Bezug zur Realität noch nicht ganz verloren, denn selten haben sie einen Patienten gehabt, der so klare Halluzinationen hat. 45


Giovito

Secondo und George

Dies zeugt von Kreativität und Logik. Daher wird Secondo auf der Suche nach dem wahren Helden unterstßtzt und wer weiss, forse un giorno, wird Secondo als Held sein Leben wieder meistern.

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Giovito

Secondo und George

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Secondo und George

GEORGE I Eines Tages...

George kam aus dem Spital und weinte. Er war eigentlich gewarnt worden, es bliebe ihr nicht viel Zeit. Zwei Jahre sind vergangen. Das ist mehr als in den meisten Fällen, da kannst du noch Abschied nehmen, dich mit ihr erinnern. Jaja. Was die Leute nicht alles sagen. Jedenfalls war es so weit. Vorahnung – Schock – Wut – Trauer – neue Strategien u. ä. Es gibt viele Ratgeber: Bücher, Rentner in der Migros, die wie ein Radio klingen; ab und zu hörte er hin. Wenn ein Wort oder eine Redewendung gerade zu seinem Leben passte.

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Giovito

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II Krempel

George schmiss allen Krempel weg. Vieles war für ihn Krempel. Es war wie im Film „Terminator“: Er sah ein apokalyptisches Ende, wenn zu viele Sachen auf ihn entgegen kamen. Wer soll das alles entsorgen? Wer soll mich und den Krempel von Milliarden von Menschen entsorgen? Zu viel Leben, zu viel Tod. Er wusste, das kam von früher. Sie schmiss nichts weg. Sie hätte mit sieben Geschwistern nicht genug gehabt: Essen, Kleider, Freizeit. Und nun, als all dies vorhanden war, häufte sie an, auch die Freizeit. „Ruhe dich erstmals aus!“, sagte sie ihm schon als Kind. Wieviel Ruhe braucht ein Kind? Im Haushalt musste und durfte George nie mithelfen. Das sei Frauensache. Erst viel später merkte er, wie er etwas verpasst hatte. Es hat etwas mit Selbständigkeit und Selbstwertgefühl zu tun. Aber eben: Er mochte diese Ich-Ausdrücke nicht. „Liebe dich selbst“ war überall zu lesen… Wie soll das gehen? Nach fast 40 Jahren in den Spiegel schauen und sich jeden Morgen sagen: „Wow!“ Das fand George lächerlich… 49


Giovito

Secondo und George

III Mater Morbi

George dachte schon immer viel über Krankheit und Tod nach. Seine Gesundheit und vor allem die seiner Liebsten. Seine Liebste war nun gestorben. Es dürfte nicht mehr „seine Liebste“ sein, sagen die Psychos, also Psychiater und Psychologen. Er nannte sie Psychos nach einer Anekdote eines Jugendfreundes. Da ging George zur Schule und dieser damals-noch-nicht-Freund sagte zu ihm: „Ich habe gehört, sie ginge zum Psychopathen.“ „Wie, Psychopath? Du meinst wohl zum Psychiater…“, entgegnete ich. Darauf Markus: „Psychiater, Psychologe, Psychopath… ist doch alles das Gleiche!“ George lachte laut, aber Kusi verstand keinen Spass und haute zu, diesmal auf den Oberarm, sieben- bis zehnmal. Nach der Schule sahen sich die beiden sieben Jahre lang nicht, bis sie sich in der Disco „Tonys Club“ in Bern wieder trafen. Eigentlich hielten sie beide Ausschau nach grossen Brüsten, als sich ihre Blicke trafen und sie lachten laut. Sie erzählten sich ihre Leben. Hauptsächlich quatschten sie über die Schulzeit. Beide fanden sich eigentlich „cool“, was damals 50


Giovito

Secondo und George

„gut“ bedeutete, aber sie betrachteten sich als Rivalen um die Vorherrschaft in der Klassengunst. Kusi war der Starke, George der Intelligente und beide von Haus auf Machos. Im „Tonys“ wurden die beiden die dicksten Freunde. Es war auch Kusi, den George anrief, als sie erkrankte.

