Hubert Gems und 16 weitere Positionen

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Hubert Gems und 16 weitere Positionen

Wolfgang Beck Albert B端hn Patrick Fauck Norbert Feger Klaus Fresenius Jochen Frisch Frank-J. Grossmann Michael Heinlein Reinhold Henkel Thomas Huther Armin Liebscher Otmar Sattel Anja Frieda Schneider Richard Schimanski Holger Schramm G端nther Wilhelm

und 16 weitere Positionen KULTUR STIFTUNG SPEYER



Hubert Gems und 16 weitere Positionen


Der Künstler Hubert Gems Gems ist Graphiker, er ist Bildhauer, und er ist Maler – in dieser Reihenfolge. In allen drei Disziplinen ist er ausgebildet. Hatte er sich zu Beginn seines Studiums als Maler eingeschrieben, hatte er dann lange und intensiv gemalt, so wurde ihm schließlich auf gleichsam empirische Weise klar, dass seine eigentliche Domäne die Linie ist, nicht die Farbe. Als Äußerungsmöglichkeiten blieben also nur Graphik und Plastik. Die Frage nach so genannten Gattungen führt in aller Regel zu technischen Beschreibungen, mit dem Ergebnis, dass es sich um zwei verschiedene Aktualisierungen des Bildnerischen handle. »Gattungen«, wie sie auch die Musik kennt, unterscheiden sich jedoch nur sekundär in Material und Faktur und damit technisch, primär sind sie durch ihren jeweiligen funktionalen Sinn bestimmt, d. h. sie erhalten ihr Aussehen zunächst und vor allem durch den Entstehungsanlass ihrer Einzelwerke und durch ihre Adressaten. Ganz analog trennt Gems Graphik und Plastik als »Gattungen«, die erst im zweiten Zugriff technisch differenzierbar werden. Darüber hinaus ergänzen sie sich ihm als Komplemente. Die Graphik ist stark persönlich getönt, sie ist Tagebuch, reflektierter oder gegrübelter Alltag, ist Monolog. Im Gegensatz dazu ist Plastik »Kunst am Bau«, sie entsteht durch von außen gesetzte Anlässe und für ganz spezifische, soziale Zusammenhänge. Die plastischen Elemente, die Gems von Zeit zu Zeit in Eigeninitiative fertigt, sind durchweg Etüden ohne »Veröffentlichungs«absichten. So muss wiederholt werden: Plastik ohne Sozialbindung, als Manifest eines freien schöpferischen Individuums, ist für Gems undenkbar. Das graphische Oeuvre von Gems umfasst Druckgraphik und Handzeichnung von großer Virtuosität und Sensibilität und entsteht fast ausnahmslos in Sequenzen. Am weitesten gefächert 2

scheint die Zeichnung; sie verwendet Feder, Bleistift und Kugelschreiber. Oft bedient sich Gems technisierter Bildelemente. Es sind dies retortenhafte Industrieprodukte, wirklich-unwirkliche Bauteile, geometrische Figuren, Fetzen technischer Formeln, imaginäre Maschinen aus dem nicht mehr überschaubaren Potential solcher Geräte … Daneben treten fast noch häufiger »menschliche« Sujets auf: Körper, Körperteile, einzelne Glieder und Teile von Gliedern. Mitunter werden derart verwirrende Ausschnitte verarbeitet, dass das Detail nur mit Mühe identifizierbar bleibt und der menschliche »Kontext« assoziativ erschlossen werden muss. So drängt sich die Frage auf, ob die »Wirklichkeit« nur noch in Fragmenten oder als bloßes technisches Moment »da« ist, letzteres aber nicht mehr als in sich sinnvoll erfasst werden kann. Dieser Graphik liegt die beklemmende Erfahrung zugrunde, dass »Wirklichkeit« heute weder ungeschmälert noch widerspruchsfrei präsent ist. (Das Wort »Wirklichkeit« hat also Chiffrencharakter.) Da nun der Graphiker von ungezählten» Wirklichkeiten« umstellt ist, da er deren chaotische Vielfalt, ihr Funktionieren, ihren Funktionssinn und ihren Eigensinn nicht mehr durchschaut, da er sich von ihnen bedroht fühlt, wird durch »graphisches Weiterdenken« ein bildnerisch-artifizieller Sinn hergestellt. Dieses »Konstruieren« von Sinn schafft zugleich Distanz, es ist ein Akt der Befreiung. Eine solche Tätigkeit mutet sehr ichbezogen an, und doch hat sie latent einen Adressaten: Wenn der Graphiker nicht als Ausnahme-Mensch in unzugänglicher Distanz zur Mitwelt lebt, wenn er vielmehr das Gleiche erfährt und bedenkt wie jeder andere, dann liefert er mit seiner Arbeit auch für diesen andern einen Spiegel, befreit er auch ihn, indem er Sinnlosigkeit ästhetisch auffängt – dann nämlich, wenn der Betrachter das graphische Weiterdenken rezipierend wiederholt. J. H.


Biographie

1932 1947 – 1950 1959 – 1954 1955 – 1958 1959 – 1960 1961 – 1970 1971 – 1995 1974 – 1995

in Schifferstadt geboren Handwerkslehre als Maler Praktikantenzeit in der Schweiz – Stammgast im Kunsthaus Zürich künstlerische Ausbildung an der Freien Akademie Mannheim, bei Prof. Berger-Bergner und Prof. Trummer Studienaufenthalte in Frankreich und Spanien freischaffend in Worms Lehrtätigkeit an der Werkkunstschule Mannheim Lehrtätigkeit an der Städt. Fachhochschule Mannheim

