Fischwanderung durch den Muldestausee
Fischwanderung durch den Muldestausee
IMPRESSUM Broschüre zum Fischaufstieg im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt Herausgeber: Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt Anstalt des Öffentlichen Rechts Timmenröder Str. 1a, D-38889 Blankenburg Verantwortlich: Burkhard Henning Konzept und Gestaltung: M. Scholz & Partner Werbeagentur GmbH, Magdeburg Texte: Sabrina Gorges Redaktionelle MItarbeit: Andreas Rudolf, Joachim Schimrosczyk, Arne Gluch Fotos: Michael Uhlmann, Archiv des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt, Andreas Rudolf, Dr. Guntram Ebel Titelfoto: Fische in Hälterbecken, Beckensystem der Aufstiegsanlage, Auslaufbauwerk mit beweglichen Wehrklappen
INHALT 6
Kurz und knapp Was Sie über die Fischaufstiegsanlagen am Muldestausee wissen sollten
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Man muss bei der Planung geistig im Wasser unterwegs sein Im Gespräch mit Ökohydrologe Arne Gluch
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Übersichtskarte
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Die Bauherren Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt & LMBV
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Das Mulde-Lachs-Programm Die Rückkehr eines Wanderers
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Aus Wasser wird Energie Zukunftsprojekt „Wasserkraftnutzung am Muldestausee“
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Von der fieberhaften Suche nach einer Lösung für das Stadtwehr Dessau
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Ab durch die Anlage! Aufstiegskontrolle mit gutem Ergebnis
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Baufortschritt Einlaufbauwerk
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Baufortschritt Auslaufbauwerk
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Der Muldestausee Gewässer mit „Macken“ und Besonderheiten
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Fischwege – Wandern in alle Richtungen
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Rückblick Zeigt her eure Wege – Fisch-Monitoring am Muldestausee
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Der Wechsel zwischen Lebensräumen führt durch 43 Becken
Kurz und knapp:
Was sie über die Fischaufstiegsanlagen am Muldestausee wissen sollten Beginn der Planungen: 2003 Kosten: ca. 6 Millionen Euro für beide Fischaufstiegsanlagen Ziel: Wiederherstellung der Fischdurchgängigkeit an der Mulde, vor allem für den Lachs Bauzeit Projektträger
Fischaufstiegsanlage Einlaufbauwerk
Fischaufstiegsanlage Auslaufbauwerk
2008/2009
2009/2011
LMBV
LMBV
Vorhabensträger
TSB
TSB
Betreiber
TSB
TSB
Raue Sohlgleite
Doppelschlitzpass
keiner
ca. 5 m
Art Höhenunterschied
Wussten sie, dass … … die Fische in den 43 serpentinenartig angeordneten Becken jeweils 12-Zentimeter-Sprünge machen müssen? Sie überwinden so rein rechnerisch einen Höhenunterschied von 5,16 Meter. … die Fische in den bis zu 1,60 Meter tiefen Becken gern länger ausruhen? Manche verbringen sogar mehrere Tage darin, bevor sie weiterwandern. … die vielen Kormorane für den Fischaufstieg inzwischen ein größeres Problem darstellen als das große Bauwerk Muldestausee? Die schwarzen Vögel tauchen gemeinsam wie ein Fischer-Zugnetz, um ihren Hunger zu stillen.
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Politprominenz beim symbolischen Spatenstich am Einlauf des Mulde-stausse am 19. Juni 2009 – v.l. Burkhard Henning, Geschäftsführer des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt , Dr. Mahmut Kuyumcu, Geschäftsführer LMBV, Petra Wernicke, Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt, Ulrich Kraus, Abteilungsleiter Sächsisches Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft, Uwe Schulze, Landrat Anhalt-Bitterfeld
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DessauRoßlau
Berlin
Bergwitzsee
Gremminer See
Gröbener See
Auslaufbauwerk
Halbinsel Pouch
Förstergrube
MuldeStausee
BitterfeldWolfen
Landschaftssee Köckern
Einlaufbauwerk Goitzschesee
Roitzscher Grube
Ludwigsee
Paupitzscher See
Seelhausener See
Halle/ Saale Neuhäuser See
Leipzig
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Baufortschritt Einlaufbauwerk 1 2 3 4 5 6 3
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Juli 2008: Rammen der Spundwand in der Mulde September 2008: Herstellen Abgrenzung Raugerinne Beckenpass Oktober 2008: Steinsatz f端r Raugerinne Beckenpass November 2008: Vorbereitung linke Seite Fischaufstiegsanlage November 2008: Rechte Seite Fischaufstieg fertiggestellt, kurz vor Flutung Juni 2009: Herstellung Sohlgleite links kurz vor Fertigstellung
© M_H.DE, CC-BY-SA 3.0
Wehr mit Brücke am Einlauf der Mulde – unten links liegt die Ortschaft Pouch
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© M_H.DE, CC-BY-SA 3.0
Die Brücke am Auslauf des Muldestausees verbindet Friedersdorf (r.) und Muldenstein
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Baufortschritt Auslaufbauwerk 1 2 3 4 5 6 7 8
