Alternativen zum Reformvertrag
Zivilgesellschaftliche Modelle, Linksparteien und rechtsextreme Propaganda
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Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Dialektik der österreichischen Neutralität: Warum wir heute etwas verteidigen müssen, was es nie gab . . . . . . . . . . . . . . . 6 Rot-Weiß-Rot“ bis in den Tod? Kritik der „Friedensrepublik Österreich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10 Die Rolle der extremen Rechten in der EU Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 ATTAC – auf der Suche nach dem menschlichen Kapitalismus in der nachhaltigen, sozialen EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22 Die „Europäische Linke“, die KPÖ und der “Kampf” für ein friedliches, soziales, feministisches Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 Für die Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .52
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Einleitung Einleitung 2005 scheiterte die so genannte EU-Verfassung an den Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Die EUropäischen Bourgeoisien können und wollen in Anbetracht der imperialistischen Konkurrenz dieses Ergebnis nicht akzeptieren und unternehmen einen zweiten Anlauf ihr menschenverachtendes Projekt durchzudrücken. Dieses Mal soll kein direkt-demokratisches Prozedere mehr der drastischen Militarisierung, der schrankenlosen marktwirtschaftlichen Durchdringung aller Lebensbereiche, der Entdemokratisierung und der zunehmenden Unterordnung nationaler Interessen unter das Diktat der dominanten Bourgeoisien vor allen Deutschlands und Frankreichs im Wege stehen. Kommt es, wie im Falle Irlands, doch zu einem Referendum, wird dessen Ergebnis einfach nicht anerkannt werden (siehe dazu www.derneuekurs.net.tf). Die herrschende Klasse Österreichs, samt ihren Lakaien im Parlament, ist wie 2005 nicht bereit, den angeblichen Souverän mittels einer Volksabstimmung über den so genannten EU-Reformvertrag und seine schwerwiegenden rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Implikationen entscheiden zu lassen. Eine Ausnahme bildet die rechtsextreme FPÖ. Sie fordert eine Volksabstimmung. Dass es sich dabei aber um ein leicht durchschaubares populistisches Manöver handelt wird klar, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass sie 2005, bis auf eine Gegenstimme, für die Ratifizierung der in den wesentlichen Inhalten identen “EUVerfassung” gestimmt hat. Die FPÖ instrumentalisiert die Skepsis und Unzufriedenheit der WählerInnen mit der EU um sich so mit nationalistischer und rassistischer Propaganda für die nächsten Wahlen zu positionieren. Das BZÖ versucht sich in Kärnten auf gleiche Weise zu profilieren. Auf nationaler sowie auf EU-Ebene (z.B. Referendum in Irland, Forderung nach eine Volksabstimmung in Frankreich) regt sich dennoch Widerstand. Dieser wendet sich entweder gegen die EU an sich und propagiert den Austritt aus der Union oder verbreitet Illusionen in eine “soziale EU”. Auf diesem Widerstand liegt das Hauptaugenmerk der vorliegenden Broschüre. Anhand exemplarischer Beispiele analysieren wir den vermeintlich fortschrittlichen Charakter diverser zivilgesellschaftlicher Alternativmodelle sowie die entsprechen-
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Einleitung den Vorstellungen verschiedener “Linksparteien”. Ein weiterer Beitrag widmet sich der aus unserer Sicht oft schematischen Herangehensweise verschiedener extrem linker Gruppierungen und erklärt, warum wir für die Verteidigung der Neutralität Österreichs eintreten, wenngleich wir dem hehren Ideal einer “immerwährenden Neutralität” nichts abgewinnen können. Ein anderer Beitrag bezieht sich auf die Rolle der extremen Rechten im EU-kritischen Diskurs. Die vorliegende Broschüre ist ein Produkt der Arbeitsgruppe EU des Marxistischen Studienzirkels, einem losen Zusammenschluss von GenossInnen, die sich auf den revolutionären Marxismus berufen.Als revolutionäre MarxistInnen erscheint es uns notwendig aufzuzeigen, dass die teilweise haarsträubenden Illusionen in die Reformierbarkeit des Imperialismus, der viel zu oft nur als Neoliberalismus, quasi eine entartete Form des ansonsten akzeptablen Kapitalismus, verharmlost wird, nicht fortschrittlich sondern gefährlich und letztlich reaktionär sind. Wir wenden uns gegen patriotische und/oder nationalistisch-rassistische Austrittspropaganda, aber auch gegen die Ideen einer Europäischen Sozialunion im Rahmen kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Ein vereinigtes Europa betrachten wir als großes und anstrebenswertes Ziel. Dieses in die Tat umzusetzen kann aber nur gelingen, wenn wir offen und ohne opportunistische Scham für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas eintreten. Im letzten Beitrag der Broschüre erklären wir warum wir diese Position einnehmen. Wir wenden uns mit dieser Broschüre vor allem an kritische KollegInnen aus der ArbeiterInnenbewegung, an die fortschrittlichsten Teile zivilgesellschaftlich organisierter Menschen und politisch interessierte Einzelpersonen, die mit nur scheinbar fortschrittlichen Losungen nicht zufrieden sind und an einer tatsächlich System überwindenden Politik Interesse haben. Wir laden all diese Menschen ein, mit uns in Kontakt zu treten, uns ihre Meinungen zu unseren Positionen mitzuteilen und freuen uns auf eine intensive und solidarische Diskussion. Der Hauptfeind steht im eignen Land!
