Greenpeace Switzerland Magazin 3/2011 DE

Page 1

— Postwachstum: Auf- und Ausbruch der Freiwilligen S. 9 g reen peace MEMBER 20 11, Nr. 3

40 Jahre Greenpeace  S. 24 Décroissance  S. 14 Ecopop: Angstszenario  S. 48 Greenpeace fordert den Ständerat  S. 39 Rainbow Warrior III  S. 54


Cover: © Greenpeace / Pierre Gleizes Rijnborg-Aktion 1982 gegen das Versenken von Atommüll im Meer. Ein Greenpeace-Schlauchboot wird von einem Giftfass getroffen, ein Aktivist wird dabei schwer verletz.

Editorial — Amtlich verordnete Themenjahre zu begehen, liegt uns nicht. Zu unbestritten scheint auf den ersten Blick jene «Freiwilligenarbeit», der Europa heuer seinen Tribut zollt. Doch über das Offensichtliche des Phänomens hinaus sind wir bei unseren Recherchen in eine brisante gesell­schaftliche Zone vorgestossen, wo nicht gutmenschliche Moral, sondern Widerstand das Motiv ist: Ob Décroissance, Transition Towns oder Neustart Schweiz – ein Panoptikum von Initiativen, Bewegungen und Denkmodellen entfaltet sich. Neue Vorstellungen eines «besseren Lebens» besetzen Nischen und Brachen. Ihnen ist gemein, dass sie dem kapitalistischen Diktat von Wachstum und Konsum eine Absage erteilen und auf spontanes, individuelles und nachbarschaftliches Engagement setzen. Da setzt die Freiwilligenarbeit ein: nicht warten, bis das «System» sich ändert, sondern selbst zupacken. Greenpeace ist in den letzten Jahren – oft im wahrsten Sinne des Wortes – brennende Sachprobleme angegangen – und hat grundlegende Debatten über unser Werte- und Wirtschafts­system als Ganzes eher vertagt. Diese können aber nicht einfach umschifft werden. Ungemütlich wird es allerdings dann, wenn Ökologie und die Grenzen des Wachstums für einen Stopp der Zuwanderung herhalten müssen. Die Ecopop-Initiative nämlich will in der Schweiz den Bevölkerungszuwachs kontrollieren und im globalen Süden Familienplanung betreiben. Das Thema Einwanderung habe links-grünes Territorium erreicht, lautet die parteipoli­ tische Analyse. Doch sie greift zu kurz. Es geht um mehr: um den wahrscheinlich unüberwindlichen Widerspruch zwischen dem Wissen, dass der Mensch Teil jener Natur ist, die er zugleich verbraucht. Um den Platz des Menschen. So kritisch G ­ reenpeace als weltoffene Organisation die EcopopInitiative betrachtet, so sehr begrüssen wir diese Debatte. Die Redaktion PS: Herzlichen Dank für die vielen Zuschriften zum neuen Magazinkonzept. Sie waren fast ausschliesslich positiv und ermutigend. Aber nun seien Sie bitte kritischer. Greenpeace lebt vom Widerspruch. Wir freuen uns auf Ihre E-Mails und Briefe!


Freiwilligen- arbeit wird immer wichtiger

Dossier: Freiwilligenarbeit

09

Selber anpacken statt auf den Staat warten: Jeder vierte Schweizer engagiert sich gemeinnützig

Interview: Daniel Strassberg 10 Der Psychoanalytiker sagt: Freiwillige sind «Mikrorevolutionäre»

Abkehr vom irrsinnigen wachstum 14 Initiative Gruppen suchen nach Alternativen zur überbordenden Ökonomie – und nach intensiverem Sozialleben

AKTIVISMUS IN CHINA 21 Greenpeacer Tom Xiaojun Wang kämpft in seinem Land gegen unökologische Investoren. Und um das Idyll seiner Kindheit

Die Schweiz Im Dichtestress

Ecopop

Inhalt

Die Umweltschützer von Ecopop sehen das Heil der Heimat in der Abschottung

Ecopop — zu ­einfache ­Formel?

Die tiefenökologischen Wurzeln der Übervölkerungsinitiative

Energiewende

Das neue Eldorado?

48 51 34

Investment-Analyst Matthias Fawer über erneuerbare Energien

The Star is Born

37

Heisser Herbst

39

Die Anti-AKW-Ikone Aernschd Born macht wieder mobil Energiewende: Den nächsten Match spielt der Ständerat RW III Die Rainbow Warrior III Ist im Wasser 40 Jahre Greenpeace

ein persönlicher rückblick die meilensteine

Diverses

airlines wollen BioTreibstoff Jugendsolar-projekt mit axpo

Foto-Essay

Fischereiskandal in afrika

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

In Aktion 24 Leserbriefe 26 Die Karte Überraschende Fakten 28 Kampagnen-News 31 In Kürze Öko-Rätsel 40

54 02 08 32 46 58 60 64


Grテカnland, 4. Juni 2011:

Grosser Einsatz

18 Greenpeace-AktivistInnen entern die テ僕plattform Leiv Eiriksson, um den Betreiber Cairn Energy zur ツュPublikation des Notfallplans zu zwingen. Sie werden ツュverhaftet. Ende Juni wird Greenpeace-Chef Kumi Naidoo auf derselben Plattform festgenommen.


Š S t ev e M o rga n / G r een p e ac e



Fukushima, 6. Mai 2011

Grosse Vorsicht

Ein Bub im Kindergarten Soramame wundert sich, was Stan Vincent auf dem Spielplatz treibt. Das GreenpeaceMitglied misst die Radioaktivität, die auch Wochen nach der AKW-Katastrophe noch so hoch ist, dass die Kinder drin bleiben müssen. Für viele Behörden und Medien sind die Greenpeace-Daten lange die einzig verlässlichen.

© N o r i ko H aya s hi / Pa n o s / G r e e np e ac e


Grosse Hoffnung Eine Greenpeace-Aktivistin posiert mit einer pinkfarbenen ­Mini-Kettensäge als Barbie-Puppe. Sie und viele weitere ­AktivistInnen protestieren weltweit dagegen, dass die Spielzeugfirma ihre Puppen in Schachteln verkauft, die aus Regenwaldholz hergestellt werden. Über eine Million Menschen unterstützen die Kampagne im Web. Amsterdam, 30. Juni 2011:


Š G r een p eac e / G era r d T i l


Leserbriefe

Leserbriefe

Hoi zäme Zuerst einmal herzliche Gra­ tulation zum neusten Magazin – SUPER!! Mit freundlichen Grüssen Urban Keller, Laupen Liebe Greenpeace-Redaktorinnen und -Redaktoren Ich möchte euch ein grosses Kompliment machen für diese Nummer des Magazins. Die Gestaltung und der Inhalt sind diesmal besonders gut, ich habe mir glaub ich noch nie so viel Zeit genommen, um den einen oder andern Artikel zu lesen und nochmals zu lesen. Auch die Auswahl und die Vielfalt der Themen in diesem Heft faszi­ nieren mich, die sehr persönlichen Berichte und dann wieder die ­Infoteile. Ich hoffe, dass ich einiges davon weitergeben kann an Freundinnen und Kolleginnen. Herzlichen Dank! Und freundliche Grüsse Charlotte Rutz, Zürich Vielen Dank für euer gehaltvolles Magazin! Herzliche Grüsse Wladyslaw Senn, Freiburg Kompliment für das Interview mit Elsy Zulliger. Ich bin 75 Jahre alt und der gleichen Meinung wie sie: Man kann sehr gut leben, indem man viel weniger verbraucht. Was im Leben zählt, ist das Sein, nicht

Impressum Greenpeace Member 3/2011 Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweiz Heinrichstrasse 147 Postfach 8031 Zürich Telefon 044 447 41 41 Fax 044 447 41 99 www.greenpeace.ch Spenden: Postkonto: 80-6222-8 Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spenden SMS-Spenden: Keyword GP und ­B etrag in Franken an 488 (Beispiel für CHF 10.—: GP 10 an 488)

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

das Haben oder der Schein. Immer noch wird überall viel zuviel Material, Wasser und Energie verschwendet! Anne-Marie Ramel, La Tour-de-Peilz Liebe Redaktion Es ist toll, euer neues Heft – ­ dieses Timing muss man schon drin haben: genau im richtigen Moment mit Neuem kommen, wo schneller als gedacht so vieles nicht mehr so ist wie gehabt und wie es noch lange geplant war! Traurig, dass der Mensch für das Umdenken immer zuerst eine ­Katastrophe braucht. Marlis Rechsteiner, Riehen Das neue Magazin finde ich ­gelungen, viele interessante ­Artikel und Hintergrundinfor­ mationen. Patrik M. Loeff, Frauenfeld Liebe Redaktion Euer neu gestaltetes GreenpeaceHeft überzeugt sowohl vom ­Layout wie auch vom Inhalt voll und ganz. Sie können allen ­Verantwortlichen für dieses Heft ein grosses Kompliment von mir weitergeben! Herzliche Grüsse Jürg Staub-Wolf, Hagendorn Guten Tag Das Magazin 2/2011 habe ich mit grossem Interesse gelesen ­(Ferienlektüre) und am Schluss

Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, Claudina Schmid, Jonas Scheu, Roland Falk Autoren: Thomas Niederberger, Tom Xiaojun Wang, Inga Laas, ­Claudio de Boni, Hannes Grassegger, Susan Boos, Philippe de Rougemont ­Fotografen: Christophe Chammartin, Christian Åslund Gestaltung: Hubertus Design Druck: Swissprinters, St. Gallen Papier Umschlag: Rebello Recycling matt 150 g/m 2 Papier Inhalt: Ultralux semigloss UWS 70 g/m 2 Druckauflage: d 113 500, f 20 500

8

das Rätsel gelöst. Herzlichen Dank und Kompliment für die grosse Vielfalt der Beiträge! Mit freundlichen Grüssen Samuel Bürki, Burgdorf Kompliment für das neu ­konzipierte Greenpeace Magazin! Der «Wunsch nach Distanz und Reflexion» ist tatsächlich vorhanden, und das neue Konzept kommt dem wirklich entgegen. Format und Layout sind sehr ­gelungen. Ab jetzt landet das Greenpeace Magazin nach der Lektüre nicht mehr im Altpapier, sondern in der Sammelbox. Martin Sauter, Zürich Hallo Redaktion Soeben habe ich das Magazin «Greenpeace Member 2/2011» gelesen und muss sagen, dass es mir inhaltlich sehr gut gefallen hat. Was ich aber noch viel bemerkenswerter finde, ist das span­ nende Line-up an Autoren, das Foto­essay und die hervorragende Gestaltung! So etwas ist – meiner Meinung nach – im Bereich der Ökologie äusserst selten. Da freut eine so gelungene Publikation umso mehr! Peace Jan Hofer, Zürich

Erscheinungsweise: viermal jährlich Das Magazin Greenpeace geht an alle ­Mitglieder ­( Jahresbeitrag ab Fr. 72.–). Es kann Meinungen enthalten, die nicht mit offiziellen Greenpeace-­ Positionen ­übereinstimmen.


Freiwilligenarbeit

Kleine Revolutionen Freiwilligenarbeit wird immer wichtiger Es hat den Touch von Gutmenschentum und Almosenverteilern: das «Jahr der Freiwilligenarbeit». Die EU hat die Feier für 2011 aus­gerufen. Das unentgeltliche Enga­gement aktiver Bürger soll ­gestärkt und gewürdigt werden, denn es ist längst zu einem bedeutenden sozioökonomischen ­Faktor geworden. Auch in der Schweiz. Jeder vierte Eidgenosse — das sind über 1,5 Millionen Leute — packt in seiner Gemeinde und Nachbarschaft, in Ver­ einen, Sportclubs, gemeinnützigen Insti­tutionen, in der Pflege, Bildung und Betreuung mit an. In Europa herrscht eine hohe Anspruchshaltung gegen­ über dem Staat. Kein Wunder, braucht da Freiwilligenarbeit ein bisschen Promotion. In den liberalen USA jedoch wäre das ­«System» ohne diese Leistungen längst nicht mehr tragfähig. «Volunteering» gehört dort zum normalen Curriculum gerade der Eliten, und entsprechend hoch ist die Anerkennung. Eine Nebenwirkung des Kapitalismus? Betrachten wir die Mechanismen der wachstumskritischen Décroissance-Bewegung (siehe Artikel ab Seite 14), s­ ehen wir diese These bestätigt: Spontan, lokal und freiwillig arbeiten immer mehr Menschen an neuen Lebens- und Wirtschaftsformen. Der Psychoanalytiker ­Daniel Strassberg (Seite 10) ortet die Motive der Freiwilligentätigkeit universeller, individueller und vermutet sie in einem ­Be­dürfnis nach Souveränität, sieht sie als «mikrorevolutionären» Akt, der auch in überstrukturierten europäischen Gesellschaften Sinn macht. Tom Xiaojun Wang schliesslich schildert bürgerlichen Aktivismus in einem nichtdemokratischen Kontext (Seite 21), wo Greenpeace massiv auf dem Vormarsch ist. Fotos von Christophe Chammartin Christophe Chammartin ist Preisträger des Grand Prix International für Menschenrechte, Montréal, und wurde mit dem Swiss Press Photo Award in verschiedenen Kategorien ­ausgezeichnet.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

9


© RAHEL ARNOLD

Freiwilligenarbeit

Aus der ­Ökonomischen Maschinerie Ausbrechen Interview mit Daniel Strassberg Greenpeace: 2011 ist das Jahr der Frei­ willigen. Was hat Freiwilligenarbeit mit freiem Willen zu tun? Daniel Strassberg: Ich halte die Debatte um den freien Willen für überholt. Gibt es einen freien Willen, oder ist man vom Gehirn determiniert? In den 80er-Jahren hat man bei Hirnforschungsexperimenten sehr interessante ­Details herausgefunden. Will ein Mensch zum Beispiel seinen Arm heben, wird der Befehl an den Arm ausgesendet, bevor der Entschluss ins Bewusstsein kommt. Das wurde heftigst ­debattiert und zum Beweis genommen, dass es keinen freien Willen gibt. Das heisst also, dass wir von etwas anderem gelenkt werden? Es soll bedeuten, dass das Gehirn als Organ uns die Entscheidungen abnimmt. Was natürlich eine unsinnige Sache ist, denn was heisst «uns»? Die heftige Diskussion ist seither wieder etwas abgeflaut. Eine andere Debatte ist viel interessanter: Seit der Aufklärung gibt es eine Tradition von zwei Formen von freiem Willen. Die eine ist der freie Wille als Autonomie. Aus Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

eigenem Antrieb stelle ich meine Handlungen in den Dienst von etwas Allgemeinem, von Vernunft, Staat oder Gesellschaft. Das ist eigentlich eine Unterordnung. Ich ordne mich aus eigenem Entschluss einem grösseren Ganzen unter. Zudem gibt es aber auch die Souveränität oder Selbstbestimmung. Die hat mehr mit Willkür zu tun: «Ich mache, was ich will.» Und das entgegen allgemeinem Gesetz. Der Begriff ist weit gefächert: vom Künstler, der sich sozusagen gegen die Allgemeinheit stellt, über den Ver­ brecher und den «Wahnsinnigen» bis hin zum Westernheld. Dieser sagt: «Der Colt ist das ­Gesetz. Ich nehme das Gesetz in die Hand, egal, was alle anderen sagen.» Das sind zwei klar verschiedene Defini­ tionen von freiem Willen. Und es scheint klar, dass sie nicht zur Deckung gebracht werden können. Entweder ordne ich mich freiwillig einem allgemeinen Willen unter, oder ich lasse das und haue auf den Putz. Aber das ist kein absolutes Entweder-oder? Doch. Die bürgerliche Gesellschaft, die heutige Gesellschaft, zeichnet sich seit der Aufklärung dadurch aus, dass wir da in einen ­Widerspruch geraten. Was nicht sein müsste. Tja, das war genau der Ansatz, der Philo­ sophen, Denker und Politiker beschäftigt hat: die Fantasie, dass dieser Widerspruch nicht sein müsste; die Versuche, die beiden Handlungsweisen zur Deckung zu bringen. Ein Individuum kann sich doch aber gleichzeitig dem allgemeinen Willen mehr oder weniger unterordnen, in gewissen Bereichen jedoch abweichen und sagen: «Da überschreite ich eine Grenze. Da kämpfe ich jetzt bewusst dagegen an.» Das wird auch immer wieder gemacht. Das ist das, was heute praktiziert wird. Am Wochenende schlägt man über die Stränge, während der Woche ordnet man sich unter. Das Handeln wird sozusagen parzelliert und fragmentiert. Wie beim Greenpeace-Aktivisten: Einerseits führt er mit Gesellschaft und Natur ein harmonisches Leben, aber zwischendurch packt er das Kletterzeug aus und steigt auf einen Kühlturm. Genau. Und damit komme ich zur Frei­ willigenarbeit. Ich glaube, Freiwilligenarbeit ist ein Versuch, Autonomie und Souveränität – ­eigentlich ein Widerspruch – unter einen Hut zu

10


Interview

bringen: «Ich mache etwas gegen eine allgemeine Gesellschaft und steige auf einen Kühlturm. Aber ich mache das sozusagen für etwas Höheres, noch Allgemeineres – für die Natur.» Der freiwillige Aktivist ist jemand, der versucht, den Widerspruch zwischen Unterordnung und Selbstbestimmung in der bürgerlichen Gesellschaft unter einen Hut zu bringen. Gibt es noch andere Antriebe, sich heute als Freiwillige zu betätigen? Ich glaube, es geht immer darum, das in der bürgerlichen Gesellschaft verlorene ­Gefühl von Authentizität wiederzugewinnen. Mit sich selbst identisch sein, aber nicht in der vereinzelten Form des Aussteigers oder Outlaws. Der Freiwillige möchte einen Widerspruch überwinden. Bei Greenpeace geschieht das im Namen einer Natur, die, was immer sie auch sein mag, zur Chiffre von Wahrheit geworden ist. Ja, ich glaube wirklich, die heutige Chiffre von Wahrheit ist Natur. Also nicht mehr die Vernunft, sondern «Die Natur». Den Widerspruch zwischen eigener Besonderheit und allgemeiner Wahrheit kann man, glaube ich, mit der Freiwilligenarbeit irgendwie lösen. Verstehen Sie das durchaus als These. Beim Einzelnen kann dieses Motiv sehr verschiedene Ausgestaltungen annehmen. Es gibt ja auch die verschiedensten Formen von Freiwilligenarbeit. Nur: Blinden unentgeltlich vorlesen steht ja überhaupt nicht im Widerspruch zu Gesellschaft und Vernunft. Oh doch, es widerspricht der herrschenden ökonomischen Vernunft. Es «lohnt» sich ja nicht, es ist nicht «effizient». Ohne das Moment der Übertretung gibt es Freiwilligenarbeit nicht. Oft leisten Menschen Freiwilligenarbeit, die es sich eigentlich nicht leisten könnten. Das ist doch von einem ökonomischen Standpunkt aus gesehen ein absurdes Verhalten. Genau diese Absurdität ist zentral. Es ist wie eine ganz kleine Revolte: «Ich ordne mich dieser ökonomischen Vernunft nicht voll­ kommen unter.» Ist Freiwilligenarbeit in diesem Sinne ein subversives Verhalten? Ein mikro­ revolutionärer Akt? Ja. Aber das Ziel ist nicht die Revolte, sondern die Authentizität, die Selbstverwirklichung. Freiwilligenarbeit mit einer Absurdität ­vergleichen – nicht schlecht! Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Mit einer Absurdität gegenüber der herrschenden ökonomischen Vernunft. Und gegenüber dem monumentalen Ausmass der Problematik, gegen die man trotz der Ohnmacht gegenüber etwas Grossem, Machtvollem ankämpft? Das ist der David-gegen-Goliath-Mythos, den Greenpeace ja genüsslich bewirtschaftet. Der Aufstand des Einzelnen gegen das Übermächtige. Was ist, wenn das in der organisierten ­Gruppe passiert? Sowohl für den Einzelnen wie für das kleine Kollektiv geht es um das Moment der Besonderheit. Übrigens auch auf der Seite des «Empfängers». Der Freiwillige sagt dann: «Klar ist die Armut in der Welt übermächtig. Aber diesem Einzelnen ist geholfen.» Einer übermächtigen Maschinerie steht die Würde des Einzelnen gegenüber, und zwar die Würde desjenigen, der gibt, und desjenigen, der bekommt. Der Freiwillige spielt also die Rolle des ­Outlaws, andererseits hat sein Engagement etwas zutiefst Moralisches an sich. Da sehe ich keinen Widerspruch. Abgesehen davon halte ich die heutige Tendenz, moralisches Handeln als «moralinsauer» zu entwerten, für sehr gefährlich. Warum soll man nicht ­moralisch handeln? In einem völlig anderen Zusammenhang wurde Ihnen die Frage gestellt: «Bereuen Ihre Patienten, was sie nicht gemacht haben, und nicht das, was sie gemacht haben?» Und Sie haben dann mit dem Konzept vom Glückssucher und vom Unglücksvermeider argumentiert. Lässt sich der eine oder der andere Begriff auf den Typus des Freiwil­ ligen anwenden? In unserer Gesellschaft gibt es eine Suche nach intensiven Erfahrungen. Da ist dieses ­riesige Räderwerk, in das wir alle eingespannt sind, «nine to five», was zu einem Verlust an intensiven Erfahrungen führt. Aus diesem ­Zustand heraus machen sich Individuen auf eine Glückssuche, die immer auch mit Risiken verbunden ist. Das mag humanitäre Arbeit in Afrika sein ... ... oder Sterbebegleitung. Ja, das sind Formen der Suche nach inten­ siven Erfahrungen. Leider leben wir heute in einer Gesellschaft, die intensive Erfahrungen zunehmend verwaltet. Damit verlieren sie den

