Greenpeace Switzerland Magazin 2/2014 DE

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DOSSIER: Sport und Umwelt S. 11 Super-GAU im Bienenstock S. 42 Mayak: neue Erfolge S. 56

— Öko-Boom in der Sportartikelbranche S. 11

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C OVE R: © C ORTI S & SO NDEREG GE R

Editorial — «Der Preis des Erfolgs ist Hingabe, harte Arbeit und unablässiger Einsatz für das, was man erreichen will», sagte Frank Lloyd Wright, der amerikanische Stararchitekt des Guggenheim-Museums in New York. Diese Haltung lebt auch Greenpeace. Zielstrebig verfolgen wir unsere Projekte, die uns immer wieder Erfolge bescheren. Dazu braucht es Leidenschaft und – noch wichtiger – einen langen Atem. Den brauchen wir zurzeit gerade in der Arktis: Die 30 Aktivisten, die bei einer Aktion gegen eine Bohrinsel von Gazprom monatelang im Gefängnis sassen, sind zwar längst wieder frei – aber unser Schiff, die Arctic Sunrise, ist immer noch in russischem Gewahrsam. Gazprom hat im Dezember begonnen, Öl in der Arktis zu fördern: Auch das ist ein Rückschlag. Der Kampf geht also weiter. Greenpeace gibt nicht auf. Dass sich Hartnäckigkeit lohnt, zeigt unser Kampf im Fall des weltweit grössten Palmölproduzenten Wilmar. Jahrelange Verhandlungen haben dazu geführt, dass Wilmar nur noch Palmöl vertreibt, das nicht aus illegal gerodetem Regenwald stammt. Das Einlenken des Palmölriesen entstand durch den Druck der von Greenpeace mobilisierten Öffentlichkeit und der Abnehmerfirmen von Wilmar, die ebenfalls im Visier von Greenpeace standen. Langer Atem, Leidenschaft, Hartnäckigkeit: Das sind Qualitäten, die auch zum Sport gehören. Aber nicht allein deshalb widmen wir unseren Schwerpunkt (ab Seite 11) diesmal der «schönsten Nebensache der Welt» – um eine Umschreibung für den Fussball auf alle Disziplinen auszudehnen. Wie grün ist der Sport? Diese Frage lässt sich nicht generell beantworten. Sport hat auch seine hässlichen Seiten – nicht nur ökologisch gesehen (S. 14 und 38). Sport kann allerdings auch ein Motivator und Multiplikator sein, wenn es darum geht, den Menschen ökologische Werte und die Freude an der Natur näherzubringen. Das kann in US-Stadien geschehen (S. 16), auf Wanderschaften durch die Stadt (S. 29) oder durch eine nachhaltige Sportartikelindustrie (S. 24). Die Verbindung von Natur und Sport beschreibt die Gigathletin Nina Brenn eindrücklich in einem Interview (S. 34). Auch hier zeigt sich: Ausdauer, Leidenschaft und ein langer Atem bringen uns ans Ziel. Die Redaktion


Schwerpunkt

ab Seite 11

Sport als Umwelt-Motivator Zahlen und Fakten aus der Welt des Sports

14 + 38

Reportage

16

Hintergrund

24

Essay

29

Interview

34

Amerikanische Sportvereine bringen Fans zum Umdenken Die Sportartikelbranche reagiert auf den Öko-Trend Stadtwandern — umweltverträglich und autark

INHALT

Gigathlon-Athletin Nina Brenn über das verantwortungsvolle Konsumieren der Natur Bienen

Mit der Königin auf Du: Die Höhen und Tiefen eines Jungimkers

42

Axpo stoppt Uranbezüge aus Majak: Der Weg zum Kampagnen-Erfolg

56

Great Bear Forest in Kanada: Nach dem Abholzstopp erobert sich die Natur den Regenwald zurück

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Atom

Regenwald

Palmöl DER PALMÖL-GIGANT WILMAR VER PFLICHTET SICH ZUR UMWELTVER TR ÄGLICHEN PRODUKTION

Der Link (Die Karte) DIE WELT ALS GEMÄLDE

In Aktion Chefsache Impressum 62 Kampagnen-News In Kürze Öko-Rätsel 40

Fotostory MANTA R AY OF HOPE

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Giftfreie Kleider Zum Start der Modewoche in Mailand haben GreenpeaceAktivisten in der Einkaufsgalerie Vittorio Emanuele ein 100 Quadratmeter grosses Transparent gehisst. Greenpeace verlangt von den Modedesignern, nur noch Textilien ohne gefährliche Chemikalien zu verwenden. Mailand, 19. Februar 2014

Š F RAN CES C O A L ES I / G R EEN P EAC E



Deutlicher Protest Der Konsumgütermulti Procter & Gamble arbeitet mit indonesischen Palmölproduzenten zusammen, die den Regenwald gefährden. Mit Bannern am Hauptsitz des Konzerns weist Greenpeace darauf hin, dass der Lebensraum von Tigern und Orang-Utans vernichtet wird. Cincinnati, USA, 4. März 2014

© DAVID S O RC HER / G R EEN P EAC E


Auff채llige Mahnung Greenpeace-Aktivisten haben in Budapest ein Protestzeichen gegen den Ausbau des AKW Paks gesetzt. Mit russischer Hilfe sollen zwei neue Reaktoren gebaut werden. Die beiden existierenden, die seit den achtziger Jahren in Betrieb sind, werden 2037 stillgelegt. Die Opposition k채mpft gegen das Projekt. Budapest, 30. Januar 2014


© BEN CE JA R DA N Y / G R EEN P EAC E



Hausbesuch Rund 100 Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten aus sechs Ländern protestieren gegen den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Beznau im Kanton Aargau. Sie fordern die sofortige Stilllegung des ältesten AKWs der Welt, das mit seiner komplett überholten Bauweise die Bevölkerung gefährdet. Beznau, 5. März 2014

© GREENP EAC E / EX-P R ES S / M I C HA E L W Ü RTE NB E RG


WIR SCHAFFEN RAUM

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Siedlung ist nicht verlorener Raum, sondern wurde überdeckt und dient schon bald – mit viel Grünfläche – als öffentlicher Erholungsraum. Die Schweiz hat ein Problem mit dem Raum. Der Pro-Kopf-Verbrauch in Sachen Wohnfläche oder Mobilität ist über die letzten Jahre deutlich stärker gewachsen als die Bevölkerungszahl: Wir wollen immer mehr. Die ungenügende Raumplanung und der Systemzwang zu immer mehr Wachstum werfen unübersehbar ihre Schatten: Im Wirtschaftsliberalismus scheuen wir Einschränkungen. Mit unserem Umzug setzen wir einen Kontrapunkt. Wir verzichten auf Büroraum – und freuen uns darauf: auf vertieften Austausch, mehr Begegnungen und spontane Ideen! Eindimensionale Antworten auf das Raumproblem werden den Ursachen nicht gerecht. Mehrdimensionale Lösungen wie eine grüne Wirtschaft oder eine ökologische Steuerreform sind aufwändiger, aber auch nachhaltiger. Sobald wir unsere sieben Sachen in der Kalkbreite wieder ausgepackt haben, arbeiten wir weiter. Auch daran.

Herausgeberin/ Redaktionsadresse: Greenpeace Schweiz Heinrichstrasse 147 Postfach 8031 Zürich Telefon 044 447 41 41 Fax 044 447 41 99 redaktion@greenpeace.ch, www.greenpeace.ch Adressänderungen unter: suse.ch@greenpeace.org Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, Hina Struever, Roland Falk Autoren: Verena Ahne, Esther Banz, Wolfgang Hassenstein, René P. Moor, Mathias Plüss, Samuel Schlaefli, Jürgen Schmieder, Markus Tischer Fotografen: Cortis & Sonderegger, Paul Hilton, Oliver Salge, Douglas Seifert Illustrationen: Janine Wiget Gestaltung: Hubertus Design Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Papier Umschlag und Inhalt: 100% Recycling Druckauflage: d 108 500, f 22 500 Erscheinungsweise: viermal jährlich Das Magazin Greenpeace geht an alle Mitglieder (Jahresbeitrag ab Fr. 72.–). Es kann Meinungen enthalten, die nicht mit offiziellen Greenpeace-Positionen übereinstimmen. Der Lesbarkeit zuliebe sehen wir davon ab, konsequent die männliche und die weibliche Form zu verwenden. Die männliche Form bezieht daher die weibliche Form mit ein – und umgekehrt. Spenden: Postkonto 80-6222-8

Markus Allemann und Verena Mühlberger Co-Geschäftsleitung

Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spenden SMS-Spenden: Keyword GP und Betrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.–: «GP 10» an 488) © GREE NPEACE

CHEFSACHE

Ende Juni packen wir unsere sieben Sachen und ziehen aus. Nein, das ist nicht die Konsequenz aus dem Abstimmungsresultat zur Masseneinwanderungsinitiative – und auch nicht die Flucht vor der zögerlichen Haltung der Bundesparlamentarier gegenüber einem Abschaltdatum unserer alten Atomreaktoren. Wir bleiben dran, und wir bleiben im Land! Doch schon bald werden wir kein eigenes Pult mehr haben. In unseren neuen Büros in der Kalkbreite machen wir sozusagen Ernst mit dem freien Personenverkehr: Alle Mitarbeitenden müssen sich von nun an ihren Arbeitsplatz jeden Tag selber suchen. So sparen wir Platz, denn wir haben bewusst zu wenig Pulte eingeplant. Im Sinn der Zweitwohnungsinitiative ist es künftig nicht mehr möglich, den eigenen Stuhl warmzuhalten, wenn man abwesend ist. Wichtig zu wissen: Unsere Mitarbeitenden haben diese Lösung selber gewählt, denn Energieeffizienz und Nachhaltigkeit liegen ihnen am Herzen, und wir sparen so obendrein auch noch Miete – Ressourcen für noch mehr Engagement in der Schweiz und auf der Welt. Die Genossenschaft Kalkbreite, bei der wir unsere zwei Büroräume mieten werden, setzt in Sachen Wohnen und Arbeiten neue Massstäbe. Wer hier wohnt, beschränkt sich auf 35 Quadratmeter Fläche (Durchschnitt in Zürich: 41 m2). Dafür können alle, auch die BüromieterInnen, die grosszügigen Gemeinschaftsräume nutzen. Die BewohnerInnen müssen auf das Halten eines Privatwagens verzichten und auch dem Gewerbe steht kein Parkplatz für Autos zur Verfügung. 300 Veloabstellplätze und die Anbindung an Zug, Bus und Tram ermöglichen eine umweltgerechte Mobilität. Das Tramdepot im Zentrum der

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Schwerpunkt — Sport und Umwelt Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

S P O R T

ist für viele Leidenschaft und Philosophie. Dass er zudem eine ökologische Vorbildfunktion haben kann, beweisen unter anderem Football-Clubs in den USA, die ihre Stadien nach fortschrittlichsten Kriterien ausrüsten. Oder Stadtwanderer, die ihrer Passion frei von jeder umweltbelastenden Technologie frönen. Und jene pionierhaften Sportartikelhersteller, die in ihrer Produktion auf Giftstoffe verzichten. Sie alle können dazu beitragen, dass eine breite Masse zu Höchstleistungen in Sachen Nachhaltigkeit animiert wird.


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Schwerpunkt — Sport und Umwelt

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14 / 15 Zahlen und Fakten Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

Um als Zuschauer an einen Sportanlass zu fahren, benützen 55 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer das Auto oder den Töff. Wenn sie selber Sport machen, brauchen immer noch 43 Prozent der Leute ein Auto, um an den Ort der Ausübung zu gelangen. Rund 5 bis 7 Prozent des CO2-Ausstosses durch Verkehr in der Schweiz entfällt auf den sogenannten Sportverkehr. In der Formel 1 gelten ab 2014 neue Regeln, die den Sport ökologischer machen sollen: Statt wie bisher rund 70 dürfen die Rennwagen jetzt nur noch etwa 45 Liter Benzin pro hundert Kilometer verbrauchen. Nach der Fussball-WM und den Olympischen Spielen ist die Tour de France der drittgrösste Sportanlass der Welt. An der Tour 2013 gab es 198 Teilnehmer und 1600 Begleitfahrzeuge — pro Velo fuhren also acht Autos und Töffs mit. Der grösste ökologische Schaden entsteht aber durch das Publikum: An eine Etappe kommen bis zu einer halben Million Zuschauer, an manchen Tagen bleiben zwanzig Tonnen Abfall liegen. Der Mount Everest gilt als «höchste Müllkippe der Welt». Trotz grosser Putzaktionen liegen immer noch etwa 50 Tonnen Abfall am Berg, die Expeditionen zurückgelassen haben. Die Olympischen Sommerspiele in London 2012 sollten «die grünsten Spiele aller Zeiten» werden. Tatsächlich hat man einige Gebäude energieeffizient erstellt. Trotzdem wurden etwa 3,4 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen — je zur Hälfte durch die Zuschauer und durch die Bautätigkeit. Das entspricht etwa einem Zehntel des jährlichen Gesamtausstosses der Schweiz.


Ein einziger Surfer in der Mitte eines kleinen Sees (etwa von der Grösse des Luzerner Rotsees) kann genügen, um die allermeisten Vögel von der Wasseroberfläche und vom Ufer zu vertreiben. Für die Vogelwelt noch fataler ist die Trendsportart Kitesurfen: Dabei wird der Surfer von einer Art Drachensegel in der Luft — und oft auch in die Luft — gezogen. Je nach Windverhältnissen flattert das Segel dicht über Rast- und Brutflächen. Etwa zwei Millionen Menschen in der Schweiz wandern, eine Million joggt, und eine halbe Million betreibt Nordic Walking. Jährlich werden schätzungsweise 650 000 Paar Laufschuhe verkauft. In der Saison 2012/13 wurden in der Schweiz etwa 276 000 Paar Ski und 37 000 Snowboards verkauft. Gegenüber der Jahrtausendwende bedeutet das einen Rückgang von etwa einem Viertel (Ski) respektive zwei Dritteln (Snowboards). Viele sind auf ökologisch sinnvollere Mietskis umgestiegen. In Dubai, einer der heissesten Städte der Welt, kann man Ski fahren: in einer Skihalle, in der jede Nacht 20 Tonnen Neuschnee produziert werden. Die Temperaturdifferenz zwischen der kalten Halle und der heissen Aussenwelt beträgt manchmal mehr als 50 Grad. Der Energieverbrauch für die Kühlung ist enorm — aber immer noch viel kleiner als jener der vielen tausend Besucher, die mit dem Flugzeug anreisen. An der Fussball-EM 2008 in Österreich und der Schweiz wurden rund 900 Tonnen Abfall produziert.

Zusammengestellt von Mathias Plüss


© C ORTIS & SONDEREG GER

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Reportage

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Sportlicher Multiplikator Weil es der amerikanischen Politik nicht gelingt, die Menschen für den Umweltschutz zu sensibilisieren, übernehmen das andere Organisationen. Vor allem professionelle Sportvereine engagieren sich als Retter des Planeten. Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Fotografen (Schwerpunkt) Adrian Sonderegger ( * 1980 ) und Jojakim Cortis ( * 1978 ) haben an der Zürcher Hochschule der Künste Fotografie studiert und arbeiten seit 2006 als Duo. In ihren vorwiegend redaktionellen Arbeiten kreieren sie eigene Bildwelten: Oft sind es mit grossem Aufwand hergestellte, bühnenbildartige Szenerien, in denen Realität und Fiktion verschmelzen. www.ohnetitel.ch Alle Fotomodelle sind Greenpeace Mitarbeitende

s gibt Orte, an denen selbst ein mit permanenter Reizüberflutung vertrautes Gehirn Schwierigkeiten hat, alle Eindrücke zu verarbeiten. Das Staples Center ist so ein Ort, diese monströse Arena mitten in Los Angeles. Die Lakers spielen an diesem Abend gegen die Indiana Pacers, es riecht nach Schweiss, Bier und Käsesauce. Mark Wahlberg ist da, Ashton Kutcher auch, und natürlich Jack Nicholson. Der schimpft gerade auf die Schiedsrichter und die Spieler der Lakers. Aus den Lautsprechern dröhnt Musik, die Zuschauer johlen, weil gerade ein älteres Paar auf der gigantischen Videoleinwand zum Knutschen aufgefordert wird. Irgendwo weint ein Kind. In solchen Momenten lohnt es bisweilen, auf Dinge zu achten, die nicht da sind. Wer sich auf die Männertoilette zurückzieht, dem fällt auf, dass in den Pissoirs kein Wasser fliesst. Die Betreiber der Arena haben vor sechs Jahren 178 Urinale ausgetauscht und eine wasserlose Technologie installiert: Mehr als 26 Millionen Liter Wasser werden dabei pro Jahr gespart. Was ebenfalls fehlt: Becher, die man nach dem Genuss des Getränks in eine Mülltonne wirft. Man gibt sie zurück. Es fehlen auch die in den USA bisweilen üblichen überdimensionierten Restmüllbehälter. Hier im Staples Center wird der Müll getrennt, im Presseraum gibt es nur eine Tonne für wiederverwertbaren Abfall.


