Die Wirtschaft Dezember 2017

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STÄRKE DES BUCHHANDELS SEITEN 12/13

DIE WICHTIGSTEN TERMINE SEITE 32

DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

AUSGABE 06/17

Des einen Freud, des anderen Leid

EINZELPREIS 1,90 €

In dieser Ausgabe:

STANDORTPORTRÄTS SAMTGEMEINDEN LENGERICH UND SCHÜTTORF

Mit einem Klick sind die neuen Schuhe bestellt, wenige Tage später das Päckchen geliefert – und ebenso einfach ist die Ware zurückgeschickt. Welche Kosten damit für den Internethandel verbunden sind und welche Chancen sich für den stationären Handel bieten, lesen Sie auf den Seiten 4 und 5.

MACHER & MÄRKTE Schiene, Straße, Wasser: Das GVZ Dörpen ist ein Erfolg. Seite 6

SPEZIAL HANDEL & WANDEL Vom Negativ zum Fotobuch – Cewe im Wandel der Zeit. Seite 15

Foto: Cewe

GELD & GESCHÄFT Was bedeuten die Zahlen in der Bilanz? Ein Blick auf Frosta. Seiten 20/21

LEBEN & LEIDENSCHAFT Orgel für Potsdamer Wahrzeichen kommt aus Georgsmarienhütte. Layout: Georg Müller,Motive: iStock

Vom Wandel und der Dynamik motiviert Zurück in der Heimat: Andreas Lamping ist Leiter der globalen Hellmann-Rechtsabteilung VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Als „niedersächsi-

sches Gewächs“ hat Andreas Lamping die Region nie aus den Augen verloren. Zum 1. Dezember hat er die Leitung der globalen Hellmann-Rechtsabteilung übernommen.

„Ich bin im angrenzenden Landkreis Cloppenburg aufgewachsen und habe während meines Studiums in Osnabrück gelebt“, sagt der 42-jährige Volljurist. Nach dem Referendariat in Frankfurt und Stationen in der Finanz-Metropole und London sowie zuletzt in Mannheim ist der Umzug nach Osnabrück für Andreas Lamping

Andreas Lamping

Foto: Hellmann

eine Rückkehr in die Heimat. Denn die vergangenen zehn Jahre hatte es ihn und seine Familie ins baden-württembergische Mannheim gezogen. Beim international tätigen Industriedienstleister Bilfinger SE hatte Lamping zuletzt die Funktion des Leiters Recht der

Abteilung M&A Corporate Finance inne und war konzernweit unter anderem für gesellschaftsrechtliche und allgemeine juristische Fragestellungen, Fusionen und Übernahmen sowie das Thema Fremdfinanzierung zuständig. Auch die konzernweite Umstrukturierung des im Bereich Petrochemie, Chemie, Pharma sowie Öl und Gas tätigen Unternehmens leitete er. Die Region hat Andreas Lamping dennoch nie aus den Augen verloren. „Meine Eltern und meine Schwiegereltern wohnen immer noch in der Nähe von Osnabrück.“ Entsprechend groß war die Vorfreude – auch wenn die dreiköpfige Familie Mannheim auch mit ei-

nem weinenden Auge verlassen habe, sagt der Vater einer kleinen Tochter. Aber: „Die ersten Tage in unserem neuen Zuhause haben die Vorfreude voll bestätigt: Osnabrück ist eine sehr freundliche und dynamische Stadt.“ Die internationale Spedition Hellmann habe ihm ein „überaus reizvolles Angebot“ gemacht, sagt der 42-Jährige: die Leitung der globalen Rechtsabteilung. „Das Unternehmen blickt auf eine erfolgreiche Historie zurück und befindet sich derzeit in einer sehr dynamischen Phase des Wandels. Gerade jetzt dazuzustoßen und diesen Wandel mitzugestalten ist eine spannende Aufgabe, die mich sehr motiviert.“

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

MACHER & MÄRKTE

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SPEZIAL

MACHER & MÄRKTE

GELD & GESCHÄFT

HANDEL & WANDEL

LEBEN & LEIDENSCHAFT

1 | Andreas Lamping

9 | Virtual Reality

17 | Innovation

25 | Handwerk

Den Wandel der Spedition Hellmann mitzugestalten ist für Andreas Lamping eine spannende Aufgabe.

Beim Sanitärbetrieb Altewichard wird das Bad mithilfe einer VR-Brille realitätsnah geplant.

Alfred Thiel und Christof Wetter haben ein Verfahren entwickelt, um Geflügelmist in Biogasanlagen nutzen.

Dank Orgelbaumeister Joachim Kreienbrink hat das Potsdamer Wahrzeichen wieder eine Stimme.

2 | Editorial

10 | Grenzgänger

18 | Börse

26 | Mineralbrunnen

Berthold Hamelmann über Paketzustellung, Umtauschaktionen und Digitalisierung.

Damit es ordentlich knallt, kaufen Niederländer ihr Feuerwerk auch in der Niedergrafschaft.

Auch für Kleinanleger gewinnt der Aspekt „Umwelt“ an der Börse an Bedeutung.

Berentzen-Brüder wollen den Rhenser Mineralbrunnen aus der Insolvenz in die Erfolgsspur bringen.

3 | Energie

11 | Dorfladen

18 | Tops und Flops

27 | Textilbranche

Innogy-Vorstand Hildegard Müller über das vom Ministerium geförderte Forschungsprojekt „Designetz“.

Tobias Kemper hat sich von der Dorfgemeinschaft vom Betreiben eines Dorfladens überzeugen lassen.

Die Aktie der Leonie AG gewinnt 19 Prozent, der Kurs der Gerry-WeberAktie sinkt um den gleichen Wert.

Annette E. Schneider hat ihre Leidenschaft für Design spät zum Beruf gemacht.

4/5 | Chance und Kosten

12/13 | Buchhandel

19 | Landwirtschaft

28/29 | Gründung

Laut EHI-Studie erhalten zwei Drittel der Online-Händler bis zu zehn Prozent ihrer Waren zurück.

Nicht verzagen, besser machen, ist das Motto des unabhängigen Buchhandels in Zeiten des Wandels.

Krone-Maschinen sind nicht nur weltweit auf den Äckern präsent, sondern auch im Videospiel.

Wirtschaftssenior Ralf Sunderdiek stand Tischlermeister Dimitri Dams drei Jahre mit Rat zur Seite.

6 | Verkehr

14 | On- und Offline

20/21 | Bilanzkunde

30 | Bierbrauer

Das Güterverkehrszentrum Dörpen verknüpft Wasserwege, Straße und Schienenverkehr.

Geschäftsführer Christian Erhardt setzt bei Foto Erhardt auf Multi-Channel-Retailing.

Ein Blick hinter die jährlichen Unternehmenszahlen am Beispiel der Frosta AG.

Als Hobby hat Michael Freymuth mit dem Brauen begonnen, heute hat sich sein Absatz verdoppelt.

7 | Bahn

15 | Digitalisierung

22 | Pendler

31 | Oldtimer

In seiner 40-jährigen Geschichte hat sich die Nutzung des Industriegleises Nordhorn verändert.

Fotodienstleiter Cewe hat den Wandel vom Entwickeln analoger Bilder zum Digitalspezialisten geschafft.

Die Zahl der Berufspendler steigt stetig: drei Arbeitnehmer aus der Region und ihre Geschichte.

Die Leidenschaft für „alte Schätzchen“ eint die Crew des Veteranenhofes um Thomas Balkenhohl.

8 | Pharma-Industrie

16 | Handwerk

23 | Steuern

32 | Gesichter der Wirtschaft

Das Fraunhofer Institut hat den Einfluss von Pharmaunternehmen auf die Forschung analysiert.

Traditionelle Handwerkstätigkeiten werden weniger, und Schornsteinfeger stellen sich breiter auf.

Der Weg zur Arbeit wird wieder länger, ist jedoch steuerlich absetzbar.

Frauennetzwerk, Industrie 4.0 und jede Menge Auszeichnungen für Unternehmen in der Region.

Unternehmens- und Personenindex UNTERNEHMEN ADAC Weser-Ems e. V.......................... 18 Alcon/Ciba Vision ................................... 8 Aldi........................................................... 10 Altewichard.............................................. 9 Amazon ....................................... 12, 13, 14 Aurelius...................................................26 Automotive Nordwest e. V. (ANW) ... 18 Automuseum Melle .............................. 31 Bentheimer Eisenbahn .......................... 7 Berentzen Gruppe AG..........................26 Big Dutchman.........................................17 Bilfinger SE................................................1 Bitkom ..................................................... 14 Brauerei Beura.......................................30 Buchhandel Wenner......................... 4, 12 Buchhandlung am Schlosspark ......... 12 Buchhandlung Holzberg ..................... 13 Buchhandlung Viola Taube ................ 13 Buchhandlung zur Heide .................... 14 Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) ... 5 Bünting....................................................32 Café Coppenrath ................................... 18 Cewe......................................................1, 15 Christ ....................................................... 14 Creative Mesh ........................................ 19 Deepwater Horizon .............................. 18 Deutsche Bahn..................................... 6, 7 Deutsche Bundesstiftung Umwelt .....17 Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI)....... 3 Diogenes-Verlag..................................... 12 dm .............................................................15 Dorfladen Kemper .................................11 Dörpener Umschlaggesellschaft für den kombinierten Verkehr............. 6 EHI Retail Institute................................ 4

Eisele-Verlag........................................... 13 Eisenbahngesellschaft Ostfriesland-Oldenburg......................... 6 Enercon ..................................................... 6 Euro-Park.................................................. 7 FH Münster.............................................17 Fip ............................................................32 Forschungsinstitut EHI....................... 14 Foto Erhardt........................................... 14 Fränklin................................................... 31 Fraunhofer-Institut für Systemund Innovationsforschung ISI............. 8 Frosta AG ......................................1, 20, 21 Gerry Weber International AG .......... 18 Gertzen...................................................... 6 Gewerbe- und Industriepark Nordhorn .................................................. 7 Giants Software..................................... 19 Grenzland-Markt Uelsen..................... 10 Gründerhaus Osnabrück.....................29 Güterverkehrszentrum Emsland......... 6 GVZ Dörpen ..............................................1 Handelsverband Deutschland............ 14 Handelsverband Deutschland (HDE) 4 Händlerbund............................................ 4 Handwerkskammer OsnabrückEmsland-Bad Bentheim.......................29 Hellmann ...................................................1 Hellmann Worldwide Logistics ......... 18 Hochschule Niederrhein ..................... 14 Hoffmann-La Roche ............................... 8 Industrie- und Handelskammer Osnabrück-EmslandBad Bentheim ................................. 29, 32 Innogy........................................................ 3 intelliAD Media ....................................... 4 Jibi............................................................32 KfW-Bank..........................................18, 28 Koch International ............................... 18

Kompetenzzentrum Automotiv der Ems-Achse (KAE)........................... 18 Krone ....................................................... 19 Leoni AG ................................................. 18 Lidl ........................................................... 10 Lufthansa................................................ 18 Mediamarkt............................................ 14 Metropolregion Nordwesten ..............32 Mobile Etage ............................................ 9 MTL Anlagenbau ...................................17 NINO.......................................................... 7 Norgatex.................................................... 7 Novartis..................................................... 8 Officine Meccaniche ............................. 31 Orgelmanufaktur Kreienbrink........... 25 Otto .......................................................... 14 OWR-Reisen........................................... 32 Pfizer .......................................................... 8 Photobox ..................................................15 Piepenbrock ........................................... 18 Piepenbrock Unternehmensgruppe..32 Posten-Börse........................................... 10 Povel........................................................... 7 Ragano....................................................... 7 Reno......................................................... 14 Rhenser Mineralbrunnen GmbH......26 Sandoz/Hexal........................................... 8 Sanofi ......................................................... 8 Saturn ...................................................... 14 Sauer ........................................................ 25 SBR GmbH ............................................... 7 Senior-Expert-Service-Programm (SES).........................................................28 Siemens ...................................................28 Statista....................................................... 4 Thalia....................................................... 14 Thiel GmbH.............................................17 TKT Kunststoff-Technik GmbH .........32 UPM Nordland ........................................ 6

UPM Nortrans ......................................... 6 Van Beers ................................................ 31 Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ........................................................... 5 Veteranenhof.......................................... 31 VfL Osnabrück....................................... 18 Vodafone .................................................22 Volkswagen............................................. 18 WFO Wirtschaftsförderung Osnabrück........................................................29 Wintershall............................................... 7 Wirtschaftsförderungsgesellschaft Osnabrücker Land (WIGOS)....... 29, 32 Wissens- und Technologie-Transfer (WTT) ......................................................29 WS Kunststoff-Service GmbH............32 Zalando ................................................... 14 Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) ...................................... 9 Zoo Osnabrück ...................................... 18

PERSONEN Balkenhohl, Thomas ............................ 31 Beavais, Clémentine ............................. 13 Beermann, Martin .................................. 9 Berentzen, Christian ............................26 Berentzen, Friedrich.............................26 Berentzen, Jan Bernd...........................26 Berentzen, Hans....................................26 Berentzen, sen. Friedrich ....................26 Bramlage, Henning............................... 18 Bröker, Franz...........................................11 Brüggemann, Anke............................... 18 Brühl, Lothar ........................................... 7 Coppenrath, Reinhard ......................... 18 D’Andrea, Lucia..................................... 13 Dalos, Gyorgy......................................... 13

Dams, Dimitri ................................. 28, 29 Dobmeier, Ralf.......................................22 Eden, Gerdrud ................................. 12, 13 Erhardt, Christian................................. 14 Fageth, Dr. Reiner..................................15 Fischer, Peter............................................ 6 Fournier, Anthoni ................................. 18 Frauendorf, Karen ................................23 Freeman Gill, John ............................... 13 Freymuth, Michael................................30 Frink, Dr. David..................................... 18 Genth, Stefan ........................................... 4 Gerritsen, Tess ....................................... 13 Göbel, Ansgar.........................................29 Greshake, Raphael................................ 19 Gundar-Goshen, Ayelet ....................... 13 Hartmann, Bastian ...............................22 Heim, Uta-Maria ................................... 13 Heinemann, Gerrit ............................... 14 Hempel, Dr. Maximilian.......................17 Hertel, Stefan........................................... 5 Jansen, Ralf ............................................ 10 Janßen, Hanjo........................................ 10 Kemper, Tobias .......................................11 Keßling, Christoph ................................. 9 Koch, Heinrich....................................... 18 Koch, Walter........................................... 18 König Friedrich Wilhelm III. ............. 25 Kreienbrink, Joachim .......................... 25 Kreienbrink, Mathias ........................... 25 Kruse, Martina......................................... 6 Lamping, Andreas ...................................1 Laug, Andre.............................................. 7 Lehmann, Thomas.................................. 3 Leifeling, Frederic................................. 19 Masur, Kurt ............................................ 25 Montgomery, Sy..................................... 13 Müller, Hildegard.................................... 3 Nienbüscher, Michaela .................. 12, 13

Niers, Heinz.............................................11 Nuschke, Otto ........................................ 25 Rechtien, Gerd....................................... 16 Recker, Kerstin ........................................ 9 Reiß, Dr. Thomas .................................... 8 Rhode, Eva................................................ 5 Rössler, Heiner ...................................... 31 Salomon, Andrea................................... 13 Schäfer, Henry ....................................... 18 Schinkel, Karl Friedrich ...................... 25 Schlichter, Martin .................................32 Schmidner-Metten, Melanie......... 12, 13 Schneider, Annette E............................ 27 Schoppe, Ingo ........................................ 19 Schramm, Dr. Dieter ............................ 18 Sewerin, Lutz ......................................... 31 Skora, Thomas .......................................22 Stavermann, Christian........................... 6 Stephan, Nicole ......................................15 Stolz, Frank............................................. 31 Straub, Sascha ....................................... 19 Sunderdiek, Ralf............................. 28, 29 Taube, Viola...................................... 12, 13 Temmink, Kim ....................................... 10 Thiel, Alfred ............................................17 Thien, Hermann...................................... 7 Towles, Amor ......................................... 13 Tryba, Georg............................................. 5 Ullmann, Matthias................................ 25 van Dijk, Colinda .................................. 10 van Gogh, Vincent ................................ 13 Vogt, Ursula.............................................. 6 Wahlfeld, Wolfgang ................................ 7 Wedelich, Philipp..................................22 Weissenberger, Prof. Dr. Marion.......... 8 Wenner, Jonas..............................4, 12, 13 Werner, Christoph..................................15 Wetter, Christof ......................................17 Wohlleben, Peter ................................... 13

E D I TO R I A L PAKETDIENSTE

Problem sind die letzten Meter VON BERTHOLD HAMELMANN

F

luchen Sie auch, wenn mal wieder Auslieferungsfahrzeuge die Straßen verstopfen und die Fahrer, beladen mit Paketen, zu den Haustüren hasten? Gibt es dann vielleicht eine Portion Mitleid („Die haben aber jetzt wieder viel zu tun“), oder gehören Sie der Pragmatiker-Fraktion („Job ist Job“) an? 290 Millionen Sendungen werden die Paketdienste vor den Weihnachtstagen 2017 voraussichtlich zustellen – für alle Versender wird es das mengenmäßig stärkste Jahr der Geschichte werden. Durch den boomenden Onlinehandel hat die Nachfrage rasant zugenommen – und damit die gravierenden Probleme. Die größte Herausforderung bleiben die letzten Meter zum Empfänger, die oft nicht zu Hause sind, wenn der Paketmann klingelt. Wiederkommen kostet Zeit und Geld. Die Zustellbranche liebäugelt daher seit Längerem mit Gebühren für diesen Haustür-Service in einem hart umkämpften Markt. Und dann kommt noch der große Bereich Retouren dazu. Wobei gerade dieses Beispiel die vielen Facetten des Wandels verdeutlicht. Umtauschaktionen wie nach dem Weihnachtsfest sieht der Handel trotz der Aufwendungen nicht nur negativ. Im Gegenteil – von Verteuflung keine Spur. Denn dieser Serviceaspekt bringt die große Chance, mit Kunden in einen Austausch zu treten. Und plötzlich zeigt sich der Wert einer ausgebildeten Fachkraft, die perfekt beraten kann. Nicht ausgeschlossen, dass sich der ein oder andere Verkaufserfolg einstellt. Auch das ist mehr als ein Trend: Das Digitalgeschäft ist immer häufiger branchenunabhängig wie selbstverständlich ins stationäre Geschäft eingebunden. Der Wandel, durchaus nicht ohne Risiko, eröffnet neue Chancen. Für Unternehmer ist das keine neue Erkenntnis.


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MACHER & MÄRKTE

„Mehr Köpfchen, weniger Kupfer“ „Designetz“ ist eine von fünf Schaufenster-Regionen deutschlandweit, die die Energieversorgung der Zukunft testen VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Wie könnte ein

Stromnetz der Zukunft aussehen? Insbesondere vor dem Hintergrund der Energiewende und den damit einhergehenden Veränderungen in Erzeugung, Speicherung und „Transport“ ist das eine spannende Frage. In fünf Schaufenster-Regionen gehen Projektpartner unterschiedlichen Fragestellungen nach. Eines der Projekte ist „Designetz“.

Ein Kraftwerk produziert Strom, der über Verteilnetze an den Endkunden abgegeben wird. Diese Einbahnstraßen-Regelung, die viele Jahre lang die Norm war, ist mit dem Ausbau der Stromerzeugung aus regenerativen Quellen wie Wind und Sonne lange Geschichte. Statt wie früher von „oben nach unten“ Strom zu verteilen, kehrt sich der Trend um: Von vielen kleinen Erzeugeranlagen wird dieser wie durch ein zentrales Nervensystem in das Verteilnetz eingespeist und so dem Endverbraucher zur Verfügung gestellt. Doch das hat seine Tücken, denn für diese „mehrspurige Autobahn“ ist das Verteilnetz nicht konzipiert. Ein Forschungsprojekt über drei Bundesländer – Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland – und mit mehr als 40 Projektpartner soll in den kommenden Jahren einen Weg aus dieser Zwickmühle heraus aufzeigen. „Unser Ansatz ist: Dezentrale Strukturen brauchen dezentrale Netzlösungen. Strom soll möglichst dort verbraucht werden, wo er erzeugt wird“, sagt Thomas Lehmann. Er ist Projektleiter beim Energiekonzern Innogy, der die Projektführung übernimmt. Vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wird „Designetz“ als Teil der SINTEG-Initiative mit 30 Millionen Euro gefördert. Insgesamt beträgt das Projektvolumen rund 66 Millionen Euro. Die Spannweite zwischen Gebieten mit sehr hohen Einspeisungen aus erneuerbaren Energien und gleichzeitig industriegeprägten Verbrauchszentren mit extremen Lastspitzen, die zu-

4 Übertragungsnetzbetreiber

35 000 Kilometer

sind verantwortlich für das deutsche Höchstspannungsübertragungsnetz.

Gesamtlänge haben die großen Übertragungsnetze in Deutschland.

bis 44 Milliarden Euro

1,1 Millionen Kilometer Länge

prognostizieren die Netzbetreiber für Investitionen in das Übertragungsnetz (Onshore und Offshore) bis 2025.

hat das Niederspannungsnetz in Deutschland, über das der Strom an die Endverbraucher verteilt wird. Quelle: Bundesministerium für Energie und Wirtschaft · Grafik: Matthias Michel

verlässig und wirtschaftlich mit elektrischer Energie versorgt werden müssen, machen die Schaufenster-Region für die Beteiligten zu einem guten Abbild künftiger Herausforderungen. Der Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch von Energie soll laut Lehmann bereits auf lokaler Ebene erfolgen, um so zur Entspannung der Netzsituation beizutragen. Denn während ländliche Räume häufig einen Überschuss an dezentral erzeugtem Strom aufweisen, finde man in Städten eine Unterdeckung von Erzeugung und Verbrauch, erklärt Projektleiter Lehmann. Um Vorhersagen treffen zu können, wie viel Strom wann und wo benötigt wird, beziehungsweise erzeugt werden muss, kommt auch „künstliche Intelligenz“ ins Spiel. Einer der Projektpartner ist das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das entsprechende Vorhersageverfahren entwickeln soll. Denn nichts Geringeres als eine „Blaupause für die Energiewende“ erhoffen sich die Partner des Konsortiums durch das Förderprojekt. Innogy-Vorstand Hildegard Müller sieht das „Designetz“ in einem Aspekt vor den übrigen vier „Schaufenster-Regionen“, die das Bundesministerium mit insgesamt 200 Millionen Euro fördert: „Aus über

30 Einzelprojekten wie regenerativen Erzeugungsanlagen, smarten Verteilnetzen, Energiespeichern oder digitalen Steuerungen wird ein innovatives Gesamtsystem gebildet. Diese Vielfalt ist das Alleinstellungsmerkmal innerhalb der SINTEG-Initiative.“ Dabei soll das Projekt die Heterogenität und Dezentralität eines modernen Energiesystems abbilden. „Wenn es uns gelingt, in der Projektregion einen Ausgleich zu schaffen, dann ist das ein Modell für die Zukunft und für ganz Deutschland.“ Entscheidende Bestandteile, um die vielen Einzelprojekte an unter-

„Komplexität im Energiesystem ist nur mittels Digitalisierung lösbar.“ Hildegard Müller, Innogy-Vorstand

schiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Konstellationen miteinander zu vernetzen, sind für Projektleiter Lehmann die Datenknoten: „Über sie können wir die lokalen, regionalen und überregionalen Energiebereiche gezielt ansteuern. Algorithmen, die dahinterliegen, unterstützen bei der Entscheidung, welche Flexibilitäten zu welchem Zeitpunkt abgerufen werden.“ Die Datenknoten würden nach einem hierarchischen Prinzip die Flexibilitäten der unterschiedlichen Ebenen aggregieren. „Wir wollen schließlich am Ende keine 1000 Einzellösungen oder 1000 autarke Fürstentümer, sondern ein interagierendes Gesamtsystem“, betont Müller. Die Digitalisierung ist für den Innogy-Vorstand ein Aspekt, der für das Netzgeschäft entsprechend an Bedeutung gewinnt. „Die zukünftige Komplexität im Energiesystem ist nur mittels Digitalisierung lösbar.“ Und volkswirtschaftlich sei es nicht sinnvoll, die Stromnetze so auszulegen, dass sie sämtliche Lastund Erzeugungsspitzen abdecken können. Für Lehmann zieht die Stärkung der Verteilnetze auch klare Vorteile für Cyber-Sicherheit und Datenschutz nach sich. „Verteilte Infrastrukturen sind robuster gegen Angriffe und schneller wiederherzustellen. Vier zentrale Übertra-

gungsnetzbetreiber sind leichter angreifbar als 800 dezentrale Verteilnetze.“ Würden einzelne Verteilnetzbereiche ausfallen, bestünden Möglichkeiten, dass andere Netzbetreiber aushelfen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. „Und auch das Hochfahren der Netze nach einem Ausfall ist in einem solchen System deutlich einfacher.“ Mit Blick auf die Energiewende als Ganze sieht Hildegard Müller die schwierigsten Aufgaben noch kommen. „Bislang lag der Fokus auf dem Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik, sowie dem Bau der Stromautobahnen. Wir müs-

sen nun stärker den Blick auf die Ertüchtigung der Verteilnetze legen, denn hier sind rund 95 Prozent aller dezentralen Erzeugungsanlagen angeschlossen.“ Außerdem seien sie die Voraussetzung für den Ausbau der Elektromobilität. „Ohne ein smartes Verteilnetz wird die Energiewende scheitern.“ Insgesamt braucht die Energiewende für den Vorstand „mehr Köpfchen und weniger Kupfer“. „Wir hoffen, dass auch die Regulierung im Energiesektor so langsam im Zeitalter der Digitalisierung ankommt. Die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen bilden die neue Situation nämlich noch nicht ab.“ Das bedeute unter anderem, dass die Regulierung Netzbetreibern die Möglichkeit bieten müsse, in intelligente Technologien zu investieren. „So könnten wir Innovationen umsetzen und den klassischen Netzausbau auf ein effizientes Optimum beschränken.“ Und: Um die Klimaziele zu erreichen, müsse aus der Stromwende auch eine Verkehrs- und Wärmewende werden. „Die politischen Rahmenbedingungen unterstützen das aber derzeit noch nicht“, sagt Müller. Deshalb müsse die Bundespolitik in den nächsten Jahren Initiativen entwickeln, damit auch die Bereiche Transport und Wärme ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten.

INTELLIGENTES STROMNETZ

Auf die Verknüpfung kommt es an Der Begriff intelligentes Stromnetz – englisch: smart grid – beschreibt die Vernetzung, Steuerung und Kommunikation von Stromerzeugern, Speichern, Stromverbrauchern und Netzbetriebsmitteln in Energieübertragungs- und -verteilungsnetzen der

Elektrizitätsversorgung. Sämtliche Akteure werden in einem Gesamtsystem integriert, sodass sowohl ein zeitlich und räumlich homogenerer Verbrauch entsteht als auch prinzipiell inhomogene Erzeuger wie Windparks oder Solaranlagen oder Verbraucher,

die zu ganz unterschiedlichen Zeiten Strom benötigen, besser integriert werden können. Nach Schätzung der EU-Kommission werden bis 2030 Investitionen von 400 Milliarden Euro für den Aufbau der Smart Grids in Europa notwendig sein.

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MACHER & MÄRKTE

MACHER & MÄRKTE

Zwischen Chance und Kostenfaktor

Wann Händler Gekauftes umtauschen müssen

Trotz Herausforderungen sieht der Handel Retouren insgesamt auch als Chance – Künstliche Intelligenz soll zur Information und Quotenmindeerung genutzt werden

Häufig ist Kulanz im Spiel

Zwei Drittel der OnlineHändler erhalten bis zu zehn Prozent zurück.

dpa DÜSSELDORF. Es ist ein wiederkehrendes Ritual: Vor dem Weihnachtsfest werden massenhaft Geschenke gekauft, die nach dem Fest dann alle wieder umgetauscht werden. Das Problem: In den meisten Fällen haben Kunden kein Recht auf Umtausch. Was also tun?

Durchschnittlich fallen beim Händler zehn Euro pro Rücksendung an

65%

Insbesondere beschädigte Waren sind ein Kostenfaktor. VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Wie einfach es doch

ist: Mit einem Klick ist der Warenkorb gefüllt, zwei, drei Dinge zur Auswahl bestellt – wohl wissend, dass kurz nach Lieferung ein Großteil der Bestellung zurückgeschickt wird. Und auch das unliebsame Weihnachtsgeschenk ist wenige Tage später ohne Probleme im Laden zurückgegeben, etwas Neues ausgesucht oder das Geld zurückerstattet. Was für den Kunden ein Service ist, ist für Händler ein Spagat – zwischen Kostenfaktor im Online-Geschäft und der Chance auf zusätzlichen Umsatz im stationären Handel.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Der Klick auf den Bestell-Button ist noch längst kein Garant dafür, dass der Umsatz auch

unter 10 Prozent

10%

10%

10 %

3%

bis zu 20 Prozent

bis zu 30 Prozent

bis zu 50 Prozent

bis zu 60 Prozent

Retourquote Quelle: EHI Retail Institute · Grafik: Matthias Michel

gemacht wird und das Teil beim Kunden bleibt – im Gegenteil. Laut Statistik-Portal Statista schicken 18 Prozent der Online-Käufer einer Umfrage zufolge bei jeder zweiten Bestellung Waren zurück. Da verwundert es nicht, dass laut einer Studie des EHI Retail Institute zum Versand- und Retourenmanagement im Online-Handel die Retourquote bei zwei Dritteln der Händler bei bis zu zehn Prozent liegt. Befragt wurden insgesamt 112. Mit jeweils zehn Prozent wurden Retourenquoten von bis zu 20, 30 oder 50 Prozent genannt. Bei immerhin noch drei Prozent der Händler heißt es bei bis zu 60 Prozent der Waren „Retour to Sender“. Doch die jährliche Befragung des wissenschaftlichen Instituts des Handels gibt Grund zur Hoffnung auf Besserung: Im Gegensatz zur Erhebung 2014 geben die Händler sowohl 2015 als auch

2016 keine Retourquoten mehr über 60 Prozent an. Jedoch ist laut Statistik ein klares Gefälle zwischen den Sortimenten: Bekleidung und Accessoires würden deutlich häufiger zurückgeschickt als andere Ware. Schaut man sich gerade die Onlineriesen genauer an, ist das nicht verwunderlich. Dass das eigene Schlafzimmer zur Umkleidekabine wird, ist in Werbestrategien als klarer Pluspunkt für den Kunden ver-

„Der Kunde erwartet eine problemlose Rückgabe.“ Stefan Genth, HDE-Hauptgeschäftsführer

ankert – ebenso wie die Betonung einer einfachen und kostenlosen Retour als Service. Bei Zalando werden mit dem neuen „Loyalty-Programm“ Päckchen nun sogar deutschlandweit direkt beim Kunden wieder abgeholt – und die Rückgabe wird noch bequemer. Insgesamt betrachtet, hat sich das Problem für Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), in den vergangenen Jahren kaum verändert. „Es hat sich, gerade in der Weihnachtszeit, in den vergangenen Jahren nicht verschlimmert“, sagt Genth und ist positiv gestimmt. Insbesondere hinsichtlich des stationären Einzelhandels, dessen Retourenquote ohnehin niedriger liegt als bei der OnlineKonkurrenz. Laut dem Ergebnis einer HandelskixUmfrage für den HDE-Handelskonjukturindex gaben vor drei Jahren fast 75 Prozent der befragten Händler nur bei bis zu drei Prozent Retouren an oder darunter. Rund 18 Prozent hatten gar keine. Einen Grund dafür, dass das Weihnachtsgeschäft hier die Problematik kaum verschärft, sieht Genth darin, dass immer häufiger Geld oder Gutscheine verschenkt werden. Zum Beispiel für ein gutes Buch, eines der beliebtesten Geschenke zu Weihnachten. Die Einschätzung Genths kann Jonas Wenner, Inhaber des gleichnamigen Buchhandels in Osnabrück, nur bestätigen. Natürlich komme es vor, dass ein Buch zurückgebracht werde – meistens, weil der Titel bereits vorhanden ist. „Ein Buchgeschenk für jemanden zu finden, der viel liest, ist schwierig. Diese Retouren wickeln wir ganz unkompliziert ab“, sagt der 35-Jährige. Dass ein Buch zurückgebracht werde, weil es nicht gefällt, komme selten vor – für Wenner zum einen, weil man sich erst beim Lesen eine Meinung über den Lesestoff bilde, und zum anderen, weil aufgrund des niedrigen Preises der Antrieb für eine Rückgabe nicht so hoch sei wie bei Elektronik. „Bei online

bestellten Büchern haben wir fast gar keine Rückgaben.“ Auch, weil der Kunde sich im Geschäft den Titel genau anschauen könne und erst dann die Kauentscheidung treffe. Das ist bei Internet-Käufen in anderen Branchen anders. Laut einer Statista-Umfrage liegt der Anteil der 18- bis 35-Jährigen, die online bestellte Ware zurückgesendet haben, weil sie nicht gefiel, bei 63 Prozent.

