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70 Jahre Bărăgandeportation, Werner Gilde
Gedenkveranstaltung 70 Jahre Bărăgandeportation Ansprache von Werner Gilde
Wir haben uns hier versammelt, um einen Kranz niederzulegen und an die grauenvolle Zeit der Bărăgan Deportation zu erinnern.
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Der Höhepunkt der kommunistischen Repressalien in Rumänien wurde mit der Bărăgan Deportation im Juni 1951 erreicht. Unter dem Vorwand der Bedrohung Rumäniens durch den jugoslawischen Diktator Tito, der aus der von den Sowjets beherrschten kommunistischen Einheitsfront ausgeschert war, wurden in der Grenzzone zu Jugoslawien auf einer Breite von 25-35 km 12.791 Familien mit über 40.300 Menschen deportiert.
Die Deportation erfolgte auf den Beschluss Nr. 344/ 15. März 1951 des Ministerrates der Rumänischen Volksrepublik. Hauptinitiatoren waren zwei der führenden RKP Leute: Ana Pauker, damals Außenministerin, und Teohari Georgescu als Innenminister.
Mehr als die Hälfte der Verschleppten gehörte zur deutschen Minderheit in Rumänien, sprich zu den Banater Schwaben. Es waren am 18. Juni auf den Tag genau 70 Jahre her, seit in meinem Geburtsort Billed 529 Personen deportiert wurden. 59 Billeder fanden dort ihre letzte Ruhestätte. Von meiner Familie waren 26 davon betroffen. Im Bărăgan hat man 4 Familienmitglieder zu Grabe getragen.
Ich persönlich bin erst 1960 geboren. Ich spreche aber trotzdem hier an dieser Stelle über das Unrecht, das meiner ganzen Familie angetan wurde. Ich bedanke mich bei Ansprache von Werner Gilde anlässlich der Gedenkveranstaltung am 18. Juni in Mannheim
meinen Großeltern und Eltern für die Auskunft und den privaten Geschichtsunterricht, den ich von ihnen erhalten habe.
Schon Tage vor dem 18. Juni hat man sich im Dorf gefragt, was denn die große Zahl von Viehwagons am Billeder Bahnhof soll. Es wurde gerätselt und gemunkelt. Keiner wusste Bescheid.
Am Sonntag, den 17. Juni gab es das jährliche Fest in der Dorfschule, bei welchem feierlich die Zeugnisse ausgehändigt wurden und die Kinder in die wohlverdienten Ferien entlassen wurden.
Barbara Lenhardt, damals 14 Jahre alt, war dabei, da für sie ein neuer Lebensabschnitt hätte beginnen sollen. Sie wollte die Oberstufe des Gymnasiums in Temeswar besuchen, um anschließend Sport und Mathematik zu studieren. Als man ihr das gute Zeugnis aushändigte, konnte sie noch nicht wissen, dass ihr Lebenstraum schon am darauffolgenden Tag eine ganz andere Wendung nehmen würde.
Im Hause Gilde wurde gehofft, dass bei einer erneuten Deportation, dann wenigstens die ganze Familie betroffen ist. Vor sechs Jahren, im Januar 1945, wurde ihr Mann Friedrich und mein Onkel Nikolaus für fünf Jahre als Zwangsarbeiter nach Russland deportiert. Hier sprechen wir von 80.000 Personen der deutschen Minderheit in Rumänien zugehörig.
Meine Oma, die sich auf ihren 44. Geburtstag gefreut hatte, wusste an diesem Sonntag noch nicht, dass sie diesen am Bahnhof in Billed verbringen wird. Irgendwie fand meine Oma keinen Schlaf und hat nachts am Schlafzimmerfenster auf die Straße geschaut. Sie konnte einige Häuser entfernt eine Gruppe Menschen sehen, die mit einer Taschenlampe die Hausnummer anleuchteten. Es hat auch nicht mehr lange gedauert, bis mit dem Gewehrkolben ein Soldat an ihre Haustür klopfte. Es mussten alle im Haus Anwesenden antreten und ihre Namen wurden vorgelesen. Man hat ihnen gesagt, dass sie zwei Stunden Zeit hätten, um Nötiges zu packen. Ein schönes Geburtstagsgeschenk, das sie zeitlebens nie vergessen hat. Barbara Lenhardt erreichte zusammen mit ihrer Familie nach einer langen Reise in einem Viehwagon, zusammengepfercht mit Hausrat und Tieren, den Ort Fetesti. Von hier wurden sie auf ein noch nicht abgeerntetes Baumwollfeld gebracht und jeder Familie wurde ihr Hausplatz zugewiesen. Barbara Lenhardt hatte ihren Traum noch nicht aufgegeben und erfahren, dass man am Bahnhof in Fetesti eine Prüfung ablegen kann für weiterführende Schulen. Sie hat mit anderen Jugendlichen diese Prüfung gemacht. Als sie aber die Ergebnisse erhielten, stand dort, dass die Kinder von Deportierten keine weiterführenden Schulen besuchen dürfen. Nun war ihr schulischer Lebensweg vorbei. Nach dem Hausbau hat Barbara zusammen mit ihrer Schwester und dem Vater beim Aufbau von einem Wasserschutzdamm an der Borcea gearbeitet. Mit Pferd und Wagen wurde Erde von einem zugewiesenen Ort abgegraben, aufgeladen und beim neuen Deich abgeladen. Im Winter war diese Arbeit nicht möglich, so hat Familie Lenhardt Schilfmatten für verschiedene Anwendungen gewebt.