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Die reicht, weil hier keine Materialien wurde, weil sie den kalifornischen Lifestyle verwendet werden, die man in einen Behälter (mit dem Auto Essen holen) gar wunderbar mit der Aufschrift «Restmüll» werfen könnte. repräsentiert. Und als eine, deren CO2Ausstoss laut einer Studie der Europäischen ur 500 Wörter von Obama Kommission nur noch von China überzur Energiepolitik troffen wird. Das Staples Center war Der amerikanische Präsident Barack die erste Arena in den Obama hielt kürzlich eine Rede zur Lage Vereinigten Staaten, der das der Nation. Fulminant war sie, ein beinahe Zertifikat ISO 14001 für 7000 Wörter langes Feuerwerk. Auch in vorbildliches Umweltmanagement verliehen diesem Fall lohnte es sich, darauf zu achten, wurde. Die Halle, in der die Vereine der was fehlte: eine klare Aussage zur UmweltLakers, der Clippers, der Kings und der Sparks politik, etwa Ideen oder Gesetzesentwürfe. ihre Heimspiele austragen und die auch Nicht einmal 500 Wörter sagte Obama zur für Konzerte und Veranstaltungen wie etwa Energiepolitik — die meisten drehten sich die Verleihung der Grammy Awards genutzt um Fracking, jene Methode zur Erdöl- und wird, gilt als Beispiel, wie der amerikanische Erdgasgewinnung, die derzeit kontrovers Profisport zu einem Vorbild im Umweltdiskutiert wird. Die Umweltschützer jedenfalls schutz geworden ist. waren bitter enttäuscht. Der Präsident von Richtig gelesen: Die Wörter amerikaFriends of the Earth, Eric Pita, sagte etwa: nisch, Profisport und Umweltschutz kommen «Die rhetorische Qualität entsprach nicht der im gleichen Satz vor. Die USA werden oft Ernsthaftigkeit des Themas.» verspottet als eine Nation, deren Einwohner als unbeweglich gelten, wenn man ihnen das Auto wegnimmt. Als eine auch, in der die kologisches Erwachen Wurstbraterei Wienerschnitzel in die Liste im Sport schützenswerter Gebäude aufgenommen Natürlich hat Obama in seiner Amtszeit zahlreiche ökologische Projekte auf den Weg gebracht; er gilt als erster US-Präsident, der einen weitreichenden Plan zum Klimaschutz vorgestellt hat. Dennoch wirkt er derzeit zurückhaltend, wenn es um Natur und Umwelt geht. Freilich sagte er während seiner Rede: «Der Klimawandel ist eine Tatsache. Und wenn uns dereinst unsere Kindeskinder in die Augen sehen und fragen, ob wir alles getan haben, um ihnen eine stabilere und sicherere Welt mit neuen Energieressourcen zu überlassen, dann will ich, dass wir sagen können: Yes, we did.» Was Obama nicht sagte, war, wie er das anstellen möchte. Wenige Tage nach der Rede teilte das US-Aussenministerium mit, dass die geplante Keystone-XL-Pipeline von Kanada zum Golf von Mexiko gebaut werden könne. Obama habe signalisiert, dem Milliardenprojekt zuzustimmen, sofern der CO2-Ausstoss nicht massgeblich erhöht werde. Er sagte nicht, dass der Ausstoss reduziert werden müsse. Was ebenfalls fehlte: die Einheit, um wie viel der CO2-Ausstoss erhöht werden dürfe, damit Öl quer durch die USA transportiert


werden kann. «Nicht massgeblich» ist recht vage. Es gelingt der amerikanischen Politik derzeit nicht, die Bürger für den Umweltschutz zu sensibilisieren — obwohl sich laut einer Umfrage mehr als 70 Prozent der Amerikaner gerne damit beschäftigen würden. Also braucht es andere Vorbilder wie etwa den Sport. «Die Menschen in diesem Land beginnen zu begreifen, welchen Einfluss der Sport auf die Umwelt hat — und dass die Umwelt auf Veränderungen reagiert», sagt Michael Pfahl. Er ist Lehrbeauftragter an der Ohio University und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Verhältnis von Sport und Umwelt. Er hat den Basketballverein Cleveland Cavaliers in Umweltfragen beraten und zahlreiche Artikel darüber verfasst, wie Sportorganisationen für einen grüneren Planeten sorgen können. Einer davon heisst «The Environmental Awakening in Sport» — das ökologische Erwachen im Sport. «Der Sport ist hierzulande gerade dabei, seiner Verantwortung gerecht zu werden, aber es ist natürlich ein fortlaufender Prozess, der nie zu Ende sein wird.»

as Staples Center hat eine Vorbildfunktion Eine bedeutende Rolle nimmt dabei die Green Sports Alliance (GSA) ein, eine NonProfit-Organisation, die im Februar 2010 als Workshop von Sportmanagern im Nordwesten der Vereinigten Staaten begonnen hat und mehr als 210 Mitglieder zählt: Sportligen wie NHL, NBA, MLB oder der amerikanische Tennisverband, Profiklubs und Universitäten mit Sportprogrammen, sowie Betreiber von Sportarenen. Die GSA will nach eigenen Angaben «die Welt durch Sport begrünen». Vorstandsmitglied Scott Jenkins sagt: «Unsere grösste Herausforderung ist es, die Aufmerksamkeit der Menschen zu bekommen. Wir müssen dafür sorgen, dass Nachhaltigkeit ein Teil des Tagesablaufs wird, der mit anderen Interessen eng verwoben ist.» Jenkins verantwortet das Stadion des Baseballvereins Seattle Mariners und fordert seine Mitarbeiter auf, sich vorbildlich zu verhalten und mit den Besuchern der Arena stets auch über Nachhaltigkeit zu sprechen: «Wir wollen Vorbilder für die Gesellschaft sein.» Sport hat, das zeigen mehrere Studien, einen beinahe religiösen Einfluss auf die Gesellschaft. Anhänger der Vereine pilgern an Spieltagen in die modernen Kathedralen (die Stadien) und so mancher Athlet wird wie ein Prophet verehrt. Die Multiplikatorwirkung ist immens: Ins Staples Center kommen pro Jahr mehr als vier Millionen Menschen. Sie jubeln nicht nur Kobe Bryant oder Chris Paul zu, sondern sehen auch, was sonst passiert in dieser Arena. Wenn sie erkennen, wie ökologisch dort gearbeitet und bestenfalls auch noch Geld gespart wird, setzen sie diese Ideen womöglich zuhause um. Das Beispiel der erwähnten Pissoirs zeigt das schwierige Verhältnis der Politik zum Umweltschutz. «Wir wollten die Anlagen schon zwei Jahre früher installieren», sagt Chefingenieur Bill Pottorff: «Die Stadt Los Angeles hatte die Technologie jedoch noch nicht genehmigt, niemand wusste, was man damit anfangen konnte. Es gab zahlreiche Vorurteile, etwa dass es stinken würde.» Mittlerweile erhalte er zahlreiche Anrufe von Zuschauern, die sich über die Technologie informieren wollen, weil sie gesehen haben,


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dass es im Staples Center wunderbar funktioniert. «Wir sparen allein beim Wasser beinahe 30 000 Dollar pro Jahr», sagt Pottorff. Zahlreiche Restaurants und Kneipen in Los Angeles haben nach–gezogen, weil ihre Besitzer nach einem Besuch im Staples Center begeistert waren. ie kann Müll an Spieltagen reduziert werden? Die GSA will über die Sportvereine einen Schneeball ins Rollen bringen, der immer grösser wird und irgendwann selbst jene mitreisst, die den Klimawandel für ein Märchen von Apokalyptikern halten. Die Organisation selbst stellt keine Zertifikate aus und gibt auch keine Richtlinien vor, sondern entwirft mit dem Natural Resources Defense Council (NRDC) und der amerikanischen Umweltschutzbehörde individuelle Lösungen für Sportvereine. Wie kann der Müll an Spieltagen reduziert werden? Können auf dem Stadiondach Sonnenkollektoren angebracht werden? Und sollen die Zuschauer wirklich dazu verführt werden, in der Halbzeitpause einen Monsterburger mit dreifacher Fleischmenge zu verdrücken? «Es geht darum, Strategien zu entwickeln, die nachhaltig funktionieren», sagt Pfahl: «Weil der Sport derart unter Beobachtung steht, hat er auch Gelegenheit, Menschen permanent zu erreichen.» Die Cleveland Cavaliers etwa begannen zunächst einmal, ihre eigenen Mitarbeiter zu sensibilisieren: durch das Bereitstellen von Bechern und Wasserfontänen statt dem Verkauf von Dosen, durch den Verzicht aufs Ausdrucken von Mails und Statistiken — und durch einen Wettbewerb, welcher Angestellte sich am vorbildlichsten verhält. Bei den Seattle Mariners sorgte GSAVorstand Jenkins durch das Umrüsten des Stadions ab 2006 dafür, dass der Wasserverbrauch um 25 Prozent sank, der von Elektrizität um 30 und der von Gas gar um 60 Prozent. Dazu gelang es ihm, den Anteil von wiederverwertbarem Müll von 12 auf 81 Prozent zu erhöhen. «Das ist ein Bereich, an dem sich alle beteiligen können», sagt Jenkins: «Wir haben die Fans ein wenig übertölpelt. Denn wenn es keine Mülleimer mehr gibt, werden die kompostierfähigen

oder verwertbaren Sachen automatisch in die richtigen Tonnen zum Rezyklieren geworfen.» Die Portland Trail Blazers versuchten es — neben dem Umbau der Arena und dem Beizug umweltfreundlicher Lieferanten — mit alternativen Transportmöglichkeiten: Mittlerweile kommen 30 Prozent der Zuschauer und mehr als 40 Prozent der Angestellten mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zum Stadion. Die Arena ist die einzige Sporthalle in den USA, die vom Green Building Council den Gold-Standard verliehen bekam. Jedes Mitglied der GSA probiert den Wandel also auf seine Art. Jenkins sagt dazu: «Jede Form des Begrünens ist letztlich positiv.»


rste Ökologiebewegung Ende 50er Jahre Man kann die aktuellen Bemühungen des amerikanischen Sports nicht erklären, ohne ein paar Jahre zurückzublicken. «Es gab drei wichtige ökologische Bewegungen in den Vereinigten Staaten», sagt Pfahl, «die erste bereits Ende der 50er Jahre.» Auch damals war der Sport massgeblich beteiligt. Um das zu verstehen, muss man nach Squaw Valley im Norden Kaliforniens fahren. Dort fanden im Jahr 1960 die Olympischen Winterspiele statt. Es gibt ein Bild der Gegend aus dem Jahr 1954 – fast eine Reizunterflutung: Es sind Berge zu sehen, auf denen ein bisschen Schnee liegt, viele Bäume und ein Feldweg. Der führt in einen Ort, der aussieht, als wäre seit dem Goldrausch mehr als hundert Jahre zuvor niemand mehr vorbeigekommen. In diesem Ort fanden sechs Jahre später tatsächlich Olympische Winterspiele statt. «Es war eigentlich unmöglich», sagt David Antonucci, der das Buch «Snowball’s Chance» darüber geschrieben hat: «Die Organisatoren haben aber dafür gesorgt, dass es nicht nur Wettkampfstätten gab, und auch dafür, dass beinahe jedes Bauwerk auch danach noch genutzt werden konnte. Und sie haben darauf geachtet, dass nicht zu sehr in die Natur eingegriffen wird.» Es gab ein Haus, in dem alle Athleten wohnten und von dem sie zu allen Wettkampfstätten zu Fuss gehen konnten. alt Disney verzichtete auf Themenpark In den vergangenen fünfzig Jahren hat sich eine schöne Wintersportgegend entwickelt. Und wieder lohnt es sich, darauf zu achten, was fehlt: eine Bobbahn etwa. «Nur zwei Nationen hatten ihre Teilnahme fest zugesagt», sagt Antonucci: «Weil eine Bobbahn sehr teuer und vor allem ökologisch unsinnig gewesen wäre, erhielt das Organisationskomitee vom IOC im Jahr 1957 die Erlaubnis, Bobfahren aus dem Programm zu streichen.» Was auch fehlt, ist ein Winter-Disneyland. Walt Disney war damals in die Organisation der Spiele eingebunden und wollte später an diesem Ort einen gewaltigen Themenpark

errichten. Doch Umweltschützer warnten ihn vor den Konsequenzen und er liess es bleiben. Noch heute wehren sich Bürger vor allem im Norden gegen allzu viele Fünfsternhotels und Prachtbauten. Vor wenigen Wochen kamen russische Journalisten nach Squaw Valley. Der nicht ganz unbegründete Verdacht: Russlands Präsident Wladimir Putin könnte sie geschickt haben, damit er die Spiele in Sotschi, die monströsen Bauten und die immensen Eingriffe in die Umwelt damit rechtfertigen könne, dass das die Amerikaner mehr als fünfzig Jahre zuvor auch nicht anders gemacht hätten. «Das ist jedoch überhaupt nicht zu vergleichen — in Squaw Valley wurde immens darauf geachtet, die Umwelt zu erhalten», sagt Antonucci. Die russischen Reporter seien recht enttäuscht wieder abgereist.


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mweltbewusster Mitbegründer von Microsoft Die zweite grosse Bewegung fand in den 90er Jahren während der Präsidentschaft von Bill Clinton statt. Der forderte vor allem Unternehmer auf, sich stärker für die Erhaltung der Umwelt zu engagieren. Philip Anschutz baute in dieser Zeit das Staples Center in Los Angeles und plante das Stadion für den Fussballverein Galaxy, ebenfalls eine Arena mit grünem Gütesiegel. Und natürlich gab es Paul Allen, den Mitbegründer von Microsoft, der die Seattle Seahawks (Football) besitzt, die Portland Trail Blazers (Basketball) und den Seattle Sounders FC (Fussball). Er gilt als ausgesprochener Umweltschützer. Als er in Seattle ein neues Stadion für die Seahawks und die Sounders errichten liess, musste die alte Arena abgerissen werden. 97 Prozent des Betons konnten wiederverwertet werden, 35 Prozent wurden beim Bau des aktuellen Stadions verwendet. Die drei Vereine von Allen gehörten später zu den Gründungsmitgliedern der Green Sports Alliance. ie Eagles sind absolut vorbildlich Das führt zurück zur dritten und aktuellen Bewegung im amerikanischen Sport. Um sie effizient umgesetzt zu sehen, muss man nach Philadelphia reisen, zum Footballverein Eagles. «Der Verein ist absolut vorbildlich», sagt Pfahl: «Nicht nur weil er Pläne wirklich umsetzt, sondern auch weil er ein System entwickelt hat, die Zuschauer mitzureissen. Er hat etwa eine App lanciert, auf der die Fans die ökologischen Initiativen überwachen können.» In diesem Fall lohnt es sich, nicht darauf zu achten, was fehlt — sondern darauf, was schon da ist. Wer vor dem Stadion steht, sieht 14 Windturbinen und mehr als 11 000 Solarpaneele auf dem Dach. Über 30 Prozent der benötigten Energie werden selbst produziert, den Rest beziehen die Eagles von umweltfreundlichen Anbietern. 98,9 Prozent des Mülls in der Arena ist rezyklierbar: Das zum Kochen der Snacks verwendete Öl wird in Biodiesel umgearbeitet, nicht gegessene Speisen werden an Obdachlose

verteilt. Ach ja: Die Tierrechtsorganisation PETA führt die Arena als vegetarierfreundlichstes Stadion der Vereinigten Staaten. «Wir besitzen und managen einen Verein, der landesweit im TV zu sehen ist», sagt Eigentümerin Christina Lurie: «Wir hoffen, dass wir durch die Investition in erneuerbare Energien ein gutes Beispiel sind, um andere Unternehmen zu ermuntern, noch besser zu sein als wir.» Wieder geht es nicht nur darum, selbst umweltfreundlich zu sein, sondern vor allem darum, Besucher des Stadions zum Mitmachen zu animieren. «Go Green» heisst die Initiative des Klubs – und es passt ganz wunderbar, dass die Vereinsfarbe Grün ist. idersprüche wird es immer geben «Es gibt Menschen, die zurzeit an einer Aussenhaut für Gebäude arbeiten, welche Kohlendioxid absorbiert. Wenn es das einmal gibt, sind wir auch dafür zu haben. Wir wollen uns ständig verbessern», sagt Lurie. So etwas reisst die Menschen mit: eine


Vereinsbesitzerin, die nicht nur redet, sondern vor allem etwas macht. Das bräuchte auch die amerikanische Politik: einen Anführer, der nicht nur fulminante Reden hält, sondern diesen auch fulminante Taten folgen lässt. Bei aller Begeisterung über die Green Sports Alliance darf nicht vergessen werden, dass der amerikanische Sport einen deutlichen ökologischen Fussabdruck hinterlässt. Die Akteure sind permanent mit dem Flugzeug unterwegs, die Seattle Mariners etwa werden in der Saison 2014 insgesamt knapp 84 000 Kilometer reisen, um zu den 81 Auswärtsspielen zu gelangen. Die Footballliga NFL schickte am 27. Oktober 2013 die San Francisco 49ers und die Carolina Panthers nach London, um dort ein Saisonspiel auszutragen. Das Stadion der Dallas Cowboys, das für 1,3 Milliarden Dollar errichtet und 2009 eröffnet wurde, verbraucht während eines Spiels so viel Energie wie ganz Nairobi. «Der gemeinsame Nenner dabei ist, dass der Einfluss von Sport auf die Natur negativ ist», sagt Pfahl: «Es ist nicht möglich, zu hundert Prozent grün zu arbeiten, es wird immer Widersprüche geben. Was wir tun können, ist, unseren Einfluss auf die Natur zu minimieren.» Die Green Sports Alliance bemüht sich gerade um eine Expansion, sowohl in den Vereinigten Staaten (Pfahl: «Es sollten noch mehr Universitäten und kleinere Sportvereine integriert werden.») als auch weltweit. Die Hamburg Freezers sind bereits Mitglied, die Tele2Arena in Stockholm und The Hydro in Glasgow ebenso. Der nächste Schritt wäre eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Olympischen Komitee oder dem Fussball-Weltverband Fifa. tadion mit 1727 Sonnenkollektoren Der amerikanische Sport versucht gerade zu leisten, was der Politik nicht gelingt. Und man muss sagen: Er ist durchaus erfolgreich. Wer das Staples Center verlässt, ärgert sich vielleicht über die Niederlage der Lakers. Er bemerkt jedoch, wenn er auf das Dach mit den 1727 Sonnenkollektoren und die Ladestationen für Elektroautos auf dem Parkplatz blickt, dass er auf dem Klo kein Wasser verbraucht hat, dass er den leeren Getränke-

becher zurückgegeben hat, dass der Snack in Papier eingewickelt war, das rezykliert werden kann — und dass er nun mit einem öffentlichen Verkehrsmittel heimfährt. Wer eine Eintrittskarte besitzt, muss dafür weniger bezahlen. Mit einem Besuch des Staples Center rettet niemand den Planeten. Aufmerksame und umweltbewusste Gäste aber könnten dazu animiert werden, sich über den eigenen ökologischen Fussabdruck Gedanken zu machen.


24 / 25 Hintergrund

Grünes Licht in der Sportartikel-Produktion Sportartikel und OutdoorKleider belasten die Umwelt. Ihre Herstellung trägt zur Zerstörung desjenigen Naturerlebnisses bei, welches die Industrie ihren Kunden verspricht. Viele Produzenten haben das realisiert. Mit natürlichen und wiederverwertbaren Materialien wollen sie den ökologischen Fussabdruck ihrer Produkte verringern.

© C ORTI S & SON DE RE G GER

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Von Samuel Schlaefli


llein in Frankreich werden jährlich 1500 Tonnen Ski und Snowboards weggeworfen. Wertvolle Ressourcen — darunter Holz, Stahl, Fiberglas, erdölbasierte Kunststoffe und toxische Lacke —, die mit viel Energieaufwand zu Sportartikeln zusammengebaut wurden, landen im Sperrmüll und werden in Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt. «Was wir tun können, um die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten, ist, Produkte herzustellen, die funktional, schön, einfach und haltbar sind», sagte einst Yvon Chouinard, Gründer des amerikanischen Outdoor-Riesen Patagonia und so etwas wie das grüne Gewissen der Branche: Produkte also, die nicht nach einer Saison bereits wieder kaputt oder out sind, sondern die man bestenfalls ein Leben lang behält. Zum Beispiel ein Radical-Snowboard: Seit 1984 produziert das neunköpfige Kleinunternehmen in Wollishofen 450 Snowboards pro Jahr — alles in Handarbeit, vorwiegend aus Schweizer Pappeln, Eschen und Buchen. «Unsere Bretter leiern nicht schon nach drei Jahren aus», sagt Mark Farner, der Patron der Manufaktur. Er gewährt seinen Kunden lebenslange Garantie auf den Flex und den Vorspann des Bretts. Zusätzlich zur robusten Bauweise verwendet er einen extraharten Grafit-Laufbelag. Bei «Custom made»-Boards, 2500-fränkigen, speziell nach Kundenwünschen gefertigten Brettern, erneuert Farner zudem die Kanten und den Belag, wenn sie bis aufs Holz abgefahren sind. «Ich habe Kunden, die haben ihr Brett schon zweimal erneuert und fahren es seit über zwanzig Jahren», erzählt er stolz. Was Farner will, sind Qualität und Langlebigkeit. ine Szene sieht grün Andere Snowboardproduzenten haben sich mittlerweile voll und ganz der Nachhaltigkeit verschrieben. So zum Beispiel das amerikanische Unternehmen Niche, das seine Bretter unter dem Motto «Eco-friendly Snowboards» anpreist. «Wir haben irgendwann gemerkt, dass die traditionelle Snowboardproduktion ziemlich giftig ist», sagt Dustin Morell, einer der Gründer von Niche. «In einem Sport, der vollkommen von der Umwelt abhängig ist,

müssen wir bessere Lösungen finden.» Sein Team begann zu tüfteln, um den Snowboardbau von Negativeinwirkungen auf die Umwelt möglichst zu entrümpeln. Zusammen mit einem Leimproduzenten hat Niche eine biologische Alternative zu klassischen, erdölbasierten Epoxidharzen entwickelt. Herausgekommen ist ein Leim, der zur Hälfte aus erneuerbaren Abfallstoffen der Papier- und Biotreibstoff-Produktion hergestellt wird. Anstelle von Fiberglas, das gemeinhin für eine gute Spannung des Bretts sorgt, werden einfach wiederverwertbare Basaltderivate eingesetzt. Anstatt Karbon für die Längsversteifung nutzt Niche gepressten Hanf. Sämtliche Hölzer stammen aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und die Kanten sind mehrheitlich aus wiederverwertetem Stahl. «Die Nachfrage nach unseren Boards steigt, denn unsere Kunden wissen heute in Umweltthemen viel besser Bescheid», sagt Morell. Das haben auch die Grossen gemerkt: Burton, der weltweit grösste Snowboardhersteller, baut heute ein Modell mit FSCzertifiziertem Holzkern, ohne giftige Lacke und mit Kanten aus 90 Prozent Recyclingstahl.