11


Freiwilligenarbeit

Zug der Überschreitung und vermitteln das Gefühl von Authentizität nicht wirklich. Der andere Typus, der Unglücksvermeider, würde eher auf die ökonomische Vernunft und auf den Staat setzen? Richtig. Aber wir Umweltschützer sind ja Unglücksvermeider par excellence. Interessant. Tatsächlich ein Widerspruch. Vielleicht ist das eines der grossen Probleme dieser ganzen Bewegung: Es geht ihr als Bewegung um Unglücksvermeidung, der Einzelne, der dort arbeitet, dürfte paradoxerweise genau das gegenteilige Motiv haben. Glückssuche. Glückssuche, ein Risiko eingehen, etwas Besonderes machen, aus dieser ökonomischen Maschinerie ausbrechen. Könnte es sein, dass man dadurch die eigene Angst vor Unglück bekämpft? Ich helfe, also wird mir geholfen? Da bin ich nicht so sicher. Könnte sein, aber ich glaube, dass jemand, der Freiwilligenarbeit macht, eben gerade aus diesen ökonomischen Überlegungen aussteigt. Denn auch das ist ja letztlich eine ökonomische Überlegung, oder? Ich gebe etwas, und dafür bekomme ich etwas zurück. Der Sterbebegleiter bekämpft also nicht die Angst vor dem eigenen Tod? Nein. Wenn ein Sterbebegleiter vor seinem eigenen Tod steht, ist es oft mit der Gelassenheit nicht weit her, ich habe das selbst erlebt. Bei André Malraux gibt es eine sehr eindrückliche Stelle, wo ein Widerstandskämpfer, auch ein «Freiwilliger», wenn man so will, jemanden umbringen muss und angesichts der Leiche ein unglaublich intensives Gefühl verspürt: «Der ist tot, ich lebe.» ­Dadurch fühlt er sich noch unvergleichlicher lebendig. Gerade weil er gegen das Leben verstossen hat. Voilà. Womit wir bei Macht wären. Fühlt man sich als freiwilliger Aktivist mächtig? Da möchte ich etwas sagen, das mir sehr wichtig ist: Es besteht immer die Versuchung, eine moralische Handlung zu entwerten. Man sagt dann: «Der macht das nicht aus reinen ­Motiven, aus lauterem Herz, sondern nur wegen der Suche nach Macht, nach intensiven Gefühlen, nach Authentizität oder … Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

… um seiner armseligen Existenz einen Sinn zu geben.» Das halte ich für ganz gefährlich und falsch. Es gibt keine reine Handlung. Das hat Kant nur fantasiert: den kategorischen Imperativ, wonach man nur nach reinsten Motiven handeln soll und eine Handlung dadurch beschmutzt wird, dass ich andere Interessen damit verfolge. Wenn jemand Spass hat, auf einen Kühlturm zu steigen ... … dann wird seine Handlung dadurch nicht minderwertig. Da bin ich ganz Anti-Kant. Eine Handlung wird auch nicht besser, wenn sie keinen Spass macht. Lustgewinn in der Freiwilligenarbeit ist also durchaus legitim. Nicht als Aufopferung? Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Sogar die Aufopferung könnte man ja dekonstruieren in irgendein geheimes Interesse. Und das entwertet sie überhaupt nicht! Apropos Entwertung: «Gutmensch» ist heutzutage ein Schimpfwort. Wie wird ­jemand, der freiwillig arbeitet, bei uns wahrgenommen? Der Topos des Gutmenschen hat zwei ­Aspekte: Zum einen propagieren die Rechten Slogans wie «Die Linken und die Netten». Für sie ist Nettsein offenbar etwas Negatives. Dort kommt ein ganz seltsamer Sozialdarwinismus zum Ausdruck: Der Starke benutzt seine Ellbogen, kämpft sich rauf. Der Gutmensch aber ist ein Schwacher, der sich nicht durchsetzen kann. Ein Waschlappen. Wenn er wirklich Zähne hätte, würde er in Herrliberg wohnen, in einer schönen Villa. Und das finde ich natürlich eine mehr als fragwürdige Sicht. Dann gibt es aber noch eine zweite negative Besetzung des Begriffs «Gutmensch», die ich nicht ganz so falsch finde. ­Darin steckt auch eine Problematik der Freiwilligenarbeit: Es steckt eine gewisse Entpoliti­ sierung drin. Bertolt Brecht wetterte gegen die Heilsarmee. Für ihn waren das Gutmenschen, in dem Sinne, dass sie Pflästerchen auflegten, statt die Missstände auf einer politischen Ebene zu verändern. Dadurch trugen sie zu einer Entpolitisierung der Gesellschaft bei. Und das kann ich in Bezug auf die Freiwilligenarbeit nicht ganz von der Hand weisen. In den USA versuchten Obama in der ­Gesundheitspolitik und Clinton in der Bildungspolitik ein Umdenken herbeizu­

12


In unserer Gesellschaft gibt es eine Suche nach intensiven Erfahrungen: Glückssuche, ein Risiko eingehen, etwas Besonderes machen.

Bau eines Backofens auf der Zürcher Hardturmbrache.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

13

© C hristo phe Cha mmarti n / Rezo


Freiwilligenarbeit

führen: Der Staat muss eine grössere Rolle spielen. Er kann sich nicht darauf stützen, dass nette Reiche oder religiöse Vereinigungen u.a. die soziale Ungerechtigkeit ­abfedern. Das entspricht eher unserem europäischen Politik- und Gesellschaftsverständnis. Der ­amerikanische Weg fusst vielmehr im Christ­ lichen. Was seine Problematiken hat. Die Problematik der Willkür natürlich. Wir reden nicht mehr von Regeln, die darüber entscheiden, wer etwas bekommt, sondern von irgendwelchen Wohltätern. Das hat auch etwas Sympathisches, weil es ein Moment des Direkten beinhaltet. Kann es sein, dass unsere Gesellschaft das wiederentdeckt? Da gibt es die Décroissance-Bewegung. Es gibt Tauschhandel und Nachbarnetzwerke. Natürlich ist da dieser Aussteigergedanke: ausserhalb des Systems etwas Neues aufbauen. Aber der «reziproke Altruismus» floriert. Da wird ungemein viel Freiwilligenarbeit geleistet. Und Sie sagen, das hätte nichts mit sozialem Status zu tun? Das mag ein Beigewinn sein, ist aber nicht das ursprüngliche Motiv. Auf Facebook & Co. spielt der soziale Status eine grosse Rolle, wenn es um Petitionen, Demonstrationen, Spenden geht. In Internetforen investieren unzählige Menschen viel Arbeit, um anderen ein Gerät oder eine Krankheit oder ein Kochrezept zu erklären. Sie sagen, das sei eine Form von Revolte im Stil von: «Die Gebrauchsanweisung, welche die Firma mitliefert, ist nicht gut genug. Wenn du das und das machst, lebt dein ­Gerät länger.» Genau. Das ist immer mit einem Trick verbunden. Wie bei Greenpeace. Mit etwas Ausserordentlichem. Darum geht es immer. Natürlich kann das den sozialen Status erhöhen. Aber ich würde wirklich davon wegkommen, darüber nachzudenken, was jemand für sein Engagement zurückbekommt. Der Freiwillige rechnet nicht? Der Soziologe Marcel Mauss und der Philosoph Georges Bataille reden von einem Bedürfnis nach Verausgabung. Man will sich veraus­ gaben – aber eben in einer intensiven Erfahrung, die sinnlos ist. Innerhalb der herrschenden ­Vernunft sinnlos. Für mich faszi­nierend an der Freiwilligenarbeit ist, dass sie auf dem Umweg der Sinnlosigkeit Sinn stiftet. Sie ist innerhalb Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

der ökonomischen Vernunft ­sinnlos – und gerade deswegen gibt sie mir ­einen Sinn als absolut Einzelnem. Das Interview mit Daniel Strassberg wurde am 16.6.2011 geführt. Aufgezeichnet von Matthias Wyssmann Daniel Strassberg … … wurde 1954 in St. Gallen geboren. Der Arzt, Psychoanalytiker und Philosoph praktiziert seit 1985 in Zürich, wo er auch an der Universität ­unterrichtet. In seinen zahlreichen Publikationen und Vorträgen behandelt er ein breites Spektrum an Themen, oft unter einem interdisziplinären Blickwinkel. In seinen Wortmeldungen in den ­Medien stellt er das Individuum in überraschender und pointierter Weise in einen gesellschaftlichen Kontext zwischen Moral, Politik und ­Ökonomie.

14

Postwachstum: Aufbruch der Freiwilligen Von Thomas Niederberger

Weiter wachsen! Dieses Wirtschaftsdogma stösst an ­Grenzen. Wachstums­ kritische Stimmen werden lauter. Wer sind die Leute, die hierzulande für die ­Transition zur post­fossilen ­Gesellschaft eintreten? Träumer, Schreibtischtäter oder nüchterne Realos? Gibt es konkrete Ansätze, eine ­gemeinsame Utopie, gar ­einen Aufbruch? Eine Reportage über Vertragsland­ wirtschaft in Zürich und


Décroissance

Genf, die Décroissance-­ Bewegung in der Romandie und in Bern, ­Permakultur im Emmental, Transition-­ Initiativen in Winterthur und Biel sowie die Gruppe ­Neustart Schweiz. «Auf die Randen! Zum Wohl!» Beim Lagerfeuer auf dem Fondli-Hof im zürcherischen Dietikon prostet sich ein Dutzend Frauen und Männer zu. Sie gehören zu den rund 120 Mitgliedern der Vertragslandwirtschafts-Kooperative. Den Tag haben sie damit verbracht, den von ihnen ­gepachteten Gemüseacker zu jäten. Dank ihres unbezahlten Einsatzes haben die schwächelnden Randen eine Chance erhalten, dass Ortoloco sie ihren 300 bis 500 Essern auftischt. Noch vor zwei Jahren war alles nur eine Idee. «Jetzt aber kann ich mit eigenen Händen Wirtschaft machen, statt nur darüber nach­ zudenken», sagt Christian Müller, Mitglied der Betriebsgruppe und ehemaliger Wirtschafts­ student, dem bei Vorlesungen immer «der Laden runterging». Ortoloco will wachsen: Zurzeit wird in Pilzzucht, Beeren und Brot investiert, angedacht sind die Ausweitung auf Textilien und der Direktbezug von haltbaren Lebensmitteln. Auffallend, wie oft am Anfang das Gemüse steht, wenn es um die Konkretisierung von ­Konzepten wie der Décroissance geht, wörtlich «Ent-Wachstum». Dient das Wachstum der ­Salate als Gegengift zur Tyrannei des Wirtschaftswachstums? «Schön gesagt», sagt Irène Anex lachend, «aber leider sehen sich viele unserer Mitglieder immer noch als Kunden, die zwar lokal und verantwortlich konsumieren wollen, sich jedoch kaum Zeit nehmen für ein Engagement über die vier Halbtage obligatorischer ­Mitarbeit hinaus.» Die Agronomin ist eine von drei GärtnerInnen der Genfer Kooperative ­Jardin des Charrotons, die 2007 aus der Warteliste der Jardins de Cocagne entstanden ist, seit 1978 Pionier der Regionalen Vertragslandwirtschaft (RVL). Sie mag sich nicht auf die ­Décroissance beziehen, aber «auch wenn es vielen Mitgliedern nicht bewusst sein mag, haben wir einen politischen Anspruch. Es geht um Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

die Ernährungsautonomie.» In den vergangenen Jahren ist Irène oft an Treffen gereist, bei denen sie andere Städter um die 30 kennen gelernt hat, die wieder Erde unter den Füssen spüren ­wollen: «Wir sind Teil einer Bewegung.» Gemäss der Bauerngewerkschaft Uniterre gibt es in der Schweiz knapp 40 produzierende RVLBetriebe mit über 7000 Mitgliedern. Die meisten befinden sich in Genf und in der Waadt und wurden nach 2005 gegründet. Beim Gemüse ist der ­Aufbruch zur Relokalisierung spürbar. Die Wachstumsverweigerer «Relokalisieren» ist einer der Schlüssel­ begriffe der Décroissance-Bewegung, die in den vergangenen Jahren von Frankreich her in die Romandie und dann in die Deutschschweiz ­geschwappt ist. Ein Duzend Leute, Mitte 20 ­aufwärts, sitzt um einen Tisch am Seeufer von Yverdon und diskutiert angeregt. Die Wachstumsverweigerer vom Réseau Objection de Croissance (ROC) der Romandie haben zum Picknick eingeladen. ROC ist eine «Vernetzung für Austausch, Sensibilisierung und unab­hängige Aktion» und besteht aus je rund 20 Aktiven in Genf und in Lausanne sowie einer ­kleinen Gruppe in Neuenburg, die zusammen gegen 1000 Sym­ pathisanten auf ihren Mailinglisten führen. Ihre Hauptaktivitäten sind recht klassisch: Diskussionsabende, Informationsstände, Publikationen. Marie Reiser erzählt, wie sie dazu gekommen ist. Die zierliche Frau war arbeitslos und litt unter der «Was machst du im Leben»-Frage: «Es wurde mir klar, welche Gewalt darin steckt, Menschen nur nach ihrem Beruf zu beurteilen. Beim ROC fand ich Rückhalt von Leuten, die dem kritisch gegenüberstehen.» Denke man die Ökologiekrise zu Ende, sei Wachstumsrück­ nahme die einzige Konsequenz. Die Diskussion am Tisch geht über zur Positionierung der ­Décroissance in der Parteipolitik. Die Grüne Partei, sagt jemand, wolle mit ihrer «Initiative für eine Grüne Wirtschaft» zwar den ökologischen Fussabdruck der Schweiz reduzieren, was nichts anderes bedeute als Wachstumsrück­ nahme, scheue sich aber, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Hier scheint ein Hauptunterschied zwischen den Décroissance-Gruppen und anderen ­Umweltorganisationen zu liegen: das Insistieren auf die Notwendigkeit, den Konsum zu redu­ zieren und mit dem Wachstums-Wirtschaftssys-

15


Auffallend, wie oft am Anfang das Gemüse steht, wenn es um die Konkretisierung von Konzepten wie Décroissance geht.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

16

© Christo phe Cha mmarti n / Rezo

Verteilzentrum der Kooperative «Le Panier Bio à Deux Roues» in Lausanne


Décroissance

tem radikal zu brechen – wobei die Radikalität keine Attitüde ist, sondern die Konsequenz der ­öko­logischen, klimatischen und sozialen Krise. «Stimmt», findet Thomas Schneeberger, Ingenieur und Mitgründer von Décroissance Bern, «wobei radikal brechen sich auf die ­Richtung, nicht auf die Zeit bezieht – von heute auf m ­ orgen lässt sich das nicht erreichen.» Er sieht für das 2010 gegründete Netzwerk von rund 60 Aktiven vor allem eine aufklärerische Aufgabe: Die Wirtschaft müsse wegen der beschränkten Ressourcen sowieso schrumpfen. Nötig sei, das Beste daraus zu machen, anstatt weiterhin bei jeder Wirtschaftskrise nach noch mehr Wachstum zu rufen, was «Feuerlöschen mit Benzin» bedeute. Aus dieser Einsicht heraus müssten Initiativen wie etwa Gemeinschaftsgärten angestossen werden, sagt Thomas, doch bestehe dabei die Gefahr, sich auf einen kleinen Wirkungskreis zu beschränken. Die VertreterInnen der Décroissance ­wagen sich an die grossen Probleme heran. Ihre Antworten sind noch ungefestigt, aber die ­Vielfalt der Ideen ist eine ihrer Stärken. Eine der schönsten hat Ivan Illich schon in den 70erJahren als «Konvivialität» (Zusammenleben) bezeichnet: Das «gute Leben» sei nicht abhängig von der Anhäufung von Dingen, sondern ergebe sich aus der Qualität menschlicher Beziehungen. Décroissance Bern hat dazu eine Arbeitsgruppe gebildet.

Mitarbeitende angewiesen», sagt Toni Küchler, einer der Mitgründer. «Ausserdem bringen die Helfer Abwechslung ins Haus.» Selbstversorgung ohne Übernutzung lokaler Ressourcen, dieser Grundgedanke der ­Permakultur solle auch bei der Energie gelten: «Damit das Sinn macht, muss man aber auf der regio­nalen Ebene schauen», meint der Umweltnaturwissenschaftler ETH, der im Tal ein Planungsbüro für nachhaltige Regionalentwicklung betreibt, das etwa die Geschäfte der «Energie­ region Emmental» führt. Mit lokalen Unternehmen und Gemeinden soll die Selbstversorgung mit Holz, Sonne und anderen nachhaltigen Energieträgern optimiert werden. Hier bleiben die Profis noch unter sich: «Es braucht Fachwissen und viel Geld.» Freiwilligkeit beschränkt sich bei der Energie weiterhin auf den Entscheid von Privaten, zum Beispiel Kollektoren auf ihre Dächer installieren zu lassen.

Winterthur versucht den Wandel «Wir stehen noch am Anfang», hatte sich Corinne Päper, Mitinitiatorin der Winterthurer «Transition Town»-Gruppe, am Telefon entschuldigt. Zum zweiten Infotag sind gut 20 Menschen um die 40 in der zum Kulturzentrum ­umfunktionierten Spenglerei erschienen. Der Vortrag beginnt etwas steif, es geht um Erdöl­ fördermaximum und Klimawandel. Die Probleme sind bekannt. Das Entscheidende: Die Zeit, in der man sich von der grossen Politik Lösungen Frische Energie aus dem Emmental erhoffte, ist vorbei. Daraus folgt der Wille, aktiv zu werden für den Wandel, die «Transition» hin Wucherndes Gemüse, Hühnergegacker, Regenbogenfahne. Sechs Erwachsene und vier zu einer Gesellschaft, die nicht mehr von fossiKinder leben im Heimetli auf 1000 Meter ler Energie abhängig ist, sondern «resilient», ­Höhe am Balmeggberg oberhalb von Trub im das heisst widerstandsfähig gegenüber äusseren Emmental. Vor ein paar Jahren hatten sie genug Schocks und Krisen. Die Transition-Stadt-­ Bewegung begann 2005 in der britischen Kleinvon der Stadt und kauften das Haus mit drei Hektar Land und fast ebenso viel Wald. Ausstei- stadt Totnes, unter anderem inspiriert von der Ethik der Permakultur – Sorge um die Erde, um ger? ­Der Begriff wäre falsch: Dank ihnen ­kommen freiwillige Helfer, Couch Surfer und die Menschen, Reduktion des Konsums und Jugendlager in die abgelegene Gegend und gerechte Verteilung. Unterdessen gibt es welt­tragen das hier Gelernte in alle Welt. Mongolische weit rund 400 «offizielle» Transition-Initia­tiven, Jurten sind die Unterkünfte für Freiwillige und und nochmals so viele sind im Aufbau. Gäste. Der Garten ist ein Experimentierfeld für Die Vorstellungsrunde wird zum Manifest: Ein beeindruckendes Potenzial an Kenntnis ist nachhaltige Landwirtschaft im Gebirge, wird für Schulungen verwendet und ist ein Knotenhier versammelt. Überraschend ist der beinahe punkt der globalen Permakultur-Bewegung. ungeduldige Wille, sofort loszulegen. Ab sofort «Gemäss Permakultur verwenden wir nur lokal soll es wöchentliche Treffen in der Spenglerei Verfügbares, was aufwändiger ist als indus­ geben, Initiativ- und Arbeitsgruppen werden trielle Landwirtschaft – deshalb sind wir auf möglichst rasch gebildet. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

17


Freiwilligenarbeit

Corinne, die auf Unternehmenskommunikation spezialisierte Betriebsökonomin, strahlt. Sie ist dank einem Film auf die Transition-­ Bewegung aufmerksam geworden. Ein Unwohlgefühl mit Führungspositionen habe bei ihr das Bedürfnis nach persönlicher Veränderung ­ausgelöst. «Jetzt will ich Leute um mich scharen, mit denen das möglich ist.» Der Anfang ist vielversprechend.