Die Kosten, die vor allem OnlineHändlern insgesamt durch Retouren mit Porto, Logistik und Qualitätskontrolle entstehen, liegen laut EHI-Studie im Schnitt bei zehn Euro. Dabei gaben die befragten Händler durchaus unterschiedliche Summen an. Die Preisspanne reichte von „bis zu 2,50 Euro“ bis zu „mehr als 50 Euro“. Am häufigsten wurden Kosten von bis zu fünf Euro genannt. Manche Produkte können jedoch auch aufgrund von Beschädigungen gar nicht wiederverkauft werden. Eine Studie des Händlerbundes bezif-

Foto: imago/MiS

fert die Anzahl der Retouren mit beschädigter Ware auf 44 Prozent. Der geschätzte Umsatzverlust durch Wertminderung liegt den Zahlen nach bei 17 Prozent. Insbesondere Rücksendungen von Textilien und Elektroartikeln sind laut Händlerbund von Wertverlust betroffen. Bei fast jedem zweiten zurückgeschickten Kleidungsstück zum Beispiel fehlt laut Studie das Etikett – mit der Folge, dass durchschnittlich 42 Prozent Preisabschlag gewährt werden, so die Rückmeldung der Online-Händler. Rechtlich gegen einen Missbrauch des Widerrufsrechts vorzugehen gestaltet sich laut Händlerbund schwierig. „Einen Wertersatz zu fordern ist zwar möglich, jedoch muss der OnlineHändler in diesem Fall nachweisen, dass ein Missbrauch des Widerrufsrechtes vorliegt, also die Ware über die bloße Prüfung hinaus benutzt oder beschädigt wurde“, heißt es. Hier fordert der Händlerbund vom Gesetzgeber Nachbesserung. Infrage stellt der Einzelhandel das Rücksenden oder die Rückgabe von Waren jedoch nicht. Für HDEHauptgeschäftsführer Stefan Genth ist klar: „Der Kunde erwartet heutzutage, dass er ein gekauftes Produkt problemlos zurückgeben kann – ob per Rücksendung oder direkt im Laden.“ Das sei sowohl eine Herausforderung für den Handel, der aufgrund des Preisdrucks mit geringen Margen erfolgreich sein muss, als auch für die Logistikunternehmen. „Die Kosten muss ja irgendjemand tragen“, so Genth. In der Regel sei es im Wettbewerb so, dass der Handel diese übernimmt. „Das bedeutet jedoch einen Margendruck, und es macht einen Online-Verkauf möglicherweise für manche Händler uninteressant, wenn die Retourenquote zu hoch liegt.“ Gerade im stationären Einzelhandel sind es für Genth jedoch vor allem die Chancen, die beim Thema Rückgabe überwiegen. „Der Umtausch ist immer auch eine Chance für den Händler, mit dem Kunden ins Gespräch zu kommen – und vielleicht das eine oder andere Produkt mit zu verkaufen. Das hat sich eingebürgert.“ Entsprechend kulant gehe man mit

Rückgaben um. Dennoch: Die Kundenfrequenzen seien in den Innenstädten in ganz Europa unter Druck – auch wenn der Umsatz stimme. Um unnötigen Retouren entgegenzusteuern, plant laut EHI-Studie mit 80 Prozent ein Großteil der Händler als wichtigste Maßnahme noch detailliertere Produktinformationen im Onlineshop. Für Stefan Genth hat sich hier in den vergangenen Jahren auch schon viel getan: mithilfe künstlicher Intelligenz. „Es gibt Systeme, die den Kunden zum Beispiel bei der Bestellung darauf hinweisen, dass ein bestimmtes Produkt eines Herstellers in der Regel größer ausfällt und aufgrund vorheriger Bestellgewohnheiten vielleicht besser eine Nummer kleiner gekauft werden sollte.“

Können Geschenke generell im Laden umgetauscht werden? Nein. „Gesetzlich sind Händler dazu nicht verpflichtet“, sagt Georg Tryba von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Zumindest solange die Ware nicht defekt ist. Oft lassen sich Händler aber auf einen Umtausch ein, um den Kunden zufriedenzustellen. Dabei hat häufig jeder Händler seine eigenen Regeln. Bei dem einen Geschäft ist ein Umtausch innerhalb von wenigen Tagen möglich, beim nächsten innerhalb von zwei Wochen. Für online bestellte Waren gilt ein allgemeines Widerrufsrecht von 14 Tagen. Was kann auf keinen Fall umgetauscht werden? Vom Umtausch ausgeschlossen sind in aller Regel verderbliche Waren. Darauf weist Stefan Hertel vom Handelsverband Deutschland (HDE) hin. Aus hygienischen Gründen ist auch eine Rückgabe von Dessous, Bademoden, Erotikartikeln oder Zahnbürsten nicht möglich. „Gleiches gilt für speziell angefertigte Waren, etwa ein BVB-Trikot mit dem eigenen Namen auf der Rückenseite“, erläutert Eva Rohde vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh).

Fo to: im ag o/ im ag eb rok er

Zahlen im stationären Handel liegen deutlich niedriger.

Moderate, aber teure Quote

Darf ich die Ware benutzen, bevor ich sie umtausche? Das ist nicht unbedingt ratsam. Denn die Umtauschware muss in jedem Fall in einwandfreiem Zustand sein, sodass der Händler sie wieder verkaufen kann. Ist ein Produkt wie eine DVD oder CD versiegelt, darf das Siegel nicht durchbrochen sein. „Ist dies doch der Fall, dann ist ein Umtausch meist nicht möglich“, erklärt Hertel.

Kann ich beim Umtausch Bargeld verlangen? Nein. „Das ist die Entscheidung des Einzelhändlers“, erklärt Hertel. Normalerweise gibt es Ware gegen Ware. In einigen Geschäften bekommen die Kunden ihr Geld zurück, in anderen einen Gutschein. Ist beim Umtausch im Geschäft der Kassenbon zwingend? Auch das entscheidet letztendlich der Händler. Im Idealfall sollte der Kunde den Kassenbon vorlegen können, um so zu beweisen, dass er das Produkt auch tatsächlich in dem Laden erworben hat. Wer als Kunde per Karte gezahlt hat, kann dem Händler einen Kontoauszug präsentieren, aus dem hervorgeht, dass der Preis abgebucht und auf dem Konto des Händlers gutgeschrieben wurde. Was ist, wenn die Ware defekt ist? Generell ist der Händler verpflichtet, für zwei Jahre nach dem Kauf beziehungsweise nach der Übergabe der bezahlten Ware an den Kunden für die Mängelfreiheit des Produkts einzustehen. Dieses Gewährleistungsrecht ist gesetzlich verankert. Tritt der Mangel in den ersten sechs Monaten nach dem Kauf auf, wird davon ausgegangen, dass dieses Defizit von Anfang an bestand. Nach den sechs Monaten muss der Käufer den Nachweis dafür erbringen. In der Praxis verlangen viele Händler das aber innerhalb der zwei Jahre nicht. An wen muss ich mich wenden, wenn das Produkt fehlerhaft ist? Erster Ansprechpartner ist der Händler. Einige verweisen dann an den Hersteller. „Darauf muss sich der Kunde aber nicht einlassen“, betont Tryba. Bei einer mangelhaften Ware kann der Kunde nicht gleich vom Kaufvertrag zurücktreten. Er muss dem Händler erst die Gelegenheit zum Nachbessern geben. Erst wenn der Versuch zweimal scheitert, kann der Kunde den Kaufpreis mindern oder sein Geld zurückverlangen.

STUDIE: E-COMMERCE

Das Einkaufsverhalten der Deutschen im Netz Laut einer Studie von IntelliAd Media mit Sitz in München umfasst der Warenkorb eines deutschen Webshoppers im Schnitt 72 Euro, während Unternehmen durchschnittlich rund 16 Euro für Suchma-

schinenwerbung (SEA) ausgeben. Dabei brauchen Nutzer laut Statistik rund 3,6 Besuche in einem Onlineshop, bis sie sich zum Kauf entscheiden. Vom ersten Kontakt bis zum vollen Online-Waren-

korb vergehen knapp vier Tage. Die durchschnittliche Suchmaschinenanzeige hat eine Klickrate von 1,9 Prozent, der Klick auf die Anzeige kostet ein ECommerce-Unternehmen dabei im Schnitt 32 Cent.

Auch ein Blick auf eine weitere Zahl ist von Interesse: Die Conversion Rate, also die Zahl, die zeigt, wie viele Besucher einer Website tatsächlich zu Käufern werden, pendelt zwischen 0,5 und neun Pro-

zent. Allerdings: In manchen Branchen werden laut Studie pro Bestellung bis zu 150 Euro in Suchmaschinenwerbung investiert, und der hohe Cost per Order ist trotzdem profitabel.

Der Umtausch an der Kasse ist meist unproblematisch. Rechtlich müssten Händler die Ware häufig nicht zurücknehmen.Für sie ist es ein Service. Foto: dpa

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

MACHER & MÄRKTE

Der Lastwagen ist kein Allheilmittel Was das GVZ Emsland erfolgreich macht VON GERD SCHADE DÖRPEN. Güter im Kombinierten

Verkehr müssen an irgendeinem Punkt von der Straße auf die Schiene oder aufs Wasser. Güterverkehrszentren – Konzepte dafür reichen bis in die 80erJahre zurück – sind aber nicht überall eine Erfolgsgeschichte. Dörpen bildet da eine Ausnahme. Warum ist das so? Eine Spurensuche im Emsland.

Tief und dunkelgrau hängt eine dichte Wolkendecke über dem Industriegebiet in Dörpen. Von Weitem erhebt sich im Nieselregen der grün lackierte Portalkran der Dörpener Umschlaggesellschaft für den Kombinierten Verkehr (DUK). Er ist so etwas wie ein Wahrzeichen für das Güterverkehrszentrum (GVZ) Emsland. Vor dessen Verwaltungsgebäude passieren Lkw die Schranken. Ein Blick auf das Gelände verrät schnell, was das GVZ auszeichnet: Als Knotenpunkt mit Direktanbindung an Straße, Wasser und Schiene kann es alle drei Verkehrsträger gleichermaßen bedienen und tut das auch konsequent. Schritt für Schritt hat sich das GVZ seit seiner Gründung im Jahr 1996 zu einer starken logistischen Drehscheibe entwickelt. Weitere Pläne liegen in der Schublade. An Pioniergeist, Ideen und Visionen mangelt es nicht, wie GVZ-Geschäftsführer Peter Fischer und die Leiterin des Amtes für Wirtschaftsförderung beim Landkreis Emsland, Martina Kruse, deutlich machen. „Wir haben Standards in Niedersachsen gesetzt“, sagt Kruse. Nach rasantem

Nach rasantem Wachstum vor allem in den ersten Jahren hat sich der Jahresumschlag im GVZ konstant bei zwischen 5,2 und 5,5 Millionen Tonnen eingependelt. Foto: Gerd Schade

Wachstum vor allem in den ersten Jahren hat sich der Jahresumschlag konstant zwischen 5,2 und 5,5 Millionen Tonnen eingependelt. Zum Erfolgsrezept gehört für Kruse und Fischer das Zusammenspiel zwischen den Logistikern und der Behörde. Dieses Prinzip habe das Emsland stark gemacht. „Wir stellen hier keine mit Steuergeldern errichteten Ruinen hin“, betont Kruse. Geschaffen worden sei bisher immer nur das, was auch gebraucht werde. „Alles ist aus dem Bedarf heraus entstanden.“ Kruse berichtet von anderen Standorten, an denen Verwaltungen in einsamen Entscheidungen Anlagen für den Kombinierten Verkehr aufgestellt hätten, die fast niemand nutze. „Man kann ein GVZ nicht verordnen“, fügt Fischer hinzu. „Die Branche muss schon mitspielen.“ In Dörpen ist das gelungen, es besteht aber auch noch weiteres Entwicklungspotenzial – nicht nur im Hinblick auf Digitalisierung. „Das darf und wird nicht an uns vorbeigehen“, sagt Kruse und verweist auf einen Arbeitskreis Logistik des Wirtschaftsverbandes Emsland, in dem Spediteure, Logistikexperten und Verlader vertreten seien. Davon unabhängig gibt es Fischer zufolge noch viele Firmen im Emsland, die das GVZ, das auch über einen Teilstandort in Lingen verfügt, nutzen könnten. Seit Gründung der DUK – sie bildet sozusagen die Keimzelle des GVZ – im Jahr 1989 sind bislang rund

Seit Gründung der Umschlaggesellschaft 1989 sind rund 65 Millionen Euro investiert worden. Das Geld floss unter anderem in die 2014 abgeschlossene Hafenerweiterung.Schritt für Schritt planen Peter Fischer und Martina Kruse den weiteren Ausbau des GVZ. Fotos: GVZ/gs

65 Millionen Euro investiert worden. Das Geld floss unter anderem in die Hafenerweiterung, die Verlängerung der Ladegleise, den Bau einer Krananlage und in die Erschließung neuer Flächen. Im Frühjahr wurden rund eine Million Euro in die Anschaffung eines mobilen Raupenkrans investiert. Das Gefährt mit einem 30-Meter-Ausleger kann 180 Tonnen tragen und greift nach Stückgut aller Art – beispielsweise nach Betonbauteilen des Auricher Windkraftanlagenherstellers Enercon, die von Emden per Binnenschiff in Dörpen landen. Von dort aus werden sie per Lkw in die Windparks der Region weitertransportiert. Einen ähnlichen Weg nehmen die Motorenteile für die Windkraftanlagen. Sie kommen allerdings aus Magdeburg. Fischer setzt bewusst auf eine Stärkung des Hafens, aber auch der Schiene – nicht zuletzt im Hinblick auf

eine vermehrte CO2-Einsparung, die er als ein wichtiges, strategisches Ziel skizziert. „Ein GVZ ist dafür geradezu prädestiniert“, sagt er. „CO2-Minimierung muss im Sinne der Umwelt unser Anspruch sein – auch wenn es etwas teurer ist.“ Kruse ergänzt, dass der Lkw kein Allheilmittel sei, nicht zuletzt, weil wertvolle Zeit verstreicht, wenn er im Stau steht. „Touren mit dem Lkw sind im Grunde nicht mehr planbar“, betont Kruse. Sie stellt aber auch fest, dass inzwischen viele Unternehmen mit nachhaltigen Ansätzen unterwegs seien. Zu den jüngsten Errungenschaften des GVZ zählt die Niederlassung der Eisenbahngesellschaft Ostfriesland-Oldenburg (Egoo), einer 100-prozentigen EnerconTochter. Dabei geht es ausdrücklich nicht ausschließlich um den Transport von Windkraftanlagenbauteilen. Täglich pendelt ein Zug zwischen Dörpen und München mit Anschlussmöglichkeiten in Wirtschaftsräume in Österreich, Italien und nach Südosteuropa. Im Gegenzug kommt beispielsweise Weißbier aus Bayern ins Emsland,

das über die Drehscheibe Dörpen weiterverteilt wird. Fischer hat derweil das nächste Großprojekt vor Augen: den Bau eines Distributionszentrums für die Kunden, die aus einem Umkreis von bis zu 80 Kilometern kommen, auf dem erweiterten Hafenterminal. Ziel sei es, noch mehr Ladung für den Binnenschiffs-

„Wir stellen hier keine mit Steuern errichteten Ruinen hin.“ Martina Kruse, Landkreis Emsland

und Schienentransport aus einem Umkreis von 80 Kilometern zu zentralisieren. Das Investitionsvolumen für die Halle umreißt er mit zehn bis 15 Millionen Euro – Fördergelder inklusive. Der GVZGeschäftsführer setzt auf eine Konkretisierung im kommenden Jahr. Ebenfalls fest im Blick hat er eine Verlängerung der Schleuse Dörpen von 105 auf 110 Meter, damit Schiffe modernster Generation durchkommen. Von ebenfalls millionenschweren Erweiterungsplänen für die Ladegleise hat das GVZ indes erst einmal Abstand genommen. Mit der Investition verbunden ist das Ziel der Ganzzugszusammenstellung. „Zurzeit erreichen wir das Aufkommen dafür aber nicht“, räumt Fischer ein. Martina Kruse formuliert derweil eine Vision. Im Hinblick auf die Wiederbelebungsbestrebungen der Seidenstraße möchte das GVZ zwischen den ARA-Häfen (Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen) und China gerne Haltestelle sein. „Dass wir hier als eines der Vorzeige-GVZ in Niedersachsen antreten, ist nicht vermessen“, sagt Kruse. Die Region um das GVZ sei das geborene Hinterland.

DAS GÜTERVERKEHRSZENTRUM (GVZ) EMSLAND

Straße, Wasser, Schiene Das Güterverkehrszentrum (GVZ) Emsland mit seinem Hauptstandort Dörpen bezeichnet sich selbst als „Vorreiter“ in Norddeutschland. Als Keimzelle für das GVZ gilt die 1989 gegründete Umschlaggesellschaft

für den kombinierten Verkehr (DUK). An der DUK sind unter anderem die Deutsche Bahn, die Spedition UPM Nortrans sowie die Gemeinde Dörpen beteiligt. Die Leistungspalette umfasst den kombinierten

Ladungsverkehr (Straße, Wasser, Schiene), den An- und Verkauf sowie die Reparatur von Containern, Containerumschlag und Lagerung sowie Hafenumschlag, Spedition und Verzollung. Grundlastträger

des GVZ ist UPM Nortrans. Die Spedition regelt die Ein- und Ausgangslogistik der Dörpener Papierfabrik UPM Nordland. Im GVZ sind rund 450 Menschen beschäftigt, bei der DUK 45.

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

MACHER & MÄRKTE

Wenn der Güterzug aufs eigene Gelände rollt Vor 40 Jahren eröffnete dass Anschlussgleis An n zu zum u GewerbeGee und Industri riepark i in Nordh dhorn h rn n VON SEBASTIAN HAMEL NORDHORN. Was bringt einem

Unternehmen ein privater Gleisanschluss? Der Gewerbeund Industriepark in Nordhorn ist seit 40 Jahren an das Hauptgleis der Bentheimer Eisenbahn angeschlossen. Heute nutzt ein Betonunternehmen die Schienen zur Anlieferung von Kies.

Es ist Freitagnachmittag als der schwere Güterzug im Bahnhof von Bad Bentheim eintrifft. Die 30 Waggons, jeder von ihnen mit 68 Tonnen Kies beladen, haben schon eine lange Fahrt hinter sich: Das Schüttgut stammt von einem Kies-Tagebau in Ostdeutschland, die Deutsche Bahn hat den Zug quer durch die Bundesrepublik bis an die niederländische Grenze befördert. Ab dort übernimmt die Bentheimer Eisenbahn (BE) – ein Verkehrsunternehmen mit dem Landkreis Grafschaft Bentheim als Hauptgesellschafter – den weiteren Transport. Das letztliche Ziel des Schüttguts liegt im Herzen der Grafschaft, im Süden der Kreisstadt Nordhorn: Seit genau 40 Jahren ist der dortige Gewerbe- und Industriepark (GIP) durch einen eigenen Gleisanschluss mit dem BE-Hauptgleis verbunden, das von Bad Bentheim über Nordhorn nach Emlichheim und Coevorden führt. Im GIP betreibt die SBR GmbH, eine Tochtergesellschaft des Nordhorner Betonunternehmens Ragano, ihren Kies-Umschlagplatz. Das 1977 eröffnete GIP-Gleis liegt heute in den Händen der Stadt Nordhorn, die auch für die Unterhaltung zuständig ist. Bereits in vergangenen Zeiten haben mehrere Gleisanschlüsse für Unternehmen das Stadtbild geprägt: Die große Textilfabrik NINO konnte Güterwaggons auf dem eigenen Werksgelände ebenso in Empfang nehmen wie die Firma Povel an ihrem „Werk II“-genannten SpinnereiHochbau, der später von der Firma Norgatex genutzt wurde. Längst haben die Betriebe ihre Pforten geschlossen, und auch die Schienen wurden zurückgebaut. Geblieben ist das Industriegleis des Gewerbeund Industrieparks mit seiner rund drei Kilometer langen Strecke. Die Erwartungen, die in den siebziger Jahren mit dem Bau verbunden waren, wurden später allerdings nur unzureichend erfüllt. Im Wesentlichen nutzte ein Fertighaushersteller den Gleisanschluss für den Transport von Fertighausteilen und Dämmmaterial. Nachdem auch dieser Verkehr eingestellt wurde, sorgt seit Beginn der 2000er-Jahre der Kies-Umschlagplatz für Leben auf der Strecke. So auch an diesem Freitagnach-

Mit 22 Waggons ist der Güterzug auf dem Kies-Umschlagplatz angekommen.

mittag. Der in Bad Bentheim übernommene Güterzug hat inzwischen Nordhorn erreicht. Die Kontrolle über die mehr als 2000 PS starke Diesellokomotive hat Triebfahrzeugführer Wolfgang Wahlfeldt. Schon seit 33 Jahren ist er für die Bentheimer Eisenbahn tätig, kennt sich also bestens aus. Die Strecke führt entlang des BEBetriebsgeländes, genannt „Nordhorn-Süd“, wo Wahlfeldt einen Stopp einlegt. Acht der 30 Waggons werden abgekoppelt und auf einem Abstellgleis „zwischengeparkt“; aufgrund der räumlichen Gegebenheiten im GIP würde sich das Rangieren mit dem kompletten Zug dort zu schwierig gestalten. Per Funk ist der Lokführer ständig in Kontakt mit seinem Kollegen Lothar Brühl, der draußen als

100 000 Tonnen Schüttgut pro Jahr.

Auf dem SBR-Gelände wird der Kies-Zug entladen. Waggon für Waggon wird über einenSchacht gezogen,wo das Schüttgut auf ein unterirdisches Förderband fällt. Fotos: Hamel

Rangierer arbeitet und für das Anund Abkoppeln zuständig ist. Nachdem die acht Waggons abgestellt sind, setzt sich Brühl in sein Dienstauto und fährt dem Zug voraus. Er macht halt bei der sogenannten GIP-Sperre: Das ist eine Weiche nahe der Euregiostraße, dort zweigt das Industriegleis von der Hauptstrecke ab. Die Weiche muss Lothar Brühl umstellen, sodass Wolfgang Wahlfeldt mit seinen 22 Waggons in Richtung Gewerbepark „abbiegen“ kann. Einbis zweimal pro Woche nimmt der Kieszug diesen Weg. Das entspreche einer Transportmenge von bis zu 100 000 Tonnen Schüttgut pro Jahr, berichtet Hermann Thien von der BE-Geschäftsführung. Da der Kies nass befördert wird, können die Fahrten nur während der frostfreien Jahreszeiten erfolgen. Inzwischen setzt die Dämmerung ein, am SBR-Gelände werden die Waggons lediglich abgestellt. Das Entladen soll nach dem Wochenende am Montagmorgen erfolgen. Lokführer Wahlfeldt hat aber noch nicht Feierabend: Er muss den „Erdölzug“ in Emlichheim fahren, eine weitere Aufgabe für die Bentheimer Eisenbahn im Rahmen der sogenannten Nahbereichsbedienung. Täglich transportieren Kesselwagen das in Emlichheim von Wintershall geförderte Öl zur Aufbereitungsstation in Osterwald. Von dort wird es via Pipeline zur Raffinerie nach Holthausen bei Lingen gepumpt. Allerdings: Die Tage der Erdölzüge sind gezählt. Voraussichtlich ab 2019 wird eine neu gebaute Rohrleitung den Schienentransport ersetzen. Womöglich tun sich aber an anderer Stelle neue Chancen auf: Bereits vor zwei Jahren hat die BE ein Anschlussgleis bei Laar verlegt. An dieses können „schienenaffine“ Unternehmen anknüpfen, die sich im grenzüberschreitenden Euro-Park ansiedeln. Hermann Thien verweist in diesem Zusammenhang auf das Bundesprogramm zur Gleisanschlussförderung, welches Firmen beim Bau privater Gleisanschlüsse finanziell unterstützt. Die Zuschüsse können demnach bis zu 50 Prozent der anfallenden Kosten betragen. Am Industriegleis in Nordhorn geht es Montags weiter. Über das Wochenende haben die 22 Waggons verwaist auf dem Gelände des Gewerbe- und Industrieparks „gewartet“ – ganz so, wie Wolfgang Wahlfeldt sie am Freitag abgestellt hat. Am frühen Montag-

morgen beginnt auf dem SBR-Gelände das Entladen des Kies-Zuges. Waggon für Waggon wird über einen Schacht gezogen, durch den das Schüttgut auf ein unterirdisches Förderband fällt.

Auf dem Band gelangt der Kies in die Höhe, ehe er zu großen Bergen aufgehäuft wird und auf die weitere Verarbeitung wartet. SBR-Verlader Andre Laug ist bei dem Vorgang mit von der

Partie. Ob sich die Anlieferung per Güterzug für das Unternehmen rentiert? „Natürlich“, sagt er. Schließlich mache ein einzelner Waggon drei Lkw-Ladungen aus.

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© 2017 PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten. „PwC“ bezeichnet in diesem Dokument die PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die eine Mitgliedsgesellschaft der PricewaterhouseCoopers International Limited (PwCIL) ist. Jede der Mitgliedsgesellschaften der PwCIL ist eine rechtlich selbstständige Gesellschaft.


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MACHER & MÄRKTE

Positive Nebenwirkungen Fraunhofer-Institut untersucht, welchen Einfluss ein Unternehmen auf die Pharma-Forschung hat

konzerne stecken Jahr für Jahr weltweit große Summen in die Forschung und Entwicklung. Das machen sie nicht uneigennützig. Sie sichern sich damit ihre Marktposition.

Großunternehmen und Mittelständler investieren mehrere Milliarden Euro, um stets die innovativsten und wirksamsten Therapien im Angebot zu haben. Der US-Pharmariese Pfizer zahlt nach eigenen Angaben pro Jahr sieben Milliarden Dollar für Forschungsprojekte, der Schweizer Konzern Hoffmann-La Roche hat im vergangenen Jahr fast zehn Milliarden Euro in die Hand genommen, um neue Medikamente und Therapien zu testen. Beim französischen Konzern Sanofi sind 2016 mehr als fünf Milliarden Euro in klinische Studien und Forschungslabore geflossen. Doch welchen Einfluss hat ein einzelnes Unternehmen auf ein Gesundheits- und Forschungssystem? Welche Spuren hinterlässt es? Und wie wirken sich speziell die Forschungsaktivitäten eines Pharmaunternehmens auf den Gesundheitssektor zum Beispiel in Deutschland aus? Um das herauszufinden, hat das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI eine Methode entwickelt, mit der der Einfluss einzelner Forschungsaktivitäten auf das Innovationsgeschehen in Deutschland sichtbar wird. Das Schweizer Pharma- und Biotechunternehmen Novartis mit Hauptsitz in Basel diente dabei als Beispiel. Seit 2010 hat Novartis in Deutschland mehr als zwei Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investiert. Was bedeutet das für den Standort, und wer profitiert davon? Dr. Thomas Reiß, Leiter des Competence Centers Neue Technologien am Fraunhofer ISI ist überzeugt, dass nicht nur die Forschungslabore und Kliniken von den Aktivitäten eines Pharmakonzerns profitieren. „Viele Patienten, die an klinischen Studien von Novartis teilnehmen, können durch den Zugang zu innovativen Wirkstoffen und die damit verbundene intensive Betreuung profitieren. Labore und Kliniken werden bei der Forschungsarbeit unterstützt, und

Investitionen in Forschung und Entwicklung variieren Hoher Umsatz zieht nicht automatisch höhere Forschungsaufwendungen nach sich (Entwicklung in 2016, Angaben in Milliarden US-Dollar) Pfizer (USA)

31,67

6,97

Gilead Sciences (USA)

29,99

3,93

GlaxoSmithKline (Großbrit.)

27,78

4,70

AbbVie (USA)

25,30

4,15

Amgen (USA)

21,89

3,76

AstraZeneca (Großbrit.)

20,97

5,63

18,60

2,85

18,46

2,11

Bristol-Myers Squibb (USA)

Boehringer Ingelheim (Deutschland)

34,17

5,72

Johnson & Johnson (USA)

Novo Nordisk (Dänemark)

35,56

9,76

Sanofi (Frankreich)

Teva Pharmaceutical Industries (Israel)

39,55

8,72

Merck & Co. (USA)

Allergan (USA)

41,55

7,92

Roche (Schweiz)

Ausgaben Forschung und Entwicklung

45,91

7,84

Novartis (Schweiz)

RX-Umsatz

18,16

4,41

16,61

2,16 3,18

13,32 Quelle: Statista.com · Foto: Colourbox.de · Grafik: Matthias MichelS

indirekt profitieren auch die Standorte in Deutschland, weil interessante Arbeitsplätze entstehen.“ Reiß spricht von einem Innovationsfußabdruck, den Unternehmen wie Novartis Jahr für Jahr hinterlassen können: „Die Vielfalt der Aktivitäten, die schließlich den Einfluss eines einzelnen Konzerns auf das Gesundheitssystem ausmacht, hat mich überrascht.“ Und das wirke weit über die Pharmabranche hinaus. Vorteile entstehen dadurch vor allem für regionale Innovationszentren. „Diese profitieren direkt von den Lernprozessen, die sich in der Zusammenarbeit mit Novartis ergeben“, so Reiß Laut Fraunhofer-Studie sind bei jeder dritten internationalen Studie von Novartis Mediziner und Patienten in Deutschland eingebunden. Noch ein paar Zahlen: In den vergangenen zehn Jahren hat der Schweizer Kon-

zern 750 klinische Studien durchgeführt. Deutsche Mitarbeiter waren bei 50 transnationalen Studien pro Jahr beteiligt. Aktuell werden in mehr als 2000 Kooperationen mit deutschen For-

Jede dritte internationale Studie mit Medizinern und Patienten aus Deutschland.

schern, Medizinern und Pharma-Experten Studien durchgeführt. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Onkologie-Sparte. Vor 16 Jahren führte Novartis einen neuen Wirkstoff gegen Krebs ein. Damit verwandelte der Konzern eine tödliche Krebsart (CML) in eine chronische Krankheit. In Deutschland werden die meisten onkologischen Studien durchgeführt – 2016 waren es mehr als 3000 Studienteilnehmer. Pioniere sind die Schweizer inzwischen im Bereich der Biosimilars – das sind Generika von Biopharmazeutika. Unter der Regie der Novartis-Tochter Sandoz/Hexal in Holzkirchen bei München sollen bis 2020 weitere fünf Biosimilars von wichtigen onkologischen und immunologischen Biologika eingeführt werden. Hierfür hat das Unternehmen ein neues Zulassungsverfahren entwickelt. „Und so wurden die Ent-

wicklungsprozesse deutlich beschleunigt“, behauptet Reiß. „Oft wirkt so ein Innovationsfußabdruck weit über die Pharmabranche hinaus“, erklärt der Leiter des Competence Centers Neue Technologien: „Von der Zusammenarbeit und damit verbundenen Lernprozessen können insbesondere regionale Innovationszentren profitieren.“ Ein Beispiel ist der Standort der Novartis-Tochter Alcon/Ciba Vision in Großwallstadt bei Aschaffenburg. Hier werden in einem modernen, sogenannten Lightstream-Verfahren Ein-Tages-Kontaktlinsen produziert. In der Anlage, die auch als europäisches Zentrallager und Distributionscenter dient, werden 40 000 Aufträge pro Tag abgewickelt. Das entspricht 700 000 Verpackungen mit Kontaktlinsen. Pro Tag werden mehr als zwei Millionen Kontaktlinsen hergestellt. Seit 2010 ist die Anzahl der Mitarbeiter in Großwall-

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SPEZIAL

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HANDEL & WANDEL

Das virtuelle Badezimmer Dank Virtual Reality können Kunden des Sanitärbetriebs Altewichard ihre zukünftige Dusche betreten und sich im Bad umschauen

Mithilfe der VR-Brille wird die Planung realitätsnah visualisiert. Der Kunde kann mögliche Probleme frühzeitig erkennen. Das spätere Bad wird samt Einrichtung eins zu eins abgebildet. VON NINA STRAKELJAHN BELM. Die Badewanne ist gefüllt,

zwei Quietscheentchen schwimmen auf dem Wasser. Eigentlich ist alles für ein entspannendes Bad bereit. Doch wer versucht hineinzusteigen, landet nicht in der Wanne, sondern auf dem Fußboden eines Vorführraums. Denn diese Badewanne ist virtuell.

Die Firma Altewichard in Belm ist auf Elektro, Sanitär und Heizung spezialisiert. Sie bietet unter anderem Badezimmergestaltung aus einer Hand an und hat nun einen neuen Service: Wer ein Badezimmer plant, kann vorab schon einen virtuellen Rundgang durch den Raum machen. Damit ist die Firma eine der ersten in der Region, möglicherweise sogar die erste: „Wir wissen zumindest von keinem anderen“, sagt Martin Beermann, Fachbereichsleiter Heizung und Sanitär. „Virtual Reality ist in aller Munde“, sagt Beermann. Daher hat sich Altewichard mit dem Trend beschäftigt. Der Hersteller des Badplanungsprogramms, mit dem unter anderem Planer Christoph Keßling arbeitet, bot diese zusätzliche Möglichkeit an, von der die Firma nun Gebrauch macht. Seit zwei oder drei Monaten wird die Technik eingesetzt, schätzt Keßling. Damit man in seinem Wunschbadezimmer stehen kann, hat die Firma eine VR-Brille sowie zwei leistungsstarke Laptops angeschafft. Eine Investition, die sich lohnen wird, sind Beermann und Keßling überzeugt. Diese besondere Brille, die in ihrem Aussehen einer Taucherbrille ähnelt, setzt man auf und wird so Teil einer virtuellen Welt, die an die Realität nah herankommt. Denn bislang konnten Kunden sich oft nur schwer vorstellen, wie der

Im persönlichen Gespräch mit dem Kunden wird das Badezimmer digital geplant.Um sich „ganz wie zu Hause“ zu fühlen,kann der Kunde bereits vor dem Ausbau mit der VR-Brille in das neue Bad „eintauchen“ und einen Rundgang wagen.

Kerstin Recker liegt in einer leeren Badewanne. Die Mitarbeiterin des Sanitärbetriebs Altewichard trägt eine VR-Brille.Sie zeigt ihr die Wanne im heimischen Badezimmer,mit Wasser,Schaum und Plastikenten..

Raum später aussieht. Es bestand zwar die Möglichkeit, durch eine Musterausstellung zu gehen, doch die Verhältnisse im eigenen Bad ließen sich so nicht prüfen. Nun können Kunden dank der Technik frühzeitig auf Probleme reagieren, wenn es beispielsweise mit Badewanne, Toilette und Waschbecken zu eng geworden ist. Bevor Kunden in die digitale Welt abtauchen können, legt Keßling im Vorführraum der Firma die Maße des späteren Badezimmers fest. Dafür setzt er sogenannte Controller ein, sie ähneln den Gamecontrollern der Nintendo-Spielkonsole Wii. Das Bad wird eins zu eins abgebildet, deshalb braucht man entsprechend viel Platz. Bei größeren Badezimmern ist das ein Problem. Dann muss das geplante Bad in zwei Teilen abgebildet werden.

