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Die drei Stunden vor dem ersten Abschlag

Raus aus dem Auto, direkt zum ersten Abschlag und mit «Kaltstart» auf die Runde, das gibt’s nur bei Hobbygolfern. Professionals dagegen haben eine strikte Routine, mit der sie sich auf eine Turnierrunde vorbereiten. Diese Routine gehört zum fixen Arbeitstag der Tourspieler. Wir haben uns mit Barry Lane und André Bossert über das Thema unterhalten.

Wie Profis es einschätzen, nehmen sich auch Hobbygolfer mit höheren Handicaps heute mehr Zeit, um eine Turnierrunde einigermassen seriös vorzubereiten. Dies gelte besonders für ältere, pensionierte Spieler. Trotzdem sind die Golfer, die den letzten Stunden vor dem ersten Abschlag keine Bedeutung beimessen, weiterhin in Scharen anzutreffen.

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Die Stunden vor dem Abschlag beim Clubturnier

Unser fiktiver Golfer heisst Brutus Klötzli. Handicap 24,0. Er unternimmt alles, um das Handicap zu senken. Er meldet sich für alle möglichen handicapwirksamen Turniere an, aber das angestrebte Handicap 22,7 will nie aufscheinen. Gerade heute nimmt Klötzli einen neuen Anlauf. Sonderegger-Trophy, Startzeit 9 Uhr. Wie verbringt Brutus Klötzli die letzten drei Stunden vor dem Turnier? Um 7.45 Uhr rasselt der Wecker. Duschen, Zähneputzen, ein Blick in den E-Mail-Account, zwei Mails beantworten. Golftasche und Golfschuhe sind schon im Kofferraum, zusammen mit dem Kleidersatz für den gemütlichen Teil des Tages. Um 8.25 Uhr ist er im Club. Scorekarte abholen und ab an die Bar zu Kaffee und Gipfeli. Fürs Einschlagen auf der Driving Range hat Klötzli zehn Minuten eingeplant. In der Süssigkeiten-Box auf der Theke liegt eine Nussstange, deshalb lässt er das Einspielen bleiben. Für diesmal wenigstens. Für ein paar Versuche auf dem Putting Green würde die Zeit noch reichen. Aber wozu? Putten kann man ja schliesslich schon – und meistens ist es sowieso eine Glückssache. Also schreitet Brutus Klötzli direkt zum Kaltstart. In der Hoffnung, dass er heute endlich unterspielt.

Die Stunden vor dem Abschlag beim Legends-Tour-Event

Wie könnte man in unserem Beispiel die drei Stunden von 6 Uhr bis 9 Uhr nutzen? Wie füllt ein gestandener Professional die Zeit aus? Wir sprachen darüber mit Barry Lane, einem renommierten Dauergast am Swiss Seniors Open. Der 61-jährige Engländer, früherer RyderCup-Spieler und unter anderem Gewinner des European Masters 1993 in Crans-sur-Sierre, hat seine eigene, relativ fixe Routine. In 

Die Turniervorbereitung beginnt für André Bossert (rechts) am Vorabend mit dem Studium des Wetterberichts, bei Barry Lane (links und rechte Seite) klingelt der Wecker am Turniertag morgens um sechs.

Einzelheiten wird sie sich von den Gepflogenheiten anderer Pros unterscheiden. Was jedoch allen eigen ist: Sie bereiten sich seriös auf den ersten Abschlag vor.

Während Brutus Klötzli gerade seinen zweitletzten Traum träumt, klingelt bei Barry Lane um 6 Uhr der Wecker. Die Vorbereitung kann er nur dann in drei Stunden abwickeln, wenn am Spielort alles Wichtige wie Hotel, Driving Range, Clubhaus, Putting Green, Chipping Zone und erster Abschlag nahe beieinanderliegen, wie es in Bad Ragaz der Fall ist. Am European Masters in Crans-surSierre hatte Lane wegen der weiteren Wege – die Driving Range wähnt man dort in einem anderen Kanton – am Morgen jeweils mehr Zeit einberechnen müssen.

In Bad Ragaz aber reichen ihm drei Stunden für alle Programmpunkte. Nach dem Aufstehen absolviert Lane den ersten kurzen Fitnessteil – lockern, wach werden. Eine adäquate Ernährung ist für den Pro wichtig. Die fängt beim Frühstück an. Barry Lane hält sich natürlich an das Angebot, das sich von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent unterscheidet. Aber er findet immer einiges, das er mag und ihm

guttut. Der Playing Professional achtet besonders auf Kohlenhydrate und Proteine. Einen Kohlenhydrat-Drink hat fast jeder Tour Pro später auf der Runde dabei.

In unserem Beispiel von Bad Ragaz ist Barry Lane mit etwas zeitlichem Abstand zum Frühstück dann im Fitnessraum anzutreffen. Die kurze Zeit auf dem Hometrainer verbessert nicht die Kondition, aber sie ist der Beginn eines Warm-ups. Gelenke, Bänder, Sehnen wollen gelockert werden. Das Warm-up der Muskeln läuft von unten nach oben. Die ganze Session kann gegen eine halbe Stunde dauern.

Das Standard-Programm auf der Driving Range wickelt Lane von den Wedges bis zum Driver ab, also von den kurzen zu den langen Schlägern. Danach bleibt ihm noch Zeit fürs Putten und Chippen. Punkt 8.55 Uhr meldet sich Barry Lane beim Starter. Er ist – ganz anders als Brutus Klötzli – bereit für einen Warmstart.

«Der mentale Teil der Vorbereitung findet jeweils schon am Vorabend statt.»

Im Kopf beginnt das Turnier am Vorabend

Und wo bleibt an dem durchprogrammierten Morgen die im Golf vielbeschworene mentale Vorbereitung? Hier gibt uns André Bossert bereitwillig Auskunft: Der mentale Teil der Vorbereitung findet jeweils schon am Vorabend statt. Seit geraumer Zeit erhalten die Professionals die Informationen zu den Fahnenpositionen bereits am Abend. So kann sich jeder seinen persönlichen Game-Plan zurechtlegen. Diesen muss er nur noch mit dem Wetter abstimmen. Ob Föhn, Bise oder Südwestwind – für die Schlägerwahl an den einzelnen Löchern kann dies grosse Unterschiede ausmachen. André Bossert nimmt sich sein Spiel vor, bevor er ins Bett geht. Nach dem Aufstehen muss er sich nur noch vergewissern, ob tatsächlich die Bise weht. Und nicht etwa der Föhn. 

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