Arbeitsgruppe Nachbarschaften des Vereins Neustart Schweiz ist zu Besuch bei «mehr als wohnen», einer Baugenossenschaft, die hier bis Ende 2013 eine grosse Siedlung bauen will – ein ganzes Quartier für 1000 Menschen, nach neusten Erkenntnissen in ökologischen Bautechniken, nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft. Generationendurchmischung, autofreies Mobilitätskonzept, Nahrungsmittel-Direktbezug aus der Region, Freiwilligenarbeit, Grosshaushalte – kurz: Arbeiten, Wohnen, Essen, überhaupt Visionen aus Biel In Biel ist der Prozess schon weiter, der Leben an einem Ort, der genügend Vielfalt ­Ablauf modellhaft. Er begann im September ­bietet, um sich nicht zu langweilen, soll möglich 2010 mit einer Zeitung und der Veranstaltungs- werden. Es ist auch ein «Innovationslabor für reihe Vision 2035, um die Diskussion anzu­ gemeinnützigen Wohnungsbau», ein Geschenk stossen und eine kritische Masse an Interessier- der Zürcher Wohnbaugenossenschaften an sich selbst zu ihrem 100-Jahr-Jubiläum. Hier könnte ten zusammenzubringen. Daraus entstanden Arbeitsgruppen mit total rund 70 Aktiven, die möglich werden, was Neustart Schweiz unter sich der Konkretisierung der Ideen annehmen. dem Konzept der «Nachbarschaft» versteht. Ein Gemeinschaftsgarten bestand bereits, die Etwas später im Büropavillon von «mehr als mobile Küche mit Slow Food läuft. Ab Ende Jahr wohnen»: Neustart-Leute begutachten das wird Vision 2035 ein Quartierzentrum betrei­Modell der Siedlung und stellen Fragen: Wo ben, geplant sind etwa ein Mittagstisch für Kin- werden die Kinder spielen, wie wird das Abwasder und Deutschunterricht für MigrantInnen. ser aufbereitet? Monika Sprecher, Geschäfts­ «Wir wollen Nachbarschaftsbeziehungen pflegen leiterin des Projekts, gibt kompetente Antworten. und sozial Schwächere besser als bisher einbeIn ihrer Freizeit engagiert auch sie sich bei ziehen», sagt Mathias Stalder, Buchhändler und ­Neustart. Ein Manko von «mehr als wohnen», gesteht sie ein, ist der Top-down-Ansatz. Wer Mitinitiator der Vision. Die Vertragslandwirtschafts-Kooperative sollte ab nächstem Frühling sind die Menschen, die hier einst leben werden? produzieren können, auch kompliziertere Entspricht die Planung ihren Bedürfnissen? Bei ­Themen würden angedacht: Regionalwährung, Neustart erhofft sie sich auch Antworten darauf. Energie-Kooperative, gemeinschaftliches Wohnen, freie Schule. «Möglichst viele Leute einbinMehr Lebensfreude als Konsumstress den, um möglichst viel Autonomie in möglichst Der Verein Neustart Schweiz wurde 2010 vielen Bereichen zu schaffen», definiert Mathias gegründet, benannt nach einem visionären das Ziel seines Engagements. Der Aktivist wunBüchlein des Zürcher Autors P.M., und hat bereits dert sich selbst darüber, wie viele neu Engagierte über 100 Mitglieder. Er will eine Plattform bieangesprochen werden konnten. Viele seien ten für die Anregung, Beratung und Vernetzung ­inspiriert von den Transition Towns, der theore- von lokalen Transition-Initiativen, die dem Kerngedanken der sozial und ökologisch nachtische Bezug sei aber sekundär: «Die meisten wollen jetzt möglichst schnell konkret werden haltigen Nachbarschaft entsprechen. Auch und ihre Energie nicht mit Grundsatzdiskus­ ­politische Lobbyarbeit gehört dazu, etwa indem sionen verpuffen.» Trotzdem harze es oft noch, Areale identifiziert und eingefordert werden, weil es am Mut fehle, den Schritt vom Wort zur auf denen Siedlungen gebaut werden können, in Tat zu wagen und sein Leben selbst in die Hand denen das «gute Leben» möglich würde. zu nehmen. «Das lernt man ja nirgends sonst.» Vertragslandwirtschaft, Décroissance, ­Permakultur, Transition, Neustart – verschiedene Der Neustart beginnt in der Namen und Ansätze, die sich überschneiden, Nachbarschaft ergänzen und bereichern, wenn auch nicht ohne Neben einer stark befahrenen Strasse in Widersprüche. Vieles ist noch jung. Bei allem Zürich-Oerlikon steht eine Gruppe Männer und Pioniergeist mag es sich um hilflos anmutende Versuche handeln, angesichts riesiger Probleme Frauen und schaut auf eine Brachfläche. Die Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

18


Konkrete, im Alltag wirksame Experimente haben Priorität gegenüber Protest und Auflehnung. Unterwegs für eine Idee mit Zukunft: Gemüsekurier Raphaël Pfeiffer von «Le Panier Bio à Deux Roues».

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

19

© C hristo phe Cha mmarti n / Rezo


Uwe Burka und Isabelle Goumaz: «Unsere Photovoltaikanlage erzeugt mehr als doppelt so viel Strom, wie wir selbst verbrauchen.»

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

20

© Christ ophe Cha mmarti n / Rezo

Pierre-Alain und Samuel Chevalley vor ihrem experimentellen Windrad und der Biogas-Anlage, mit welcher sie ihr Haus heizen.


«etwas zu tun» und sei es nur, um das Gefühl zu bekämpfen, nichts tun zu können. Eine ge­mein­ same Utopie bleibt vage im Hintergrund, man setzt auf Pragmatismus. Sanfte Aufklärung und konkrete, im Alltag wirksame Experimente haben Priorität gegenüber Protest und Auflehnung. Eine generationenübergreifende Bewegung, deren reifende Inhalte sich dem Newsflash der Hochleistungsgesellschaft verweigern. Vor allem geht es um ein Lebensgefühl: mehr Zeit, mehr Freude am Leben statt Lohnarbeits- und Konsumstress. Bessere Beziehungen in der Nähe statt Mobilitätswahn und Vereinzelung. Ein Aufbruch? Wer ihn sucht, findet ihn.

Décroissance

Begriffe: Décroissance und konsumkritische ­Aktionen Die Décroissance-Bewegung (deutsch: ­Wachstumsrücknahme oder ­Postwachstum) hält das unbegrenzte Wachstum der Wirtschaft für ­öko­logisch unmöglich und ­sozial schädlich. Ein «grünes» Wachstum wird als illusorisch betrachtet, stattdessen wird auf frei­willige Beschränkung des Konsums gesetzt. Die Décroissance-Bewegung organisiert auch eine Reihe von konsumkritischen Aktionen, etwa den Kauf-nix-Tag oder die Woche ohne Bildschirm. Transition-Initiativen teilen die Kritik der Décroissance-Bewegung am wachstumsfixierten Wirtschaftssystem weitgehend, fokussieren aber stärker auf einen Wandel hin zu einer «postfossilen Gesellschaft» auf der Ebene von Kleinstadt, Quartier und Nachbarschaft. Neustart Schweiz setzt ähnlich an, geht aber ­stärker auf den Umbau von grösseren Städten und Regionen ein. Permakultur soll dauerhaft funktionierende, ­naturnahe Kreisläufe ermöglichen. Deren Gestaltungsprinzipien sind ein wichtiger Bezugspunkt für die Transition-Initiativen. Regionale Vertragslandwirtschaft bedeutet verschiedene Formen direkter Kooperation zwischen Konsumenten und Produzenten.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Chinas Kinder werden ­«Hoffnung» und «Wind» Heissen Von Tom Xiaojun Wang, Greenpeace East Asia, Peking Ich heisse Tom Wang. Tom ist mein englischer Name. Ich habe mich so genannt, als ich Englisch lernte, weil meine britische Lehrerin den Namen Xiaojun nicht aussprechen konnte. ­Xiaojun bedeutet «Soldat, der in der Morgen­ röte geboren wurde». Wenn die Leute in China meinen Namen hören, wissen die meisten, dass ich in den 70er-Jahren geboren bin, denn als Soldat unser Land zu schützen, war damals die grösste Ehre für jeden jungen Chinesen. Offensichtlich wünschten sich meine ­Eltern, dass ihr Kind zu einem Soldaten heranwachsen und sie stolz machen würde. Als ich 2005 meiner Mutter erzählte, dass ich meine Arbeit als Journalist aufgegeben hatte, um für Greenpeace zu arbeiten, war ihre erste Reaktion: «Was ist Greenpeace?» Und dann: «Warum?» Zuvor war ich immer ihr ganzer Stolz gewesen, obwohl ich nicht zum Militär gegangen und Soldat geworden war. Stattdessen wurde ich Lehrer an einem College und später Jour­ nalist. Beide Tätigkeiten schienen ihr sinnvoll und machten sie stolz. Als ich Lehrer am College war, prahlte sie in ihrem Freundeskreis damit, dass ich, ihr Sohn, der jüngste und begabteste Lehrer am ganzen College sei und von meinen StudentInnen und KollegInnen respektiert würde. Als ich Journalist wurde, prahlte sie dann vor ihren Freundinnen und Freunden damit, dass ich, ihr Sohn, Interviews mit wichtigen Leuten aus Wirtschaft und Politik führe. Greenpeace? Nichtregierungsorganisation? Was ist das? Meine Mutter war nicht die Einzige, die mir diese Fragen stellte. 2005 waren Nichtregierungsorganisationen in China nur wenigen ein Begriff, und noch weniger Menschen kann-

21


Freiwilligenarbeit

ten Greenpeace. Wenn sie etwas über Nicht­ regierungsorganisationen wussten, dann dachten sie, das seien alles Freiwillige, die unter der ­Woche im Büro arbeiteten und am Wochenende beim Strassenaufräumen oder Bäumepflanzen halfen. Falls sie etwas über Greenpeace wussten, war das einzige Bild, das ihnen dazu einfiel, ein kleines Boot im Südpazifik, das einen japa­ nischen Walfänger aufzuhalten versucht. Sie dachten, Greenpeace sei eine westliche Organisation von Verrückten und Radikalen mit langen Haaren, die sich vor Bulldozer stürzen. Die Leute runzelten angesichts dieser «Verlierer» die Stirn, da sie «Unruhe stifteten» und den «ehrbaren Regierungs- und Geschäftsleuten» das Leben schwer machten. Im heutigen China, wo die meisten Ressourcen von der Regierung kontrolliert werden, ist die Umschreibung «Nichtregierungs-» mehr oder weniger gleichbedeutend mit «Antiregierungs-». Deshalb möchten die meisten Beamten nichts mit Greenpeace zu tun haben. Als Kommunikationsbeauftragter für Ostasien bei Greenpeace bin ich jeden Tag mit Zensur konfrontiert. So wird etwa Zeitungen verboten, über Greenpeace-Projekte zu berichten, und auf Websites wird Greenpeace nie erwähnt, obwohl man auf dem zum Artikel gehörigen Bild sieht, wie meine Kollegen vor einem Kohlekraftwerk ein Transparent hochhalten. Wenn ich mit dem Rad zum GreenpeaceBüro in Peking fahre, überlege ich mir, wie man in China mehr Verständnis für meine Arbeit wecken könnte. Wir sind hier, um Chinas Umwelt zu schützen, damit die Chinesen ihre Lebensqualität steigern und kommenden Generationen Boden zum Nahrungsanbau, saubere Luft zum Atmen und sauberes Wasser zum Trinken hinterlassen können. Die Welt ist beeindruckt vom Wirtschaftswachstum, das China in den vergangenen drei Jahrzehnten erreicht hat. Der Preis dafür ist jedoch eine rasch fortschreitende Umwelt­ zerstörung. Die Verschmutzung wird zu einer Bürde, die das Wirtschaftswachstum bremst und zu sozialen Unruhen führt. Das Wort «Umwelt» gehört in China zum universalen Wortschatz, wobei es eng mit «Geld» assoziiert wird. Das wichtigste Wort heisst «Wirtschaftswachstum». Da etwa 10 Prozent der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, hat die Verbesserung der Lebens­ Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

qualität in China oberste Priorität. Entsprechende ­Bemühungen werden anerkannt und ­geschätzt, doch nun muss China die Mentalität «Entwicklung und Verschmutzung zuerst, ­Aufräumen danach» aufgeben. Das Land kann es sich weder sozial noch wirtschaftlich leisten, so weiter­zumachen. Unsere Aufgabe ist es, ­dafür zu sorgen, dass das von der Öffentlichkeit wie auch von politischen Entscheidungsträgern gehört und ernst genommen wird. Darum sprechen wir über die Kosten, welche die Umweltzerstörung verursacht, damit unsere Botschaft bei den Wirtschaftsplanern und ThinkTanks auf Resonanz stösst. Statt zu sagen: «Der Abbau und die Verbrennung von Kohle verschmutzen Chinas Luft, Wasser und Böden», sagen wir: «Die volks­wirtschaftlichen Kosten, welche Abbau und Verbrennung von Kohle verursachen, machen jährlich etwa 7 Prozent von Chinas Bruttoinlands­produkt aus.» Die Arbeit von Greenpeace in China ist auch global betrachtet von Bedeutung, denn mit jedem Schritt, den China zur Förderung der Wirtschaft unternimmt, werden grosse Mengen an Treibhausgasen freigesetzt, welche Gletscher in der Arktis, Schneeberge in Zentraleuropa und das Wettersystem in Afrika bedrohen. Als weltweit grösster Produzent und Konsument von Kohle produziert China weltweit am meisten Treibhausgase, die für den Klimawandel ver­ antwortlich sind. Wenn ich meinen Freundinnen und Freunden in Peking und Shanghai erzähle, dass es Teil meiner Arbeit ist, China davon abzubringen, so viel Kohle zu verbrennen, denken sie, ich wolle mit Greenpeace den Fortschritt bremsen. So fragen sie: «Woher soll China ohne Kohle die Energie für all die Textil- und Elektronikfa­ briken nehmen, die so viel investiert haben?» Dann erzähle ich ihnen die Geschichte ­meiner Heimatprovinz Shanxi in Zentralchina, die von vielen HistorikerInnen für die Wiege der chinesischen Zivilisation gehalten wird. Früher war sie für ArchäologInnen aller Welt eine Fundgrube. Heute sind die meisten, die die Provinz besuchen, Investoren mit Geld. Sie kommen nur wegen der Kohle. In der Provinz Shanxi liegt ein Drittel des Vorkommens in China. Als ich klein war, nahm mich meine Schwester jeweils mit zum Fluss, um die Wäsche der Familie zu waschen. Mit meinem Grossvater stieg ich an Sommertagen auf einen Berg hinter

22


© Gr een peac e / A lan H i n d le

© Gr een peac e / N atali e B ehr i n g -C hi s ho lm

China-Erfahrungen

«Die Stadt versinkt in Smog und K ­ ohlestaub — dennoch wollen die meisten Beamten nichts mit ­Greenpeace zu tun haben.» dem Haus, wo wir seine Freunde besuchten. Am liebsten waren mir die Besuche bei dem, der einen Pfirsichbaum vor dem Haus hatte. Ich sass auf dem Baum und stopfte mir Pfirsiche in den Mund, während mein Grossvater und sein Freund bei einer Tasse Tee plauderten. Mitte der 80er-Jahre begann die Regierung mit dem Bau breiter Strassen. Es kamen Last­ wagen, um die Kohle aus den Bergen zu ­holen. Meine Eltern, ihre Freundinnen und ­Freunde freuten sich anfangs über die neuen Jobs. Einige meiner Verwandten wurden Minenarbeiter­ Innen, einige arbeiteten in Kraft­werken und Zementfabriken. Alle waren neidisch auf sie wegen dem vielen Geld, das sie verdienten. Meine Freundinnen und Freunde und ich waren zuerst auch aufgeregt, als wir die grossen Maschinen, die neuen Gesichter und die exotischen Spielzeuge sahen. Aber das dauerte nicht lange. Die Lastwagen brachten die Kohle in andere Teile Chinas und hinterliessen ­Kohlenstaub sowie stinkenden Smog. Die Kohleminen höhlten die Berge aus, bis Häuser und Tempel darauf einstürzten. Die Kraftwerke verbrauchten so viel Wasser, dass der Fluss nach Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

fünf Jahren austrocknete. Die Zementfabriken hüllten die Stadt ständig in einen Staubschleier. Als Peking zu den Olympischen Spielen 2008 Besucher empfing, kehrte ich in meine Heimatstadt zurück, um die Veränderungen, welche die letzten 30 Jahre Kohleabbau und -verbrennung verursacht hatten, zu dokumentieren. Ich ­besuchte den Freund meines Grossvaters. Er gehörte zum Dutzend alter Leute, die noch im Dorf lebten. Die andern waren weggezogen, weil alle Häuser Risse hatten und jederzeit ­einstürzen konnten. Er nahm mich mit zum Pfirsichbaum und sagte: «An diesem Baum ­wachsen keine Pfirsiche mehr. Jeden Frühling bedeckt der Staub vom Kraftwerk die Blüten. Keine Früchte mehr.» Als ich ihm erzählte, dass ich für Greenpeace, eine Umweltschutzorganisation, arbeite, lächelte er und meinte: «Das ist eine gute ­Arbeit, die ein gutes Karma verspricht. Wovon sollen denn die Kinder von morgen leben, wenn es so weitergeht? Wir müssen ihnen doch etwas hinterlassen.» Ich höre diese Stimme jeden Morgen, wenn ich ins Büro komme. Ich erzähle diese Ge­schichte

23


Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

— Seit 40 JAHREn Die Widerstände waren oft happig, der Weg meist steinig — und dennoch stösst Greenpeace am 40. Geburtstag auf viele Erfolge an. Wir sind in 40 Ländern aktiv und werden von 2,8 Millionen ­Menschen unterstützt: eine Rückschau.

© 2 011 Gr een peac e / M at t hi as W y ssm an n

Freiwilligenarbeit

Highschool-StudentInnen in Peking, und wenn ich Tränen in ihren Augen sehe, e ­ rfüllt mich die Hoffnung, dass sie klüger als ihre Eltern sein und verantwortungsvoller mit unserem Planeten umgehen werden. Sie werden ihren Eltern sagen, dass sie Strom sparen oder öffentliche Verkehrsmittel öfter benutzen sollen. Sie werden erwachsen werden und als IngenieurInnen für ein Windkraftwerk arbeiten. Sie werden ins Ausland gehen und Investoren aus den USA und Europa sagen, sie sollen in saubere Industrien investieren. Sie werden ihren Kindern Namen wie «Hoffnung» und «Wind» sowie schöne Träume geben, die wahr werden, wenn wir zusammenarbeiten. Hunderttausende von Menschen in China möchten unsere Newsletter erhalten, noch mehr möchten direkt mit Greenpeace sprechen und helfen, unsere Berichte im Internet zu verbreiten und einem grösseren Publikum zugänglich zu machen. Meine Eltern gehören zu i­ hnen. Sie lesen meine Blogs und schicken mir Tipps, wie man mit dem chinesischen Volk spricht. Greenpeace Ostasien unterstützt Highschool-StudentInnen, die JournalistInnen ­werden möchten, damit sie von ihren Beobachtungen und Sorgen betreffend die Umwelt ­sowie von ihren Plänen für eine sauberere Zukunft berichten können. Die Vision, die Greenpeace von unserem Planeten hat, ist ähnlich wie das, was einer der berühmtesten Philosophen Chinas, Lao Tzu, vor 2500 Jahren dargelegt hat. Als ich ihn 2005 zitierte, um meiner Mutter zu erklären, was Greenpeace tut, verstand sie mich sofort. Es ist ganz einfach: «Wir müssen harmonisch mit der Natur zusammenleben; denn die Natur darf nicht ausgebeutet oder missbraucht werden, wir sollten mit ihr befreundet sein, statt sie zu ­erobern.» Greenpeace hat im Juli den Bericht «Schmutzige ­Wäsche» veröffentlicht. Eigene Analysen zeigen, wie Zulieferer der Sport- und Trendbekleidungs­ industrie in China die Flüsse verschmutzen. Das hat schlimme ­Folgen für die Umwelt und für die ­Bevölkerung, die das­­belastete Wasser aus den Flüssen trinken und im ­Haushalt verwenden muss. Greenpeace fordert von den Sport­arti­ kel-Herstellern, dass die Wasser­­ver­schmutzung im Süden gestoppt wird.