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aus in die Natur — aber nachhaltig Die «öko-freundliche» Snowboardherstellung ist die jüngste Inkarnation eines Megatrends im OutdoorBereich. Wer heute eine Allwetterjacke oder ein Thermoshirt kauft, kommt um das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr herum. Und wer schon einmal im 2012 eröffneten Transa Flagship Store neben dem Zürcher Hauptbahnhof war — eine Art Fabrikhalle gefüllt mit Outdoor-Bekleidung und Sportartikeln —, weiss auch: Die Branche boomt. Transa hat heute 270 Mitarbeiter, der Umsatz ist in den letzten zwei Jahren von 36 auf 56 Millionen Franken gestiegen. Laut dem Branchenverband European Outdoor Group beträgt der mit Outdoor-Produkten erwirtschaftete Umsatz auf Einzelhandelsebene allein in Europa 10 Milliarden Euro (ohne Ski, Snowboards und Bikes). Die boomende Outdoor-Branche ist ein Paradox: Sie verkauft sich über ein ungetrübtes Naturerlebnis, trägt jedoch mit ihrem Energiebedarf für die Produktion, mit Abfällen, CO2-Emissionen sowie giftigen und schwer abbaubaren Chemikalien selbst zu dessen Zerstörung bei. Die meisten Hersteller haben das mittlerweile erkannt. Es gibt praktisch keine Website mehr ohne weitreichende Informationen zu den Themen Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility — Themen, für die in vielen Unternehmen zurzeit eigene Stellen geschaffen werden. Jürg Buschor, Kenner der OutdoorBranche und Herausgeber der Zeitschrift «Outdoor Guide», stellt seit etwa fünf Jahren ein Umdenken fest: «Früher war Nachhaltigkeit bei Outdoor-Marken meist in den Marketingabteilungen angesiedelt, wo man sich mit kleinen Pseudoaktionen zufrieden gab.» Heute sei das Thema vielfach im Management angesiedelt und werde prioritär behandelt. Mit gutem Grund, denn die Umwelt ist zu einem entscheidenden Verkaufsargument geworden. Letztes Jahr meldete die grösste Sportartikel-Messe ISPO in München, dass sie ihre Ausstellungsfläche für soziale und ökologische Initiativen wegen unerwartet hoher Nachfrage kurzerhand verdoppeln wird. Laut einem Bericht der Bank J. Safra Sarasin zur Nachhaltigkeit von Sportartikel-

firmen von 2012 ist der Markt für sogenannt grüne oder ethische Produkte in den letzten Jahren stark gewachsen. Der TransaNachhaltigkeitsbeauftragte Simon Schwarz bestätigt dies: «Outdoor-Kunden sind gemeinhin sensibler als Fashion-Kunden, was die nachhaltige Produktion angeht.» Gut informierte Käufer sprechen die Berater in den Transa-Geschäften vermehrt auf ökologische, soziale und ethische Kriterien der Produkte an. Dazu beigetragen haben sicher auch Sensibilisierungskampagnen von NGOs und Konsumentenorganisationen. Auf Websites wie rankabrand.com oder wegreen.de können Konsumenten heute Outdoor-Marken mit wenig Aufwand vergleichen und erfahren, was Unternehmen punkto Nachhaltigkeit leisten. Für ihre Ranglisten stützen sich die Betreiber solcher Plattformen meist auf im Internet verfügbare Informationen wie zum Beispiel Nachhaltigkeitsberichte. Das kann auch zu Verzerrungen führen. Denn wer besser kommuniziert, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit auch besser bewertet.


om Kopfweh zur Bio-Baumwolle Ein regelmässiger Anführer solcher Listen — und ein Pionier, was das Engagement für Umweltanliegen angeht — ist das amerikanische Outdoor-Unternehmen Patagonia. Wie kein anderes geniesst es Glaubwürdigkeit in der Branche. Gründer Yvon Chouinard ist ein international bekannter Bigwall-Kletterer, der in den 50er und 60er Jahren mit seinen Touren im YosemiteNationalpark auf sich aufmerksam machte. Aus seiner kleinen Kletterhaken-Manufaktur wurde eines der weltweit grössten OutdoorUnternehmen. 1900 Mitarbeiter erwirtschafteten im letzten Jahr einen Umsatz von 575 Millionen US-Dollar. Chouinard hat sich früher als die meisten Unternehmer für Umweltfragen interessiert. Patagonia hat denn auch seine Produktion bereits 1996 auf Bio-Baumwolle umgestellt, zu einer Zeit als biologischer Anbau noch etwas für Reformhäusler war und erst vereinzelt auf der Agenda von NGOs auftauchte. Laut der offiziellen Firmengeschichte war die damalige Einführung eine direkte Konsequenz von eigenen negativen Erfahrungen mit der Toxizität herkömmlich produzierter Baumwolle. Angestellte in einem PatagoniaGeschäft in Boston hatten sich über regelmässige Kopfschmerzen beklagt. Nach technischen Abklärungen zeigte sich, dass die Ursache dafür Formaldehyddämpfe der im Keller gelagerten Baumwolle waren. Daraufhin gab das Unternehmen eine Untersuchung über den konventionellen Baumwollanbau in Auftrag und erfuhr erstmals, welchen Schaden die dabei eingesetzten Pestizide anrichten. Ein Stein geriet ins Rollen. Patagonia gehörte in den 90er Jahren auch zu den Ersten, die Fleece aus wiederverwertetem Polyester in die Produktionslinie aufnahmen. Laut eigenen Angaben wurden so in den letzten Jahren 92 Millionen Plastikflaschen wiederverwertet. Ausgetragene Fleece-Kleider werden heute zudem von Patagonia-Händlern zurückgenommen. Ein Partnerunternehmen übernimmt das Recycling und stellt daraus wiederum Polyesterfäden her. Im Gegensatz zur konventionellen Fleece-Herstellung werden so rund 70 Prozent an Energie und CO2Emissionen eingespart.

as Fluorproblem Heute ist Patagonia mit seinem Umweltengagement längst nicht mehr allein. Zahlreiche OutdoorProduzenten haben mittlerweile auf biologisch hergestellte oder wiederverwertbare Materialien umgestellt. Ein Problem, an dem sich derzeit jedoch die gesamte Branche die Zähne ausbeisst, sind die toxischen und in der Natur nicht abbaubaren Fluorverbindungen. Vor allem Hardshell-Jacken werden damit zugunsten eines besseren Schmutz-, Öl- und Wasserschutzes imprägniert. Patagonia und andere Outdoor-Produzenten haben zwar angekündigt, dass die bioakkumulative Perfluoroktansäure (PFOA) bis 2015 aus der Produktionskette entfernt werden soll, doch auf andere Fluorverbindungen will man kurzfristig wegen zu grosser Funktionalitätseinbussen nicht verzichten. Doch bereits bestehen Alternativen zu Fluorverbindungen: Der kleine, auf Bergsport spezialisierte Outdoor-Produzent R’ADYS aus Nidau stellt als Erster der Branche seine gesamte


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Sommerkollektion 2014 auf eine fluorfreie Imprägnierung um. Die dafür genutzte Technologie Barrier Eco wurde vom Schweizer Textilausrüster HeiQ entwickelt. Sie beruht auf stark verzweigten Polymeren und ist komplett fluorfrei. Ein Jahr Vorlaufzeit reichte für die Umstellung der Produktion und die Produktpreise sind dadurch nur minimal gestiegen. Tests haben gezeigt, dass die fluorfreie Wasserabweisung mit herkömmlichen Imprägnierungen durchaus vergleichbar ist, sagt R’ADYS-CEO Adrian Ruhstaller. «Funktionelle Einbussen mussten wir einzig bei der Ölabweisung hinnehmen. Doch die ist für unser Einsatzgebiet und unsere Kundschaft nicht zentral.» Damit spricht Ruhstaller ein wichtiges Problem der Outdoor-Industrie an, das Experten «Overengineering» nennen: Wieso braucht jemand für den abendlichen Hundespaziergang eine Membrane, die komplett ölabweisend ist und deren wasser- und windabweisende Eigenschaften für eine Himalaja-Exkursion ausgelegt sind? Besteht der gewöhnliche Outdoor-Kunde tatsächlich auf solch extremer Funktionalität oder wäre er bereit, zugunsten von ökologischen

Überlegungen geringfügige Einbussen hinzunehmen? Am Ende liegt es in der Macht des einzelnen Konsumenten, der Industrie mit seinem Kaufentscheid eine Antwort auf diese Fragen zu geben.

Forderungen von Greenpeace: Aufgrund der umwelt- und gesundheitsschädigenden Eigenschaften von Fluorverbindungen fordert Greenpeace im Rahmen der Detox-Kampagne die vollständige Eliminierung der gesamten Gruppe der Fluorverbindungen. Bereits 20 internationale Modeunternehmen haben mit einer öffentlichen Detox-Verpflichtung versprochen, bis spätestens 2020 alle gefährlichen Chemikalien — auch die Fluorverbindungen — aus der gesamten Produktionskette zu eliminieren. Doch die Outdoor Branche tut sich schwer damit: Bisher hat noch kein einziges Unternehmen eine solche DetoxVerpflichtung abgegeben. Mehr infos unter: greenpeace.ch/detox.


Essay

Die urbane Zone als Wanderrevier Wer in Städten und Agglomerationen zu Fuss unterwegs ist, belebt Sinne und Geist, hebt sich von der Masse ab und lebt eine Alternative zum Sport, die weder Industrie noch Transportmittel braucht. Der ökologische Fussabdruck ist somit äusserst klein. Von René P. Moor

Seit Jahrzehnten trichtert uns die Outdoor- und Tourismusindustrie ein, was echte Naturerlebnisse sind, wo diese stattfinden und wie man sich dafür am besten ausrüstet. Oft fahren oder fliegen wir Hunderte, wenn nicht Tausende von Kilometern, um — einmal am Hotspot angelangt — einen Bruchteil davon auf einem Treck oder einer Expedition zu Fuss zurückzulegen. Und meist wissen wir besser Bescheid über Himalaja, Anden oder die Rocky Mountains als über die eigene Stadt. Städte dienen als Wirtschafts-, Wohn-, Kultur- und Verkehrszentren — und als solche nehmen wir sie gemeinhin auch wahr. Taucht das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung auf, fahren wir aufs Land oder in die Berge, hängen am Skilift, klettern an Felsen hoch, radeln über Pässe, spazieren den See entlang oder wandern von Hütte zu Hütte. Dieses Stadt-Land-Schema hat sich in den Köpfen derart eingeprägt, dass es absurd klingt, wenn jemand von Wanderungen in städtischer Umgebung zu schwärmen beginnt. Da und dort sind freilich Zeichen erkennbar, die ein zaghaftes Umdenken andeuten. Für jede grössere Stadt in Deutschland etwa ist ein Wanderführer greifbar. Amsterdam wartet mit einer speziellen Wanderkarte auf. Die Stadt Wien preist auf ihrer Website 20 ausgeschilderte Wanderrouten an, zwei davon mit je 120 Kilometer Länge. Ein beachtliches Exempel statuierte vor zwei Jahren das Journalistentrio Jürg Frischknecht, Ursula Bauer und Marco Volken: «Wandern in der Stadt Zürich». Der opulente Band ist bereits in der dritten Auflage erhältlich. Da muss also was dran sein an diesem «Urban Walking». Schnauze voll für 1 Euro Was macht den Reiz des Stadtwanderns aus? Der deutsche Publizist Ulrich Grober umreisst es so: «Jeder Mensch ist ein Künstler, jede Wanderung, wenn nicht ein Kunstwerk,


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so doch eine bewusstseinserweiternde Aktion im Raum.» Als Grundvoraussetzung gilt es indes, die eigene Haltung dem Urbanen gegenüber zu klären. Damit Stadtwandern funktioniert, nehme ich bewusst eine neutrale Aussensicht ein. So wird es mir gelingen, all das Städtische in mich aufzunehmen, offen zu sein für alle Arten urbaner Erscheinungen. Strassenüberwerfungen, Kläranlagen, Industriequartiere, Parkanlagen, Unterführungen, Verkehrsinseln, Uferpromenaden, Lichtsignalanlagen, Werbeplakate, Schmuddelfassaden, Glasfronten und Lärm und Gestank und Vogelgezwitscher und Autos und Velos und Busse und ja: die Menschen! Der Gang durch Strassen und Gassen ist durch und durch von Müssigkeit geprägt. Nichts muss, alles kann. Dann ergeht es einem vielleicht wie Ulrich Grober, als er zu Fuss vom Ruhrtal kommend in die Stadt Düsseldorf eindringt: «14.05 Uhr. Der Wiedereintritt in die Stadtlandschaft ist von kleinen Schocks begleitet: Die rote Ampel an einer Querstrasse nehme ich erst in letzter Sekunde wahr. Die Reklametafeln, normalerweise wenig beachtet, wirken extrem aggressiv. Eine Fast-Food-Kette verspricht ‹Schnauze voll für 1 Euro›, ein Mobilfunkhersteller ‹Doping für die Sinne›. Tröstlich dann eine von Kindern (nicht ohne sozialpädagogische Anleitung) auf zig Metern bunt bemalte Bretterwand vor einem stillgelegten Fabrikgelände. Darauf der Spruch: ‹Wer den Himmel nicht in sich selber findet, sucht ihn im ganzen Universum umsonst.›» Wer zu Fuss die urbane Zone erkundet, belebt Körper, Seele und Geist. Zudem wird er reich beschenkt. Sind die Sinnesorgane auf Empfang gestellt, betreiben wir bewusst oder unbewusst soziokulturelle Studien: Wie wohnt der Städter? Wie sehen seine Hauseingänge, Fenstersimse, Vorgärten, Hinterhöfe, Briefkästen und Velounterstände aus? Wie kommuniziert er? Graffiti, wilde Plakate mit Botschaften jeglicher Art: Anweisungen an Hundehalter, Steckbriefe gefundener oder verloren gegangener Katzen, eine dringend gesuchte Wohnung oder der Frust eines desillusionierten Hauswarts. Für den Appenzeller Wanderkolumnisten Thomas Widmer ist «die Stadt, zusammen mit ihrer Agglo, das eigentliche Faszinosum unserer Schweiz». Von einem «unvergleichlich grösseren Spektakel gegenüber dem Land» spricht Widmer und fügt an: «Für den Wanderer ist die Stadt eine Welt, die ihm immer neue Überraschungen schenkt: betrunkene Kinder zum Feierabend, koksende Mamis auf dem Spielplatz und Autofahrer kurz vor dem Durchdrehen schon frühmorgens. Viertel mit Hochhäusern, in deren Schatten Zigeuner fiedeln. Chalets, Bauernhöfe und weite Wälder, ja sogar den einen oder anderen Felsen gibts als Zugabe an fast jedem hiesigen Stadtrand gratis dazu.» Die Ohnmacht des Fahrens Das Wanderrevier liegt also gleich um die Ecke. Weshalb fahren, wenn man auch gehen kann? Schon Johann Gottfried Seume — er reiste zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Fuss von Grimma bei Leipzig nach Syrakus und wieder zurück — bemerkte: «Gehen zeigt Stärke, fahren Ohnmacht.»


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Die urbane Zone als Wanderrevier 32 / 33 Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

Die Probe aufs Exempel: Stadtwanderung in Basel Basel hat nicht nur den Rhein, den Zoo und die Chemie. Basel glänzt auch mit einem Wasserturm, Dinosauriern und gar einer Alp. Die Rundwanderung führt vom Hauptbahnhof vorerst durch das Gundeldinger Quartier in den Süden, wo nahe der Erhebung namens «Batterie» ein lebensgrosser Dinosaurier und ein besteigbarer Wasserturm stehen. Unweit davon die Örtlichkeit «Auf der Alp», mit saftigen Matten und weidenden Kühen. Vorbei am Klosterfiechten, dem alternativen Straf- und Massnahmenvollzugszentrum des Kantons Basel-Stadt. In wenigen Schritten zurück in städtisches Ambiente, über das Gleisfeld des Hauptbahnhofs zur St.-Alban-Vorstadt und hinunter ins St.-Alban-Tal. Auf der gleichnamigen Fähre von Gross- nach Kleinbasel, durch Strassenfluchten mit orientalischbalkaneskem Flair. Via die bei Schönwetter belebten Plätze der Claramatte und des Kasernenareals zurück an den Rhein, über die Mittlere Rheinbrücke ins Herz der Altstadt, zum Marktplatz, und von da dem Menschenstrom folgend wieder zurück zum Ausgangspunkt. Die reine Wanderzeit beträgt drei Stunden.