Kunden sind begeistert von der neuen Technik.

Per Laptop lädt Keßling nun den Plan. Wer die Brille aufsetzt, steht mitten im Badezimmer – vor sich die Badewanne mit den beiden Quietscheentchen. Die Verlockung ist groß, mit der Hand durch das Wasser zu streifen. Nur bleibt die Hand dabei trocken. Direkt neben der Wanne ist die Toilette montiert, ihr gegenüber die Dusche. An die Dusche schließen gegenüber der Wanne die Waschbecken an. Passt die Höhe? Ist es nicht zu tief ? Einfach mal ausprobieren. Für Außenstehende ist es durchaus ein Schauspiel, den Menschen mit der doch recht massiven VR-Brille zu beobachten, wenn er gerade mitten in der Luft die Hände aneinanderreibt, als würde er sie waschen. Noch fließt im virtuellen Bad allerdings kein Wasser aus dem Hahn; so weit sei die Technik noch nicht, sagt Keßler. Bald könnte das aber möglich werden. Während man in der digitalen Welt ist, passen die Außenstehenden auf, dass man nicht über das Brillenkabel stolpert oder sich irgendwo stößt. Für Keßling und seine Kollegen von der Badplanung ist die virtuelle Darstellung nicht mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Sie fahren zum Kunden, nehmen alle Maße und planen dann das Bad. Die Zeichnung ist nun nicht nur als 2-D- und 3-DModell verfügbar, sondern eben auch in der virtuellen Welt. Einzig der Umgang mit der Technik kommt hinzu. Die ersten Kunden haben ihr Badezimmer schon virtuell betreten und waren laut Keßling begeistert von der Technik. Ein Paar habe nach der Begehung sogar einiges verändert und von der Technik profitiert.

Momentan können die Kunden selbst noch keine Aktionen auslösen. Immerhin: Auf Wunsch öffnet Keßling per Knopfdruck beispielsweise die virtuellen Schubladen. Für den Kunden mit der VR-Brille gehen sie dann wie von Geisterhand auf. Auch die Duschtüren schwingen nach innen auf, so kann man die Dusche betreten und muss nicht durch die geschlossene Tür gehen. Das ist zwar auch möglich, man hat

Fotos: Gert Westdörp

aber intuitiv Hemmungen hindurchzugehen, ebenso wie durch die Wand zu gucken. Dann schaut man übrigens in den Himmel. Auch die etwa 45 Mitarbeiter von Altewichard haben die Technik getestet. „Ein Kollege holte spontan seinen Zollstock raus und begann zu messen“, erzählt Beermann und lacht: „Allerdings musste er dann feststellen, dass er den Zollstock durch die Brille nicht sieht.“

VIRTUELLE REALITÄT

Täuschend echte Scheinwelten Das Zauberwort heißt „Immersion“. Es kommt aus dem Lateinischen und bezeichnet den Vorgang des Eintauschens. In Echtzeit computergenerierte virtuelle Realitäten (VR) ermöglichen intensive Immersions-Erfahrungen. „Der Grad der Immersion ist für eine gelungene Umsetzung bei Virtual-Reality-Projekten entscheidend“, so die Osnabrücker Agentur Mobile Etage: „Je stärker sich die Wahrnehmung der eigenen Person in der realen Welt vermindert und die Identifikation mit einer virtuellen Person steigt, desto faszinierender ist der VR-Effekt.“

Im „VR-Lab“ des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) forschen Branchengrößen. Foto: dpa

Die Idee einer technisch generierten Wirklichkeit kam bereits in den 80er-Jahren auf. Überzeugend umsetzen lässt sie sich dank leistungsfähiger Grafikkarten, durch Smartphones und VRBrillen erst seit Kurzem. Nachdem die 3-D-Technik zunächst in der Games-Community Erfolge feierte, inte-

ressieren sich immer mehr Branchen für ihre stetig wachsenden Anwendungsmöglichkeiten: Autokonzerne simulieren Fahrzeuge in Entwicklung, Ärzte nutzen VR in der Weiterbildung, Architekten setzen sie in der Planung ein, Industriebetriebe schulen ihre Mitarbeiter mit der neuen Technik. cluz


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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

SPEZIAL HANDEL & WANDEL

Damit es ordentlich „bumm“ macht und nicht nur „piff“ Warum Kunden aus den Niederlanden vor Silvester die Feuerwerk-Verkaufsstellen auch in der Niedergrafschaft erobern

NIEDERGRAFSCHAFT. Gelbe Kenn-

zeichen, so weit das Auge reicht: In den drei Tagen vor dem Neujahrsabend darf in Deutschland Feuerwerk verkauft werden. Davon machen in der Grenznähe hauptsächlich Niederländer Gebrauch, die daheim mehr Geld für die Knaller berappen müssten. In zahlreichen Geschäften in der Niedergrafschaft herrscht dann der Ausnahmezustand.

Wer an einem Tag kurz vor Silvester beim Aldi-Markt in Emlichheim noch einen Einkaufswagen ergattern möchte, muss mitunter einige Minuten Wartezeit aufbringen. Die stehen dann nämlich in langen Reihen vor den Kassen – oft bis oben hin vollgepackt mit Böllern, Raketen und anderen Feuerwerkskörpern. Das Schauspiel ist alljährlich in verschiedenen Geschäften in der Grenznähe zu beobachten. Unzählige Niederländer nutzen die Gelegenheit, sich mit Knallern einzudecken, die in ihrem Heimatland oft erheblich teurer sind. Ralf Jansen, Leiter des AldiMarktes in Emlichheim, kennt das seit vielen Jahren. Um dem Ansturm gerecht zu werden, zählt für ihn vor allem eines: die gute Vorbereitung. „Eine Woche vorher gibt es einen Runden Tisch mit Vertretern von Gemeinde, Ordnungsamt, Bauamt und Polizei“, sagt er. Dabei wird unter anderem besprochen, wie sich die Situation verkehrstechnisch entschärfen lässt. So ist etwa ein Aldi-Mitarbeiter für die Parkplatzregelung eingesetzt. „Die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniert sehr gut“, sagt Jansen. Rund 95 Prozent der Kunden seien Niederländer, meint der Markt-

leiter. Außer Feuerwerk und Alkohol werde in diesen Tagen kaum etwas verkauft. Die Mitarbeiter geben sich alle Mühe, dem Andrang Herr zu werden. „Alle Kassen sind seit 7 Uhr offen“, berichtet Jansen, als unsere Redaktion ihn an einem Verkaufstag im vergangenen Jahr besucht. Stets werde die Situation im Auge behalten. Im Zweifelsfall müsse der Markt für 30 Minuten geschlossen werden, um die Schlangen vor den Kassen abzuarbeiten. Unter den vielen Kunden ist an diesem Tag die niederländische Familie van Dijk aus Beilen/Drenthe, rund 40 Autominuten entfernt von Emlichheim. Mutter Colinda schiebt mit ihren Söhnen einen vollen Einkaufswagen über den Parkplatz. Knapp 200 Euro haben sie insgesamt bezahlt. „Wir haben allerdings auch für vier Familien eingekauft“, sagt Colinda van Dijk. In ihrem Wagen finden sich hauptsächlich leuchtende Feuerwerks-

Waren im Wert von bis zu 300 Euro landen im Einkaufswagen.

Eine Stunde Fahrzeit in Kauf genommen: Marcel, Bernhard, Rick und Wim haben insgesamt 300 Euro in der Niedergrafschaft ausgegeben.

körper. Die restlichen Knaller wollen sie in ihrem Heimatort besorgen. Eine noch längere Fahrtzeit haben Marcel, Bernhard, Rick und Wim auf sich genommen: Sie sind aus dem rund eine Stunde entfernten Genemuiden angereist und haben bei Lidl zusammen rund 300 Euro ausgegeben. Von Stress oder Hektik angesichts der Menschenmassen scheint bei den meisten Niederländern allerdings keine Spur zu sein. Das bestätigt an jenem Tag auch Hanjo Janßen, der im Grenzland-Markt Uelsen für den Feuerwerksverkauf verantwortlich ist: „Die Stimmung ist grandios, ein Gerangel um die Ware gibt es nicht“, sagt er, während im Hintergrund ein niederländischer Radiosender für die passende Atmosphäre sorgt. Auch im Grenzland-Markt geben die Niederländer rund 200 bis 300 Euro pro Familie aus, viele Gäste seien Stammkunden. Bereits vor der Ladenöffnung um 7 Uhr morgens standen die ersten Kaufwilligen vor der Tür. Warum so viele Menschen aus dem Nachbarland die Angebote wahrnehmen? Neben dem Preis, der in Deutschland bis zu 30 Prozent günstiger ist, liegt der Grund für Hanjo Janßen auch in der hierzulande höheren Nettoexplosionsmasse, die für eindrucksvollere Effekte sorgt. „In Holland macht es

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,piff‘ , hier macht es ,bumm‘ “, hätten bereits mehrere Kunden gesagt. Dennoch werden nur Waren verkauft, die auch in den Niederlanden erlaubt sind. Im Grenzland-Markt hat man ebenfalls auf eine umfassende Vorbereitung gebaut: Das Personal wurde aufgestockt, zusätzliche Einkaufswagen ausgeliehen. Die Mitarbeiter sind – wie in anderen Geschäften auch – ständig damit beschäftigt, für Nachschub in den Warenregalen zu sorgen. Denn gemäß der Sicherheitsvorschriften darf im Verkaufsraum höchstens Feuerwerk mit insgesamt 70 Kilo Nettoexplosionsmasse lagern. Ein eigens geschaffener Feuerwerksraum dient als Zwischenlager, genaue Kennzeichnungen ermöglichen ein rasches Arbeiten. Aber nicht nur die großen Märkte bieten Feuerwerk an. Auch einige kleine, temporäre Verkaufsstellen entstehen regelmäßig. An der Mühlenstraße in Emlichheim treffen wir Kim Temmink aus dem niederländischen Haaksbergen, die dort ihre Ware an den Mann bringt. Eigentlich arbeitet sie in der Metallbranche, schleift Bohrer bei einem Unternehmen. An den drei Tagen im Jahr wird sie zur Verkäuferin, zum zweiten Mal hat sie sich in Emlichheim postiert. „Der Verkaufsstart war besser als im vergangenen Jahr“, freut sie sich am ersten der Tage. Viele Kunden kämen allerdings auch auf den letzten Drücker. Insofern wird sich die Niedergrafschaft wohl auch in diesem Jahr auf lange Autokolonnen mit gelben Kennzeichen bis zum Silvestermittag einstellen müssen.

Foto: imag o/Petra Sch neider

VON SEBASTIAN HAMEL

Der Herr des Feuerwerks: Im Grenzland-Markt ist Hanjo Janßen für den Verkauf von Raketen und Böllern zuständig. Archivfotos: Gerold Meppelink


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Mit einer Gemeinschaft im Rücken Den Dorfladen Stavern hat Tobias Kemper mit dem Verein „Staverner Konsum“ auf den Weg gebracht VON KONSTANTIN STUMPE MEPPEN. Der Dorfladen Kemper

in Stavern ist etwas Besonderes – nicht nur für die Bewohner des 1100-Seelen-Dorfes, sondern auch für den Betreiber Tobias Kemper. Es ist der erste Dorfladen, den er mit einem externen Partner auf den Weg gebracht hat. Die Umbaukosten am Standort trug der Verein „Staverner Konsum“, Ladenbetreiber ist Kemper.

Sieben Dorfläden betreibt Tobias Kemper, der aus dem Meppener Stadtteil Apeldorn stammt, im Emsland. Gestartet war das Projekt, das eigentlich gar keines werden sollte, im Januar 2011 mit dem ersten Laden in Kempers Heimatort. „Ich komme aus dem Möbelbereich und wollte mich beruflich verändern“, schildert der Unternehmer. „Das war eigentlich nur ein Experiment. Es war riskant, aber ich wollte es ausprobieren“, erinnert sich der 31-Jährige. Doch der Dorfladen blieb wirtschaftlich rentabel und machte umliegende Ortschaften neugierig, die ebenfalls von mangelnder Nahversorgung mit Lebensmitteln betroffen waren. „Der große Schuss kam im Jahr 2014. Immer mehr Gemeinden fragten, ob nicht auch bei ihnen ein Dorfladen realisier-

bar wäre“, sagt Kemper. Nicht für alle hatte er gute Nachrichten, denn bevor der Meppener einen Dorfladen eröffnet, führt er eine Standortanalyse durch. Bei einem Dorf mit 400 Einwohnern lohne sich ein Laden nicht. Außerdem müsse es ein aktives Vereinsleben geben. „Wenn Sport- und Schützenverein intakt sind, dann klappt auch ein Dorfladen“, sagt der Unternehmer. Das Vereinsleben in Stavern ist und war intakt. Das zeigt das große Engagement des Vereins „Staverner Konsum“, der eigens für die Idee „Dorfladen in Stavern“ ins Leben gerufen wurde. Trotzdem war Kemper zunächst gegen einen Laden in dem Ort im Südwesten der Samtgemeinde Sögel. In Klein Berßen und Apeldorn, jeweils nur etwa fünf Kilometer von Stavern entfernt, betrieb er bereits Dorfläden. „Erst hörte sich das an wie wirtschaftlicher Unfug“, gesteht der 31-Jährige. Mit seinem großen Engagement überzeugte der Verein den Unternehmer dann aber. „Seine Überzeugung ist mehr und mehr gewachsen, als er gesehen hat, wie viel Unterstützung aus dem Dorf heraus gekommen ist“, schildert Franz Bröker, Vize-Vorsitzender des Vereins. Damit meint Bröker nicht nur die 200 Euro, die die mehr als 300 Vereinsmitglieder als Beitrittsgebühr für die Baumaßnahmen bei-

Der Verein „Staverner Konsum“ hat Ladenbetreiber Tobias Kemper davon überzeugt,dass ein Dorfladen in der 1100-Seelen-Gemeinde rentabel sein kann. Dass das Projekt erfolgreich bleibt,davon sind der Vize-Vorsitzende des Vereins, Franz Bröker (links), und Vorsitzender Heinz Niers auch weiterhin überzeugt. Foto: Konstantin Stumpe

steuerten, sondern auch den großen Anteil an handwerklicher Eigenleistung, den die Staverner in den Bau des Dorfladens steckten. Zusammengerechnet 1800 Stunden Arbeit erbrachten die Einwohner. „Dazu kommen noch einmal 500 Stunden, die wir im Vorstand für Planung und Organisation aufgebracht haben“, sagt der Vereinsvorsitzende Heinz Niers. Mehr als 100 Staverner hatten sich bereits bei der Gründungsversammlung in Listen eingetragen und Bereitschaft zu Mithilfe gezeigt. Melden konn-

ten sich die Einwohner unter anderem zum Fliesenlegen sowie für Elektro-, Maurer- oder Putzarbeiten. Eröffnet wurde der Laden schließlich am 15. September 2017. Die Beitrittsgebühr mit 200 Euro relativ hoch anzusetzen war die Idee des Vorsitzenden. Es sei dabei nicht vorrangig darum gegangen, die Umbaukosten für das alte Gebäude der Raiffeisenbank in Höhe von 103 000 Euro zu decken. „50 Euro hätten die meisten wahrscheinlich gegeben und gesagt: ,Nicht schlimm, wenn die weg sind.‘ Aber ich wollte sehen,

ob das Interesse der Leute da ist“, sagt Niers. Das Interesse war da und ist es auch heute noch. „In der Anfangsphase hat es natürlich eine Rieseneuphorie gegeben. Mit der Bestellung der Lebensmittel sind wir kaum hinterhergekommen“, sagt Kemper. Nach vier Wochen habe sich das aber wieder etwas gelegt. Für ein erstes Resümee ist es laut dem Ladenbetreiber aber nach drei Monaten noch zu früh. Das will der 31-Jährige erst nach einem Jahr ziehen. Bis jetzt stellt sich der Laden

laut Betreiber als „wirtschaftlich machbar“ dar. Eine Formulierung, die durchaus Zweifel an dem Projekt zulässt. „Die Bedenken sind noch da“, gesteht er, „ich kann nicht unterschreiben, dass der Laden in fünf Jahren noch da ist.“ Angesichts der Unterstützung des Vereins sei er aber „absolut positiv gestimmt, dass der Dorfladen erhalten bleibt“. Dafür müssen die Verkaufs- und Kundenzahlen stimmen. „Das Ziel ist, dass pro Bürger und Tag ein Euro im Laden bleibt. Das ist das kleine Einmaleins, damit der Laden fortbesteht“, gibt Heinz Niers einen Einblick in die Kalkulation. Auf 80 Prozent der Bevölkerung treffe das derzeit zu. Bei etwa 1100 Einwohnern kommt so zurzeit ein Umsatz von über 20 000 Euro monatlich zusammen. Zusätzlich kann der Laden laut Niers auf viele Fahrradtouristen bauen. Durchgangsverkehr mit dem Auto gebe es zwar kaum in Stavern, mit dem Fahrrad kämen aber immer wieder Leute vorbei, die genüsslich einen Kaffee trinken wollen. Dafür biete das Ladencafé den perfekten Ort. Die Bürger seien jedoch mit ihren Einkäufen selbst dafür verantwortlich, dass der Laden auch in Zukunft so gut aufgestellt ist. „Jeder Weg, den man nicht geht, der wächst schneller zu, als man meint“, poetisiert Niers das Worstcase-Szenario.

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Im Jun

1. Bauabschnitt mit rund 60 Hektar – verkaufte, reservierte und freie Grundstücke Foto u. Grafik: AirportPark FMO GmbH

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SPEZIAL HANDEL & WANDEL

SPEZIAL HANDEL & WANDEL

Ohne Herzblut geht es e nicht

BUCHTIPPS

Belletristik, Kinderbuch & Co.

Grafschaft fter t Buchhändl dleri l rinnen i stemmen sich gegen die „Kr Kri rise i des Lessens“

VON WERNER STR TRAUKAMP R LINGEN/BAD BENTHEIM. Amazon Am m

ist ein Riese, Rii doch Viola Taube und Gerdru rud u Eden las assen s sich nicht Bange machen. Die Buchhändlerinnen halten dagegen. Erfolgreich setzen sie auf indivi vii duelle Beratu tung, u ausgesuchte Sort rtimente t und die Liebe zum schönen Buch.

Führt rtt die Tra radition a fort rt: t Jonas Wenner ist Inhaber des gleichnamigen Osnabrücker Buchhandels – in dritter Generation.

Foto: David Ebner

„Es braucht mehr Selbstbewu wusstsein“ u Vielfalt und Kompetenz als Aushängeschild

VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Für Jonas ass Wenner

ist nicht der Online-Handel per se das ass Problem unabhängiger Buchhändler, sondern der Umgang mit dem Phänomen. „Nicht vert rteufeln, t besser machen“, ist seine Devi vise. i Er setzt auf Vielfal alt, l Kompetenz und einen eigenen, schnellen Lieferservi vice. i

Einen Wandel in der Medienlandschaft und damit auch des Mediums Buch hat es für Jonas Wenner immer gegeben. „Aber, man muss selbstkritisch sagen, dass wir die Anfänge des Online-Geschäfts belächelt haben.“ Mitleid? Dafür gibt es für den gelernten Buchhändler und Rechtswissenschaftler dennoch keinen Grund. „Der Buchhandel verkauft sich häufig unter Wert. Wir sind einfach besser!“ Davon ist der 35-Jährige überzeugt gt. t Für ihn steht der stationäre Handel dem Onlinegeschäft in nichts nach. Im Gegenteil. Auf gleich fünf Etagen können Kunden mitten in der Osnabrücker Innenstadt durch die unterschiedlichen Genres stöbern. „Kleinere Buchhandlungen spezialisieren sich häufig. Das haben wir im Prinzip auch getan – auf jedem Stockwerk.“ Im Durchschnitt 100 000 Bücher stehen in den Regalen – zur Weihnachtszeit sind es sogar noch mehr. „Eine größere Auswahl findet man bis Braunschweig oder ins Ruhrgebiet nicht“, sagt gtt Wenner stolz. „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.“ Ein großes Plus für ihn: Seine rund 50 Voll- und Teilzeitkräfte sind Spezialisten auf ihrem Gebiet – ein Anspruch, der nicht erst aus der Zeit des Internethandels kommt, betont der Inhaber. Dafür wird auch selbst ausgebildet. Das geschriebene Wort steht auf allen Etagen klar im Vordergrund.

„Wer zu uns kommt, erwartet keine Kompetenz beim Verkauf von Spielzeug zum Beispiel. Unsere Stärke liegt gtt beim Buch.“ Ein Fünf-Minuten-Gespräch mit einem Mitarbeiter bringe dem Kunden mehr als eine Nacht lang Amazon-Rezensionen zu lesen, ist Jonas Wenner überzeugt gt. t Wenn man Michaela Nienbüscher von Krr Krimis oder Belletristik und Melanie Schmidner-Metten von Kinder- und Jugendbüchern schwärmen hört, ist diese Einschätzung nicht verwunderlich. „Sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen geht nur über Qualität. Und wir wollen bewusst als Buchhandel wahrgenommen werden, nicht als Geschenkeladen“, betont der Inhaber. „So haben wir eine Zukunft.“ Dinge besser machen, das gilt für Wenner jedoch nicht nur für die Beratung, sondern auch für Lieferzeiten. Wer bis 18 Uhr einen Titel online bestellt, hat ihn am nächsten Morgen im Geschäft. Damit sei man schneller als jede Amazon-Lieferung, betont der 35Jährige. In der Praxis würden Kunden diese Möglichkeit vor allem dazu nutzen, um Bücher zu reservieren. Und wenn doch einmal ausgeliefert wird, gibt es einen Fahrradkurier. Das in diesem Jahr gestartete Projekt wird fortgeführt und ausgeweitet. „Wir haben den Vorteil, vor Ort zu sein. Den müssen wir ausspielen.“ Modernisieren und gleichzeitig die Tradition, die der Großvater vor 75 Jahren begründet hat, erhalten, das ist der Spagat, mit dem der 35-Jährige die Buchhandlung in die Zukunft führen will. Die Verwurzelung vor Ort spielt dabei für Jonas Wenner eine große Rolle. Er gibt jedoch zu: Ohne Buchpreisbindung sähe es für inhabergeführte Buchhandlungen schlecht aus – aber auch für die Verlage. „Es ginge auf Kosten der Vielfalt“, ist er überzeugt gt. t

Jeder, der über die Lingener Torbrücke zu einem Einkaufsbummel über die Nordhorner Hauptstraße schlendert, stößt auf die Bronzefigur „Die Lesende“. Die Darstellung einer jungen Frau, die, unbeeindruckt vom Trubel, ringsumher zu lesen scheint. Der Standort der Figur ist kein Zufall. Im Geschäftshaus zur rechten Hand öffnen sich an jedem Vormittag um 9.30 Uhr die Türen zur Buchhandlung von Viola Taube. Seit fast 30 Jahren ist sie ein weit über die Grenzen der Grafschaft Bentheim hinaus bekannter Ort des Lesens und der Literatur. Laut jüngster Statistik des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist die Zahl unabhängiger Buchhandlungen jedoch von 2011 bis 2015 um gut zehn Prozent auf nur noch 3716 gesunken. Ein Prozess, der auch in der Region spürbar ist. In vielen kleineren Städten findet sich keine einzige Buchhandlung mehr. Zwar verzeichnet Viola Taube keinen lang anhaltenden Umsatzrückgang, wohl aber einen Rückgang der Kundenfrequenz. Aus ihrer Sicht liegt gtt das nicht am vom Marktführer Amazon dominierten Online-Buchhandel. Der Grund sei ein Generationsproblem in der Kundschaft des stationären Buchhandels. „Junge Menschen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren scheinen weniger leseaffin zu sein als früher“, sagt gtt sie. Und die 30- bis 40-Jährigen würden immer mehr zu reinen „Urlaubslesern“. Sie versorgt gten t sich vor Reiseantritt mit einem kleinen Paket Strandlektüre, kauften ansonsten aber vor allem Vorlesebücher für die eigenen Kinder

Auf schön gemachte und mutige Bücher will Buchhändlerin Viola Taube ihre Kunden aufmerksam machen.Um den Fort rtbestand t ihres Geschäft fts t ist der Unternehmerin nicht bange.Nicht nur ist eine Welt ohne Bücher für sie unvorstellbar, in der digitalen Welt beobachtet sie erste Ermüdungserscheinungen. Fotos: Iris Kersten

oder ein Büchergeschenk für Freunde. Auf die Konkurrenz des Onlinehandels hat Taube mit einem eigenen Auftritt im Netz reagiert. Den nutzen vor allem auswärts lebende „Exil-Nordhorner“ – und viele holländische Stammkunden. Die zurückgehende Kundenfrequenz versucht die Buchhändlerin durch einen verstärkten „AußerHaus-Verkauf“ aufzufangen. Dazu zählen Büchertische bei allen Lesungen und Vorträgen, die beispielsweise in der Stadtbibliothek Nordhorn oder der Volkshochschule vor Ort stattfinden. Zudem bemüht sie sich in Zusammenarbeit mit Schulen und Bibliotheken um die Leseförderung. Es sei „die Kunst der Kauffrau“, eine unabhängige Buchhandlung auch angesichts der geschilderten Probleme in die Zukunft zu führen, sagt gtt Viola Taube, die dreizehn Mitarbeiterinnen als sozialversicherte Vollzeit- oder Teilzeitkräfte beschäftigt gt. t Alle sind gelernte Buchhändlerinnen. Taube ist

Der Fokus auf die eigenen Stärken ist für Gerdrud Eden das Rezept für die Zukunf. Sie etzt auf eine Kundschaft ft,die t den „etw twas w anderen Laden ausgefallener Bücher“ zu schätzen weiß.

stolz, dass sie keine Mini-Jobber beschäftigt gt. t Unabhängig vom notwendigen Geschäftsbetrieb beruht der Erfolg einer Buchhandlung für die Händlerin auf einer besonderen Liebe zum Buch und zur Literatur. Mit viel Herzblut entwickle sich eine Art „Seelenverwandtschaft“ zu beständigen Lesern und damit zur Stammkundschaft. Taube will anregende Leseerlebnisse vermitteln und auf schön gemachte und mutige Bücher aufmerksam machen. Deshalb hält sie Werke unabhängiger Verlage vor oder die sehr liebevoll gestalteten Bücher des Schweizer „DiogenesVerlags“. Um die Zukunft ihrer Buchhandlung ist ihr nicht bange. Eine Welt ohne Bücher ist für die Buchhändlerin unvorstellbar, und in der digitalen Welt beobachtet sie erste Ermüdungserscheinungen. „Ein wachsender Teil der literarisch Interessierten sucht wieder den direkten Kontakt, die direkte Beratung und das Gespräch im ‚Kulturort Buchhandlung‘ .“ Einen ganz anderen Buchladen betreibt die aus dem ostfriesischen Wittmund stammende Buchhändlerin Gerdrud Eden in Bad Bentheim. Ihre seit 16 Jahren bestehende „Buchhandlung am Schlosspark“ ist ein klassisches „Ein-Frau-Unternehmen“. „Ich lebe meinen Beruf“, oder „Ich erzähle meine Bücher wahnsinnig gern“, sind Sätze, die aufh fhorchen h und zugleich jene Energie aufscheinen lassen, mit der Gertrud Eden ihre Buchhandlung betreibt. Ihren Laden bezeichnet sie als „klein, aber fein“. Das Sortiment zeugt gtt in großen Teilen von ihren eigenen Vorlieben: In der Abteilung Belletristik gibt es Literatur fernab des Bestseller-Mainstreams. Eine ganze Wand des Ladens ist gefüllt mit ungewöhnlich gestalteten „schönen Büchern“, darunter Kunstkataloge, aufw fwenw

dig gestaltete Sachbücher und allerlei hochwertige Fotobände. Gerdrud Eden versteht sich als „Bücherscout“, als Wegweiser durch die unüberschaubare Menge der jährlich rund 80 000 Neuerscheinungen auf dem deutschen Büchermarkt. Begeisternd kann sie vom „Schnüffeln“ in jedem neuen Buch erzählen, das sie in ihr Sortiment

Wegweiser durch 80 000 neue Bücher im Jahr.

aufnimmt. Sie weiß den unverwechselbaren Geruch der Druckwalzen, eine stimmige Qualität von Druck und Layout, eine besonders künstlerische Gestaltung der Umschlagseiten und eine gelungene Bindung zu schätzen. Es freut sie, wenn Kunden sich zum Kauf eines wunderbar gezeichneten Kinderbuchs verführen lassen oder in ihrer wachsenden Lyrik-Abteilung verweilen. Edens Stammkunden kommen aus der Obergrafschaft und dem benachbarten Westfalen. Abseits der Literatur hält sie nur kleine, aber ebenfalls liebevoll ausgesuchte Sortimente von Hörbüchern, MusikCDs aus Klassik, Klezmer, französischem Chanson und amerikanischem Country sowie eine Auswahl hochwertiger Kunstumschlagkarten vor. Ihr Buchangebot unterliegt gtt bestä-

ndiger Veränderung. Zum Maßnahmenkatalog für den wirtschaftlichen Erfolg gehört die ständige kundenorientierte Veränderung des Sortiments ebenso wie die Kontrolle der Umschlaggeschwindigkeit einzelner Titel. Eden baut derzeit den Bestand an Titeln zur Wohn- und Einrichtungs-, zur Garten- und Kochkultur ab und nimmt dafür weitere Kunstkataloge, die Lyrik, den KriKrr minalroman und die literarisch spannende Belletristik neuer Verlage wie die des Eisele-Verlags auf. Auch der Service wird großgeschrieben, Bestellungen steuern 60 Prozent zum Gesamtverkauf bei. Für die Zukunft setzen sowohl Gerdrud Eden als auch Viola Taube auf die bewusste Abkehr vieler Buchkäufer vom Internet-Buchhandel. Immer wieder hört Eden den Satz: „Es ist gut, dass Sie noch hier sind.“ Immer wieder betonen ihre Kunden das besondere Erlebnis des Einkaufs im stationären Handel. Die Händlerin hofft, dass insbesondere die Mund-zu-MundPropaganda ihrer Stammkunden zu einem anhaltenden Zulauf führe. Denn eines bedauert Gerdrud Eden im Gegensatz zu Viola Taube: die aus ihrer Sicht völlig unterschätzte Bedeutung ihrer Buchhandlung im kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Stadt Bad Bentheim. So hätten Angebote wie Stöberabende, kleine Buchmessen und Märchentage nur sehr ungenügenden Publikumszuspruch gefunden. Während sie auf der einen Seite den Standort gegenüber dem Schlosspark sehr schätzt, leidet sie unter den lang anhaltenden Arbeiten an der nahen Bahnunterführung, die von einigem Teil der Kundschaft abgeschnitten hat. Ihr Konzept für die Zukunft: der Fokus auf die eigenen Stärken. Sie setzt auf das Vermitteln der eigenen Liebe zum Buch und auf eine Kundschaft, die den „etwas anderen Laden ausgefallener Bücher“ zu schätzen weiß.

Gerdrud Eden: Belletristik: John Freeman Gill – Die Fassadendiebe. Kriminalroman: Luca D’Andrea – Der Tod so kalt. Das schöne Buch: Sy Montgomery – Rendezvous mit einem Oktopus. Viola Taube: Belletristik: Amor Towles – Ein Gentleman in Moskau. Kriminalroman:

Tess Gerritsen – Blutzeuge. Das schöne Buch: Van Gogh – Die Briefe. Jonas Wenner: Sachbuch: Gyorgy Dalos – Der letzte Zar. Michaela Nienbüscher: Belletristik: Ayelet Gundar-Goshen – Die Lügnerin. Kriminalroman: Un-

ta-Maria Heim – Toskanische Beichte. Melanie Schminder-Metten: Jugendbuch: Clémentine Beavais – Die Königinnen der Würstchen. Kinderbuch: Peter Wohlleben – Hörst du, wie die Bäume sprechen? Eine kleine Entdeckungsreise durch den Wald.

„Punkten mit Indivi vidualität“ i Off ffen f für fü ü modern rne n Vert rtri triebswege i VON CAROLINE THEILING LINGEN. Andrea An n Sal alomon l ist

Buchhändlerin aus Leidenschaft ft. t Seit Juli 2014 leitet sie die Buchhandlung Holzberg in Lingen, die in den 50er-Jahren gegrü ründet ü wu wurde. u

Andrea Salomon hat in der Buchhandlung Holzberg ihre Ausbildung absolviert und zehn Jahre dort gearbeitet, ehe sie den Laden in der Clubstraße übernommen hat. Den Schritt in die Selbstständigkeit hat sie nie bereut, obwohl die Konkurrenz durch Amazon und andere Internetanbieter nicht von der Hand zu weisen ist. „Wir punkten hier mit Kompetenz und Individualität“, gibt sie sich kämpferisch. „Hier arbeiten nur ausgebildete Buchhändler, die allesamt Leseratten sind“, nennt sie einen Pluspunkt gegenüber dem Online-Handel. „Zudem können wir Aufgaben individuell erledigen, sei es für Schulen, Firmen oder Privatkunden“, fährt sie fort. „Manche Firmen möchten nur an bestimmten Wochentagen beliefert werden“, nennt Salomon ein Beispiel. Denn neben ihrem Fachpersonal im Laden hat sie auch noch Aushilfskräfte angestellt, die sich um die Auslieferung kümmern. Neben den logistischen Vorteilen genießt die erfahrene Buchhändlerin das Gespräch mit zahlreichen Stammkunden, die die kompetente Beratung zu schätzen wissen. „Wenn es um Neuerscheinungen geht, weiß ich oft schon bei der Bestellung, für welchen Kunden das Buch wohl geeignet ist und wem ich es anbieten kann.“ Für Unentschlossene gibt es eine Leseecke, in der bei einer Tasse Kaffee in aller Ruhe geblättert werden kann. Und wenn die Zeit nicht reicht, um persönlich in den Laden zu kommen, bietet Holzberg eine Homepage mit OnlineShop an, auf der man sich informieren und natürlich auch bestellen kann. Dabei gibt es nicht nur Print-Ausgaben. „Natürlich bieten wir auch E-Books an. Denn wir

Zwischen Büchern fühlt sie sich wohl: Andrea Salomon führt rtt in Lingen die Buchhandlung Holzberg. Foto: Caroline Theiling

sind offen für moderne Medien und Vertriebswege“, betont Andrea Salomon. Für eine Beratung sei das persönliche Erscheinen nicht unbedingt gtt erforderlich. „Wir helfen und beraten auch gern am Telefon oder per Mail“, weist sie auf einen weiteren Vorzug hin. Ein besonderes Angebot hat sie für die junge Generation. „Wir haben Probeleser“, erzählt sie. „Das sind zwölf bis 14 Kinder im Alter zwischen acht und 14 Jahren, die Bücher für uns lesen und anschließend eine kleine Rezension schreiben.“ So bleiben die „alten Hasen“ auf dem Laufenden und können besser einschätzen, was den Lesenachwuchs interessiert. Nicht zuletzt trägt gtt so eine lokale Buchhandlung auch zum kulturellen Leben der Stadt bei, ist die Unternehmerin überzeugt gt. t So sei man an der Kinderbuchwoche oder dem Vorlesetag beteiligt gt. t Regionale Buchautoren finden hier eine Plattform, und weitere Lesungen werden in den Räumlichkeiten angeboten. Auch der wirtschaftliche Aspekt spielt in dem kleinen Unternehmen eine wichtige Rolle. Neben den Angestellten werden zurzeit drei junge Frauen ausgebildet.