Eine Rainbow Warrior aus Karton Von Inga Laas

­ itarbeiterin Inga Laas, 26, M erzählt, wie 40 Jahre ­Greenpeace ihre Familiengeschichte überspannen. Als Greenpeace International 1971 gegründet wurde, war mein Vater 19 und meine Mutter 17, und sie waren bereits ein Paar. Damals ­waren sie schon Feuer und Flamme für den Schutz des Planeten, und Greenpeace sollte unser Leben prägen. Wenn ich an Greenpeace denke, denke ich auch an meinen Vater und sehe ihn, wie er in seinem Sessel sitzt. Dann fällt mir auf, wie alt er geworden ist. Sein Haar ist dünner und lichtet sich schon an den Schläfen. Schwerer geworden ist er auch. Aber ich glaube, das ist normal. Mit

24


40 Jahre Greenpeace

schweren Händen hält er die Zeitung und liest. Hin und wieder ertönt ein nachdenkliches Hm, und er nickt leicht mit dem Kopf. Das macht er immer, wenn ihm nicht gefällt, was er liest; er nickt und brummt etwas in sich hinein. Er ist nicht mehr wie damals, als er mit meiner Mutter und uns Kindern am Wochenende demonstrieren ging. Das Demonstrieren war für meinen Vater das, was für andere Väter der sonntägliche Familienausflug in den Vergnügungspark war. Wir gingen nicht ins Kino; wir gingen protestieren. Meistens gegen Atomkraft und immer für die Umwelt. Während andere Kinder mit ihren Eltern in den Zoo gingen, zogen unsere meinem Bruder und mir «Atomkraft? Nein danke»-Pullis über den Kopf und klebten die lachende Sonne an unsere Kinderwagen. Auf den Protestzügen traf man Freunde und Bekannte, was den Eindruck eines Familienausflugs verstärkte. Dass Kinder in unserem Alter dabei waren, machte es leichter, die kratzenden Wollwindeln zu vergessen. Überhaupt, die Wollwindeln! Eine Gewissensfrage unter jungen Alternativfamilien. Man wollte keinen Müll produzieren und versuchte, wieder bewusster zu leben. Das war 1987 – ein Jahr nach Tschernobyl und mehr als 15 Jahre nach der Gründung von Greenpeace International. Mein Vater empfand für diese noch recht unbekannte Gruppe von Umweltschützern eine stürmische Bewunderung, meine Mutter war dankbar für die unabhängigen Informationen, und mein Grossvater fand, sie seien schlicht «verrückte Krawalliere». Dass mein Bruder 1986 einen Spaziergang durch den frühlingshaften Mai mit ihm ablehnte, weil «der Regen jetzt böse und giftig ist», war für meinen Grossvater der Gipfel und ein Hinweis auf den schlechten Einfluss von Greenpeace. Der Organisation schrieb er auch zu, dass es bei uns noch ein halbes Jahr nach Tschernobyl nur Trockenmilch und Konserven gab, natürlich noch vor der Katastrophe produziert. «Eine Zumutung für die Kinder», fand er. Für ihn war Tschernobyl aber nie mehr als der schlüssige Beweis für das Versagen der ­Russen. Prophezeit vom Westen. Mit «Uns kann das nicht passieren» war die Diskussion beendet. Und wir Kinder? Mein Bruder und ich verbanden mit Greenpeace vor allem das Walposter in unserem gemeinsamen Zimmer, Schiffe mit bunten Regenbogen – und Klopapierrollen. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Die Rainbow Warrior II war unsere Heldin, und während unsere Eltern gegen die zähen Mühlen der gutbürgerlichen Engstirnigkeit ihrer eigenen Eltern ankämpften, zogen mein Bruder und ich mit einer Rainbow Warrior aus Klopapierrollen, selbst gebastelt in unserem Garten, durch die Weltmeere – immer auf der Jagd nach Walfängern. Das Schiff war ein Kunstwerk meines Vaters. Ausschliesslich aus Karton und Klopapierrollen gebaut, war es zu hundert Prozent ein Recyclingprodukt, und wenn man bedenkt, dass ich heute bei Greenpeace arbeite, auch ideologisch ziemlich nachhaltig. Den Regenbogen haben wir später noch dazugefügt. Auch wenn ein Schiff aus Pappe nicht viel mit den Kinderträumen der 80er – ­Barbie und Knight Rider – zu tun hat: Vermisst haben wir wenig. Den Sommer verbrachten wir damit, über die Wiesen zu laufen und «Greenpeace! Rettet die Wale!» zu rufen. Der magische Klang dieser Wörter steckte sogar die Nachbarskinder an. Das ging so weit, dass noch einen Sommer später jeder Strohballen, der bei der Ernte auf dem Wagen landete, von einem ­Kinderchor mit «Greenpeace! Rettet die Wale!» begleitet wurde. Als wir älter wurden, bekam jeder sein ­eigenes Zimmer, und das Walposter verschwand. Mit unseren Eltern auf Demonstrationen zu gehen, war out, und die geliebte Klopapierrollen­Warrior segelte ins Vergessen. Mein Vater s­ etzte seinen Krieg gegen Umweltverschmutzung mit den Mitteln der Kunst von seinem Ateliertisch aus fort und meine Mutter wandte sich irgendwann der sozialen Ungerechtigkeit zu. Trotzdem blieb mir und meinem Bruder der Name «Greenpeace» immer haften. Stets verbunden mit einem Nachklang stiller Bewunderung und sehnsüchtiger Kindheitserinnerungen. Heute, 40 Jahre nach der Gründung von Greenpeace International, nach einem Vierteljahrhundert ökologischen Familienlebens und drei Monate nach dem Unglück von Fukushima, höre ich, wie mein Grossvater meine Mutter fragt: «Sie arbeitet schon viel für Grün-Peace, deine Tochter, gell?» Der stolze Unterton in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Dann weiss ich, dass Greenpeace wirklich etwas ­bewegt, und bin unendlich stolz. Auf Greenpeace, auf meine Eltern und auf die Rainbow Warrior aus Klopapierrollen!

25


Meilensteine aus 40 Jahren Nach 40 Jahren fühlt sich ­Greenpeace weiterhin jung, fit und ­bereit für lange, hartnäckige und i­ ntensive Kämpfe. Vieles steht noch an, aber die Geschichte der Organisation ist geprägt von ­zahl­reichen Meilensteinen. An einige besondere möchten wir hier erinnern.

40 Jahre Greenpeace

1971

1982

Nach mehrjähriger Kampagne von Greenpeace beschliesst die Internationale Walfangkommission (IWC) einen Walfang­ stopp ab 1986.

1987

Nach langjährigen Protesten von Greenpeace wird die Gift­müll­ verbrennung auf der Nordsee ­eingestellt.

1985

Aktion «Greenpeace»: Protest gegen Atomwaffentests bei der Insel Amchitka, Alaska, und erste Greenpeace-Aktion. 1972 beenden die USA die Atomwaffentests.

1975 Die Crew der Rainbow Warrior evakuiert die Bewohner der ­radioaktiv verseuchten Pazifikinsel Rongelap (Folge von US-Wasserstoffbombentests von 1954).

1992

1985 Frankreich verlegt Atomtests im Südpazifik unter die Erde. Zuvor unternahm Greenpeace Protestfahrten ins Gebiet, oft unter ­gewalttätigen Eingriffen der französischen Marine.

Nach fast zehn Jahren Aktionen gilt ein weltweites Verbot für grossflächige Treibnetzfischerei.

1993

1982

Die EG verbietet 1982 nach langer Kampagnenarbeit die Einfuhr von Jungrobbenfellen.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

In der Nacht vom 10. auf den 11. Juli verüben Agenten des französischen Geheimdienstes einen Bombenanschlag auf die Rainbow Warrior im Hafen von Auckland, Neuseeland. Das Schiff sinkt und der Fotograf Fernando ­Pereira stirbt dabei.

26

Die London Dumping ­Con­vention verbietet nach halsbrecherischen Aktionen von ­Greenpeace die Versenkung von Atommüll im Meer.


1994

Nach vielen Kampagnen verbietet die Basler Konvention Giftmüllexporte aus Industriestaaten nach Osteuropa und in die Dritte Welt.

1995

2001

2006

Dank Greenpeace erhalten die Deni im Amazonasgebiet die Anerkennung ihrer Ansprüche auf 1,5 Millionen Hektar Regenwald.

Eine der längsten Kampagnen von Greenpeace zahlt sich aus: British Columbia stellt im Great Bear ­Rainforest 2,1 Millionen Hektar Wald dauerhaft unter Schutz und ­weitere 700 000 Hektar sind für Bergbau und Forstwirtschaft ­gesperrt. Dieser Regenwald ist einer der wichtigsten geschützten CO2-Speicher der Welt.

2009

Die Ölplattform Brent Spar wird dank Greenpeace-Akti­vistInnen nicht versenkt. 1998 wird ein ­generelles Versenkungsverbot für Ölplatt­formen verabschiedet.

2004 Kumi Naidoo wird Geschäftsleiter von Greenpeace International, ein weiterer Meilenstein: In ­Afrika und Asien breitet sich Greenpeace rasant aus.

1996

Die Nuklearmächte vereinbaren ein Atomteststopp-Abkommen.

Die Erfindung des FCKW-freien Kühlschranks 1992 von Greenpeace wirkt positiv: Unilever und Coca-Cola steigen um auf die Greenfreeze-Technologie.

2005

1997

Alle Länder ratifizieren das Protokoll für den Weltpark Antarktis.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Die Rainbow Warrior transportiert Essen, Medikamente und ­Hilfsleute in die vom Tsunami am stärksten betroffenen Gebiete.

27

F OTOS : 19 8 5–2 0 0 6 © GREENPEACE F ERNANDO PEREIRA / J OHN MILLER / VAN DER VEER / MARK WARFORD / WALTRAUD GEIER / CASPAR FISCHER / PIERRE GLEIZES / DAVID S IM S / TIMOTHY A. BAKER / F LAVIO CANNALONGA / CRI S TIEN BUY SS E / CHRI STIAN ÅS LUND 2 0 0 9 © MARCO OKHUIZEN / GREENPEACE


Hochfliegende Pläne, Absturz der ­Nachhaltigkeit

© PATRIC S ANDRI

Diverses

Von Claudio de Boni

Knapp werdendes Öl, ­steigende Kerosinpreise und drohende Emissions­ abgaben setzen die ­Flug­industrie ­unter Druck. Die einzige mögliche Alternative zu luftverpestenden ­Treibstoffen könnten pflanzliche sein. Das verschärft den Kampf um Ackerland im ­armen Süden der Welt. Trotzdem wollen Lufthansa und ihre Tochter Swiss ­mitmischen.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Es war ein grosser Tag für die PR-Leute der Flugindustrie: Am 20. Juni 2011 überquerte erstmals ein Passagierflugzeug mit pflanzlichem Treibstoff den Atlantik. Der Zeitpunkt war nicht zufällig: Die Boeing 747-8 flog pünktlich zum Beginn der Paris Air Show, des grössten Treffens der Branche, vom Boeing-Gründungsort Seattle nach Frankreich. Auf die vier Triebwerke hatte man grüne, gut sichtbare Logos mit dem ­Aufdruck «Nachhaltiges Biokerosin» gepappt. ­Boeing dokumentierte das Grossereignis auf Film. Darin schwärmt der Sprecher: «Das ist ein sehr grosser Meilenstein für den Umweltschutz.» In den Tagen darauf kündigten sieben Airlines an, künftig den Agrosprit in ihren ­Maschinen einsetzen zu wollen – eine davon ist Lufthansa, Mutterkonzern von Swiss. Lufthansa spricht schon lange über Nachhaltigkeit in der Fliegerei, insbe­sondere im ­Zusammenhang mit Kerosin aus Pflanzen. ­Ursprünglich wollte die deutsche ­Airline schon ab Ende 2010 erste kommerzielle Testflüge starten, musste jedoch den Start des Projekts, das vom deutschen Staat mit 2,5 Mil­lionen Euro subventioniert wird, aus diversen Gründen verschieben. Auch die in der Öffentlichkeit zunehmende Skepsis gegenüber Agrokerosin bringt die Fluglinie in Verlegenheit: Lufthansa bezieht ihren Treibstoff vom finnischen Konzern Neste Oil. Dessen Palmöl-­Zulieferer IOI hat mit ­Landenteignungen in Malaysia, der Bestechung lokaler Behörden, illegalem Holzeinschlag, Brandrodungen und der Vernichtung von OrangUtan-Gebieten ­Negativ-Schlagzeilen gemacht. Neste Oil b ­ ezeichnet sein Biokerosin ohne ­Beweise trotzdem weiterhin als «nachhaltig» und baut sein Agrobenzin-Imperium aggressiv weiter aus: Der Konzern betreibt in Singapur und in Rotterdam mittlerweile die zwei weltgrössten Agrotreibstoff-Raffinerien, wo jährlich eine Million Tonnen Palmöl raffiniert werden können. Damit hievt sich Neste Oil auf dieselbe Stufe wie Unilever und Nestlé, mit dem Unterschied, dass Neste Oil Palmöl für die Verbren-

28


Agrotreibstoff für Airlines

nung und nicht für Nahrungsmittel produziert. Dafür wurde der finnische Konzern Anfang 2011 von Greenpeace und der Erklärung von Bern mit dem ­Public Eye People’s Award für besonders verantwortungsloses Wirtschaften aus­ gezeichnet. Neste Oil erhielt in der Online-­ Abstimmung 17 385 Stimmen, 4000 mehr als der für das Öl-Desaster im Golf von Mexiko ­verantwortliche Energieriese BP. Zuvor hatte Greenpeace Nordic Finnair dazu bewogen, sich aus einem gemeinsam geplanten Pilot­ projekt mit Neste Oil zurückzuziehen; Finnair ­startete aber dennoch Mitte Juli Bio-KerosinFlüge auf der Strecke Helsinki–Amsterdam. Statt Palmöl sollen nun unter ­anderem aus Speiseöl recyclierte Pflanzenfette eingesetzt werden. Während sich Neste Oil vom Public-EyeSchmähpreis wenig beeindruckt gab, versuchte Lufthansa, das Palmöl im Agrosprit durch ­Jatropha-Öl zu ersetzen. Joachim Buse, Projektleiter des Agrokerosin-Projekts «Burn Fair», liess sich im Lufthansa-Nachhaltigkeitsbericht vom April 2011 folgendermassen zitieren: «Für den von Lufthansa verwendeten Biokraftstoff wird kein Regenwald gerodet. Und es entsteht auch keine Konkurrenz zur Futter- und Nahrungsmittelproduktion.» Wie kann das garantiert werden? Lufthansa-Mediensprecherin ­Stefanie Stotz erklärt: «Wir haben 800 Tonnen Biokraftstoff von Neste Oil in Hamburg gelagert, da sind auch gewisse Mengen an Palmöl drin, das liess sich nicht mehr vermeiden. Doch wir werden genügend nachhaltiges Jatropha-Öl und Camelina-Öl einkaufen, um das Palmöl quasi zu kompensieren. Wir haben dabei die Lieferanten persönlich besucht und deren Prozesse in Augenschein genommen.» Kon­ krete Nachhaltigkeitskriterien kann Stotz auf Anfrage nicht nennen, erst zwei Tage später liefert sie auf mehrmaliges Nachfragen doch noch die Lufthansa-Richtlinien nach. Neste Oil garantiere dafür, dass selbst das Palmöl, das die Lufthansa wegen Nachhaltigkeitsbedenken eigentlich nicht einsetzen wolle, nachhaltig sei. Mit dem Start des «Burn Fair»-Projekts Mitte Juli verkehrt nun also zwischen Hamburg und Frankfurt ein Lufthansa-Jet mit Agrosprit im Tank. Sechs Monate lang, 460 Kilometer, bis zu vier Mal am Tag hin und her. Anfang 2012 will man eine erste Bilanz ziehen und das weitere Vorgehen planen. «Wir arbeiten dabei mit dem Roundtable on Sustainable Biofuels zusammen, Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

da sind diverse Umweltorganisationen wie zum Beispiel der WWF involviert», betont Mediensprecherin Stotz abschliessend. Die Richtlinien umfassen 1000 A4-Seiten Alwin Kopse, Exekutivsekretär beim Roundtable on Responsable Biofuels (RSB), ist ein j­ ovialer Mann. Er reagiert auf die Frage, was denn nachhaltiges Agrokerosin sei, mit einem ­be­herzten Lachen und sagt: «Es gibt momentan wahnsinnig viele Bekenntnisse zu Nachhaltigkeit in diesem Bereich, aber praktisch keine ­operative Zertifizierungsmethode, die eine zuverlässige Rückverfolgbarkeit zum Anbauer erlauben würde.» Eines der wenigen bestehenden Systeme sei allerdings, salopp gesagt, nicht viel mehr als eine Selbstkontrolle der Produzenten. «Letztens habe ich von einem Fall gehört, bei dem die Zertifizierung einer Anbaufläche in nur 30 Minuten abgehandelt wurde – Kaffee trinken inklusive», so Kopse. Der RSB habe nun aus­ geklügelte Richtlinien für die Agrosprit-Produktion erarbeitet, die eine unabhängige Rück­ verfolgung bis zum Anbau erlauben würden. Erst dadurch würden Nachhaltigkeitsbekenntnisse wirklich glaubwürdig. Die Richtlinien umfassen 1000 A4-Seiten, entstanden sind sie in drei­ einhalb Jahren zäher Verhandlungen zwischen Konzernen wie Shell, BP und Neste Oil sowie NGOs wie WWF, IUCN und Conservation International. Kopse dazu: «Das waren schwierige Kompromissfindungen. Ich bin aber überzeugt, dass unsere Richtlinien eine fairere Produktion von Agrotreibstoffen verlangen, als dies bis­ herige Regelwerke tun.» RSB-Agrotreibstoff gibt es bis jetzt nirgends zu kaufen. Kopse hofft, im laufenden Jahr erste Zertifizierungen durchführen zu können: «Geprüfte Produzenten können dann ihren Treibstoff mit der RSB-Marke versehen.» Das Label «Nachhaltiger Treibstoff» will man bewusst nicht verleihen, denn Nachhaltigkeit sei keine fixe Endgrösse, sondern ein stetiger Prozess der Verbesserung. Weltbank will Subventionen stoppen Genau da setzt die Kritik diverser NGOs ein. Sie sehen das Problem vor allem in der wachsenden Konkurrenz um Land. Schätzungen ­gehen davon aus, dass Investoren in den letzten fünf Jahren 80 Millionen Hektar Ackerland in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammen­ gekauft haben. Das ist mehr als die Ackerfläche

29


Diverses

der Schweiz und aller Nachbarländer zusammen. Schwenkt die Flugindustrie auch noch auf pflanzliche Treibstoffe um, verschärft dies die Verdrängungseffekte in der Lebensmittelproduktion massiv und fördert somit indirekt die Waldrodung. Tina Goethe, Fachfrau bei Swissaid und Koordinatorin der Plattform Agrotreibstoffe, zeichnet ein düsteres Szenario: «Bisher gibt es keine Möglichkeit, indirekte Auswirkungen der Agro­treibstoff-Produktion zu berücksichtigen. Das gilt zum Beispiel für die steigenden Lebensmittelpreise, aber auch für die Rodung tropischer Wälder und Savannen.» Von Jatropha als neuer Wunderpflanze hält Goethe ebenfalls nicht viel: «Dass die Nuss auf marginalen Böden wächst, ist ein Mythos.» Tatsächlich kommen mehrere Studien zum Schluss, dass grosse Erträge in kargem Gelände nur durch massive Düngung und Bewässerung erzielt werden können. Eine aktuelle Studie der britischen NGO Actionaid stellt fest, dass Jatropha-Agrosprit unter typischen Bedingungen produziert einen zweieinhalbbis sechsmal so hohen CO2-Ausstoss verursacht wie herkömmliches Flugbenzin. Lange waren NGOs einsame Rufer in der Wüste, wenn es um die negativen Auswirkungen der Agrosprit-Produktion ging. Seit Neuem ­verlangen aber auch die Weltbank, der Inter­ nationale Währungsfonds, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten ­Nationen (FAO) und die Welthandelsorgani­sation (WTO) einen Stopp der politischen Förder­ massnahmen und Subventionen für Agro­treib­ stoffe, wie sie beispielsweise die Europäische Union betreibt. In der Schweiz ist derzeit im Parlament eine von 60 000 Personen unterzeich­ nete Petition hängig, die unter anderem stärkere ökologische und soziale Kriterien für die Zu­ lassung von Agrotreibstoffen verlangt. Denn auch in der Schweiz sind Agrotreibstoffe durch

Steuerbefreiungen subventioniert. Allerdings sind dabei die ökologischen Kriterien schon jetzt stärker als in der EU, weshalb auch fast kein Agrotreibstoff importiert wird. Swiss, immer noch in der Schweiz domiziliert, gibt sich denn auch weniger vorlaut als ihr deutscher Mutterkonzern. Gieri Hinnen, Manager Environmental Affairs bei Swiss, drückt sich so aus: «Wir sind bezüglich Biotreibstoffen noch in der Evalua­ tionsphase, sehen darin aber grosses Potenzial. Es ist aber eine Tatsache, dass die Nutzung von Bio­treibstoff alleine kein Allheilmittel ist. In der Industrie werden zusätzliche Veränderungen – wie zum Beispiel Flugzeuge mit tieferem Kerosinverbrauch – notwendig sein.» Das einzige ­langfristige Heilmittel aber, so sieht es momentan aus, ist die Besteuerung und Verteuerung des Flugverkehrs. Denn erst wenn die Flugindustrie nach Jahren der Zunahme einen Rückgang beim totalen CO2-Ausstoss ausweisen kann, wäre das ein grosser Tag, ja vielleicht ein gros­ ser Meilenstein, für den Umweltschutz. Wirklich nachhaltig fliegen wird man vermutlich auch dann noch nicht können.