Gründe genug, sich dem Mikrokosmos Stadt schreitend zu nähern. Die praktischen Vorteile liegen auf der Hand. Ausgangs- und Zielpunkt einer Wanderung sind frei wählbar. Dank der guten Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr kann ich alle paar hundert Meter spontan abbrechen. Dürstet mich, ist meist ein Restaurant nicht weit. Meldet sich der Magen, schaue ich im Quartierladen vorbei. Ich kann jederzeit stehenbleiben, mich umschauen, meinen Plan ändern, mich vom Wanderer zum Flaneur wandeln. Ich lasse mich treiben, aber nicht vertreiben, bin auch nicht der 08/15-Tourist, der stur nach Büchlein die Sehenswürdigkeiten abklappert. Stadtwandern ist weit entfernt von Sightseeing. Als Stadtwanderer bin ich autark unterwegs, ohne Druck und ohne Hast. Ich geniesse die Narrenfreiheit, die mir die Füsse bieten. Meine Neugier erlaubt mir eine anständige Frechheit, mich über dieses oder jenes zu amüsieren, meine Blicke kurz in fremde Gärten zu werfen, die Ohren für Momente dem streitenden Pärchen zu leihen und mit der Nase mal schnell eine Runde um den Dönerstand zu drehen. Dies alles obendrein ohne Spezialausrüstung, ohne Hightech und Outdoor-Schickimicki. Ein Paar robuste Schuhe, eine Jacke, ein Portemonnaie und fertig. Ökoverträglich bis an den Stadtrand und darüber hinaus. Eine temporäre Komfort-Askese, die man je nach Gusto mit einem Stadtplan oder einer 25 000er-Landkarte etwas luxuriöser gestaltet. Die Stadt als Experimentierfeld Die Möglichkeiten, sich wandernd im urbanen Raum zu verlustieren, sind fast unbegrenzt. Hierbei spielen räumliche und zeitliche Dimension eine Rolle. Es macht einen Unterschied, ob ich durch den Feierabendverkehr wusle oder in der Stille eines frühen Sonntagmorgens am Villenhügel umherschreite. Auf saisonale Aspekte ist überdies keine Rücksicht zu nehmen. Stadtwanderzeit ist immer! Aus der Ferne betrachtet haben alle Städte etwas gemein: Sie wirken als offene Labyrinthe, ohne Anfang und ohne Ende. Dieser Umstand eröffnet dem Fussgänger zahlreiche Spielarten, die es auszuprobieren gilt. In einem ersten Experiment gehe man einmal von einem beliebigen Startpunkt los, vorerst nach links und bei der ersten Strassenkreuzung nach rechts bis zur nächsten Kreuzung, wo die Richtung erneut nach links geändert wird. Und so weiter und so fort. Dieses Links-Rechts-Schema bewirkt eine spannende Reise, deren Ausgang ungewiss ist und obendrein keinen Stadtplan erfordert. Ein zweites Experiment nennt sich Land-Stadt-Land. Losgewandert wird in einem ländlichen Vorort. Es folgt die komplette Durchquerung der Stadt mit ihren Aussenquartieren, der Innen- und Altstadt. Das Ende der Route plane man wiederum irgendwo im Umland. Dank der relativ bescheidenen Grösse unserer Städte ist dies in vier bis fünf Stunden gut zu bewerkstelligen. Die dabei gewonnenen Eindrücke werden die urbane Zone in einem neuen Licht erscheinen lassen. Diese besonders beeindruckende Erfahrung ist geprägt von der Wahrnehmung zahlreicher Gegensätze. Der feinfühlige


Wanderer bemerkt zudem, dass es einen Unterschied macht, ob er zentrumwärts oder stadtauswärts geht. In einem dritten Versuch umrunde man die Stadt an ihrer Peripherie, also genau dort, wo das Wohn- oder Industrieviertel die Landwirtschaftszone küsst. Eine neue Sinneserfahrung, die bei grösseren Städten durchaus mehrere Tage dauern kann. Raus aus der Stube — ein Fazit In einer Zeit, wo jegliche Freizeitbeschäftigung ganze Industriezweige auf den Plan ruft, hebt sich das Wandern im städtischen Raum wohltuend ab. Es ist weder trendy noch sexy, dafür umweltverträglich und anspruchslos, da die gesamte Infrastruktur bereits besteht. In Zeiten des Fahrens und Sitzens sollte sich der Mensch vermehrt auf seinen Biomobilitätsmechanismus besinnen: das Gehen. Stadt und Agglomeration bieten die perfekte Spielwiese und eröffnen dem Fussgänger ungeahnte Freiheiten. Dem Trugschluss des Urstadtwanderers und Architekturkritikers Benedikt Loderer, wonach «der wahre Naturschützer der Stubenhocker» ist, muss im Fall des Stadtwanderns widersprochen werden. Oder mit den Worten Seumes: «Es würde alles besser gehen, wenn man mehr ginge.» Literaturtipps Ursula Bauer, Jürg Frischknecht, Marco Volken: Wandern in der Stadt Zürich, Rotpunktverlag, Zürich. René P. Moor: Hin und weg — eine fussgängerische Annäherung an die Schweiz und ihre Kantone, Edition Wanderwerk, Burgistein, www.wanderwerk.ch.

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Die Route: Bahnhof SBB Ausgang Gundeldingen Gempenstrasse Gundeldingerstrasse Unterer Batterieweg Eisweglein Unterer Batterieweg Schäublinstrasse Friedrich-Oser-Strasse Arbedostrasse Rappenbodenweg Oberer Batterieweg Batterieanlage Wasserturm Biascastrasse Giornicostrasse Auf der Alp Klosterfiechtenweg Zwölfjuchartenweg (der Kantonsgrenze entlang nordostwärts) Giornicostrasse Reinacherstrasse Münchensteinerstrasse Jacob-Burckhardt-Strasse Sevogelstrasse St.-Alban-Anlage St.-Alban-Vorstadt St.-Alban-Berg St.-Alban-Tal St.-Alban-Fähre Rhein Fischerweg Grenzacherstrasse Wettsteinplatz Hammerstrasse Claramatte Claragraben Klingentalstrasse Kasernenstrasse Kasernenareal Klingental Rheinquai Mittlere Rheinbrücke Eisengasse Marktplatz Gerbergasse Falkenstrasse Barfüsserplatz Steinenberg Klostergasse Elisabethenstrasse Nauenstrasse Centralplatz Bahnhof SBB


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«Die Natur ist einfach da» Nina Brenn geht als Gigathletin an ihre Grenzen — und ist bisher ungeschlagen. Ein Gespräch über das Konsumieren von Landschaft, über Extreme und Widersprüche.

Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

Von Esther Banz

n den Boulevardmedien wurde sie schon «Giga-Königin» genannt, denn sie ist die unangefochtene Championne jener Steigerung des Triathlons, die als härtester Ausdauerwettkampf der Schweiz gilt: der Gigathlon. Von einem Zürcher Werber erfunden, ist er in den fünf Disziplinen Rennen, Schwimmen, Rennrad, Mountainbike und Inlineskate auch eine rund 200 Kilometer lange Querung der Schweiz: über Pässe, durch Seen, Wälder und Täler. Die Route führt von einem Ort zum anderen und nicht rund um eine Bahn, was für Nina Brenn einer der Reize dieses Wettkampfs ist. Vor allem aber sei das mehrtägige Unterwegssein in abwechslungsreichen Landschaften der Grund, weshalb sie an diesen Wettkämpfen teilnehme und nicht etwa an einem Ironman, der in und um Zürich (oder Rapperswil) stattfindet. Auch den letzten Gigathlon (2013) hat die Forstingenieurin gewonnen — seit 2003 gab es kaum einen Inferno-Triathlon*, bei dem sie nicht auf dem Podest stand. Greenpeace: Wir spazieren durchs Flimser Skigebiet. Sie arbeiten teilzeit in Zürich, haben Ihren Lebenmittelpunkt aber hier oben im Dorf. Wegen der Berge? — Nina Brenn: Ja. Ich bin in der Zürcher Agglomeration aufgewachsen, mein Mann ist aus Chur. 2006 kam unser Sohn Flurin zur Welt — wir wollten beide, dass er die Natur und die Berge schätzen lernt, eine Beziehung dazu aufbauen kann. Ich könnte nicht mehr auf die Berge verzichten. Ist es der Anblick? Oder was fasziniert Sie so sehr? — Wenn man morgens um fünf Uhr unten in Flims steht und beim Sonnenaufgang hinaufrennt, steht man eine gute Stunde später oben, allein mit all den Bergen rundherum, die von der frühen Sonne beschienen werden: Das ist ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. Wie viele Höhenmeter bringen Sie an einem solchen Morgen rennend hinter sich? — Um die 2000. Das ist eine Frage des Trainings. Ich trainiere sehr gern, damit ich locker auf einen Berg rennen kann — die Leichtigkeit beschert mir dann fast das Gefühl, ich fliege auf den Berg. Im Wettkampf müssen Sie möglichst schnell von A nach B kommen, Sie trainieren


also Tempo. Bekommen Sie da noch etwas mit von der Landschaft? — Oh ja, während der Wettkämpfe sogar besonders intensiv. Vom letzten Gigathlon habe ich noch viele Bilder im Kopf. Mir bleibt mehr von einer Landschaft in Erinnerung, als wenn ich gemütlich spazieren würde. Wie erklären Sie sich das? — Vielleicht, weil ich mich so nah an meinen Grenzen bewege. Es brennen sich einzelne Bilder von Landschaften ein, man erkennt diese Flecken noch Jahre später wieder. Bei einem Gigathlon ist man rennend, schwimmend, mit dem Rennrad, dem Mountainbike und den Inlineskates unterwegs. Welche Sportart lässt Sie die Natur besonders intensiv erleben? — Es gibt keine Unterschiede, die Intensität beeinflusst die Wahrnehmung viel mehr. So erkläre ich mir auch, dass ich die Umgebung im Wettkampf intensiver wahrnehme als im Training. Sie joggten schon als Jugendliche intensiv und liessen sich im Studium an der ETH Zürich zur Forstingenieurin ausbilden. Haben Sie die Faszination für den Wald entdeckt, weil sie oft durch die Wälder rannten? — Ja, ich hatte das Bedürfnis, etwas im grünen Bereich zu studieren. Ich wollte nicht nur Sport machen, sondern auch den Kopf fordern. Was fasziniert Sie vor allem am Wald? — Zunächst war es nicht der Wald, der mich speziell interessierte, ich hätte auch Biologie oder Umweltwissenschaften studieren können. Mit dem Wald habe ich aber einen besonders grünen Bereich gefunden. Heute arbeite ich in einem Ingenieurbüro, erstelle Umweltverträglichkeitsberichte und mache Umweltbaubegleitung. Erklären Sie uns anhand eines konkreten Projekts, was Sie tun? — Ich bin meist in grosse Projekte involviert. Aktuell ist es der geplante neue Albula-Tunnel der Rhätischen Bahn. Da haben wir jetzt gerade den Umweltverträglichkeitsbericht abgeschlossen, als Nächstes kommt die Baubegleitung. Im Portalbereich des Tunnels ist der Wald betroffen. Als Verantwortliche habe ich zunächst untersucht, was der Tunnelbau für die dortige Waldflora und -fauna bedeutet, welche Schutzmassnahmen getroffen werden müssen, welche Kompensationen sinnvoll sind, und schliesslich habe ich eine Rodungsbilanz erstellt. Ferner

begleite ich den Rückbau der AlptransitBaustelle in Sedrun, wo eine grosse Waldfläche gerodet wurde. Auch in den Bau der Autobahn im zürcherischen Knonauer Amt war ich involviert. Das heisst, Sie betreiben vor allem Schadensbegrenzung? — Das kann man so sagen, ja. Sie sind also dauernd mit Bauprojekten beschäftigt, die gravierende Einschnitte in Lebensräume mit sich bringen. Blutet Ihnen da nicht das Herz? — Ja und nein. Da bin ich vielleicht nicht so extrem grün. Schliesslich geniesse ich ja selber Vorteile wie etwa eine schnellere Zugverbindung. Auch bin ich nicht grundsätzlich gegen Autobahnen. Dennoch: Schadensbegrenzung stelle ich mir auf die Dauer zermürbend vor. — Es braucht einen gewissen Pragmatismus, um diese Arbeit zu machen. Aber: Über einen neuen Tunnel oder eine neue Autobahn hat das Stimmvolk entschieden. Und dass es die Umweltverträglichkeits– prüfungen und die Baubegleitung überhaupt gibt, ist ein Gewinn für die Natur und noch nicht lange selbstverständlich. Dass Zugfahren extrem teuer ist und Benzin extrem günstig, finde ich aber schräg an unserer Gesellschaft. Verstehen Sie sich als Umweltschützerin? — Nicht im extremen Sinn. Ich bin grün, aber nicht extrem. Was ist für Sie extrem? — Ich fahre hin und wieder Auto und fliege auch mal ans Meer. Die Emissionen kompensiere ich dann,


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«Die Natur ist einfach da»

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und wie Sie merken, muss ich jetzt selber über diese Aussage schmunzeln. Was nehmen Sie im Wald beim Rennen bewusst wahr? — Durchaus auch Details, Pilze etwa. Der Flimser Wald ist ein Felssturzgebiet, alles ist sehr abwechslungsreich und gleichzeitig auch sehr ähnlich, mit vielen moosbewachsenen Steinen und Bäumen. Ich habe mich anfangs oft verlaufen, obwohl mein Orientierungssinn gut ist. Fragen Sie sich manchmal auch selbstkritisch, ob Sie die Natur nicht einfach nur konsumieren? — Ja, tatsächlich. Die Natur ist ja einfach da und wir konsumieren sie bis zu einem gewissen Grad. Doch die Frage ist, was geben wir ihr zurück? Das wichtigste ist Wertschätzung und Respekt gegenüber der Natur. Interessant ist, dass Sie ausgerechnet in einem stark ausgebauten Skigebiet leben. — Das ist wegen unseres Hauses, das schon hier stand. Und als Stadtkind weiss ich eine gewisse Infrastruktur zu schätzen. So kann ich auch meistens aufs Auto verzichten — was nicht einfach wäre, wenn ich im hintersten Chrachen im Tal wohnen würde. Unserem Sohn Flurin versuche ich das Bewusstsein zu vermitteln, dass es viel cooler ist, aus eigener Kraft auf den Berg zu gelangen. Aber ich verbiete ihm den Sessellift nicht, denn ich weiss, dass meine Haltung diesbezüglich extrem ist. Ihre Ansichten werden extrem, wenn es um körperliche Leistung geht ... — Ja. Man soll sich den Berg verdienen. Es ist zu billig, sich einfach hinauftragen zu lassen! Biker, die sich im Sommer in die Sessel setzen und auf den Berg fahren lassen, um von da runterzuflitzen, kann ich nicht ernst nehmen. Erklimmen Sie den Berg immer selber? — Ja, das ist stets zutiefst befriedigend. Ich fahre höchstens zum Berg hin oder lasse mich runtertragen — aber niemals hinauf. Diese Erfahrung kann ich allen nur empfehlen. Aktuell geraten Downhill-Biker mit Stirnlampen im Wald in die Kritik. Ist die Sorge ums Wild übertrieben? — Nein, gar nicht. Die neuen Lampen sind fürs Wild eine Zumutung und insofern ein grosses Problem. Da muss man die Leute noch stärker sensibilisieren. Haben Sie in der Natur manchmal das Gefühl, dass Sie mit Ihrem Sport stören? — Ich würde nie mit dem Bike oder auf Ski

ein Wildschutzgebiet runterfahren. Das würde das Wild aufschrecken, das Winterruhe hält und mit seiner Energie sparsam umgehen muss. Aufwärts ist man langsamer unterwegs, stört aber auch. Ich würde aber auch nie mit Schneeschuhen durch ein Wildschutzgebiet gehen. Fördert der Sport die eigene Disziplin? — Wahrscheinlich schon. Man sagt ja, Sport sei eine Lebensschule. Wie wichtig ist das Naturerlebnis für Sie und wie wichtig die Disziplin? — Das Naturerlebnis ist alles, sonst würde ich den Sport nicht in dieser Form betreiben. Haben Sie eine Vorbildfunktion? — Ich bin nicht so bekannt wie andere Spitzensportler und bewege mich nicht in den sozialen Netzwerken. Das Teilen meiner Trainingsresultate mit aller Welt interessiert mich nicht. Wichtiger ist mir, so grün wie möglich zu leben und das an meinen Sohn Flurin weiterzugeben. Apropos grün: Wann würden Sie einem Sponsor trotz guter Einnahmen nein sagen? — Ich hatte einmal ein Angebot einer Bank. Da musste ich nicht überlegen — für ein Geldunternehmen mache ich keine Werbung. Dasselbe gilt für Autos und Energiekonzerne. Ich bin froh, nicht auf Sponsoren angewiesen zu sein, das ist ein Luxus, den ich mir leisten kann, weil ich nicht nur Sport mache, sondern mein Geld mit einer anderen Arbeit verdiene. Letzte Frage: Wird Ihnen nie langweilig beim stundenlangen Rennen oder Velofahren?— Nein. Es gibt so viele schöne Geräusche in der Natur! Und wenn ich keine Lust mehr habe, kehre ich um. Es ist nie ein Müssen. * Der Inferno-Triathlon ist mit seinen 5500 Steigungsmetern einer der härtesten der Welt.

Nina Brenn (nicht auf dem Bild links) ist 1979 im Kanton Zürich geboren und aufgewachsen. Sie stammt aus einer sportlichen Familie und absolvierte schon früh Kinderläufe und LeichtathletikWettkämpfe. Als 16-Jährige entdeckte sie das Rennradfahren. Sie studierte Forstingenieurin und lebt mit ihrem Mann und dem 2006 geborenen Sohn Flurin in Flims. Die Athletin bestreitet bis zu fünf Wettkämpfe im Jahr.


Kurznachrichten 38 / 39

Diskriminierung Kampagne gegen Sexismus im Sport Ende Januar hat die Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Sportämter (ASSA) eine Kampagne lanciert, die sich gegen Sexismus und Homophobie im Sport richtet. Sami Kanaan, Präsident der ASSA und Stadtrat von Genf, weist darauf hin, dass lesbische und schwule Sportler häufig ausgegrenzt werden und sie ein Coming-out deswegen nicht wagen. Der dadurch entstehende Leidensdruck sei beträchtlich. «Unsere Kampagne will einer breiten Öffentlichkeit bewusst machen, dass auch im Sport die Leistungen zählen und nicht die sexuelle Orientierung», sagt Sami Kanaan.

Ökopreis Förderung nachhaltiger Sport-Events Ökologisch vorbildliche Sportveranstaltungen wurden bisher mit dem Ecosport-Award von Swiss Olympic ausgezeichnet. Sechs Preisträger gab es im letzten Jahr, unter anderem das Schwing- und Älplerfest sowie das Eidgenössische Turnfest. Dieser Preis wird jetzt vom Eventprofil abgelöst, das Swiss Olympic und die Bundesämter für Sport, Umwelt, Raumentwicklung und Energie erdacht haben. Veranstalter können sich in Belangen wie umweltverträglicher Transport, Energieeffizienz und Abfallkonzepte gratis beraten lassen. Zusätzlich vergibt Eventprofil jährlich Fördergelder für ökologische und nachhaltige Massnahmen von Sportanlässen. Eingabedaten und Kriterien auf swissolympic.ch.