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Giovito

Secondo und George

IV Staub

Sie war eine schöne Frau. George sah schon den Ausdruck von Kusi, der Psychiater, genauer Psychoanalytiker freudscher Schule, ist. Jaja, Ödipus. Sie war eine sehr schöne Frau. Als George klein war, achtete sie nicht sehr auf ihre Gesundheit, sie ist nicht immer hypochondrisch gewesen. Dafür sorgte sie sich für die Gesundheit des Kindes. Sie war alleine mit ihm und jung. Sie war wie eine südländische Mamma, wo Süden auch sein mag. Pullover anziehen, Was-gerade-für-sie-gesund-sei essen, viel essen, nicht-zuviel: Sonne, Spass, Schnelligkeit. Wie eine Polizistin erkannte sie jede Gefahr und versuchte, den Kleinen davor zu bewahren. Natürlich erfolglos. George wurde immer wieder krank. Hohes Fieber. Mittelohrenentzündung, Lungenentzündung, überhaupt entzündeten sich Körperteile, die er nicht einmal kannte. Bänder wurden beim Sport angerissen, hingegen die Nase blutete nie. Auch später beim Boxen nie. Darauf war George stolz. Krank. Krank gemeldet. In der Schule kam er trotzdem mit. Lesen und schreiben konnte er auch zu Hause. Jedenfalls mochte 52


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Secondo und George

er die kranken Tage. Sie war zu Hause, er schaute – sehr viel – fern. In der Schule waren zu viele Leute. George hatte Platzangst ein kränkliches Kind. Das sollte nicht immer so bleiben. George ist seit Jahren kerngesund. Und doch änderte sich alles. Früher machte er sich kaum Gedanken über den Tod. Es gehörte dazu. Wenn das Fieber mal nicht zurückgegangen wäre, wenn die Entzündung sich ausgebreitet hätte, wenn die nächste Erkrankung schlimmer gewesen wäre, dann… eben dann. Mit der Zeit tauchten Krankheiten immer seltener auf. Mit 23 fiel George zu Neujahr auf, dass er im ganzen Jahr nie krank gewesen war und nun mit 40 Jahren ist Gesundsein die Regel. Da tauchte der Gedanke auf, dass wir sterben müssen. Der wurde lästig. Staub sind wir und zu Staub… Leute werden abergläubisch, wenn sie überhaupt den Tod erwähnen. Eigentlich eigenartig. Vielleicht haben wir alle die Illusion: „Schon klar! Wir müssen alle sterben. Aber ich… vielleicht…“ Für den gesunden George war sie aufgetaucht: die Angst vor dem Tod.

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V Neujahr

Auf Knopfdruck feiern. Nach den Familientagen, was auch immer zum eigenen Revier gehört. George wünschte sich eine Grossfamilie. Eine, die sich an Weihnachten nicht ausstehen kann, aber trotzdem zusammenfindet, die sich anschweigt oder in der jeder erzählt und keiner zuhört. Ein Rudel, in dem keine Lebensentwürfe gemacht werden müssen, wo es vorgegeben ist, was wann geschieht. So wie früher. So etwas hat George nie gehabt. Da war kein Vater, da war nur sie und die Katze Elenoire. Er hasste das Vieh, hatte sogar eine Allergie vorgetäuscht, bis sie George zum Arzt mitnahm. So sehr wünschte sie sich eine Katze. Dann wenigstens mit accent aigu. Es solle nobel klingen, die Rechtschreibung sei unwichtig. Wie eine noble Katze sah sie nicht aus, eher wie die streunenden Vierbeiner aus Walt Disneys Trickfilmen. Nun musste George auch für Elenoire sorgen und nein, er hatte sie vor zwei Jahren, als sie erkrankte, nicht weggegeben.

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VI Auf und ab

Auf und ab. Wo ist die goldene Mitte? Wozu in der Mitte und nicht links oder rechts, oben oder unten? Sie fand sie nie, die sogenannte Mitte, wollte leben, wie sie war, ohne so-geht-es-Ihnen-besser-Frau-Brodi. Als Jugendliche machten Ausdrücke wie „sei Du selbst“ die Runde. George prahlte damit, dass er „etwas verrückt“ war, nur nicht normal sein. Weiter kamen Gemeinplätze dazu wie: „Liebe dich selbst!“ Was soll das heissen? Sich vor dem Spiegel geil finden? Wie geht das? Schon muss jeder sich selbst aushalten, und zwar das Leben lang. Niemand sagt: „Halte dich selbst aus!“, jedoch möchte es George. Er gäbe sich damit zufrieden. Was er erhält sind Ratschläge, gegen Bezahlung oder nicht, wie es besser gehen soll. Sie ist gestorben. Ein zweites Mal weinte George.