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Neutralität Die Dialektik der österreichischen Neutralität:Warum wir heute etwas verteidigen müssen, was es nie gab Zahlreiche Organisationen, die sich in Österreich auf die Traditionen des revolutionären Marxismus berufen tun sich mit der Neutralitätsfrage schwer. Prinzipiell richtige Einwände gegen die offiziell jahrzehntelang als hehres Ideal dargestellte “immerwährende Neutralität” mischen sich mit schematischen und mitunter sogar falschen Positionen. Am Beispiel eines jüngst in der „Roten Zeitung“ (Periodikum der Revolutionär Sozialistischen Organisation – RSO) erschienenen Beitrages („Neutralität: Verstaubtes Relikt oder Mythos“) kritisieren wir die strategisch letztlich falsche Ausrichtung solcher Organisationen, welche die österreichische Neutralität in grob vereinfachender Weise als etwas, was aufgegeben werden oder als ohnehin nie existierend entlarvt werden muss, darstellen. Die Argumentation lässt sich in drei Linien aufgliedern: 1. Es habe nie eine Neutralität gegeben. Diese Begründung ist an sich richtig: zurecht wird darauf verwiesen, dass entgegen der Behauptung, bündnisfrei zu sein, die Republik Österreich seit dem Staatsvertrag faktisch in die „westliche Wertegemeinschaft“ integriert war, eine allseitige antikommunistische Grundhaltung verwirklichte und jedenfalls im Lager der kapitalistischen Staaten stand. Aber sie ist eben nur „an sich“ richtig: .wenn im selben Atemzug darauf verwiesen wird, dass Österreich etwa die NATO-Angriffe auf „Rest-Jugoslawien“ 1999 und die Besetzung des Irak 2003 stützte, so sind damit Entwicklungen genannt, die immer auch unter dem Maßstab diskutiert wurden, ob sie denn mit der Neutralität Österreichs vereinbar wären. 2. Man könne die Neutralität nicht verteidigen, denn die Integration Österreichs im Block der EU sei „unumgänglich“. Dagegen ist zu halten: Wer behauptet, dass die Integration Österreichs in die EU unter Aufgabe des Anspruchs auf Neutralität „unumgänglich“ ist, der setzt damit voraus, dass der gegenwärtige Imperialismus in der Lage ist, eigenen Notwendigkeiten zielgerichtet zu folgen. Diese Sichtweise läuft auf eine Leugnung des konsistent krisenhaften Charakters des Imperialismus hinaus. Denn in einem imperialistischen Land bzw. Bündnis gibt es nur eines, was „unumgänglich“ ist: die historische Tendenz von Ökonomie und Politik zur Krise und damit zusammenhängend die historische Aufgabe der ArbeiterInnenbewegung, diese Krise
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Neutralität durch Beseitigung des Imperialismus zu lösen. Die Integration Österreichs in die EU und in die militärische Zusammenarbeit der NATO ist vielmehr eine politische Entwicklung, die in allen Phasen zu Auseinandersetzungen führte und führt und keinesfalls naturhaft-automatisch abläuft. 3. Man dürfe die Neutralität nicht verteidigen. In einer Veröffentlichung von 1997 der AGM1 (MARXISMUS Nummer 3, erw. 4.Aufl.) heißt es unmissverständlich: „Wir trauern der Neutralität, wie sie nun immer auch interpretiert werden mag, keine Sekunde nach.“ (S.250) „Wie sie auch immer interpretiert werden mag“ will heißen: jede Entwicklung, die den Anspruch der österreichischen Neutralität beseitigt, ist jedem Zustand vorzuziehen, in dem die österreichische Neutralität behauptet wird. Eigentlich müsste daraus die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Beseitigung der Neutralität jedenfalls fortschrittlich ist und man bedingungslos für die Beseitigung der Neutralität eintreten müsse, wie sie auch immer zu Stande komme. Dabei ist es aber die entscheidende Frage, wie etwas in dem Sinne „interpretiert“ wird, dass sich daraus unterschiedliche politische Bedingungen für die ArbeiterInnenbewegung und die revolutionären MarxistInnen darin ergeben. Diese Frage ist aber jeweils konkret zu beantworten und nicht so, dass aus der Neutralität etwas Metaphysisches gemacht wird: ein unveränderlich und alternativlos gegebenes Übel, von dem man sich möglichst „überschwänglich“ verbal abgrenzen müsse. Wenn es darum geht, aus der Geschichte zu lernen, drängt sich in der Frage der Neutralität eine historische Analogie auf. Durch den Versailler Vertrag wurde 1919 das Saargebiet (heute: Saarland) von Deutschland abgetrennt, politisch unter Mandat des Völkerbundes gestellt und wirtschaftlich Frankreich angegliedert. Innerhalb der gesamten ArbeiterInnenbewegung wurde dieser Schritt durchgehend abgelehnt. Als aber sich die Situation durch die Machtergreifung Hitlers änderte, musste sich die ArbeiterInnenbewegung zu der Frage der Autonomie („Status Quo“) oder Angliederung des Saargebiets an Deutschland neu positionieren, zumal 1935 hierzu eine Volksabstimmung durchgeführt wurde. Die stalinistische KP des Saargebiets gab noch im August 1933 die Parole „Für die rote Saar im roten Sowjetdeutschland!