Blogtipp

Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

Sport and Politics Der Journalist Jens Weinreich ist Experte für internationale Sportpolitik sowie für die Finanzierung von Megaevents und für Korruption im Sport. Er betreibt den Blog Sport and Politics (www.jensweinreich.de). Weinreich war jahrelang Sportchef der Berliner Zeitung und arbeitet seit 2008 wieder als freier Journalist. Seine Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Sotschi Kein Gold für Umwelt und Menschenrechte Die «grünsten Spiele aller Zeiten» sollten es laut Wladimir Putin werden — in einem subtropischen Badeort, der über null Wintersportinfrastruktur verfügte. Das olympische Dorf liegt in einem Naturschutzgebiet, das 1999 zum Unseco-Welterbe erklärt wurde. Greenpeace und WWF brachen die Verhandlungen mit den Organisatoren bereits 2010 ab, weil ihre Kritik ignoriert wurde. In einem Bericht aus dem gleichen Jahr kritisierte die UNO-Umweltorganisation UNEP Russland für fehlende Massnahmen zum Schutz der Ökosysteme. Vergebens, niemand konnte die angelaufene Olympia-Maschinerie noch stoppen. Wer sich vier Jahre später während der Olympiade in Sotschi noch immer gegen die Zerstörung einzigartiger Bioreservate, den Bau von Strassen und Luxushotels, die Verschmutzung von Quellwasser mit Schwermetall, illegale Bauschutt-Deponien und Bodenerosion wehrte, wurde zum Schweigen gebracht. Am 12. Februar wurde der russische Umweltaktivist Jewgeni Witischko von einem Gericht in Krasnodar zu drei Jahren Strafkolonie verurteilt. Offizieller Grund: Er hatte 2011 gegen einen illegalen Bau des Gouverneurs von Krasnodar demonstriert und gegen die Regeln der daraus resultierenden bedingten Haftstrafe verstossen. Der inoffizielle Grund: Witischko wollte in Sotschi einen Bericht seiner Organisation Environmental Watch on North Caucasus (EWNC) zu den Umweltzerstörungen präsentieren. Auf dem Weg wurde er wegen Fluchens in der Öffentlichkeit von der Polizei angehalten und zu fünfzehn Tagen Haft verurteilt. Neun Tage später folgte die Verurteilung zur Strafkolonie. Laut Andrey Petrov von Greenpeace Russland, der regelmässig mit EWNC zusammenarbeitet, hat die Repression gegen Umweltaktivisten mit den Spielen stark zugenommen. «Sie werden von der Polizei eingeschüchtert, mit Gewalt festgehalten und ver-


trieben. Es gibt nur eine Erklärung dafür: Die Regierung hat Angst.» Laut Umweltjuristin Yulia Genin wurden im Vorlauf und während der Spiele die Büros von EWNC dauernd überwacht und die Telefone abgehört. Ein anderes Mitglied der Organisation, Suren Gasarjan, floh bereits 2012 ins Exil nach Tallinn, nachdem zwei Anklagen gegen ihn erhoben worden waren. Für das Internationale Olympische Komitee (IOC) war all dies «not games-related», hatte also mit den Spielen nichts zu tun. Das obwohl Human Rights Watch dem IOC detaillierte Belege für Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Spiele vorlegte, darunter Ausnutzung von Fremdarbeitern, Vertreibungen, Diskriminierung von Homosexuellen und Schikanierung von Journalisten und Aktivisten. In einem Interview mit der Wochenzeitung «Die Zeit» sagte Gasarjan während der Spiele: «Es gibt keinen Grund zur Freude, denn der Preis für die Olympischen Spiele war die Zerstörung unserer einzigartigen Natur. Sotschi ist nicht länger ein Kurort, die Ökosysteme sind kaputt.»

Snowfarming Schnee von gestern für längere Saison Die Winter werden zunehmend wärmer, deshalb greifen Skiorte vermehrt aufs Snowfarming zurück. Schnee des Frühjahrs wird in hohen Lagen mit Kunststoffplanen oder Sägemehl abgedeckt und im Spätherbst für den Bau von Loipen und Pisten verwendet, bevor der Schneefall einsetzt. Dadurch ist ein früherer Saisonbeginn möglich. In einem Projekt des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung Davos liess sich schon vor Jahren belegen, dass bis zu 80 Prozent der abgedeckten Schneemenge den Sommer überdauern. Die internationale Alpenschutzkommission CIPRA steht dem Snowfarming kritisch gegenüber, denn Snowfarming verbraucht unnötig viel Strom und Wasser, das Ökosystem wird manipuliert und es entstehen Eingriffe in die Landschaft.

Ride Greener Klimafreundlich brettern Enthusiastische Snowboarder und Freeriderinnen verbringen jede freie Minute in den Bergen. Dabei sind sie nahe an schmelzenden Gletschern und bekommen die Auswirkungen der Klimaveränderung hautnah mit. Gleichzeitig sind sie oft mit Autos, Flugzeugen und Helikoptern unterwegs zu den besten Abfahrten. Diesem Widerspruch wollte eine Gruppe von Ski- und Snowboardcracks etwas entgegensetzen und hat die «Ride Greener»-Initiative gegründet. Mit der Website www.ridegreener.com, einem Magazin, Kursen und Veranstaltungen wollen sie die Szene sensibilisieren für klimafreundliches Boarden und die Respektierung von Wildtieren. Dazu haben sie den ersten klimafreundlichen Snowboard- und Skifilm produziert: «Steps: The Ride Greener». Der Film zeigt spektakuläre Sprünge und Abfahrten auf traumhaften Hängen, aber auch den Aufstieg mit reiner Muskelkraft und die Anfahrt mit dem Zug. Die Alpen vor der Haustür geben genug her, meinen die ProtagonistInnen — Flugzeug und Helikopter sind etwas für Bequeme. Der Film kann auf www.stepsfilm.com kostenlos angeschaut werden. Er wurde unter anderem von Alpiq und myclimate gesponsert.

Rechtsverletzung Ausbeutung auf WM-Baustellen in Katar Die Vorbereitungen für die Fussball-WM 2022 in Katar sind alles andere als menschenwürdig. Fast systematisch werden Arbeits- und Menschenrechte verletzt. Auf den Baustellen gab es schon Dutzende Tote. Die ArbeiterInnen haben keinerlei Rechtsschutz, sie können sich nicht frei bewegen und sind für die Vertragsdauer an ihren Arbeitgeber gebunden, der ihnen bei der Einreise den Pass abnimmt. Die englische Zeitung «Guardian» schrieb nach einem Augenschein von «moderner Sklavenhaltung». Werden Sie aktiv und unterschreiben Sie die Petition von Amnesty, welche die katarische Regierung auffordert, die Rechte von Tausenden Wanderarbeitern zu respektieren. www.amnesty.org


DER LINK (DIE KARTE)

STAUBPARTIKEL Die fortschreitende Wüstenbildung führt zu Staubwolken, die weit reisen.

MEERSALZ Immer häufigere Zyklone wirbeln Meersalze auf und katapultieren sie in die Atmosphäre.

DIE WELT AL

www.greenpea Im Scientific Visualization Studio des Goddard Space Flight Center der NASA trifft Kunst auf Wissenschaft. Dort werden aus Datenmassen faszinierende Animationen hergestellt und ins Web gestellt. Die abgebildete Karte ist nur ein Standbild aus einem jener Videos: Täglich 30 Millionen Beobachtungen von Wetterballonen und -stationen ergeben ein dynamisches Porträt unserer Atmo-


SULFATPARTIKEL

RAUCHPARTIKEL

Sie entstehen in Vulkanen und aus verbrannten fossilen Treibstoffen.

Die Brandrodung von Urwäldern setzt Unmengen an Schadstoffen frei.

MEERSALZ

STAUBPARTIKEL

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ace.ch/der-link sphäre im Klimawandel. Verschiedene Farben unterscheiden Aerosole, die rund um die Erde zirkulieren: Staub- und Rauchpartikel, Meersalze und Sulfate. Sie werden von Zyklonen aufgewirbelt und vom Wind fortgetragen. Die Modellierung solcher Bewegungen hilft zu verstehen, wie unser Klima beeinflusst wird.

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LS GEMÄLDE


BIENEN

ZUM AUFTAKT EIN SUPER-GAU

Bienensterben in der Welt, Bienenfilme im Kino, Bienenkästen überall. Wer imkert, lässt sich nicht auf ein trendiges Hobby ein, sondern begibt sich in eine bodenständige Subkultur mit viel Verantwortung. Unser Autor hält seit hält seit zwei Jahren Bienen. Nun weiss er, was ein SuperGAU ist — und dass er verpflichtet ist, die «Schweizerische Bienenzeitung» zu abonnieren. Von Markus Tischer Illustrationen von Janine Wiget Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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«To start from scratch» – seit diesem Jahr hat der Ausdruck eine neue Bedeutung. War es für mich zuvor eine jener Floskeln, die man im Englischen leichthin verwendet oder aus Popsongs kennt, weiss ich nun, dass er der ganz eigenen Welt des Imkers entstammen könnte, ähnlich wie das Wort «stockdunkel». «To start from scratch» – für uns heisst das, sich tagelang dem Abkratzen hölzernen Materials hinzugeben, Wochenende für Wochenende. Es ist im Grunde ein sympathisches Material, das wir da bearbeiten: Aus Erlenholz sind die Wabenrahmen, aus Fichte die selbstgebauten «Schweizerkästen». Die liebevoll gezimmerte Einrichtung unseres Bienenhauses ist nun verseucht, hochinfektiös. Wir sind Sperrbezirk. «Sauerbrut» lautet die ernüchternde Diagnose des zuständigen Inspektors. Wie das aussieht, was das für uns bedeutet, lesen wir auf dem Plakat «Gefährliche Bienenkrankheiten» gleich neben dem Bieneninspektor an der Wand unseres Bienenhauses. Dass wir die Bienen töten müssen. Und dass wir aller Materie, mit der sie in Kontakt waren, mit Ätznatron und Desinfektionsmittel zu Leibe rücken müssen. Seit ein paar Wochen erst versuchen wir uns als Jungimker. Was unseren Vorgänger am Ende seiner Imkerkarriere frustrierte, erleben wir schon zum Auftakt.

Es enthält Behausungen für nicht weniger als 16 Bienenvölker. Zur einzigartigen, rätselhaften Mixtur aus High- und Lowtech-Utensilien gehören auch der Wabenknecht, der Bienentrichter, die Radialhonigschleuder oder der Stockmeisel: Vokabeln einer Sprache, die inzwischen erstaunlich leicht über die Zunge geht. Alles Mögliche und Unmögliche wartet hier auf uns – bis zum speziellen Klebstoff, mit dem wir eine Bienenkönigin mit einer nummerierten Plakette markieren könnten, wenn wir denn eine anträfen. Ein Imkerutensil besass ich schon in der Zeit davor. Einen «Smoker» aus Metall, zum Befüllen mit einer brennbaren Kräutermischung, meine erste Ahnung von diesem Kosmos hatten mir Freunde vor ein paar Jahren zum vierzigsten Geburtstag überreicht. Offenbar hatte ich zweimal zu oft erwähnt, dass ich dereinst Bienen halten wolle. Weil mich ein ganzes Bündel von faszinierenden Eigenschaften anspricht. Zuallererst die Kommunikation. Auch das Uralte, das noch immer Rätselhafte, das Poetische, nicht zuletzt das Existenzielle des Bienenlebens. Das Fragen aufwerfende Gerät hat seitdem im Bücherregal gestanden, für die letzte Phase des theoretischen Imkerseins, diese Zeit des Liebäugelns.

Es wird ernst Diese Phase sollte mit meinem letzten Umzug enden. Kurz nach dem Einzug kommt mein Lieblingsmensch und künftiger Hilfsimker mit den Nachbarn ins Gespräch und erwähnt zufällig meine Ambitionen. Es stellt sich heraus, dass der über 80-jährige Altimker gleich nebenan nach einem Nachfolger Ausschau hält, bislang allerdings vergeblich. Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir? «Seid ihr die, die meine Bienen übernehmen?», pariert er unsere erste scheue Kontaktaufnahme. Von da ist es nicht mehr weit zur Unterschrift des Vertrags. Ein paar Treffen mit dem Imker und seiner Frau liegen dazwischen, das schon. Überzeugungsarbeit, Buhlen um Vertrauen. Ja, wir haben verstanden, dass Urlaubsreisen nur ausserhalb der Bienensaison in Frage kommen. Also von Das Plakat mit den Krankheiten gehört zum Oktober bis Februar. Dann meine Zusicherung, Bienenhaus-Paket wie die vielen anderen das Imker-Einmaleins im bereits gebuchten Kurs Details darin. Hübsch und verwunschen gelegen bei den Zürcher Bienenfreunden zu erlernen. Unist es, das Haus – und in einer überwältigenden ser Vorgänger ist der letzte Imker im Dorf. Bald Art komplett. werden wir es sein. Noch etwas: Wir müssen die Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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Der Weg zum Bienenhaus


«Bienenzeitung» abonnieren. Vorerst gibt er uns seine Ausgaben – leihweise. Die Artikel darin heissen «Die Sauberbrut im Hinterkopf», «Liste der Gemeinden, in denen 2012 ein Einsatz von Streptomycin infrage kommt» oder «Speditives Drahten von Brutrahmen». Auch die «Apistischen Beobachtungen» finden hier ihre Leser.

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Die Stunde der Wahrheit

Der Winter bringt den «Schweizerischen Bienenvater». Ich gehöre zu den Letzten, zu denen das fünfbändige Standardwerk unter diesem Titel kommt. Vor kurzem wurde es umbenannt in «Schweizerisches Bienenbuch», womit die Herausgeber darauf reagieren, dass eine Domäne älterer Herren und kauziger Charaktere im Begriff ist, von Frauen und jüngeren Menschen abgelöst zu werden. Ausgestattet mit jahrhundertealtem Wissen erwarten wir aufgeregt unsere erste Saison, die Stunde der Wahrheit, den Zeitpunkt im Frühling, wo die Bienenvölker ihren ersten Flug unternehmen. Für uns markiert er den Augenblick, wo es ernst wird. Für die Bienen ist es der Moment, ihre Kotblase nach der langen Winterruhe im Flug zu entleeren – nach einem langen, sehr kalten Februar. Es passiert lange nichts, dann endlich erwacht eines unserer acht Bienenvölker. Bei zwei anderen zeigen sich nur zarte Anzeichen von Leben. Wenig Flugverkehr. Von Tag zu Tag wird wahrscheinlicher, dass wir nicht ausgespart werden von den harten Fakten. Fast die Hälfte der Schweizer Bienenvölker hat den Winter nicht überlebt. Wie lange sollen wir warten? Ich frage meinen Vorgänger. Noch ein paar Tage, bis wir die Kästen gemeinsam öffnen. Der Anblick ist grausam: Fünf Völker sind gestorben, die Kästen sind voll toter Bienen. Zwei Völker sind sehr schwach, ihr Gesumme ist kaum der Rede wert. Allein das Volk im Kasten No. 1 macht den Ein-

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druck eines gesunden Organismus. Das ist der Anblick, der viele Imker in den letzten Jahren bewogen hat, alles hinzuwerfen. Wer jetzt neu anfängt, lässt sich nicht auf ein harmloses Hobby ein, sondern auf eine verantwortungsvolle Tätigkeit, wo schon kleine Fehler zum Super-Gau führen können und über Leben und Tod im Bienenhaus entscheiden.

Erklärungsversuche Eines ist inzwischen klar: Das Bienensterben hat viele Ursachen. Bei uns scheint es auf zwei Hauptgründe hinauszulaufen. Die Bienen waren nicht genügend gegen die notorische Varroamilbe geschützt. Setzt man die Völker nicht ganz korrekt den gebotenen Säuren zu ihrer Bekämpfung aus – der richtige Zeitpunkt‚ die richtige Temperatur entscheiden –, schaffen es viele Bienen schlicht nicht über einen langen Winter. Die faszinierende Traube, in der sie sich gegenseitig wärmen, ihre Positionen wechseln – mal aussen in der ungemütlicheren Zone des Klumpens, mal innen im Warmen – ist dann nicht gross genug, um die nötige Temperatur zu halten. Die Körpertemperatur der Bienen liegt nahe bei der des Menschen. Wahrscheinlich hat die Milbe auch mit dem zweiten Grund unserer Misere zu tun, der «Sauerbrut», dieser hoch ansteckenden bakteriellen Krankheit. Denn auch für Krankheiten sind die Insekten anfälliger, wenn die Völker durch die Milbe geschwächt und dezimiert sind. Eine von Milben befallene Biene lebt mindestens einen Drittel kürzer. Im Kino hat mir Markus Imhoofs Bienenfilm «More than honey» noch einmal plastisch vor Augen geführt, wie monströs die Varroa destructor den Bienen zu Leibe rückt: Auf die Grösse des Menschen übertragen hätte eine solche Milbe die Masse eines ausgewachsenen Kaninchens. Der Inspektor jedenfalls packt umgehend seine Gasflasche aus, um die beiden infizierten Bienenvölker vor unseren Augen «abzuschwefeln». Wie die Hinterbliebenen der bereits toten Völker empfiehlt er, auch sie nach dem verstörenden Schauspiel der Kehrichtverbrennung zuzuführen. Uns Jungimkern bleibt Volk No. 1, das erst einmal keine äusseren Spuren der Seuche aufweist. Wir sind uns einig, es zu behalten – trotz der Empfehlung der Behörden, alle zu liquidieren, sofern eine Befallsquote von über 50 Prozent vorliegt. Wir sind entschlossen, Volk No. 1 zu retten.

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Wie man sich ein Bienenvolk besorgt Wer hätte ahnen können, dass die Warteliste der Zürcher Feuerwehr für Interessenten an eingefangenen Bienenvölkern für dieses Jahr schon geschlossen ist. Also sitzen wir um 22 Uhr abends im «Hirschen» in Egg an der Generalversammlung des Bienenzüchtervereins des Bezirks Meilen – ein Tipp unseres Vorgängers, der auch gleich mitgekommen ist. Während für jede anwesende Person eine üppige Wurstplatte serviert wird, versuchen wir Kontakt mit erfahrenen Bienenhaltern aufzunehmen. Es sollte doch jemanden geben, der uns Novizen eines seiner Bienenvölker überlässt. Für mich ist das schon die zweite Veranstaltung dieser Art in dieser Woche. Es ist Saisonbeginn. Doch das Unternehmen stellt sich als chancenlos heraus. Zu vernichtend sind die Verluste nach dem letzten Winter, als dass jemand Bienen mit uns teilen wollte. Uns bleibt im «Hirschen» nur noch, dem Vortrag über bienenfreundliche Pflanzen zu folgen. Also doch auf eine Anzeige in der «Schweizer Bienenzeitung» reagieren? In Vals ein Bienenvolk erstehen und ins Unterland kutschieren? Endlich Erfolg bei meinem Hilfsimker: Sein früherer Arbeitskollege ist Bioimker und tatsächlich bereit, uns eines seiner Völker zu überlassen. Am Sonntagabend soll der Bienentransport

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Erste Hilfe

Während der Imker ein paar unruhige Nächte hat, sehen wir, die Novizen, eher pragmatisch den angesagten Sanierungsprojekten ins Auge. Das eine betrifft das Bienenhaus: Komplett desinfiziert und akribisch von möglichen Erregern befreit muss es sein. Das zwingt uns, immer wieder in Schutzkleidung zu steigen und das Innere der Kästen möglichst vollständig mechanisch, chemisch und thermisch zu reinigen. Unsere neuen Bienenvölker sollen von den verhängnisvollen Bakterien verschont bleiben. Die zweite Aktion betrifft die Rettung von Volk No. 1. Wir wollen nicht mit null Bienen starten. Und die einzige Chance, das zu verhindern, ist die drakonisch klingende Massnahme «Kellerhaft für Volk No. 1». Dafür soll das Volk als «Kunstschwarm» in eine alte Schwarmkiste. Was wir brauchen, saugen wir uns jeweils am Abend davor im Schnellstudium aus dem «Schweizerischen Bienenvater» – dazu kommt noch etwas Feinabstimmung mit dem Vorgänger. Dies ist der Einstieg in eine Reihe von Übungen, die wir künftig früh morgens vor der Arbeit absolvieren, ohne schon von Kenntnissen aus dem Kurs zu profitieren. Es macht anfangs etwas nervös, Tausende von summenden Insekten mit ein paar entschlossenen Faustschlägen auf den herausgenommenen Wabenrahmen in eine Kiste zu bugsieren. Wer dabei nicht mitkommt, wird im zweiten Durchlauf mit einer zarten Bienenbürste in die Kiste befördert. Anfangs habe ich noch wenig Gespür dafür, was so ein Bienchen alles mitmacht. Ein Bienenvolk lebt jetzt im dunklen Keller unseres Wohnhauses. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass die Mitbewohner im Haus eine ganz spezielle Erfahrung machen: Eine Traube von mindestens 20 000 Bienen summt auf Knopfdruck, sobald jemand das Licht einschaltet.