Foto: Colourbox.de


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SPEZIAL HANDEL & WANDEL

VON MANUEL GLASFORT WESTERKAPPELN. Der stationäre

Einzelhandel hat die Digitalisierung lange als Bedrohung wahrgenommen. Doch immer mehr Händler nutzen inzwischen die Möglichkeit, das stationäre Geschäft mit dem Online-Angebot zu verzahnen – und das mit Erfolg.

Mindestens zweimal die Woche starten im Westerkappelner Warenlager von Foto Erhardt die Transporter, um die 13 Filialen des Fachhändlers mit Nachschub zu versorgen: Objektive, Kameras, Speicherkarten und mehr. Doch an Bord haben sie nicht nur Artikel, die einer Zweigstelle ausgegangen sind und die ohnehin ersetzt werden müssen. Meist liefern sie auch Produkte, die ein Kunde über den Onlineshop geordert hat, um sie in seiner Filiale vor Ort auszuprobieren und eventuell zu kaufen. „Wir haben knapp 6500 Artikel ständig auf Lager. In einer Filiale kann man natürlich nicht das komplette Sortiment vorrätig haben“, sagt Geschäftsführer Christian Erhardt. „Jeder Artikel kann in eine Filiale geliefert werden. Dort kann der Kunde ihn sich ansehen und gegebenenfalls kaufen.“ Für ihn sei wichtig, dass der Kunde sich auf der Website noch nicht entscheiden müsse, sondern im Geschäft noch die Expertise der Mitarbeiter zurate ziehen könne. Das Angebot wird gut angenommen, wie Erhardt berichtet. „Wir haben mehrere Tausend Reservierungen pro Jahr, die über den Shop getätigt werden.“ Wie und wo eingekauft wird, ist so sehr im Fluss wie nie zuvor. Die digitale Revolution im Einzelhandel ist noch längst nicht abgeschlossen. Und die einzige Konstante: Der Onlinehandel floriert, auch wenn sich die Zuwächse zu-

Beratung vor Ort ist für viele Kunden unverzichtbar.Auch viele Mittelständler wie Foto Erhardt (Bild) bieten an,online Ware zu reservieren und sie im Laden zu begutachten.

Im Netz bestellen, im Laden abholen Immer mehr kleine und mittlere Einzelhändler nutzen die Vorteile von „Multi Channel Retailing“ letzt etwas abflachten. Für das laufende Jahr erwartet der Handelsverband Deutschland (HDE) 48,7 Milliarden Euro Umsatz im deutschen Onlinehandel. Damit geben die Verbraucher bereits rund jeden zehnten Euro im Internet aus – in einzelnen Branchen durchaus deutlich mehr. „Zwar kaufen viele Kunden noch überwiegend stationär ein, allerdings beginnen sie den Kaufprozess immer häufiger online“, stellt der Branchenverband Bitkom in ei-

MULTI-CHANNEL-STRATEGIE

Bestände verknüpfen Für all jene Händler, die eine MultiChannel-Strategie fahren, geht der Trend dahin, nicht nur die Verkaufskanäle, sondern auch die Kommissionierung der Artikel zu verknüpfen. Einer Studie des Kölner Forschungsinstituts EHI zufolge entschieden sich 2016 fast drei Viertel für

Foto: Gert Westdörp

die Kommissionierung der Onlineartikel im selben Verteilzentrum wie die Artikel, die sie über den stationären Kanal vertreiben. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Gründe dafür werden laut Umfrage in Synergieeffekten, Flexibilität und Kostenvorteilen gesehen. Bestände

müssten nicht separat eingelagert oder im Warenwirtschaftssystem getrennt geführt werden. Es wird der gesamte Bestand für die Versorgung aller Vertriebskanäle genutzt. „Dadurch können Bestände verringert und die Artikelverfügbarkeit erhöht werden“, heißt es.

nem Leitfaden fest. Und weiter: „Die stationären Händler haben es daher immer häufiger mit gut informierten Kunden zu tun, die ihre Kenntnisse über ein Produkt in der Filiale nur ergänzen wollen.“ Der E-Commerce ist der Wachstumstreiber im Einzelhandel, und die stationären Händler müssen sich etwas einfallen lassen, um nicht von Amazon und Zalando niederkonkurriert zu werden. Mit der Einkaufswelt wandeln sich die Ansprüche der Kundschaft, wie der Handelsexperte Gerrit Heinemann berichtet: „Die Mehrheit der Kunden erwartet mittlerweile, dass der Online-Auftritt eines Geschäfts die Möglichkeit bietet, den stationären Kauf vorzubereiten.“ Damit der Kunde nicht umsonst in den Laden gehe, müsse er etwa online die Verfügbarkeit des Artikels abfragen können, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler von der Hochschule Niederrhein. Fachleute wie er sprechen von „Multi Channel Retailing“, wenn Händler ihre Ware über verschiedene Kanäle vertreiben. Neben einer Verfügbarkeitsabfrage bieten Onlineshops oft auch die Möglichkeit, Ware zu reservieren oder – falls sie nicht verfügbar

ist – in eine gewünschte Filiale liefern zu lassen. Besonders große Einzelhandelsketten haben auf diese Weise ihr stationäres mit dem Online-Geschäft verzahnt. Dazu zählen etwa die Elektronikriesen Mediamarkt und Saturn, der Bücherhändler Thalia, der Juwelier Christ oder der Schuhhändler Reno. Auch mittelgroße Händler wie Foto Erhardt zeigen, wie sich Online- und stationäres Geschäft optimal kombinieren lassen, und kommt damit dem von Experte Heinemann skizzierten Ideal von „kanalübergreifendem Shoppen“ sehr nahe. „Wir versuchen, alle unsere Standbeine auch digital abzubilden“, sagt Geschäftsführer Erhardt und verweist auf die Möglichkeit, sich online für Foto-Workshops anzumelden. Und dann ist da natürlich der Shop, in dem Kunden erfahren, in welcher Filiale der gewünschte Artikel vorrätig ist. Damit das funktioniert, braucht es ein aufwendiges und verlässliches Warenwirtschaftssystem. „Wir gleichen ständig die Verkäufe in den Filialen mit den Beständen ab, sodass der Kunde bis auf 15 Minuten genau den Bestand sehen kann. Es muss computergesteuert

sein, nur so klappt es“, sagt Christian Erhardt. Man habe „eine solche Größe erreicht, dass wir uns eine solche Warenwirtschaft leisten können“. Erhardt räumt ein: „Je nachdem, wie klein ein Händler ist, kann das natürlich eine Herausforderung sein.“ Doch selbst Händler mit nur einer Filiale nutzen die Vorteile von „Multi Channel Retailing“. So bietet etwa die Osnabrücker Buchhandlung zur Heide die Möglich-

keit, im Webshop die Verfügbarkeit eines Titels abzufragen. Ist ein Buch nicht auf Lager, kann der Kunde es entweder in die Filiale oder zu sich nach Hause bestellen. Foto Erhardt betreibt seinen Onlineshop bereits seit 1999. Seither wurde er fortlaufend weiterentwickelt und steuert inzwischen nach Angaben des Geschäftsführers 50 Prozent des Umsatzes bei. Geht das zulasten des stationären Geschäfts? „Nein, ganz im Gegenteil“, sagt Erhardt. „Das Filialgeschäft ist für uns über die letzten Jahre stetig gewachsen, weil der Kunde die Serviceleistungen bei uns bekommt oder einen Workshop besucht hat.“ Überhaupt ist der Service in den Augen Erhardts einer der größten Trümpfe kleiner und mittelgroßer Händler im Wettbewerb mit Amazon und Otto. „Der Preis ist natürlich auch relevant. Aber schlussendlich profitiert der Kunde von den Fachinformationen.“ Auch bei Garantiefällen sei es von Vorteil, beim Fachhandel gekauft zu haben. „Ob dann stationär oder online, ist jedem selbst überlassen.“ Im Gegensatz zu den Versandriesen gelte: „Wer bei uns kauft, ist nicht nur eine Bestellnummer.“

„Wer bei uns kauft, ist nicht nur eine Bestellnummer.“ Christian Erhardt, Geschäftsführer

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SPEZIAL HANDEL & WANDEL

Anspruch auf die Poleposition Der Oldenburger Fotospezialist Cewe setzt auf permanente Innovation und Premiumservices VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN OLDENBURG. Das Laufband an

der Decke bewegt sich ständig. Es zieht sich durch jede der vier Hallen der Produktion, ab und zu transportiert es eine einsame Tüte. Früher war das anders. „Früher“, das war vor der großen Transformation, das war das analoge Zeitalter des Oldenburger Fotodienstleisters Cewe. Die hin und wieder sichtbaren Türchen enthalten Fotos, die von traditionellen Negativen abgezogen wurden.

Bevor das Unternehmen ganz auf die Digitalisierung der Fotografie setzte, entwickelte Cewe weit mehr als zwei Milliarden Fotos im Jahr. Beim Endkunden waren die Oldenburger kaum bekannt, der bekam seine Fotos vom Fotohändler. Doch das analoge Geschäft brach rasend schnell ein. „In nur zehn Jahren haben wir über 90 Prozent unseres einstigen Umsatzes verloren“, sagt Dr. Reiner Fageth, im Cewe-Vorstand zuständig für Technik, Forschung und Entwicklung. Nach 2005 musste Cewe elf von 23 Werken in Europa schließen, 1200 Stellen wurden abgebaut. Für Sozialpläne gab das Unternehmen zwischen 2005 und 2009 jährlich zehn Millionen Euro aus. Insgesamt soll der DigitalUmbau 350 Millionen Euro gekostet haben. „Aus der Transformation des Marktes ist Cewe gestärkt hervorgegangen“, sagt Christoph Werner, Mitglied der Geschäftsführung der dm-Drogeriemarktkette, „unsere Geschäftsbeziehung zu dem Unternehmen besteht seit 30 Jahren. In der Zeit haben wir gemeinsam den Wandel vom analogen Foto hin zur Digitalisierung erlebt.“ Heute ist Cewe mit Sofortbilddruckern in den dm-Märkten vertreten und bearbeitet Laboraufträge von Kunden. Die fertigen Fotos werden direkt zum Kunden nach Hause versandt oder zur Abholung in den Drogeriemarkt. Werner, bei dm für Marketing und Beschaffung verantwortlich, bezeichnet die Zusammenarbeit als „sehr gut“. Cewe sei ein sehr kundenorientiertes Unternehmen mit Leidenschaft für Fotoprint. Auch die schwierige Phase, als vor zehn Jahren einige Hedgefonds massiv Druck auf den Oldenburger Fotodienstleister ausübten, habe das Unternehmen überstanden. „Gründer und Management hielten geschlossen dagegen“, so Werner. Seit 1993 ist Cewe börsennotiert. Mitten in der

In dem Bereich „Fotofinishing“, zu dem auch Fotobücher gehören, macht der Oldenburger Fotodienstleister Cewe heute den meisten Umsatz. Europaweit beschäftigt das Unternehmen rund 3400 Mitarbeiter in 24 Ländern.

Fotos: Cewe

schwierigen Neuausrichtung auf die digitale Fotografie Ende 2006 forderten US-Finanzinvestoren Sonderausschüttungen ein, die das Unternehmen 120 Millionen Euro gekostet hätten. Auf der zwölf Stunden dauernden Hauptversammlung im April 2007 kam es zum Machtkampf. Die Investoren verloren und zogen sich zurück. In den weitläufigen Produktionshallen ist der Wandel vom analogen ins digitale Zeitalter unüber-

sehbar. Hier läuft alles computergesteuert. Im Geschäftsjahr 2016 produzierte Cewe allein 2,2 Milliarden Fotos, doch das Produktportfolio wurde im Laufe der Entwicklung erheblich erweitert. In Oldenburg platziert man die Bilder der Kunden nun auch auf Tassen, T-Shirts oder Handyhüllen. Es gibt Grußkarten und Puzzle-Spiele, gerahmte Leinwanddrucke und Poster, vor allem aber Fotobücher und Kalender. Damit erziele Cewe

Entgegengesetzter Trend Während die Zahl der digitalen Bilder stabil bleibt, wird das analoge Geschäft zunehmend weniger (Angaben in Mio. Stück)

2603,0

Digitaldruck

Filmrolle

2500

2176,2

2000

1500

1000

500

829,8 56,0

0 2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

Quelle: Statista.com · Grafik: Matthias Michel

die größten Umsätze und erwirtschafte die meisten Gewinne, sagt Reiner Fageth. Für das Weihnachtsgeschäft 2017 stelle man allein in Oldenburg 430 Saisonkräfte ein, um alle Bestellungen termingerecht abzuarbeiten. Der feste Mitarbeiterstamm liege bei 350. „Wir haben uns von einem rein produktionsgetriebenen Unternehmen zu einem Unternehmen hinentwickelt, das vom Konsumenten her denkt“, so Fageth. „Im Unterschied zu den Discountern, die teilweise mit uns in Konkurrenz stehen, wollen wir unseren Kunden die beste Qualität bieten. Der Kunde soll ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung haben.“ Bei Cewe bekomme man alles, was bedruckt werden könne. Das Oldenburger Unternehmen, das rund 3400 Mitarbeiter in 24 europäischen Ländern beschäftigt, ist in drei Geschäftsbereichen aktiv. Vom Gesamtumsatz 2016 in Höhe von 593 Millionen Euro entfielen 452 Millionen Euro auf den Geschäftsbereich Fotofinishing, zu dem auch Fotobücher und Kalender gehören. Weitere 80 Millionen Euro verbuchte der Bereich Kommerzieller Online-Druck mit den Marken Saxoprint und Viaprinto. Die Bandbreite der Kunden reiche hier von der Ich-AG bis zum Unternehmen mit 500 Mitarbeitern, erklärt Fageth. Durch den Einsatz von Offsetdruckmaschinen seien große Auflagen möglich. Mit 55

Millionen Euro Umsatz ist der Einzelhandel der kleinste Geschäftsbereich von Cewe. Die Oldenburger betreiben Online-Shops und 140 stationäre Läden in Deutschland, Polen, Tschechien, der Slowakei, Norwegen und Schweden. Produziert wird an zwölf Standorten in Europa. Laut Fageth ist das Unternehmen europäischer Marktführer. Die wichtigsten Absatzgebiete sind Mittel-, Nord- und Osteuropa. Die

„Jedes dritte Foto, das wir drucken, kommt direkt vom Handy.“ Reiner Fageth, Cewe-Vorstand

wichtigste Kundengruppe sind die Handelskunden, das heißt Drogeriemärkte, Foto-Fachhändler, Internet-Händler, Elektronik-Fachmärkte, der Lebensmitteleinzelhandel und Warenhäuser. Im laufenden Geschäftsjahr 2017 will Cewe die Umsatzerlöse auf bis zu 615 Millionen Euro steigern. Der Gewinn vor Steuern und Zinsen (EBIT) soll zwischen 45 und 51 Millionen Euro liegen, das Nachsteuerergebnis zwischen 30 und 34 Millionen. Die Transformation ist abgeschlossen, lehnt man sich bei Cewe nun zufrieden zurück? Davon kann keine Rede sein. Zur Firmenkultur gehört es, permanent nach neuen, interessanten Produkten zu suchen. „Die Innovationsfreude liegt in unserer DNA“, sagt Reiner Fageth. „Wir fördern sie aber auch aktiv.“ An jedem Montag gibt es bei Cewe demnach eine Innovationsrunde, außerdem findet einmal im Jahr eine Innovationsmesse statt. Teams von Mitarbeitern besuchen Workshops der Universität St. Gallen. Viele Impulse kämen auch aus dem Kundendienst und den Kundenforen, berichtet der Vorstand. Das gilt beispielsweise für die Idee aus dem Jahr 2009, Sound in das Fotobuch zu integrieren. Es dauerte eine Weile, bis man dafür eine befriedigende Lösung gefunden hatte. Seit 2012 lassen sich nun QR-Codes in die Bücher integrieren. Scannt man sie mit einem Smartphone, spielt dieses Videos ab. Um Innovation zu generieren, benötigt man kreative Mitarbeiter. Durch Kooperationen mit der Universität Oldenburg und anderen großen Unternehmen in der Stadt versucht Cewe gute Arbeitsbedingungen mit fruchtbarem, kreativem Austausch zu schaffen. Besonderes Augenmerk legen die Oldenburger auf ihre 140 Mitarbeiter starke Softwareabteilung. Dort wird unter anderem die Software für das Fotobuch geschrieben, an die man höchste Ansprüche stellt. „Sie soll die Hemmschwelle für den Kunden möglichst weit senken“, erklärt Fageth. „Wir wollen emotional mit den Dingen umgehen. Der Kunde soll inspiriert werden.“ Das Marketingversprechen versuche man auch im Bereich des Kundendienstes einzuhalten. Früher sei es da vor allem um Reklamationen gegangen, heute schwerpunktmäßig um Beratung. Leistungsfähige Software ist auch in dem Marktsegment ausschlaggebend, von dem Fageth in Zukunft die größten Wachstumsimpulse erwartet: den mobilen Services. „Damit sind Bestellungen vom Smartphone gemeint“, erklärt der Cewe-Vorstand. „Aktuell kommt schon jedes dritte Foto, das wir für unsere Kunden drucken, direkt vom Handy. Bei den Stationen, die zum Beispiel in Drogeriemärkten stehen, liegt der Anteil sogar bei 50 Prozent. Für den Erfolg in diesem Segment sind leistungsfähige Apps und eine gute Vermarktung von besonderer Bedeutung.“ Für die nächsten fünf Jahre rechnet der Manager damit, dass der Markt bei mobilen Services neu vergeben wird. Cewe investiert hier schwerpunktmäßig. „Aktuell sind wir der größte Anbieter“, sagt Reiner Fageth. „Wir müssen aber aufpassen, dass wir den Anschluss nicht verlieren.“ Die firmenspezifische Unternehmenskultur könnte man auf die Formel bringen „Immer in Bewegung bleiben“. Ganz wie das anachronistische Deckenlaufband in den mit digitalen Druckautomaten bestückten Oldenburger Produktionshallen.


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SPEZIAL HANDEL & WANDEL

Auf dem Weg zu neuen Geschäftsfeldern Das Schornsteinfeger-Handwerk ist im Wandel – und ein Stück Tradition geht verloren VON NINA KALLMEIER NORTRUP. Vor allem jetzt zum

Jahreswechsel sind sie wieder das klassische Symbol des Glücksbringers: die Schornsteinfeger. Vergessen werde jedoch oft der Grund, warum gerade sie als Glücksbringer angesehen würden, sagt Obermeister Gerd Rechtien. Zudem sei der Schornsteinfeger ein Handwerk im Wandel.

Herr Rechtien, mit schwarzem Zylinder, schwarzer Zunftkleidung mit hohem weißen Kragen und dem Kehrbesen über der Schulter sind Sie als Schornsteinfeger das klassische Symbol eines Glücksbringers. Werden Sie oft während der Arbeit darauf angesprochen? „Komm rein, bringst Glück“, so werden wir immer noch häufig an der Haustür begrüßt, wenn wir zu unseren Kunden kommen. Daran hat sich nichts verändert, das ist ganz verrückt. Dass wir eigentlich für Sicherheit sorgen, haben viele dabei nicht im Hinterkopf. Das ist natürlich auch Glück, und so ist das Image des „Glücksbringers“ ja überhaupt erst entstanden. Wir sorgen dafür, dass die Feuerstätte im Haus betriebssicher ist, dass es keine Kohlenmonoxid-Unfälle oder Schadensbrände gibt, dass das Feuer kontrolliert brennt. Das muss man schon hin und wieder noch einmal erklären. Hauptsächlich sind Männer als Schornsteinfeger unterwegs. Interessieren sich Frauen nicht dafür? Es stimmt, Frauen üben den Beruf selten aus, aber sie sind keine Exoten mehr. Im Bereich Osnabrück haben wir zurzeit vier Schornsteinfegerinnen. In Münster hat die erste Schornsteinfegerin kürzlich ihren eigenen Kehrbezirk bekommen. Der Schornsteinfeger ist ein vom Staat beliehener Unternehmer. Was bedeutet das, und wie viele Haushalte betreut ein bevollmächtigter Schornsteinfeger? Betreut werden zwischen 2000 und 2600 Haushalte. Die Arbeiten, die wir durchführen, werden vom Staat durch Vorschriften festgeschrieben – auch wenn wir mit Wegfall des Monopols seit 2013 bedingt im Wettbewerb stehen. Das beschreibt der Begriff „beliehener Unternehmer“. Der Staat sagt, dass zum Beispiel eine Gasheizung

einmal im Jahr überprüft oder dass der Schornstein zweimal im Jahr gefegt werden muss. Somit bin ich zwar selbstständig, habe jedoch als bevollmächtigter Schornsteinfeger ein festgelegtes Aufgabengebiet. Frei ausgeschrieben und damit im Wettbewerb sind hingegen das normale Fegen und das Prüfen der Heizung. Worin unterscheiden sich Bezirksschornsteinfeger und freie Schornsteinfeger – wenn ein Großteil ihrer Tätigkeiten gleich ist?

Handwerk im Wandel: In seiner Zunftkleidung ist Gerd Rechtien nur noch selten unterwegs. Foto: Nina Kallmeier

Die Ausbildung von Bezirksschornsteinfegern und freien Schornsteinfegern ist gleich. Worin sie sich häufig unterscheiden, sind die Fortbildungen. Freie Schornsteinfeger haben oft keinen Kehrbezirk bekommen. Seit 2013 müssen wir uns alle sieben Jahre neu auf einen Kehrbezirk bewerben. Das ist so, als ob sich ein Arbeitnehmer immer wieder neu auf seinen Arbeitsplatz bewerben müsste. Mit Passfoto, Anschreiben, Qualifikationsnachweisen, Vorstellungsgespräch mit Fachgespräch – also allem, was dazugehört. Aufgrund dessen gibt es Punkte, und es wird entschieden, wer den Kehrbezirk bekommt. Die erneute Vergabe von Kehrbezirken nach sieben

MINDESTLOHN

„Eine Absicherung nach unten“ Einen allgemein verbindlichen Mindestlohn gibt es im SchornsteinfegerHandwerk seit April 2014. Seit 1. Januar 2016 liegt der Stundensatz bei 12,95 Euro, Ende des Jahres läuft der aktuell geltende Mindestlohntarifvertrag aus. Er wird jedoch fortgeführt. „Es wird einen Ost-West-Angleich geben, auch

wenn unsere Mitarbeiter im Westen darunter etwas leiden, denn ihre Erhöhung fällt gering aus“, sagt Obermeister Gerd Rechtien. Allerdings: „Der Mindestlohn ist nur die Absicherung nach unten.“ Der Wegfall des Monopols sowie die zusätzlichen Aufgaben hätten einen Mindestlohn nötig gemacht. Mit

ihm wurden auch Lohnstufen eingeführt. Das komme den jungen Kollegen zugute. „Dadurch, dass der Lehrling drei Jahre lang nur mitgeht, muss er anschließend das selbstständige Arbeiten erst lernen. Er kann nicht so schnell sein wie ein Kollege, der die Arbeit schon seit Jahren macht.“

Jahren ist mit dem Wegfall des Monopols eingeführt worden. Fühlte man sich da als alteingesessener Handwerker vor den Kopf gestoßen? Ja, das war 2013 so. Man hat sich nichts zuschulden kommen lassen und muss dennoch das ganze Prozedere durchlaufen. Ich war

selbst überrascht, dass ich damit ganz gut umgehen konnte. Im ersten Moment hatte ich schon gedacht: Was passiert, wenn? Natürlich hat man alles dafür gegeben, dass man seinen Kehrbezirk nicht verliert, eine Garantie hatte man jedoch nicht. Das ist schon eine komische Situation. Hat sich die Zahl der Betriebe in der Region aufgrund des Wettbewerbs erhöht? Nur minimal. 2013 gab es in der Innung Osnabrück-Emsland 104 Betriebe, heute sind es 107. Freie Schornsteinfeger gibt es nur drei. Viel geändert hat sich durch die Öffnung des Marktes somit nicht. Woher sollten die zusätzlichen Schornsteinfeger auch kommen? Ich würde immer noch gerne mehr einstellen, aber gegen den Mangel kann man gar nicht ausbilden. Gibt es so wenig Interesse oder zu wenig Betriebe, die Lehrlinge nehmen? Die Betriebe bilden sehr verhalten aus, das ist unser Problem. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel für vier Interessenten keinen Ausbildungsplatz anbieten können. Ein Grund für die Zurückhaltung ist der Aufwand, denn der Azubi darf nicht alleine arbeiten. Im ersten Jahr läuft er nur mit und schaut über die Schulter. Irgendwann dreht sich der Spieß um, und ich schaue, ob er alles richtig macht. Er kann jedoch in dem Sinn keine zusätzliche Arbeit übernehmen. Ich möchte jedoch die Kollegen noch einmal zur Ausbildung motivieren, denn das Potenzial ist da. Eine Umfrage zeigt, dass viele keine zusätzlichen Aufträge annehmen, weil sie mit ihrer Grundarbeit ausgelastet sind. Grundarbeit sind unter anderem das Fegen und die Feuerstättenschau. Welche Aufgaben sind für den Schornsteinfeger hinzugekommen? Mit der Marktöffnung haben Schornsteinfeger gleichzeitig die Möglichkeit bekommen, ihr Aufgabengebiet zu erweitern. Das haben wir auch gemacht. Ein großes Steckenpferd ist die Energieberatung geworden – die wir übrigens schon vorher machen durften, jedoch wenig Kapazitäten hatten. Nachdem in meinem Kehrbezirk immer mehr Fernwärme gekommen ist und 2012 reihenweise Heizungen ausgebaut wurden, habe ich in diesem Bereich investiert. Heute macht Energieberatung ein Drittel meines Umsatzes aus. Und das ist allein das Potenzial aus den vergangenen vier Jahren. Unser Problem ist, dass wir nicht genug Personal haben, um den Bedarf abzudecken. Dass sich der Markt so entwickelt hat, ist natürlich gut für uns, ebenso wie im Bereich Rauchmelder, die wir als Schornsteinfeger warten. Darüber denken viele Kunden nicht nach. Dass es nicht immer klappt, Rauchmelder zu verkaufen, mussten wir lernen. Mit dem Wegfall des Monopols hat sich der Markt auch für ausländische Betriebe geöffnet. Sind sie eine Konkurrenz? Nein, wir waren schon immer günstiger als unsere Nachbarn. In

Auch die Abgasmessung der Ölheizung übernimmt der Schornsteinfeger. Da immer mehr dieser Heizungen ersetzt werden, erschließt das Handwerk neue Geschäftsfelder. Dazu zählt die Reinigung von Lüftungsanlagen. Foto: imago/Margit Brettmann

Holland kostet der Schornsteinfeger das Doppelte. In der Schweiz ist es sowieso teurer. Und auch die Preise unserer Kollegen im Osten, zum Beispiel in Polen, liegen höher als in Deutschland. Dadurch ist der Stein überhaupt mit ins Rollen gekommen, in Deutschland einen Wettbewerb zuzulassen. Deutsche Kollegen im Grenzgebiet haben im Ausland gearbeitet und damals den holländischen Kollegen mit unseren Preisen den Markt kaputt gemacht. Umgekehrt durfte ein holländischer Schornsteinfeger jedoch nicht in Deutschland arbeiten. Jetzt dürfte er, aber er tut es nicht, weil die Preise hier viel niedriger liegen. Hat es dennoch einen zusätzlichen Preisdruck gegeben? Nein, die meisten Kollegen hatten Angst, Preise zu erhöhen, obwohl es Zeit wurde. Wirtschaftlich waren viele Betriebe 2012/13 am Ende. Dennoch haben sich viele Kollegen nicht getraut – aus Angst, dass sich der Kunde dann einen anderen Schornsteinfeger sucht. Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, die Preise anzupassen. Ich wollte fair und ehrlich sein – und ohne eine Preiserhöhung wäre ich nicht über die Runden gekommen. Das haben die Kunden aber eingesehen – weil sie die Mehrarbeit durch zunehmende Bürokratie gesehen haben. Ich muss jeden Kunden vorher anrufen, ob ich die Arbeiten noch durchführen soll oder nicht. Dafür habe ich eine Person angestellt, die nur Termine vereinbart. Welchen Stellenwert hat bei all diesen zusätzlichen Aufgaben noch das traditionelle Kehren und Prüfen? Die Arbeit wird weniger – auch weil die modernen Heizungen weniger geprüft werden müssen. Das Kehren macht bei mir im Bezirk vielleicht noch drei Monate aus – und diese Zeit ist verteilt auf das ganze Jahr. Feuerstätten haben viele Neubauten zwar weiterhin – aber häufig nur für die Gemütlichkeit. Weil sie nicht mehr so häufig an sind, gibt es auch nicht mehr viel zu kehren. Das heißt, in Ihrer traditionellen Kleidung sieht man Sie heute kaum noch. Ja, ich kenne nur noch wenige Betriebe, die immer in voller Montur arbeiten. Das ist für die täglichen Aufgaben zu unbequem. Hinzu kommt, dass sich das Überprüfen der Heizungen in einer Umgebung abspielt, die sauber ist. Da braucht man nicht schmutzig hinzugehen. Sauberkeit spielt eine

große Rolle, sonst verliert man den Kunden. Damit geht aber auch ein Stück Tradition verloren. Leider ja. Es gibt auch schon Kollegen, die keinen klassischen Anzug mehr haben. Das ist sehr schade. Bei mir im Betrieb ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Lehrling zur bestandenen Gesellenprüfung einen Zylinder bekommt. Auch wenn er ihn bei der täglichen Arbeit nicht trägt. Wie sieht dann der Schornsteinfeger der Zukunft aus. Kann man ihn überhaupt noch von anderen Handwerkern unterscheiden? Und ist bei den vielen zusätzlichen Aufgaben der Begriff Schornsteinfeger nicht zu kurz gefasst? Optisch wird er schwarz bleiben, davon bin ich überzeugt. So erkennt man uns an der Haustür, und in klassischer Montur wird uns viel Vertrauen entgegengebracht. Die Arbeit wird sich jedoch drastisch verändern. Wir werden sicherlich noch deutlich mehr Energieberatung machen. Und auch wenn der Begriff „Schornsteinfeger“ nicht weit genug gefasst ist, hat sich eingebürgert, dass wir auch hier Ansprechpartner sein können. Werden weitere Geschäftsfelder hinzukommen? Wenn man der Politik Glauben schenkt, wird es bald keine Ölund Gasheizungen mehr geben. Also müssen wir uns neue Geschäftsfelder suchen. In Niedersachsen wurde das Institut für hygienische Raumlüftung gegründet, und wir wollen uns in diese Richtung weiterbilden, um uns in den neuen Häusern um die Lüftungsanlagen zu kümmern. Die Anlagen gibt es schon ein paar Jahre, doch der Bürger kümmert sich häufig nicht darum. Viele Kollegen haben bereits vor einigen Jahren ihren Fachberater für hygienische Raumlüftung gemacht. Das kommt uns jetzt zugute. Die Theorie kennen wir schon, ab Januar werden wir uns mit der Praxis auseinandersetzen, wie die Lüftungsanlage gereinigt werden kann. Seit 1. Dezember dürfen außerdem auch Handwerker die Baubegleitung von Sanierungen in bestehenden Gebäuden übernehmen. Auch das könnte für uns noch mal ein neues Geschäftsfeld werden. Unsere Zahl der Betriebe ist jedoch so gering, dass wir nicht sämtliche potenziellen Fässer aufmachen müssen. Ein gutes Fass reicht völlig aus.


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GELD & GESCHÄFT

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Aus Mist macht er Moneten Ein Löninger Unternehmer bereitet ammoniumhaltigen Geflügelmist so auf, dass er Mais in Biogasanlagen ersetzt und zum Rohstoff für hochwertigen Dünger wird.

Da ist Stolz dabei: Alfred Thiel präsentiert seine Anlage in Garrel.

Branntkalk treibt das Ammonium aus dem Geflügelmist. Das hygienisierte Substrat kann Mais in Biogasanlagen ersetzen.

Der verbleibende Gärrest wird hochwertiger Volldünger. VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN LÖNINGEN. „Win-win-Situation“

– der Begriff wird inflationär benutzt. Schnell schweift man mit den Gedanken ab, wenn er fällt. Im Fall von Alfred Thiel und der MTL Anlagenbau wäre das ein Fehler. Genau genommen wäre hier sogar von einer mindestens dreifachen „Win-Situation“ zu sprechen. Mit seiner „Anlage zur Hygienisierung und Trocknung von schlammartigen Biomassen mithilfe von Branntkalk“ löst der Unternehmer aus Löningen bei Quakenbrück mehrere Probleme gleichzeitig und schafft ganz neue Wertschöpfungsketten.