Erst wenn die Flugindustrie einen Rückgang beim ­totalen CO2-Ausstoss ­nachweisen kann, wäre das ein grosser Tag für den ­Umweltschutz. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

30


Die Trojaner

in einem Newsletter offen angekündigt worden war, hagelt es Online-Kommentare: Mit wenigen Ausnahmen reagierten die Unterstützer wohl­ wollend bis begeistert. «Ich bin sehr ­erfreut, dass das Ziel und nicht irgendwelche ZugehörigVon Matthias Wyssmann keit zählt, denn es erweitert den ­Horizont ­allseits», schreibt zum Beispiel Userin Martha. Vor Ort hat das Magazin Greenpeace den Polymechaniker-Lehrling Fabian Frei und den KV-Stift Emanuel Egloff (beide 19) interviewt. Fabian arbeitet im AKW Beznau, Emanuel am Hauptsitz der Axpo in Baden. Sie machen einen unabhängigen und kritischen Eindruck, und daran dürften auch die Indoktrinationsversuche von Greenpeace nichts ändern: Sie bleiben pro AKW, stehen aber erneuerbaren Energien und einem grünen Lebensstil positiv gegenüber. Fukushima war wohl ein Schock, besonders die Die Sache war geschickt eingefädelt: 100 Aus­ Tatsache, dass ein solcher Unfall im Hochtechnologieland Japan geschehen konnte. Trotzdem: zubildende von Energiekonzern und AKW-­ «Atomkraft bleibt die günstigste und effizienBetreiberin Axpo montieren auf dem Dach der teste Art, Strom zu produzieren», sagt Fabian. neuen Umweltarena in Spreitenbach Solar­ Energiepolitischen Debatten mit Greenpeace panels. Jugendsolar von Greenpeace nimmt den gingen die Auszubildenden ­«bewusst oder unAxpo-Nachwuchs unter die Fittiche, verwirkbewusst» (Fabian) eher aus dem Weg. Immerhin licht mit ihm die grösste dachintegrierte Solarplant Emanuel seine ­Zukunft «mit dem anlage der Schweiz und verpasst den jungen Erwachsenen eine grüne «Gehirnwäsche». Die Atomausstieg» vor Augen. Überhaupt: Die Axpo fordert ihre Abgänger auf, nach der Lehre in künftigen Führungskräfte des Stromriesen einer anderen Firma zu ­arbeiten, um allenfalls ­sollen also gleich zu Beginn ihrer Karriere das später in den Konzern zurückzukehren. Die Potenzial der erneuerbaren Energien erfahren. Damit würde – hübscher Nebeneffekt – auch Hoffnung von Greenpeace, 100 Trojaner im Indas langfristige Überleben der Axpo dank deren nern des gegnerischen Lagers zu platzieren, Hinwendung zur Energy (R)Evolution ist also nicht wirklich aufgegangen. Dafür aber gesichert werden. wird – noch bis Ende ­Oktober – über den Natürlich kann sich Greenpeace eine so energiepolitischen Graben hinweg ein fantastiunheilige Allianz wie jene mit der Axpo so sches Projekt realisiert. PS: Wenn es um die hochproblematischen hübsch zurechtlegen wie eben in dieser nicht ­Geschäfte der Axpo mit Brennstofflieferungen ganz ernst gemeinten Einleitung. Bevor die aus dem berüchtigten Atomkomplex in Majak und ­Jugendlichen aufs Dach stiegen, wurde diese Kooperation intern heftig diskutiert. Würde sich den Atomausstieg geht, rückt Greenpeace kein Jota von ihren konsequenten Konfrontationen ab. die Axpo dank und auf Kosten von Greenpeace ein grünes Mäntelchen zulegen können? Just in diese Zeit fiel die Ausstrahlung des Skandal­ dokfilms «Der Pakt mit dem Panda», in dem der WWF für seine Allianzen an den TV-Pranger gestellt wurde. Hingegen gilt die Unabhängigkeit von Greenpeace für viele als das höchste Gut und als Stärke der Regenbogenkämpfer. Zu Recht. Hatte Greenpeace eine gefährliche ­Grenze überschritten? Nachdem aber das gemeinsame Projekt von Greenpeace und Axpo auf unserer Website und

Jugendsolar

Mit 100 Auszubildenden der Axpo hat Greenpeace ­eine riesige Solaranlage in Spreitenbach gebaut. «Greenwashing» befürch­ teten Projektgegner. Was kam dabei heraus?

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

31


KAtastr テ僕str

Die Karte

Jeder Unfall is


QUELLE: Carto gra phie, «l e Mon de dip lomati que» , Pa ri s, 20 11 . h t t p:/ /w w w.m on d e -d i plom at ique.fr et ht t p://blo g.m o n d ed i plo.n et /-Vi si o n s-cart o g raphi ques

rophale rÖME st einer zu viel.


Das neue ­Eldorado?

Atomausstieg

Interview mit Matthias Fawer, Direktor S ­ arasin Sustainable Investment Zehn Milliarden Franken. So viel wirft der Schweizer Energiemarkt an Gewinnen, ­Zinsen und Steuern ab. Eine Goldmine, ein Eldorado? Steht uns ein Goldrausch im ­Bereich erneuerbare Energien bevor? Nur keine Euphorie, mahnt im Interview ­Matthias Fawer, einer der führenden Investmen-Analysten in diesem Bereich. Kurz­ fristig liegen keine spektakulären Börsengewinne drin. Aber die Branche ist reifer geworden und erfreut sich langfristig bester Aussichten. Kein Wunder, denken KMU, Hand­werker und Bauern immer grüner und nehmen Distanz zu economiesuisse & Co. Die Schweiz muss sich aber ranhalten, wenn sie in jenen Bereichen, wo sie noch gute Chancen hat, in den nächsten Jahrzehnten erfolgreich sein will. Greenpeace: Was hat sich auf dem Markt für nachhaltige Investitionen seit Fukushima verändert? Matthias Fawer: Es gab einen kurzfristigen Hype an der Börse. Die Titel für erneuerbare Energien wurden unmittelbar nach dem 11. März enorm hoch gehandelt, um 5, 10, 20 Prozent mehr. Aber schon gegen Ende April musste man ernüchtert feststellen, dass die meisten unter dem Wert lagen, den sie vor Fukushima hatten. Erstaunlich. Wie das? Meines Erachtens haben sich zwei Stossrichtungen gegenseitig aufgehoben: einerseits die Euphorie, ausgelöst durch Fukushima, ­andererseits die Realität, an der sich wenig geändert hat. Die Erneuerbaren sind noch von Einspeisevergütungen und Förderprogrammen, also von der Politik, abhängig. Sie werden aber zunehmend kostengünstig und wettbewerbs­ fähig. Aus der Sicht der Investoren kommen die Gewinnmargen unter Druck. Die Börse sieht vor allem diesen negativen Aspekt. Zudem bestehen Überkapazitäten in der gesamten WertMagazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

schöpfungskette bei der Photovoltaik, aber auch bei den Windturbinen. Auch das drückt auf den Preis und auf die Marge. Warum gibt es diese Überkapazitäten? Die Erwartungshaltung war riesig. Der Markt boomt. In der Photovoltaik sind letztes Jahr die Installationen um über 150 Prozent gewachsen. Da liegt enormes Wachstumspotenzial. Aber die Industrie ist eben noch stark ­abhängig vom Fördersystem. Deutschland und weitere Länder haben die Einspeisevergütungen drastisch gesenkt. Gleichzeitig haben die Firmen investiert, speziell die Chinesen, die sehr schnell ins Geschehen eingegriffen haben. Kurzfristig lassen sich also gar keine ­grossen Gewinne machen? Das ist so. Eine neue Produktionslinie ­kostet Millionen. Es dauert 12 bis 18 Monate, bis sie installiert ist. Der Trend ist klar ein lang­ fristiger. Momentan sind da einfach noch zu viele Firmen unterwegs. In ertragreichen Zeiten ­haben sich viele Akteure in dieses Geschäft ­bewegt. Heute sprechen wir aus Investorensicht von einer Phase der Konsolidierung. Abgesehen von Veränderungen wegen ­Fukushima – wie sehen die Anlagechancen langfristig aus? Wie für den ganzen Bereich Erneuerbare sehr zuversichtlich. Die globalen Treiber, die für erneuerbare Energien sprechen und bei denen die Länder sowieso etwas machen müssen, ­wirken immer deutlicher: Klimawandel, schwindende fossile Ressourcen, steigender Ölpreis, alternder konventioneller Kraftwerkspark. Letzteres hat sich durch Fukushima klar manifestiert. In der Schweiz ist das Durchschnittsalter von AKWs am höchsten, nicht wahr? Richtig, es liegt bei über 35 Jahren und in den westlichen Ländern bei über 25 Jahren. Nach Tschernobyl ist nichts mehr gebaut worden. Diese Kernkraftwerke sind richtige Goldesel. Sie sind von den Stromversorgern buchhalterisch schon lange abgeschrieben. Ihr Strom ist günstig. Ob das bei einem neuen Kernkraftwerk so sein wird, ist unklar. Im Gegensatz zu den ­Erneuerbaren, die zunehmend günstig werden, beobachten wir bei der Kernenergie eine so genannte negative Lernkurve. Wenn eine Technologie reifer wird, wird sie eigentlich auch ­billiger. Aber bei der Kernenergie – sogar eine französische Studie hat das gezeigt – bewirken

34


Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Wachstum der weltweiten Stromproduktions­ kapazitäten 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 2009 2015 2020 2025 2030 2035

Öl Gas Kohle Nuklear

Hydro Wind Solar Andere Ern.

oder Zellproduktion in der Schweiz betrifft, denke ich, ist der Zug abgefahren. Was müsste die Politik machen, um bessere Voraussetzungen für diese nachhaltige ­Industrie in der Schweiz zu schaffen? Ich sehe hier vor allem Investitionen am Ende der Wertschöpfungskette, d.h., es müssten tatsächlich mehr Solaranlagen auf die Dächer montiert werden. Durch heimische Solarinstalla­ teure und Solarprojektierer. Sie brauchen sta­ bile politische Rahmenbedingungen. Das hat einen direkten Zusammenhang mit der Kostendeckenden Einspeisevergütung, der KEV. Da herrscht ein Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und finanziellen Mitteln aus der KEV. Wenn dieser Deckel gehoben würde, könnte sich ein heimischer Endmarkt für erneuerbare ­Energien etablieren. Es gäbe Arbeitsplätze in einer Branche vor Ort, für Gewerbler, Solar­ installateure und Projektierer, die diese Solaranlagen auf unsere Dächer bauen – mit dem ­zusätzlichen Vorteil, dass wir dann auch lokal Strom produzieren würden.

35

QUELLE: U.S . EIA, In t er n at i o n al En ergy O ut lo o k 2 01 0, Ban k Saras i n

Eldorado

neue Erkenntnisse und höhere Sicherheits­ auflagen, dass sie teurer wird. Gibt es einen Investitionsmarkt für kleinere Unternehmen, Start-ups, KMU, die sich jetzt im Bereich erneuerbare Energien mit neuen Konzepten oder Technologien pro­ filieren und innovative Produkte anbieten? Können die sich auf dem privaten Markt mit Investitionen versorgen? Das ist der sehr spannende Bereich von Private Equity oder nicht kotierten Unter­ nehmen. Wir kriegen wöchentlich Geschäftspläne, Anfragen, bei denen uns interessante Unternehmen ihre Ideen und Geschäftsentwicklungen präsentieren. Gibt es den idealistischen Anleger? Ja. Im Bereich Privatkunden sagen sich ­immer mehr Leute: «Da möchte ich etwas Gutes tun. Ich unterstütze Unternehmen, die tolle, nachhaltige Ideen haben, besonders im Bereich erneuerbare Energien.» Da spielt es keine ­Rolle, ob das Investment in fünf oder erst in zehn Jahren Erfolg hat. Und doch lässt sich damit Geld verdienen. Erneuerbare Energien haben als Thema langfristig Bestand. Wenn das mit dem eigenen zeitlichen Investitionshorizont übereinstimmt, kann man entsprechende Investitionen sicherlich gut vertreten. Lockt hier nicht ein neues Eldorado mit ­extremen Wachstumsprognosen? Ich wehre mich gegen Euphorien oder ­Blasen. Wir haben das bei den Erneuerbaren teilweise 2006/07 erlebt. Da sind diese Titel explodiert. Das gab damals eine Überhitzung, in der an der Börse enorme Renditen erzielt wurden. Und dann kam ein kleiner Crash, bei dem die Bewertungen auf ein normales Mass korrigiert wurden. Die Branche ist mittlerweile reifer geworden, dadurch sind auch die Ge­ winnerwartungen realistischer. Noch mal zur Schweiz: Der Bundesrat hat den Atomausstieg beschlossen. Der Nationalrat hat nachgezogen. Ist die Schweiz für ­Investitionen in Erneuerbare plötzlich ein Thema? Was die Forschung und Entwicklung ­betrifft, sind wir schon lange dabei, mit der ETH ­Lausanne, der EMPA und der Uni Neuchâtel. Ein bekanntes börsenkotiertes Unternehmen ist Meyer Burger, das Schneidemaschinen für ­Siliziumblöcke herstellt. Was die Solarmodul-


Atomausstieg

Wird die Netzparität zwischen Atomstrom und erneuerbaren Energien irgendwann Tatsache sein? Beim Strom aus Windturbinen an Land ist sie schon nahezu erreicht. Der Vergleich mit Strom aus Gaskraftwerken kann durchaus schon positiv sein. Bei der Photovoltaik zählt zuerst die Netzparität aus Endkundensicht. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Produktion von Strom mit meiner Solaranlage gleich günstig ist wie der Bezug von Strom ab Netz. Wir sind da nah dran: Wenn die Preise bei den Solarmodulen in zwei, drei Jahren weiter sinken, lohnt es sich für einen Endkunden, den Strom selber zu produzieren. Greenpeace plädiert für eine dezentrale Energieversorgung. Haben zum Beispiel ­Firmen, die Dachflächen mieten und ­darauf gebündelt Solarstrom produzieren, eine Chance auf dem Investitionsmarkt? Das hängt erneut von den politischen ­Rahmenbedingungen ab. Der Investor will seine Anlage durchrechnen können: Er braucht hierzu noch die Verlässlichkeit einer Einspeisevergütung. Wenn das Umfeld stabil ist, investiert er. Ich denke, wir kommen in den nächsten zwei, drei Jahren um die Einspeisevergütungen nicht herum. Damit können die Kosten der ­Erneuerbaren weiter gesenkt werden, und schon bald sind wir so weit, dass wir einen Selbst­ läufer haben. Wie sehen die Szenarien aus, wenn man auf 20, 30 Jahre hinaus rechnet? Ich denke, da kommen interessante Inves­ titionsmöglichkeiten an den Tag in den Bereichen intelligentes Netz, intelligente Strommessung und Stromübertragung. Keine Blase, kein Goldrausch, eher eine ­Ernüchterung: Kann es sein, dass Fuku­ shima den Investitionsmarkt für erneuerbare Energien aus dem Spekulativen in die Realität geholt hat? Die Realität bedeutet: Die Erneuerbaren sind Wirklichkeit. Sie produzieren für uns einen wachsenden Teil an Energie. Auch die Firmen selbst stellen reale Produkte her. Daneben ­haben wir auch noch die Börsensicht, und die ist von den realistischer gewordenen Gewinnen geprägt. Die Wachstumsraten von Wind- und Solar­ energie über die letzten zehn Jahre waren fantastisch. Wenn alles aber gleichzeitig günstiger wird, ist die Börsensicht nicht dieselbe. Um Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

j­ edes Jahr den gleichen Umsatz zu generieren, muss ein Unternehmen jährlich fast doppelt so viele Module verkaufen. Ist auch die Konkurrenz schärfer geworden? Viele neue Akteure mit neuen Ideen? Das ist so. Der Konkurrenzkampf an der Preisfront ist riesig. Es gibt Firmen, die sich mit Premium-Produkten abzuheben versuchen. Wie das Megaslate-Modul von 3S, ein Solar­ modul, das gleichzeitig Dachhaut ist. An der Schweizer Photovoltaik-Tagung in Fribourg im Frühling sprach jemand vom Dachdeckerverband. Ein toller, innovativer Typ. Er sagte: «Mein Grossvater ist von der Holzschindel zum Ziegel gekommen. Und ich will jetzt, dass nicht mehr Ziegel, sondern Solarmodule direkt vom Dachdecker montiert werden.» Kein Wunder, stecken die Gewerbever­ bände in einem Dilemma. Einerseits stehen sie politisch sehr rechts; andererseits ­spüren sie plötzlich diese neuen Perspektiven. Auch die Bauern mit ihren enormen Dachflächen erhoffen sich zusätzliche Einnahmequellen. Was geschieht an dieser Front in den nächsten Jahren? Die wird aufbrechen. Mit energetischen Gebäudeerneuerungen, aber auch mit dem ­intelligenten Netz werden die kleinen Unternehmen enorm profitieren können. Wer von ihnen kann schon von einem AKW profitieren? Das Interview wurde am 23.6.2011 geführt. Aufgezeichnet von Matthias Wyssmann Matthias Fawer… …1963, ist seit Sommer 2000 Sustainability Analyst bei der Bank Sarasin. Seit seinem Eintritt ist er für den Energiebereich (Energieversorger und erneuerbare Energien) zuständig. Im Bereich erneuerbare Energien ist er neben Unternehmensbewertungen auch für die Markt- und Techno­ logiebeobachtung und -bewertung zuständig, die unter anderem in die jährlich erscheinende Solarstudie der Bank Sarasin einfliessen.

36


The Star is Born Von Matthias Wyssmann

Basel, 2. März (Fukushima steht noch). Das ist also die Zelle des Widerstands: ein freundliches Büro am äusseren Rand der Schweiz, in Basel, zwischen Voltaplatz, Watt-, Gas-, Wasser- und Kraftstrasse. Tatsächlich, hier geht es um Energie. Und diese fehlt Aernschd Born auch mit über 60 Jahren nicht. Er trägt das Feuer des Widerstandes gegen AKWs seit den 70er-Jahren, zuerst als Liedermacher, heute als Geschäftsführer der NWA (Nie wieder AKW), einer Schaltzentrale der Anti-Atomkraft-Bewegung. Die NWA war vor 40 Jahren hervorgegangen aus jener einzigartigen Ökumene von Bürger­ lichen und Linken, von Hippies und SVP-Bauern, von warnenden Professoren und besorgten ­Eltern, die damals den atomaren Träumen in Kaiseraugst den Garaus machten. Ja, damals. In der Nordwestschweiz wurde eine ganze ­ egen ­Generation geprägt vom politischen Kampf g AKWs, der schliesslich darin mündete, dass zwei Kantone ihre antinukleare Haltung in die Verfassung einschrieben und das Baugelände in Kaiseraugst 1975 besetzt wurde. In jenen zehn Wochen wurden Freundschaften geschlossen, manche fürs Leben, und Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

© LÜTHY&LEDERGERBER/IMAGOPRES S .COM

Porträt

Der Liedermacher Aernschd Born war eine Ikone der AntiKaiseraugst-­Gene­ration. ­Diese macht nun wieder ­mobil und kämpft gegen die alten Schweizer AKWs und gegen das französische AKW Fessenheim.

für viele war dies eine euphorische Zeit neuer politischer Einflussnahme. Heute würde das Schweizervolk über neue AKWs an der Urne entscheiden. Aber damals war das unmöglich. Dieses Recht musste erkämpft werden. Also entschlossen sich unterschiedlichste Kräfte zum gewaltlosen, aber illegalen Widerstand. «Aus Notwehr», sagt Born. Anfang der 70er-Jahre war der Lieder­macher systemkritisch unterwegs. Beeinflusst von John Lennon und der Hippie-Bewegung konstruierte er sich sein persönliches Weltbild. «Dann singst du plötzlich im Aprilschnee am Lagerfeuer und realisierst: Diese individuellen Lieder passen nicht. Die Welt hält sich nicht an meine Konstrukte. Es geht nur gemeinsam.» Also fing er an, Volkslieder zu schreiben, die man zu­ sammen singen konnte. Aernschd Born ­avancierte zur Ikone einer Bewegung. Es waren heroische Tage. Da ist etwas Nostalgie durchaus angebracht. Der demokratische Widerstand gegen neue AKWs lässt sich nur gewinnen, wenn jene Generation mitmacht, für die auch Aernschd Born steht: unabhängig, aber sesshaft, verant-

37


Atomausstieg

wortlich, reflektiert und doch mutig, «mitten im Leben», wie Born sagt. Basel, 15. Juni (Fukushima strahlt noch). Drei Monate später treffen wir uns im «Kulturpavillon» neben dem Zoll Otterbach, im Foyer jener Konzertbühne, die Born und seine Partnerin privat betreiben. Sinatra an der Wand, Poetry Slam im Programm. Dem Büro der NWA bleibt er gerade eine Weile fern. Atempause. Das japanische Erdbeben hat bei ihm einen «Tsunami der Arbeit» ausgelöst. Wochenlang hing er am Telefon, gab Mitgliedern und ­Behörden Auskunft, organisierte Mahnwachen, trieb den Kampf gegen das Elsässer AKW Fessenheim weiter: eine Zeitbombe nach Machart von Fukushima und Mühleberg. Die Fragen aus dem Publikum betrafen denn auch – neben den Auswirkungen der Kernschmelze am Pazifik auf die Schweiz – ­besonders die Risiken des Elsässer Atommeilers. «Bis Fukushima», sagt Born, «waren sich viele Basler der Gefahr gar nicht bewusst.» Fessenheim ist so alt wie das älteste AKW des ältesten AKW-Parks Europas (Mühleberg), liegt zehn Meter unter den Wasserspiegel des Rheins, unterhalb von zwei Dämmen, und in einer Erdbebenzone. Aber der Widerstand formiert sich im Dreiland von Nordwestschweiz, Baden-Württemberg und Elsass. Der TRAS (Trinationaler Atomschutzverband), dessen Geschäfte Born leitet, mobilisiert die Gemeinden. Juristische Mittel wurden ergriffen. Die Bevölkerung steht auf. Immer mehr Gemeinden im Elsass wenden sich gegen Fessenheim, darunter auch die Stadt Strassburg. Von Tauwetter im stramm atomfreundlichen Nachbarland zu reden, wäre allerdings blauäugig. «Aber immerhin hat die Sozi­ alistische Partei eingeräumt, dass die Atomkraft vielleicht nicht die einzige Stromquelle sein könnte. Historisch!», lacht Born. Möglicher Ausgang: «Die französische ­Regierung schliesst Fessenheim als Bauernopfer für die Atomwirtschaft», sagt Born. Durchs Fenster sieht man einen Steinwurf entfernt Deutschland, das schon mehr Optimismus vermittelt. Bei der Schweiz aber übt die Aktivisten-Ikone mehr Vor- als Zuversicht: «Ich glaube nicht, dass der Ausstieg ohne Schüsse aus dem Hinterhalt durchgewinkt wird. Wir haben eine Tür aufgemacht. Aber wir müssen auch hindurchgehen.» Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Alle müssten sich enorm anstrengen: Politik, Strasse, Umweltbewegung müssen das Thema immer wieder vorbringen, jeder Einzelne. Born listet ein immenses Instrumentarium auf. Vom Gesuch an den Vermieter für Solarpanels über Spar- und Effizienzsysteme bis hin zur gezielten Aufklärung. Born und Greenpeace planen in diesem Zusammenhang die mobile Infoplattform MobilE, aber seit Fukushima ist nicht mehr das ursprüngliche Atomreferendum das Ziel, sondern die Energiewende, die eingeläutet wird: «Statt abstimmen einstimmen», sagt der Musiker versöhnlich lächelnd, «was schöner ist.» Aernschd Born, Politsänger, professio­ neller Anti-AKW-Aktivist, Konzertlokalbetreiber und augenblicklich am Kräftesammeln, wirkt gesetzt, ruhig und offen. Er versteht sich als alles andere als radikal. Er sei durchaus technologiefreundlich. «Ich bin absolut einverstanden mit dem Bundesrat. Lassen wir unsere AKWs am Netz, solange sie sicher sind», sagt er und legt, ganz Showman, ein Pause ein. «Also schalten wir sie SOFORT ab. Denn sie sind nicht sicher.»