Bei der Bäuerin Magdalena Gilde war die Fahrt in den Bărăgan durch ein tragisches Ereignis für kurze Zeit gestoppt. Da der Zug mit den Viehwagons eine Überlänge hatte, hat ein Wechselwärter die Gleiswechsel vorzeitig umgelegt, so dass der hintere Teil mit einigen Waggons entgleiste. Wilhelm Weber wurde durch die offene Waggontür herausgeschleudert und lag von einem Waggon am Arm eingeklemmt auf dem Boden. Man wollte ihm den Arm abtrennen, aber in letzter Minute wurde er mit einem Eisenbahnwagenheber aus seiner Lage befreit und in ein Krankenhaus gebracht, von wo er nach seiner Genesung zur Familie nach Dâlga kam.
74 Magdalena Gilde hat im Bărăgan als Tagelöhnerin auf einer Staatsfarm gearbeitet und sich um ihre Schwiegereltern und Haushalt gekümmert. Ihr Mann hat als Fuhrmann bei dieser Staatsfarm gearbeitet. Der Sohn hat, nachdem das Haus fertig gebaut war, erfahren, dass man trotz DO-Stempel (domiciliu obligatoriu) im Ausweis am Donau Schwarzmeerkanal arbeiten kann und gutes Geld verdient. Er hat bis zu seiner Einberufung zum Militär dort gearbeitet.
Was vielleicht noch zu erwähnen wäre, ist, dass die Leute sich am Anfang über die Einheimischen gewundert haben, die immer im Trab mit ihren Fuhrwerken durch die neuen Siedlungen fuhren. Erst später kam heraus, dass man ihnen gesagt hat, diese neuen Siedler seien alle Verbrecher. Als sie aber sahen, wie fleißig die Leute sind und was in den Hausgärten so alles geerntet wurde, hat sich das Blatt schnell gewendet. So mancher Banater Schwabe wurde sogar gefragt, um das Schwein bei einheimischen Familien nach Banater Art zu schlachten und zuzubereiten.
Das war nun eine kurze Schilderung von meiner Familie und ihrer Zeit im Bărăgan. Die aber sicherlich stellvertretend für viele Schicksale zu sehen ist. So wie meiner Familie erging es vielen Bărăgan-Deportierten.
Die Ausgehobenen wurden mit Familie, spärlichem Hab und Gut, in Güterwaggons unter Bewachung von Miliz und Militär in den Bărăgan, in die trostlose Steppe an der Unteren Donau, transportiert. Man setzte die verschreckten, entkräfteten
Menschen einfach auf den Feldern aus. Angesiedelt wurden die Verschleppten mit ihren Familien im Gebiet der Landeskreise Calarasi, Ialomita, Braila und Galatz. Hier bauten die Verschleppten 18 Dörfer auf: Latesti, Pelican, Ezerul, Dalga, Dropia, Bumbacari, Valea Viilor, Brates, Rachitoasa, Valaea Calmatuiului, Salcami, Viisoara, Fundata, Movila Galdaului, Olaru, Schei, Mazareni, Zagna.
Im ersten der qualvollen, für die Banater unheimlichen Bărăganwinter hausten die neuen Steppenbewohner notfalls in Erdlöchern, die mit Schilf zugedeckt waren, später entstanden dann die aus Lehm gestampften Hütten, ebenfalls mit Schilfdächern. Alle Verschleppten waren an die schweren, langen Winter, mit haushohem Schnee, an den Dauerfrost und an die starken Schneestürme (crivat) nicht gewöhnt. Zu den lebenswichtigen Dingen gehörte außer den Lehmhütten noch die Erschließung eines Brunnens. Die Deportierten durften sich nur in einem Umkreis von 15 Kilometern vom Wohnort bewegen. Besuch von auswärts war strengstens verboten. Die Deportierten waren unter dem Status des Zwangsaufenthalts (in ihren Personalausweisen über dem Lichtbild mit D.O. (domiciliu obligatoriu) vermerkt in der Landwirtschaft, auf dem Bau, in kleinen Handwerksbetrieben, bei Entwässerungsarbeiten tätig. Etwa 1600 Deportierte fanden ihr Grab in der Bărăgansteppe, 629 davon waren Deutsche. Die zurückgelassenen Siedlungen wurden zum Großteil von den rumänischen Behörden zerstört.