“ aus. Die saarländischen Trotzkisten sahen darin ein Verbrechen: sich auf einen abstrakt-allgemeinen Standpunkt der Propagierung der Revolution zurückzuziehen in einer Situation, in der eine Entscheidung zwischen konkreten Optionen des politischen Status eines Landes zu treffen war, von denen eine - die Angliederung an Hitlerdeutschland - jedenfalls verheerende Auswirkungen auf die Kampfbedingungen und politischen Möglichkeiten der ArbeiterInnenbewegung hätte.
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Neutralität Eine Partei die ausschließlich (und „eigentlich“ ja richtig!) für das „Sowjetsaarland“ kämpfe, so Trotzki in einem Brief von Oktober 1933, bliebe den ArbeiterInnen die Antwort darauf schuldig, wie sie beim Referendum 1935 abzustimmen hätten und entscheide sich damit praktisch für Hitlerdeutschland. Es könne vielmehr keine andere Losung geben als die der Autonomie um die unmittelbaren notwendigen Aufgaben, die Interessen der ArbeiterInnen gegenüber dem Faschismus zu verteidigen, zu erfüllen. Nur von diesem Standpunkt könne dann auch die Frage der Eroberung der Macht durch die ArbeiterInnenklasse aufgeworfen werden, deren Einheit wiederum aus der Verteidigung des „Status Quo“ hervorgehen müsse. Eine Übertragung der saarländischen Erfahrungen auf die Situation des heutigen Österreichs ist selbstverständlich nicht „eins-zu-eins“ möglich. Insbesondere ist die Option auf Aufgabe der österreichischen Neutralität nicht die des Anschlusses an einen faschistischen Staat, der die Arbeiterbewegung restlos zu zerschlagen versucht. Kein Argument kann es aber dabei sein, dass der Fall des „autonomen“ Saargebiets dadurch ein besonderer war, da es sich nicht um einen selbständigen Imperialismus handelte. Denn das politische Projekt eines unter Völkerbundsmandat gestellten Saargebiets („Status Quo“) war in jedem Fall ein organisches Ziel des französischen Imperialismus. Entscheidend ist vielmehr, dass die Frage des politischen Status eines nichtkolonialen Landes unmittelbar nur anhand des Kriteriums entschieden werden kann, welche Auswirkungen dies auf die Perspektiven der ArbeiterInnenbewegung hat. Zweifelsohne werden die politischen Schritte, die den Anspruch Österreichs auf Neutralität immer mehr beseitigen, die Kampfbedingungen der ArbeiterInnenbewegung massiv verschlechtern. Zum Anspruch der österreichischen Neutralität gehörte es ja auch, keine fremden Truppen auf österreichischen Boden zu dulden und keine militärischen Beistandspakte für Österreich selbst zu akzeptieren. Durch die zunehmende Einbindung Österreichs in die militärischen Strukturen von EU und NATO werden nicht nur diese imperialistischen Bündnisse gestärkt (sei es wie durch den Tchad-Einsatz, sei es durch die führende Rolle Österreichs beim Ausbau der mörderischen militärischen Grenzsicherung der „Festung Europa“2 oder die Beteiligung an den EU- „Battle Groups“, sei es, dass in Tirol internationale Gebirgsjägereinheiten schon einmal den Kampf gegen „Rebellen“ im Kaukasus üben können), auch in bzw. für Österreich werden die militärischen und geheimdienstlichen Apparate aufgerüstet. Dieser Entwicklung kann nicht mit „prinzipien“fester Leugnung oder „Entlarvung“ auf der Grundlage einer schematisch-
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Neutralität metaphysischen Denkweise entgegengetreten werden, sondern nur aus der Einsicht heraus, dass in der gegenwärtigen konkreten politischen Situation der Anspruch auf Neutralität auch von revolutionären MarxistInnen verteidigt werden muss. Denn wer die österreichische Neutralität in diesem Sinne gegen die Integration in die imperialistischen Bündnisse von NATO, WEU und EU erhalten möchte, der wird letztlich für ein sozialistisches Österreich in den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa eintreten müssen.