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Menschenmaß – Erkundungen und Diagnosen Einem Lebensthema zu folgen, kann zum Verhängnis werden und Offenheit, Neugier und Freiheit gefährden. Dies sind keineswegs Geschenke ohne Gegenwert, sondern immer neu zu erstreitende Kostbarkeiten. Hubert Gems aber folgt einem Lebensthema und verfängt sich trotzdem nicht in steriler Selbsteinschränkung. Das hat Gründe. Sein Thema ist nämlich ein Ewigkeitsthema, uner­ schöpflich und unauslotbar, während er selbst seine Wachsamkeit hütet. So gewinnt er dem Thema immer neue Facetten in einer sich ständig bereichernden Bildsprache ab. Das Lebensthema, dem Hubert Gems folgt, ist der Mensch. Als Individuum und als Mensch unter Menschen betrachtet er den andern mit nicht nachlassender Sympathie, indem er zugleich in die Abgründe des eigenen Ich schaut und dabei die lebenslangen Mutationen und Gefährdungen des Selbst erforscht. Dafür stehen Bilder mit Titeln wie »Menschenmaß«, »Verhüllter Körper«, »Kopfstruktur« oder »Akt«, das beschwören [neue] Bilder, die sich bewusst in die Tradition des Torso fügen. Das Thema »Torso« verweist auf die Antike, zu der die Arbeiten von Hubert Gems schon assoziativ Bezüge aufweisen, denn sie sind streng, kopflos und plastisch. Weil die griechischen Bildwerke vielfach nur fragmentarisch überliefert sind, die Antike in der Geschichte aber fast immer Vorbild­charakter hatte, wurde das Fragmentarische, Zerstörte, Unvollkommene ihrer Kunstwerke schließlich zu einer produktiven Idee. In den Kohle-Bleistift-Zeichnungen von Hubert Gems zeigt sich auf eindringliche Weise, wie das produktiv umgedachte Torso-Phänomen zum Sinnbild men­schlicher Existenz werden kann: in der permanenten Unfertigkeit, in der Verletzbarkeit, in der zum Tod hin geöffneten Perspektive … 6

Der künstlerische Weg, den Hubert Gems geht, ist ein durch und durch humaner Weg, ein Weg, der frei bleibt von modischer Kurzatmigkeit. Vor mehr als 2300 Jahren hat Aristoteles über die griechische Tragödie nachgedacht und die Essenz ihrer Wirkung als »Sympathie« bestimmt: als Mitleiden des Zuschauers, der durch Identifikation mit den im Drama handelnden Personen und ihren individuellen Schicksalen das Gesetz menschlicher Existenz erfährt und dadurch gerei­nigt, geläutert, befreit wird – der eigentlich erst dadurch Mensch wird. Diese Dialektik von Gesetz und individuellem Schicksal, von Zeitlosigkeit und realer Gegenwart bewahrt den auf sie verpflichteten Künstler vor jeglichem Klassizismus, selbst da, wo er »klassi­ sche« Themen aufgreift. Seine Arbeiten sind getränkt von den Erfahrungen mit konkreten Schicksalen, mit Menschen, denen er als Zeitgenosse und Mitmensch leibhaftig begegnet. So formulieren die von Hubert Gems gewählten Bildtitel auch bildgewordene Diagnosen. J. H.


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Das plastische Werk Die Plastiken von Gems sind Elementplastiken, deren Einzelteile ihre Herkunft aus der technisierten und industriell produzierenden Gegenwart nachdrücklich betonen (und die damit ebenfalls, ja schon rein äußerlich zu Medien einer Auseinandersetzung mit der »Wirklichkeit« werden). Mit­­tels derartiger Elemente hat Gems Plastiken erarbeitet, die nur in ihrem architektonisch-sozialen Kontext voll verstehbar sind. Sie aus die­sem Kontext zu lösen, hieße sie zu Fragmenten verstümmeln. Das gilt in doppelter Hinsicht: Die Plastik muss einerseits architektonisch stimmig sein, sie hat sich mit der Architektur zu einem integralen Ganzen zu fügen. Andrerseits muss sie sich mit den Funktionen dieser Architektur arrangieren, d. h. mit denjenigen ihrer Eigenarten, die auf bestimmte und beschreibbare Menschen in konkretisierbaren Situationen verweisen (etwa auf Schüler aus benennbaren Einzugsgebieten in einem benennbaren Schulzentrum). So zielt Gems Römerberg

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durch die »Kunst am Bau« letztlich auf den Menschen, der von einer Architektur beherbergt wird. Dies ist der eigentliche Grund, warum plastische Arbeiten für ihn keine Kunstobjekte im strengen Sinn sind. Solche Objekte würden sich rücksichtslos in den Vordergrund drängen, sie würden Ausschließlichkeit erzwingen und damit in die Rolle despotischer Subjekte schlüpfen. Die Elementplastiken von Gems verstehen sich hingegen als Partner: Sie deuten ästhetisch-»spielend« die Situation des menschlichen Adressaten und lassen sich ästhetisch-»spielend« mit ihm ein. So verschaffen sie der architektonischen Vorgabe ein unerwartetes Mehr: eine ästhetisch»spielende« Überhöhung; sie weisen über den verzweckten Kontext hinaus in eine zweckfreie und damit befreiende Sphäre. J. H. Brunnen Schifferstadt


oben: »Kubisch«, Edelstahl, 1976

links: »Angewinkelt«, Edelstahl, 1973 rechts: »Reihung«, Edelstahl, 1973

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Der Lehrende (Zitate) »Ich habe immer versucht, einem jungen Gestalter das Wesentliche zu vermitteln, aber das Unwesentliche zu vermeiden!«

»Wer ein künstlerisches Studium wählt, läuft in einen dunklen Wald und kann nur hoffen, dass irgendwann eine Lichtung kommt!«

»Die unselige Spaltung zwischen Kunst und Design wollten die Bauhaus-Meister schon überwinden. Aber die Lagerverteidiger sitzen immer noch in ihren Glashäusern und streiten um die wahre Kunst!«

»Ich war für jene Studenten, die wesentlich mehr als ihre Semesterscheine erstrebten, immer gerne Ansprechpartner und Wegbegleiter!«

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»Jeder, der sich der Kunst verschrieben hat, hat schon eine Grenze überschritten – die bürgerliche!«

»Ich habe, glaube ich, nie einen Studenten oder eine Studentin mit meiner Kritik verletzt – sie ging nie gegen die Person und ihre Würde.«

»Kunst ist einfach – aber es ist schwer, einfach zu sein.« (nach Marino Marini)

»Ein Künstler will immer wieder hinter die Wand sehen. Aber es kommt nie wirklich dazu!«