Die Kiste – so haben wir glaubhaft versichert – ist fest verschlossen. Drei futterlose Tage später soll Volk No. 1 alle potenziellen Sauerbruterreger ausgeschieden haben und ist bereit fürs Relogieren an den desinfizierten alten Ort. Auch dies am Morgen, wenn die Bienen am ruhigsten sind, am wenigsten aggressiv. Und eine solche Bienenoperation bitte nie unter Zeitdruck durchführen – denn sie spüren, wenn man Stress hat. Sie mögen keinen Schweiss. Die Übung in Gelassenheit ist nicht immer gut zu bewältigen. Es geht nicht ohne Stiche, manchmal schaffen es ihre Stachel durch unsere Jeans, und manchmal sind wir leichtfertig und tragen den weissen Schleier bei kleineren Übungen nicht. Unser Vorgänger trägt nie einen, er hat seine Zigarre. «Stiche gehören einfach dazu», meint er. Wir werden das bald erfahren. Denn Volk No. 1 scheint erst einmal gerettet. Aber für ein Volk lohnt der ganze Aufwand nicht – und wir wollen ohnehin noch mehr Bienen.


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rollen, in einem Personenwagen, den wir flottmachen. Was da verladen werden soll, ist keine kleine Kiste, sondern ein kompletter «Schweizerkasten», den der freundliche Imker uns gemeinsam mit seinem Bienenvolk – wohl sogar sein stärkstes – anvertraut. Die Ausmasse des Behältnisses erweisen sich als wenig rücksitztauglich, so dass wir es nur mit viel Kraft ins Auto bugsieren können. Auf der Fahrt ist aus dem Passagierraum auffälliges Gesumme zu hören. Unser Transportmittel ist nicht ganz bienendicht. Die Aktion endet glücklich, wenn auch nicht ohne Stiche. Es ist schon dunkel, als die etwa 30 000 Bienen an diesem späten Sommerabend im Bienenhaus einlogiert sind. Rohe Zwiebeln auf den Schwellungen helfen, bilden wir uns ein.

Fluglochbeobachtung

Den Kurs belegen wir schliesslich auch noch – nach all der Aufregung kann ein solider theoretischer Unterbau nicht schaden. Jeden zweiten Samstag lauschen wir nachmittags den Ausführungen unseres Kursleiters, der sich als nimmermüder Botschafter des Schweizerkastens entpuppt. Quasi der Rest der Welt operiert mit Magazinkästen – also den simplen Kästen, die irgendwo draussen stehen. Wer aber ein Bienenhaus und die von hinten zu öffnenden Schweizerkästen hat, ist «per du mit der Königin», so hören wir. Der Leiter des Grundkurses 1 bei den Zürcher Bienenfreunden ist ein sympathischer Verfechter des intuitiven Imkerns. Fast alles könne man durch Beobachtung ablesen, fast die wichtigste Tätigkeit des Imkerns sei die Fluglochbeobachtung. Das leuchtet mir ein. Es gefällt mir auch, morgens mit einer Tasse Kaffee zum Bienenhaus zu Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

schlendern und nach bedeutungsvollen Anzeichen Ausschau zu halten. Man muss sie nur lesen können – es gilt zu lesen, wie sich die Bienen verhalten, was sie im Flug eintragen. Zu interpretieren, was am Morgen auf dem Flugbrett liegt. Seltsame Larven, tote Bienen: Der Müll ist die Message. Alle wichtigen Botschaften wie Brutzustand, Krankheitssymptome und Schwarmtendenzen kündigen sich hier an. Man kann alles wissen, ohne immer gleich die ganze Truppe auseinanderzunehmen. Denn jedes Nachschauen im Innern des Bienenstocks kann als schwerwiegender Eingriff an einem grossen Organismus verstanden werden. Doch auch den Praxisteil gibt es. Nebenan bei den lebenden Bienenvölkern, die eigens dafür da sind, uns zu schulen – auseinandergenommen und angeschaut zu werden. Dass man die Bienen jedes Jahr mit Zuckerwasser abspeist, nachdem man ihnen den Grossteil des Honigs genommen hat, wird hier im Imkerkurs nicht hinterfragt. Unser Kursleiter meint, man könne experimentieren und ihnen mehr Honig lassen. Der Kurs ist gut besucht, es sind auch Frauen und ein sehr junger Mensch dabei – sogar meinen Hausarzt habe ich im neu stattfindenden Parallelkurs getroffen. Was wir hier lernen, haben wir oft in der Realität durchexerziert. Wir haben Volk No. 1 auf Krankheiten und Eiablage überprüft. Wir haben erfolgreich von Volk No. 2 Ableger gebildet. Wir haben die faszinierenden Königinnenzellen entnommen. Wir haben Königinnen mit Klebstoff markiert – fast sogar eine, die gar keine war, sondern eine Drohne. Wir haben versucht zu verhindern, dass die Völker schwärmen. Inzwischen ist auch am Lehrbienenstand die Sauerbrut ausgebrochen – es kann wirklich alle treffen. Nicht intuitiv, das ist sicher, sollte man die Varroabekämpfung angehen, sie ist der zentrale Lehrinhalt. Unsere Waffen sind organisch, sie heissen Oxalsäure und Ameisensäure.

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verstehen, oder sie missdeuten unsere Behälter mit Zuckerwasser als Spülmittel für die Hausgemeinschaft. Sie werden auf seltsame Phänomene angesprochen wie den über Pfingsten entflogenen Schwarm, als wir einmal drei Tage in den Bergen waren. Später suchten wir in der Nachbarschaft nach der Bienentraube, aber am Ende lautete das Fazit: Ein Volk weniger wegen drei Tagen Wandern. Eines Tages berichtet meine Arbeitskollegin am Telefon live von einem Bienenschwarm. Diesen fängt der Hilfsimker eine Stunde später ein, vor den Augen der verDas Jahr im Bienenkosmos hat mich herausgesammelten Nachbarschaft, mit Schutzanzug, fordert und überwältigt. Schon die Schönheit Schwarmkiste und Wissen aus dem «Schweizer des Wabenbaus kann einen mit kompliziertesten Bienenvater». Der Schwarm bereichert Umständen versöhnen. Es ist ein gelungener nun unseren Bienen-Genpool. Und unseren Einstieg in den Tag, eine Übung darin, zur Ruhe Geschichtenfundus. zu kommen und über die perfekte Organisation Ist am Ende alles gut? Die Radialhonigder Bienen zu staunen. schleuder zumindest haben wir in Gang setzen Die Biene ist keine Multitaskerin. Was sie können. Volk No. 1 hat sich so gut erholt, dass tut, tut sie in ihrem kurzen Leben der Reihe es immerhin für 20 Kilo Honigernte gereicht nach. Zuerst Zellen reinigen, dann Brut pflegen, hat. Lächerlich für alte Hasen – aber viel mehr, später Wachs produzieren, Waben bauen, Futter als wir erwarten durften. Fünf Völker sind es, verarbeiten, Wache schieben. die wir in den nächsten Bienenwinter schicken, Erst ganz zum Schluss wird sie Sammelbiene. melde ich den Behörden. «Bestandeskontrolle Wir sind fasziniert, was in diesen Schweizerist Imkerpflicht», entnehme ich einer druckkästen vor sich geht. Und unsere Mitbewohner frischen Ausgabe der «Schweizerischen Bienenstaunen über neue Geräte im Haus, die sie nicht zeitung».

Bestandeskontrolle ist Imkerpflicht

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Markus Tischer (46) ist Kulturjournalist und Imker. Dieser Text schildert sein erstes Bienenjahr 2012. Was danach kam, verlief erfreulicher: keine Krankheiten, reiche Honigernte – wenn auch viele Stiche. Nach dem aktuellen milden Winter geht er in die Saison 2014 mit acht Bienenvölkern – bis auf eines haben diesmal alle überlebt.


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Text von Paul Hilton Bilder von Paul Hilton und Douglas Seifert Stell dir vor, du schwimmst in deinem Zuhause nur wenig unter der Wasseroberfläche an einem wunderschönen Morgen im tropischen Meer von Indonesien. Das Wasser ist so klar und ruhig, dass du an der Wasseroberfläche über dir dein Spiegelbild sehen kannst. Dein Körper ist optimal geformt zum mühelosen Gleiten durch türkisfarbenes, ruhiges Wasser – du bist ein riesiger Vogel in einem grossen, blauen, flüssigen Himmel. Während du beim Gleiten Nahrung aus dem Wasser filterst, hörst du auf einmal das Brummen eines nahenden Propellers – und im Moment, wo du den Lärm bemerkst, durchzuckt dich schon der scharfe Schmerz eines Stahlrohrs, das deinen Körper durchbohrt. Es dringt in deinen Rücken und gräbt sich in deine Organe. Du wirfst dich hin und her, aber du kommst nicht frei und wirst zu einem schwimmenden Objekt an der Oberfläche geschleppt. Je mehr du dich wehrst, desto schmerzhafter graben sich die Widerhaken ins Fleisch. Dreissig Minuten kämpfst du um dein Leben und wirst schwächer, während sich das Wasser mit deinem Blut färbt. An der Oberfläche siehst und hörst du die Menschen der Crew, sie singen ein uraltes Lied, das verhindern soll, dass du ihnen entkommst. Ein Stahldraht bewegt sich an deinem Kopf vorbei und ergreift dich mit seiner Schlaufe, dann erlischt in einem weiteren stechenden Schmerz zuerst dein Sehen und dann dein Bewusstsein – eine kleine Stahlspitze ist in dein Hirn gedrungen – und du weisst nichts mehr. Dein prachtvoller, schwarzgeflügelter Körper wird mit einem Haken an Bord gehievt. Dort wirst du zerlegt: Kopf, Flügel und Schwanz werden abgehackt, die Kiemen aus dem Hals gerissen. Du bist ein Teufelsrochen ohne jeden Glanz, vernichtet in einem gefühllosen Akt der Barbarei, und dienst nun als Nachschub für einen dubiosen Handel mit chinesischen «Heilmitteln».

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1 Im Schwarm kommen Mantas immer seltener vor. Ihr Fleisch landet in Kochtöpfen und wird zu exotischen Pseudomedikamenten verarbeitet. Viele Bestände erholen sich kaum mehr. 2 Lohnender Beutezug: Für ein Kilo Manta werden bis 500 Dollar bezahlt. Die auf chinesischen Märkten umgesetzte Menge wird auf jährlich bis zu 80 000 Kilo geschätzt. 3 Ende eines Schwergewichts: Ausgewachsene Mantas können über 1000 Kilo wiegen und bis sechs Meter Spannweite haben. 4 Was bis zu 50 Jahre leben könnte, wird im Nu portioniert: Auf der ganzen Welt werden jährlich schätzungsweise 3400 Mantas zu Geld gemacht. 5 Zum Trocknen ausgelegte Manta-Stücke: Die Kiemenreusen werden im asiatischen Raum zu Allerweltspülverchen verarbeitet, die angeblich das menschliche Blut entgiften. 6 Asiatische Händlerin mit TrockenfleischLager: Früher waren Haiflossen der Renner, jetzt werden in tropischen und subtropischen Gewässern die Manta-Bestände geplündert.

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AXPO STOPPT URANBEZÜGE AUS MAJAK

Chronik Majak — verstrahlt und vergessen

15. Juni 1949 Majak wird in Betrieb genommen Der erste Atomreaktor in Majak ist Teil des sowjetischen Atomwaffenprojekts. Majak gilt als erste Anlage zur Produktion von spaltbarem Material der Sowjetunion.

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29. September 1957 Plutoniumtank explodiert Ein Stahltank mit 300 m3 hochaktiven, plutoniumhaltigen Abfällen explodiert. Ein Gebiet von 23 000 km2 mit einer Viertelmillion Menschen wird verstrahlt.

Im sibirischen Ural liegt Majak, die berüchtigte Wiederaufbereitungsanlage für AKW-Brennstäbe. Gewässer, Boden und Luft in dieser Gegend sind massiv verstrahlt nach 60 Jahren Betrieb und mehreren schweren Unfällen. Bisher, so zeigen Greenpeace-Recherchen, bezog auch die Axpo ihr brisantes Material aus Majak. Jetzt ist Schluss damit. Eine Chronik verdeutlicht, wie Greenpeace und andere Engagierte diesen Entscheid forciert haben.

15. Juli 2009 Greenpeace deckt auf: Falsche Angaben in der Axpo-Ökobilanz Greenpeace veröffentlicht einen Report, der aufzeigt, dass für Beznau nicht wie angegeben Waffenuran verwendet wird. NOK/Axpo erklären die Nachforschungen von Greenpeace als gegenstandslos. 8. September 2010 Axpo gibt zu, dass Uran aus Majak stammt In der «Rundschau» gibt Manfred Thumann, CEO der Axpo, erstmals öffentlich zu, dass die AKWs Beznau und Gösgen Uranbrennmaterial aus Majak beziehen. 4. Oktober 2010 Greenpeace richtet einen offenen Brief an Axpo In einem Brief wird die Axpo-Leitung aufgefordert, volle Transparenz zu den MajakGeschäften zu schaffen und Verantwortung zu übernehmen. Der Brief richtet sich auch an die Kantone AG, GL, SH, ZG und ZH sowie an verschiedene Elektrizitätswerke. Diese tragen als Aktionäre Mitverantwortung für die Geschäfte des Konzerns. 15. November 2010 Greenpeace besucht die Umgebung von Majak Der Augenschein vor Ort ist bedrückend: Eine riesige Region ist radioaktiv verseucht. Krebserkrankungen und Leukämie kommen in jeder

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19. November 2010 Axpo will nach Majak. Greenpeace auch! Unter Druck gibt Axpo Details über die Herkunft ihres Brennmaterials bekannt und weist auf Dunkelzonen in der Uranlieferkette hin. Weitere Abklärungen folgen. Axpo-Chef Manfred Thumann: «Wir werden möglicherweise Sachen finden, die uns nicht gefallen.» Axpo kündigt einen Besuch in der Majak-Anlage an. Klar ist: Greenpeace muss zur kritischen Begleitung mit. 21. Dezember 2010 AKW Gösgen auch dick im Geschäft Nebst Beznau und Mühleberg bezieht auch das AKW Gösgen Uranbrennmaterial aus Majak. Greenpeace hat Aktionäre und Strombezüger des Kraftwerks darauf aufmerksam gemacht und sie aufgefordert, für volle Transparenz zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen. Hauptaktionär von Gösgen ist Alpiq, an der

verschiedene Kantone und Elektrizitätswerke beteiligt sind. 16. Februar 2011 Nach dem offenen Brief an Axpo und Alpiq – das lange Warten Im Dezember 2010 finden Treffen mit Verwaltungsrat und Geschäftsleitung der Axpo statt. Statt auf die Forderungen von Greenpeace einzugehen, stellt Axpo weitere Abklärungen in Aussicht, die in einem Bericht veröffentlicht werden sollen. In den Parlamenten der Kantone, die an Axpo beteiligt sind (AG, GL, SH, ZH, ZG), werden die Regierungen mit Vorstössen auf die Situation in Majak aufmerksam gemacht. Auch hier heisst es, weitere Abklärungen seien im Gang, vorher seien Stellungnahmen nicht möglich. Auf den an Alpiq und ihre Aktionäre gerichteten Brief erhält Greenpeace nur spärliche Rückmeldungen. Man verweist auf Alpiq, die Alpiq-Geschäftsleitung wiederum auf Abklärungen mit den Vertragspartnern. Eine Beurteilung der Fragen sei erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Greenpeace will man nicht empfangen.

Rund um Majak leiden viele Menschen an Leukämie — die Behörden schauen weg. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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Familie vor. Die Behörden schauen weg, die Bevölkerung führt einen langen Kampf um Hilfe, der nie zu Ende sein wird.


ATOM

7. April 2011 Mitarbeiter warnen eindringlich vor einer Katastrophe Die russische Atombehörde Rosatom hat einen anonymen Brief erhalten, dessen Verfasser sich als Mitarbeitende der Wiederaufbereitungsanlage Majak bezeichnen. Dem Brief zufolge stehen Kühlsysteme und Spezialkanalisationen mehrerer Anlagen am Rand des Zusammenbruchs. Bei Reparaturarbeiten 2009 seien gefälschte Spezialrohre verwendet worden, die man «nicht einmal im Wohnungsbau einsetzen dürfte», schreiben die Autoren. 20. Mai 2011 Radioaktivität in der Tetcha steigt: Axpo schuldet dringend Antworten Die Messungen von Greenpeace Ende 2010 im Wasser der Tetcha zeigen: Innert zweier Jahre sind die Strontium- und die Tritiumwerte erheblich gestiegen. Die Befunde werfen neue Fragen auf, die Greenpeace Axpo auf ihre angekündigte Aufklärungsreise nach Majak mitgibt. Denn entgegen früheren Signalen der AKW-Betreiberin soll die Reise ohne Greenpeace stattfinden, obwohl Axpo im Januar schriftlich versichert hat, dass eine Teilnahme «im Prinzip» möglich sei. Die Kehrtwende schadet der Glaubwürdigkeit der Reise und steht einem Unternehmen, das den Kantonen gehört, schlecht an. 20. Juni 2011 Axpo abgeblitzt: Der Stromkonzern darf nicht nach Majak Eine Delegation der Axpo hätte Majak besichtigen sollen, aber der Besuch platzt, denn die russische Atombehörde Rosatom will keinen Einblick in die Anlage gewähren. Die Reise nach Majak hätte Aufschluss geben sollen, ob die geforderten Umweltstandards in der Anlage eingehalten werden. Laut Greenpeace-Recherchen ist davon auszugehen, dass weiter radioaktive Stoffe in den Fluss Tetcha gelangen. Für die Umweltorganisation gibt es auf das Besichtigungsverbot nur eine glaubwürdige Reaktion: Axpo muss sofort sämtliche Lieferverträge mit Rosatom kündigen.