1 eine der beiden Organisationen, die zur RSO fusionierten 2 Die Sicherheitsakademie des österreichischen Innenministeriums hatte beim Aufbau des Planungsstabes der FRONTEX eine leitende Rolle. Die operative Leitung der Abschiebungsagentur IOM, welche für die vom UNHCR als “Todeslager” bezeichneten Flüchtlingslager der AfghanistanFlüchtlinge nach 2001 verantwortlich ist, hat ihren Sitz in Wien. Österreich hat in der EU die sog. Länderpläne durchgesetzt, die Massenabschiebungen organisieren, auch “um den Preis”, dass die nach Marokko und Libyen Abgeschobenen dann in der Wüste verhungern. Unter der SchwarzBlauen-Regierung hat Österreich seine “Rückkehrförderung” als Modellprojekt in der EU erfolgreich beworben.
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Friedensrepublik Rot-Weiß-Rot“ bis in den Tod? Kritik der „Friedensrepublik Österreich“ Die Werkstatt Frieden und Solidarität (im Folgendem Werkstatt genannt) ist neben Attac Österreich eine der maßgeblichen Organisationen der Plattform Volxabstimmung, ein Zusammenschluss vor allem zivilgesellschaftlicher Organisationen, welcher sich zum Ziel gesetzt hat, eine Volksabstimmung über den „EU-Reformvertrag“ zu erwirken. Seit Jahren leistet sie beharrlich Informationsund Aufklärungsarbeit, die auch für Linke eine wertvolle Quelle darstellt. Ihr Periodikum, die Zeitung guernica, berichtet, was die Herrschenden und die mehr oder weniger gleichgeschalteten Massenmedien verschweigen und von der „Linken“ oft ignoriert oder einfach verschlafen wurde. Zur Verbreitung von EU-kritischen aber auch anderen Informationen wie Beiträgen verschiedener AutorInnen aus dem ökologischen, friedenspolitisch – antimilitaristischen, religiösen, sozialkritischen und gewerkschaftlichen Bereich ist sie 2007 fünf mal herausgegeben worden. Sie besitzt eine eigene Website www.werkstatt.or.at, produziert Broschüren, bietet Bücher zu verschiedenen politischen Themen an, verteilt verschiedene KampagnenFolder sowie Plakate und in Oberösterreich sendet das Freie Radio Oberösterreich (105.0 MHz) regelmäßig die Sendung Radio guernica. Eines der bislang größten Projekte der Werkstatt war wohl die Kampagne für ein Friedensvolksbegehren. 7000 Menschen (Quelle: Werkstatt) unterstützten dessen Forderungen: Bekenntnis zur Neutralität Österreichs, keine Teilnahme an EUArmee und Streichung des neutralitätswidrigen Artikel 23f B-VG aus der Verfassung, Beendigung der Beteiligung Österreichs an der Nato-Partnerschaft für den Frieden und kein Beitritt zur NATO, gegen Aufrüstungspläne in Richtung Angriffsfähigkeit des österreichischen Heeres – soziale Sicherheit statt Aufrüstung. Ende 2005 wurde die Kampagne mangels ausreichender Unterschriften eingestellt. Derzeit kämpft die Werkstatt gemeinsam mit anderen AktivistInnen - bisher durchaus erfolgreich - gegen die Privatisierung der oberösterreichischen Energie AG und ist wie oben erwähnt eine der treibenden Kräfte der Plattform Volxabstimmung. Fortschrittliche Grundlagen? Die beiden maßgeblichsten Mitglieder - unseres Wissens die Gründer der Friedenswerkstatt Linz, so der ursprüngliche Name der Werkstatt - sind ehemalige KPÖ-Mitglieder, welche die Partei verlassen und sich dann den Grünen angeschlos-
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Friedensrepublik sen haben. Auch diese Partei haben beide auf Grund politischer Differenzen wieder verlassen. Der ideologische Einfluss der KP ist allerdings immer noch stark spürbar, auch wenn die Werkstatt jeden Rest marxistischer Terminologie abgelegt hat. Dies geht sogar so weit, dass sich im Programm nicht ein einziges mal das Wort „Kapitalismus“ findet, während, dem Stil „globalisierungskritischer“ BewegungsbürokratInnen folgend, von „Neoliberalismus“, ja sogar „neoliberaler Konterrevolution“ die Rede ist. Ihr aktuelles Programm ist eine Art abgespecktes Destillat der „Volksfront-Ausrichtung1, welche 1935 am 7. Weltkongress der