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Die Druckwerkstatt C7

Hubert Gems und Prof. Bergner-Berger

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G. Wilhelm

S. Wickenh채user, A. Liebscher, F.-J. Grosssmann

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Grenzerkundungen Hubert Gems und 16 weitere Positionen Kunstverein Speyer Auszüge aus der Rede zur Ausstellungseröffnung am 2. Juli 2010 von Prof. Dr. Jürgen Hunkemöller Über die Idee zu dieser Ausstellung und über ihre Verwirklichung ist rasch berichtet. Deren Motivation aber bedarf der Erläuterung, denn sie nötigt zur Bewunderung. Aus Anlass des 75. Geburtstags von Hubert Gems wurde zu seinen Ehren eine ebenso umfassende wie eindrucksvolle Retrospektive ausgerichtet. Das brachte die in Speyer lebenden Gems-Schüler und Künstlerkollegen Jochen Frisch und Prof. Frank-Joachim ­Grossmann auf den Gedanken, ehemalige Mannheimer Kommilitonen für eine Ausstellung als Hommage für den Lehrer zu gewinnen. Die Leitidee war schnell gefunden, sie lautete: Hubert Gems als Wegbegleiter und Kollege. Das unter Künstlern Unglaubliche, sich einem Organisationsprozess zu unterwerfen, der nicht um das eigene Ich kreist, gelang. Nicht nur dies, der Vorsitzende des Kunstvereins Speyer, Franz Dudenhöffer, identifizierte sich umstandslos mit dem Vorhaben und bot für die Ausstellung das Ambiente in der Flachsgasse an. Nahtlos, ja geradezu symbiotisch ließ sich das Unternehmen sogar in das Großprojekt des Kultursommers Rheinland-Pfalz einfügen, das in diesem Jahr unter dem Motto steht: über Grenzen. Mit dem Motto konkretisierte sich das Vorhaben in der bildnerischen Aufgabenstellung: Grenzerkundungen. Dazu leisteten alle Beteiligten ihren Beitrag. Zu Ihnen gesellte sich der frühere Gems-Kollege Hagen Kayser, der gemeinsam mit Frank-Joachim 14

Grossmann die Plakatgestaltung übernahm. Den Initiatoren der Ausstellung und allen andern Beteiligten sei an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Zur Wegbegleitung des Lehrers Hubert Gems sei vorerst nur bemerkt, dass dieser einem Dreiklang folgte: 1. Studierende sind Partner, also weder Unmündige noch Domestiken. 2. Im Studienalltag müssen klare künstlerische Maßstäbe und strenge handwerkliche Regeln herrschen. 3. Verletzende Umgangsformen sind unter gar keinen Umständen tolerierbar. Das Geheimnis der Wegbegleitung durch Hubert Gems reicht jedoch in tiefere Schichten. Wir werden vielleicht überrascht sein, dass »Grenzerkundung« dafür das Schlüsselwort sein könnte. Zum Motto des diesjährigen Kultursommers »Über Grenzen« notierte sich Hubert Gems: »Jeder, der sich der Kunst verschrieben hat, hat schon eine Grenze überschritten – die bürgerliche!« Behutsam sei bei ihm nachgefragt: Wo verläuft die Grenze von der »bürgerlichen« Welt zu derjenigen, in der die Kunst lebt? Seitdem Politiker in feinem Tuch, doch ohne Krawatte, in die Fernsehstudios eilen – »und das nicht nur zur Sommerzeit« –, ist auf Textilien als Indikator von Bürgerlichkeit kein Verlass mehr. Darum sei anders gefragt: Haben alle, die heute zur Eröffnung unserer Ausstellung in den Kunstverein gekommen sind, die »bürgerliche« Welt verlassen? Die feinsinnige Doppeldeutigkeit des Wortes »über« im Motto des Kultursommers – also das Nachdenken »über« Grenzen und das »Über«schreiten von Grenzen – zeigt uns, dass das Phänomen der Grenzerkundung sorgfältiger ausgelotet sein will. Unser Leben ist pausenlos und auf elementare Weise Daseinssorge: Sorge um Nahrung, Gesundheit, Kleidung, Wohnraum, Arbeitsplatz,


Zukunftssicherung … Diese Sorge lässt uns nicht zur Besinnung kommen, sie macht uns buchstäblich besinnungslos. Doch geraten wir auch in Situationen, in denen uns plötzlich bewusst wird, dass da noch etwas anderes auf unser Leben einwirkt. Der Philosoph Karl Jaspers spricht hier von »Grenzsituationen«, in die die Menschen irgendwann, aber unentrinnbar geraten. Beispielhaft nennt er Tod, Leiden, Kampf und Schuld. In Grenzsituationen erfahren wir, dass das »andere« zum Leben dazugehört, ja dass unser Lebensalltag ohne dieses grenzüberschreitende »andere« unverständlich bleibt. Künstler aber sind Grenzgänger. Neugierig pendeln sie beständig zwischen zwei Welten. Sie machen uns die Doppelbödigkeit unserer Alltagsexistenz bewusst, und sie bereichern uns mit ihren Grenzerkundungen, d. h. sie beschenken uns mit Kunst. Die Mitbringsel »von drüben« sind das Unentdeckte im »Hier«. So sind Kunst und Künstler unentbehrlich. Nicht verschwiegen sei freilich, dass die Grenzgängerei keineswegs ungefährlich ist; das Erkunden kann nämlich süchtig machen. Franz Schubert lässt den Wanderer – einen Grenzgänger! – in seinem gleichnamigen Lied singen: »Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück!« Die Ausstellung Grenzerkundungen spiegelt die konzeptionelle Vielfalt der heutigen Kunstszenerie und die Physiognomie kreativer Persönlichkeiten. 16 Künstler gruppieren sich als emanzipierte Kollegen um ihren ehemaligen Lehrer und langjährigen Wegbegleiter. An dieser Stelle darf ich Jochen Frisch zu Wort kommen lassen: »Die Idee einer gemeinsamen Ausstellung hat zum Ziel, die vielfältigen künstlerischen Standpunkte zu zeigen, die alle ihren Ausgangspunkt im Werk und in der Person von Hubert Gems haben. Die Künstler zeigen Ausschnitte aus ihrer aktuellen Arbeit, wobei jeder Bezug zum Thema