Juni 2009: Spundwand im Tosbecken August 2009: Baugrube mit Verbau September 2009: Betonage Becken Oktober 2009: Kanal Leitströmung April 2010: Baugrube im Muldestausee Juli 2010: Gestaltung der Sohle, hinten Strömungsumlenker September 2011: Arbeiten am Einstieg im Tosbecken März 2012: Blick auf Leitströmungsrohre mit Steuereinrichtung unten
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Der Muldestausee Gewässer mit „Macken“ und Besonderheiten
Der Muldestausee im Landkreis AnhaltBitterfeld ist ein bis zu 35 Meter tiefes Tagebaurestloch. Der mit etwa zwei Kilometern Breite und sechs Kilometern Länge viertgrößte See Sachsen-Anhalts entstand ab Mitte der 1970er Jahre, als der Fluss Mulde wegen des immer weiter voranschreitenden Tagebaus Goitzsche verlegt werden musste. Im April 1975 begann der Aufstau des Flusses im ehemaligen Tagebau Muldenstein. Heute ist der Muldestausee vor allem ein beliebtes Wassersport-, Ausflugs- und Angelgewässer mit großer Bedeutung für den Tourismus in der Region. Die Wasserqualität ist gut, die Rolle als Hochwasserrückhaltebecken für den Hochwasserschutz eher unbedeutend. Nimmt man es ganz genau, ist der Muldestausee kein Stausee im eigentlichen Sinne. Er ist vielmehr eine Art „Verdickung“ im Flusslauf der Mulde, die am sogenannten Einlaufbauwerk hinein und am Auslaufbauwerk wieder hinaus fließt. Zwischen diesen beiden Punkten fließt die Mulde irgendwann so langsam, dass die im Wasser transportierten Stoffe wie Kies oder Sand absinken und sich auf dem Grund ablagern. Direkt am Auslaufbauwerk ist der Fluss deshalb praktisch frei von Feststoffen. Der Muldestausee wird deshalb von Experten auch als „Sedimentfalle“ bezeichnet. Experten gehen davon aus, dass sich in
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den vergangenen drei Jahrzehnten rund 500 000 Kubikmeter Sediment im See abgelagert haben. Genau an der Stelle, wo der Fluss den See wieder verlässt, gibt es eine kleine Talsperre und eine in ihrer Charakteristik einmalige Fischaufstiegsanlage. In naher Zukunft soll der Fallhöhenunterschied durch eine moderne Wasserkraftanlage zur Energiegewinnung genutzt werden. Im Zuge dessen werden neben dem Krafthaus ein weiterer Fischaufstieg und eine Fischabstiegsanlage gebaut.
Wussten sie, dass … … der Muldestausee rund 6,3 Quadratkilometer groß ist? … die Mulde einmal zu den bedeutenden Lachs-Gewässern Mitteldeutschlands gehörte? Etwa 1880 verschwand der Mulde-Lachs, er galt als ausgestorben. Mittlerweile gibt es länderübergreifende Anstrengungen, um den Lachs wieder in der Mulde anzusiedeln. … bis 2009 das Fahrgastschiff „Muldeperle“ auf dem See seine Runden drehte? Weil das Schiff aber teilweise gesunken war, entschieden die Betreiber, den touristischen Fahrbetrieb aus wirtschaftlichen Gründen einzustellen. Eine Reparatur des Schiffs war zu teuer. … die am Auslauf errichtete Talsperre 14 Wehrfelder zählt? Zwei sind beweglich. Insgesamt ist die Talsperrenkrone mehr als 300 Meter lang. Darauf entlang führt die Landstraße 138, die Friedersdorf und Muldenstein verbindet.
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Naturnahe Wanderhilfe: eine klassische Sohlgleite
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Fischwege – Wandern in alle Richtungen Fische wandern gern. Nicht aus Spaß, sondern weil es ihnen die Natur so eingerichtet hat. Der Drang sich fortzupflanzen ist für viele Fische Motivation genug, eine mitunter beschwerliche und lange Reise gegen die Strömung von Bächen und Flüssen auf sich zu nehmen. Nicht immer klappt das reibungslos: Die natürlichen Wanderrouten hat der Mensch oft verlegt, verbaut oder verändert. Zahlreiche Barrieren versperren den Weg. Denn: Das Schwimmen gegen den Strom hat die Natur den Fischen beigebracht, das Treppensteigen nicht. Es geht also für Lachs, Aal und Co. ums nackte Überleben. Der Mensch muss wieder eingreifen – und baut deswegen Aufstiegs- und Abstiegsanlagen für die schuppigen Tiere.
Naturnah oder künstlich?
Ab durch´s Gewässer!
Fakt ist: In allen Fällen überwinden die Tiere den Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser. Sie steigen also Treppen, die ihnen sonst den Weg zu den Laichplätzen versperren würden.
Wann, wo und wie Fischwege durch künstliche Anlagen geebnet werden müssen, regelt der Gesetzgeber, beispielsweise in der Wasserrahmenrichtlinie der EU. Ziel ist es, allen Organismen in Fließgewässern die „Durchgängigkeit“ und „Durchwanderbarkeit“ zu ermöglichen. Nicht nur Fische, auch Kleintiere nutzen die Anlagen, deren Dimensionen immer am Bedarf ausgerichtet sind. Unterschieden werden Aufstiegshilfen und -anlagen sowie Abstiege, sogenannte Fischbypässe. Gebaut wird entweder naturnah oder technisch-künstlich.
Als naturnahe Wanderhilfen zählen Sohlgleiten oder Umgehungsgerinne. Diese stufen- oder terrassenförmigen Anlagen gleichen meist kleine Gefälle aus. Bei klassischen Sohlgleiten werden Konstruktionen aus Schwellen, Balken, Pfählen, Steine oder Geröll quer zur Fließrichtung eingebaut, beziehungsweise aufgeschüttet. Der Fluss fließt langsamer und die Tiefenerosion wird eingeschränkt. Technische Wanderhilfen sind Schlitz- oder Beckenpässe. Manchmal machen die Umstände sogar den Bau eines Fischlifts nötig, bei dem eine künstliche Strömung die Tiere in ein Becken leitet, das regelmäßig hoch und runtergefahren wird – wie ein Aufzug.