stalinistischen Kommunistischen Internationale beschlossen wurde. Entsprechend dieser Ausrichtung ist es auch nicht verwunderlich, dass sich im Umfeld der Werkstatt und unter den Mitgliedern eine Reihe von (ehemaligen) KPÖ-Mitgliedern befindet. Ganz der stalinistischen Tradition folgend und wohl auch an einer Art Kreisky-ÄraNostalgie anknüpfend, betont schon die Präambel des Programms die „fortschrittlichen Grundlagen“ der Zweiten Republik, verzichtet auf einen klassenspezifischen Standpunkt und favorisiert, auf Grund einer maßlosen Überbewertung der „immerwährenden Neutralität“ Österreichs, einen nationalen Ansatz als Alternative zum imperialistischen und chauvinistischen („europäische Werte“) „Europa der Konzerne und Generäle“. Die Werkstatt propagiert, so wie zum Beispiel auch die Kommunistische Initiative (KI), den Austritt aus der Europäischen Union.Ausgehend davon, dass die EU ein ablehnenswertes Instrument der Hierarchisierung von Nationalstaaten (unter deutscher und französischer Hegemonie) und nicht deren Überwindung sei, welches im geopolitischen Kampf um Vorherrschaft zwangsläufig zu Krieg und Massenelend führt, propagiert sie eine Friedensrepublik Österreich, welche die Voraussetzung für „wirklichen Internationalismus“ sei. Sie knüpfe „an den Erfahrungen der Außenpolitik der 1970er-Jahre an und entwickle diese weiter“. Ein Ziel dieser Außenpolitik sei „Internationalismus und Solidarität mit den Staaten des Südens“. Dazu führt das „Aktionsprogramm“ folgendes an: „Frieden erfordert die Bekämpfung der strukturellen Wurzeln von Gewalt, allen voran der himmelschreienden globalen Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Die Friedensrepublik Österreich engagiert sich für eine globale Umverteilung des Reichtums: Streichung der Schulden der Länder des Südens und Ostens; Stopp GATS; Stärkung der eigenständigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und der politischen Souveränität der peripheren Staaten und Weltregionen; soziale und ökologische Regulation der Kapitalströme; Schutz der Binnenmärkte vor asymmetrischer Handelsliberalisierung und Ausverkauf!“
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Friedensrepublik Auch wenn das Programm der Werkstatt auf eine solidarische und friedliche Welt ausgerichtet ist und wir dieses Ansinnen teilen, können wir nicht erkennen, wodurch sich dieses von den von der Werkstatt selbst kritisierten „schöngeistigen Wünschen“ zivilgesellschaftlicher Modelle unterscheiden soll. Die Schwächen des Programms liegen in einer sehr unzureichenden Analyse des Status quo ausgehend von einer überaus fragwürdigen Definition angeblich „fortschrittlicher Grundlagen“ der Zweiten Republik und einem „fortschrittlichen österreichischen Nationalbewusstsein“(!?). Bezüglich Letzterem verweisen wir auf die Kronen Zeitung, den verbreiteten Antisemitismus und Rassismus in der österreichischen Gesellschaft, sowie die immer krasser werdende Hetze gegen Muslime und Muslima. Wer dem „österreichischen Nationalbewusstsein“ trotzdem pauschal einen „fortschrittlichen“ Charakter zuschreiben möchte sollte sich um überzeugende Argumente bemühen! Der bloße Verweis auf „verstaatlichte Industrie, genossenschaftlich organisierte Unternehmen“ und „kommunale Betriebe“ kann diesem Anspruch nicht gerecht werden. Zwei weitere „Quellen für dieses Selbstbewusstsein“ seien die Erfahrungen mit einem „aktiv neutralen Staat“, welcher „bei weitem mehr Respekt und Anerkennung“ genießen würde als ein Staat mit „imperialem Anspruch“ und „die Erfahrung, dass ein solcher Staat nur lebensfähig sein“ könne, „wenn er die Existenzrechte aller Menschen“ anerkenne und fördere. Die Werkstatt führt keine sozialwissenschaftliche Studie zur Untermauerung dieser Behauptungen an und kann oder will offensichtlich nicht begründen, ob und inwieweit solche „Erfahrungen“ tatsächlich das Bewusstsein der österreichischen Menschen geprägt haben, welche