›Grenzerkundung‹ nimmt. Die Ausstellung umfasst Handzeichnung, druckgraphische und photographische Techniken und Malerei. Bezugspunkt sind die Zeichnungen von Hubert Gems, der das Thema der ›Grenzerkundung‹ durch seine eigenen Arbeiten vorgibt. Diese führen den Betrachter an eine imaginäre Grenze. Seine Zeichnungen sind Ausdruck einer Fusion von tatsächlich Wahrgenommenem mit den von innen kommenden, unfassbaren Archetypen der Seele.« Das künstlerische Werk von Hubert Gems ist nicht auf Expressivität und Emotionalität aus, es fragt bohrend nach der in der flüchtigen Erscheinung verborgenen Struktur. Dieses strukturelle Insistieren zielt hinter die schillernde Buntheit des Vielfältigen und Wechselhaften und durch sie hindurch. Das Thema aller Themen aber, das Leitthema, das Hubert Gems mit dieser Sonde verfolgt, ist das Ewigkeitsthema Mensch. Der Mensch begegnet uns jedoch nie auf der Sonnenseite des Lebens, immer ist er der Verlierer. Wir begegnen ihm in seinen Gefährdungen, Niederlagen und Erniedrigungen. Keineswegs zufällig sind die Darstellungen stets fragmentarisch, mit Titeln wie Torso, Menschenmaß, Körper oder Kopfstrukturen. Die Kopfstrukturen, von denen in dieser Ausstellung eine Auswahl gezeigt wird, könnten die Quintessenz der künstlerischen Arbeit von Hubert Gems sein.

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Aufbau der Ausstellung

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Erรถffnung der Ausstellung

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F端hrung durch die Ausstellung

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Blick in den Ausstellungsraum

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Nordwest, 2009, Acryl auf Leinwand, 100 x 140 cm

Wolfgang Beck 1957 in Heidelberg geboren 1982 – 1987 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Weingarten/ Pfalz und Donsieders

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Wir waren wieder einmal in der Druckwerkstatt bei Hubert mit Radierungen und Siebdrucken beschäftigt. Ich hatte mir wie die andern ein figuratives Thema vorgenommen und mit einiger Mühe und Energie meinen Entwurf in eine Serie von Druckgrafiken umgesetzt. Nachdem die gerade entstandenen Blätter auf den Arbeitstischen ausgebreitet lagen, kam Hubert hinzu und schaute sie sich in Ruhe an. Daneben lagen noch ein paar Blätter, die zufällig beim Putzen der Maschinen entstanden und eigentlich für den Papierkorb bestimmt waren. Hubert warf einen prüfenden Blick darauf, nahm ein Blatt davon in die Hand und fragte: »Wer hat das gemacht?« Ich sagte erstaunt,

ich hätte es beim Saubermachen der Druckgeräte abgenommen. »Das ist das Beste«, sagte er schmunzelnd. Das Blatt war um so vieles freier als die »gewollten« Drucke – und mir war schon damals klar, was er meinte. Hubert war unbestechlich und immer sehr klar in seinem Urteil, aber dabei nie verletzend. Er war es auch, der zu mir sagte, nachdem ich mich für die freie Künstlerlaufbahn entschieden hatte: »Gib dir fünf Jahre Zeit, mach es richtig und geh in die Künstlersozialkasse«.


Position am Grün, Radierung, aquarelliert

Albert Bühn 1951 in Mannheim geboren 1974 – 1978 Werkkunstschule Mannheim 1982 – 1986 Assistent an der Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim

»Ohne zu streng festgelegte Komposition findet Albert Bühn seine Bildlösungen. Scheinbar naiv gelingen ihm in den handkolorierten Radierungen heitere und unbekümmerte Motive, wo Landschaftliches und Vegetabiles anschaulich zum schlüssigen Gesamtgefüge werden. Mitunter beleben und steigern Tierdarstellungen die mosaikartigen Szenerien. Mit großer Sorgfalt werden die radierten Konturen mit kostbar anmutenden Farben versehen. In seinen farbenfrohen Bildern schildert er seinen Traum von Arkadien.« Th. D.

Die Druckwerkstatt in C7 war lange Jahre unsere gemeinsame Arbeitsstätte. Oft standen wir bis in die Nacht an der Offsetandruckpresse und halfen den Studenten ihre A1-Hochschulplakate zu drucken. Wir waren ein gutes Team. Im Laufe der Jahre habe ich Hubert als einen feinfühligen Kritiker meiner malerischen Arbeit schätzen ge­lernt. Er hat mir damals auch die Radiertechnik beigebracht. Dieses künstlerische Druckverfahren begeistert mich bis heute.

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Eine wahre Kunstgeschichte: Es war einmal … Es war einmal ein Mann aus Osthofen, der verzweifelte, da es ihm partout nicht gelang, eine Radierung so zu drucken, dass er damit zufrieden sein konnte. Er hörte sich um, wer ihm wohl einen Rat geben könne. Bald erfuhr er über Umwege von einem Mann aus dem benachbarten Worms, der seinerzeit (und immer noch) eine Koryphäe auf dem Gebiet des druckgrafischen Könnens war: Hubert Gems. Die Fragen, die ihm nun der Unzufriedene stellte, waren allesamt druckgrafischer Natur und alle Fragen wurden sonderbarerweise nur am Telefon gestellt. So sahen sie sich nie, nur ihre Stimmen wurden ihnen von Mal zu Mal vertrauter. Siebenmal stellte der Mann aus Osthofen Fragen, siebenmal antwortete der Mann aus Worms, so gut er es vermochte. So wurden die Drucke immer besser und der Unglückliche immer zufriedener. Der Mann aus Osthofen wollte sich nun bei dem Mann aus Worms für seine große Hilfe bedanken und überlegte, wie er dies wohl tun könne. Nichts lag näher, als ihm ein Ergebnis seiner mühevollen und nun gelungenen Arbeit zu schenken. So erhielt der Mann aus Worms als Dank eine Grafik zum Geschenk. Auch diesmal sahen sie sich nicht, da der Wahlosthofener das Geschenk nicht selbst überreichte, sondern durch einen Dritten aushändigen ließ. So blieben die beiden Herren bis zum Schluss und bis heute zwei Fremde. Nach vielen Jahren erinnerte sich Hubert an diese Begebenheit und wollte sich das Geschenk des Fremden erneut vor Augen führen. Er suchte und suchte und stellte so sein ganzes Haus auf den Kopf; doch das Geschenk fand er nie mehr. Der Mann aus Osthofen nannte sich damals noch Herr Kern; heute kennt ihn alle Welt als einen namhaften Künstler, dessen Bilder in allen größeren Museen der Welt hängen. 24