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Rückblick:
Zeigt her eure Wege – Fisch-Monitoring am Muldestausee Wenn ein mehrere Kilometer langer, strömungsarmer Stausee einen lebendigen, reißenden Fluss unterbricht, werden viele Frage aufgeworfen. Schwimmen die strömungsorientierten Fische überhaupt durch den ruhigen See? Schwimmen sie ganz hindurch oder nur halb? Und wie lange dauert das? Oder ist der Stausee nur ein totes Loch?
trie klären. Ein groß angelegtes Beobachtungsprojekt, ein sogenanntes Monitoring, wurde mit dem Fachwissen und der Erfahrung des Berliner DiplomBiologen Frank Fredrich durchgeführt. Denn: Um das Tagebaurestloch als verbindenden Fischweg zu entwickeln, musste das Wanderverhalten der Tiere ganz genau ergründet werden.
Wie viel Schwimmbetrieb herrscht im See tatsächlich?
Barbe, Döbel und Co. funken für die Forschung
Viele Fragen und zunächst kaum Antworten: Vor dem Baubeginn des Pilotprojekts „Fischaufstiegsanlage Muldestausee“ mussten all diese Dinge erst einmal geklärt werden. Schließlich sollten die aufwendigen Anlagen nicht Fische in den See leiten, die dann dort womöglich gar nicht weiter schwimmen. Experten wie der Ökohydrologe Arne Gluch vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft und Andreas Rudolf vom Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt standen 2004 vor der Herkulesaufgabe, Antworten auf diese Fragen zu finden. Beispielobjekte gab es nicht, denn zuvor hatte noch niemand eine bestehende Staumauer so weit im Unterlauf eines Flusses, also kurz vor der Mündung durchbrochen, um einen Fischaufstieg zu bauen. Wie der Schwimmbetrieb in der „Badewanne“ Muldestausee tatsächlich aussieht, konnte nur die moderne Radioteleme-
Fische wurden also in den Dienst der Forschung gestellt. Die Protagonisten namens Barbe, Döbel oder Aland sind allesamt Wanderfische. Sie schwimmen gern gegen die Strömung und waren
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Markierte Barbe mit seitlich herausragender Sendeantenne
damit die perfekten Helfer für das Projekt. Als „Sender-Fische“ wurden sie am Auslaufbauwerk – also am zukünftigen Standort der Aufstiegsanlage – in den See gesetzt. Munter schwammen sie los. Der Mini-Chip in ihrem Bauch funkte, sobald er in die Nähe eines Kontrollsenders kam. Und er verriet: Die meisten Fische ließen die ruhige See-Passage zügig hinter sich. Die kaum vorhandene Strömung störte die Fische nicht. Bei der Registrierung am Ende der Wegstrecke hatten 122 der 126 in den Stausee ausgesetzten Fische den Einlauf erreicht – die meisten brauchten nur wenige Tage, um den See zu durchschwimmen. Das Projekt „Fischaufstiegsanlage“ war damit auf wissenschaftlich fundierte Füße gestellt.
Auf das Tosbecken gerichtete Empfangsantennen am Auslaufbauwerk
Empfangsstation, eingebaut in die geÜffnete Safety-Box am Einlaufbauwerk während des Auslesens von Daten
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Die am Monitoring-Programm beteiligten Wanderfische machten die Planer noch auf eine andere „Baustelle“ am Muldestausee aufmerksam. Am Einlauf des Sees wurde abschnittsweise eine beeindruckende Sohlgleite mit Niedrigwasserrinne aus Blocksteinblöcken als Fischtreppe errichtet. Im Jahr 2008 wurde dann das Wehr gekappt. Das bedeutet: Drei Wehrteile wurden herausgebrochen. Für die Fische gibt es nun am Einlauf keine Hindernisse mehr – nicht einmal bei Niedrigwasser.
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Für den Fischaufstieg am Einlaufbauwerk wurden die oberen Teile der Wehrfelder gekappt
Raue Sohlgleite mit Rauhgerinne – Beckenpass für das Niedrigwasser
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Der Wechsel zwischen Lebensräumen führt durch 43 Becken Fischaufstiegsanlage. Ein Wort, unter dem sich jeder etwas vorstellen kann. Schuppige Wasserbewohner überwinden mithilfe einer von Menschenhand konzipierten Anlage einen Höhenunterschied im Wasser. Wie Treppensteigen, nur gegen den Strom. Am Muldestausee arbeitet eine Anlage, die in ihrer Art einmalig ist: Fische wandern hier von einen Fluss in einen Stausee. Für den Wechsel zwischen den Lebensräumen wurde sogar die Staumauer durchbrochen. Die Autorin hat sich ein Bild gemacht.