Schlussfolgerungen diese daraus ziehen und wie der weit verbreitete Alltagsrassismus, den sie laut eigenem Aktionsprogramm bekämpfen will, trotz dieses angeblichen „Selbstbewusstseina“ entstehen konnte. Bei wem der „aktiv neutrale Staat“ mehr Respekt und Anerkennung genießen würde, lässt sie ebenso unbeantwortet. Ein Ereignis, welches die Existenz dieses österreichischen „Nationalbewusstseins“ fraglich erscheinen lässt, ist die im europäischen Vergleich beeindruckend hohe Zustimmung (66,64%) zum EU-Beitritt bei der Volksabstimmung 1994! Wo war dieses, als es darum ging, die Souveränität des neutralen Staates zu verteidigen? Wurde es nur kurzfristig ausgeblendet oder hat dieses in der Form nie wirklich existiert? Kann tatsächlich von einem Bewusstsein, dessen Entstehen laut Präambel des Programms zu den „bemerkenswertesten Entwicklungen in der Geschichte“ gehört, gesprochen werden, wenn dieses durch die „Gemeinsam oder einsam“ –
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Friedensrepublik Propaganda der damaligen österreichischen Regierung - quasi per Knopfdruck ausgeschaltet werden konnte? Die „fortschrittlichen Grundlagen“ der Zweiten Republik, also verstaatlichte Industrie, genossenschaftlich organisierte Unternehmen, kommunale Betriebe und Neutralität müssen zwar gegen die andauernde Offensive des Kapitals verteidigt werden - denn andernfalls drohen Militarismus und endgültige Zerschlagung des „Sozialstaates“. Trotzdem weisen wir darauf hin, dass unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Losung „Nie wieder Kapitalismus“ aktuell war und Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle standen! Es brauchte das mehrjährige Engagement seitens Gewerkschaftsbürokratie und prowestlicher, also ganz und gar nicht neutraler, sozialdemokratischer Führung, die Vorherrschaft über und gegen die Lohnabhängigen zu erlangen. Die von der Werkstatt angeführten Grundlagen sind nicht viel mehr als ein reformistischer Abklatsch tatsächlich fortschrittlicher Forderungen. Neoliberale Konterrevolution? Die Friedensrepublik Österreich setzt sich laut Programm für die „Bekämpfung der strukturellen Wurzeln von Gewalt“ ein, verabsäumt aber zu erklären, was damit gemeint sei und worauf sich ein effizienter Kampf konzentrieren müsse. Was sind in der Epoche des Imperialismus die Wurzeln struktureller Gewalt und wer ist der Nutznießer derselben? Wie oben erwähnt, wird nicht der Kapitalismus an sich kritisiert, auch nicht die Bourgeoisie als herrschende Klasse. Das Wort „Klasse“ kommt im Programm ausschließlich im Begriff „(herrschende) politische Klasse“ vor. Gemeint sind hier „die Politiker“. Klassen, welche sich durch ihre Stellung im Produktionsprozess definieren, werden nicht erwähnt. Die Existenz klassenspezifischer Interessen, die Folge der herrschenden Produktionsverhältnisse sind, werden demnach negiert oder zumindest ignoriert! Selbst wenn die Machenschaften der herrschenden Klasse sehr deutlich beschrieben werden, vermeiden es die führenden Köpfe der Werkstatt tunlichst, Begriffe wie Bourgeoisie oder KapitalistInnen zu verwenden und erwähnen nur unbestimmte „Machteliten“, wie folgendes Beispiel aus guernica (5/2007) zeigt: „Schon jetzt dürfte der Kampf der Machteliten um den Zutritt in diesen militärpolitischen Olymp entbrannt sein. Die österreichische Regierung drängt offensichtlich darauf, am Tisch der militärischen Schwergewichte Platz nehmen zu dürfen. Da letztlich die EU-Großmächte Deutschland und Frankreich über den Einlass entscheiden, will man sich zum Liebkind beider machen. Dass man bereit ist, für Berlin Hilfstruppen
