GN-Mobile: Frühjahr/Sommer 2022

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Skelette inspirieren Autobauer Ingenieure konstruieren Bauteile und Karossen nach Vorbildern aus der Natur Zwar hat sich seit der Erfindung des Autos 1886 ziemlich viel getan. Doch verglichen mit vier Milliarden Jahren Evolution ist das kaum mehr als ein Wimpernschlag. Die Natur hat oft viel bessere Lösungen. STUTTGART Ist das Konstruktion oder kann das weg? Wenn Klaus Millerferli die Dämpferdome des neuen Mercedes EQXX in Händen hält, könnte man meinen, er hat sich vergriffen. Denn das unförmige und unstrukturierte Metallteil sieht eher nach Abfalleimer aus als nach Avantgarde. Und dass sich daran die Vorderachse des elektrischen Technologieträges abstützen soll, mag man dem Projektleiter kaum glauben.

Doch Millerferli wiegt das Gussteil mit größter Wertschätzung in der Hand und freut sich am niedrigen Gewicht und der lufti-

Vorbild Natur Skelette aus Carbon gen Form. Denn es ist nicht nur extrem stabil, sondern wiegt auch vier Kilo weniger als eine konventionelle Komponente. „Dafür haben wir es nach dem Vorbild der Natur konstruiert“,

Mit dem VISION EQXX geht Mercedes-Benz jetzt den nächsten Schritt. Entsprechend interner, digitaler Simulationen ist davon auszugehen, dass der Technologieträger im realen Straßenverkehr mit einer einzigen Batterieladung mehr als 1000 Kilometer weit fahren wird. Foto: Mercedes sagt der Ingenieur. Statt am Reißbrett mit der gleichen Software am Rechner entwickelt, mit denen die Monster für Computerspiele generiert werden – nicht gezeichnet, sondern förmlich gewachsen – sieht es deshalb aus wie ein Skelett. Und genau wie die Knochen von Menschen oder Tieren sei das Strukturteil an den entscheidenden Stellen extrem stabil, brauche aber nirgendwo überschüssiges Material und sei deshalb beson-

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Bionik

ders leicht. Damit folgt Millerferli einem Trend, der bei den Autoentwicklern gerade hoch im Kurs steht. Im Ringen um ein möglichst niedriges Gewicht und eine maximale Reichweite lassen sie sich von der Natur inspirieren. Besonders augenfällig ist das beim Mission R, mit dem Porsche dem elektrischen Rennwagen der Zukunft Gestalt gibt. Statt einen Rahmen zu konstruieren und den dann mit einer Karosserie zu verkleiden, trägt der Zweisitzer ein weithin sichtbares Skelett aus Carbon, dessen wie bei einem Fachwerk offenen Zwischenräume ganz ungewöhnliche Ein- und Ausblicke erlauben – besonders am Dach. „Da kommen Form und Funktion auf perfekte Weise zusammen“, sagt Designer Peter Varga. „Denn dieses sogenannte Exoskelett ist nicht nur besonders leicht und stabil, sondern sieht auch noch spektakulär aus.“ Schildkröte und der Schädel eines Dinosauriers

Diese Idee hatten vor Porsche schon andere: Beim Entwicklungsdienstleister Edag in Wiesbaden zum Beispiel gibt es den Technologieträger Genesis. Dessen Karosserie ist nach dem Vorbild eines Schildkrötenpanzers aus dem 3-D-Drucker gelaufen. Oder etwa der sportliche Zweisitzer des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart. Damit der tatsächlich unter 500 Kilo bleibt und trotzdem hinreichend Unfallschutz bietet, musste der Schädel des Simosaurus als Vorbild für seine Karosseriestruktur herhalten. Schließlich haben die Forscher ein paar interessante Parallelen gefunden: Bei der Jagd wurde der Knochen so beansprucht wie das Chassis bei der Fahrt über eine buckelige Piste. Und wenn der Kiefer beim Fressen zugeschnappt hat, wirkten ähnliche Kräfte wie bei einem Crash, erläutern die IPA-Experten. Neben dem Leichtbau und der Sicherheit ist es vor allem die Aero-


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