Vor-Ort-Termin bei Regen und Wind. Ich habe die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und Mühe, Block und Stift zu halten. Kaum zu glauben, dass Sommer ist. Andreas Rudolf und Arne Gluch sind Außentermine bei diesem Wetter gewohnt. Der Leiter Planung und Bau beim Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt und Ökohydrologe vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft wirken entspannt. Die zwei Herren freuen sich, mir eines der Herzstücke ihrer bisherigen Arbeit zeigen zu können: die Fischaufstiegsanlage am Muldestausee. Der Talsperrenbetrieb ist einer der beiden Bauherren. Es ist ein gigantisches, etwa 200 Meter langes Geflecht aus Betonrinnen, Wasser, Gittern und tosendem Nass. Ein ausgeklügeltes System, von dem ich zunächst fest glaube, dass ich es nie verstehen werde. Doch ich werde eines Besseren belehrt – und bin nach mehr als zwei Stunden tief beeindruckt. Der erste Weg führt die beiden Experten und mich an eine Litfaßsäule, die der Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt als Informationspunkt am Ufer der Mulde auf-
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stellen ließ. Der drehbare Zylinder spannt den Bogen von der Entstehung des Sees als Tagebaurestloch, über den Bau einer Sohlgleite am Einlauf bis hin zur Aufstiegsanlage am Auslauf des fast zehn Kilometer langen Gewässers. Bilder, Texte und Diagramme schaufeln viele Informationen in meinen Kopf. Arne Gluch dreht immer wieder den massigen Säulenkörper hin und her. Er tippt mit dem Finger auf jenes Foto, dann auf ein anderes und blickt dann auf die vor uns liegende Mulde, die Staumauer und den See. Andreas Rudolf tut es ihm gleich. Beide sind in ihrem Element. Sie haben die Fischaufstiegsanlage konzipiert, an ihr gefeilt, Feinheiten herausgearbeitet und mit den Tücken gekämpft. Jetzt, so habe ich den Eindruck, gehen sie in Gedanken noch einmal die ganze Entstehungsgeschichte durch. „Diese Konstellation von Aufstiegsanlage, Staumauer und Stausee ist einmalig“, sagt Gluch. Und Rudolf ergänzt: „Die komplizierten Rahmenbedingungen zwangen uns Planer zu einem neuen, ökohydraulischen Konzept. Wir mussten eine Fischaufstiegsanlage in
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Im Zickzack-Kurs fließt das Wasser durch das Becken
eine bestehende Staumauer integrieren und außerdem die Strömungsverhältnisse berücksichtigen. Es war eine unglaubliche Herausforderung.“ Bald darauf stehen wir auf jener Mauer. Sie ist etwa 300 Meter lang, es gibt eine Straße und einen schmalen Fußweg. Dort ist Friedersdorf, auf der anderen Seite Muldenstein. Wer mit dem Auto die Straße entlang fährt, wähnt sich auf einer ganz normalen Brücke. Dort der See, da der Fluss. Weiter hinten auf dem See schaukeln Boote an ihren Anlegern – die Idylle ist perfekt. Ich lege meine Arme auf das Geländer und schaue auf ein Beckensystem aus grauem Beton, das sich unter mir erstreckt. Wasser tost und kreiselt durch die Betonrinne mit ihren versetzen Durchgängen, es gibt kleine Hindernisse mit unterschiedlichen Formen und ich muss sofort an einen Flipperautomaten denken. Fische sehe ich keine. „Sie lassen sich nach unten sinken und ruhen sich ein bisschen aus. Für die Tiere gibt es keinen sichereren Ort als die Aufstiegsanlage“, antwortet mir Arne Gluch auf die Frage, warum denn keine Fische zu sehen sind. In den einzelnen Becken ist es bis zu 1,60 Meter tief. Genau gesagt sind es 43 Becken. In jedem Abschnitt müssen die Wanderfische zwölf Zentimeter Höhenunterschied überwinden, in Summe sind es etwas mehr als fünf Meter. Die Art und Weise, wie das Wasser im Zickzack-Kurs durch die Becken fließt, haben die Experten ganz genau berechnet. „Die Fließgeschwindigkeit ist nicht höher als 1,5 Meter pro Sekunde“, sagt der groß gewachsene Gluch. „Das ist ein Tempo, in 24
dem es alle Arten in allen Größen schaffen können. Auch die schwimmschwachen.“ Barbe, Döbel, Aaland, Rapfen und – wenn alles gut geht – bald auch wieder der Lachs. Lachs? Gibt´s den hier überhaupt? Ich wundere mich. „Weiter unten am Wehr Dessau springen sie schon und Junglachse sind auch schon durchgewandert“, sagt Gluch, der auch Ingenieurbiologe ist. Ist die Aufstiegsanlage also auch eine Wiedereingliederungshilfe? Die beiden Herren neben mir nicken. Und nicht nur das. Jedes Jahr müssen die Tiere zum Laichen den Weg vom Nordatlantik über die Nordsee, die Elbe und deren Nebenflüsse nehmen. Der Muldestausee war immer ein schier unüberwindbares Hindernis. „Die Mulde war früher eine Lachs-Hochburg, doch Bergbau und Industrialisierung haben den Lachs von seinen ursprünglichen Laichplätzen getrennt. Jetzt beseitigen wir die Trennungen mit hohem Aufwand“, erklärt Rudolf. Wenn er von „Trennungen“ spricht, meint er in diesem Fall die mehr als fünf Meter hohen Betonelemente der Staumauer, die selbst der kräftigste Lachs nicht überwinden kann. Am sogenannten Tosbecken wirft das hektische Wasser Schaumbatzen in die Luft. Hier verlässt die Mulde den See. Wir steigen direkt unterhalb der Litfaßsäule eine Treppe hinunter. Sie führt auf eine betonierte Plattform, die nur hin und wieder durch Gitterelemente unterbrochen wird. Der Blick durch die Gitter zeigt kräuselndes Wasser. Hier, auf der Flussseite, liegt der Eingang in die Aufstiegsanlage. Wir gehen zu Dritt bis an
den Rand der Plattform. Es ist, als würde man an einer Mini-Kaimauer stehen. Kormorane und Möwen schaukeln auf dem Wasser umher. Sie beäugen uns misstrauisch. Die beiden Einstiege liegen unter Wasser und sind nicht zu erkennen. Die Fische schwimmen durch sie in zwei wassergefüllte, lange Gänge. Diese machen nach ein paar Metern einen Knick und führen zur eigentlichen Treppe mit den 43 Becken. Mir fällt auf, dass die Mulde hier unerwartet aufgewühlt ist, überall gibt es Strudel und Turbulenzen. Kein natürlicher Prozess, sondern das Ergebnis harter (Kopf)Arbeit. „Die Fische müssen in die Aufstiegsanlage geleitet werden“, sagt Gluch. „Sie können ja nicht wissen, wo sie hinein schwimmen müssen, um oben im See wieder rauszukommen.“ Doch wie weist man Fischen den Weg? Die Experten haben Leitströmungen eingebaut und sie genau berechnet. Aus Rohren wird mit Druck Wasser in den Fluss „geschossen“, mal mehr, mal weniger stark. Es sind regelbare Schussstrahlen. „Die Strömungsverhältnisse unter der Staumauer sind schwierig“, sagt Planungsprofi Rudolf. „Deshalb gibt es drei justierbare Leitströmungsleitungen.“ Und warum? Weil Wanderfische von Natur aus von Strömungen im Wasser geleitet werden. „Wir machen uns das zunutze“, sagt Gluch. Vor allem der Lachs soll einmal von dem törichten Unterfangen abgehalten werden, die Seeseite durch einen beherzten Sprung zu erreichen. „Ja, er kann es bequemer haben“, so Andreas Rudolf vom Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt.