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VII Zu viel Licht

Der Frühling kommt, einige hätten es fast geschafft. Alte Menschen, die froh sind, die kalte Jahreszeit zu überstehen. Einen Schritt noch, einen kleinen, wenn du kannst, wenn es geht. Da war der Fumettista, also Kioskverkäufer, George ging nur wegen Dylan Dog hin, er hatte den Comic reserviert. Jeden Monat für 12.- CHF! Also der italienische Originalpreis beträgt 2.90 Euro. Diese Wucherer! „Ja, Brodi! Ich kenne Sie doch!“, sagte Martin einst, seither gab es einen Schwatz zum Kauf. Tinu kannte Dylan Dog nicht, er konnte kein Italienisch, da hatte ihm George erzählt, worum es ginge. „Tod und Sex, aber auch soziale Themen!“ Da erwiderte Tinu, sein Vater läge am Sterben. Die Ärzte begännen ihren Bericht jeweils mit Redewendungen wie „Sie können froh sein…“ oder „Sie können sich von ihm verabschieden, andere…“ Tinu wusste nicht, wie mit seinem Vater zu sprechen. Wie sollte er sich verabschieden? Er hatte bäuerliche Wurzeln, sie brauchten in der Familie nicht viele Worte. 56


Giovito

Secondo und George

„Was hast du denn gemacht?“, fragte ihn George. „Wir sassen vor dem Fernsehen und kommentierten Quizsendungen. Der Alte sagte als Bauernsohn, er wolle nur noch diesen Winter überstehen. Noch einmal leben, wie das Gemüse – den Lebenslauf eines Sommers. Und er hätte es fast geschafft. Der Frühling ist ja dieses Jahr bereits anfangs März aufgetaucht. Gestern ist er gestorben. Jedenfalls frage ich mal meinen Freund Secondo, ob er deinen Comic Dylan Dog kennt. Bis dann!“

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VIII Secondo

Die Geschichte von Secondo Petrocelli hat Tinu auch mal erzählt. Secondo arbeitete bei ihm im „Fumetto“ in Bern. Seine Familie war von Süditalien zuerst nach Kalifornien und dann in die Schweiz ausgewandert. Secondo wusste alles über italienische Comics. Schon länger merkte Tinu, mit dem Jungen stimmte etwas nicht. Er verschloss sich, redete nicht mehr über seine Frau. Er hatte sich verändert. Einmal hatte Secondo Tinu seine grösste Angst gebeichtet, nämlich Sofia zu verlieren. Tinu befürchtete, dass es eben mit ihr nicht mehr gut ging. Da war er gar nicht so überrascht, als es passierte. Es war dann an einem Dienstag im Comicladen, als die Polizei vorbeikam und Secondo abführte. Er hatte sein Haus angezündet – zehn Wohnungen. Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Als sie kamen, um ihn zu holen, sagte Secondo: „Ich hatte schon lange Sofia versprochen, ein Cheminée einzubauen.“ Danach kam er in die geschlossene Anstalt Waldau bei Bern. Sofia hatte ihn verlassen. Da er nie mit sich reden liess, hinterliess sie eine Mitteilung und zog weg. Secondo 58


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verkraftete die Trennung nicht und verhing in seiner Vorstellung der Zweisamkeit: Er redete zu ihr, kochte fĂźr zwei, brachte sogar Blumen fĂźr sie heim. Tinu besuchte ihn ab und zu in der Waldau. Er lebte in seiner Scheinwelt, keine Aussicht auf Besserung.

