3.2.8 Synthese der Serie «Alles für #Grillitarier« von Migros Zu Beginn des Sommers wetteifern die Männer benachbarter Familien in ihren Gärten darum, wer am besten und kreativsten grillieren kann (Admeira Nr. 1095174). Die Spots dieser Serie von Migros enden mit dem Neologismus «Grillitarier» - ein Mischung aus Grillieren und Vegetarier. Die Grillitarier werden als gewöhnliche Menschen dargestellt, die Fleisch, Fisch oder Gemüse auf dieselbe Art zubereiten. Die Marke ignoriert den philosophischen Ansatz der Vegetarier:innen, indem sie alle Ernährungsweisen auf die gleiche symbolische Ebene, jene des Grills, stellt. Der Vegetarismus wird durch das Grillieren dem Fleischverzehr gleichgesetzt: ein klarer Widerspruch zu den vegetarischen Werten. Ein Vater kocht für seine Tochter, aber seine Sensibilität für den vegetarischen Ansatz ist gleich Null, da er nicht mehr zwischen Fleisch- und vegetarischem Gulasch unterscheiden kann (Admeira Nr. 1174426). Das könnte bedeuten, dass die Zubereitungsart und die Produkte von solcher Qualität sind, dass man die beiden Gerichte letztlich nicht unterscheiden kann. Auf der illokutionären Ebene wird aber die vegetarische Ernährungsweise verspottet, etwa so, als wäre sie eine vorübergehende Laune eines Teenagers, für den es kein Problem ist, aus Versehen Fleisch zu essen. Andere Spots (beispielsweise. Admeira Nr. 1090017) zeigen Gemüse, mit oder ohne Saucen, als Teil des klassischen Fleischgrills und betonen die Vielfalt. Es scheint also, dass mit dem Wort «Grillitarier» die Unterscheidung zwischen Fleischesser:innen und Vegetarier:innen aufgehoben werden soll, mit der ausdrücklichen Pointe, dass sie in der Migros alle glücklich werden. Daraus entsteht die Idee, dass im Sommer alle grillieren und es zur Normalität wird. Die Fleischwerbung der Migros konzentriert sich fast ausschliesslich auf das Grillieren von Fleisch; genau wie bei anderen Marken. Ein besonderes Augenmerk auf Saucen – und kombinierte Werbung mit Ketchup – ist aber eine Besonderheit und auch deshalb bemerkenswert, weil dabei das «ungesunde» Aussehen eines gegrillten Steaks, das in einem Teller voller Ketchup schwimmt, nicht kaschiert wird. Einige Spots (Admeira Nrn. 1002954, 1002973) widersprechen ausdrücklich dem Stereotyp des Mannes, der das Grillieren kontrolliert. Ein Mann sagt, «Am Grill gibt es nur einen Chef» (Admeira Nr. 1002954), woraufhin seine Partnerin das Wenden des Fleisches übernimmt und dabei bemerkt, «Grillieren ist Teamwork.» Ein Sprecher sagt daraufhin: «Jeder hat seine Grill-Regeln.» Das ist keine Revolution, sondern Ausdruck eines Relativismus. Die weibliche Option («Teamwork») ist dabei nicht mit der männlichen Option («ein Chef») gleichzusetzen, was trotz der Bemühungen, vom Stereotyp wegzukommen, eine Asymmetrie unterstützt. Die Serie etabliert eine Erzählung mit mehreren Handlungssträngen, was den Vorteil hat, dass sie kein Ende braucht und flexibel ist. Die Erzählung basiert auf dem Stereotyp der weiblichen Vegetarierin und des männlichen Fleischessers. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden die Geschlechterstereotypen aufgemischt werden, aber die Werbung ist vieldeutig: Die Klischees werden bestätigt und gleichzeitig angeprangert (Gemüse wird als «langweilig» bezeichnet), verstärkt (natürliches Fleisch und Genuss), umgangen (eine ältere Frau wird vom jüngeren Metzger betört) oder sogar beiseite geschoben (eine Frau kocht am Lagerfeuer). Es ist, als ob sich die Grenzen verschieben, aber die Stereotypen bleiben.
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VON MANIPULATIVER WERBUNG AUF UNSERE TELLER