Die einen hier, die anderen dort: Untersuchungen mit Hilfe von Fischen, die mit Sendern ausgerüstet wurden, ergaben, dass sich etwa zwei Drittel der stromaufwärts schwimmenden Fische auf der rechten Flussseite der Staumauer nähern – blickt man aus Sicht der Fische auf das Geschehen. Das ist auch der Grund, warum die Aufstiegsanlage rechts liegt. Das andere Drittel kommt links an, zirkuliert am Rand des Turbulenzbereichs und wird aktuell durch Leitströmungen in die Anlage auf der für sie anderen Seite geleitet. Mit dem Bau der geplanten Wasserkraftanlage auf der linken Seite wird auch eine Fischaufstiegsanlage errichtet. Die kann dann vom anderen Drittel, sozusagen den „Linksschwimmern“, genutzt werden. Profitieren werden die sprunggewaltigen Lachse. Für sie verbessern sich die Bedingungen sogar: Die Wasserkraftanlage lockt die Lachse mit einer noch stärkeren Leitströmung zur neuen Fischtreppe.
Wussten sie, dass … … Europas größte Fischtreppe in Deutschland gebaut wurde? Im September 2010 ging das aus 49 Becken bestehende und 550 Meter lange Bauwerk in Geesthacht an der Elbe in Betrieb. Gebaut hat sie der Energiekonzern Vattenfall – als Ausgleichsmaßnahme für ein Kohlekraftwerk. Die Anlage hat 20 Millionen Euro gekostet.
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Auf ein Wort: Arne Gluch, Ökohydrologe vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft
Zur Person: Arne Gluch war maßgeblich am Konzept der Fischaufstiegsanlage am Muldestausee beteiligt. Er analysierte nicht nur die hydraulischen Voraussetzungen vor Ort, sondern auch die Herausforderungen des Standorts. Der Visionär und Querdenker war ein Teil des Bauplanungsteams und bis zur Fertigstellung als Berater tätig. Der 49 Jahre alte DiplomHydrologe ist auf Ökohydraulik spezialisiert und arbeitet beim Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft in seiner Geburtsstadt Halle. Er studierte an der Technischen Universität Dresden. Durch die Verknüpfung von Ingenieurund Naturwissenschaft gelingt es Arne Gluch seit vielen Jahren neue Lösungen zu entwickeln und Nutzungskonflikte auszuräumen. Er steht nicht nur seinem Arbeitgeber mit seinem Fachwissen zur Verfügung, sondern wird auch gern von Dritten um Rat gefragt.
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„Man muss bei der Planung geistig im Wasser unterwegs sein“
Herr Gluch, Fischtreppe ist nicht gleich Fischtreppe. Am Muldestausee haben wir es mit einer einzigartigen Konstellation zu tun. Was macht die Anlage so besonders? Arne Gluch: Das besondere ist, dass die Fischaufstiegsanlage mit einem Tagebaurestloch und einer Talsperre eine Symbiose eingehen musste. Die strömungsorientierten Wanderfische wechseln von einem Fluss mit viel Strömung in einen Tagebau-See, in dem es faktisch kaum noch Strömung gibt. Ob sie diesen passieren, wurde vorab getestet. Die mit Sendern ausgestatteten und an der Staumauer ausgesetzten Barben kamen glücklicherweise schon nach drei Tagen wieder in ihrer Heimat 65 Kilometer oberhalb an. Weil an der Fischtreppe die Stauhöhen und Strömungsverhältnisse extrem variabel sind, haben wir viel gegrübelt und gerechnet. Die Fischtreppe musste in das angestaute Wasser hinein gebaut und die meterdicke Staumauer durchbrochen werden. Außerdem mussten Kanäle quer in das Beton-Hochwasserprofil eingelassen werden – und das alles bei dem komplizierten Kippen-Baugrund des ehemaligen Tagebaus.
Zu der Aufstiegsanlage gehört noch eine weitere Aufstiegsanlage im Einlauf des Sees. Hat das eine das andere bedingt? In diesem Fall sind wir durch unsere umfangreichen, ökohydraulischen Un-
tersuchungen und dem Fisch-Monitoring darauf gestoßen, dass wir das Wehr am Einlauf des Sees zur Sohlgleite umbauen müssen. Wir haben das Wehr in voller Flussbreite gekappt und mit Bruchsteinblöcken eine Sohlgleite gebaut. Die Fische können sie sogar bei Niedrigwasser nutzen, obwohl die Steinblöcke für die hundertmal höhere Hochwassermenge stabil bemessen wurden. Die Sohlgleite unterstützt nicht nur die Laichwanderung ausgewachsener Flussfische, sondern wird auch von Kleintieren und von StauseeArten wie dem Hecht genutzt, der zum Laichen auf überschwemmten Auenflächen den See verlässt.