38


Energiewende: wir fordern den Ständerat

Wie weiter?

Von Kaspar Schuler Die Atomkatastrophe von Fukushima markiert einen erschreckenden energiepolitischen Wendepunkt – in die eine oder die andere Richtung. Japan ist mit 30 Prozent Atomkraft ähnlich versorgt wie die Schweiz und denkt laut und intensiv über einen Ausstieg nach. Deutschland steigt bis 2022 aus. Italiens Bevölkerung bestätigt ihren bisher atomfreien Weg zu 94 Prozent. Frankreichs Regierung versteift sich derweil auf den nuklearen Weg und will die globale atomtechnische Führung übernehmen. In der Schweiz haben zwei Gremien weitsichtig reagiert: der Bundesrat dank weiblicher Mehrheit am 25. Mai und der Nationalrat dank solidem atomkritischem Fundament von Grünen und SP, kritischer Haltung der GLP und gründlicher Meinungsänderung von CVP und BDP – sowie dem Schweigen der FDP. Fast alle FDP-VertreterInnen übten am 8. Juni Stimmenthaltung. Da gab es sogar in der SVP mehr einsichtige ParlamentarierInnen. Die Waadtländerin Alice Glauser und der Berner Erich von Siebenthal – eine Bäuerin und ein Bauer – befürworten den Atomausstieg. Seither wartet alles auf die Entscheidung des Ständerats im September. Wird er den Nationalrat und die Regierung unterstützen? Macht er den Weg frei für die Ausarbeitung der nötigen Ausstiegsgesetze? Die Zeichen stehen auf Sturm. Die vorberatende Umweltkommission des Ständerats taktiert und debattiert Absurdes. Sie prüft eine Verfassungsänderung, weil die Atomkraft anscheinend den Stand eines nationalen Glaubensbekenntnisses hat. Ein generelles Zugeständnis der Umweltorganisationen, künftig jedes Wasserkraftwerk durchzuwinken. Oder das Verbandsbeschwerderecht für alle Energieprojekte zu beseitigen. In diese Richtung hat der Nationalrat vorgespurt. Doris Leuthard kämpft auf unserer Seite. Das ist neu, aber die Bundesrätin wirkt überzeugt. Sie hat erkannt, dass der Umstieg auf eine Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

effiziente, erneuerbare Energieversorgung die Wirtschaft stärkt. Eveline Widmer-Schlumpf hat das nachgerechnet und bestätigt. Auf der Gegenseite wollen das noch einige nicht einsehen. Die grossen Stromkonzerne drohen dem Bundesrat gar mit dem Verlangen, in einer atomkraftfreien Schweiz vom angeblich unmöglich werdenden Stromversorgungsauftrag befreit zu werden. Die mächtigen Wirtschaftsverbände halten es für notwendig, zuerst die Katastrophe zu analysieren – und meinen damit, sie zu vergessen. Sie spielen auf Zeit wie nach dem Tschernobyl-GAU. Zusammen werden sie uns über Jahre viel Altes neu verkaufen: die sogenannt inhärent sichere vierte Generation der Nuklearreaktoren und die Kernfusion. Auch die Stromlücke wird wieder beschworen werden, und derweil wirksame Effizienzmassnahmen werden bekämpft. Wie jetzt, da die überarbeitete Energieverordnung zur Debatte steht. Sie ist weiter viel zu zahm. Wir von Greenpeace erlebten turbulente Monate, waren auf allen Fachgebieten Tag und Nacht aktiv, sei es bei der Unterstützung des 20 000-köpfigen Menschenstroms gegen Atom oder bei der Berechnung des frühesten Umstiegszeitpunkts. Unsere Aussage: Sicherheit hat oberste Priorität. Weshalb schnellstmöglich die maroden AKWs Mühleberg und Beznau I und II vom Netz zu nehmen sind. Die 100 Prozent erneuerbare Landesversorgung ist per 2025 ­erreichbar. Aber nur, wenn wir bis dahin kräftig investieren können und jetzt sofort aktiv werden. Dazu braucht es unsere Informations- und Kampagnenkraft sowie eine Energierevolution in der Schweiz, wofür wir unser Team verstärkt haben. Der Bundesrat stösst den Aufbruch ­endlich an, wir bleiben dran. Fest versprochen. Die Wahlen vom 23. Oktober 2011 sind wichtig. Testen Sie das ökologische ­Gewissen der National- und Ständeräte auf www.umweltrating.ch.

39


© CHRISTIAN Å SLUND / GREENPEACE

Foto-Essay Greenpeace-Campaigner Raoul Monsembula: «Die Raubzüge vor Magazin Greenpeace ­AfrikasNr.Küsten 3 — 201 1 müssen gestoppt werden». 40


Lizenz zum Plündern FOTO-ESSAY

Europäische Schleppnetz-Trawler vor Afrika gefährden nebst den Fischbeständen die Existenz unzähliger Menschen. Der schwedische Greenpeace-Fotograf Christian Åslund hat einen Beutezug dokumentiert. Fotos von Christian Åslund Die Situation ist alarmierend. GreenpeaceAktivistInnen entdecken vor der afrikanischen Westküste immer mehr europäische Trawler, ­deren Crews mit Schleppnetzen arbeiten und so die Bestände gefährden. Die meisten kommen aus Spanien und den Niederlanden – mehrere ­Hundert Tonnen Fisch werden täglich auf ihnen verarbeitet. Gegen diese Profitflotten haben die Einheimischen nicht die geringste Chance. Über Jahrhunderte haben sie vom Meer gelebt. Was sie mit ihren kleinen Booten jetzt noch fangen, reicht kaum zum Überleben. Die Einzigen, die von den unfairen Fischereiabkommen mit der EU profitieren, sind die west­afrikanischen Regierungen. Greenpeace kämpft vor Ort dafür, dass diese Politik geändert wird und hat kürzlich ein Büro in Dakar eröffnet.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Christian Åslund lebt in Stockholm und arbeitet seit 1998 als Foto- und Videojournalist für Greenpeace. Er liebt seinen Job, «auch wenn er mich oft an die schlimmsten Orte bringt». Für die Dokumentation der Überfischung vor ­Afrikas Küsten hat Christian zwei Jahre investiert. In dieser Zeit war er in Mauretanien, Senegal, ­Gambia und Kap Verde und sprach mit lokalen ­Fischern über ihre Lebensbedingungen, die ­wegen der zahlreichen europäischen SchleppnetzTrawler zunehmend elend werden.

41


Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

42

© CHRISTIAN Å SLUND / GREENPEACE

Reiche Bildlegende Beute: Mit San Schleppnetzen velessequi esto plündern consenteuropäische volorer ciduis Trawler dipismodidie Fischgründe gna core molenit, — was nicht con erwünscht velestionum ist,adigna wird weggeschmissen. facipit


Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

43

© CHRISTIAN Å SLUND / GREENPEACE

Arme Fischer: Die Fangmethoden der Einheimischen sind nachhaltig, aber mühsam — die Erträge reichen kaum zum Überleben.


Rubrik

VielBildlegende Arbeit, wenig San Ertrag: velessequi Die fremden esto consent Fangschiffe volorer beuten das Meer derart ciduis aus, dipismodigna dass nicht genug core molenit, Fische nachwachsen con velestio-kรถnnen. num adigna facipit


© CHRISTIAN ÅSLUND / GREENPEACE


Beim derzeitigen Tempo der Erd­erwärmung wird der Gletscher

des ­Kilimandscharo bis 2020 verschwunden sein Aids wird bis zum Jahr 2025 über

Überraschende Fakten zu Afrika

27 Millionen Kinder zu Waisen

machen 2009 litten rund 16 Millionen Menschen in Somalia, Äthiopien,

­Kenia und ­Uganda unter extremer Dürre Bei einem klimabedingten Anstieg des Nils um e ­ inen Meter müssten bis zu sechs

Millionen Menschen
um­ge­

siedelt werden Nigeria ist die zweitgrösste Filmnation der Welt — nach

Indien und vor den USA. «Nollywood» p ­ ro­duziert 1200 Filme pro Jahr 354 Nationalparks bewahren Afrikas einzigartige

Wildnis und Tierwelt. Auf keinem

­ nderen Kontinent wird mehr a

Natur geschützt Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

46


23 der 24 am wenigsten

­e   ntwickelten Länder ­liegen in Afrika Die afrikanische Erde ist reich, in ihr ­lagern über

90 Prozent der weltweiten Platin-,

80 Prozent der Chrom- und Mangan-,

60 Prozent der Diamanten-,

50 Prozent der Gold- und

20 Prozent der weltweiten

U   ranvorkommen Mehr als 4 Millionen Hektar Urwald werden jährlich ­gerodet. Die Waldfläche der

S   chweiz beträgt 1,2 Millionen Hektar.   Bis zu 120 000 Afrikaner versuchen jedes Jahr n   ach Europa zu ­gelangen

Migranten überweisen

jährlich 17 Milliarden Euro nach

Afrika zurück, mehr als die Summe aller a   usländischen Direktinvestitionen

er fünf Jahren

44 Prozent aller Kinder unt

sterben in Afrika Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

47


Die Schweiz im Dichtestress Von Susan Boos*

Ecopop

Die Ecopop-Initiative ist ein Angstszenario: Viele Schweizer Probleme sind hausgemacht und nicht der grossen ­Zuwanderung zuzuschreiben. Da ist dieses Gefühl, das immer mehr Menschen hier teilen: Die Schweiz wird mit Strassen und Häusern zugepflastert. Jedes Jahr kommt eine Stadt in der Grösse von St. Gallen hinzu – weil so viele Menschen einwandern. Deshalb hat Ecopop die Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» l­ anciert. Sie verlangt, dass die Bevölkerung pro Jahr nur um 0,2 Prozent wächst. Das wären noch 16 000 Per­ sonen, aber nicht mehr bis 110 000 wie heute. Die Schweiz kann nicht endlos viele Menschen beherbergen. – Das klingt logisch und richtig. Doch nicht alles, was logisch klingt, ist richtig. Schaut man Initiative und Argumentarium genau an, stutzt man. Im Argumentarium titeln die InitiantInnen: «Historisch einmaliges ­Bevölkerungswachstum belastet die Erde.» Seit 1900 habe sich die Weltbevölkerung auf sieben Milliarden vervierfacht. Die ärmsten Länder seien «am stärksten belastet», da deren Frauen fünf bis sechs Kinder hätten. «Viele würden gerne verhüten, haben aber keinen Zugang zu Mitteln dafür. Infolge Armut und Arbeitslosigkeit wollen viele nach Europa oder in die USA ­migrieren, die Schweiz gehört zu den attraktivsten Destinationen.» Eine kühne Kausalkette: Zu viele Kinder im Süden führen zu Armut, ­führen zu Migration und führen in der Schweiz zu «Stau auf den Strassen, überfüllten Zügen, ­steigenden Mieten, überbautem Kulturland, Artensterben». Neben einer strengen Zuwanderungs­ beschränkung verlangt die Ecopop-Initiative, dass künftig zehn Prozent der Schweizer Entwicklungshilfegelder in die «freiwillige Familienplanung» fliessen. Wild werden Dinge vermischt, um weiszumachen: Die Menschen in armen Ländern vermehren sich hemmungslos und bedrohen so unsere Existenz. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

«Falsch», schreibt Gérard-François ­Dumont, Geografieprofessor an der Sorbonne, in «Le Monde diplomatique»: «Die Geburten­ raten nehmen seit Jahrzehnten überall deutlich ab, und zwar im Zuge des demografischen ­Übergangs – der Phase, in der zunächst sehr hohe Geburten- und Sterberaten wieder rückläufig sind.» Dumont betont, dass es die Weltbevölkerung gar nicht gebe. Die russische Bevölkerung etwa schrumpft, weil Geburtenrate und Lebenserwartung gesunken sind, in Mali wächst die Bevölkerung, weil die Menschen immer noch viele Kinder haben und die Lebenserwartung steigt. Die Ecopop-Initiative folgt aber unverfroren der Logik: Würden wir uns bemühen, dass Arme weniger Kinder bekämen, ginge es der Welt besser. Das ist kolonialistisch und falsch. Gestiegene Ansprüche Richtig ist, dass der Norden einem «demografischen Winter» entgegengeht. In Nord­ amerika, den meisten europäischen Ländern und in Russland wie in China gebären die Frauen weniger als zwei Kinder; in der Schweiz sind es 1,5. Für die «Bestandserhaltung der Bevölkerung» – so das Bundesamt für Statistik – brauchte es pro Frau 2,1 Kinder. Die Bevölkerungszahl hängt aber nicht einfach von der Anzahl Kinder ab, die geboren werden. Man könnte auch ­sagen, es gibt zu viele Menschen, weil wir zu alt werden. Vor 100 Jahren waren in der Schweiz über 40 Prozent der Bevölkerung unter 20 Jahre alt, heute sind es 20 Prozent. Ecopop-Leute reden gerne vom «Dichte­ stress». Der aber hat nichts mit zu vielen ­Menschen auf der Welt zu tun, sondern damit, dass immer mehr in den Städten leben. Diese wachsen weltweit, gleichzeitig entvölkern sich ganze Landstriche. 1930 lebten erst 36 Prozent

48


Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

49

© Chri st ophe Ch amma rt in / Rezo

Vor 30 Jahren beanspruchte eine Person in der Schweiz 34 m2 Wohnfläche, im Jahre 2000 waren es bereits 44 m2.


Ecopop

der hiesigen Bevölkerung in Städten, heute sind es 75 Prozent. Abgelegene Gebiete entleeren sich. In Deutschland führte dies dazu, dass das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung der Bundesregierung vor zwei Jahren empfohlen hat, Ostgebiete sich selbst zu überlassen – weil es sich nicht lohne, für immer weniger Leute eine Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Wenn wir über die engen Grenzen der Schweiz mal hinwegsehen, wie es in Umweltfragen unerlässlich ist, dann ist die hiesige «Überbevölkerung» allenfalls eine lokale. Zwei Drittel aller AusländerInnen in der Schweiz stammen aus dem europäischen Raum. Sie kommen, weil Arbeit und gute Löhne winken. Das ­Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten Jahren stärker gestiegen als die Bevölkerung. Auch gestiegen sind unsere Ansprüche. Und die Fläche, die wir bewohnen. Vor 30 Jahren beanspruchte eine Person 34 Quadratmeter, 2000 waren es 44. Wohnungen werden im Schnitt in zehn Jahren pro Person um fünf Quadratmeter grösser. Das lässt manche Wiese verschwinden. Man müsste also diskutieren, wie wir mit Raum umgehen. Darüber, wie wir es mit dem Wachstum halten. Vor allem müsste man über Verteilung reden. Kürzlich zeigte eine Studie das Bundesamts für Umwelt (BAFU): 60 Prozent unserer Umweltbelastung müssen wir nicht selber tragen, weil sie in importierten Gütern steckt: «Dieses Resultat verdeutlicht die ­Abhängigkeit der Schweiz von den natürlichen Ressourcen und Produktionsprozessen im ­Ausland», schreibt das BAFU. Sind wir zu viele oder brauchen wir zu viel? Unsere Sozialwerke basieren darauf, dass ­stetiges Wachstum uns ein sicheres Alter garantiert. Auch die Gewerkschaften setzen auf Wachstum, um die Umverteilungsfrage zu entschärfen. Die Wirtschaft droht einzubrechen, wenn sie nicht wachsen kann. Ein Teufelskreis, der aber nichts mit der angeblichen Bevöl­ kerungsexplosion im Süden zu tun hat.

Die alten Griechen fragten sich schon, wie viele ­Menschen dem Staat ­zuträglich seien.

Debatten der Moderne und Gegenwart bestimmen. Er war eugenisch und xenophob.» Ecopop nennt sich «Umweltorganisation» und ist bemüht, dem rechten Dunstkreis fern­ zubleiben. Im Initiativkomitee sitzen Politiker­ Innen der Grünen, der FDP und der SVP. Sie hören es nicht gerne, wenn man anmerkt, dass Valentin Oehen, der die rechte Nationale Aktion (heute Schweizer Demokraten) gegründet hat, ein Gründervater von Ecopop war. «Überbevölkerung» und «Umweltschutz» ergeben immer ein ungemütliches Gemisch. «Den Warnern vor einer ‹Bevölkerungsexplosion› ist gemein, dass sie von der Ungleichverteilung ablenken», schreibt Marcel Hänggi, Autor von «Ausge­ powert», auf «infosperber». Heute verbrauche ein Fünftel der Menschen vier Fünftel der ­Energie, die der ganzen Menschheit zur Verfügung stehe: «Das ist, als wären an einen Kindergeburtstag zehn Kinder geladen. Das erste Kind ässe den halben Kuchen, das zweite ein weiteres Drittel und so weiter; den beiden letzten Kindern blieben Brosamen. Technikoptimisten werden rufen: Backen wir einen grösseren ­Kuchen; Bevölkerungswarner: Laden wir weniger Kinder ein! Beides ist gleichermassen ­zynisch, zumal es vor allem die Vielfrass-Kinder sind, die rufen.» Die Ecopop-Leute hätten also klüger eine Initiative für Vielfrass-Kinder lanciert, eine, die den Ressourcenverbrauch jedes Menschen in der Schweiz auf 2000 Watt beschränkt – heute Die verdrängte Umverteilungsfrage konsumieren wir das Dreifache davon. 2000 Die alten Griechen fragten sich schon, wie Watt heisst weniger Strassen bauen, weniger viele Menschen dem Staat zuträglich seien. Denn wo viele Menschen sind, gibt es viele ­Arme Lärm, weniger Stress. Und es dürften alle hier und die Gefahr, dass sie aufbegehren, wie der leben, die das toll fänden. Demograf George Minois feststellt: «Der demo- * Redaktorin «WOZ, Die Wochenzeitung» grafische Diskurs im antiken Griechenland enthielt bereits die Schlüsselworte, die auch die Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

50


Ecopop – eine zu e ­ infache F ­ ormel?