Ich möchte an dieser Stelle das Gedicht von Mathias Kandler vortragen:
Bărăganfriedhof
Sollscht du mol uf Giurgeni kumme, net such der Oma ihre Grab.
Ke Friedhof meh, ke Kreiz, ke Blume, Nor windverwehtes Kukruzlaab.
For sie war ke Glockeleite. Jetzt noch ke Ruh in der Erd. Bet mei Kind e Vaterunser, Unser Omas sin des wert.
Such net no Gräwer, net no Hiwle, Du finscht nix meh im Bărăgan. Verdort sin Ros` un Tulpezwiewle, Geblieb is Leed, aus Menschewahn.
Im Zusammenhang mit der Aufnahme Rumäniens in die Vereinten Nationen 1956 durften die Deportierten auf eigene Kosten in ihre Heimat zurückkehren. Zurück in der Heimat mussten sie wieder bittere Erkenntnis ziehen. Ihre Felder waren enteignet, in den Häusern waren Zugewanderte einquartiert, sie selbst wurden einfach in die Kollektivwirtschaft als Mitglieder aufgenommen. Mit den Großbauern wurde anders verfahren, diese wurden erst nach weiteren 10 Jahren Bărăgan, 1964 entlassen.
Zu den bekanntesten Persönlichkeiten aus den Reihen der Rumäniendeutschen, die während der Bărăgan Verschleppung geboren wurden, zählen bekanntlich Horst Samson und Gerhard Ortinau, zwei Banater deutsche Schriftsteller: Horst Samson wurde 1954 im Dorf Salcâmi geboren, wo seine Eltern und Großeltern, aus Albrechtsflor stammend, deportiert waren. Gerhard Ortinau wurde 1953 in Borcea, Kreis Calarasi geboren, seine Familie kehrte 1956 ins Heimatdorf Sackelhausen zurück. Erst nach der Wende, 1990, konnte in Temeswar die Stiftung „Vereinigung der ehemaligen Bărăgan-Deportierten“ gegründet werden, die sich seither kontinuierlich um die Erforschung der Ereignisse, um das Gedenken an die Deportation, um die Wiedergutmachung des Unrechts, die Entschädigungen und die anstehenden Rechte der Verschleppten kümmert.
Nach der Wende wurden sowohl in Rumänien als auch hier in Deutschland viele Bücher und Berichte veröffentlicht. Auch dieses Jahr in den letzten Ausgaben der Banater Post. Unser Billeder Heimatforscher und Betroffener Wilhelm Weber hat auch mit seinem Buch dazu beigetragen.
Die Dokumentation über die Deportation in die Bărăgan-Steppe Rumäniens wurde von Wilhelm Weber aufwendig und akribisch bis in kleinste Details recherchiert. Zahlreiche Zeitdokumente, Karten, Tabellen und Fotos, dargestellt auf 399 Seiten, sozusagen eine Anatomie dieser beispiellosen kommunistischen Säuberungsaktion im Rumänien der Jahre 1951-1956. Briefe, Erlebnisberichte und selbst Ministerialbeschlüsse aus jener Zeit des Stalinismus erinnern auch an Werke von Franz Kafka, dem Albtraum-Erzähler aus dem vergangenen Jahrhundert. „Und über uns der blaue endlose Himmel“ von Wilhelm Weber ist 1998 im Eigenverlag der Landsmannschaft der Banater Schwaben erschienen und war schnell vergriffen. Daher hat die Heimatgemeinschaft der Billeder mit dem Einverständnis des Herausgebers sowie des Autors beschlossen, diese erschütternde Dokumentation im Netz zugänglich zu machen. In einer Widmung schreibt unser Landsmannn und Heimatforscher Wilhelm Weber:
76 „Wir Betroffene der Bărăgan-Deportation müssen dafür sorgen, dass auch unsere Nachkommen über dieses uns zugefügte Leid und Unrecht Bescheid wissen“.
Was aber auch erwähnt werden soll, ist Folgendes: Rumänien hat nicht nur das Unrecht anerkannt, sondern den Betroffenen eine finanzielle Entschädigung anerkannt. Das gilt bis heute, kürzlich erst wurde sie auf die Kinder der politisch Verfolgten ausgedehnt, sofern die Eltern gestorben sind. Damit hat das Land eine Ausnahmestellung erreicht, wenn man Vergleiche mit anderen Staaten in Südost- oder Mitteleuropa anstellt, die ihre deutsche Minderheit nach dem Krieg oft noch wesentlich schlechter behandelt haben.
Gebe Gott, dass die Menschheit aus den grausamen Ereignissen des 20. Jahrhunderts etwas gelernt hat und sich solche menschenunwürdige Taten nicht wiederholen.
Abbildung
Deportierte in Brateș, Aufnahme von Ing. Johann Pierre