Funktionieren Auf- und Abstiegsanlagen also immer nach dem Dominoprinzip? Oder meinetwegen auch wie die Perlen an einer Kette? Der Vergleich ist gut. Funktioniert auch nur eine Auf- oder Abstiegsanlagen in der Kette nicht oder nur eingeschränkt, sind die Bemühungen und Investitionen der anderen umsonst, denn die Fische müssen auf ihrem langen Weg alle Anlagen der Kette schadlos und ohne Zeitverzögerung passieren können.
Das Herzstück der Fischaufstiegsanlagen besteht aus 43 Becken, praktisch die Treppenstufen. Jede einzelne Stufe ist nur zwölf Zentimeter hoch. Warum so kleine Schritte?
Andreas Rudolf und Arne Gluch weisen mit „regelbaren Schussstrahlen“ aus Rohren den Fischen den Weg
Für einen Fisch sind zwölf Zentimeter sicher ein großer Schritt. Aber es stimmt: Dieser Höhenunterschied kommt einem Laien erst einmal ziemlich klein vor. Aber er kommt nicht von ungefähr. Diese zwölf Zentimeter garantieren eine moderate Fließgeschwindigkeit des Wassers und öffnen allen Fischen einen turbulenzarmen Wanderkorridor, in dem sie sich auch
mal ausruhen können. Schließlich dürfen auch die schwimmschwachen Arten nicht auf der Hälfte des Weges schlapp machen.
Sehr interessant ist die Gestaltung der Aufstiegsanlage am Auslauf. Da werden die Fische mit Wasserstrahlen sozusagen zur Tür gelockt. Wie kommt man darauf?
Ich sage immer: Man muss bei der Planung geistig im Wasser unterwegs sein. Wie ein Fisch. Man muss erst die verschiedenen Strömungen vorhersagen und dann wie ein Fisch darauf reagieren. Und man muss beachten, dass sie sich unterschiedlich verhalten, klein oder groß, stärker und schwächer sind. Die Justierung der Schussstrahlen in Verbindung 29
mit den Turbulenzen am Tosbecken war tatsächlich ein schweres Unterfangen. Die Tiere reagieren auf die Impulse und lassen sich leiten. Da kam uns die Natur zu Hilfe, die diese Fische mit einer ganz sensiblen Sensorik für Strömungsverhältnisse ausgestattet hat.
In einem ihrer Vorträge haben sie einmal gesagt, Anlagen wie diese waren früher Kür und sind heute Pflicht. Wie haben sie das gemeint? Ganz einfach: Während wir vor gut zwei Jahrzehnten nur im Zuge von ohnehin erforderlichen Wehr-Instandsetzungen durch das Land Fischtreppen mit eingebaut haben, verpflichten inzwischen die Wasserrahmenrichtlinie der EU und andere Gesetze zu mehr Engagement. Das gilt nicht nur für das Land, sondern beispielsweise auch für private Wasserkraftbetreiber und die Bundeswasserstraßenverwaltung. Der Mensch hat die Gewässer über Jahrzehnte verändert und dabei neben örtlichen Vorteilen auch Nachteile in Kauf genommen. Wenn Auf- oder Abstiegsanlagen für Fische gebaut werden, geht es meistens ums Überleben der Arten im gesamten Gewässersystem oder sogar global, so wie beim Aal. Der Mensch hat jetzt angefangen, die von ihm verbauten Gewässer zu sanieren und die Fischpopulationen wieder herzustellen, um sie später auch wieder wirtschaftlich nutzen zu können.
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Die Bauherren Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt & Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) Bauherren für die im Jahr 2011 vollständig in Betrieb gegangenen Fischaufstiegsanlagen am Muldestausee waren der Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt und die bundeseigene Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, kurz LMBV. Bergbau? Stausee? Fischaufstieg? Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Der Muldestausee ist ein ehemaliges Tagebaurestloch ist, das zwischen 1975 und 1976 geflutet wurde. Weil dadurch die Fischwanderung in der Mulde unterbrochen wurde, rüstete die LMBV zwischen 2008 und 2011 zwei moderne Fischaufstiegsanlagen nach. Die Gesellschaft ist seit 1994 als
Projektträgerin für die Wiedernutzbarmachung der nicht privatisierten Bergbaugebiete im Auftrag des Bundes und der Länder Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Brandenburg tätig. Der Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt hat neben der Rolle des Bauherren auch die des Betreibers übernommen. Das Unternehmen mit Sitz in Blankenburg kümmert sich landesweit um mehr als 30 Anlagen, drei davon sind Rohwasseranlagen. Kernstück ist das Talsperrensystem im Harz, zu dem auch Deutschlands höchste Talsperre – die Rappbodetalsperre – gehört. Die Talsperre am Muldestausee dient dem Hochwasserschutz, der Naherholung, der Fischerei.
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Das Mulde-Lachs-Programm Die Rückkehr eines Wanderers Der Lachs ist der „König der Fische“. Doch der vormals stolze Hüter vieler heimischer Flüsse wird heute mit einem länderübergreifenden Nothilfeprogramm in Sachsen und Sachsen-Anhalt wieder angesiedelt. Mit viel Herzblut, Aufwand und Geld. Wie lange der schuppige Wanderer noch menschlichen Beistand braucht, ist ungewiss.