Falscher Hase, 2009 Lichtdruck, Format 98 x 64,5 cm

Patrick Fauck 1970 im Saarland geboren 1992 – 1996 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Seit 2008 – Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig


Serie »Grenzgänger«, 2003, Nelson Mandela, 100 x 200 cm

Norbert Feger Im Schwarzwald geboren 1982 – 1986 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Gengenbach im Schwarzwald

Jede Kultur hat ihre Maler. Jede Generation malt ihr Gesicht. Jede Zeit formt ihre Gesichter. Sie gelten schon immer als eine Art Manifestation der Geistesverfassung der jeweiligen Zeit. So werden Bildnisse zu Zeitgesichtern, zu Botschaftern unseres heutigen Denkens. Die Arbeit über Nelson Mandela mit dem Titel »Grenzgänger« stammt aus der großen Bildnisserie »Global Player«. Unter all diesen Bildnissen bekannter und unbekannter Persönlichkeiten aus verschiedenen Ländern herrscht eine stille Vereinbarung: Ihr gemeinsamer Nenner ist es, dem Menschlichen

Geltung zu verschaffen. Immer wieder diesem Menschlichen auf der Spur zu bleiben, immer wieder den Geist des Menschlichen aufzuspüren, ist der Ausgangspunkt meiner künstlerischen Forschungen. Empfindsam wie ein Seismograf, vorsichtig tastend, mit der Liebe eines Archäologen und einem festen Glauben an das Menschliche – dies sind die Mittel von Hubert Gems, die er den Studenten offenherzig anbot – Mittel, die mir bis heute von großem Nutzen sind. Danke, Hubert!

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Hubert Gems' Zeichnungen bilden nichts ab. Der Strich, die Linien aber sind nicht selbstbezogen oder stumm, sie sprechen zu uns. Sprechen über das, was sich erst durch sie herausbildet, Gestalt gewinnt und entwickelt. Die Zeichnungen laden ein zum Dialog. Dieses Zwiegespräch fällt unterschiedlich aus, was den Inhalt, die jeweiligen Gedankengänge als auch die daraus hervortretende Inspiration angeht. Auch die Intensität wird von Betrachter zu Betrachter unterschiedlich sein. Für einige mögen die Werke von Hubert Gems vielleicht auch stumm bleiben, mit der Folge, dass auch er (der Betrachter) verstummt. Auch hier kann eine Art von Auseinandersetzung entstehen. Jetzt liegt der Ball nicht mehr in den Händen des Künstlers, sondern des Betrachters. Sie oder er muss sich fragen: »Was sehe ich? Was hält mir Hubert Gems in seinen Blättern entgegen?« Da ist zunächst einmal der menschliche Körper zu sehen, als Torso, als Halb- oder Ganzfigur, auch Köpfe und Schädel sind wiederholt ein Thema. Gems' Zeichenstil ist exzellent und außergewöhnlich zugleich. Hier zeichnet einer »à rebours«, gegen den Strich. (Buchtitel von J.-K. Huysmans, franz. Romancier). Gems macht sich jedoch die Striche und Linien nicht untertan, er stellt nicht sein künstlerisches Ego über die Arbeit, er ist ihr Diener, sie führen und leiten seine Hand, weil alles bereits in ihm angelegt ist. In der Person des Menschen und Künstlers Hubert Gems verbinden sich tiefer Ernst und Glaubhaftigkeit, Integrität und Humanität sowie die Suche nach Wahrheit zu einer positiven, lebensbejahenden Allianz. Deshalb steht die Linie für sich, sie ist autonom. Es gibt nur wenige Zeichner, von denen sich das sagen lässt.

Brief aus China, 2009, 130 x 66 cm (Detailansicht), Chinatusche / Reispapier Foto: Thomas Jacobi

Klaus Fresenius 1952 in Speyer geboren 1974 Gasthörer an der Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Speyer

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Ikarus II, 2010, Graphit-Kohlezeichnung und Schellack auf Leinwand, 160 x 180 cm Foto: Gerhard Kayser

Jochen Frisch 1958 in Speyer geboren 1978 – 1979 Gaststudent an der Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Speyer

Einen Trichter, eine Tasse ohne Henkel, eine in der Mitte zerbeulte, längliche Dose für Maschinenöl, diverse Dosen und Flaschen für Abdecklack und Terpentin stellte mir Hubert Gems in immer wieder neuen Kombinationen zu einem Still­ leben zusammen. Diese Ensembles zeichnete ich an den Nachmittagen, die ich von Ende 1978 bis Herbst 1979 in der Grafikwerkstatt der Fachhochschule Mannheim als Gaststudent verbrachte. Ein Ereignis ist mir noch deutlich in Erinnerung: Hubert zeigte mir, wie man Platten für die Radierung vorbereitet. Als es ans Ätzen ging, musste Hubert kurzzeitig die Werkstatt verlassen. Der Zauberlehrling war allein. In eine Ätzschale

goss ich Säure aus einem großen Kanister und legte meine Platte hinein. Sofort fing das Ganze an furchtbar zu brodeln und zu dampfen. In diesem Moment, gerade noch rechtzeitig, kam Hubert zurück, öffnete schnell ein Fenster und goss die Salpetersäure wieder in den Kanister zurück. Es war der Kanister mit der unverdünnten Säure! »Jochen, du muscht uffbasse!«, war Huberts einziger Kommentar. Obendrein hatte ich vergessen die Rückseite der Zinkplatte mit Abdecklack zu isolieren.

