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Hebamme Carole Lüscher

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Rätsel

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Südafrika in der guten Stube

Bei einem Wochenbettbesuch findet sich unsere Hebamme plötzlich auf einer Safari wieder. Mittendrin der 4-jährige Max und sein Held, der Grossvätu.

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Heute öffnet mir Max die Tür. «Hallo Max», sage ich. Max trägt einen grossen Rucksack und dazu – verkehrtherum – die Wanderschuhe seines Vaters. Ich versuche, mich nach bestandener kritischer Inspektion und Kopfnicken des Vierjährigen mit meiner Wochenbetttasche an ihm vorbei in den Flur zu drängeln. «Gehst du auf Reisen?», frage ich. «Ja. Südafrika», antwortet Max mit ernster Miene. «Oh. Da hast du eine lange Reise vor dir!» Max nickt stumm, und obwohl er mich anschaut, scheint er innerlich bereits in Südafrika zu sein. «Hast du einen Löwen gesehen?», fragt er mich. «Wo? Da draussen?» «Ja.» «Nein. Ich glaube, die schlafen um diese Tageszeit. Und ausserdem ist es zu heiss zum Jagen», sage ich. Tatsächlich hat die Temperaturanzeige in meinem Auto 33 Grad angezeigt. Wieder arbeitet es hinter seinen dunklen Augen. «Hoho! Von Osten nähert sich ein Rudel Hyänen, Herr Maximilian!» Im Flur steht nun ein grosser Mann mit weissem Bart und Safarihut, dazu ein Holzgewehr über der Schulter. Als er mich bemerkt, lächelt er verlegen. «Oh, Hallo!

CAROLE LÜSCHER (47) ist Hebamme Msc, Geschäftsführerin der Hebammenpraxis 9punkt9 in Bern, freie Dozentin und engagiert sich berufspolitisch. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. 9punkt9.ch Ich habe Sie gar nicht kommen hören.» «Das ist die Hamme, Grossvätu», erklärt Max. Aus dem Wohnzimmer höre ich den Laut eines Neugeborenen. «Oh, ich höre ein Junges!», sage ich. Max’ Augen öffnen sich weit. Nun hat er wieder den Südafrika-Blick. «Wehrt ihr mal die Hyänen ab, und ich schaue bei der Mama vorbei», sage ich und finde Andrea mit der kleinen Ella an der Brust auf dem Sofa. Sie sind umringt von zahlreichen Affen und Löwen, einer Giraffe, einem Nilpferd sowie einer Familie Erdmännchen. Andrea wirkt entspannt und glücklich. «Willkommen in Südafrika», lacht sie. «Ben holt gerade ein Picknick, das wir nachher hier auf dem Boden essen.» Ich setze mich auf den einzigen freien Platz zwischen den Tieren. Wir besprechen das Stillen, ich mache meine Kontrollen bei Mutter und Kind, und als Ella in der Hängewaage liegt, ruft Andrea Max und Grossvätu hinzu. Das interessiert nicht nur Max brennend, sondern auch den Grossvater, der nun seinerseits grosse Augen macht. Als wir Ellas Gewicht in das Gesundheitsheft eintragen, holt Max ein Notizbuch aus dem Rucksack. Er schlägt es auf und ich sehe viele Zeichnungen, dazwischen erfundene Zahlen und Buchstaben sowie eingeklebte Bilder von afrikanischen Tieren. Nacheinander wird jedes Stofftier von Max in die Hängewaage gelegt, ich rapportiere die Zahl auf der Anzeige. Dann hält Max das Gewicht säuberlich fest, so wie er es bei mir beobachtet hat. Als Max aufsteht und noch weitere Tiere in seinem Zimmer holt, sagt Andrea: «Max, Carole muss gehen. Du kannst nicht alle Tiere wägen.» Als Max das Gesicht zu einem Protest verziehen will, springt Grossvätu ein. «Ich habe noch eine Fischwaage, Max. Und die Hängematte machen wir selbst!». Da strahlt Max seinen Helden an. Grossvätu weiss für alles eine Lösung. «Löwenfutter!», tönt es aus dem Flur. Ben kommt mit vollen Taschen herein. Max stürmt seinem Vater entgegen. Ich mache Platz für das Familien-Wochenbett-Picknick und verabschiede mich. Draussen erwartet mich die afrikanische Hitze – so fühlt es sich jedenfalls heute an. •

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