Kampf um den Lachs beginnt 1994 in Sachsen Der Elbe-Nebenfluss Mulde war zwischen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts voller Lachse. Es gibt die Anekdote, dass sich Dienstmädchen in ihren Arbeitsverträgen schriftlich bestätigen ließen, mit Geld, und nicht mit Lachsen bezahlt zu werden. Der Überschuss muss immens gewesen sein. Es gab Zeiten, da wurden die Fischer den Lachs gar nicht los. Doch es kam die Industrialisierung und mit ihr kamen Wehre, Staumauern, Kanäle und Schmutz. Wo früher keine Hindernisse waren, stieß der Lachs auf seinen Wegen zu den Laichgründen an Grenzen, die er nicht überwinden konnte. Er verschwindet nahezu unbemerkt. Seit 1994 ändert sich das wieder. Sachsen bringt damals über seine Landesanstalt für Landwirtschaft ein Lachsprogramm auf den Weg. Pro Jahr investiert der Frei-
staat bis heute etwa 50 000 Euro. Im April 1995 wurden die ersten künstlich ausgebrüteten Lachseier in den ElbeNebenfluss Polenz gesetzt, drei Jahre später war der Lachs aus dem Atlantik an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt. Doch der Rückeroberung alter Lebensräume durch den Lachs standen zu diesem Zeitpunkt noch viele Hindernisse im Weg. Alles voran die Staumauer am Muldestausee. Das ist jetzt beseitigt. Der Lachs kann kommen.
Nadelöhr Stadtwehr Dessau Doch noch ist kein Lachs durch die Aufstiegsanlagen am Muldestausee geschwommen. Der Weg durch die Mulde ist für den starken Schwimmer momentan am Dessauer Stadtwehr zu Ende. Investoren planen dort den Bau einer Wasserkraftanlage. Der dringend benötigte Fischaufstieg muss der Anlagenbetreiber dann auf eigene Kosten bauen – als Ausgleichsmaßnahme. So will es der Gesetzgeber. Derzeit wird gegrübelt, was bei einem endgültigen Scheitern der Wasserkraftanlage aus der dringend benötigten Fischtreppe wird. Der Magdeburger Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft schließt nicht aus, trotzdem einen Aufstieg zu bauen. Damit die Mulde endlich in alle Richtungen für Lachs & Co. passierbar wird. Ufersicherung in der Ortslage Gatersleben 33
Aus Wasser wird Energie Zukunftsprojekt „Wasserkraftnutzung am Muldestausee“ Schon lange macht der Mensch die Kraft des Wassers für sich nutzbar. Dahinter steckt eine umweltfreundliche Energiegewinnung, die in Zeiten, in denen gern und viel mit dem Wort „Energiewende“ jongliert wird, immer bedeutungsvoller wird. Wasserkraftanlagen an Stauseen arbeiten äußerst effektiv. Die Energie des angestauten, abfließenden Wassers wird mittels einer Turbine und eines Generators zuerst in mechanische und dann in elektrische Energie umgewandelt. Auch am Muldestausee soll die Fallhöhe des Wassers bald für die Stromerzeugung genutzt werden. Die konkreten Planungen für den Bau einer Wasserkraftanlage am Muldestausee begannen im Mai 2010, erste Überlegungen gab es aber schon zehn Jahre früher. Federführend für dieses Projekt ist die TalsperrenWasserkraft Sachsen-Anhalt GmbH. Ihre Aufgabe ist die Planung, Errichtung und der Betrieb von Wasserkraftanlagen an den eigenen Stauanlagen. Sie wurde am 6. Oktober 2006 gegründet und ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt. Dazu muss man wissen: der Muldestausee ist als Talsperre klassifiziert. Entstehen soll die etwa 13 Millionen teure Anlage auf der Seite der Ortschaft Muldenstein, direkt am Auslauf. Das aus einem Krafthaus mit zwei Rohrturbinen, einem Getriebe und einem Generator bestehende Konstrukt hat noch zwei weitere entscheidende Bestand34
teile: eine Abstiegs- und Aufstiegsanlage für Fische. Am Anfang aller Überlegungen, an dieser Stelle ein Wasserkraftwerk zu errichten, standen neben der Untersuchung des Baugrunds auch gewässerökologische Gutachten. Andreas Rudolf, Sachgebietsleiter Planung und Bau beim landeseigenen Talsperrenbetrieb, kennt das Projekt aus dem Effeff. „Wir haben verschiedene Untersuchungen gemacht oder in Auftrag gegeben“, sagt er. „Ein Großteil wurde damit zugebracht, die Fischwege rund um den See wegen der Auf- und Abstiegsanlage genau zu bewerten.“ Denn: Der Bau eines Wasserkraftwerks führt daran nicht vorbei. Und das ist auch gut so. Andreas Rudolf weiß, warum. „Ein Kraftwerk hindert Fische immer daran, ein Gewässer gefahrenlos zu durchwandern. Das will in der heutigen Zeit niemand mehr. Es gibt Möglichkeiten, den Tieren den Weg in beiden Richtungen zu ebnen.“
nehmen. Er berät die Planer der TalsperrenWasserkraft Sachsen-Anhalt GmbH so früh wie möglich, um bei seiner fachtechnischen Prüfung innerhalb des Genehmigungsverfahrens möglichst wenig Änderungs- und Wiederholungsaufwand zu haben. Die Vorteile liegen auf der Hand. Auch deshalb, weil Arne Gluch zusammen mit einem FischereiSachverständigen und dem Betreiber einer Wasserkraftanlage ein System für den Fischschutz entwickelt hat. Das wird seit mehreren Jahren in einigen Wasserkraftwerken erfolgreich angewendet.