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Was »zeichnet« Hubert Gems aus? Dazu möchte ich die Atmosphäre beschreiben, die ich vorfand, als ich 1978 nach Mannheim kam. Es eröffnete sich mir eine neue Welt, in die mich Hubert begleitete. Er half mir Vertrauen zu gewinnen und ermöglichte mir dadurch den Zugang zur Kunst. Für das Fach »Drucktechniken« musste man ein paar Minuten vom Haupthaus im Quadrat E3 zur Werkstatt in C7 laufen. Ich spürte sofort eine intensive Arbeitsatmosphäre: An den Wänden hingen Abschlussarbeiten; der Geruch von Farben und Terpentinersatz war überall. Mit Respekt betrachtete ich mir die Arbeiten. Im Erdgeschoss unterrichtete Hubert Gems Drucktechniken und im oberen Stock war die »Setzerwelt« von Hagen Kayser. Man betrat diese Welt durch eine Stahltür, dann ging es drei Stufen hinunter in einen Hinterhof. Gegenüber befand sich die Eingangstür zur Werkstatt, die meist offen stand. Während in E3 die Welt des Designs war, existierte in C7 der Ort der Kunst und Freiheit. Der Künstler Hubert Gems war in diesem Umfeld der ruhige und besonnene Dozent, der uns Studierenden großes Vertrauen entgegenbrachte. Er war immer ansprechbar und wir nahmen gerne seinen Rat an. Wir lernten durch ihn lineare Zeichnungen zu schätzen und schärften unsere Sichtweise auf den künstlerischen Ausdruck und die Reduktion hin. Zwischen Hubert und mir entwickelte sich ein persönliches Vertrauensverhältnis. Er vermittelte mich als Praktikant an Paul In den Eicken und Bernd Benedix in Speyer und half mir, meine Lehrtätigkeit an der Fachhochschule in Mannheim zu beginnen. Bis heute ist mir Huberts Rat sehr wichtig. Seine Kritik und sein Lob sind feststehende Größen für mich. Mein Beitrag zu diesem Ausstellungsprojekt ist Dank für seine langjährige Hilfe.

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›G‹, 2011 Holzschnitt zwei Farben, 78 x 56 cm

Frank-J. Grossmann 1958 in Jena geboren 1978 – 1983 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Speyer


Heinrich Prospekt, 2008 Pigment und Acrylbinder auf Leinwand, 110 x 140 cm Foto: Klaus Venus Unten rechts: Camera, 1979 Radierung auf Büttenpapier Blattgröße 26 x 19 cm

Michael Heinlein 1953 in Speyer geboren 1972 – 1977 Werkkunstschule Mannheim und Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Speyer

Geduld und Zeit – Lichtung im Helldunkel … Weißes Licht, in dem alle Farben enthalten sind. Schwarz als Farbe und Vorstellung – Lichtung und Konstellation … Die Farben und die Worte öffnen Schauplätze … Aus welchem besonderen Schwarz, aus welcher einsamen Düsterkeit kann die Färbung eines Baums bestehen? Im Dunkel seines Gewebes wandelt er die Elemente um, die seine Wurzeln speisen und erzeugt daraus ein Meer von Blüten und Blättern, auf denen das Licht der Sonne ruht. Grenzerkundung als Position – Weltanschauung zunächst in Verästelungen und Umwegen, den einzigen Weg der möglich scheint »in camera« – als Zimmer-

reise. Die Strukturen der Welt im großen Maßstab wie im kleinen wiederholen sich so exakt, dass beim Malen die Pigmente geradezu planetarische Strukturen ergeben und die Lineaturen der radierten Miniatur meines Zimmers erscheinen als dichtes Gewebe, in dem die Geschichten nisten. Die Kupferplatte ist sowieso ein Spiegel, der unendlich viele Bilder in sich trägt, die auf ihren Entdecker warten. 29


Angelus anatomicus, 2010 Mischtechnik, 58 x 48,2 cm

Reinhold Henkel 1956 in Schwaigern geboren 1977 – 1981 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Heidelberg

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An einem recht vergnüglichen, feucht fröhlichen Abend anlässlich des erfolgreichen Endes der Studienzeit überraschte uns Hubert – wahrscheinlich war die Sprache auf seinen Heimatort gekommen – mit der süffisanten Bemerkung, dass der »Kran von Schifferstadt« ein früher Weggenosse gewesen sei. Wir staunten nicht schlecht. Schließlich konnte man sich kaum gegensätzlichere Charaktere vorstellen: hier der etwas grobschlächtige Wilfried Dietrich, einer der weltbesten Schwergewichtsringer seiner Zeit, da der feinnervige, hagere, den schönen Dingen zugetane Künstler Hubert Gems.

Ja, doch, man sei sehr gut miteinander ausgekommen. Allerdings hätten der »Kran« und einige andere lustige Spielkameraden immer wieder hartnäckig, aber meist vergeblich, versucht, ihn zum Fußballspielen abzuholen. Gerade dann habe er nämlich oft voller Hingabe gezeichnet und sich nur ganz selten vom Blatt lösen können. Da hätten alle noch so raffinierten Überredungstricks nicht gefruchtet. So illustrierte uns Hubert »en passant« in seiner bedächtigen Art seine frühe Begeisterung und Leidenschaft für seine Profession, das »Zeischnen«.


Tobias, 1991, Polaroid Image 9,2 x 7,3 cm

Thomas Huther 1956 in Miltenberg geboren 1977 – 1981 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Kassel

Einer der ganz wenigen

Künstler, Mensch der auch

geblieben ist.

Hubert Gems, ich habe sehr viel von Dir gelernt!

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Traumspur, 2008, Mischtechnik, 80 x 80 cm

Armin Liebscher 1957 in Herbrechtingen geboren 1978 – 1983 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Mannheim

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Ein Freiraum – das war die Druckwerkstatt der Fachhochschule für Gestaltung Mannheim für mich, als Hubert Gems dort als Werkstattleiter tätig war. Ein Refugium für künstlerisch interessierte Außenseiter, in dem man frei arbeiten konnte, ganz im Gegensatz zum verschulten Fachhochschulbetrieb. Ich war beeindruckt von der konsequent künstlerischen Position Hubert Gems’, die mich später auch zum Kunststudium bewogen hat. Meine Vorliebe fürs Zeichnen und Drucken habe ich ihm zu verdanken – und dass ich kein Werbefuzzi geworden bin, natürlich auch.