Essay

Von Hannes Grassegger Ein Thema, das die Runde macht: Diesen April lancierte der in ­Winterthur ansässige Verein Ecopop eine Volksinitiative, die den ­Zusammenhang zwischen Umwelt (Ecologie) und Bevölkerung ­(Population) ins öffentliche Bewusstsein rücken soll. «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebens­grund­lagen» heisst die Initiative und fordert eine Beschränkung der Nettozuwanderung in die Schweiz auf jährlich 0,2 Prozent der ­Bevöl­kerung sowie eine Verwendung von 10 Prozent der Ent­wick­ lungs­­hilfeausgaben zur Förderung der freiwilligen Familienplanung durch Aufklärung und besser zugängliche Verhütungsmittel in ­Ent­wicklungsländern. Der nach eigenen Angaben 500 bis 600 Mitglieder zählende ­Verein sendet auf allen Kanälen. Ecopop-Vorstandsmitglied Benno Büeler trat in der «Arena» auf und wurde in der Presse an­ schlies­send als der «Grüne Messias» bezeichnet. Im selben Zuge wurde Ecopop mit seiner rechten Vergangenheit konfrontiert. Gleichzeitig schöpfen die Initianten kräftig aus dem Gedanken der wachstums­kritischen Décroissance-Bewegung. Die von allen EcopopVertretern zitierte Formel Umweltbelastung = Produkt aus Bevölkerungszahl X Pro-Kopf-Verbrauch stammt noch aus dem Jargon der Nationalen Aktion, blieb aber bis heute Grundlage der Ecopop-Weltsicht. Heutige Ecopop-Vertreter wie Büeler weisen allerdings die rechte Ver­ortung von sich. Sie sehen sich als Tabubrecher, die das «heisse Eisen» ­Bevölkerungswachstum ausserhalb des politischen Linksrechts-Schemas anpacken. In der Diskussion zu Ecopop aber wurde ein auffälliger Zusammenhang übersehen: die frappierende Ähnlichkeit der Ecopop-Ideen mit denen der Deep Ecology (Tiefenökologie), der philosophischen Grundlage radikaler Aktivisten wie Earth First und Sea Shepherd. Auffällige Parallele zur Tiefenökologie Der Deep-Ecology-Gründervater, der norwegische Philosoph Arne Naess (1912–2009), veröffentlichte den Aufsatz «The Shallow and the Deep» («Das Seichte und das Tiefe») im Jahr 1973. In einer Zeit, in der auch Paul Ehrlichs Buch «Die Bevölkerungsbombe» (1968) vor katastrophalen Folgen des Bevölkerungswachstums warnte. 1972 veröffentlichte der «Club of Rome» die dramatische Studie «Die Grenzen des Wachstums» und brachte die Idee «natürlicher Grenzen» w ­ ieder ins Spiel. Innerhalb eines Jahrhunderts würden absolute Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

51


Ecopop

Wachstumsgrenzen erreicht, was zu einem Kollaps in der Form eines rasanten Bevölkerungsrückgangs oder Massensterbens führen ­würde. Oft zitieren Ecopop-Vertreter die letzteren Bücher. Doch Arne Naess und seine Tiefenökologie scheinen bei Ecopop offiziell kein Thema zu sein. Auf Anfrage des Magazins Greenpeace verneinen die beiden Vorstandsmitglieder Sabine Wirth und Alec ­Gagneux, die Werke von Naess näher zu kennen. Der ­Zusammenhang zu Naess’ Tiefenökologie zeigt sich aber in auffälligen Parallelen. Philosoph Naess grenzt eine «tiefe» von einer «seichten» ­öko­logischen Haltung ab: «Seicht» ist jene ökologische Perspektive, die den Menschen in den Mittelpunkt der Schöpfung stellt. Tief ist, was ihn als Teil eines Ökosystems sieht. Die seichte Ökologie kümmere sich nur um Wohlstand und Gesundheit der Menschen in entwickelten Ländern, statt ein «tiefes» Verständnis zu entwickeln, klagt Naess an. Ganz anders die «tiefe» Ökologie» mit ihrer «Gesamtsicht»: Der Mensch ist Teil eines Biosystems, in welchem der Mensch prinzipiell die gleiche Wertigkeit hat wie jedes andere Element. Er g­eniesst also keine absolute Sonderstellung, ist nicht Herr der Schöpfung. Deep Ecology wendet sich explizit gegen den Anthropozentrismus. Jedes Lebewesen, jede Spezies zählt für Naess moralisch gleich. Auch die Biodiversität hat einen Eigenwert an sich und darf laut Naess nur bei «vitalen Interessen» durch Menschen beschädigt werden. Interessant ist, dass bei Naess auch die kulturelle Diversität ihren Eigenwert hat. Manche kulturelle Grenzen hält Naess für ­unüberbrückbar. Von diesem «Pluralismus» ist es ein kleiner Schritt zur Vorstellung, dass verschiedene «tiefe» Ökosophien, Weisheiten des Haushalts, entstehen können. Jede tiefe Ökosophie ist für Naess eine «Philosophie ökologischer Harmonie oder Gleichgewichte». Gleichgewicht, Diversität – im Kampf gegen die rapide Verschlechterung der ökologischen Situation kann eine Populations­minderung beim Menschen notwendig werden, wie Naess mehrfach fordert, «auch im Interesse der Menschen» selber. «Es gibt politische Potenziale in dieser Bewegung, die nicht ­übersehen werden sollten (...)», erkennt Naess 1973. Deep Ecology ist für ihn als Pluralisten lagerübergreifend von links nach rechts. ­Wichtiger sei lokale Autonomie als Form der Unabhängigkeit; der ­Fokus auf Lebensqualität statt auf «messbarem Lebensstandard». Wachstumskritik ahoi. Naess’ Tiefenökologie wirft zwangsläufig Fragen zur Migration auf. Migration von Armen in reiche Länder aus wirtschaftlichen Gründen lehnt Naess ab: «Jede verantwortungsvolle ökologische P ­ olicy wird versuchen, diese abzuschrecken oder zu minimieren.» ­Naess bevorzugt Entwicklungshilfe vor Ort. Wie Ecopop. Und der Norweger dachte über drastische Massnahmen der ­Geburtenkontrolle nach: In einem Text zu Populationsfragen liefert Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

52


Essay

Naess Ansätze zur höheren Besteuerung von Eltern. Die Idee ist, Nachwuchs zu verhindern zum Zweck einer langfristigen Bevölkerungs­ abnahme. Kinder kosteten die Gemeinschaft «gleich viel oder mehr als alte Menschen», notiert der Philosoph. Er selbst starb mit 97. Der Mythos vom vollen Boot Nicht nur tauchen bei Ecopop Naess’ «zwei grosse Ziele» Reduk­tion des totalen Konsums und Reduktion der Bevölkerung in der zu Beginn des Textes erwähnten Ecopop-Formel auf. Ecopop verbreitet seit ­Jahren den Gedanken, dass Kinder einen Staat mehr kosten würden, als sie ihm brächten. Ein Dunst von Eugenik und unwertem Leben schwebt über der «Philosophie». Naess – der inoffizielle Vordenker – sah sich an einem Punkt dann gezwungen, die Dinge in einem ­Aufsatz klarzustellen «Der antifaschistische Charakter der (...) Tiefenökologie-Bewegung» : Letztere messe jedem menschlichen Wesen den gleichen Wert bei und lasse sich nicht mit faschistischem, nationalistischem oder rassistischem Gedankengut vereinbaren. Doch im selben Aufsatz anerkennt Naess den fundamentalen Bruch mit der Kernidee der Aufklärung: Die Kantsche Maxime, ­bekannt als die «goldene Regel», müsse für die Tiefenökologie erweitert werden. Aufgrund des Eigenwertes aller Wesen müsse sie lauten: «Kein lebendes Wesen sollte rein als Mittel zum Zweck benutzt werden.» Klingt plausibel, bedeutet aber: Die Interessen des Menschen stehen in einem Tauschverhältnis zu denen anderer Lebewesen. Genau dies hält Alec Gagneux, Ecopop-Vorstandsmitglied, für die Gemeinsamkeit innerhalb von Ecopop. Im Interview fordert er, dass die goldene Regel entsprechend erweitert werde. Anlässlich eines Vortrags in Zürich klopfte er sich nach einer langen Erörterung der aus dem Bevölkerungswachstum resultierenden Umweltprobleme ­erregt auf die Brust: «Die Philosophie vom Menschen im Mittelpunkt find ich eine Sauerei! Der Regenwurm denkt auch, er sei wichtiger als ich.» Einer stimmt ihm laut zu: Walter ­Wobmann von den Schweizer ­Demokraten. Ein Ex-Grüner, der zur nationa­listischen Partei wechselte, weil er dort die wahren Kämpfer gegen Globalisierung sah. Durch Zuwanderungsstopp will er die ­Heimat ­gegen eine multikulturelle Zukunft schützen, erzählte er einst. ­Wobmann verteilt Flugblätter, redet von «Überbevölkerung». Sein Fazit: Die Schweiz ist voll. Trotz der nationalen Orientierung von Ecopop erklärt Sprecher Benno Büeler, dass ihm «langfristig die Massnahmen im Ausland wichtiger seien als eine Zuwanderungsbeschränkung». Es geht schliesslich um die ganze Welt als ein Biosystem. Und nicht nur in der Schweiz denkt man so. Der – liberale – amerikanische Globali­sierungs­ analytiker Thomas Friedman schrieb jüngst in der «New York Times» ­einen heftig diskutierten Beitrag unter dem so vielsagenden wie ­abschliessenden Titel: «Die Erde ist voll». Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

53


Die Rainbow Warrior ist im Wasser

Als kurz vor 18 Uhr die vom Meer hereindrückende Flut ihren Höchststand erreichte, zog ein Hafenschlepper das Schiff behutsam, Heck voran, aus dem Dock des Hebewerks, hinaus ins Fahrwasser. Ein zweiter Schlepper übernahm eine Leine am Bug, dann wurde das Schiff mit dem aufgemalten Regenbogen vorsichtig an die Pier vor der Werft bugsiert. Von Thomas Jucker Projektleiter Uwe Lampe, bei Fassmer zuständig für den Bau des Greenpeace-Schiffs, war erleichtert: «Das Schiff schwimmt gut fünf Zentimeter zu hoch, das heisst, dass es rund 23 Tonnen leichter ist als berechnet.» Lampe hatte Grund zur Freude, denn wenige Dinge fürchten Schiffbauer mehr, als dass ein Schiff im Verlauf des Baus schwerer wird, als es gemäss den Ingenieuren sein sollte. Im Bauvertrag garantiert die Werft die Geschwindigkeit, die ein Schiff mit Maschine und unter Segeln erreichen soll. Ist ein Schiff jedoch zu schwer, taucht es zu tief ein und ist darum langsamer. Endlich getauft – mit Champagnerflasche, Reden und allem – wird die Rainbow Warrior am 14. Oktober, an dem Datum, an dem die Werft das Schiff offiziell an Greenpeace übergibt; Feierlich wirkte die Stimmung nicht, als die beängstigend bald, angesichts der Unmenge von Arbeiten, die noch abzuschliessen sind. Rainbow Warrior III am 4. Juli eingewassert wurde: Da war keine Taufpatin, die eine Cham- Obwohl das Schiff nach dem Einwassern bereits pagnerflasche gegen den Rumpf geschleudert sehr imposant wirkte, sah es unter Deck noch hätte, es gab keine Reden, in denen dem Schiff immer aus wie auf einem Bauplatz. Zwar gab es Glück für seine Reisen gewünscht worden bereits fertige Kabinen, in denen die Kojen ­wäre, und es spielte auch keine Kapelle. Nicht ­eingebaut sowie Waschbecken, Kleiderschrank einmal das Wetter spielte mit: Der Himmel war und die Türe der Dusche montiert waren und verhangen, kurz zuvor hatte es noch genieselt, in denen sogar die Matratzen und Polster – wenn und es wehte ein kalter Wind – von Sommer keine auch von Schutzfolien bedeckt – an ihrem Platz lagen. In der Küche stand bereits der Herd, und Spur. Doch den Mitarbeitenden von Greenpeace und der Fassmer Werft war die Freude ins sogar eine Friteuse war daneben festgeschraubt. Gesicht geschrieben, als das Hebewerk das Doch in manchen Räumen liess sich nur mit viel neue Schiff unendlich langsam ins kalte Wasser Fantasie erahnen, wie es in ihnen dereinst absenkte, als erst Kiel, Propeller und Steuer­ ­aussehen wird. So lag beispielsweise die gesamte ruder, dann das ganze so genannte Unterwasser- Ausstattung des Multimedia- und Konferenzschiff in die trübe Weser eintauchten. raums fein säuberlich aufgestapelt in der Mitte Viel Presse war da, TV-Crews filmten aus des riesig wirkenden leeren Raums. Obwohl der allen Blickwinkeln, und es wurden Interviews Zulieferer alle Teile präzise vorfabriziert hatte gegeben. Dazu offerierte die Werft Kaffee und und sogar die Scharniere an den Türchen Kuchen. Der Vorgang des Einwasserns zog sich ­montiert waren, fragte sich mancher Besucher, hin, doch nach langem Warten schwamm die ob der gesamte Ausbau in der kurzen verbleineue Rainbow Warrior, bewegte sich ganz leicht benden Zeit noch zu schaffen sei. in den Böen und zerrte an den Belegtrossen. In den Korridoren und Kabinen waren Endlich: Das fast 60 Meter lange Schiff, das viele Handwerker der verschiedensten BerufsgattunMonate lang wie schlafend in der schummerigen gen am Arbeiten. Schreiner brachten VerkleiSchiffbauhalle gelegen hatte, war aufgewacht. dungen an, Elektriker arbeiteten an der über

Flotte

Der Bau der Rainbow ­Warrior III liegt im Zeitplan. Die Masten stehen, und wer das Schiff an der Pier liegen sieht, könnte glauben, es steche schon morgen in See. Unter Deck ist es aber noch ein grosser, ­komplizierter Bauplatz.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

54


© MARCUS MEYER / GREENPEACE

RW III eingewassert Am 14. Oktober wird die Rainbow Warrior III getauft und offiziell an Greenpeace übergeben. Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

55


© Marcus M ey er / G r een peac e

Flotte

Rien Achterberg, 62: Das Greenpeace-Urgestein war an Bord der ersten Rainbow Warrior, als diese 1985 im Hafen von Auckland versenkt wurde. 45 Kilometer langen Verkabelung, Mechaniker passten Rohre im Maschinenraum ein. Die 2000 PS (1425 kW) starke Hauptmaschine lag noch verhüllt unter einer Plane. Und auch die beiden Generatoren von je 380 kW waren teilweise von Schutzfolien bedeckt. Beim Blick in die dschungelartigen Eingeweide des Maschinenraums fragte man sich unweigerlich, wie lange wohl die künftige Crew brauchen würde, um zu erlernen, wie man diese verschlungenen Ins­­­ tal­lationen wartet und notfalls repariert. Denn die Rainbow Warrior III ist ein kompliziertes Schiff mit vielen einzigartigen Systemen, wie beispielsweise dem gewaltigen Elektromotor, der das Schiff auf zehn Knoten (18,5 km/h) beschleunigen soll und mit dem auch Hafenmanöver gefahren oder bei wenig Wind die Segel unterstützt werden. 1250 Quadratmeter Segel wie von ­Geisterhand bedient Wenige Tage nach dem Einwassern wurden die beiden 55 Meter langen Masten aufs Deck gestellt. Diese sind eine weitere Besonderheit Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

des Schiffs: Statt eines langen Rohrs, das von Drahtseilen seitlich stabilisiert wird, bestehen diese Masten aus je zwei Profilen, die ein rie­ siges «A» bilden, das quer zur Schiffsachse steht. Die Masten werden von nur wenigen Drähten gehalten, was den Vorteil hat, dass das grosse Achterdeck mit geringem Aufwand zu einem freien Landeplatz für Helikopter umfunktioniert werden kann und diesen ein sicheres Starten und Landen ermöglicht. Zudem bieten die ­A-Masten einfache Montagemöglichkeiten für die verwirrende Anzahl von Antennen, Scheinwerfern und Kameras, über die das neue Kampagnenschiff verfügt. Beeindruckend an der Takelage ist vor allem die enorme Segelfläche von 1250 Quadratmetern, welche die Besatzung auf Knopfdruck hydraulisch ausrollen kann. Auch für das Trimmen der fünf Segel – das Einstellen ihrer Winkel zum Wind – muss die Mannschaft nicht mehr an den Winden schuften: Ein Knopfdruck genügt, und das Hydraulik­ system nimmt die Segel dicht oder fiert sie aus. So kann die Rainbow Warrior rein theoretisch von nur zwei Leuten gesegelt werden.

56


RW III eingewassert

Wie sich dies in der Praxis bewährt, werden die Testfahrten im September zeigen. Dann wird die Rainbow Warrior III die Weser hinunter nach Bremerhaven und hinaus auf die Nordsee fahren, um ein langes Programm von Tests zu absolvieren. Dies sind äusserst spannende Momente im Leben eines neuen Schiffs. Dabei werden nicht nur sämtliche Systeme ausprobiert, es gilt auch die maximalen Geschwindigkeiten unter ihren verschiedenen Antriebsarten zu ermitteln. Und schliesslich muss die Rainbow Warrior bei unterschiedlichsten Wetter­ bedingungen segeln. Die auf Rollanlagen aufgewickelten Segel müssen ausgerollt und wieder eingeholt werden; es wird gemessen, wie viel Grad Schräglage das Schiff bei unterschiedlichen Windstärken bekommt, wie schnell es dabei läuft und welchen Winkel zum Wind es «hoch am Wind» schafft. Es wird getestet und gemessen, geprüft und notiert und ausgewertet. Auf einer dieser Fahrten werden auch die Experten der Germanischen Lloyd, der Zerti­ fizierungsgesellschaft, an Bord sein. Das sind in der Branche gefürchtete Herren, die minutiös kontrollieren, ob ein neues Schiff in allen Punkten den internationalen Vorschriften entspricht. Sie messen, wie gross der Wendekreis des Schiffs ist, wie lange es zum Stoppen braucht, ob alle Rettungsgeräte, Fluchtluken und Feuerlöschanlagen funktionstüchtig sind, ob die automatischen Türen sich im Notfall wirklich schliessen, ob die Notbeleuchtung funktioniert und der Notstromdiesel anspringt, falls beide Generatoren gleichzeitig ihren Dienst versagen. Tests, Tests, Tests – Seite um Seite werden sie abgearbeitet, ganze Handbücher. Weit entfernt von den Hippie-Kuttern Mit der Rainbow Warrior III wird in der Geschichte der Greenpeace-Seefahrt ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ein Stilbruch? Was ist aus den Hippies von damals geworden, die einst mit notdürftig umgebauten Fischkuttern in See stachen? – Nun: Sie sind begeistert, die Hippies! Zumindest ist es Rien Achterberg, der an diesem 4. Juli beim Einwassern des neuen Schiffs zuschaute. Der 62-jährige Rien ist ein echtes Greenpeace-Urgestein. Er war an Bord der ersten Rainbow Warrior, als diese am 10. Juli 1985 im Hafen von Auckland vom französischen Geheimdienst mit zwei Sprengladungen versenkt wurde, weil sie vor dem Mururoa-Atoll gegen Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Atomtests protestieren sollte. Rien Achterberg, der auf einer ganzen Reihe von GreenpeaceSchiffen und jahrzehntelang als Schiffskoch zur See gefahren ist, ist stolz auf die neue Rainbow Warrior: «Was für ein tolles Schiff! Schau dir nur diese wunderbare Kombüse an», ereifert er sich. Der liebenswürdige Rien, mit seinen ­silbergrauen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren, hat seine Hippie­Ausstrahlung bewahrt. Die Welt der Umweltschützer hat sich hingegen sehr verändert seit 1973, als Rien auf dem Peace-Schiff «Fri» angeheuert hatte, um gegen Atomtests im Pazifik zu demonstrieren. Darum ist auch das neue ­Greenpeace-Schiff ganz anders als die alte «Fri» vor 38 Jahren. Die Rainbow Warrior III ist defi­nitiv kein Hippie-Kutter, sondern eine hoch­moderne, sehr komplexe Maschine: Sie ist das erste Schiff der Welt, das speziell für Umweltkampagnen konzipiert und gebaut wurde. So wunderbar die Geschichten der frühen Protestfahrten der Hippiecrews sich anhören, sie sind Abenteuer aus einer anderen Zeit. ­Heute ist es undenkbar, dass eine Umweltorganisation eine Protestkampagne mit einem ­umgebauten Fischkutter fahren würde, dessen Uralt-Dieselmotor Luft und Wasser belastet. Brigitte Behrens, Geschäftsführerin von ­Greenpeace Deutschland, sagte beim Einwassern der neuen Rainbow Warrior in einem Interview: «Wir haben uns für einen Neubau entschieden, weil wir so die höchsten ökologischen Standards erreichen konnten. Dies wäre beim Umbau eines alten Schiffs nicht möglich gewesen.» Entstanden ist ein Schiff, das nicht nur diesen höchsten Standards gerecht wird, entstanden ist auch ein wunderbares Segelschiff, das den grössten Teil seiner Reisen unter Segeln zurücklegen wird.