Der Muldestausee bekommt also nicht nur ein Kraftwerk mit einer prognostizierten Ausbauleistung von 2,1 Megawatt und einer Jahresarbeit von knapp 13 Gigawattstunden, sondern auch zwei weitere Fischtreppen. „Die Stromerzeugung durch Wasser ist einer der umweltfreundlichsten Methoden“, sagt Rudolf. „Wir sind darauf bedacht, dass sie auch fischfreundlich ist.“
„Wir müssen verhindern, dass die Fische im Triebwerk zerschnitten, durch Unterdruck getötet oder am Einlaufrechen zerquetscht werden“, sagt Gluch. Diesem Ziel gehen komplizierte Berechnungen voraus. Es fallen Schlagworte wie Fischgrößen, Turbinentyp und Schwimmvermögen. Kostbares Wissen und Verstehen, das wohl nur Experten vorbehalten ist. Sicher ist: Die Fische müssen mit menschlicher und technischer Hilfe um die Triebwerke herumgeleitet werden. Gluchs Herausforderung ist es, ausnahmslos eine Lösung für alle Arten und Größen zu finden. Ein positives Beispiel: An der Wasserkraftanlage Raguhn wurden 2010 bei einer Kontrolle im Abstiegsschacht 428 der im Oberlauf der Mulde angesiedelten Junglachse von nur 15 Zentimeter Körperlänge festgestellt, die auf ihrem Weg in den Atlantik schadlos am Triebwerk vorbeigekommen sind.
An dieser Stelle kommt wieder Ökohydrologe Arne Gluch ins Spiel. Er will dem geplanten Kraftwerk von Anfang an den fahlen Beigeschmack einer „Schreddermaschine“
Rudolf schätzt, dass der Bau der Wasserkraftanlage rund zwei Jahre dauern wird. Wann er beginnt, ist noch unklar. Aktuell beginnen die Genehmigungsverfahren.
Bau-Übersichtslageplan im Maßstab 1:5000
Abgrabung Bauzeitliche Zufahrt Betriebsweg neue Wasserflächen temporärer Abtrag/Auftrag
Betonflächen Zufahrt bauzeitliche Inanspruchnahme
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Š IMG Sachsen-Anhalt
Von der fieberhaften Suche nach einer Lösung für das Stadtwehr Dessau Im Flusssystem der Mulde gibt es ein „Problemwehr“ – so titeln die Medien gern. Es steht in Dessau und heißt eigentlich Stadtwehr. Das Problem ist, dass dieses Wehr für Wanderfische wie den Lachs eine Barriere ist, die sie nicht überwinden können. Ganz klar ausgedrückt ist das Stadtwehr Dessau das noch einzig verbliebene Hindernis für die Durchwanderbarkeit der Mulde in Sachsen-Anhalt. Ein bislang ungestopftes Loch in einer funktionierenden Kette von Fischtreppen, mit deren Hilfe die Fische zu ihren Laichplätzen ziehen sollen. Der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft sucht schon lange fieberhaft nach einer Lösung für das Wehr. Und man fand sie: eine Wasserkraftanlage, mit deren Bau immer auch die Errichtung von Fischtreppen verbunden ist. Will man das eine, muss man das andere tun. So ist es richtig. Doch bis heute fehlen Wasserkraftanlage und Fischtreppe. Burkhard Henning, Geschäftsführer des Landesbetriebs, erklärt, warum. „Experten haben die Wirtschaftlichkeit einer Wasserkraftanlage an diesem Standort untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass eine wirtschaftliche Nutzung der Wasserkraft hier nicht
in Aussicht steht.“ Hinzu kommt, dass die Wasserkraftanlage in einem Umfeld gebaut werden müsste, das laut einer Machbarkeitsstudie eine „hohe naturschutz- und denkmalfachliche Bedeutung“ aufweist. Eine Veränderung des Landschaftsbildes – nur einen Steinwurf vom UnescoWelterbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich entfernt – sollte sorgfältig abgewogen werden. Alles wieder auf Anfang. Henning und die Spezialisten des Landesbetriebs möchte den Fischen gern helfen. Doch dafür brauchen sie Geld. Das Umweltministerium SachsenAnhalt geht in einer Schätzung von etwa 1,4 Millionen Euro aus, die eine Fischaufstiegsanlage an diesem Standort kosten wird. Lange Gesichter bei allen Beteiligten. „Die Situation ist äußerst unbefriedigend“, sagt Henning. Er will Beinamen wie „Todesfalle“ oder „Problemwehr“ nicht mehr hören oder lesen. Die Pläne für eine Aufstiegsanlage liegen bei ihm in der Schublade. Schon lange. „Wir lassen keine Möglichkeit unversucht, für das Dessauer Stadtwehr eine Lösung zu finden“, versichert Henning. Damit kein Lachs mehr beim Sprung scheitert, notlaicht oder gar stirbt.
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Ab durch die Anlage! Aufstiegskontrolle mit gutem Ergebnis Gucken, zählen, auswerten: Von April bis Juni 2012 gab es an der Fischaufstiegsanlage am Auslauf des Muldestausees eine Aufstiegskontrolle – so will es das Gesetz und auch die Baugenehmigung. Ein Fischerei-Biologe war damit beauftragt, den Funktionsnachweis zu erbringen und die beste LeitstrahlEinstellung herzuleiten und damit die Daseinsberechtigung der Anlage zu überprüfen. Mit einem sehr guten Ergebnis: Im Kontrollzeitraum nutzten etwa 3 000 Fische die Aufstiegsanlage vom Fluss in den See. 19 Arten wurden gesichtet, am häufigsten Aland, Güster, Plötze und Ukelei. Der größte Fisch der den Fischaufstieg überwand, war ein Wels mit einer stattlichen Körperlänge von 1,20 Meter. Und wie funktioniert die Aufstiegskontrolle genau? Bereits beim Bau der Anlage wurde darauf Rücksicht genommen und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Reusen, Kran und Hälterungsbehälter sind installiert. Die in den Ausstieg zum Stausee eingesetzten Reusen wurden zweimal täglich geleert und die Fische vermessen.
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Reusenleerung Fischaufstiegskontrolle