Alfred Thiel war schon immer nah dran am Geschehen in der Geflügelbranche – allerdings gewissermaßen am anderen Ende des Verdauungsprozesses. Der gelernte Landmaschinenmechaniker beschäftigte sich fast sein gesamtes Berufsleben mit Fragen der Fördertechnik. Vor 19 Jahren gründete er die Thiel GmbH. „Wir bauen weltweit Kraftfutterwerke“, erklärt er, „da geht es im Wesentlichen um das Mahlen und Mischen von Futterkomponenten.“ Thiel beschäftigt 150 Mitarbeiter. Ein besonders wichtiger Kunde ist das Unternehmen Big Dutchman, das sich auf den Bau von Hühnerställen spezialisiert hat. In der Branche mangelt es schon lange an Entsorgungsmöglichkeiten für den stickstoffreichen Mist. Auf einer Geschäftsreise traf Thiel einen Wissenschaftler, der die Idee hatte, Dünger daraus zu produzieren. Thiel ließ sich anregen. Er tauschte sich mit Professor Christof Wetter aus, der lehrt an der Fachhochschule Münster und hat

Fotos: Christoph Lützenkirchen,Colourbox.de

sich unter anderem auf die Forschungsgebiete Gewässerreinhaltung, produktionsintegrierter Umweltschutz und Biogasnutzung spezialisiert. Der Wissenschaftler entwickelte schließlich das Konzept für die Anlagen von MTL Anlagentechnik, die aktuell vor allem Trockenkot aus der Geflügelhaltung, beispielsweise Puten-, Enten-, Hühner- und Hähnchenmist, verarbeitet. Daraus wird ein Flüssigdünger gewonnen, ein Substrat, das sich in Biogasanlagen weiterverarbeiten lässt, und Düngerpellets, die als Volldünger geeignet sind. Zu allem Überfluss entlastet er die Umwelt von stark ammoniumhaltigem Wirtschaftsdünger. „Wir mischen den Mist mit Branntkalk“, erklärt der Hochschullehrer, „dadurch steigt der pH-Wert. Das Ammonium wandelt sich zu gasförmigem Ammoniak und entweicht. Auf diese Weise können wir es austreiben.“ Das Gas wird aufgefangen und in einer sauren Lösung „gewaschen“, dort wird es gebunden. Praktisch wird der chemische Prozess wieder umgekehrt: aus Ammoniak wird Ammonium. Die entstehende Ammoniumsulfatlösung ist ein wertvoller handelsüblicher Flüssigdünger. „Mit unserem Verfahren treiben wir circa 70 Prozent des Ammoniums aus“, sagt Alfred Thiel. „Weitere zehn Prozent saugen wir über dem

In einer sauren Lösung wird in der MTL-Anlage gasförmiges Ammoniak aus der Verarbeitung des Geflügelmists „gewaschen“, Dabei entsteht eine Ammoniumsulfatlösung,die sich als wertvoller handelsüblicher Flüssigdünger vermarkten lässt.

Substrat ab, das heiß aus unserer Anlage kommt.“ Heiß wird es in der Anlage, weil der Branntkalk eine Oxidation des Mistes bewirkt, der heizt sich dabei auf. Das hat zwei Effekte: Zum einen wird der sogenannte Stoffübergang der Stickstoffverbindungen noch effektiver. Zum anderen nähert man sich damit den Temperaturen für die Hygienisierung des Substrats. Dafür muss es eine Stunde lang mindestens 70 Grad warm sein. Durch die Prozesswärme müsse nur noch sehr wenig zusätzliche Energie eingesetzt werden, erklärt Christof Wetter. Das fertige Substrat kann bis zu 70 Prozent der Mischung ausmachen, die man für den Betrieb einer Biogasanlage benötigt. Damit lässt sich Mais bei der Produktion von Biogas vollständig ersetzen, beschreibt der Wissenschaftler die Vorzüge. Das ist ein Quantensprung; aufgrund seines hohen Ammoniumgehalts konnte Geflügelmist in Biogasanlagen bisher nur als Beimischung verwendet werden. Das Ammonium hemmt die biologischen Prozesse in der Biogasanlage. Ein Kunde von Alfred Thiel verzichtet in seiner Anlage schon heute vollständig auf Mais. „Der mischt

unser Substrat mit Schweinegülle“, sagt der Unternehmer. In Garrel haben die Partner Thiel und Wetter eine Testanlage errichtet, die seit drei Jahren erprobt und weiterentwickelt wird. Die Anlage verarbeitet bis zu 20 Tonnen Mist am Tag. Im nächsten Schritt sollen es 100 Tonnen täglich werden. Der Antrag für ein deutschlandweit gültiges Patent auf das Verfahren läuft. Alfred Thiel rechnet bis Ende 2018 mit einem Bescheid. Mit der Nutzung des fertigen Substrats in Biogasanlagen und der Produktion von Ammoniumsulfat ist die von Thiel und Wetter erdachte Wertschöpfungskette aber noch nicht zu Ende. Nach der Nutzung in der Biogasanlage verbleibt ein Gärrest. Er ließe sich als Dünger in der Landwirtschaft verwenden, doch das Interesse daran ist bisher gering. Alfred Thiel hat deshalb ein Verfahren entwickelt, aus dem Gärrest Düngerpellets herzustellen. Diese sind laut seinen Angaben vergleichbar mit einem Volldünger mit stark reduziertem Stickstoffanteil. In eine Pelletsproduktionsanlage will der Löninger Unternehmer rund 4,5 Millionen Euro investieren. Ganz wichtig für die Entwicklung und Ausarbeitung des Konzepts: die Förderung als Forschungsprojekt durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU). Ende 2015 stellte die DBU dafür knapp 125 000 Euro zur Verfügung. Dr. Maximilian Hempel betreut das Projekt vonseiten der Stiftung. „In Nordwestdeutschland haben wir hohe Stickstoffüberschüsse“, sagt Hempel, der Antrag von Wetter und Thiel sei diesbezüglich sehr praxisorientiert gewesen. Der Ansatz lasse

sich relativ schnell umsetzen, weil technisch auf bestehende Komponenten zurückgegriffen werde. Bei der DBU sei man sehr zufrieden mit dem Ergebnis. „Es ist eine praxisnahe Lösung, die zeitnah das Nährstoffmanagement in der Landwirtschaft verbessert“, so Hempel. Die Unterstützung der DBU half den Pionieren Wetter und Thiel dabei, die zahlreichen Schwierigkeiten in der Entwicklungsphase ihrer Anlage zu bewältigen. Wetter nennt einige Beispiele: „Wir mussten dafür sorgen, dass sich der Mist und der Branntkalk möglichst gleichmäßig mischen.“ Zudem müsse die Fördertechnik den hohen Temperaturen zuverlässig standhalten.

„Unsere Anlage amortisiert sich in einem Jahr.“ Alfred Thiel

„Damit kein Ammoniak in die Umgebungsluft entweicht, ist die Anlage gasdicht. Alle Komponenten brauchen hochwertigen Korrosionsschutz.“ Nachdem man anfangs ausschließlich mit Branntkalk gearbeitet hat, wurde die Mischung nach und nach verfeinert. Inzwischen setzt Thiel zusätzlich Magnesiumkalk ein. Der reagiert später mit dem Mist, der Zeitraum der Erhitzung verlängert sich. Nach Einschätzung von Alfred Thiel ist die Anlage verkaufsfertig, gleichwohl sehe man noch erhebliches weiteres Optimierungsund Verbesserungspotenzial. Konkret bedeutet dies, dass die Partner zweigleisig fahren. Gemeinsam planen sie den Bau einer Pilotanlage, in der sie das Konzept großtechnisch umsetzen wollen; am besten mit erneuter Förderung durch die DBU. Gleichzeitig plant Thiel in Slowenien eine Anlage mit einer Kapazität von 200 Tonnen pro Tag. „Dort gibt es viele Biogasanlagen, doch wegen der Trockenheit wächst nicht genügend Mais“, erklärt er. „Auf der anderen Seite sind dort viele Geflügelmastbetriebe ansässig, die großes Interesse an der Verwertung ihres Mists haben.“ Unter derart optimalen Bedingungen amortisiere sich seine Anlage schon innerhalb eines Jahres. Angesichts dieser Erfolgsbilanz ist die Bezeichnung Win-win-Situation schon eine Untertreibung. Die Partner Thiel, FH Münster und DBU haben eine Technologie zur Praxisreife entwickelt, aus der viele Nutzen ziehen werden: Viehhalter, Betreiber von Biogasanlagen, die Umwelt und natürlich die erfolgreichen Pioniere selbst.


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GELD & GESCHÄFT

Umwelt gewinnt auch an der Börse an Gewicht Nachhaltige Geldanlage entwickelt sich zu einem Megatrend an den Finanzmärkten – auch für kleine Aktiensparer VON STEFAN WOLFF OSNABRÜCK. Mit den Riesenge-

winnen aus dem Öl- und Gasgeschäft hat Norwegen seinen Pensionsfonds zum größten Staatsfonds der Welt gemacht, größer und finanzstärker noch als ähnliche Anlagevehikel im arabischen Raum. Vor wenigen Wochen hat das Volumen des Fonds die Billion-Marke genommen. Norwegens Staatsfonds ist damit mehr als 1000 Milliarden Dollar wert und ist vor allem in Aktien investiert.

In der Anlagestrategie des Fonds zeichnet sich eine Zeitenwende ab. Die Fondsmanager wollen die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft reinwaschen. Schon vor zwei Jahren kündigte der Fonds den Ausstieg aus der Steinkohle an. In Zukunft sollen sich gar keine Unternehmen mehr in dem Portfolio finden. Nachhaltige Investitionen sollen das Bild bestimmen. Das Beispiel wird Schule machen. Nachhaltige Geldanlage entwickelt sich zu einem Megatrend an den Finanzmärkten. Und das nicht nur bei Großanlegern. Immer mehr kleine Aktiensparer wollen nicht nur wissen, was sie mit ihrem angelegten Geld verdienen können, sondern auch, wie es

23. Februar vormerken Die nächste „Die Wirtschaft“ erscheint am Freitag, 23. Februar 2018. Anzeigenschluss für diese Ausgabe ist Freitag, 2. Februar 2018. Weitere Informationen im Internet unter der Adresse diewirtschaft.noz.de.

GESCHÄFTSFÜHRER: Joachim Liebler und Axel Gleie CHEFREDAKTION: Ralf Geisenhanslüke (Chefredakteur), Dr. Berthold Hamelmann (Vertreter des Chefredakteurs), Burkhard Ewert (Stellvertretender Chefredakteur), Dr. Anne Krum (Mitglied der Chefredaktion) KOORDINATION: Nina Kallmeier AUTOREN DIESER AUSGABE: Manuel Glasfort, Sebastian Hamel, Berthold Hamelmann, Nina Kallmeier, Christoph Lützenkirchen, Norbert Meyer, Gerd Schade, Jörg Schürmann, Sigrid Sprengelmeyer, Anja Steinbruch, Nina Strakeljahn, Werner Straukamp, Konstantin Stumpe, Caroline Theiling, Jürgen Wallenhorst, Stefan Wolff, Thomas Wübker REDAKTION V.i.S.d.P.: Ralf Geisenhanslüke FOTOGRAFEN: Peter Michael Bauers, Margit Brettmann, David Ebener, Thorsten Futh, Manuel Glasfort, Michael Gründel, Nadine Grunewald, Sebastian Hamel, Berthold Hamelmann, Nina Kallmeier, Iris Kersten, Sascha Koglin, Christoph Lützenkirchen, Jörn Martens, Anna McMaster, Gerold Meppelink, Gerd Schade, Petra Schneider, Sigrid Sprengelmeyer, Konstantin Stumpe, Caroline Theiling, Gert Westdörp VERLAG: Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG, Postfach 42 60, 49032 Osnabrück; Breiter Gang 10–16, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück, Telefon 05 41/310-330, Telefax 05 41/310266; Internet: www.diewirtschaft.noz.de; E-Mail: diewirtschaft@noz.de ANZEIGEN-/WERBEVERKAUF: MSO Medien-Service GmbH & Co. KG, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück, Postfach 29 80, 49019 Osnabrück, Telefon 05 41/310-500, Geschäftsführer: Sven Balzer, Sebastian Kmoch (V.i.S.d.P.), Anzeigen-/Werbeverkauf: Sven Balzer, Hubert Bosse, Dirk Riedesel, Wilfried Tillmanns, Marvin Waldrich ANZEIGENANNAHME: Geschäftskunden: Telefon 05 41/310-510, Telefax 05 41/310-790; E-Mail: auftragsservice@mso-medien.de ANZEIGEN-/WERBEVERKAUF für Ausgabe Grafschaft Bentheim: Grafschafter Nachrichten GmbH & Co. KG, Coesfelder Hof 2, 48527 Nordhorn, Telefon 0 59 21/707-410, Verlagsleiter: Matthias Richter (V.i.S.d.P.) ANZEIGENANNAHME für Ausgabe Grafschaft Bentheim: Grafschafter Nachrichten GmbH & Co. KG, Telefon 0 59 21/707-410; E-Mail: gn.media@gn-online.de, Leitung Mediaverkauf: EvaChristin List TECHNISCHE HERSTELLUNG: Druckzentrum Osnabrück, Weiße Breite 4, Osnabrück (Ausgabe Osnabrück/Emsland); Grafschafter Nachrichten, Coesfelder Hof 2, Nordhorn (Ausgabe Grafschaft Bentheim)

angelegt wird. Das zeigen nicht nur die Diskussionen um Spekulationen auf Lebensmittelpreise. Auch das Engagement mancher Großanleger bei Herstellern von Streubomben hat zu einem Aufschrei geführt. Es waren vor allem Skandale und Umweltkatastrophen, die das Umdenken angestoßen haben. Stück für Stück. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nach der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon im Jahr 2010, Erdbeben, Tsunami und Nuklearunfall von Fukushima 2011 und der Dieselskandal bei Volkswagen vor zwei Jahren haben sich nicht nur ins Gedächtnis gebrannt. Diesen Ereignissen folgten ganz konkrete politische Schritte, wie zum Beispiel Deutschlands Ausstieg aus der Atomenergie, E-Autoquoten in vielen Ländern oder die Diskussion über Diesel-Fahrverbote in den Innenstädten. Auch das Klimaabkommen von Paris ist eine solche Zäsur. Im Jahr 2016 beschloss das EU-Parlament eine Richtlinie, der zufolge Pensionsfonds zur betrieblichen Altersvorsorge künftig soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen müssen. Die Entwicklung geht allerdings langsam voran, sagt Professor Henry Schäfer, Universität Stuttgart: „Die erhöhten Regulierungs-

Zeitenwende bei Anlagestrategien: Nachhaltige Investitionen sollen das Bild bestimmen. Anleger möchten heute auch wissen,wie und worin ihr Geld angelegt wird. Grafik: Colourbox.de

anforderungen bei Altersvorsorgeeinrichtungen scheinen noch nicht in der Breite angekommen zu sein, was eine systematische Umsetzung nachhaltiger Geldanlagen erschweren könnte.“ Dennoch ist viel im Fluss, weshalb sich natürlich auch Banken und Fondsanbieter Gedanken um Nachhaltigkeit machen. Ökologische und ethische Geldanlage ist

Verstorben: Im Alter von 97 Jahren verstarb am 28. November 2017 Heinrich Koch, der ehemalige Geschäftsführer des Osnabrücker Logistikunternehmens Koch International. Im Jahr 1939 trat er nach seiner kaufmännischen Ausbildung in die Firma ein. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Walter Koch übernahm Heinrich Koch im Jahr 1960 die Firmenführung. Koch International wuchs über die Jahre zu einem globalen Logistiker. Nachdem sich Heinrich und Walter Koch aus dem operativen Geschäft zurückzogen, ging die Firmenführung im Jahr 2004 auf die vierte Generation über. Das Unternehmen zählt heute mehr als 700 Mitarbeiter und verfügt über 100 eigene Zugmaschinen sowie rund 70 000 Quadratmeter Logistikfläche. Auszeichnung: Die Wirtschaftsjunioren (WJ) Osnabrück zeichneten das Familienunternehmen Piepenbrock mit dem Preis „Ehrbares Unternehmertum 2017“ für ihr besonderes Engagement im Bereich der Umweltverantwortung und Nachhaltigkeit aus. Die Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen und die Motivation der Mitarbeiter zum nachhaltigen Umweltschutz gehörten zu den definierten Leitsätzen des Unternehmens. Ziel der jährlichen WJ-Auszeichnung „Ehrbares Unternehmertum“ ist die Wertschätzung von Unternehmern, die sich über das normale Maß hinaus zum Beispiel in den Bereichen „soziale Verantwortung“, „Förderung von Familie und Beruf“ oder „Nachhaltigkeit“ engagieren.

zutreffen. Generell aber irrt Trump. Zwischen 2008 und 2015 seien die CO2-Emissionen im USEnergiesektor um 9,5 Prozent zurückgegangen, bei einem Wirtschaftswachstum von mehr als zehn Prozent in den Vereinigten Staaten, heißt es in einer Studie der KfW-Bank. „Damit ist den USA eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausausstoß gelungen“, sagt die Studien-Autorin Anke Brüggemann. „Ein Beleg dafür, dass Klimaschutz die amerikanische Wirtschaftskraft nicht schwächt.“ Die Entwicklung bei den Arbeitsplätzen untermauert dieses Bild. In den USA waren im Jahr 2016 der KfW-Studie zufolge im Bereich der kohlenstoffarmen Energieerzeugertechnologien etwa 800 000 Personen beschäftigt, davon entfielen 374 000 auf die Solarindustrie und 102 000 auf die Windindustrie. Im Bereich der Energieeffizienztechnologien waren rund 2,2 Millionen Personen tätig. Dagegen arbeiteten etwa 1,1 Millionen Amerikaner in der fossilen Energieindustrie (Kohle, Gas, Öl) und davon nur 160 000 in der Kohleindustrie. Der von der USRegierung negierte Wandel hat längst stattgefunden. Er wird sich auch an den Börsen kaum rückgängig machen lassen.

Licht und Schatten liegen beieinander

Kurz notiert Neuer IT-Chef: Dr. Dieter Schramm ist neuer Head of Global IT bei Hellmann Worldwide Logistics. Am 11. Dezember 2017 übernahm er diese Position. Der promovierte Physiker blickt auf mehr als 20 Jahre internationale Berufserfahrungen im IT-Bereich zurück. Bei seinem neuen Arbeitgeber soll er die strategische Weiterentwicklung der IT und Hellmanns Digitalisierungsbestrebungen weiter vorantreiben.

längst nicht nur mehr ein Nischenprodukt. Doch was ethisch oder ökologisch ist, ist am Ende eine Auslegungssache. Für manche Unternehmen ist „ein bisschen“ Ölgeschäft okay, während Hardliner ihre Unternehmensauswahl nach dem ökologischen Fußabdruck, den die Firmen hinterlassen, treffen. Es gibt Vermögensverwalter,

die keine US-Anleihen kaufen, da in den USA noch die Todesstrafe vollstreckt wird. Fonds, die nach islamischen Kriterien anlegen, würden nie Lufthansa-Aktien kaufen. Schließlich schenkt die Airline an Bord alkoholhaltige Getränke aus. Dass ethische Anlagekriterien am Ende weniger Gewinne abwerfen als ein blind zusammengewürfeltes Portefeuille, ist ein bislang nicht bewiesenes Gerücht. Allerdings hat es immer wieder auch heftige Kursverzerrungen gegeben. Beispiel Solarenergie. Die Unternehmen der Branche hatten an der Börse einen regelrechten Boom erlebt, der politisch zunichtegemacht wurde. Die gekürzten staatlichen Subventionen für Öko-Strom haben viele deutsche Unternehmen die Existenz gekostet. Am Ende jedoch wird sich die Energiewende auch weiterhin an den Finanzmärkten bemerkbar machen. Auch Deutschland wird der Kohle Adieu sagen, so wie es in den meisten Ländern der Fall ist. Doch wie passt das mit dem Bekenntnis der US-Regierung zu fossilen Brennstoffen zusammen? US-Präsident Trump geht von der Prämisse aus, dass Klimaschutz Wachstum gefährdet und Arbeitsplätze kostet. Für die Kohle-Kumpel in Kentucky mag das

Neuer Geschäftsführer: Anfang Oktober übernahm Henning Bramlage die Leitung des ADAC Weser-Ems e. V. Der 45-jährige Jurist war in den zurückliegenden 15 Jahren in verschiedenen Geschäftsführungsfunktionen im Automobilhandel tätig. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Verbands- und Vereinsarbeit auf nationaler wie auch europäischer Ebene. Der ADAC Weser-Ems zählt rund 850 000 Mitglieder in Bremen und im Nordwesten Niedersachsens. Mit zwölf Geschäfts- und Servicestellen bietet der Regionalclub Mitgliedern und Kunden ein dichtes Betreuungsnetz. Verstorben: Reinhard „Coppi“ Coppenrath, für viele Osnabrücker „der Konditormeister der Herzen“, verstarb am 29. November 2017 im Alter von 81 Jahren. Mit seinem Namen verbinden junge und ältere Einwohner der Hasestadt sofort den Osnabrücker Zoo, den VfL Osnabrück, leckere Konditormeisterwerke – und eine herzensgute Persönlichkeit. Als langjähriger Zoo-Präsident (und später als Ehrenpräsident), als VfL-Schatzmeister, als Obermeister der Konditoreninnung Osnabrück-Emsland und als Chef des gleichnamigen Cafés erwarb er sich eine hohe Anerkennung weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Engere Zusammenarbeit: Der Automotive Nordwest e. V. (ANW) und das Kompetenzzentrum Automotive der Ems-Achse (KAE) werden ab sofort enger zusammenarbeiten. Einen entsprechenden „Letter of Intent“ unterzeichneten die Vorstandsvorsitzenden und Clustermanager beider Verbände am 17. November auf der Messe „Agritechnica“ in Hannover. Zwei konkrete Schwerpunkte, die gemeinsam angeschoben werden sollen, sind die Umstellung auf alternative Antriebstechnologien im Bereich der Nutzfahrzeuge sowie die Gestaltung einer nachhaltigen Mobilität für den Tourismus in der Region.

Leoni AG „kabelt“ sich hoch, Gerry Weber AG verliert an Boden VON JÜRGEN WALLENHORST

Kursverlauf Leoni AG

Angaben in Euro

OSNABRÜCK. Was verbindet die

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beiden Unternehmen, die Leoni AG und die Gerry Weber International AG? Rund 19 Prozent gewannen bzw. verloren die Aktien der beiden Unternehmen in den vergangenen drei Monaten.

Die Leonie AG hat ihren Hauptsitz in Nürnberg und ist einer der führenden Hersteller in den Produktgruppen Drähte, Kabel und Bordnetz-Systeme. Mit Stolz schaut das Unternehmen auf seine Wurzeln zurück, die bis ins Jahr 1569 zurückreichen, als Anthoni Fournier eine Werkstatt in Nürnberg eröffnete, die Leonische Waren (z. B. feine Drahtgeflechte) herstellte. Das Hauptwerk befindet sich in Roth bei Nürnberg. Weltweit beschäftigte der Kabel- und Autozulieferer nach eigenen Angaben über 79 000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2016 einen Umsatz von 4,43 Mrd. Euro. Belastungen aus einem großen Betrugsfall, bei dem unbekannte Täter Leoni um rund 40 Millionen Euro gebracht hatten, und Umbaukosten bei Leoni hatten 2016 zunächst für einen Gewinneinbruch gesorgt. Doch das Unternehmen hat den erfolgreichen Geschäftsverlauf des 1. Halbjahres 2017 im 3. Quartal fortgesetzt – und auch für die weiteren Monate seien positive Anzeichen festzustellen, so Finanzexperten. Aufgrund der unverändert guten Nachfrage aus der Automobilindustrie – vor allem Standard- und Spezialleitungen sind weltweit stark gefragt – konnte Leoni einen Großteil des Zuwachses aus eigener Kraft erzielen, außerdem hatte der höhere Kupferpreis einen positiven Effekt auf den Umsatz. Digitalisierung, Energieund Datenmanagement in der Automobilindustrie spielen dem Unternehmen in die Karten.

61 59 57 55 53

September

Oktober

Dez.

November

Kursverlauf Gerry Weber AG

Angaben in Euro 10,6 10,2 9,8 9,6 9,2

8,2

September

Oktober

In Halle/Westfalen ist die Gerry Weber International AG ansässig. Der Vorstandsvorsitzende des deutschen Unternehmens ist Ralf Weber. Das in mehr als 60 Ländern agierende Unternehmen der Modeindustrie betreibt rund 1270 eigene Stores und Verkaufsflächen und erwirtschaftete mit seinen rund 7000 Mitarbeitern im Geschäftsjahr 2015/16 einen Umsatz über 900 Mio. Euro Umsatz. „Angesichts der weiterhin schwierigen Marktbedingungen, der sinkenden Kundenfrequenzen sowie des sich verändernden Einkaufsverhaltens der Endverbraucher steht auch

November

Dez.

das laufende Geschäftsjahr 2016/17, wie bereits bei Bekanntgabe des Programms angekündigt, im Zeichen der Neuausrichtung“, hieß es in einem Ausblick auf 2017. Trotz vielfältiger Anstrengungen des Unternehmens gelang es aber nicht, den Kurs der Gerry Weber AG in ruhigeres Fahrwasser zu bringen, geschweige denn einen Turnaround einzuleiten. Der wird von Finanzexperten jetzt für das kommende Jahr erwartet. Zusätzliche Unruhe dann Mitte November: Finanzvorstand Dr. David Frink schied aus dem Vorstand der Gerry Weber International AG aus.


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GELD & GESCHÄFT

Krone bestellt auch den virtuellen Acker Landmaschinen aus Spelle finden sich in einer erfolgreichen Spielereihe

VON MANUEL GLASFORT SPELLE. Der Landmaschinenher-

steller Krone geht ungewöhnliche Wege, um die Markenpräsenz zu stärken: Die Firma setzt auf ein Computerspiel. Im Bestsellertitel Landwirtschaftssimulator 17 können Fans jetzt die neuesten Produkte aus dem Emsland testen.

Gemächlich zuckelt der Traktor über das abgeerntete Getreidefeld, während die Strohballenpresse einen Quader nach dem anderen ausspuckt. Auf der grün-beige lackierten Maschine prangt der Schriftzug Krone Big Pack 1290 HDP II XL – Kenner sehen sofort, dass die Presse in Spelle gebaut wurde. Nun ja, dieses Exemplar nun gerade nicht, denn es existiert nur virtuell und wird heute an einem Simulator bewegt. Krone hat ins Emsland eingeladen, um gemeinsam mit den Entwicklern die Erweiterung „Strohbergung“ für das Computerspiel Landwirtschaftssimulator 17 vorzustellen. Seit bald zehn Jahren existiert die Spielereihe – und ist alles an-

dere als ein Nischenprodukt. Regelmäßig überflügeln neue Versionen in den Verkaufscharts bekannte Bestsellertitel wie Battlefield. Auch ohne Blut und Ballerei lassen sich also die Zockerherzen massenhaft erobern. Das Grundprinzip des Landwirtschaftssimulators ist simpel: Spieler erhalten zu Beginn einen Bauernhof mit ein paar Äckern, die sie mithilfe ihrer Maschinen bestellen müssen. Ist die Ernte eingefahren, wird sie möglichst gewinnbringend verkauft – und der Ertrag in neue Felder und Maschinen investiert. Potenziell endlos können die Spieler so ihren Hof erweitern und sich auch an der Viehzucht versuchen. Und nun kommt die Strohbergung hinzu. Wem die über 250 spielbaren Fahrzeuge des aktuellen Landwirtschaftssimulators 17 nicht reichen, der kann sich mit der Erweiterung die neuesten Maschinen aus Spelle in die virtuelle Scheune stellen. Aber vor allem sollen sie natürlich genutzt werden.

Wie in der Realität zieht die Ballenpresse von Krone auch im Landwirtschaftssimulator eine Staubwolke hinter sich her.Das Spiel gibt es für den PC wie für Spielekonsolen. Foto: M.Glasfort

Während das Hauptspiel in der Schweiz von Giants Software entwickelt wurde, steht hinter der Erweiterung ein Drittanbieter aus Deutschland namens Creative Mesh. Mit Herzblut und einem Blick für Details hat das junge dreiköpfige Entwicklerteam nicht nur die Big Pack 1290 HDP II XL nachgebaut, sondern auch die Rundballenpresse Comprima V180 XC, die Pelletiermaschine Premos 5000 und den Ballensammelwagen Bale Collect. Letzterer erlaubt es, die Strohballen schneller einzusammeln – in der Realität wie auch am Computer. Die Maschinen

in der Erweiterung befriedigen den Wunsch der Spieler nach großen und aktuellen Maschinen. Es sind nicht die ersten KroneGeräte im Landwirtschaftssimulator. Bereits seit 2010 kooperieren die Speller mit den Machern des Spiels. Damals sei der Big X 1000 der größte Feldhäcksler der Welt gewesen, erinnert sich Ingo Schoppe, der im Krone-Produktmarketing auch den Landwirtschaftssimulator betreut. „Da war es natürlich für den Spielehersteller interessant, uns auf seine Seite zu holen.“ Seine anfängliche Skepsis sei längst verflogen, erzählt Schoppe, der „nicht der klassische Spieler“ ist. „Hätte mir damals jemand erzählt, welche Dimensionen das Thema mal an-

nimmt, hätte ich das nicht geglaubt.“ Für die Erweiterung „Strohbergung“ schlossen sich die Speller nun mit Creative Mesh zusammen. Die Entwickler Straub, Raphael Greshake und Frederic Leifeling bauten neben ihrem Beruf beziehungsweise Studium die Maschinen am Rechner nach. Um diese möglichst detailgetreu auf den virtuellen Acker zu bringen, stellte Krone sogar Daten aus der Konstruktion bereit. „Als das Thema Strohbergung anstand, war es natürlich in unserem Sinne, das Ganze so originalgetreu wie möglich zu gestalten“, sagt Schoppe. Damit die sensiblen Daten nicht in die Hände Dritter gelangen, habe sich das Unternehmen mit einem Ge-

heimhaltungsabkommen abgesichert, das hohe Strafen vorsehe. Schoppe betonte aber: „Das Vertrauen ist da.“ Vom Ergebnis ist der Produktspezialist begeistert: „Die Realitätsnähe ist phänomenal.“ Schoppe kann sich für die Zukunft vorstellen, echte Anwender an Programmen wie dem Landwirtschaftssimulator zu schulen. Schoppe verspricht sich von der Kooperation eine stärkere Markenpräsenz- und -bindung. „Für das Image ist es auf jeden Fall von Vorteil, gar keine Frage“, sagt er. Gerade von jüngeren Kunden unter 25 Jahren würden die KroneMitarbeiter regelmäßig auf das Spiel angesprochen, berichtet er, räumt aber ein: „Ich glaube nicht, dass wir deswegen eine Großballenpresse mehr verkaufen.“ Doch darauf kommt es ihm nicht an. Geht es nach dem Unternehmen, werden die Fans auch in Zukunft Produkte aus Spelle im Landwirtschaftssimulator finden. „Wir werden auf jeden Fall dabeibleiben, solange wir dürfen“, sagt Schoppe. Neue Produkte habe Krone schon „in der Pipeline“.


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GELD & GESCHÄFT

GELD & GESCHÄFT

Das Einmaleins der Bilanzkunde Was bedeuten eigentlich all diese Zahlen und Begriffe, die börsennotierte Unternehmen alle paar Monate veröffentlichen? Selbst für viele Wirtschaftsinteressierte ist eine Bilanz ein Buch mit sieben Siegeln. Am Beispiel der Konzernbilanz und Gesamtergebnisrechnung der Bremerhavener Frosta AG erklären wir einige der wichtigsten Angaben – und zeigen, was sie Anlegern über Lage und Entwicklung des Tiefkühlkostproduzenten verraten. VON JÖRG SCHÜRMEYER

1 Aktiva und Passiva

3 Bilanzsumme

In der Frosta-Bilanz fällt das kräftige Wachstum der Bilanzsumme im Vergleich zum Vorjahr um 11,0 Prozent auf 271,565 Millionen Euro auf. Schaut man auf die Aktiva-Seite, so sieht man, dass dafür vor allem ein starker Anstieg bei den Sachanlagen (plus 17,7 Prozent) und bei den Vorräten (plus 11,9 Prozent) verantwortlich ist. In den detaillierten Ausführungen zur Bilanz liefert Frosta dazu auch eine Erklärung ab: Ersteres begründet der Konzern mit Kapazitätserweiterungsinvestitionen und Letzteres mit einer höheren Nachfrage und dem Vorhalten von Sicherheitsbeständen wegen einer schlechten Erntesituation bei Gemüseund Kräuterprodukten.

Bei der Darstellung von Bilanzzahlen gibt es stets zwei Seiten. Auf der linken Seite findet man die Vermögensgegenstände des Unternehmens. Sie werden als Aktiva bezeichnet und beschreiben, wofür die Mittel eingesetzt werden. Auf der rechten Seite ist das Kapital aufgelistet. Diese Passiva-Seite zeigt auf, woher die finanziellen Mittel stammen.

2 Gesamtvermögen und Gesamtkapital

A Umsatzerlöse

Die Umsatzerlöse bezeichnen im Kern die Erlöse aus dem Verkauf von Erzeugnissen und Dienstleistungen und sind eine der wichtigsten Bilanzkennzahlen überhaupt. Frosta hat 2016 den Konzernumsatz gegenüber dem Vorjahr um 5,9 Prozent auf 466,059 Millionen Euro steigern können. Das Unternehmen ist also weiter auf Wachstumskurs.

B Gewinn

Den umgangssprachlich gern verwendeten Begriff „Gewinn“ gibt es in der Konzern-Gesamtergebnisrechnung nicht. Stattdessen wird dort exakter zwischen verschiedenen Ergebnissen unterschieden, wie dem Betriebsergebnis (Ebit/vor Zinsen und Steuern), dem Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit oder dem Konzernjahresüberschuss. Am gebräuchlichsten bei Analysen sind das Betriebsergebnis, das aufzeigt, was ein Unternehmen mit seinem operativen Kerngeschäft verdient, und der Konzernjahresüberschuss bzw. Nachsteuergewinn. Diesen konnte Frosta 2016 um 18,4 Prozent auf 21,568 Millionen Euro steigern – ein starkes Ergebnis.