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IX Eine Chance

Eine andere Frau? Da wäre sein Freund, Doktor Kusi, aufgesprungen. Siehst du? Du stellst sie auf die gleiche Stufe wie eine Geliebte. Es sind Feinheiten und da brauchst du Freud nicht mal zu kennen. Er hatte es versucht! Einmal hielt es einige Monate, aber dann kam (von ihr) die unausweichliche Frage, ob sie nun eine „feste Beziehung“ hätten. Fest, solide, starr: Genau, Kusi, auf Worte kommt es an und diese Worte machten George Brodi Angst. Wieso sollte eine Beziehung besiegelt werden? Bei Claire dachte er, da sie wesentlich jünger war, sie bräuchte noch keine Etiketten, sie hätte Zeit. Ist er nun das Männchen, das sich (geschützt) paaren und zum nächsten Rudel will? Clichés werden bemüht, bei Stereotypen Antworten gesucht. Es war nicht nur die Gesellschaft, er hatte sich selbst keine Alternative zu bieten. Eigentlich versuchte George, ein jugendliches Leben immer wieder abzuspielen. Aber nein: Das von Freud war psychologischer Kram! Er weigerte sich, ihren Tod als Chance zu betrachten. 60


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X Tanzen

George Brodi tanzte nicht gerne, aber irgendwie musste er sich lösen, neue Erfahrungen machen, sonst endete er wie Sylvester Stallone in „Rocky Balboa“, dem die Frau Adrian verstorben war und in der Vergangenheit lebte. War es das schon? Die beste Zeit war mit der eigenen Mutter? George musste etwas machen, was er nie gemacht hätte. Die Idee kam ihm zufällig bei einem Kaffee in der Nähe des Bundeshauses: Er konnte nichts ändern, wenn er nach wie vor nach seiner Gewohnheit „ja“ oder „nein“ sagte. Deshalb hatte er begonnen, die Antworten umzukehren. „Magst du Milch im Kaffee?“ „Nein!“ „Kommst du tanzen?“ „Ja!“ George wusste nicht einmal, ob er die Frau mochte. Sie arbeiteten zusammen seit zwei Jahren. Ihm war schon aufgefallen, wie sie immer wieder in die Gruppe trat, in der er gerade schwatzte. Er sprach nicht viel, sie hingegen schon. Da es attraktivere und selbstbewusstere Arbeitskollegen gab, dachte er nie daran, sie würde ihn einmal fragen, ob er einen Tanzkurs mit ihr machte. 61


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Secondo und George

Eigentlich hatten sie nur das eine Mal miteinander gesprochen oder besser gelacht. Sie machten sich ßber ihren Namen lustig. Da dachte er sich: Es ist schon schwierig, eine Frau mit ähnlichem Humor zu finden. Umso seltener ist eine Frau, die ßber den eigenen Namen lachen kann. Gudrun sei wohl eine vorgeburtliche Strafe gewesen oder mit einem solchen Namen sollten Eltern nicht ungestraft davon kommen. Da hatte George seine Chance!

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Secondo und George

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Secondo und George

SECONDO UND GEORGE I Wie jetzt?

Secondo und George hatten denselben Autor, also teilten sie quasi ihr Schicksal von Helden auf Papier. Nun sollten sie sich also begegnen, ein paar neue Figuren wie bei einer Fernsehserie eingeführt werden, Spannung aufbauen, originell wirken. Wenn sie dazu Lust hätten. Haben sie aber nicht. Sie wollen sich gar nicht begegnen, austauschen, wieviel sie gemeinsam haben, welches Problem sie teilen. Secondo und George haben es nicht geschafft, einen Partner zu finden. Was sollten sie am Ende dieser Geschichte erfahren? Das gehe auch anderen so? Es gäbe viele Möglichkeiten zu leben und zu sterben? Genau! Viel mehr wird es zum Enthüllen nicht geben. Demnach verzichte ich auf weitere Namen oder wende sie willkürlich an (z. B. könnte Secondos Vater anders heissen), versuche, mich kurz zu fassen. Machen wir uns nichts vor. Spielchen helfen nicht weiter.

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Secondo kam aus der Waldau, nachdem er sich vom Abfackeln seines Hauses erholt hatte. Für die neuen Leserinnen und Leser: Secondo hatte es nicht verkraftet, als seine Freundin ihn verlassen hatte. George hingegen kam gar nie zu einer festen Beziehung. Als seine Mutter starb, wurde es schlimmer mit der Partnersuche. Und nun Erzählerkram? Hübsche Geschichte, wo sich zwei Figuren treffen? Bei den Superhelden gibt es das andauernd. Die Avengers der Unglücklichen? Ich wollte doch wahrhaftig sein, durch meine Geschichten etwas ausdrücken, jedoch habe ich schon zu viel verraten. Vorhang auf für Secondo und George, die Avengers aus Bern!