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12. November 2011 Magere Abklärungen zur Situation in Russland Axpo informiert, dass sie bis auf Weiteres auf Uranlieferungen aus Majak verzichtet. Das Unternehmen begründet dies mit der fehlenden Transparenz bei den Produktionsbedingungen. Gleichzeitig kündigte Axpo an, sie werde weiterhin Uran aus Seversk beziehen, einer anderen russischen Atomanlage. Greenpeace anerkennt, dass sich Axpo mit diesem Schritt endlich in die richtige Richtung bewegt. Eine Analyse der von Axpo vorgelegten Abklärungen zur Situation in Russland zeigt jedoch, dass zu viele Fragen offen bleiben. Die wahren Risiken, die von den Anlagen in Majak und Seversk ausgehen, werden kleingeredet, die Argumentationsgrundlagen selektiv ausgewählt und interpretiert. Umweltbelastungen, die in der Schweiz untolerierbar wären, werden als «russischer Standard» hingenommen. Der Ersatz von Majak-Uran durch solches aus Seversk ist eine Alternative, die nicht im entferntesten als nachhaltig bezeichnen werden kann. 7. Januar 2014 Erfolg für Greenpeace: Kein Uran mehr aus Majak Axpo verzichtet auf Uran aus Majak! Damit stoppt der Schweizer AKW-Betreiber Uranbezüge aus einer Atomanlage, die seit Jahren das Gewässersystem einer ganzen Region kontaminiert. Wir begrüssen den Entscheid der Axpo, auf Majak-Uran zu verzichten. Mit dem Entscheid kommt Axpo einer unserer Forderungen nach. Bereits 2009 haben wir nachgewiesen, dass Axpo wiederaufbereitetes Uran aus der russischen Anlage Majak bezieht, obwohl das Stromunternehmen dies damals bestritt. Im Herbst 2010 gab Axpo die Uranbezüge in einem Interview mit der «Rundschau» schliesslich zu. Seither versuchte das Unternehmen, den russischen Atomkomplex in ein gutes Licht zu rücken. Florian Kasser, Atomexperte von Greenpeace Schweiz: «Der Druck von Greenpeace hat gewirkt. Axpo musste einsehen, dass die massiven radioaktiven Verseuchungen nicht mit den eigenen Umwelt- und Sicherheitsstandards vereinbar sind.»

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IM REFUGIUM DER GEISTERBÄREN

REGENWALD

Es ist einer der schönsten Greenpeace-Erfolge: Der Great-Bear-Regenwald in Kanada steht heute zu grossen Teilen unter Schutz. Oliver Salge hat den einzigartigen Wald, für dessen Erhaltung er seit zwanzig Jahren kämpft, noch einmal besucht — und ist dem legendären weissen Bären begegnet. Von Wolfgang Hassenstein Fotos: Oliver Salge

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«Es war ein magischer Moment», sagt Oliver Salge. «Erst sah ich ihn schemenhaft zwischen den Stämmen, dann trat er hervor und lief zum Ufer hinunter.» Der Waldexperte von Greenpeace Deutschland ist ein begeisterter Naturfotograf. Dass er nun einen der seltenen «Geisterbären» ins Bild bannen konnte, krönt seinen langjährigen Einsatz für den Schutz des Great Bear Rainforest, des grössten Regenwaldes jenseits der Tropen. Im einzigartigen Naturparadies leben nur wenige Menschen, meist Ureinwohner. Im Ort Klemtu haben sie die Spirit Bear Lodge gegründet: Mit Booten bringen sie Gäste in die urige Fjordlandschaft – ins Reich der Weisskopfseeadler, der Wale und der weissen Bären. «Die Indianer sagen, der Geisterbär sei auf die Erde zurückgekommen, um die Menschen an die Eiszeit zu erinnern», erzählt Oliver Salge. Nur einige hundert dieser Tiere durchstreifen den Wald, Salges Sichtung 2013 war erst die zweite in der Region. Die Bären leben versteckt und weitgehend sicher vor dem zerstörerischen Werk der Menschen. Doch das war nicht immer so.

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Oliver Salge inmitten von tausenden Jahre alten Baumriesen: Früher von der Abholzung bedroht, sind nun geschützt.

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REGENWALD

Der Great-Bear-Regenwald säumt Kanadas Pazifikküste. Ein «Geisterbär» sucht auf einer Muschelbank am Fjord nach Essbarem. «Donnerstag ist Kahlschlagtag» Mit diesem Banner stehen Greenpeacer 1995 vor dem Verlagsgebäude von Gruner und Jahr in Hamburg. Mit dabei: Oliver Salge, als 24-Jähriger ehrenamtlich bei der örtlichen Greenpeace-Gruppe aktiv. Viele Zeitschriften erscheinen damals auf Papier aus Urwaldholz, darunter auch – immer donnerstags – der «Stern». Die Aktivisten bringen einen riesigen Baumstumpf aus Kanada mit und kommen sechs Wochen lang täglich wieder – bis die Zeitschriftenverleger schliesslich nachgeben und von ihren Lieferanten «urwaldfreies» Papier fordern. Es folgen ein Einschlagstopp und zähe Verhandlungen. Seit 2006 stehen 2,1 Millionen Hektar, die Fläche Hessens, unter strengem Schutz. «Heute in diesem Urwald zu stehen und zu wissen, dass seine Erhaltung auch unser Verdienst ist, das ist ein fantastisches Gefühl», so Oliver Salge. Aus dem jungen Aktivisten ist längst ein fester Greenpeace-Mitarbeiter geworden. Er leitet heute den Wald- und Meeresbereich in Deutschland. «Jetzt werden die letzten Waldschutz-Verhandlungen mit der PapierMagazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

industrie abgeschlossen», sagt er. «Ich wollte mich noch einmal über die Entwicklung informieren und auch Fotos vom Wald machen.» Dass er bei seinem Besuch den weissen Bären zu Gesicht bekommen würde, glaubte Salge vielleicht selbst nicht. Noch einmal liess er sich zu seinem Lieblingsort bringen, wartete stundenlang im Regen – bis er im Wald das weisse Fell aufleuchten sah. «Bei mir war der Naturführer Jason», erzählt er, «der Sohn des verstorbenen Chiefs Qwatsinas.» Dessen Leute hatten den deutschen Greenpeacern zum Dank für ihren Einsatz den Totempfahl geschnitzt, der heute als Wahrzeichen in der Hamburger Zentrale steht. «Dass ich den Geisterbären ausgerechnet mit Jason beobachten durfte, macht diesen Tag doppelt unvergesslich.» Oliver Salge (42) leitet den Bereich Meere und Wälder bei Greenpeace Deutschland.

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PALMÖL

ZUSAGE FÜR DEN SCHUTZ DES REGENWALDES Der ungebremste Konsum von Palmöl führt zur Abholzung indonesischer Urwälder. Doch nun hat sich der weltgrösste Palmölkonzern Wilmar zu dessen Schutz bekannt. Von Verena Ahne Weltweit kein Abholzen oder Abbrennen schützenswerter Wälder mehr. Keine neuen Plantagen auf Torfböden. Keine Ausbeutung und keine Rechtsverletzungen lokaler Gemeinschaften oder der eigenen Angestellten. Transparenz in der gesamten Lieferkette. Zusammenarbeit mit NGOs und anderen Interessengruppen. CO2Reduktion bei bestehenden Anlagen … Was sich liest wie der Forderungskatalog einer Umweltschutzorganisation, gehört seit Dezember 2013 zur neuen Firmenpolitik des grössten Palmölkonzerns der Welt. Und Wilmar hat nicht nur sich selbst zu diesem Regelwerk verpflichtet: Bis Ende 2015 sollen sich auch alle Zulieferer und deren Zulieferer daran halten – andernfalls werden die Abnahmeverträge gekündigt. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

Sollten es nicht nur (wieder einmal) blosse Lippenbekenntnisse sein, wäre das wahrlich ein Erfolg im Kampf gegen das Urwaldsterben. Ein dringend nötiger, denn: «Palmöl stellt derzeit wahrscheinlich die grösste und unmittelbarste Bedrohung für die grösste Zahl von Arten weltweit dar.» Zu diesem Schluss sind die Wissenschaftler David Wilcove und Lian Pin Koh in einem Artikel über die Palmölproblematik schon vor fünf Jahren gekommen. Seither hat sich die Situation noch verschärft. Palmöl ist Chinas wichtigstes Speisefett Die weltweite Nachfrage nach billigem Pflanzenöl steigt aus mehreren Gründen: Im Vergleich zu anderen Ölpflanzen wie Soja oder Raps liefern Ölpalmen ein Vielfaches an Ertrag pro Hektar. Das macht den Anbau besonders lukrativ. Faktoren wie Bevölkerungswachstum, unsinnige Biotreibstoffverordnungen und mehr Gesundheitsbewusstsein (Palmöl enthält keine schädlichen Transfette) heizen die Nachfrage zusätzlich an. In Ländern wie China gehört das grellorange Öl zu den wichtigsten Speisefetten und im Westen enthält mittlerweile rund die Hälfte aller Supermarktprodukte Palmöl(derivate) – von Kosmetikprodukten über Waschmittel bis hin zu Schokolade, Pizza und Keksen. Seit den 80er Jahren hat sich die Anbaufläche weltweit verdoppelt: Hunderttausende Hektar Urwald entlang des Äquators – nur hier gedeiht die sonst anspruchslose Pflanze – rund um den Erdball fallen, um Platz zu schaffen für Ölpalmen-Monokulturen. Besonders drama-

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tisch ist die Entwicklung in Indonesien und Malaysia, aber auch in Afrika hat die Abholzung Fahrt aufgenommen.

Verletzten sowohl im Einschlaggebiet von Duta Palma als auch in dem einiger Zulieferer. Die Firma trieb es so bunt, dass sie sogar von einer so zahnlosen Organisation wie dem «RunDer grösste Profiteur heisst Wilmar den Tisch für nachhaltiges Palmöl» RSPO Palmöl ist ein derart mächtiger Wirtschafts- ausgeschlossen wurde. faktor, dass ihm – allen anders lautenden politiDer Roundtable wurde 2004 gegründet, schen Bekenntnissen zum Trotz – meist Vorrang um zu einer umweltverträglichen Palmölprodukeingeräumt wird vor allgemeinen Interessen: tion beizutragen. Doch die Mitglieder sind vor dem Klimaschutz, vor den Menschenrechten, neben einigen Umweltorganisationen und NGOs vor dem Schutz indigener Kulturen, vor der überwiegend Palmölproduzenten und -abBiodiversität tropischer Wälder, die wir so nehmer, Händler, Banken und andere Investodringend brauchen, und vor den Tierarten, die ren, deren Interessen logischerweise weniger vom Aussterben bedroht sind, wie Tiger, der Natur als den eigenen immensen Profiten Nashorn oder der Elefant auf Sumatra. gelten. Entsprechend schwach ist das von RSPO Der grösste Profiteur dieses Booms ist der verliehene «Gütesiegel» für die Produktion. Konzerngigant Wilmar mit seinem weltweiten Selbst nach einer Überarbeitung der Kriterien Firmengeflecht. Er allein verarbeitet und hanletztes Jahr sind Torf- und andere Wälder mit delt ein Drittel des weltweit produzierten Palm- hohem Kohlenstoffgehalt noch immer öls. Die Folgen sind verheerend: In der von nicht tabu, ist das Offenlegen der CO2-Bilanz «Newsweek» erstellten Umweltbilanz der 500 freiwillig, dürfen weiterhin hochgiftige Pestizide grössten börsennotierten Unternehmen lag eingesetzt werden … Wilmar 2011 und 2012 zweimal in Folge an letzDas weckt seit Jahren Empörung. Um ter Stelle. Norwegens Pensionsfonds zog die gegenzusteuern, haben sich deshalb im Juni 2013 Konsequenzen und verkaufte seine Beteiliguneinige innovative Palmölhersteller mit Umgen an dieser und 22 weiteren Palmölfirmen. weltschutzorganisationen zur Palm Oil InnovaDoch nun hat Wilmar dem massiven intertion Group POIG zusammengeschlossen, die nationalen Druck nachgegeben und im Dezem- eine tatsächlich nachhaltige Palmölwirtschaft ber seine Firmenpolitik neu ausgerichtet. Das fördern will. Im Unterschied zum RSPO ist in hat nicht nur Vorbildwirkung für andere grosse der POIG auch Greenpeace vertreten. Plantagenbetreiber. Viel bedeutender ist, dass Doch auch vor Ort wächst der Widerstand sich alle an die Vorgaben halten. Denn nur vier gegen die menschen- und naturverachtenden Prozent von Wilmars Produktion stammen aus Praktiken der Palmölindustrie. So verdonnerte eigenen Plantagen, 96 Prozent des Palmöls wird ein Regionalgericht die indonesische Firma zugekauft: von Firmen wie Duta Palma, einem PT Kallista Alam kürzlich zu einer Geldbusse von der grössten indonesischen Palmölproduzenten, 30 Millionen Dollar, weil sie im Naturpark Tripa der selbst auch keine weisse Weste hat. auf Sumatra illegal Wald gerodet hatte. Das Urteil hat Signalwirkung: Künftig sollen ähnliche Gefährdete Lebebsräume Fälle vermehrt vor Gericht kommen, stellten des Sumatra-Tigers die Ankläger in Aussicht. Ein Greenpeace-Report im vergangenen Und Wilmar? Der Konzern wird sich nicht Jahr deckte auf, dass Duta Palma schuldig ist auf seiner Ankündigung ausruhen können. der systematischen Rodung von Urwald, für den Wir werden sehr genau kontrollieren, ob die ein 2011 verhängtes und letztes Jahr erneuertes gemachten Versprechen auch umgesetzt werden. Rodungsmoratorium gilt; schuldig ist des AbDenn nur dann können die Reste der Urwälder brennens von Torfmoorwäldern von bis zu acht mit all ihrer Vielfalt überleben. Metern Dicke, die besonders viel CO2 binden; schuldig ist der Beteiligung an der Ausrottung des Sumatra-Tigers – viele betroffene Gebiete sind ausgewiesene Tiger-Habitate – und anderer gefährdeter Arten; schuldig ist zahlreicher Menschenrechtsverletzungen mit Toten und Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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KAMPAGNEN-NEWS

Frack Free UK! In Grossbritannien ist der Kampf um die Schiefergasförderung voll entbrannt. Die Regierung von David Cameron fördert die umstrittene HydraulicFracturing-Technologie und ködert Energiekonzerne mit Steueranreizen, in die Exploration zu investieren. Eine breite Koalition von Umweltorganisationen (unter anderem Greenpeace UK) wehrt sich dagegen. Die Bevölkerung in den betroffenen Regionen und lokale Behörden sind skeptisch bis ablehnend, weil die Gefahren des Fracking für das Grundwasser und die Umwelt unterdessen bekannt sind. Ausserdem sei es angesichts des Klimawandels unsinnig, weiter in fossile Energien zu investieren, statt konsequent auf erneuerbare zu setzen. Um den Widerstand zu brechen, hat Cameron entschieden, dass die Gemeinden den gesamten Geschäftssteuerertrag aus der künftigen Förderung erhalten sollen. Das Angebot ist attraktiv, weil viele Gemeinden wegen früherer Kürzungen mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfen. Mehr zur Kampagne unter #FrackFree UK.

mich besonders interessiert, ist, was jeder von uns gegen das Bienensterben unternehmen kann. Ich habe nun selbst Bienen im Garten, die ich möglichst naturnah halte.» Simon Zimmermann hat mit seiner Arbeit eine differenzierte Sicht auf das komplexe Thema entwickelt: «Ein Verbot der schädlichen Pestizide wäre ein einfacher und direkter Weg, etwas gegen das Bienensterben zu unternehmen. Ich finde aber, dass auch bei den Imkern Aufklärungs- und Handlungsbedarf besteht. Sie müssen lernen, dass die Bienen keine Nutztiere, sondern wilde Tiere sind.» Die reine Bienenzucht mit dem Ziel hoher Erträge habe die natürliche Selektion behindert und die Widerstandkraft gegen Schädlinge und Krankheiten geschwächt. Das Problem des Pestizideinsatzes in der Lebensmittelproduktion will Simon Zimmermann mit einem ETH-Studium in Lebensmittelwissenschaft weiter vertiefen. Den Leitfaden «Learning for the Planet – die Maturaarbeit: Inspirationen, Ideen, Tipps» sowie einen Interview- oder einen Schreibleitfaden findet man unter unter: www.greenpeace.ch/schule. Ab August 2014 gibt es neu auch einen Leitfaden für Berufsschularbeiten — dank dem grossen Erfolg wieder in Zusammenarbeit mit Helvetas und Amnesty.

Engagierte Maturaarbeit Jedes Jahr schreiben 20 000 Jugendliche eine Maturaarbeit und vertiefen sich dafür in ein Thema. Für viele ist das eine Qual – vor allem wenn es mit dem Thema nicht funkt. Das muss nicht sein. Amnesty International, Greenpeace und Helvetas haben einen kostenlosen Leitfaden für engagierte Maturaarbeiten herausgegeben — voller Ideen für relevante Themen und mit konkreten Tipps für eine gelungene Arbeit. Der Maturand Simon Zimmermann etwa hat die Broschüre genutzt und findet, es habe sich gelohnt: «Ich habe aus dem Leitfaden gelernt, mich konsequent auf mein Ziel zu konzentrieren.» Sein Thema — das Bienensterben — ist durch die intensive Beschäftigung zur Passion geworden. «Was Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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schung mit traditionellen Reissorten geschehen würde, ist nicht bekannt. Im Greenpeace-Bericht von 2013 «Die Goldene Illusion» sind diese und weitere Argumente dargelegt. Link zum Report: greenpeace.ch/goldenrice

Public Eye Awards 2014: And the winner is... Sergey Vakulenko

Der australische Umweltminister hat der indischen Adani-Gruppe die Erlaubnis erteilt, in der Nähe des Great Barrier Reef den weltgrössten Kohlehafen zu bauen. Dafür sollen drei Millionen Kubikmeter Meeresboden ausgehoben und an anderer Stelle abgelagert werden. Gemäss Thilo Maack, Meeresexperte von Greenpeace, wird das UNESCO-geschützte Korallenriff ernsthaft gefährdet und der Abbau des Klimakillers Kohle gefördert. Glencore Xstrata hatte vergangenes Jahr ähnliche Pläne für einen Kohlehafen in der weiter südlich gelegenen Keppel Bay (Queensland) sistiert, angeblich wegen zu tiefer Kohlepreise.