C Umsatzrentabilität

Die Umsatzrentabilität (oder -rendite) setzt den Bilanzgewinn in Relation zum Umsatz. Nimmt man den Konzernjahresüberschuss als Grundlage, kommt Frosta für 2016 auf eine Nettoumsatzrendite von 4,6 Prozent. Das heißt, von jedem umgesetzten Euro wurde ein Gewinn von 4,6 Cent erzielt. 2015 lag die Nettoumsatzrendite von Frosta bei 4,0 Prozent. Sprich, die Profitabilität ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

D Rohertragsmarge

Die Rohertragsmarge sagt aus, wie viel Prozent der Umsatzerlöse einem Unternehmen als Rohertrag zur Verfügung stehen. Im Handel wird auch von der Handelsspanne gesprochen. Die Kennzahl zeigt in der Entwicklung, wie sich die Beschaffungspreise eines Unternehmens verändern. Außerdem gibt sie etwa Aufschluss darüber, wie groß der mögliche Preissenkungsspielraum ist, falls sich die Wettbewerbssituation verschärft. Die Rohertragsmarge ermittelt sich aus der Gesamtleistung, gekürzt um die sonstigen betrieblichen Erträge und den Materialaufwand, geteilt durch die Umsatzerlöse. Frosta konnte 2016 seine Rohertragsmarge gegenüber dem Vorjahr um 1,3 Prozent auf 38,4 Prozent steigern.

Am unteren Ende der Konzernbilanz findet man auf der Aktiva-Seite das Gesamtvermögen und auf der Passiva-Seite das Gesamtkapital. In einer korrekten Bilanz müssen beide Werte gleich sein, im Fall Frosta sind es jeweils 271,665 Millionen Euro. Diesen Wert bezeichnet man auch als Bilanzsumme. Er hilft bei der Einteilung von Unternehmen nach Größenklassen.

2 A 1

1 6

D

4 7

B 5

C 3

3

4 Langfristig und kurzfristig

6 Eigenkapitalquote

5 Vermögenslage

7 Goldene Bilanzregel

Bei der Mittelverwendung (Aktiva) unterscheidet man in der Bilanz zwei Kategorien: das Anlagevermögen oder langfristige Vermögen (dazu gehören Vermögensgegenstände, die längere Zeit im Unternehmen bleiben wie Grundstücke, Gebäude oder Maschinen) sowie das Umlaufvermögen oder kurzfristige Vermögen (dazu gehören etwa Vorräte, Barbestände in der Kasse und Bankguthaben sowie Forderungen, also Geldansprüche an Kunden).

Ein genauerer Blick auf die Aktiva-Seite hilft, die Vermögenslage besser zu verstehen. Eine wichtige Kennzahl ist die Anlagenintensität, die das Anlagevermögen ins Verhältnis zum Gesamtvermögen (Bilanzsumme) setzt. Frosta kommt für 2016 auf einen Wert von 33,0 Prozent (89,721 Millionen Euro sind knapp ein Drittel 271,565 Millionen Euro). Das heißt, dass 33 Prozent des Vermögens auf das Anlagevermögen entfallen. Branchen unterscheiden sich stark in ihrer Anlagenintensität (bei Maschinenbauern etwa ist der Wert viel höher als bei Dienstleistern), deshalb ist für eine Analyse nur ein Vergleich innerhalb einer Branche sinnvoll. Merksatz: Je höher die Anlagenintensität, desto größer ist die Belastung durch fixe hohe Kosten wie Zinsen und Abschreibungen.

Bei der Mittelherkunft (Passiva) unterscheidet man zwischen Eigenkapital und Fremdkapital (langfristige und kurzfristige Schulden), wozu Schulden, Verbindlichkeiten und Rückstellungen zählen. Setzt man beide Größen ins Verhältnis, erhält man Aufschluss über die Kapitalstruktur. Eine wichtige Kennzahl ist die Eigenkapitalquote, die den Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital aufzeigt. Frosta kommt für 2016 auf eine Eigenkapitalquote von 53,7 Prozent (145,732 Millionen Euro sind gut die Hälfte 271,565 Millionen). Damit ist die Quote zwar niedriger als 2015 (55,1 Prozent), aber immer noch extrem hoch. Man kommt also zu dem Schluss, dass Frosta weiterhin ein solide finanzierter Konzern ist.

Will man die Finanzierungsstruktur eines Unternehmens genauer unter die Lupe nehmen, muss man die horizontale Ebene der Bilanz betrachten und Posten auf der Aktivseite mit jenen auf der Passivseite vergleichen. Die sogenannte goldene Bilanzregel besagt, dass das Anlagevermögen stets durch Eigenkapital finanziert werden sollte. Bei Frosta war dies 2016 der Fall, was auf eine äußerst solide Finanzierung schließen lässt.

Layout: Holger Trentmann,Foto: Colourbox.de


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GELD & GESCHÄFT

Zwischen den Orten: Warum sich Menschen fürs Pendeln entscheiden Pendlerrekord trotz höheren Krankheitsrisikos Täglich fährt Philipp Wedelich morgens mit der Bahn von Osnabrück nach Hannover zur Arbeit – und abends wieder zurück nach Hause.Die Zeit im Zug nutzt er,um schon mal die ersten E-Mails zu beantworten.

VON NADINE GRUNEWALD OSNABRÜCK. Wer pendelt, ver-

bringt viel Zeit im Auto oder in der Bahn und hat ein höheres Krankheitsrisiko. Dennoch ist die Zahl der Berufspendler zuletzt auf ein Rekordhoch gestiegen. Drei Angestellte haben uns erzählt, warum sie sich bewusst für das Pendeln entschieden haben – oder trotz Familie für eine Zweitwohnung in der Nähe ihres Arbeitsortes.

Der Tag von Philipp Wedelich beginnt früh: Um 5.45 Uhr macht sich der 47-Jährige häufig auf den Weg zur Arbeit. Seit viereinhalb Jahren ist er Referatsleiter im niedersächsischen Innenministerium. Seitdem fährt er jeden Morgen mit dem Zug nach Hannover und am Abend wieder zurück nach Osnabrück. Etwa vier Stunden ist er täglich unterwegs. Doch der Familienvater hat sich damals bewusst für das Pendeln mit der Bahn entschieden. „Ich habe kurz überlegt, mir in Hannover eine Wohnung zu nehmen. Dann bin ich ein, zwei Monate probeweise mit der Bahn gefahren“, erzählt er. „Man merkt, ob man ein Pendeltyp ist oder nicht. Ich kann das gut ab.“ Die Zeit im Zug nutzt Wedelich zum Arbeiten, dort könne er schon einen Blick in verschiedene Zeitungen werfen und E-Mails beantworten. Weil er dazu sein Tablet nutzt, müsse er auch kaum zusätzliches Gepäck mitnehmen. „Wenn ich mit dem Auto fahren würde, könnte ich während der Fahrt nicht arbeiten und würde die Zeit verlieren, ganz zu schweigen von der schlechteren Klimabilanz“, sagt der Referatsleiter. Abgesehen davon sei es morgens in Bad Oeynhausen und Hannover sehr voll und das Autofahren um ein Vielfaches teurer. Zugausfälle oder Verspätungen seien eher die Ausnahme. Und wenn es mal passiere, dann sei das eben so. „Einige Leute haben es sich zu ihrem Hobby gemacht, sich über die Bahn aufzuregen. Ich habe durch das Pendeln gelernt, dass ein bisschen Gelassenheit guttut“, sagt Wedelich, der zwischen 18 und 20 Uhr wieder zu Hause bei seiner Frau und seinem Sohn ist. „Meine Frau sagt, dass ich heute ausgeglichener bin, wenn ich von der Arbeit komme.

Vorher war ich zwar zehn Minuten nach der Arbeit zu Hause, aber im Kopf noch da.“ Dass die Zahl der Pendler weiter gestiegen ist, hat laut Thomas Skora, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), mehrere Gründe. Neben einer immer besser werdenden Infrastruktur spiele auch die in den vergangenen 20 Jahren stark gestiegene Anzahl befristeter Arbeitsverträge eine Rolle. „Da erscheint ein Umzug oft nicht lohnenswert“, sagt Skora. Die steigenden Miet- und Grundstückspreise in Städten ließen das Pendlervolumen ebenfalls größer werden. Außerdem würden immer häufiger beide Partner arbeiten, was die Entscheidung für einen Wohnort erschwere. Für Wedelich ist ein Umzug nach Hannover damals unter anderem auch wegen des Jobs seiner Frau nicht infrage gekommen. Auch bei Ralf Dobmeier ist das Pendeln ein Kompromiss: Bis Ende April wohnte er noch in Osnabrück, dann zog der 33-Jährige mit seiner Freundin nach Münster – und damit in die Mitte ihrer beider Arbeitsstätten. Statt wie früher eine Viertelstunde braucht Dobmeier jetzt 45 Minuten bis zu Piepenbrock, wo er als Teamleiter der Unternehmenskommunikation arbeitet. „Am Anfang war das gewöhnungsbedürftig und eine kleine Last“, gibt er zu. „Aber man gewöhnt sich relativ schnell daran. Während der Heimfahrt habe ich Zeit, um zu verarbeiten, was am Tag passiert ist.“ Allerdings sagt Dobmeier auch: „45 Minuten sind bei mir die Grenze. Eine viel längere Fahrt würde ich nicht vertretbar finden.“

Ab welcher Fahrtzeit Pendeln stressig wird, lasse sich aufgrund des derzeitigen Forschungsstandes nicht verlässlich sagen, so Skora. Aber: Je länger der Pendelweg, umso größer werde das Stresserleben. „Sobald die Fahrtzeit über 45 Minuten liegt, nimmt die Bereitschaft zum Pendeln deutlich ab“, sagt Skora. Während eine halbe Stunde noch toleriert werde, wünschten sich viele sogar eine Pendeldauer von 15 bis 20 Minuten. „Das ist die zeitliche Distanz, die man braucht, um abschalten zu können.“ Sobald man das Pendeln als belastend empfindet, sollte man sich fragen, ob man das weiter machen möchte. Obwohl Dobmeier derzeit durch einige Autobahnbaustellen fahren muss, ist der Zug keine Alternative für ihn. Verglichen mit der Flexibilität, die er sich dadurch nehmen

„Man merkt, ob man ein Pendeltyp ist oder nicht.“ Philipp Wedelich

würde, sei die Kostenersparnis zu gering. Außerdem sei die Busverbindung von seiner Arbeitsstätte bis zum Bahnhof in Osnabrück nicht so gut. „Und bei schlechtem Wetter im Anzug mit dem Fahrrad fahren zu müssen ist auch nicht so toll“, sagt er. Wenn ihre Arbeitszeiten zusammenpassten, fahre er zusammen mit einer Kollegin, um die Kosten etwas zu senken. Philipp Wedelich und Ralf Dobmeier – zwei von rund 18,4 Millionen Pendlern in Deutschland. Spiegeln sie den typischen Pendler wider? Laut Skora zieht sich das Pendler-Sein durch viele Gesellschaftsgruppen. Häufig seien es aber jüngere Arbeitnehmer, da die Mobilitätsanforderungen aufgrund befristeter Arbeitsverträge gerade zu Beginn des Berufslebens hoch seien. Und: Sie akzeptierten diese Belastung eher. Studien zufolge legten Männer weitere Wege zur Arbeit zurück als Frauen, wie Skora sagt – weil diese häufiger in Teilzeit arbeiteten, einen geringeren Stundenlohn bekämen oder ihnen eine höhere Verantwortung für Haushalt und die Familie zugeschrieben werde. „Pendler sind tendenziell Besserverdiener. Das Pendeln muss sich auszahlen“, sagt der Wissenschaftliche Mitarbeiter. Bastian Hartmann hat sich für eine andere Lösung entschieden – und damit bewusst gegen das Pendeln. Im Frühjahr dieses Jahres wechselte der Bünder innerhalb des Unternehmens den Job. Er tauschte die Stelle des Filialleiters eines Vodafone-Shops an seinem Wohnort gegen die des Sales Coach im Münsterland, knapp 150 Kilometer von zu Hause entfernt. Zwar sei das Pendeln zunächst eine Option für den 34-Jährigen ge-

Statt täglich von Bünde bis ins Münsterland und zurück zu fahren, suchte sich Familienvater Bastian Hartmann (links) eine Zweitwohnung in der Nähe seines Arbeitsortes. Ralf Dobmeier entschied sich fürs Pendeln: Mit dem Auto legt er die Strecke zwischen Münster und Osnabrück zurück. Fotos: Nadine Grunewald/David Ebener

Foto: David Ebener

Die meisten pendeln mit dem Auto zur Arbeit Nur 14 Prozent nutzen öffentliche Verkehrsmittel

0,4 % sonstiges 0,8 % Motorrad, Motorroller u.ä. 4,3 % Bus 4,7 % Eisenbahn, S-Bahn 4,8 % U-Bahn, Straßenbahn

8,2 % zu Fuß

67,7 % Pkw

9,0 % Fahrrad

Quelle: Statistisches Bundesamt · Grafik: Matthias Michel

wesen, doch sein Chef habe ihm abgeraten. „Er hat gesagt, dass er früher selbst gependelt ist und ihn das kaputtgemacht hat“, sagt Hartmann. Also zog er zunächst übergangsweise in ein Hotel. Mittlerweile hat er eine eigene Wohnung in der Nähe seiner Arbeitsstelle. Die Kosten übernehme der Chef. Für Hartmann ist das die richtige Entscheidung gewesen – obwohl er in der Woche weit weg von seiner Frau und den drei kleinen Kindern ist. „Wenn ich täglich pendeln würde, bliebe überhaupt keine Zeit für die Familie. Dann wäre ich von morgens halb acht bis abends halb neun unterwegs. So fahre ich jeden Donnerstag nach Hause, arbeite am Freitag von da, und dann ist Wochenende“, erklärt Hartmann. „Auf Dauer wäre es extrem anstrengend, auf der Arbeit alles zu geben und dann auch noch jeden Tag die Strecke fahren zu müssen.“

Weniger Zeit für die Familie, Freunde oder andere Aktivitäten durch längere Pendelstrecken zu haben ist laut Skora ein Grund für steigenden Stress bei Pendlern – ebenso wie häufiges Umsteigen und Stau. Und: Wer lange unterwegs ist, hat weniger Zeit für Aktivitäten wie Sport, mit denen sich der Stress reduzieren ließe. „Es gibt viele Studien dazu, dass die Zunahme von Pendelstrecke oder -dauer mit negativen Folgen verbunden ist. Betroffene haben häufiger Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Migräne oder psychosomatische Beschwerden und sind häufiger krankgemeldet“, sagt Skora. Allerdings: Wer sich bewusst und trotz Handlungsalternativen für das Pendeln entscheide, dem gehe es besser als demjenigen, der das Pendeln als Zwang wahrnähme. Dennoch gibt es Möglichkeiten, das Pendeln angenehmer zu gestalten. Skora rät dazu, die Fahrtzeit möglichst sinnvoll zu nutzen. Wer mit dem Zug unterwegs sei, könne lesen oder beispielsweise eine Sprache lernen, Autofahrer ein Hörbuch oder Musik zur Entspannung hören. Ein weiterer Tipp: Stresssituationen mit Planung möglichst verringern. „Man sollte – falls möglich – nicht zur Hauptverkehrszeit fahren, sich Zugverbindungen suchen, auf denen man wenig umsteigen muss, und berufliche Termine nicht in die Randzeiten legen, falls die Bahn Verspätung hat oder man im Stau steht.“ Auch der Arbeitgeber könne Pendler unterstützen – durch Homeoffice-Tage, Arbeitszeitkonten oder Gleitzeit.


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GELD & GESCHÄFT

Fast jeder ist ein Pendler Die Strecke zur Arbeit ist steuerlich absetzbar VON NINA KALLMEIER

beit fährt und er höhere Kosten nachweisen kann. Die Begrenzung von 4500 Euro gilt hingegen bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Grundsätzlich gilt: Wenn die tatsächlichen Fahrtkosten für den Arbeitnehmer höher sind als die Entfernungspauschale, dann kann er die höheren Kosten ansetzen. Diese Kosten muss er aber auch belegen können.

OSNABRÜCK. Ob mit Bus, Bahn

oder Auto, wer zur Arbeit einen Weg zurücklegt, kann steuerlich profitieren. Auch Arbeitgeber haben längst Mittel und Wege gefunden, die Anreise zur Arbeitsstätte zu unterstützen. Ein Gespräch mit Karen Frauendorf, Referat für Recht und Steuern bei der IHK Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim.

Wer gilt steuerrechtlich als Pendler? Auch wenn der Begriff „Pendler“ im Einkommensteuergesetz nicht auftaucht, mit „Pendler“ sind Arbeitnehmer gemeint, die nicht von zu Hause aus arbeiten, sondern eine Wegstrecke zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte zurücklegen. Welche Kosten können geltend gemacht werden? Die Fahrtkosten, die einem Pendler für seinen Weg zur Arbeit entstehen, kann er steuerlich über die sogenannte Entfernungspauschale als Werbungskosten in seiner Einkommensteuererklärung geltend machen. Sie beträgt 0,30 Euro pro einfachen Entfernungskilometer. Wichtig zu wissen: Die Entfernungspauschale

IHK-Referentin für den Bereich Steuern und Recht: Karen Frauendorf.

Foto: IHK

ist grundsätzlich anhand des kürzesten Weges zu ermitteln. Außerdem sind nur volle Entfernungskilometer anzusetzen, sodass bei einer Entfernung von zum Beispiel 15,9 Kilometern lediglich 15 Kilometer zugrunde gelegt werden können. Gibt es Unterschiede, je nach Art des Pendelns? Das Finanzamt berücksichtigt die Kilometerpauschale von 0,30 Euro grundsätzlich, unabhängig vom Verkehrsmittel. Allerdings gilt der Höchstbetrag der Entfernungspauschale von 4500 Euro dann nicht, wenn der Arbeitnehmer mit dem eigenen Pkw oder aber einem Dienstwagen zur Ar-

Wie wird die Entfernungspauschale berechnet – und für wen lohnt sie sich besonders? Die Berechnung der individuellen Entfernungspauschale ist ganz einfach: Anzahl der Arbeitstage x Kilometer einfache Fahrt x 0,30 Euro Entfernungspauschale. Die Geltendmachung lohnt sich besonders dann, wenn die Entfernungspauschale größer ist als die 1000 Euro Werbungskostenpauschale. Von einigen Arbeitgebern wird ein „Job-Ticket“ für Bus und Bahn angeboten. Ab welcher Mitarbeiterzahl lohnt sich das Angebot für ein Unternehmen, und wie profitieren die Arbeitnehmer? Das Gewähren eines Jobtickets kann für den Arbeitnehmer Sachbezug sein, der unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei und auch sozialversicherungsfrei ist.

Die Wege werden länger Vergleich der Fahrtstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 2012 und 2016 Erwerbstätige werden alle vier Jahre in einem Mikrozensus zu ihrem Arbeitsweg befragt. Die Teilnahme an der Befragung ist freiwillig. 2012

48,9

47,8

2016

26,5

27,5

12,4 4,5

13,1

4,4

3,9

gleiches Grundstück

unter 10 km

10 bis 24 km

25 bis 49 km

4,5

50 km und mehr

Quelle: Statistisches Bundesamt · Grafik: Matthias Michel

Dies ist unabhängig von der Mitarbeiterzahl. Möglich ist auch, ein Jobticket, das nicht steuerfrei ist, als Fahrtkostenzuschuss mit 15 Prozent pauschal durch den Arbeitgeber zu versteuern.

Auch Mitarbeiterwohnungen werden von manchen Arbeitnehmern angeboten. Was ist hier steuerlich zu beachten? Auch hier ist es in bestimmten Sachverhalten möglich, die Woh-

nungen steuerfrei den Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen. Insbesondere dann, wenn die Mitarbeiter ihren Lebensmittelpunkt so weit entfernt haben, dass ein tägliches Pendeln nicht möglich ist.

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

LEBEN & LEIDENSCHAFT

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Eine Orgel für die St.-Nikolai-Kirche Suchen, planen, bauen: Joachim Kreienbrink aus Georgsmarienhütte realisiert neues Instrument für Potsdamer Wahrzeichen

Schinkel-Bau besitzt wieder unüberhörbare Stimme. Tonaufnahmen aus dem Jahr 1971 halfen bei neuem Klanggefühl. Orgelscouting in Polen und Ungarn ohne Erfolg. VON BERTHOLD HAMELMANN GEORGSMARIENHÜTTE. Die St.-Ni-

kolaikirche in Potsdam, das alles überragende Wahrzeichen im Herzen der Stadt, hat jetzt auch wieder eine unüberhörbare Stimme. Die neue große Orgel bildet das letzte i-Tüpfelchen, das dem wieder aufgebauten prächtigen Sakralbau am Alten Markt noch fehlte. Seit der feierlichen Orgelweihe im September gibt es Komplimente wie am Fließband: „Sieht nicht nur gut aus, sondern klingt auch wunderbar“, so die Kommentare der Besucher.

Den Orgelbaumeister Joachim Kreienbrink (61) aus Georgsmarienhütte freut es. Denn der hat mit seinem Team Handwerkskunst auf höchstem Niveau abgeliefert. „Ja, da haben wir eine echte Duftmarke gesetzt.“ Der Stolz in seiner Stimme ist unüberhörbar. Rückblick: König Friedrich Wilhelm III. beauftragte 1826 den Architekten Karl Friedrich Schinkel mit der Planung eines Neubaus einer Stadtkirche in Potsdam. Kirchweihe war am 17. September 1837. In den folgenden Jahren entstand ein imponierender Kuppelbau nach dem Vorbild der St Paul’ s Cathedral in London mit unterschiedlichen Planungsänderungen. 1850 erfolgte die zweite feierliche Einweihung. Ein vielfach beklagtes Problem bestand in der als unbefriedigend empfundenen Akustik im Kirchenraum. Zur Schallabsorption wurden damals große Vorhänge angebracht. Am 14. April 1945 legte der schwerste Bombenangriff der Royal Air Force auf Potsdam die Altstadt in Schutt und Asche. Die St.-Nikolai-Kirche überstand den Feuersturm weitgehend unbeschadet, was mancher gerne als Wunder einstufte. Es war wohl aber eher militärisches Kalkül: Denn gibt es einen besseren Orientierungspunkt als einen 77 Meter hohen Kirchenbau? Die Artillerie der Tage später anrückenden Roten Armee kannte keine Zurückhaltung. Unter ihrem Beschuss zerbarst die Kuppel. Die Trümmer begruben die Südempore samt der Orgel der Firma Sauer aus Frankfurt (Oder). Das war das (vorläufige) Ende. 36 Jahre später, am 2. Mai 1981, war der erste Teil der Rekonstruktion der Kirche, die 950 Menschen Platz bieten kann, beendet. Ohne eine entsprechende Orgel – denn dafür fehlte das Geld trotz der neun Millionen D-Mark aus westdeutschen Kirchensteuermitteln, die neben Geldern aus dem OttoNuschke-Kulturfonds in den Wiederaufbau geflossen waren. Die evangelische Kirchengemeinde musste sich mit einem Positiv, also einer kleinen, leicht zu versetzenden Orgel, behelfen.

Orgelweihe am 23. September 2017: Die neue große Orgel in der St.-Nikolai- Kirche in Potsdam (l.) wurde nach monatelanger Aufbauarbeit (o.) der Öffentlichkeit präsentiert. Orgelbaumeister Joachim Kreienbrink (u.) freute sich über das realisierte Großprojekt. Fotos: Peter-Michael Bauers (2),Berthold Hamelmann (1)

Weit entfernt im nordrheinwestfälischen Altenessen, einem Stadtteil von Essen, musste eine Kirche mit einer gut erhaltenen Schuke-Orgel aufgegeben werden. Der mögliche Kaufpreis von etwa 60 000 Euro sprengte die finanziellen Möglichkeiten der St.-Nikolai-Gemeinde in Potsdam. Es kam zu einem Deal. Die Altenessener verschenkten ihre 50 Jahre alte Orgel für den symbolischen Preis von einem Euro. Die Potsdamer übernahmen alle anfallenden Kosten wie Transport und Überarbeitung. Und die niedersächsische Orgelmanufaktur Kreienbrink war erstmals im Geschäft, reinigte und ergänzte das Instrument um zwei Register, baute ein neues Gehäuse und stellte das neue Werk mit 1600 Pfeifen auf Rollen. Es war eine Orgel mit 22 Registern. Aber trotz aller Freude eben noch keine „richtig große“ Orgel, die der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Sauer-Orgel das Wasser reichen konnte. Das war 2005. Wünsche und Sehnsüchte bestanden weiter. Und so war Kreienbrink im Auftrag der Nikolaigemeinde quasi als Orgel-Scout im Einsatz, sah sich etwa im polni-

schen Kattowitz und der ungarischen Hauptstadt Budapest nach etwas Passendem um. „Oder nach etwas, das passend gemacht werden konnte“, so Joachim Kreienbrink. Doch Fehlanzeige. Es passte nichts. Und dann holte die Firmengeschichte den heute 61-Jährigen doch wieder ein. In der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede stand eine noch unter der

„Da haben wir eine echte Duftmarke gesetzt.“ Joachim Kreienbrink, Orgelbaumeister

Ägide von Vater Mathias Kreienbrink gebaute Orgel aus dem Jahr 1971 zum Verkauf, die Anfang September 2008 außer Dienst gestellt worden war. Den Zuschlag erhielt die St.-Nikolai-Gemeinde in Potsdam. 2011 erfolgte der Abbau. „Eine Besonderheit bestand aber in den vorhandenen Tonaufnahmen der Orgelweihe aus dem Jahr 1971.“ Die vermittelten ein genaues Klanggefühl – und halfen bei der Beantwortung der Frage, wie denn die neue große Orgel in Potsdam wohl klingen sollte. Für Joachim Kreienbrink, der sich die entsprechende Ausschreibung sichern konnte, stand einer der größten Aufträge der Firmengeschichte an, den er mit viel Optimismus anging: „Ich wusste ja, dass das Pfeifenmaterial aus Meschede tipptopp war.“ Und dann war da ja auch noch Matthias Ullmann, ein international renommierter Intonateur, der sich die 3300 Pfeifen der neuen Nikolai-Orgel vornahm. Seit 2011 arbeitet der Spezialist für die Orgelmanufaktur Kreienbrink. Beispielsweise habe Kurt Masur, der brillante deutsche Dirigent, auf die Fähigkeiten von Ullmann zu-

rückgegriffen, als es um die NeuIntonation der 1981 aufgestellten Schuke-Orgel im Leipziger Neuen Gewandhaus ging, beschreibt Kreienbrink die Fähigkeiten Ullmanns. Die neue große Orgel in St. Nikolai sieht komplett anders als das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Instrument aus. Denn der Prospekt, wie das äußere Erscheinungsbild einer Orgel bezeichnet wird, stammte bei Karl Friedrich Schinkel nun einmal aus der Feder eines Architekten: „Ich bin sehr froh, dass wir in Potsdam einen eigenen schönen Prospekt machen konnten“, so Kreienbrink. Herausforderungen gab es viele. Etwa einen starken Zuganker, der Gebäudeteile der Nikolaikirche zusammenhält. Die Orgel musste um diesen Störenfried herumgebaut werden. Wie das geht? „Mit viel Gehirnschmalz“, schmunzelt der Orgelbauer. Vorausschauendes Arbeiten sei nun einmal das A und O. „Und es ist extrem wichtig, dass man an jede Stelle der fertig aufgestellten Orgel herankommt.“ Nach dreijähriger Vorarbeit war es im Februar 2017 so weit: Ein 13,5 Meter langer Lkw-Auflieger

wurde in zwei Tagen sorgfältig bis unters Dach bepackt. Dann ging es vom Gelände der Orgelmanufaktur Kreienbrink in Georgsmarienhütte auf die 395 Kilometer lange Reise nach Potsdam. Dank einer speziellen Rampe reichten fünf Stunden zum Entladen. Danach sah es in St. Nikolai wie in einem überdimensionalen Kramladen aus: Kirchenboden und -bänke waren, streng geordnet, mit Tausenden von Einzelteilen belegt. Und da fehlten noch die 3300 Pfeifen, die gesondert angeliefert wurden. Das politische Gezerre um die Finanzierung der etwa 1,3 Millionen Euro teuren neuen Orgel in St. Nikolai verfolgte Joachim Kreienbrink eher aus der Distanz. Denn ohne die 970 000 Euro von der Stiftung Preußisches Kulturerbe (SPKE) hätte das Spendenaufkommen niemals ausgereicht. Doch hatten Äußerungen des ehemaligen, als rechtsnational geltenden SPKE-Vorsitzenden Max Klaar Irritationen ausgelöst. Die evangelische Landeskirche hatte daraufhin ihre Mitgliedsgemeinden aufgefordert, auf Geld von der Stiftung zu verzichten.


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LEBEN & LEIDENSCHAFT

„Wir wollen der andere Brunnen sein“ Christian und Friedrich Berentzen sind mit der Traditionsmarke Rhenser neu am Start VON NORBERT MEYER HASELÜNNE. 345 Kilometer sind

es von Haselünne nach Rhens: Diesen Weg legen Christian und Friedrich Berentzen zweimal pro Woche mit dem Auto zurück, immer montags und donnerstags. Für die Brüder aus der emsländischen KornbrennerDynastie markiert er einen Neuanfang. Das gilt ebenso für das Unternehmen Rhenser Mineralbrunnen, dem die beiden seit drei Monaten als Geschäftsführer vorstehen.

Mit der mehr als 250-jährigen Schnapstradition ihrer Familie haben die beiden Ex-Gesellschafter der Berentzen-Gruppe AG nichts mehr am Hut. Jetzt konzentrieren sie sich darauf, das ebenfalls jahrhundertealte Mineralbrunnen-Unternehmen Rhenser „sozialer, ökologischer und gesundheitsorientierter“ zu machen, wie der ältere Bruder Christian Berentzen (52) betont. Rhens liegt zehn Kilometer südlich von Koblenz. Wie eine Urkunde belegt, wird dort mindestens seit 1577 Mineralwasser gefördert. Doch vor einem Jahr musste die 150 Jahre alte Rhenser Mineralbrunnen GmbH mit rund 120 Mitarbeitern Insolvenz anmelden. Der Grund: Der Umbau des zuvor nur auf Glasflaschen ausgerichteten Abfüllbetriebes auf die Befüllung von Glas und PET-Flaschen wurde teurer und zog sich länger hin als erwartet. Das führte zu sinkenden Umsätzen, gekündigten Krediten und zur Zahlungsunfähigkeit. Bei der Suche nach Investoren kam der Insolvenzverwalter Anfang 2017 mit den Berentzens in Kontakt. Der Kaufvertrag wurde im August unterschrieben. Dabei übernahmen die Emsländer nicht die finanziellen Altlasten, sondern die Gebäude mit Inventar, die Mitarbeiter und den Namen Rhenser Mineralbrunnen GmbH. Christian und Friedrich Berentzen gehören jetzt zusammen 40 Prozent des Unternehmens, weitere 40 Prozent hält eine Unternehmerfamilie aus Bonn und 20 Prozent ein weiterer Gesellschafter, der wie die Bonner Familie nicht genannt werden will. Die lange Tradition und die hohe Markenbekanntheit von Rhenser sind laut Friedrich Berentzen (51) wichtige Faktoren, auf die die neuen Chefs setzen. Bruder Christian hebt die sieben Quellen hervor, aus denen der Abfüllbetrieb Wasser gewinnen kann: „Von natriumarm für Babys bis zum Getränk mit vielen

Geschwister-Duo: Gemeinsam wollen Friedrich (links) und Christian Berentzen

Mineralien für Sportler“. Im Umkreis von 200 Kilometern setzen die geschäftsführenden Gesellschafter auf Mehrwegflaschen, verfolgen aber auch eine nationale Strategie mit Einwegverpackungen, die sie beispielsweise Drogerieketten anbieten wollen. Wie verträgt sich das mit dem Ziel, ökologischer zu werden? „Unsere neuen Einwegverpackungen bestehen zu 82 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen“, betonen die beiden Brüder. So etwas gebe es bisher bei keinem Mineralbrunnen in Europa. Und die Rhenser-Gebinde seien pfandfrei. Sich abheben von der Konkurrenz lautet also ein weiteres Ziel der neuen Chefs, oder – wie Christian Berentzen es ausdrückt: „Wir wollen der andere Brunnen sein.“ Ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag soll nach Angaben der beiden Geschäftsführer hauptsächlich in die Abfülltechnik in Rhens investiert werden – auch, um Produktion und Vertrieb möglichst klimaneutral zu halten. Begleitet werde dies durch Umweltschutzprojekte in Afrika, die Menschen dort auch sozial unterstützten und von der Flucht nach Europa abhielten. Die Rhenser-Produkte seien ent-

20 Millionen Euro Umsatz sind ein erstes Ziel.

den Mineralbrunnen Rhenser wieder auf Kurs bringen.Sie halten 40 Prozent am Unternehmen. Fotos: Rhenser

sprechend als klimaneutral zertifiziert. Zugleich wollen die Berentzens eine „Start-up-Kultur“ in ihrem neuen Unternehmen pflegen – ohne Schlipsträger und Chefsekretariat. 108 Mitarbeiter arbeiten heute für den Rhenser Mineralbrunnen – zum gleichen Gehalt wie vor der Übernahme, wie die Brüder Berentzen betonen. Der Jahresumsatz soll möglichst bald wieder in der gewohnten Größenordnung von 20 Millionen Euro liegen, insolvenzbe-

dingt war er auf 16 Millionen abgesackt. Die Pendelei zwischen Hase und Rhein wird für Christian und Friedrich Berentzen wohl zum Dauerzustand werden, was auch an der Schulpflicht von Kindern liegt, aber nicht ausschließlich: „Wir sind Emsländer“, betonen die beiden, die in der Regel wegen der vielen Staus am Wochenende schon donnerstags den Heimweg antreten und freitags einen „Bürotag“ in Haselünne einlegen. Dort wohnen sie in der Nähe ihres Cousins Jan Bernd Berentzen, der bis 2006 als Vorstandschef den damaligen Familienkonzern lenkte und heute ein Unternehmen für Energydrinks leitet. Das verwandtschaftliche Verhältnis sei heute gut, betonen Christian und Friedrich, deren Vater Friedrich senior zusammen mit Jan Bernds Vater Hans einst den Apfelkorn auf den Markt gebracht und damit in den 1980er-Jahren eine erfolgreiche Berentzen-Ära eingeleitet

hatte. Bekanntermaßen wurde die rasante Expansion der Gruppe aber zum Verhängnis – und die Übernahme 2008 durch den Finanzinvestor Aurelius war von einem heftigen Familienstreit überschattet. Inzwischen ist Aurelius wieder ausgestiegen, und die Berenzten-Aktien sind breit gestreut. Womöglich auch aufgrund ihrer Erfahrungen wollen Christian und Friedrich Berentzen der unternehmerischen Versuchung Alkohol nicht mehr erliegen, obwohl sie beim Vorbeigehen an den Schnapsregalen im Supermarkt oft den eigenen Familiennamen lesen. Berentzen-Aktien hält nur noch ihre Mutter. „Die Zukunft liegt in den alkoholfreien Getränken, und wir sind voller Elan dabei“, sagt Friedrich Berentzen. Aus dem Munde eines Emsländers mit diesem Namen mag das etwas seltsam klingen, aber der Ton ist durchaus überzeugend.