57


Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

58

Im Februar hat Greenpeace einen entscheidenden Meilenstein erreicht: Die Palmölfirma von Sinar Mas, Golden Agri-Resources (GAR), hat sich verpflichtet, keine Regenwälder und Torfgebiete mehr zu zerstören (siehe Artikel letztes Magazin). Die Umsetzung dieses Entscheids überwacht Greenpeace vor Ort. Sinar Mas besitzt aber auch die Papierfirma Asian Pulp and Paper (APP). Diese macht weiter wie bisher: Für Zellstoffplantagen zerstört sie die für den Klimaschutz wichtigen ­Torfgebiete und den Lebensraum bedrohter Arten wie Sumatra-­ Tiger und Orang-Utan. Nächstes Ziel von Greenpeace ist es, APP dazu zu bringen, die Zerstörung von Regen­ wäldern zu stoppen. APP ist der grösste Papierhersteller Indonesiens und weltweit massiv am Expandieren. Momentan will APP den europäischen Markt erobern. Im Juni hat Greenpeace ­aufgedeckt, dass viele Spielzeugverpackungen aus Regenwaldholz her­gestelltes Papier von APP enthalten. Mattel etwa steckt die beliebten ­Barbie-Puppen in solche Schachteln. Greenpeace fordert

Spielzeugindustrie verwendet Papier aus Regenwaldholz

© Dav i d M c N ew / G r een p eac e

Der Wald des Moskauer Vororts Chimki ist gegenwärtig der Prä­ze­denzfall für russische Umweltschützer und Bürgerrechtlerinnen: Obwohl es bis zu elf alternative Trassen gibt und der Wald laut n ­ ationaler Gesetzgebung geschützt ist, wird der erste Abschnitt der geplanten Mautstrasse Moskau—St. Petersburg skrupellos, wider Gesetz und öffentliche Meinung (laut Umfragen sind rund 70 Prozent der Moskauer gegen die Zerstörung des Waldes), mitten durch einen der letzten Naturwälder in der Nähe Moskaus gelegt. Die unermüdlichen WaldschützerInnen, die sich vor Ort engagieren und Dokumente für die illegalen Fällarbeiten einfordern, setzen Gesundheit und Leben aufs Spiel: Prügelattacken, Mordversuche, Brandstiftung auf Wohnungen und Fahrzeuge gehören zum Repertoire der Gegner. Die Polizei ist angehalten, deren Schandtaten zu ignorieren und ihrerseits die Aktivistinnen und AktivistInnen willkürlich und mit Gewalt festzu­nehmen. Bisher wurde kein einziges Straf-

Ein Wald als Streitfall der ­Russischen ­ Umwelt- und Bürgerrechts­ bewegung

Kampagnen-News

© V i ta ly Rag u l i n


Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

59

Am diesjährigen WEF in Davos wurde Grossinvestoren und Schweizer Banken das 15 Milliarden Dollar teure Projekt Peak 5642 vorgestellt: Im Kaukasus sollen fünf neue Skigebiete aus dem Boden ­gestampft werden, was laut den Verantwortlichen Frieden und Wohlstand in die politische Krisenregion bringen soll. «Peak 5642 wird den Kaukasus grundlegend verändern», behauptet Präsident ­Medwedew. Interessierten Investoren wurde bisher jedoch verschwiegen, dass vier der geplanten ­Gebiete in empfindlichen Naturschutzreservaten zu liegen kämen, die laut russischem Gesetz seit Jahrzehnten unter Schutz stehen. Eines ist sogar im UNESCO-Weltnaturerbe-Perimeter geplant. In ­diesem Gebiet steht der grösste noch intakte Gebirgsurwald Europas. Zudem findet man darin eine weltweit einzigartige Natur- und Biodiversität, weil unterschiedliche Klimaregionen und Höhenstufen ­aufeinandertreffen. Investoren mit funktionierendem Risikomanagement müssten unbedingt vom Projekt absehen, solange an den Bauplänen in geschützten Zonen festgehalten wird. Und Greenpeace wird Investoren, die Bedenken in den Wind schlagen, nicht aus den Augen lassen.

Skiresorts statt Naturreservate

von Firmen des Spielzeugsektors, keine Produkte von APP mehr zu kaufen, bis dieses ­Unternehmen eine Verpflichtung eingeht, die mit derjenigen der Palmöl­firma von Sinar Mas vergleichbar ist.

Greenpeace fordert den Bundesrat auf, künftig Bauernbetriebe zu unterstützen, die ihre Kühe praktisch nur noch mit Gras füttern. E ­ ine von Import-Futtermitteln weniger abhängige Milch- und Rindfleischproduktion ist umwelt- und tierfreundlicher. Die Lebensmittel enthalten mehr wertvolle Inhaltsstoffe. Die zunehmende Verfütterung von Soja & Co. an Kühe ist — gerade in der Schweiz — unnötig. Riesige Grün­flächen in Hügel- und Bergge­ bieten, die nicht als Ackerland genutzt werden können, sollen weiterhin als Weideland dienen. Ganz Europa kennt das Problem: steigender Kraftfuttereinsatz, Milch­ überschüsse, Umweltschäden. Und in Südamerika, wo zum Beispiel Soja angebaut wird, werden wertvolle ­Lebensräume von Tieren, Pflanzen und Menschen vernichtet. Greenpeace startet demnächst europaweit eine Kampagne für eine ökologischere Milchproduktion.

Gras statt Soja für die Kühe

verfahren zu den zahlreichen Überfällen auf Chimki-­ UmweltschützerInnen eingeleitet. Empörend an dem Fall ist nicht zuletzt, dass das Strassenbauprojekt, ein «Public Private Partnership», vom französischen Baugiganten Vinci ausgeführt wird, der sich trotz weitgehenden Nachhaltigkeitsverpflichtungen in seiner Öffentlichkeits­ kommunikation in diesem Fall von jeglicher Verantwortung distanziert. Greenpeace unterstützt die Chimki-Waldschützer­ Innen aktiv mit Tat und Rat.


Filmtipp

Preisgekröntes Magazin

Abonnieren Sie das Greenpeace Magazin auf ­­ www.greenpeace-magazin.de/abo/GreenpeaceSchweiz.

© WWW.GREENPEACE -MAGAZIN .DE

In Kürze

Erst kürzlich haben wir unser neues Greenpeace Schweiz Magazin lanciert, und schon machen wir Werbung für die «Konkurrenz». Mit gutem Grund, denn kritische und gut recherchierte Artikel kann es nicht genug geben. Deshalb empfehlen wir das preisgekrönte Greenpeace Magazin aus Hamburg, das alle zwei Monate erscheint. Auf 100 Prozent Recyclingpapier gedruckt, berichtet es unabhängig und engagiert über brisante Themen aus Umwelt, Politik und Wirtschaft. Das Magazin finanziert sich ausschliesslich aus dem Verkauf, ohne Spenden und Werbung – und das als einziges Printmedium Deutschlands. Das Tollste daran: Mitglieder von Greenpeace Schweiz können das Greenpeace Magazin ab sofort zum Vorzugspreis abonnieren. Für 42 statt 50 Franken erhalten Sie 6 Ausgaben plus die aktuelle Ausgabe als Willkommensgeschenk.

© ROADNOTTAKEN.IN F O

Mitglieder-Angebot

Solares Roadmovie

Der Filmtitel zitiert Jimmy Carter, der den Lyriker Robert Frost zitierte: «A Road Not Taken» von Christina Hemauer und Roman Keller steht der Kunst tatsächlich so nah wie dem Dokfilm. Dieser Film schildert die Geschichte jener Sonnenkollektoren, die Präsident Carter 1979 auf dem Westflügel des Weissen Hauses installieren liess – als Symbol einer neuen Energie­politik, die Ronald Reagan sechs Jahre später abwürgte. Der Weg wurde nie begangen. Rund 30 Jahre später greift das Schweizer Duo in die Geschichte ein, indem es zwei der Panels durch die USA ins Museum transportiert. Unterwegs treffen wir die Protagonisten der damaligen solaren Vision, den grossen Jimmy Carter inklusive. Eine Erzählung in bester amerikanischer Journalistenmanier, aber auch ein persönliches, leichtes, musikalisches Roadmovie. Der Film hat seinen Weg durch Festivals, Museen und TV gemacht, bevor er nun als schmuck gestaltete DVD in Englisch mit Untertiteln erschienen ist (Rätselpreis Seite 64).

Christina Hemauer / Roman Keller, «A Road Not Taken», DVD-Buch, Fr 38.—, www.roadnottaken.info oder im Buchhandel

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

60


Anti-Atom-Signet

Strahlen gegen die Strahlung

Die Geschichte des Anti-Atom-­Signets liest sich wie ein Märchen: Ein junges Mädchen kritzelte vor über 35 Jahren gedankenverloren eine lachende Sonne auf einen Papierfetzen und kreierte damit das berühmteste Zeichen der Anti-Atom-Bewegung. An einem verregneten Nachmittag 1975 dachten die 22-jährige Studentin ­Anna Lund und ihr Mitstreiter Sören Lisberg über ein Motiv für ihre lokale «Organisation für Aufklärung über Atomkraft» nach. Sie wollten gegen Dänemarks Eintritt in die Atomenergie protestieren. Positiv und freundlich sollte die kleine Grafik sein. Die Erleuchtung kam wortwörtlich in Form einer lachenden Sonne. «Die ersten Versuche waren unbeholfen», erinnert sich Lund, denn «eine ­grosse Zeichnerin bin ich nie gewesen». Lund war überzeugt, dass ­positive Symbole mehr Kraft haben als Angstmache, und ihre Intuition täuschte sie nicht: Heute ist die ­lachende Sonne das Symbol gegen Atomkraft. «Weil es so ein höfliches und freundliches Zeichen ist», sagt Lund. Die Sonne strahle nicht nur gegen Atom, sondern auch für erneuerbare Energien. Und der dazu­ge­ hörende Slogan «Atomkraft? Nein danke» lasse politisch vieles offen. Anna Lunds Wunsch war es, «dass auch eine 40-jährige Dame sich den Button ans Revers heften würde». Er ist in Erfüllung gegangen. Bei der diesjährigen Demo gegen Atom war die Sonne bei mehr als der Hälfte der 20 000 Teilnehmenden zu sehen. Auf Fahnen, Buttons und Aufklebern – die Mini-Sonne ist immer dabei. Bis heute wurden über 20 Millionen ­Artikel mit dem Logo verkauft. Das strahlende Bekenntnis «Atomkraft?

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Nein danke» ist in 45 Sprachen ­ rhältlich; auch Japanisch, Arabisch, e Hebräisch und sogar Grönländisch sind dabei. Umweltschutzorganisationen können für einen symbolischen Betrag die Nutzrechte erwerben. Vor kommerziellem und politischem Missbrauch ist das Protestzeichen hin­ gegen durch ein EU-Patent geschützt.

Die freundlichen Protestzeichen können unter anderem als Buttons, Kleber, Fahnen oder T-Shirts auf www.greenpeace.ch/sonne bestellt werden. Rekord-Ozonloch

Klimakiller

Die Ozonschicht über der Arktis war laut Weltwetterorganisation WMO noch nie dünner als in diesem Frühjahr. Obwohl die Produktion der ozonschicht- und zugleich klimaschädigenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) längst verboten ist, greifen sie nach wie vor stark den UVSchutz-Mantel in der Stratosphäre an. Denn FCKW sind noch immer in ­alten Kühlgeräten enthalten. Ein grosser Teil der Klimakiller entweicht, weil diese unzureichend recycelt und entsorgt werden.

Energy Academy

Spannendes zur ­Bewältigung der ­Energiekrise

Klimawandel und Atomkata­ strophen zwingen zur Auseinandersetzung mit alternativer ­Energie. Nirgendwo geschieht das so kompetent und unterhaltsam wie an der zweitägigen Energy Academy von Greenpeace. Iris Frei ist seit 35 Jahren in der AntiAKW-Bewegung aktiv. Zuletzt hat sie sich unter anderem im Organisationskomitee von «Menschenstrom g ­ egen Atom» engagiert. Sie gehörte zudem zu den 51 Teilnehmenden der ersten Energy Academy mit Alt-­Nationalrat Ruedi Rechsteiner, die im Frühjahr 2011 stattfand. Iris Frei war begeistert und kann den Kurs nur empfehlen: «Es macht extrem Mut, sich die Möglichkeiten der erneuerbaren

61

Energien von einem derart kompetenten Experten aufzeigen zu lassen.» Der Besuch der Energy ­Academy habe ihr argumentativ schon mehrfach sehr geholfen, etwa beim Unterschriftensammeln. Auch Eckhard Wolff, langjähriger Greenpeace-Aktivist und Kommunikationstrainer, rät zum Kursbesuch: «Der Stoff war enorm informativ und ­vermittelte mir das Rüstzeug, um auch komplexe Diskussionen überstehen zu können.» Wolff will ab Herbst mit der mobilen lnformationsplattform von Greenpeace in verschiedenen Städten Aufklärungsarbeit im Bereich Energie leisten. Der Kurs «Energy Academy – 100 % erneuerbar» findet erneut statt. An zwei Tagen wird Ruedi Rechsteiner wiederum Zusammenhänge und Lösungen für die schweizerische Energiepolitik aufzeigen. Schwerpunkte sind die Deckung des Strombedarfs ohne Schädigung von Mensch und Umwelt, saubere Energie im Verkehr, beim Wohnen und in der Arbeitswelt sowie private und politische Handlungsmöglichkeiten. Die Energy Academy richtet sich an alle am Thema Interessierten. Besondere Vorkenntnisse sind nicht notwendig.

Kursdaten: Samstag, 19. November, und ­Samstag, 26. November, 9 bis 17 Uhr, Zürich. Weitere Termine sind für 2012 ­geplant. Kosten: Fr. 300.— ­inklusive Verpflegung. Anmeldung und weitere Informationen unter greenpeace.ch/energy­academy


In Kürze

© CO F F ICE .BIZ

Energieprojekt

Kühner Entwurf: Autobahnbrücke als Windkraftwerk Unter einer weit über ein Tal gespannten Autobahnbrücke und kräftigen Winden ausgesetzt drehen sich 26 Turbinen, deren Energie für rund 15 000 Haus­ halte reichen. Was das italienische Architekturbüro Coffice ausgeheckt hat, ist bisher noch eine utopische Fotomontage, könnte aber durchaus realisiert werden. «Projekt Solar Wind» heisst die Studie, die bereits mit einem Innovationspreis bedacht wurde. Die Aufgabe war es, für ein stillgelegtes, 20 Kilometer langes Strassenstück zwischen den Städten Bagnara und Scilla im italienischen Kalabrien eine energie­ef­ fiziente neue Nutzung zu finden. Die Turbinen würden jährlich 36 000 Megawattstunden erzeugen und die Sonnenkollektoren in der Fahrbahn weitere rund 14 000 Megawattstunden. Am Strassenrand würden zudem solarstrombetriebene Treibhäuser stehen, in denen Automobilisten Frischgemüse kaufen könnten. Die Installation der Turbinen wäre nicht nur sehr progressiv – sie würde auch wie Kunst am Bau wirken. So, als hätte ein Science-Fiction-Künstler Hand angelegt.

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

62


Ja Oui Sì Nein Non No

Regel werden. Will man den Energieverbrauch drosseln und auf erneuerbare Energien setzen, braucht man Mehrheiten im Parlament. Dafür müssen Konformismus und Interessenverflechtungen, die viele Abgeordnete am selbstständigen Denken und Handeln hindern, überwunden werden. Philippe de Rougemont

www.umweltrating.ch

Am 8. Juni 2011 stimmte der National­­ rat über einen Ausstieg aus der Atomenergie ab. Auf dem Bildschirm, auf dem die namentliche ­Abstimmung angezeigt wird, leuchteten in einem Meer von roten Lämpchen der SVPAbgeordneten zwei grüne Lichter auf. Zwei Landwirte, Alice Glauser (VD) und Erich von Siebenthal (BE), stimmten entgegen der Parteivorgabe für den Ausstieg. Sie wurden von ihrem Fraktionschef Caspar Baader heftig kritisiert und könnten ausserdem ­abgestraft werden sowie ihren Sitz in einer eidgenössischen Kommission verlieren. Warum also hat Alice ­Glauser sich nicht enthalten wie die Abgeordneten der FDP? «Ich bin nicht gewählt worden, um mich zu enthalten», antwortet sie in «24 Heures» und erinnert zur Begründung ihres Votums an die Evakuierung der Bevölkerung im Umkreis von 30 Kilometern rund um die japanischen Atomkraftwerke und an das Hinterherhinken der Schweiz in der Solarenergie. Am 8. Juni bewiesen diese Abgeordneten politischen Mut, doch sie haben kein Monopol darauf. ­Bereits vor Fukushima unterstützten die Grünen, die SP und einige von der CVP die Befürworter des Atomausstiegs. Dies in einer Zeit, als der Horror von Tschernobyl (1986) in Vergessenheit geraten war und die Atomlobby mit millionenschwerer ­Werbung und Slogans wie «nukleare Renaissance» und «Atomstrom ­ohne CO2-Ausstoss» eine Generation ins Wanken brachte. Soll heute der Ausstieg aus der Atomenergie tatsächlich erreicht werden, so muss die B­ekundung von politischem Mut zur

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

Erhellendes zum Klimawandel

Buchtipp

© ORELL F ÜS S LI

Polit-Courage muss zur Regel ­werden

Kluges Szenario

Neben hitzigen Debatten um den Atomausstieg und dessen Realisierung geht in der Öffentlichkeit fast ver­ gessen, dass wir uns auch von fossilen Energien wie Öl oder Kohle verabschieden müssen. Die weit verbreitete Meinung, der Ausstieg aus allen diesen Energien sei unmöglich, widerlegt Swissolar-Präsident und SP-Nationalrat Roger Nordmann in seinem Buch «Atom- und erdölfrei in die Zukunft: Konkrete Projekte für die energie­ politische Wende». Auf 232 Seiten schildert Nordmann in verständ­ licher Sprache und illustriert mit zahlreichen erhellenden Grafiken, wie der Umstieg in ein friedliches, unabhängiges Energiezeitalter aussehen könnte. Zentrale Punkte in seinem Szenario sind intelligente Mobilität, energieproduzierende Häuser und gezielte, massiv erhöhte Investitionen in neue Technologien wie die Solarenergie.

Spezialangebot für GreenpeaceMitglieder: Fr. 27.— statt Fr. 34.90 pro Exemplar (exkl. Porto). Bestellungen bitte mit Angabe der Mitgliedsnummer an redaktion@greenpeace.ch senden.

63

Buchtipp

© L a r s Mü l l er P u b l is her s

Kernkraft-Ausstieg

Der Klimawandel ist ein genauso drängendes wie komplexes Thema, das in seiner ­Gesamtheit für Laien schwierig zu erfassen ist. Abhilfe schafft das 480 Seiten starke Buch «Mensch Klima! Wer bestimmt die Zukunft?», erschienen bei Lars Müller Publishers. ETH-Umweltwissenschaftler René Schwarzenbach und die Publizisten Christian Rentsch und Klaus Lanz haben ein reich bebildertes, lustvolles und gut verständ­ liches Nachschlagewerk erarbeitet, das zum Blättern einlädt. Es befasst sich mit der Klimageschichte, ordnet den heutigen Stand des Wissens und des Unwissens, skizziert die Ohnmacht der Klimapolitik und erklärt schliesslich den Temperaturanstieg auf der Erde und den Einfluss des Menschen darauf. Dabei bestechen die Beiträge durchwegs mit einer ­klaren, markanten Sprache.

Spezialangebot für GreenpeaceMitglieder: Fr. 50.— statt Fr. 65.— pro Exemplar (exkl. Porto). ­Bestellungen bitte mit Angabe der Mitgliedsnummer an redaktion@greenpeace.ch ­senden.

Helionauten

Seit dem dreifachen Super-GAU in Fukushima hat sich viel bewegt. Das Start-up-Projekt Helionauten hilft mit, Ideen in Aktionen umzusetzen. Vision: Die Energie Genossenschaft Schweiz plant, baut und betreibt nach dem Prinzip der Solidarität und individueller Initiativen kleine, dezentrale Solarkraftwerke, verteilt auf viele einzelne Hausdächer. Willkommen sind alle, die ihren Teil zur Energiewende beitragen wollen.

www.energiegenossenschaft.ch


(unsere Filmkritik dazu auf Seite 60) Senden Sie das Lösungswort bis 14. Oktober 2011 per E-Mail an redaktion@greenpeace.ch oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Öko-Rätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels resp. das Empfangsdatum des E-Mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über die Verlosung wird keine ­Korrespondenz geführt.

Rätsel

© ROADNOTTAKEN.IN F O

Gewinnen Sie eine von 6 DVDs «A Road Not Taken».

Magazin Greenpeace Nr. 3 — 201 1

64


Š Chri st ophe Ch amm a rt in / Rezo


AZB 8031 Zürich

26.11.2011 Kauf-Nix-Tag

Der «Buy-Nothing-Day» findet in über 45 Ländern statt und soll zum ­Nach­denken über das eigene ­Konsumverhalten anregen. www.greenpeace.ch/kaufnix


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.