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II Fumetto

Leicht gesagt, schwierig zu machen. Secondo und George sollten sich mal treffen, sie teilen die gleiche Stadt und das gleiche Leiden. Also kürzen wir das Kennenlernen ab: Fumetto-Laden, der nach dem tragischen Rückgang von Drucksachen geblieben ist, nennen wir ihn „Fumetto“, denn ich habe keine Lust nachzuschlagen, wie er in der früheren Geschichte hiess: Secondo und George stöbern bei den italienischen Comics von Sergio Bonelli Editore – Lukas, Orfani-Ringo, Le Storie und vor allem Dylan Dog. Da macht Secondo seufzend eine Bemerkung: „Dylan Dog hat immer wieder eine Frau. Wie macht er es nur?“ George hat schon oft daran gedacht und erwidert: „In einem Fumetto ist halt alles möglich.“ Sie gingen beide etwas zusammen trinken, erzählten sich ihre Geschichten, besonders das mit den Frauen, und tauschten ihre Kontakte aus. Sie hatten beide noch nie jemanden gehabt, um über persönliches zu sprechen. Nach 66


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einigen Pechsträhnen hatten sie im „Fumetto“ das gleiche Bedürfnis nach einem Freund gehabt.

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III Einsam

Alleine kann niemand heldenhaft sein. Da würde es niemand merken und selber trauen sich Secondo und George nicht viel zu. Bald wurde ihnen klar, eine Partnerin zu finden ist gar nicht das Hauptproblem. Schwierig ist es, alleine zu leben. Einsam ist es, wenn du keine Arbeit hast, aber noch jung bist. Genau genommen, muss es ebenso mühsam für Leute im Pensionsalter sein. „Du hast immer gearbeitet und viel erreicht.“ Hier und jetzt bist du aber alleine. So fühlen sich die beiden, aber ohne das Vielerreicht. Eigentlich eigenartig, wenn eine Begegnung genügt, um sich nicht mehr einsam zu fühlen. Jedoch auf diesen Seiten ist es so und ihr wollt es bei einer Geschichte doch gar nicht anders. Nun bräuchte der Leser ein paar Charakterzüge, um sich in die Figuren einfühlen zu können. Auch hier möchte ich ein paar Etappen überspringen und nur das Wesentliche sagen: Beide lasen Comics und hofften auf eine bessere Zukunft aus einem Wunder heraus, denn sie arbeiteten nicht, gingen 68


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nicht aus, lebten von der Sozialhilfe. Also kein soziales Leben. Wie sollte nun diese Begegnung was ändern?

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IV Ohne ihn

Secondo und George wurden die besten Freunde. Nun könnte ich nachhelfen, ein Happy End wie in HollywoodFilmen beschreiben. Etwa so: Secondo und George, spät, aber nicht zu spät, trafen endlich Frauen. Sie waren zusammen stark, konnten die Charakterzüge, die nicht attraktiv wirken, mit Charme und Witz überspielen. Sie fanden, wieder die willkürliche Namenswahl, Sandra und Sarah (mit „h“) und wurden glücklich. Sie gehen noch heute zu viert ins Anis asiatisch à Discrétion essen. Allerdings kam es anders. Secondo starb. Ich erspare euch die Details: Sie oder du könnt wählen zwischen Krebs irgendwo und Verkehrsunfall. Auf alle Fälle ist George nun wieder allein und nach seiner Mutter starb auch sein bester Freund. Er ist wahrlich kein Glückspilz, wenn wir ihn nun auf seinem einsamen Weg, Comics lesend begleiten müssen. Wie soll es weiter gehen? Da kommen mir alte Trickfilme in den Sinn. Im Fernsehen der Achtziger gab es auf RSI, der Tessiner Sender, das englische Cartoon „Danger 70


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Mouse“, eine Parodie von James Bond. Am Schluss einer Episode sagte der Erzähler, frei übersetzt, um Spannung zu schaffen: Wird es Danger Mouse schaffen, sich von den Klauen der Krokodilen und des Feindes Moriarty zu befreien? In der Folge danach ging es aber gar nicht dort weiter oder doch. Der Zuschauer fühlte sich veräppelt, aber ich mochte Danger Mouse sehr.

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