Ein Text zu einer Person, die einem schon lange bekannt ist, einer Person, die eine gewisse Zeit einen tiefen prägenden Einfluss auf das Denken und das künstlerische Schaffen hatte, ähnelt einer Kopfbewegung zur Seite in ein Inneres, in dem sich die Mosaiksteine nicht immer ergänzen und es ein wenig knirscht beim Zusammentreffen der Gedankensplitter. Es sind Gefühle mit verschwindenden, fließenden schwarz-weißen Gemälden, Fotos, Zeichnungen und Materialbruchstücken. Das Gefühlte ist ein Gefühl wie 70er Jahre Plüsch mit Sonnenschein aus dem Westen. Wie in einem Traum nehme ich die Bewegung auf und folge dem Treppenaufgang, der zum Hochparterre führt. Es folgt eine Tür. Hinter dieser Tür liegt der große Saal, der Zeichensaal für Aktzeichnen und Stillleben. Die großen Straßenfenster öffnen den Raum, in den das Licht einbricht. Im Raum selbst – eine Figur, ein Gesicht, ein Anschauen, Konzentration, Persönlichkeiten – Hubert Gems und Paul Berger Bergner. Paul Berger Bergner, ein blauäugiger scharfsichtiger Dynamiker, der virtuos den Zeichenstift führen konnte. Ihm zur Seite Hubert Gems und der von ihm ausstrahlende feine Geist im Zeichensaal mit ausgewählten feinen Materialien. Ein ebenso scharfsichtiger wie scharfsinniger Beobachter, der mit eindringlichen leisen Verweisen und Hinweisen die Aufmerksamkeit und die damit verbundene Konzentration des Zeichnenden auf das abzubildende Stoffliche und seine Eigenart in der Form hinwies. Hubert Gems, ein Sprechender, zeigte mit großer Sorgfalt, Gefühl wie auch Bedacht die Lücken im zeichnerischen Können des Schülers auf. Gleichzeitig eröffnete er ihm Wege, wie er zu einem wie auch immer gearteten Zwischenstand gelangen könnte, immer damit verbunden, das Substanzielle einer Erscheinung und seiner Abbildung mit gefühlter Nähe zu ergründen.

Habitacion en Bilbao »Manuel«, 2007 Photographik, 104 x 70 cm

Otmar Sattel 1955 in Speyer geboren 1973 – 1976 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Berlin 33


Fast Food Tragedy V, 2010, Öl auf Leinwand, 45 x 35 cm

Richard Schimanski 1963 Worms geboren 1985 – 1989 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in Worms

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»Giotto, Sohn eines einfachen Bauern, hütet als Hirtenknabe die Herde seines Vaters. Er zeichnet einzelne Tiere der Herde auf Steine und in den Sand. An dem Scraffitobilde eines Schafes erkennt Cimabue, der zufällig vorbeikommt, die hohe Begabung des Hirten, nimmt ihn zu sich und sorgt für die Ausbildung dessen, der berufen war, einer der größten Künstler Italiens zu werden.«¹ Nicht ganz, aber fast so hat es sich zugetragen. Im ersten Semester meines Studiums hatte Hubert Gems die Hausaufgabe gestellt, zur nächsten Veranstaltung eine Zeichnung mitzubringen, die uns interessant genug erschien, sie drucktechnisch umsetzen zu wollen.

Der Unterricht war immer montags um 8.15 Uhr. Ich wurde damals wach, war schon spät dran und erinnerte mich, noch im Bett sitzend, dass ich die Zeichnung vergessen hatte. So kam, aus der Not geboren, eine kleine, hastige Skizze mit meinem ungemachten Bett und Kleidungsstücken zustande, die ich dann Hubert Gems vorlegte. Sie schien ihm zu gefallen, denn er sprach mich an. Dabei merkten wir, dass wir beide in Worms wohnen. Dies war der Beginn unserer Freundschaft, die nun schon seit 25 Jahren Bestand hat. ¹ Vasari, G. [1550]: Vite de piú eccellenti pittori, scultori, ed architetti, Florenz 1878 – 85, Bd. I. S. 370


Annunziatione, 2008 – 2009 Acryl auf Leinwand, 80 x 100 cm

Anja Frieda Schneider In Bietigheim-Bissingen geboren 1994 – 1996 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt und arbeitet in München

Ich traf mich mit Herrn Gems zur Besprechung meiner Zeichnungen. Ihm gefiel eine Aktzeichnung besonders gut. Ich war überrascht, weshalb er gerade diese so gut fand. Ich mochte sie auch – nur ganz »richtig« war sie nicht. Hubert Gems erklärte mir, was die Kraft dieser Zeichnung für ihn ausmachte: Durch den freien, emotionalen Duktus war es mir unbewusst gelungen, die Lebendigkeit der Bewegung – das Wesen einzufangen. Für mich war diese Besprechung ganz entscheidend. Von da an konzentrierte ich mich in meinen Arbeiten darauf, diese Lebendigkeit bewusst einzufangen.

Gerne erinnere ich mich auch an die Stimmung in der Werkstatt C7, wenn die an Radierung interessierten Studie­renden verschiedener Semester sich bei Hubert Gems in der Druckwerkstatt trafen. Es war ein konzentriertes, kreatives und fröhliches Arbeiten! Hubert Gems gab uns einzeln und in der Gruppe hilfreiche Korrekturen. Auf diese Weise lernten wir mit und voneinander. Er verstand es, eine gute, experimentelle Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Er baute keine Konkurrenzsituationen auf, denn er sah jeden von uns als Lernenden, der seinen eigenen künstlerischen Weg finden musste. 35


Blätter (bestehend aus 30 Teilen), 2009 Tusche auf Papier, ca. 200 x 200 cm

Holger Schramm 1957 in Mannheim geboren 1978 – 1980 Städt. Fachhochschule für Gestaltung Mannheim Lebt seit 1989 in Nordamerika

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Wo endet die Linie? An der Fachhochschule für Gestaltung Mannheim sollten wir eine fotorealistische Bleistiftzeichnung erstellen. Als Objekt diente mir ein Schlüsselbund. Einen großen Teil der Zeichnung hatte ich im Detail ausgearbeitet, Grenzbereiche unvollständig mit flüchtiger Linie umschrieben. Es war dieses, worauf Hubert mich aufmerksam machte, in seiner so einfühlsamen, klaren Art. Es war dieses, was den Weg öffnete in mir zuvor unbekannte Sichtweisen, Weisen, die meinen weiteren Lebenslauf maßgeblich bestimmen sollten. Die Zeichnung als seismographische Reflektion, die das Leben in seiner Fülle, doch bestän-

digen Flüchtigkeit, wahrnimmt, die Grenzen des Sichtbaren und Erahnten erforschend. Huberts Schaffen reicht in das Weitende.