Grobes Geschütz gegen Greenpeace wegen Gentech-Reis Patrick Moore, ein früherer Mitarbeiter von Greenpeace Kanada, und seine Allow Golden Rice Society fahren hartes PR-Geschütz gegen Greenpeace auf: «Die Zulassungsverhinderung von gentechnisch manipuliertem, Vitamin-A-reichem Golden Rice koste viele Kinderleben in Drittweltländern», behauptet er. Was dabei unterschlagen wird: Moore hat in den frühen 90er Jahren die Seite gewechselt, ist seither für PR-Firmen unterwegs und verteidigt den Kahlschlag kanadischer Urwälder, Bergbaukonzerne und die PVC-Produktion. Auf www.sourcewatch.org findet sich eine Auflistung seiner Aktivitäten. Greenpeace bleibt dabei: Der Hauptgrund für Vitamin-A-Mangel ist die Armut. Dagegen helfen eine gesunde, vielfältige Ernährung und klassische Ernährungszusätze. Der «Golden Rice» ist ein Vehikel der Gentech-Lobby, um in Ländern wie Indien und den Philippinen das Tor für den kommerziellen, pestizidintensiven Anbau von Gentech-Pflanzen zu öffnen. Was bei einer VermiMagazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

Wie alle Jahre versammelten sich die Schönen und Reichen im Januar zum World Economic Forum in Davos. Der von Greenpeace und der Erklärung von Bern verliehene Public Eye Award erinnerte daran, dass unter der sauberen Fassade oft viel Dreck klebt. Der Jurypreis, verliehen von einem hochkarätigen Gremium aus Wirtschaftsethikern, Umwelt- und Menschenrechtsspezialistinnen ging dieses Jahr an Gap. Der US-amerikanische Textilgigant weigert sich im Unterschied zu vielen anderen Kleiderproduzenten, ein Abkommen zum Schutz der TextilarbeiterInnen in Bangladesch zu unterzeichnen. Die Notwendigkeit ist unbestritten, nachdem Hunderte von Menschen beim Einsturz und bei Bränden von Fabriken ums Leben gekommen sind. Mit über 95 000 (von 280 000) Online-Stimmen ging der Publikumspreis an Gazprom. Der russische Gaskonzern wurde ausgezeichnet für seine hoch riskanten Ölbohrungen in der Arktis. Greenpeace konnte den Preis umgehend an Sergey Vakulenko übergeben, den Chef für Strategie und Planung bei Gazprom. Vakulenko, gerade bei einem Essen, verliess den Tisch kommentarlos und flüchtete (siehe Bild unten). Das ist nicht die feine Art, mit Kritik umzugehen, aber ein Hinweis darauf, dass der Schmähpreis an den Dinnerpartys der Businesselite durchaus unbeliebt ist. Die Nominationen für 2015 können bis Ende August eingereicht werden. Mehr dazu auf http://publiceye.ch.

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Kohlehafen gefährdet das Great Barrier Reef


Cree-Indianer stutzen Holzfirma zurecht

Solarvignette 2014

KAMPAGNEN-NEWS

Der Grosse Rat der Cree-Indianer hat erfolgreich gegen die kanadische Holzfirma Resolute Forest Products geklagt: Die Firma verliert drei ihrer FSCZertifikate für acht Millionen Hektar Wald. Die Firma hatte die Gewohnheitsrechte der lokalen Gemeinschaften missachtet und mit der Bewirtschaftung des ökologisch sensiblen Urwalds auch den Lebensraum von wilden Karibuherden gefährdet. Der Entscheid der Zertifizierungsstelle stärkt die Glaubwürdigkeit des FSC-Labels als weltweit beste Richtlinie für nachhaltig produziertes Holz, nachdem es immer wieder Kritik gegeben hat, das Label werde zu locker vergeben.

Greenpeace Photo Award: Professionelle Fotoschaffende gesucht «Zeugnis ablegen» — dieser Grundgedanke der Greenpeace-Philosophie steht hinter dem 2012 erstmals vergebenen Greenpeace Photo Award. Mittlerweile haben die ersten PreisträgerInnen ihre Projekte umgesetzt: Flurina Rothenberger dokumentierte die Folgen des Klimawandels in einem Vorort von Dakar und Jules Spinatsch zeichnete die Geschichte der Nukleartechnologie seit dem Kalten Krieg nach — zwei bildliche Zeugnisse, die Anfang Jahr in der Coalmine Galerie in Winterthur ausgestellt wurden. Zurzeit läuft die Ausschreibung für den Greenpeace Photo Award 2014. Der Preis wird in Partnerschaft mit dem renomierten Reportage-Magazin GEO vergeben. Prämiert werden Projektideen, die geeignet sind, ein Umweltproblem auf innovative Weise visuell darzustellen. Die daraus entstehenden Fotoarbeiten werden im Greenpeace-Magazin und im GEO publiziert. www.photo-award.org

Die Solarvignette ist ein Projekt von Schweizer Jugendlichen. Sie ist aus der Idee entstanden, dass ein Elektrovelo als ökologisches Fortbewegungsmittel mit Ökostrom betrieben werden sollte. Heute sind Solarvignetten für Laptops und Elektrovelos für 50 und solche für Handys für 10 Franken erhältlich. Der Erlös der Solarvignetten fliesst in die Produktion und die Förderung von Solarenergie in der Schweiz und in Afrika. Von Jugendsolar zu diesem Zweck gebaute Solaranlagen liefern den Strom. Die Solarenergie wird ins öffentliche Stromnetz eingespeist — und zwar so viel, wie über den Solarvignetten-Verkauf tatsächlich verbraucht wird. Berechnet wird dafür der Jahresverbrauch eines Laptops, eines Elektrovelos oder eines Handys. Wie bei der Autobahnvignette erhalten SolarstromnutzerInnen einen Aufkleber. Sie kleben ihn auf das Handy, den Laptop oder das Elektrovelo und zeigen damit, dass das Gerät mit Solarstrom betrieben wird. So wird das Projekt durch zusätzliche Werbung unterstützt.

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Und so funktionierts: Sie beziehen den Strom für Ihr Gerät ganz normal aus der Steckdose. Wir liefern die gleiche Menge Solarenergie ins allgemeine Stromnetz. Die Solarvignette deckt die Mehrkosten für den Solarstrom. Die Vignette auf Ihrem Gerät zeigt, dass es mit Solarstrom betrieben wird.

Der Erlös der Solarvignette fliesst in die Förderung der Solarenergie in der Schweiz und in Afrika. Bestellen Sie die Solarvignette jetzt unter www.solarvignette.ch

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Die Resolution greift die zentrale Forderung von Greenpeace nach einem Arktisschutzgebiet auf und könnte — so sie umgesetzt würde — Verbote gegen Ölbohrungen und industrielle Fischerei sowie ein Moratorium für die Hochseefischerei in arktischen Gewässern zur Folge haben. Das EU-Parlament fordert vom Arktischen Rat auch verbindliche Vereinbarungen im Bezug auf Offshore-Ölbohrungen, um die Verschmutzung der arktischen Umwelt zu verhindern. Der Arktische Rat ist ein zwischenstaatliches Forum, dem die Anrainerstaaten der Arktis angehören. Er hat die Forderung nach der Einrichtung eines Schutzgebiets bislang mehrheitlich zurückgewiesen — Im Sommer 2014 bezieht Greenpeace Schweiz lediglich Finnland unterstützt Bestrebungen in ihre Büros im Neubau der Genossenschaft Kalk- dieser Richtung. breite. Die Wahl fiel auf die Kalkbreite, weil wir die Visionen dieses nachhaltigen, zukunftsorientierten Projekts teilen. Als Umweltorganisation ist uns ein fortschrittliches Energiekonzept wichtig und es ist Teil unserer Arbeit, umweltfreundliche Lösungen aufzuzeigen. Deshalb gehen wir mit gu- Wir sind keine Versuchskaninchen der Atomindustem Beispiel voran. trie — das finden 41 355 Menschen, die die PetitiDie von uns verwendete Energie wird weiterhin on «40 Jahre sind genug» unterzeichnet haben. nur aus erneuerbaren Quellen stammen. Durch Über 30 Organisationen haben beim Sammeln die bessere Isolation der Aussenwände und die geholfen. Die Petition verlangt von Bundesrat und energieeffiziente Gebäudetechnik sinkt der Ver- Parlament, fixe Laufzeiten für AKWs von maximal brauch pro Quadratmeter um 70 Prozent. Mit dem 40 Jahren festzulegen. Greenpeace überreichte Wechsel von fixen zu flexiblen Arbeitsplätzen die Petition im vergangenen Dezember vor dem benötigen wir zudem etwa 33 Prozent weniger Bundeshaus, begleitet von einem strahlenden Fläche pro Mitarbeiter. Im Einklang mit den von Versuchskaninchen. Das AKW Beznau I wird im Greenpeace und der Genossenschaft Kalkbreite September 45 Jahre alt und ist das betriebsälteste getragenen Prinzipien der Effizienz und der Suffi- der Welt. zienz werden wir unseren Heizenergieverbrauch so um rund 80 Prozent verringern. Die Energiewende braucht den Beitrag von uns allen.

2000-Watt-Gesellschaft: Greenpeace lebt die Energiewende

Schweizer AKW: «40 Jahre sind genug»

EU-Parlament fordert Schutz der Arktis Das EU-Parlament hat im März mit einer Resolution für die Einrichtung eines internationalen Schutzgebiets rund um den Nordpol plädiert. Auch wenn die Resolution rechtlich nicht bindend ist, setzt sie doch ein starkes Zeichen an die EUKommission und den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). Diese Behörden haben gegen die zunehmende Industrialisierung der Arktis bislang keinerlei Einwände geltend gemacht. Mit der Resolution dürfte der Arktisschutz nun endlich auch auf die Agenda der EU-Aussenminister rücken. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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Technologie

IN KÜRZE

F O T O S: © VI VEK M UT HURAM ALI N GAM / G R EEN PEACE

Dieselfreie Pumpen

Seit die indischen Bauern kleine, mobile Dieselpumpen einsetzen, hat sich die Bewässerung und damit die Nahrungssicherheit stark verbessert. Im Bundesstaat Bihar sind gegen 10 Millionen davon im Einsatz. Das bewirkt starke Emissionen und der Diesel frisst Löcher ins Budget der Kleinbauern. Greenpeace Indien und das argentinische Innovation Lab haben deshalb einen Wettbewerb für saubere Pumpen ausgeschrieben. Auf einer Website konnten Entwickler ihre Planskizzen einreichen, vergleichen und verbessern. Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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Das Zusammenspiel von Kooperation und Konkurrenz (Coopetition) ergab in wenigen Monaten eine Fülle von 255 verschiedenen Pumpendesigns. Ein tüftelnder Bauer aus Kanada, ein pensionierter Offizier der indischen Armee, ein Hobby-Ingenieur aus Ungarn – insgesamt trugen gegen 1000 Menschen aus 58 Ländern ihre Erfahrungen und Ideen zusammen. Im Dezember wurden die Gewinner des Jurypreises – drei solarbetriebene Pumpen – in der Hauptstadt von Bihar öffentlich prämiert. Sie konnten anschliessend mit einheimischen Bauern fachsimpeln. Im laufenden Jahr wird ein Team aus Freiwilligen die Pumpen im Einsatz testen und verbessern, bis sie bereit sind für die indischen Dorfmärkte. Gemäss dem Mitorganisator Ingo Boltz zeigt das gelungene Experiment das grosse Potenzial von designbasierter Mobilisierung: Rund um die Lösung eines Problems entsteht eine Wissens- und Arbeitsgemeinschaft. Weil der Wettbewerb offen und die Entwicklung für alle einsehbar ist, gibt es ständig Inspiration, Rückmeldungen und Verbesserungen. Am Schluss steht ein grünes Produkt, das grosse Chancen hat, gegen die dreckige Konkurrenz auf dem Markt zu bestehen. Mehr auf: greenpeacechallenge.jovoto.com


Widerstand

Elektronik

Im mexikanischen Chiapas haben die Zapatisten den 20. Jahrestag des Aufstands von 1994 gefeiert. Unterdessen umfasst die Bewegung rund 100 000 Menschen in 1000 Gemeinden, in denen autonome Schulen, Gesundheitsversorgung und Entwicklungsprojekte aufgebaut wurden. Getragen von indigenen Gemeinschaften, ist der rebellische Geist längst auch in anderen Regionen ausgebrochen. Im benachbarten Oaxaca löste sich das Projekt für einen 396 Megawatt starken Windkraftpark in Luft auf, weil sich die lokale Bevölkerung dagegen wehrte – die Stromkonzerne hatten es verpasst, sie zu involvieren und wollten im letzten Moment eine «Zustimmung» mit Gewalt erzwingen.

DAS FAIRPHONE IST UNTERWEGS

20 Jahre rebellisch – die Zapatisten feiern

…es braucht allerdings noch etwas Zeit, bis es wirklich fair ist. Die kleine holländische Firma Fairphone hat es innert kurzer Zeit geschafft, ein Smartphone zu konzipieren und produzieren zu lassen, auf das viele gewartet haben: Das Fairphone soll von den Rohstoffen bis zur Endmontage sozial und ökologisch fortschrittliche Kriterien erfüllen. Die ersten 25 000 Stück wurden im Januar ausgeliefert, die nächste Bestellrunde ist eröffnet. Noch ist das Volumen zu klein, um die Produktionsbedingungen wirklich beeinflussen zu können, aber ein Anfang ist gemacht und er wird Zeigen, was es noch braucht. Wir sind gespannt auf die Testberichte. www.fairphone.com

Naturgefahren

Lawinen im Museum

Im Gletschergarten Luzern läuft bis 14. September eine Sonderausstellung zum Thema Lawinen. Von der Entstehung eines Schneekristalls in Echtzeit bis zum rasanten Niedergang der Schneemassen kann man sich mit der Faszination und den Gefahren dieses Naturspektakels beschäftigen. Wieso ist es schwierig, die Lawinengefahr einzuschätzen? Wie kann man sich schützen? Die Ausstellung «White Glory – White Risk» wurde in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Luzern, dem Institut für Schneeund Lawinenforschung Davos und der Suva konzipiert, was kompetente Antworten erwarten lässt. www.gletschergarten.ch/ Lawinen-White-Glory-WhiteR.183.0.html Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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Bergbau

Dokumentarfilm

Marsch der Landlosen

IN KÜRZE

«Millions Can Walk» heisst der Dokfilm über die indische Landlosenbewegung Ekta Parishad: 2012 marschierten Tausende Menschen 400 Kilometer nach Delhi, um dort ihre Forderungen nach einer gerechten Verteilung des Agrarlands zu deponieren. In bester Tradition nach Gandhis Philosophie des gewaltfreien Widerstands hat der eindrückliche Marsch das Schicksal der Millionen von Landlosen und Adivasi (indische Ureinwohner) in Erinnerung gerufen. Zurzeit laufen Verhandlungen zwischen Ekta Parishad und der Zentralregierung in Delhi über die Umsetzung der Forderungen. Mehr Infos unter www.millionscanwalk-film.com und www.indienaktuell.de

Rohstoffe

Weltbank hilft Bergbaukonzernen

ORGANISATION ROSIA MONTANA BREMST GOLDGRÄBER AUS Vor einem Jahr waren sie zu Gast in Zürich, um gegen das European Gold Forum (ein Kongress der Goldminenindustrie) zu protestieren. Am 10. Dezember konnten sie einen wichtigen Erfolg feiern: Die Leute der «Save Rosia Montana»-Kampagne haben das rumänische Parlament mit wochenlangen Protesten im ganzen Land und weltweiten Solidaritätsaktionen dazu gebracht, ein revidiertes Bergbaugesetz bachab zu schicken. Das neue Gesetz hätte es der Firma Gabriel Resources erlaubt, die Bauern in der Ortschaft Rosia Montana mit Gewalt zu vertreiben. Diese weigern sich seit über zehn Jahren, ihr Land für eine riesige Goldmine zu verkaufen und blockieren das Projekt. «Save Rosia Montana» hat damit ihren Ruf als eine der wichtigsten Umweltbewegungen in Osteuropa bestätigt. Die Aktien von Gabriel Resources sind nur noch halb so viel wert wie vor einem Jahr. Aber die Goldgräber lassen nicht locker: Das European Gold Forum findet vom 6. bis 8. Mai wieder im Hotel Park Hyatt Zürich statt.

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© O XANA TO D E A

Das Geschäft mit Metallen ist wegen fallender Preise letztes Jahr in die Krise gerutscht. Bergbaukonzerne wie Glencore Xstrata, Rio Tinto und BHP Billiton haben Sparprogramme aufgegleist, um die Gewinne zu sichern – und schon ist die Weltbank mit einem Milliarden-Dollar-Fonds zur Stelle. Damit sollen Lücken in der geologischen Kartierung des afrikanischen Kontinents geschlossen werden. Den Konzernen soll ja nicht die Lust vergehen, in die Ausbeutung Afrikas zu investieren – und so wissen sie beim nächsten Boom schon, wo noch etwas zu holen ist.

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Buchtipp

Textilien

Textile Kunststücke

© O EKO M V E R L AG

Bald auf dem Markt: Kleider aus Kuhmilch! Was absurd tönt, hat Anke Domaske mit der Marke Qmilk verwirklicht. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Fasern aus Milch produziert und daraus Stoffe gewoben. Qmilk verwendet keine Chemikalien. Es handelt sich um ein reines Naturprodukt, geeignet für Allergiker und Hypersensible, hergestellt aus einem winzigen Teil der zwei Millionen Tonnen überschüssiger Milch, die in Deutschland jährlich vernichtet werden*. Auch dem ETH-Chemie- und -BioGlück, Gemeinschaft und Verbun- ingenieurstudenten Mario Stucki denheit ersetzen können». ist ein textiles Kunststück gelungen: Hopkins’ Argumente sind solide Als Reaktion auf die Probleme und vermögen Gemeindebehörden mit Giftstoffen in Outdoor-Jacken und Kleinunternehmen zu über(siehe Detox-Kampagne von zeugen, die er als Verbündete für Greenpeace) hat er einen wasserden Wandel zu einer postfossilen abweisenden Stoff entwickelt, Gesellschaft und zu mehr lokaler der ohne giftige FluorverbindunResilienz (Widerstandskraft) begen auskommt – und das als trachtet. Ergänzt ist das Buch mit Masterarbeit in nur 16 Wochen! einem Überblick über die TransiDas Label Honschi hat daraus eine tion-Bewegung im deutschsprachi- Jacke geschneidert, die sich noch gen Raum. Ein nützliches Buch etwas steif anfühlt. Trotzdem hat für Einsteiger und Macherinnen, Student Stucki gezeigt: Die giftdie den Blick aufs Ganze suchen. freie Jacke ist möglich! Gore-Tex Rob Hopkins: Einfach. Jetzt. Machen! sollte sich warm anziehen. Wie wir unsere Zukunft selbst in * Greenpeace steht jeglicher die Hand nehmen. Oekom Verlag, Produktion von Nahrungsmitteln München, 2014, 184 Seiten. für kommerzielle Zwecke ISBN 978-3-86581-458-6 kritisch gegenüber

«Einfach. Jetzt. Machen!» «Die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse wieder in die eigenen Hände nehmen» – so fasst der britische Umweltaktivist Rob Hopkins das Programm zusammen, das er als Grundlage der globalen Transition-Town-Bewegung sieht. In seinem neusten Buch zieht er eine Zwischenbilanz und entwirft eine «grosse Vision», wie die Menschheit ihre Abhängigkeit vom Öl, den exzessiven Ressourcenkonsum und die fehlgeleitete, allein auf Wachstum ausgelegte Wirtschaftsordnung überwinden könnte. Der Ansatz ist lokal und liegt bei kleinen Gruppen, die in ihren Gemeinden und Quartieren Veränderungen von der Basis her anstossen. Die Stärke des Buches liegt im motivierenden Effekt und in den konkreten Beispielen, mit denen Hopkins zeigt, wie die Passivität überwunden werden kann: Selber machen, nicht darauf warten dass es jemand anders für uns tut! Von Solarinitiativen über Gemeinschaftsgärten und Biomärkte – immer geht es darum, «wie wir das Ziel des Wirtschaftswachstums durch die Ziele Wohlbefinden, Magazin Greenpeace Nr. 2 — 2014

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