Umsätze der Mineralbrunnen in Deutschland steigen leicht In 14 Jahren Steigerung um 500 Millionen Euro

2783,7

3117,6

3114,9

3075,1

3248,2

3267,7

3140,7

3003,3

3032,5

3122,9

3131

3131

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3399,7

Foto: Colourbox.de

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Angaben in Millionen Euro

Quelle: Statista.com · Grafik: Matthias Michel


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LEBEN & LEIDENSCHAFT

Spätberufen: Für Annette Schneider ist das Designen von Kleidung eine Leidenschaft.Das Wort „Mode“ mag sie nicht.

„Zwischengrößen anzubieten ist eine Marktlücke“ Designerin Annette E. Schneider setzt sich mit dem „Besonderen“ in der Textilbranche durch VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Mit einer Bluse, ge-

schneidert aus einem alten weißen Hemd des Vaters, hat für Annette E. Schneider in der Jugend alles angefangen. Dass sie ihre Affinität zum Designen und zu Stoffen zum Beruf machen will, hat die 56-Jährige aber erst spät entschieden.

Eines fällt auf, wenn man in dem hohen Raum den Blick über die Kollektion von Annette E. Schneider schweifen lässt – es fehlt die Farbe. Alle Schattierungen zwischen den Extremen Weiß und Schwarz finden sich in den Kleidern, Blusen, Mänteln und Hosen auf den Kleiderstangen des Ateliers wieder – ganz so wie in den kurzen lockigen Haaren der Designerin selbst. Trist ist die Kollektion für sie dennoch nicht. Die subtilen Nuancen sind ausdrucksvoller als jede Farbe, sagt die 56-Jährige. Auch wenn sie für Sommerkollektionen durchaus mit „Farbtupfern“ arbeitet. „Kleidung hat für mich eine Funktion und soll genutzt werden. Sie ist wie eine zweite Haut“, erklärt Schneider. Und die Stücke sollten über die Saison hinaus ihre Gültigkeit behalten. Das Wort „Mode“ mag sie nicht, denn es stehe für „hektisch“ und „schnell wechselnd“. „Beständig“ und „klassisch“ sind jedoch Kategorien, in denen sie sich zu Hause fühlt. Seit 27 Jahren designt Annette E. Schneider professionell. Das erste Outfit hat sie jedoch schon mit zwölf Jahren geschneidert. „Ich hatte andere Vorstellungen davon, wie meine Kleidung aussehen sollte. Das habe ich in den Geschäften aber nicht gefunden“, erinnert sie sich. Eigenen Stoff kaufen durfte sie für ihre Bluse nicht, ihre Mutter war skeptisch. Denn helfen lassen wollte sich Schneider als 12-Jährige nicht – obwohl sowohl ihre Großmutter als auch ihre Mutter erfahrene Schneiderinnen waren. Statt sich den Umgang mit Nähmaschinen und Schnittmustern zeigen zu lassen, hat sich

Ob Markierungen mit einem Klipper, die Umrandungen der Schnittmuster mit Kreide oder mit Hammer und Nagel gestanzte Löcher zur Markierung – bei Annette E. Schneider entsteht jedes Kleidungsstück in Handarbeit. Unter ihrem Arbeitstisch im Atelier stapeln sich die Stoffballen. Fotos: Gert Westdörp

die heute 56-Jährige mit den damals raspelkurzen Haaren den Zugang selbst erarbeitet. Als sie die Arbeitsanweisungen zum Schnittmuster nicht verstand, kaufte sie kurzerhand ein Nählexikon. „Das habe ich bis heute“, sagt die Osnabrückerin und lacht. Daran, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen, hat sie jedoch lange Zeit nicht gedacht. „Ich habe zwar mit großer Begeisterung designt und genäht. Es war jedoch eher selbstverständlich als ein Berufswunsch.“ Schneider hat Abitur gemacht, Germanistik, Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften studiert und ein Staatsexamen bestanden. Auch eine Promotion hat sie begonnen – im damals neuen Fachbereich Museumspädagogik. Nach sechs Monaten hat sie jedoch aufgegeben. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht der streng wissenschaftliche Typ bin.“ Die Arbeit, mit der sie ihr Studium finanzierte, lag ihr mehr. Mit ihrem autodidaktisch angeeigneten Wissen über Stoffe und Schnitte hat sie in einem edlen Einzelhandelsgeschäft für Stoffe gearbeitet. „Da habe ich unwahrscheinlich viel über Materialkunde und den Umgang mit Kunden gelernt. Das war mein Einstieg in die

Textilbranche“, sagt Annette E. Schneider. Auch damals nähte sie ihre eigene Kleidung – weite Hosen wie damals trägt sie noch heute. „Die ersten Kundinnen haben gefragt, ob ich nicht auch etwas für sie entwerfen und nähen könnte. Da bin ich jedoch an meine Grenzen gestoßen.“ Für Schneider aber kein Grund aufzugeben, sondern sich weiterzubilden – mit dem gleichen Selbstbewusstsein und der Zielstrebigkeit,

„Kleidung hat für mich eine Funktion. Sie ist wie eine zweite Haut.“ Annette E. Schneider

mit der sie sich ihren ersten Blusenschnitt erschlossen hat. Von einer älteren Schneidermeisterin ließ sie sich in Fertigungs- und Schnitttechnik schulen, gleichzeitig studierte sie Modedesign an der Akademie in Hamburg und zertifizierte sich. „In dieser Zeit habe ich mich auch selbstständig gemacht.“ In ihrer Heimat Osnabrück startete sie den „Testballon“. „Das Ergebnis war verheißungsvoll. Also habe ich Nägel mit Köpfen gemacht.“ Heute beschäftigt sie eine Schneiderin fest und eine Honorarkraft. Das Geheimnis ihres Erfolges sieht die Designerin darin, anbieten zu können, „was den großen Labels fehlt“: Individualität, eine ruhige Atmosphäre und sorgfältige Beratung. Der Großteil ihrer Kunden ist zwischen 40 und 60, „das Spektrum reicht aber von 25-Jährigen bis Ende 70“. Für jedes Kleidungsstück ihrer Kollektion fertigt sie die Zeichnung an, konstruiert den Schritt und gradiert die Größen. Entsprechend fertigt sie auch Zwischengrößen – zum gleichen Preis. „Das ist eine riesige Marktlücke. Denn die Figur jeder Frau ist anders.“ Als Stärke sieht Annette E. Schneider die Fertigung unter einem Dach. Das war schon einmal

anders, als ihr Geschäft deutlich größer war. Damals hat sie auch mit Handelsvertretern in ganz Deutschland zusammengearbeitet, und ihre Kollektionen waren unter anderem auch auf der Kö in Düsseldorf zu finden. Möglich war dies nur durch Kooperationen. „Das aufzugeben war eine schwierige Entscheidung“, gesteht sie. Doch die Nachteile überwogen: weniger Zeit für den eigenen Laden, weniger persönlicher Kontakt. „Zweieinhalb Jahre habe ich es durchgezogen. Dann habe ich gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann.“ Und zog konsequent die Reißleine. „Ich hatte das Gefühl, ich brenne aus. So wollte ich das nicht mehr.“ Entweder hätte sie einen Riesensprung machen müssen, um mit einem Investor zu wachsen – oder zurück zu den Wurzeln. Auch mangels eines Investors hat sie sich für Letzteres entschieden – und den Schritt nicht bereut. Auch in ihren Designs keine Rücksicht mehr zu nehmen auf die Beschränkung industrieller Fertigung, schätzt Schneider wieder. Und getragen wird ihre Kleidung weiterhin über die Landkreisgrenzen hinaus, sogar vereinzelt in New York, Chicago oder Mexico City. All jene Frauen

hätten einen Bezug zu Osnabrück – und obwohl die Lebenssituation sie in andere Teile der Erde verschlagen hat, sind sie Kunden geblieben. „Das macht einen schon stolz.“ Nur noch selten fertigt sie zusätzlich zur Kollektion noch Einzelteile für sich. Die Selbstständigkeit bereut hat Annette E. Schneider nicht, auch wenn der Druck groß ist. Auch wenn sie viel arbeitet, die Belastung eines Angestelltenverhältnisses sei auch nicht geringer, ist die 56-Jährige überzeugt. „Ich bin selbstbestimmt“, fasst sie die Vorzüge zusammen. Ihren Lebensweg, über Ecken doch noch der Leidenschaft für Stoffe und Design gefolgt zu sein, sieht sie als Vorteil. „Manchmal denke ich schon, dass ich es mir schwer gemacht habe. Aber der Weg hat mich in der Art und Weise meiner Gestaltung beeinflusst. Ohne ihn wäre ich nicht die, die ich heute bin.“ Einen designierten Nachfolger für ihr Atelier gibt es nicht. Schneider ist zwar verheiratet, hat jedoch keine Kinder. Seit diesem Semester lehrt die Designerin auch an der Uni Osnabrück. Diese Lehrtätigkeit im Alter auszubauen sei eine Option, sagt sie. An das Entweder-oder denkt sie aber noch lange nicht.


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LEBEN & LEIDENSCHAFT

LEBEN & LEIDENSCHAFT

Praxiserfahrung trifft auf Gründergeist

„Die Zahl der Beratungen steigt“

Drei Jahre hat Wirtschaftssenior Ralf Sunderdiek Tischlermeister Dimitri Dams in seiner Selbstständigkeit begleitet

Ehrenamtlich die eigene Erfahrung weitergeben. Finanzierung als wichtiger Baustein der Selbstständigkeit. Knapp 80 Prozent der Anfragen mit ernsthafter Gründungsabsicht. VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Es braucht nur weni-

ge geübte Handgriffe, dann hat Dimitri Dams den Schraubstock ausgeklappt, und die Tapezierböcke, die er beim Sägen zu Hilfe nimmt, stehen vor den offenen Hecktüren seines ausgebauten Kleintransporters. Die Kinderzeichnungen an den Innenwänden erinnern dabei an ein ganz normales Büro. Doch der 34-Jährige ist mobiler Tischler und selbstständig. Durch die letzten drei Jahre hat ihn Wirtschaftssenior Ralf Sunderdiek begleitet.

Nicht nur den Bart beziehungsweise Schnauzer haben Dimitri Dams und Ralf Sunderdiek gemeinsam, auch ihr unternehmerisches Interesse eint die beiden Männer. Doch während der eine sein Berufsleben mit 71 bereits hinter sich gelassen hat, steht der andere mit 34 noch am Anfang. Erst vor vier Jahren hat sich Dimitri Dams mit seinem Meisterbrief in der Tasche selbstständig gemacht – seit drei Jahren begleitet ihn Sunderdiek auf seinem unternehmerischen

Weg und steht als „Wirtschaftssenior“ beratend zur Seite. Sunderdiek, Diplomkaufmann und zuletzt Bereichsleiter Business Services bei Siemens in München, ist vor zehn Jahren mit seiner Frau in die Heimat Osnabrück zurückgekehrt. Die Wirtschaftssenioren kannte er damals nicht. „Ich hatte mich eigentlich für das Senior-Expert-Services-Programm (SES) interessiert“, erinnert er sich. Auch im Ruhestand wollte der damals knapp 60-Jährige eine Aufgabe, war auf der Suche nach einem neuen Projekt. Vom SES, bei dem Fach- und Führungskräfte ehrenamtlich in Entwicklungs- und Schwellenländer gehen, hat er schlussendlich jedoch Abstand genommen. Bei den Auslandseinsätzen seien vor allem Techniker gefragt, erklärt Sunderdiek selbstkritisch. Allerdings – dadurch bekam er Kontakt zum damaligen Vorsitzenden der Osnabrücker Wirtschaftssenioren. Seit fast zwei Jahren leitet der passionierte Motorradfahrer nun selbst die 14-köpfige Gruppe Ehrenamtler, die Unternehmern in jeder Phase ihres Unternehmertums mit Rat und Tat zur Seite steht und die auch weiterhin „Nachwuchs“ sucht. Behördengänge, Bankgespräche, bei all diesen Dingen können die Wirtschaftssenioren unter die Arme greifen. So war es auch bei Dimitri Dams. „Meine Selbstständigkeit wäre fast am fehlenden Kapital gescheitert“, erinnert sich der Familienvater. Banken in der Region hatten kein Vertrauen in die Zukunftspläne des 34-Jährigen. Doch der frischgebackene Tischlermeister wollte nicht mehr ständig auf Montage sein und seine gerade zwei Jahre alte Tochter nur selten

Zusammen die Unterlagen durchzugehen ist ein Aspekt der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftssenior Ralf Sunderdiek (rechts) und Gründer Dimitri Dams. Fotos: Kallmeier/Martens

sehen. Geld war nun jedoch – nach einem Jahr Selbstständigkeit – nötig, unter anderem für ein eigenes, bedarfsgerecht eingerichtetes Fahrzeug, das er selbst ausgebaut hat. Die Grundvoraussetzung für einen mobilen Tischler. Denn ohne eigene Werkstatt überall vor Ort arbeiten zu können – das war und ist die Geschäftsidee des Jungunternehmers. Hinzu kamen Ausgaben für Werkzeuge, Kosten für Marketing und eine eigene Internetseite. „Das Geschäft lief okay, aber nicht so, dass ich die Selbstständigkeit auf Dauer hätte aufrechterhalten können“, erinnert sich Dams an das Tief vor drei Jahren – und den Grund, sich Rat zu suchen. Durch einen Bekannten hat er vom Angebot der Wirtschaftssenioren erfahren und Kontakt zu Ralf Sunderdiek gesucht. „Natürlich hatte ich mich im Vorfeld der Selbstständigkeit informiert und viele Seminare besucht. Etwas in der Theo-

rie zu lernen und es praktisch umzusetzen ist jedoch nicht das Gleiche“, sagt Dams über seinen holprigen Start. Zu allgemein waren die Informationen, die vermittelt wurden. Individuelle Probleme gingen in der Gruppe verständlicherweise unter. Das lief im persönlichen Gespräch besser. Doch einen Kredit konnte auch Sunderdiek nicht bieten. Der Wirtschaftssenior schätzt jedoch die Beharrlichkeit und den Ehrgeiz, mit denen sein Schützling die eigenen Ziele verfolgt. „Hut ab“, sagt der 71-Jährige noch heute. Als Dams dann mit der NRW-Bank einen Partner fand, der jedoch eine dreijährige Begleitung durch einen Paten zur Bedingung machte, sagte Sunderdiek nicht Nein. Denn auch wenn er keinen handwerklichen Background hat, die Selbstständigkeit ist ihm nicht fremd, und eines haben alle unternehmerischen Projekte gemeinsam

– und das egal, an welchem Punkt ihrer Laufbahn sich die Ratsuchenden befinden: Die größte Herausforderung und zugleich das Herzstück ist der Businessplan. „Aus ihm ergeben sich ganz viele Baustellen“, sagt der Wirtschaftssenior. Außerdem: Im Gespräch die Gedanken zu ordnen und verständlich darzulegen, worin die Geschäftsidee besteht, sei für viele schon eine große Hilfe. „Nur wenn sie uns erklären können, was sie vorhaben, kann auch das Gespräch mit der Bank oder den Kunden ein Erfolg werden“, weiß Sunderdiek aus seiner langjährigen Berufspraxis. Und letztendlich: Eine objektive Bilanz, wie die ersten Monate gelaufen sind, ist nur durch einen Soll-IstVergleich möglich. Für Dimitri Dams weicht dieser Vergleich im positiven Sinne ab: Seine Zahlen fallen besser aus, als im Businessplan veranschlagt. „Es läuft jedes Jahr besser. Natürlich

Der Businessplan ist das Herzstück der Selbstständigkeit.

Ein Gespräch mit Ansgar Göbel gibt es Höhen und Tiefen, aber die Täler im Geschäftsjahr liegen immer noch über den Zahlen des Vorjahres“, sagt Dams nicht ohne Stolz. So schafft er es auch, für die schwächeren Monate, zum Beispiel über den Jahreswechsel, vorzusorgen. „Das Auftragsvolumen steigert sich. Bislang kann ich es alleine aber gut bewältigen.“ Für ihn geht das Konzept seiner mobilen Tischlerei voll auf. Seine Kunden sind zu 90 Prozent Privatleute in Osnabrück und Umgebung. Aber auch größere Projekte als Subunternehmer bedient der Geschäftsmann. Allerdings sei Letzteres mit viel Bürokratie verbunden – für einen Einzelunternehmer eher abschreckend. Auch wenn viele Seniorunternehmer händeringend einen Nachfolger für ihren Betrieb suchen, mit einer Werkstatt niederlassen will sich der 34-Jährige noch nicht – auch wenn sein Pate die Möglichkeit immer mal wieder anspricht. „Angebissen hat er aber noch nicht“, sagt Sunderdiek schmunzelnd. „Mal schauen“, entgegnet Dams. Er sei gerne unterwegs. Eine Vergrößerung sei nur dann sinnvoll, wenn der Betrieb zu stark wächst. Jemanden an seiner Seite zu wissen, der Rückhalt bietet, motiviert und aufbaut, wenn es mal nicht so läuft, das schätzt Dimitri Dams besonders an den regelmäßigen Gesprächen mit Wirtschaftssenior Ralf Sundersiek. Den Schritt in die Selbstständigkeit bereut der Vater von mittlerweile zwei Töchtern nicht – auch wenn er nicht weniger, sondern eher mehr arbeite als früher. Denn es gibt für ihn einen entscheidenden Unterschied: „Ich kann mir meine Zeit flexibler einteilen und bin abends zu Hause. Damit ist schon viel gewonnen.“ Und er kann

seine Töchter, sechs und vier Jahre alt, in den Kindergarten oder die Schule bringen, bevor es auf die Baustelle geht. Die Zeit mit der Familie schätzt Dimitri Dams. Daher wird am Wochenende viel zusammen unternommen. Seinen Schützling so erfolgreich zu sehen freut Ralf Sunderdiek. Mehr als 100 Personen hat er bereits auf ihrem Weg begleitet. Ob sie alle erfolgreich waren? „Was heißt ,Erfolg‘ ? Auch, jemandem von der Selbstständigkeit abzuraten, kann ein Erfolg sein“, ist er Von überzeugt. manchen Schützlingen hört er wieder oder sieht das erfolgreiche Geschäft. Andere melden sich nach der Beratung nie wieder – oder erst, wenn erneut Rat gefragt ist. Die Tür der Wirtschaftssenioren stehe immer offen. „Man sollte aber wiederkommen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ Zwischen 75 und 80 Prozent der Unternehmer, die um Rat fragen, hätten ein seriöses Interesse an der Selbstständigkeit. „Der Rest sind Notgründungen.“

VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Ansgar Göbel ist ei-

ner von zwei Gründungsberatern der Handwerkskammer Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim. Insgesamt 112 Gründer haben in diesem Jahr Rat gesucht.

Herr Göbel, wie viele Neuanmeldungen hat es in diesem Jahr bislang im Handwerk in der Region gegeben? Insgesamt haben sich 2017 bislang 294 neue Betriebe in die Handwerksrolle eingetragen. 112 von ihnen wurden von uns beraten. Damit verzeichnen wir 20 Prozent mehr Existenzgründungsberatungen als im Jahr zuvor. Die Zahl der Gründungen ist in etwa gleich geblieben, wobei der Trend wieder leicht nach oben geht. Das Positive: Die Qualität der Gründungen hat sich im Vergleich zu den stark geförderten Boom-Jahren sehr verbessert. Welche Fragen werden Ihnen am häufigsten gestellt? Die häufigsten Fragen ranken sich um die Erstellung eines Businessplans. Dazu gehört die Ertrags- und Liquiditätsplanung. Aber auch organisatorische Fragen zur Eintragung, Anmeldeformalitäten und Sozialversicherungen werden uns gestellt. Die Gründer, die zu uns kommen, sind in der Regel fachlich sehr gut vorbereitet. Im Handwerk spielt auch die Ideensuche weniger eine Rolle, da sie durch das erlernte Gewerk bereits in gewissen Rahmen vorgegeben ist. Was wichtig ist, ist die Sensibilisierung für eine Zielgruppe. Denn in jedem der 94 Gewerke, die wir beraten, gibt es reichlich Wettbewerb.

So wenige wie nie haben sich selbstständig gemacht Doch Statistiker schauen positiv in die Zukunft VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK. Laut einer Studie

der KfW haben sich im vergangenen Jahr in Deutschland 672 000 Menschen beruflich selbstständig gemacht. Die meisten von ihnen, 40 Prozent, haben eine Berufsausbildung absolviert, 29 Prozent sind Akademiker. Doch es sind so wenige Gründer wie nie zuvor.

Letztendlich sind es 91 000 Personen weniger als im Vorjahr, die 2016 den Weg in eine selbstständige Tätigkeit gewagt haben. Insgesamt haben mit 77 Prozent die meisten Gründer ein neues Unternehmen ins Leben gerufen. Lediglich neun Prozent übernahmen ein bestehendes Unternehmen, 14 Prozent fallen auf Beteiligungen. Wie im Jahr zuvor ist jeder fünfte Gründer „digital“. Als einen Grund für die mangelnde Gründungsbereitschaft sieht der „KfW-Gründungsmonitor

2017“ den Beschäftigungsrekord in Deutschland. Das stellt Angestellte vor die Qual der Wahl: im sicheren Job bleiben oder das Risiko der Selbstständigkeit wagen. Welchen Einfluss Karrierechancen haben, zeigt der Blick auf die häufigsten Gründe, die gegen die Selbstständigkeit sprechen: Jeder Fünfte (19 Prozent), der sich im vergangenen Jahr selbstständig machte, hatte Bedenken wegen besserer Jobs oder höherer Karrierechancen in abhängiger Beschäftigung. Für 44 Prozent all jener, die ihr Gründungsvorhaben aufgaben, spielten die Karrierechancen im gesicherten Job eine Rolle. Die Statistiker sehen die niedrigen Gründerzahlen jedoch nicht nur negativ. Ein positiver Aspekt: Die strukturelle Qualität habe sich verbessert. Noch nie hat es laut Statistik weniger Notgründer gegeben. Lediglich 166 000 Menschen wagten den Schritt in eine selbstständige Tätigkeit, weil sie keine bessere Erwerbsalternative hatten. Die Anzahl jener, die eine explizite Geschäftsidee umsetzen wollten, die sogenannten Chancengründer, sank auf 310 000. Somit war auch das Verhältnis von Chancengründern und Notgründern nie besser. Die Zahl der sogenannten Wachstumsgründer, die „digita-

ler, innovativer und kapitalintensiver als andere Gründungen“ seien, stimmt die Statistiker ebenfalls zufrieden. Zu ihnen zählen 115 000 Personen und damit 17 Prozent der Gründer insgesamt. Ein Blick auf das zu Ende gehende Jahr 2017 stimmt die Statistiker auch insgesamt positiv, dass das Gründergeschehen wieder Fahrt aufnehmen könnte. „Die Talfahrt scheint zu enden“,

Bei der derzeitigen konjunkturellen Lage könnte man meinen, dass die Kunden Schlange stehen. Spiegelt sich das in den Gründungsvorhaben wider? In gewisser Hinsicht spielt die Konjunktur schon eine Rolle. Sie gibt dem Gründer häufig eine gewisse Sicherheit, da die Nachfrage nach dem Produkt oder der Dienstleistung dann am Markt bereits sehr hoch ist. Insgesamt wirkt sich eine gute Konjunktur häufig jedoch eher negativ auf die Anzahl der Existenzgründungen aus. Jene, die aus der Not heraus in die Selbstständigkeit gehen, fehlen.

heißt es im Grü ündungsW-Grünmonitor. Der KfW dungsmonitor basiiert auf den Angaben von 50 5 000 zufällig ausgewäh hlten, in Deutschland an nsässigen Personen, die jährlich im Rahm men einer repräsentaativen Bevölkerungsbefragung interrviewt werden.

Gründerquote im Sinkflug Verglichen mit dem Boom-Jahr 2003, hat sich der Anteil der Gründeer an der Bevölkerung mehr als halbiert

2,76 6

2,84 28

Der Aufbau eines eigenen Unternehmens kostet Zeit und

2,5 59

112 Gründer im Handwerk haben sich in diesem Jahr Rat gesucht. Einer von zwei Gründungsberatern der Handwerkskammer in der Region ist Ansgar Göbbel. Foto: HWK

Geld. Wie viel haben junge Unternehmer investiert, bis sie loslegen können? Die Kosten sind ganz vom Gewerk abhängig. Ein Fliesenleger zum Beispiel braucht nicht viele Werkzeuge, in einen kompletten Maschinenpark und Werkstatt zu investieren, wird teurer. Insgesamt werden die Investitionen durchschnittlich zwischen 20 000 und 100 000 Euro liegen. Was ist der häufigste Grund, ein Gründungsvorhaben doch nicht in die Tat umzusetzen? Meistens spielen das gesellschaftliche Umfeld und der Wunsch nach Sicherheit eine große Rolle. Aber auch Finanzierungsengpässe können dazu führen, von einer Gründung Abstand zu nehmen. Woran scheitern junge Unternehmen am häufigsten? Ein Grund ist, dass die Liquiditätsplanung nicht stimmt und zum Beispiel die Auftragsvorfinanzierung vergessen wird. Das wird gerade von Kleinunternehmen oft unterschätzt. Die meisten Arbeiten laufen auf Rechnung. Um diese zu begleichen, hat der Kunde 20 bis 25 Tage Zeit, in denen jedoch schon am nächsten Auftrag gearbeitet wird. Ein zweites Problem tut sich auf, wenn Unternehmen zu schnell zu stark wachsen, oder Forderungsausfälle. In Deutschland wird oft eine fehlende Gründer-/Start-up-Kultur beklagt. Was bräuchte es, damit die Zahl der Gründungen steigt? Uns fehlt ein positiverer Umgang mit dem Scheitern. Denn auch das passiert. Anders als in den USA hat bei uns jedoch jemand, der es nicht schafft, gleich einen Makel. In Amerika wird eher gesehen, dass dieser Jemand etwas aus seinen Fehlern gelernt hat.

2,47 BERATUNGSANGEBOTE FÜR GRÜNDER

2,10 0

Hilfe gibt es an vielen Stellen 1,6 66

69 1,6 6 9

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1,8 80 8 0 1,5 50

1,5 50 5 0

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2003

2004

2005

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Anteil der Gründer an der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 64 Jahren

2007

20 008

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2011

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2014

2015

20 016

Quelle: Statista.com · Grafik: Matthias Michel

In de er Region können sich Gründer und Unternehme er an unterschiedlichen Stellen Hilfe suchen. Da azu gehören unter anderem die Handwerkska ammer (https:// /relaunch.hwkosnabrue eck.de) sowie die Industrie- und Handelskammer (www.osnabrueck.ihk24.de/

starthilfe). Beide bieten regelmäßig „Gründungsberatungen“ an. Aber auch das Gründerhaus in Osnabrück (www.gruenderhausos.de) ist Ansprechpartner für alle Fragen rund um das eigene Unternehmen und veranstaltet zudem Workshops zu

Themen wie Markterkundung oder Finanzplan. Ebenso ein Partner für den Start in die eigene unternehmerische Existenz sind die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Osnabrücker Land WIGOS (www.wigos.de) und die WFO Wirtschaftsför-

derung Osnabrück (www.wfo.de). Und auch der Wissens- und Technologie-Transfer (WTT), eine gemeinsame Einrichtung der Universität Osnabrück und der Hochschule Osnabrück, greifen Gründern unter die Arme (wtt-os.de/ gruendungs-service).


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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

LEBEN & LEIDENSCHAFT

Aus Liebe zum Bier unter die Brauer gegangen Osnabrücker Michael Freymuth hat den Absatz verdoppelt

VON THOMAS WÜBKER OSNABRÜCK. Hierzulande ist der Absatz von Bier nach Angaben der Deutschen Brauwirtschaft rückläufig. Nicht so in Osnabrück. Mit seiner Brauerei Beura ging Michael Freymuth im April 2017 an den Start. Seitdem hat sich seine Braumenge mehr als verdoppelt, sagt er.

Foto: Colourbox.de

Auf jede Flasche, die der 35-jährige Michael Freymuth mit Bier abgefüllt hat, schreibt er per Hand das Haltbarkeitsdatum. Denn ein halbes Jahr lang ist der Inhalt jeder Flasche genießbar. Dieses Datum händisch aufzuschreiben, so sagt er, sei auch ein Zeichen dafür, dass das Brauen ein Handwerk ist. Die Idee, überhaupt mit dem Brauen zu beginnen, kam ihm, als er mit einem befreundeten Pärchen beim Essen saß und dabei Bier trank. Nach dem Motto „Das kann ich auch“ hat sich Freymuth in Büchern wie dem Lehrbuch der Versuchslehranstalt Berlin schlaugelesen, eine Brauanlage gekauft und losgelegt. Zunächst mit mäßigem Erfolg. Das erste trinkbare Bier habe er erst nach eineinhalb Jahren produziert. „Der Spaß und der Wille haben mich bei der Stange gehalten“, sagt der groß

gewachsene und durchtrainierte Mann, der damit alles andere als die Plautzen-Klischees von Biertrinkern erfüllt. Manch anderer, der nicht über so viel Ehrgeiz verfügt, hätte das Brauhandwerkszeug und die Lehrbücher längst in die Ecke geworfen. Doch Freymuth gab nicht auf. Einmal habe er ein Weizenbier gebraut, das nach zwei Wochen nach Brot schmeckte – weil zu viel Weizen drin war. „Manchmal kam schon der Gedanke hoch, ich lasse es sein und kaufe mir einfach eine Kiste Bier im Supermarkt“, gibt er freimütig zu. Der Osnabrücker hat durchgehalten. Als ein Braumeister aus dem bayrischen Kempten das Kellerbier probierte und seinen Segen gab, fiel eine Last von Freymuth ab. „Das war ein sehr großes Lob.“ Nun braut er in einem Keller in einer Straße in der Nähe des Osnabrücker Hauptbahnhofs 750 bis 800 Liter Bier pro Jahr. Seine Brauerei Beura bietet drei Sorten an: das Kellerbier, ein blondes Bier und das Schwarzbier. Dass sich der Absatz seines Gerstensafts mehr als verdoppelt hat, liegt an der Regionalität, glaubt er. Durch den Brauerei-Namen

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Selbststudium: Wie ein Bier gebraut wird, hat sich der Osnabrücker Michael Freymuth selbst beigebracht. Im kommenden Jahr will er in eine Erweiterung der Brauanlage investieren.

Beura hat er eine Verbindung zu Osnabrück geschaffen. „Es ist der altgermanische Begriff für Bier“, erklärt der 35-Jährige. Die alte Sprache sei wegen der VarusSchlacht gewählt worden. Im kommenden Jahr soll es zwei weitere Sorten bei Beura geben: ein Weizen und ein helles, sommerliches Bier, das nicht so

Foto: Michael Gründel

stark gehopft ist. Zudem soll es eine Crowdfunding-Aktion geben, um die Brauanlage zu vergrößern. Trotz der guten Aussichten und des erfolgreichen Starts will Michael Freymuth das Brauen aber nicht zu seinem Hauptberuf machen, sondern es weiterhin als Hobby und Nebenberuf betreiben.

Die Lust am Brauen liegt für ihn hauptsächlich am Vorgang von Schroten bis zum Abfüllen selbst, weil er dabei dieses und jenes probieren kann und ihm das Handwerk an sich viel Freude bereitet, wie er erzählt. „Im Anschluss trinke ich natürlich auch gern mal eine Flasche unseres Bieres“, fügt er süffisant an.

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

LEBEN & LEIDENSCHAFT

Wenn Oldtimer aus dem Dornröschenschlaf erwachen Leidenschaft zu alten Autos verbindet das Team des Veteranenhofes

VON SIGRID SPRENGELMEYER MELLE. Sie tragen einen Zauber

in sich, eine Magie, die fesselt. Sehen wir einen Oldtimer auf unseren Straßen, schauen wir ihm begeistert, aber auch wehmütig nach. Diesem Charme verfallen ist auch Thomas Balkenhohl. Er ist Gründungsmitglied des Veteranenhofes in Melle und restauriert „alten Schätzchen“.