Schneewittchen?, 2009 Fotografie (Gum Bichromat, monochrom)

Günther Wilhelm 1949 in Ludwigshafen geboren 1969 – 1974 Studium an der Werkkunstschule Mannheim Lebt und arbeitet in Ludwigshafen

Anfang der 70er Jahre war die Druckwerkstatt der Werkkunstschule Mannheim im Keller des Gebäudes in E3: ein dunkles schwarzes Loch, in dem sich nur wenige druckbegeisterte Studenten einfanden. Schon sehr früh während meines Studiums habe ich dort die ersten Radierungen gedruckt. Die Voraussetzungen waren alles andere als ideal. Auf einem der Fotos sieht man eine Lithografie von Vecil Kurt, eine von zwei türkischen Studentinnen, die an unserer Schule waren (S.13, oben links). Beide haben die Räumlichkeiten für den Druck ihrer kritischen Grafiken rege genutzt. Neben Ulufer Sawas waren Werner Holz, Michael Heinlein und Klaus Fresenius

meine Weggefährten. Dann kam eines Tages Hubert. Als Werkstattleiter fand er sogleich einen guten Draht zu den Studierenden. Gerne erinnere ich mich noch an eine gemeinsame Unternehmung zum jüdischen Friedhof in Worms. Jahre später ist die Druckwerkstatt in ein helleres und freundlicheres Hintergebäude in den C-Quadraten umgezogen. Es hat mich dort immer mal wieder hingezogen, um zu sehen, was es Neues gab und mich mit Hubert zu treffen. Ich bin froh darüber, die gesamte Familie Gems kennen gelernt zu haben und Hubert zu meinen Freunden zählen zu können. 37


Mannheim ist eine Stadt vom Reißbrett, in Qua­ draten angelegt von A1 bis U6. In C7, fünf Minuten entfernt von den Schulräumen in E3, befand sich der idyllische Teil der Fachhochschule, der Werkstattbereich, unterteilt in den Druckund Satzbereich. Knapp zwanzig Jahre lang arbeitete ich mit Hubert Gems zusammen, der für den Druckbereich zuständig war, bevor er vorzeitig in Rente ging. Ein Grund dafür war auch, dass die Städtische Fachhochschule für Gestaltung an die Fachhochschule für Technik in Mannheim angeschlossen wurde. Technik und Gestaltung konnte er nicht miteinander in Verbindung bringen, es war ihm zuwider. Dass er diesbezüglich nicht falsch lag, sieht man an der späteren Entwicklung. Gab es in C7 noch vier Werkstattbereiche: 3D, Druck (Siebdruck, Offsetdruck, Lithografie, Radierung), Satz (Bleisatz, Hochdruck, Fotosatz) und Fotografie, so blieb nach meinem Ausscheiden nur noch die Fotografie übrig. »Pfälzer und Urschwabe, wie soll das gut gehen?«, fragten sich viele Mitte der 80er Jahre an der Schule. Es funktionierte über all die Zeit mit uns, und die Bemühungen einzelner Professoren,

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einen Keil zwischen uns zu treiben, schlugen fehl. Wichtig war, dass wir die Studenten auf unserer Seite hatten. Die Werkstätten wurden von den Studierenden nicht umsonst als die Oppositionsräume der FH bezeichnet. Hier fanden sie Halt, Gehör und Unterstützung, was so weit führte, dass ein Student uns versprach, uns in seinem Testament zu berücksichtigen. Neben der Vermittlung von technischen und gestalterischen Grundlagen wurden Werte wie Respekt, Disziplin und Pünktlichkeit vorgelebt und vermittelt. Dazu gehörte von unserer Seite auch, dass die Räume der Werkstätten so ausgestattet waren, dass sie durch Wandausstellungen und Beispielsammlungen inspirierend wirkten. Innerhalb der Fachhochschule war Hubert Gems die Person für alle Studierenden, wenn sie persönliche Probleme hatten. Bei ihm bekamen sie die menschliche Ansprache, ob es nun um ihre künstlerische Zukunft ging oder die richtige Wahl des Studienganges. Selbst bei Liebeskummer, was in diesem Alter sehr oft vorkam, wusste er Rat. Gebückt betraten sie C7; im aufrechten Gang verließen sie nach einem Gespräch mit Hubert Gems wieder die Druckwerkstätten. Er war ein Mensch mit vier Augen, zwei für Grafik-Design und zwei für Kunst. Im Laufe der Zeit lernte ich bezüglich der Kunst viel von ihm, und dafür bin ich ihm dankbar. Nach seinem Ausscheiden aus der Lehre wurde mir bewusst, dass ich bisher nicht vielen Menschen begegnet war, von denen ich sicher sagen konnte, dass mein Leben ohne sie grundlegend anders verlaufen wäre.



Herausgeber Erscheinungsjahr Erscheinungsort Erste Auflage Konzeption

Lektorat Satz und Layout Umschlag Druck © Texte © übrige Texte © Foto © Fotos © Fotos © übrige Fotos

Jochen Frisch und Prof. Frank-J. Grossmann 2011 Speyer 500 Gerburg Frisch, Jochen Frisch, Hagen Kayser, Prof. Frank-J. Grossmann Gerburg Frisch Hagen Kayser Prof. Frank-J. Grossmann unitedprint GmbH, Köln Seite 2, 6, 8, 14 und 15 bei Prof. Dr. Jürgen Hunkemöller bei den Autoren Umschlagseite 3 bei Uli Fuchs Seite 10 – 11 bei Otmar Sattel Umschlagseite 2, Seite 18 – 21und Seite 39 bei Prof. F.-J. Grossmann wenn nicht anders vermerkt, bei den Künstlern Wir danken der Kulturstiftung Speyer für die finanzielle Unterstützung



Hubert Gems und 16 weitere Positionen

Wolfgang Beck Albert B端hn Patrick Fauck Norbert Feger Klaus Fresenius Jochen Frisch Frank-J. Grossmann Michael Heinlein Reinhold Henkel Thomas Huther Armin Liebscher Otmar Sattel Anja Frieda Schneider Richard Schimanski Holger Schramm G端nther Wilhelm

und 16 weitere Positionen KULTUR STIFTUNG SPEYER


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