Das Frühjahr und der Sommer sind auf unseren Bundesstraßen die Zeiten der Oldtimer. Als Cabrio, Limousine oder gar als Dampfauto begegnen sie uns. Sie verbrauchen jede Menge Benzin, haben weder Tempomat noch Sitzheizung – aber sie drücken Zeitge-

schichte aus. Die Älteren erinnern sich gern, die Jungen sind, ebenso wie die Alten, begeistert von Prunk, Konstruktion und der Liebe zum Detail. Wer vom Oldtimerfieber erfasst wird, macht sich auf die Suche, hat den Wunsch, ein solches Fahrzeug zu besitzen. Und man wird fündig. Viele „schlafende Schönheiten“ warten darauf, wieder zum Leben erweckt zu werden. Aber schnell kann diese Leidenschaft auch Verzweiflung mit sich bringen, wenn die begonnene Restauration oder Reparatur nicht den gewünschten Erfolg hat. Meist beginnt jetzt die Suche nach Fachleuten, die helfen und unterstützen. Der Veteranenhof in Melle ist so eine Anlaufstelle. Eine ganz besondere Leidenschaft verbirgt sich hinter den grauen Rolltoren am Meller Automuseum.

Die Leidenschaft, Oldtimerschätze zu restaurieren, um den Fahrzeugen ihr ursprüngliches Aussehen wiederzugeben. Vor fast 15 Jahren machte Lutz Sewerin in Recke sein Hobby zum Beruf. Als alter HorchLiebhaber gründete er den Veteranenhof, um sich ganz der Restauration historischer Autos zu widmen. Als dann Räumlichkeiten auf dem Gelände des Automuseums in Melle frei wurden, zog der Veteranenhof 2009 dorthin um. Die unmittelbare Nachbarschaft von Veteranenhof und Automuseum weckt schon beim Betreten des Innenhofes zwischen Museum und Restaurationsbetrieb Interesse. Seit Juli 2013 sind Thomas Balkenhohl und Frank Stolz die neuen Chefs. Balkenhohl, der sein Handwerk bei der Firma Van Beers in Osnabrück gelernt hat, ist seit der Gründung vor 15 Jahren dabei. Stolz ergänzt das Leitungsteam seit einigen Jahren. Von Beruf Tischler und begnadeter Handwerker, hatte er immer schon

Thomas Balkenhohl betreibt seinen Beruf mit Leidenschaft und viel Liebe zum Detail. Fotos: Sigrid Sprengelmeyer

alte Autos restauriert. Mit drei weiteren Crewmitgliedern sind sie professionell engagiert, es verbindet sie die Leidenschaft zu alten Autos. Der Veteranenhof ist laut eigenen Angaben einer der führenden Restaurationshöfe mit Schwerpunkt auf Vorkriegsoldtimern und Dampfautos. Hier wird den Vorkriegsklassikern, Oldtimern und Youngtimern wieder neues Leben eingehaucht. Jedes alte Schätzchen bekommt die fürsorgliche Behandlung, die es braucht. Sei es eine Teil- oder Vollrestauration, Mechanikarbeiten oder eine aufwendige Polsterung. Ebenso sind hoch qualifizierte Blecharbeiten und Stellmacherarbeiten Spezialgebiete der Meller Crew. „Wenn andere nicht mehr weiterwissen, dann sind wir dran“, erzählt Thomas Balkenhohl. Genau das macht seine Leidenschaft aus. Er liebt es zu tüfteln, ist fasziniert von den Motoren und den Karossen der alten Autos. Auch Ersatzteile originalgetreu nachzubauen, die nicht mehr zu organisieren sind, gehört zu seiner Passion. „Nachdem ich meine Fachhochschulreife in der Tasche hatte,

wollte ich eigentlich Maschinenbau studieren. Ich suchte mir eine Praktikumsstelle und landete bei der Firma Van Beers, einer Werkstatt, die nur Oldtimer restaurierte“, berichtet Balkenhohl. Von da an war die Liebe und Leidenschaft für die Oldtimer erwacht. Er absolvierte kein Praktikum mehr, sondern machte bei Van Beers seine Ausbildung und im Anschluss seinen Meister. Wer Thomas Balkenhohl nach seinen Beweggründen fragt, bekommt ein Lächeln und ein Leuchten in den Augen zur Antwort. Der Chef des Veteranenhofs kann mit seinem Team auf schöne und herausfordernde Erlebnisse zurückblicken. Zum Beispiel die Mille Miglia (Tausend Meilen), das wohl schönste Autorennen der Welt in

Die Crew hat das Hobby zum Beruf gemacht.

Diese zwei werden noch viel Zeit miteinander verbringen: Thomas Balkenhohl mit dem restaurationsbedürftigen Fränklin-Oldtimer.

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Italien. Sein Team habe vor einigen Jahren diese Rallye mit vorbereitet und einige Wagen betreut, erinnert sich Balkenhohl, unter anderem auch die legendäre Startnummer 1, den O.M. 665 Sport Supera. Das Modell des Herstellers „Officine Meccaniche“ habe es in den Jahren zuvor nie bis ins Ziel geschafft. „Drei Monate hatten wir ihn hier bei uns in der Werkstatt. Wir haben den Motor zerlegt, den Vergaser und die Zündung auseinandergeschraubt – und wir fanden den Grund, weshalb der O.M. ständig liegen blieb“, erzählt Balkenhohl. Nachdem alles fachgerecht instand gesetzt wurde, erreichte der Wagen gleich viermal in den nächsten Jahren das Ziel. Aber auch ein Oldtimermechaniker hat seine Geheimnisse: Er klärt nicht auf, um welchen Fehler es sich handelte. Schaut man sich in der Halle des Veteranenhofs um, fällt der Blick auf einen Fränklin. Sein Zustand ist restaurationsbedürftig. Eine „schlafende Schönheit“ wartet hier auf den großen Tag, an dem sie in gebührendem Licht neu erstrahlt. „Das wird aber dauern. Der Motor, die Karosserie, die Achsen, das Getriebe und die in die Jahre gekommenen Ledersitze müssen generalüberholt werden“, zählt Balkenhohl auf, was alles nötig ist, damit das Auto beim Vorbeifahren die Blicke wieder auf sich ziehen kann. Es gibt also jede Menge Tüftelarbeit für den Restaurator – und der scheint sich darauf zu freuen. Der Meller Veteranenhof ist aber auch eine von wenigen Werkstätten, die Dampfautos restaurieren; sehr zur Freude von Heiner Rössler. Er ist Chef des benachbarten Automuseums, und sein Herz gehört genau diesen Autos. Das Team des Veteranenhofs habt die Leidenschaft, die es verbindet, zum Beruf gemacht, und die Team-Mitglieder üben ihn mit Freude aus. Sie haben sich ihren Traum erfüllt und leben ihn. Nur so wird ein Zugang gefunden zu Sammlern und Liebhabern alter Autos, sogar über die nationalen Grenzen hinaus. Und in etwa einem Jahr, wird auch der Fränklin aus seinem Dornröschenschlaf erwachen.

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

LEBEN & LEIDENSCHAFT 24.01.2018 | 08.30 UHR

TERMINE

Fachtagung: Frauen in Führung (Anmeldung bis 10.01.)

DER WIRTSCHAFT

GLEICHSTELLUNGSBÜRO UNI OS, AULA IM SCHLOSS OSNABRÜCK

22.12.2017 | 09.00 UHR

24.01.2018 | 18.30 UHR

WIGOS-Sprechtag: Vor Ort in Dissen a. T. W.

Info-Veranstaltung: Existenzgründung in Bramsche

WIGOS MBH, DISSEN A. T. W. (MIT ANMELDUNG)

GRÜNDERHAUS OSNABRÜCK, RATHAUS BRAMSCHE

28.12.2017 | 09.00 UHR

25.01.2018 | 09.00 UHR

Sprechtag zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement WIGOS MBH, KREISHAUS SCHÖLERBERG, OSNABRÜCK

IHK-Präsident Mart rtin t Schlichter eröff ffnete f die dreitägigen Frauen-Business-Tage. Über 200 Gäste informiert rten t sich an den Messeständen im IHK-Foyer über regionale Frauennetzwerke.

DIE GESICHTER DER WIRTSCHAFT

28.12.2017 | 15.00 UHR Gründerhaus: Existenzgründung in Osnabrück ICO INNOVATIONS CENTRUM OSNABRÜCK

Lehrgang: Bauvertragsrecht 2018

Foto: IHK

Industrie 4.0: Auf der FMB Zuliefermesse Maschinenbau konnte man auch 3-D-Visualisierung testen.

Foto: WIGOS

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25.01.2018 | 17.00 UHR Die TKT Kunststoff ff-Technik f GmbH aus Bad Laer ist Landes-

Gründerhaus Osnabrück: Social Media (Vortrag)

sieger Niedersachsen im Unternehmenswettbewerb KfWAward Gründer 2017. Foto: KfW/T /Thorsten T Futh

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08.01.2018 | 10.00 UHR

29.01.2018 | 17.00 UHR

Kleines Unternehmerfrühstück

Gründerhaus Osnabrück: Steuern (Vortrag)

FREELANCER NETZWERK OSNABRÜCK, FRÜHKAUF, STAHLWERKSWEG, OS

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09.01.2018 | 17.00 UHR

31.01.2018 | 18.00 UHR

Gründerhaus: Existenzgründung in Osnabrück

HWK-Veranstaltung: Zukunft durch Nachfolge

HWK OSNABRÜCK-EMSLAND-BAD BENTHEIM, OSNBRÜCK

Weiterdenken lautet die Überschrift ftt zur neuen strategischen Ausrichtung der Metropolregion Nordwesten, die auf ihrer Jahrespressekonferenz eine positive Bilanz der Netzwerkarbeit zog.

HWK OSNABRÜCK-EMSLANDBAD BENTHEIM, OSNABRÜCK

Foto: Sascha Koglin

11.01.2018 | 17.00 UHR

06.02.2018 | 10.00 UHR

Gründerhaus: BusinessWorkshop in Osnabrück

Chefinnenfrühstück (+ Besuch Orthopädie-Technik Völler)

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HWK VERANSTALTUNG, FERDINANDS KAFFEERÖSTEREI

12.01.2018 | 17.00 UHR

09.02.2018 | 09.00 UHR

Lehrgang Vorarbeiter im Tiefbau (Erd-, Straßen-, Kanalbau)

Beruf & Bildung Hannover (Messe, auch am 10.02., 10 Uhr)

HWK OSNABRÜCK-EMSLANDBAD BENTHEIM, BTZ OSNABRÜCK

BARLAG MESSEN, HCC HANNOVER

13.01.2018 | 11.00 UHR

Die Berufsgenossenschaft ftt Handel und Warenlogistik hat Jibi für die Trauma-Ersthilfe nach Überf rfällen f den Präventions-

Bei der Verleihung des CSR Jobs Awards 2017 wurde die Piepenbrock Unternehmensgruppe aus Osnabrück

preis „Die Goldene Hand“ 2017 verliehen.

mit dem Sonderpreis „Unsere Kunst- und Kulturf rförderung“ f ausgezeichnet.

Foto: Bünting

Foto: Piepenbrock

07.02.2018 | 10.30 UHR Lotsensprechtag für Onlinemedien in Lingen

Verliebt – verlobt – verheiratet (Hochzeitsmesse, auch 14.01.) OSNABRÜCK-HALLE, SCHLOSSWALL, OSNABRÜCK

Die WS Kunststoff ff-Serv f rvice v GmbH aus Stuhr bei Delmenhorst erhielt den begehrt rten t Industrie-4.0-Award 2017 in der Kategorie „IoT@KMU“. Foto: Anna McMaster

STADT LINGEN/VHS LINGEN UND IT.EMSLAND, IT-ZENTRUM LINGEN

10.02.2018 | 14.00 UHR

16.01.2018 | 17.00 UHR

ABI Zukunft Lohne (Infomesse für die Zeit nach dem Abi)

Gründerhaus Osnabrück: Markterkundung - Workshop

JF MESSEKONZEPT, PAUSENHALLE GYMNASIUM LOHNE

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15.02.2018 | 16.00 UHR

17.01.2018 | 10.00 UHR Gründerhaus Osnabrück: Ideen-Check in Osnabrück

Chefsache! Planung & Umsetzung von Investitionsvorhaben OWR-Reisen und die Firma Fip sponsern ein mit Logos geschmücktes Fahrzeug für Foto: Fip

MEMA, HOCHSCHULE OSNABRÜCK, CAMPUS LINGEN, GEBÄUDE KD

„per se!“.Der Verein ist sehr engagiert rtt in der Kinder- und Jugendarbeit.

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

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Windenergie weiter auf dem Vormarsch Eine der saubersten Energiequellen überhaupt – Verkraften Nord-und Ostsee einen starken Ausbau der Offshore-Windenergie?

VON SIEGFRID SACHSE OSNABRÜCK. Deutschland setzt

in der Energiepolitik verstärkt auf regenerative Quellen wie Wind- und Wasserkraft, Sonnenenergie oder Geothermie. Bis zum Jahr 2050 soll der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch auf etwa 60 Prozent steigen. Einen wesentlichen Beitrag erhofft man sich dabei von der Windkraft, die in den letzten Jahren – von einer vorübergehenden Schwächephase abgesehen – schnell an Dynamik gewonnen hat.

Die Windkraft findet allerdings in der Bevölkerung nicht ungeteilten Beifall. Oft sind es Anwohner, die sich zu Bürgerinitiativen zusammenschließen, weil sie sich an den Betriebsgeräuschen sowie an der „Hässlichkeit“ der Windmaschinen stören. Auch Tierschützer kritisieren, dass vor allem der Lebensraum von Vögeln und Fischen durch die Windanlagen und den von den Rotoren erzeugten Geräuschen gestört wird. Trotzdem bleibt die Windkraft für Umweltschützer eine der saubersten Energiequellen überhaupt. Für großflächige Windkraftwerke sind geeignete Flächen knapp, ohnehin bläst der Wind nicht über all stark genug. Darum drängt es die Ingenieure auch aufs Meer hi-

naus, um relativ ungestört von Mensch und Tier Windparks zu errichten. So wurde 2010 der erste deutsche Offshorepark Alpha Ventus mit zwölf Windkraftanlagen und rund 60 Megawatt Leistung vor der Nordseeinsel Borkum in Betrieb genommen. Im Vergleich zu ähnlich ausgerichteten Anlagen an Land haben Standorte im Meer etwa 20 Prozent mehr Leistungsausbeute. Das liegt unter anderem an der Oberfläche des Wassers, das dem Wind kaum Reibung entgegensetzt – auf dem Festland bremsen dagegen Bäume und Gebäude teilweise den Wind aus. Zu den Nachteilen der Windparks im Meer zählen insbesondere die komplizierte Verlegung von Unterseekabeln und die spezielle Präparierung von Stahlträgern fürs Meer. On- und Offshore wurden im Jahr 2016 in Deutschland insgesamt Windenergieanlagen mit einer Leistung von etwa 5440 MW errichtet und in Betrieb genommen. Gestützt wurde die Entwicklung vor allem durch den starken Onshore-Markt, der im Vorfeld des EEG-Systemwechsels auf ein Ausschreibungssystem im Jahr 2017 von Vorzieheffekten profitierte. Im Markt für Offshore-Windenergie verzeichnete die Branche 2016 einen deutlichen Einbruch. Die meisten Windenergieanlagen befinden sich in den nordund mitteldeutschen Bundeslän-

Im Vergleich zu ähnlich ausgerichteten Windkraft-Anlagen an Land haben Standorte im Meer etwa 20 Prozent mehr Leistungsausbeute. Nachteile: die komplizierte Verlegung von Unterseekabeln und die spezielle Präparierung von Stahlträgern fürs Meer. Foto: iStock

dern, doch auch im eher windschwachen Bayern gibt es Regionen mit höheren Windgeschwindigkeiten. Führend im Ranking nach Bundesländern war 2016 beim Anlagenzubau Niedersachsen (900 MW), vor Schleswig-Holstein (650 MW) und Nordrhein-

Westfalen (560 MW) auf dem dritten Rang. Danach folgen Brandenburg (490 MW) und Baden-Württemberg (350 MW). An Land wurde 2016 mit 4625 MW (brutto) etwa 24 Prozent mehr an Windenergieleistung neu errichtet als 2015 (3730 MW). Im

Offshore-Bereich haben im vergangenen Jahr neue Windenergieanlagen mit einer Leistung von 818 MW erstmals Strom in das Netz eingespeist. Gegenüber dem Rekordjahr 2015 entsprach das einem Rückgang von über 60 Prozent. Als Grund für diese Entwick-

lung wird der Wegfall von netzbedingten Nachholeffekten genannt. Diese hatten der Offshore-Branche 2015 ihr bisher bestes Jahr beschert. Im ersten Halbjahr 2017 blieb der Windenergiezubau an Land angesichts der ausschreibungsbedingten Vorzieheffekte hoch. In diesem Zeitraum kam an Land eine Windenergieleistung von 2281 MW (brutto) hinzu, was einem neuen Halbjahresrekord bedeutete. Auf See haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 108 Windenergieanlagen mit einer Leistung von fast 630 MW erstmals Strom eingespeist. Ende Juni 2017 summierte sich die gesamte Windenergieleistung auf über 52 000 MW. Welche Bedeutung inzwischen Windkraftwerke auf dem Meer haben, unterstreicht eine Studie des Instituts Fraunhofer IWES, die jüngst veröffentlicht wurde. Danach produzieren Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee an 363 Tagen des Jahres Energie. Energiewirtschaftlich gesehen sei die Offshore-Windenergie sowohl Windkraftwerken an Land wie auch der Fotovoltaik überlegen. Deshalb wird in der Studie ein deutlich stärkerer Ausbau der Windenergie auf See empfohlen. Allerdings wachsen bei Umweltschützern die Zweifel, ob Nord-und Ostsee einen starken Ausbau der OffshoreWindenergie verkraften können.

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WAS ÄNDERT SICH 2018 FÜR DEN VERBRAUCHER?

Vergleich der Strompreise lohnt sich

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Der Verbraucher ist gut beraten, sich auch für 2018 über Änderungen im Energiebereich zu informieren. Strompreisvergleich lohnt sich: Obwohl die EEG-Umlage 2018 leicht fällt, kann es zu Strompreiserhöhungen kommen. Die gleichzeitige Novellierung des Netzentgeltmodernisierungsgesetzes sieht vor, die ÜbertragungsnetzentgeIte zu vereinheitlichen. Verbraucher sollten ihre Stromverträge prüfen, die Preise vergleichen und gege-

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Programm „Erneuerbare EnergienSpeicher“ zur Förderung von Batteriespeichern für Fotovoltaikanlagen von dreizehn auf 10 Prozent der errechneten Speicherkosten. HBCD-haltige Dämmstoffe nicht mehr als gefährlicher Abfall eingestuft: HBCD-haltige Dämmstoffe gelten ab 2018 in der Regel nicht mehr als gefährlicher Abfall. Verbraucher müssen sie jedoch separat sammeln, sodass sie vom Entsorger erfasst und gewogen werden können. s.sa.

ökologisch.regenerativ.nachhaltig.

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benenfalls den Anbieter wechseln. Förderantrag vor Beginn der Baumaßnahmen stellen: Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bezuschusst Solaranlagen, Wämepumpenheizungen und Biomasseheizungen. Um die Förderung zu erhalten, müssen Verbraucher ab 2018 den Förderantrag vor Beginn der Maßnahme stellen. Absenkung des Tilgungszuschusses: Die KfW-Bank verringert ab dem 1. Januar 2018 den TiIgungszuschuss im

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DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

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ENERGIE & UMWELT

„Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen“ Verbandssprecher Peter Röttgen: Viele der gegenwärtigen Weichenstellungen bremsen Energiewende

VON SIEGFRID SACHSE BERLIN/OSNABRÜCK. Mit den

richtigen Weichenstellungen kann die Energieversorgung in Deutschland auch schon früher zu 100 Prozent erneuerbar sein als bisher geplant. Diese Auffassung vertritt Peter Röttgen, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbarer Energie e. V. (BEE).

Seiner Meinung nach ist es aber notwendig, jetzt den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen und die Sektorenkoppelung voranzutreiben, in dem die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Modernisierung der Energiewirtschaft engagiert weiter zu entwickeln. Ohne grundlegende Änderungen wird Deutschland dem Verbandssprecher zufolge seine Ziele nicht erreichen. Herr Röttgen, Ziel der Energiewende in Deutschland ist es, bis zum Jahr 2050 die Energie hauptsächlich aus regenerativen Quellen wie Wind- und Wasserkraft, Sonnenenergie, Geothermie oder nachwachsenden Rohstoffen zu beziehen. Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch soll dabei auf etwa 60 Prozent steigen. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten für die Realisierung dieses Vorhabens? Mit den richtigen Weichenstellungen kann die Energieversorgung auch schon früher zu 100 Prozent erneuerbar sein. Dafür ist es notwendig, jetzt den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen und die Sektorenkopplung voranzutreiben, in dem die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Modernisierung der Energiewirtschaft engagiert weiterzuentwickeln. Die Erneuerbare Energie-Branche hat insbesondere in den vergangenen Jahren eine beeindruckende technische und wirtschaftliche Entwicklung vollzogen und sie kann noch mehr. Sie muss sich frei entfalten können und benötigt für Innovationen ein freies Gestaltungsfeld.

Im Oktober dieses Jahres ist in Deutschland so viel Ökostrom wie noch nie zuvor in einem Monat produziert worden. Die Solar-, Wind-, Wasser- und Biomassekraftwerke steuerten 44,1 Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei. Wo liegen die Hauptgründe für dieses Rekordhoch? Der Oktober zeigte – auch für einen Herbstmonat – ungewöhnliche Wetterverhältnisse. Vor allem das Sturmtief Xavier zu Beginn des Monats sowie Sturm Hervart an den letzten Oktobertagen sorgten für einen neuen Windenergie-Rekord. 2016 entwickelten sich die erneuerbaren Energien in allen Sektoren nur mäßig. So stieg der Anteil am Bruttostromverbrauch lediglich auf 31,7 Prozent gegenüber 31,5 Prozent im Jahr zuvor. Der Anteil im Wärmesektor blieb konstant bei 13 Prozent. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück? Wesentlich ist, dass die Erfolge bei der Umstellung auf eine erneuerbare Wärmeversorgung und auch in der Mobilität seit Jahren ausbleiben. Dafür gibt es verschiedene Gründe, einer der wichtigsten ist der niedrige Preis für Öl und Gas. Endverbraucher haben so kaum Anreize, in klimaneutrale und kosteneffiziente erneuerbare Energie zu investieren. Kontraproduktiv wirkt sich auch die Förderung fossil betriebener Heizungen aus, die nächste Bundesregierung sollte die Förderung schnellstmöglich abschaffen. Zudem fehlt es dem Handwerk an Anreizen, Erneuerbare Erzeuger zu verbauen. Ende 2016 lieferten Windkraftanlagen an Land und auf See gemeinsam 12,3 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms. Der Wind leistete mit fast 80 Terawattstunden den insgesamt größten Beitrag zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und hätte damit 22,8 Millionen Haushalte mit Strom versorgen können. Wie beurteilt Ihr Verband die weitere Entwicklung der Windenergie?

Der deutsche Strompreis für die Haushaltskunden zählt mit zu den höchsten in Europa. Verbraucherschützer kritisieren in diesem Zusammenhang, dass Versorger Entlastungen nicht an die Endkunden weitergäben. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf ? In den vergangenen Jahren sind die Einkaufspreise für die Stromvertriebe an der Börse kontinuierlich gesunken, dieser Preisvorteil könnte an die Kunden weitergegeben werden. Grundsätzlich sollte jedoch die Struktur der Abgaben und Umlagen reformiert werden. Aus Sicht des BEE sollte die Befreiung der Industrie von der EEG-Umlage nicht von den Stromkunden bezahlt werden. Das ist nicht deren Aufgabe, sondern Aufgabe der Gemeinschaft und deshalb des Bundeshaushalts.

Die Windenergie ist eine wichtige Erzeugungsform des Erneuerbare Energie-Portfolios. Wir haben allerdings Sorge, dass ohne weitere Optimierung des Ausschreibungsmodells schon bald das Engagement unserer hochinnovativen Hersteller und Betreiber merklich eingebremst wird. In Nordrhein-Westfalen soll bereits bis zum Jahr 2020 über die Hälfte des Stroms aus Windkraft kommen. Ein realistisches Ziel? Der Erfolg der Energiewende steht und fällt mit den politischen Rahmenbedingungen. Die schwarzgelbe Regierung hatte zügig nach ihrem Amtsantritt Restriktionen angekündigt, was die Branche sehr verunsichert hat und den Ausbau Erneuerbarer Energie deutlich einschränken wird. Darüber hinaus hat NRW in den jüngsten Ausschreibungsrunden zur Windenergie fast keine Zuschläge erhalten – ohne Nachbesserungen wird NRW sein Ziel nicht erreichen. Viele Bürger in unsrem Land befürworten erneuerbare Energien, gehen aber oftmals auf die Barrikaden, sobald vor Ihrer Haustür ein Windpark oder eine Biogasanlage gebaut werden soll. Wie passt das zusammen? Wovor haben die Menschen Angst? Interessanterweise gilt das auch umgekehrt: Dort, wo bereits Erneuerbare Energie-Anlagen stehen, steigt die Akzeptanz, wie Umfragen zeigen. Um eventuell entstehenden Sorgen von Anfang begegnen zu können, halte ich es für oberstes Gebot, die Menschen vor Ort einzubeziehen und ihre spezifischen Anliegen ernst zu nehmen – hier gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Miteinander reden und die beste Lösung für die Beteiligten finden, darin liegt der Schlüssel. Oftmals sorgt alleine die Veränderung für Verunsicherung, die vermeidbar ist. Haben es Kommunen und Unternehmen in der Vergangenheit versäumt, die Anwohner in ihre Planungen stärker einzubeziehen?

Dr. Peter Röttgen ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbarer Energie e. V. (BEE)..

Sicherlich gibt es Fälle für geglückte oder auch weniger geglückte Partizipationsmöglichkeiten. Da kann man von den guten Beispielen gut lernen. Jedes Bebauungsvorhaben aber durchläuft ein geregeltes Planungsverfahren, sodass ein demokratisch legitimierter Prozess in jedem Fall gewährleistet ist. Egal, welche Umfrage man in den letzten Jahren und Monaten las – jede bestätigt dasselbe: Die Deutschen befürworten erneuerbare Energien, lehnen Kohle und Atomenergie dagegen weitgehend ab. Welche Gründe sind Ihrer Ansicht nach für die breite Zustimmung der Bevölkerung zum Ausbau der erneuerbaren Energien vor allem ausschlaggebend? Erneuerbare Energie ist sauber, schützt Klima und Umwelt und trägt deshalb zur Erhaltung unserer Lebensgrundlage, aber auch unseres Wohlstandes bei, da sie auch für wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze stehen – das überzeugt die Menschen.

Foto: BEE

Aber sind die Bürger dieses Landes auch bereit, für den Ausbau der Windkraft, Solaranlagen usw. auch mehr zu zahlen? In der Vergangenheit war man dazu bereit, was die breite Akzeptanz zeigt. Heute wird mehr Wirtschaftlichkeit gefordert und auch schon weitgehend erreicht. Genau diese Veränderung bezeichnet die aktuelle Zeit. Dabei darf nicht vergessen werden: In den Aufbau der energiewirtschaftlichen Infrastruktur sind im vergangenen Jahrhundert bereits Milliarden geflossen und bis heute werden Kern- und Kohleenergie umfangreich subventioniert, wie Zahlen u. a. von Weltwährungsfonds und Weltgesundheitsorganisation belegen. Die Kosten für Umwelt, Klima und Mensch kommen noch dazu. Wer jedoch heute in die saubere Energieversorgung investiert, investiert in die eigene Zukunft. Überdies sind die Preise zum Beispiel für Fotovoltaik und Windkraft enorm gesunken, weshalb global der Ausbau auch boomt.

Noch eine letzte Frage: Reichen die politischen Weichenstellungen aus, um den Ausbau der erneuerbaren Energien so weiter zu entwickeln, wie es sich Politik und Wirtschaft vorstellen? Was wir jetzt benötigen, ist ein tief greifender Wandel. Viele der gegenwärtigen Weichenstellungen bremsen die Energiewende mehr aus, als sie zu unterstützen. So muss etwa die Deckelung des Ausbaus aufgehoben werden. Von den Erneuerbaren mehr Markt zu fordern, sie aber gleichzeitig zu deckeln, ergibt keinen Sinn. Für eine erfolgreiche Sektorenkopplung, die maßgeblich für die Modernisierung der Energiewirtschaft steht, ist zudem die bereits angesprochene Reform der Abgaben und Umlagen notwendig. Ohne grundlegende Änderungen wird Deutschland seine Ziele nicht erreichen – weder die EUVerpflichtung, bis 2020 seinen Brutto-Endenergieverbrauch zu 18 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu decken, noch die Klimaschutzziele. Dafür ist aus Sicht des BEE eine CO2-Bepreisung ebenso von Nöten wie der sukzessive Rückgang der Kohleverstromung.


DONNERSTAG, 21. DEZEMBER 2017

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ENERGIE & UMWELT

Zuschüsse für den Einsatz erneuerbarer Energien Immer mehr Bauwillige setzen auf neue Wege in der Gebäude- und Haustechnik

VON SIEGFRID SACHSE OSNABRÜCK. Das eigene Haus

oder die eigene Wohnung ist für viele Menschen in unserem Lande ein ganz wichtiges Lebensziel. Mit dem Bau oder Kauf von Wohneigentum wird oftmals die größte wirtschaftliche Entscheidung des Lebens getroffen. Nicht nur das Haus, sondern auch die Finanzierung muss auf einem sicheren Fundament stehen.

In Zeiten steigender Kosten für Energie belastet nicht nur die Hypothek das Budget. Mit dem Bau energieoptimierter Häuser/Wohnungen lassen sich die Ausgaben für Strom, Heizung und Warmwasser zumindest etwas ausbremsen. Deshalb verwundert es nicht, dass immer mehr Bauwillige Energie & Umwelt

Verlags-Sonderveröffentlichung am 21. Dezember 2017 Herausgeber: Verlag Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG, Breiter Gang 10–16, 49074 Osnabrück, Telefon 05 41/310-0 Redaktion: Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG, V.i.S.d.P.: Ralf Geisenhanslüke Konzeption und Umsetzung: NOW-Medien GmbH & Co. KG, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück, Jürgen Wallenhorst, Siegfrid Sachse Titelgestaltung: Holger Trentmann ANZEIGEN-/WERBEVERKAUF: MSO Medien-Service GmbH & Co. KG, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück Geschäftsführer: Sven Balzer, Sebastian Kmoch (V.i.S.d.P.) Verantwortlich für Anzeigen-/Werbeverkauf: Sven Balzer, Marvin Waldrich (E-Mail: anzeigen@mso-medien.de) Druck: NOZ Druckzentrum, Weiße Breite 4, 49084 Osnabrück

Architecture

nach Möglichkeiten für den Einsatz von erneuerbaren Energien in der Gebäude- und Haustechnik Ausschau halten und diese Pläne realisieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Studie des Bundesverbandes Flachglas (BF) und des Verbandes Fenster + Fassade (VFF) unter dem Motto „Mehr Energie sparen mit neuen Fenstern“, die sich an Planer, Bauherren und Modernisierer richtet und gleichzeitig als ein gewichtiges Mittel im Kampf gegen den fortschreitenden Klimawandel angesehen wird. In der Studie wird die Entwicklung vom klimaschädlichen einfachverglasten Fenster bis zum heutigen, hocheffizienten Dreischeiben-Wärmedämmfenster beschrieben. Auf dieser Basis erläutert die Studie das aktuelle energetische Sanierungspotenzial, beleuchtet die Wirtschaftlichkeit neuer Fenster und bietet eine ausführliche Tabelle der Einsparpotenziale, gegliedert nach Fenster- und Glastyp, Rahmenmaterial sowie Produktionsjahr. Den Angaben zufolge bestehen immer noch rund 17 Millionen Fenstereinheiten in Deutschland aus völlig ineffizientem Einfachglas. Durch den Austausch dieser veralteten Fenster ließen sich rund 1,9 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen, beim Austausch aller veralteten Fenster von vor 1995 sogar 14,1 Millionen Tonnen, heißt es in der Studie. Für die Nutzung erneuerbarer Energien zu Hause gibt es die un-

terschiedlichsten Förderangebote. So erleichtert unter anderem die KfW-Bank mit den Förderprogrammen im Bereich „Bauen, Wohnen, Energie sparen“ den Weg ins Wohneigentum. Die KfW vergibt an private Bauherren zinsgünstige Kredite und Zuschüsse für den Kauf oder Bau einer selbst genutzten Immobilie, den altersgerechten Umbau sowie für die Nutzung erneuerbarer Energien. Auch Städte und Gemeinden stellen Fördermittel für Familien bereit und ermöglichen so den Kauf eines Hauses oder einer Eigentumswohnung. Das „Baugeld vom Bürgermeister“ gibt es meistens in Form von Zuschüssen oder Darlehen. Immer mehr Kommunen werben vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung um junge, bauwillige Familien. Auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) fördert die Nutzung erneuerbarer Energien für die Wärmeerzeugung. Für Neubauten gibt es die Förderung allerdings nur in Einzelfällen, die meisten Zuschüsse erhalten bestehende Gebäude. Die BAFA-Förderung greift nur, wenn die bestehende Heizung auf erneuerbare Energien umgestellt wird. Voraussetzung für die Förderung ist, dass in dem Gebäude schon für mindestens zwei Jahre eine Heizung installiert war.

Worklife

Mobility

Wer heute einen Neubau erstellen lässt, plant von vorneherein energieoptimierende Maßnahmen wie Solarkollektoren oder Fensterrollläden mit ein.Bei der Modernisierung von Wohneigentum sind ein Fensteraustausch und die Heizungswartung sinnvoll. Fotos: iStock

emco Group: Überraschend mehr Familienbetrieb gut aufgestellt für eine erfolgreiche Zukunft

Die emco Group mit Hauptsitz in Lingen (Ems) ist ein seit 1945 Badausstattungen

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Deshalb setzen wir auf die fundierte Ausbildung junger Nachwuchskräfte und kooperieren eng mit der Hochschule Osnabrück Campus Lingen. Berufliche Perspektiven und familienfreundliches Arbeiten sind uns besonders wichtig. Im Emsland fest verankert

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