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Friedensrepublik ins Feld zu schicken, hat man in Afghanistan und am Balkan schon zigmal bewiesen. Mit der Teilnahme am Tschad-Einsatz will man sich jetzt auch Paris anbiedern.“ Wohl ist im Programm die Rede davon, dass „Interessen und Haltungen der Menschen“ „auf der ausgewiesenen politischen Bühne“ „in ihrer Mehrheit keine Artikulation“ fänden. „Die Parteien“ würden die „unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen und Haltungen“ „im politischen Prozess“ nicht verhandeln, sondern nur „unterschiedliche Funktionen“ „bei der Durchsetzung zentraler Herrschaftsprojekte“ wahrnehmen.Welche Herrschaftsprojekte und vor allem welche HerrscherInnen damit angesprochen werden, bleibt aber ungeklärt. In ihrer Kritik an großen Interessensorganisationen, wie dem ÖGB, weist das Programm auf eine „Entdemokratisierung“ der Gewerkschaften auf Grund „wirkmächtiger Abhängigkeiten“ hin. Unter den Bedingungen der EU-Integration würde „die Wahrnehmung spezifischer Interessen immer stärker auf Kapitaleinkünfte, auf die Beteiligung an transnationalen Ausbeutungsbeziehungen abgedrängt“. Wer den ÖGB kennt, weiß, dass innerorganisatorische Demokratie, sowohl im „ÖGB - alt“ als auch im „ÖGB - neu“ seitens der autoritären Führung nicht erwünscht war und ist. Ein paar, auf Grund des BAWAG-Debakels notwendig gewordene kosmetische Reförmchen ändern daran nichts. Die EU-Integration Österreichs könnte demnach nur dafür verantwortlich gemacht werden, dass sich der grundlegende Mangel des ÖGB - keine Kontrolle durch seine Mitglieder - deutlicher und schärfer zeigt. Allerdings vertreten wir die Ansicht, dass aufgrund der Krise des Kapitalismus der Widerspruch zwischen korrupter Spitze und Gewerkschaftsbasis zwangsläufig immer offener zu tage treten musste - mit oder ohne EU-Integration! Überdies geht aus dem Programm nicht hervor warum das in einer Friedensrepublik, welche die kapitalistischen Produktionsverhältnissen unangetastet lässt, nicht ebenso der Fall sein sollte. Die prinzipiell gerechtfertigte Kritik des Programms an der „Korrumpierung der Parteien“ reduziert sich auf die Feststellung, dass der Kampf um „den direkten Zugriff auf öffentliche Budgets“ die Ursache sei und die „Bereitstellung beträchtlicher Pfründe auf EU-Ebene für sog. ‚Europäische Parteien’[…] die Vereinheitlichung und Disziplinierung der Parteienlandschaft weiter vorantreiben“ würde. Auch hier halten wir fest, dass ein Kampf um „öffentliche Budgets“ immer Teil der Auseinandersetzungen der parlamentarischen Demokratie war. Eine daraus resultierende
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Friedensrepublik „Korrumpierung“ muss also auch schon in Zeiten vor 1994 bestanden haben. Für uns stellt sich viel mehr die Frage nach dem Charakter, also dem Programm, einer Partei. Die Hauptfrage ist, ob es Ziel einer Partei ist die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden oder ob es ihr nur um Reformen innerhalb der bürgerlichen Demokratie geht. Für die AnhängerInnen der Friedensrepublik dürfte eine solche differenziertere Sicht nicht von Bedeutung sein.Was sie mit ihrer banalen und sehr verallgemeinernden Einschätzung von Parteien deutlich machen: „Politische Parteien formulieren Ideologien“ heißt es, und „diese Ideologien und Wertkonstrukte entmündigen die Menschen, indem sie deren eigenen praktischen Erfahrungen für bedeutungslos erklären.“ Warum mehrer Mitglieder der Werkstatt dennoch Parteimitglieder von SPÖ und KPÖ sind, wissen wir nicht. Die generelle Ideologiefeindlichkeit des Programms spiegelt unserer Ansicht nach viel mehr die Frustration (ehemaliger) StalinistInnen in Folge des Niedergangs der Sowjetunion und anderer degenerierten ArbeiterInnenstaaten samt ihren Errungenschaften und den darin gesetzten Hoffnungen wider, als dass sie das Produkt einer grundlegenden Analyse und tief greifenden Kritik der Politik stalinistischer Bürokratien darstellt. Die Sowjetunion ist tot, der „Marxismus“ scheint deswegen widerlegt und Ideologien endgültig auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet zu sein. Anstatt die Ursachen des Niedergangs zu untersuchen und aus den Fehlern zu lernen wird jeder Gedanke an eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus verworfen. Das Kind wird sprichwörtlich mit dem Bade ausgeschüttet. In der Werkstatt arbeiten aber nicht nur enttäuschte KPlerInnen, sondern auch AktivistInnen der ehemaligen Friedensbewegung, diverser “sozialer Bewegungen” und Initiativen zusammen, die sich auf diese Weise ein Betätigungsfeld gesucht haben, das ihnen, anknüpfend an zwei zentralen Fragen (“Frieden” und “Solidarität”), die Möglichkeit bieten soll, weit darüber hinaus gehende politische Zielvorstellungen zu formulieren. Genau daran kranken auch die Konzepte der Werkstatt: Penible und durchaus wertvolle Recherche und Analyse muss dann oft genug dafür herhalten, utopische, kleinbürgerliche und sogar reaktionäre Perspektiven zu rechtfertigen. Wer sich mit historischen Ereignissen nur oberflächlich auseinandersetzt, bedarf natürlich auch keiner ausdifferenzierten Terminologie, und so ist es auch nicht ver-
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Friedensrepublik wunderlich, dass die Werkstatt von einer „neoliberalen Konterrevolution“ spricht ohne zu erklären, welche „Revolution“ der Ausgangspunkt dieser aktuellen Erscheinung sei. Hier begeht die Werkstatt denselben Fehler wie andere zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich davor scheuen, den Kapitalismus an sich zu kritisieren und deswegen nur seine gegenwärtige „neoliberale“ Ausprägung anprangern. Diese Haltung ist einerseits sehr bequem, da sich damit verschiedene kleinbürgerliche KritikerInnen identifizieren können und so ein vermeintlicher Anschluss an die Massen möglich scheint, andererseits bedarf sie nicht weiter der ArbeiterInnenklasse als revolutionärem Subjekt, wenn es darum geht die Verhältnisse zu ändern. Beim gegenwärtigen Zustand der ArbeiterInnenbewegung Österreichs scheint das verlockend, doch letztlich fördert es nur Illusionen bezüglich der „Wirkmächtigkeit“ der so genannten Zivilgesellschaft. Alternative Staatsmacht? Die österreichische Gesellschaft ist eine Klassengesellschaft, in der die Bourgeoisie die herrschende Klasse darstellt. Dass sich diese nicht so ohne weiteres diktieren lassen wird, was sie tun und lassen soll, braucht nicht extra erwähnt zu werden, oder doch? Die Friedensrepublik ist nicht als ein ArbeiterInnenstaat konzipiert, soll also ganz offensichtlich ein bürgerlicher Staat bleiben. Worin also liegt das Geheimnis dieser eigenartigen Idee? Die Antwort ist einfach! Es gibt keines! Da mit den „bestehenden politischen Organisationen“ die Friedensrepublik nicht durchgesetzt werden und dieselbe nur eine „demokratische Gesellschaft“ sein kann, muss „die demokratische Willensbildung von unten her völlig neu organisiert werden“, heißt es. Spätestens ab hier versinkt das Programm im zivilgesellschaftlichen Nirwana. Von der „Forderung nach demokratischer Willensbildung über die Selbstverwaltungskörper der Gesellschaft“, „einer entscheidenden Stärkung direktdemokratischer Abstimmungen und Ausweitung emanzipatorischer Freiräume für alle Menschen“ ist da die Rede. Gefordert wird die Verallgemeinerung „realer Fähigkeiten und materieller Möglichkeiten zur Teilhabe an der demokratischen Verfügungsgewalt über den gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsprozess“. Denn auf einer solchen „Grundlage“ könne „die Macht der großen Konzerne nachhaltig gebrochen und öffentliches Eigentum für den Emanzipationsprozess fruchtbar gemacht werden“. Es ist beinahe ein Wunder, dass eine solche Kampfschrift frei erhältlich ist! Man kann den Angstschweiß der Spitzenmanager förmlich riechen…
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Friedensrepublik Da man sich aber dennoch auch im „hier und heute“ bewegen will, engagieren sich die AktivistInnen der Werkstatt „für die Stärkung außerparlamentarischer Bewegungen und direkt demokratischer Initiativen“ Deshalb ringe man um die Verankerung in den „realen Selbstverwaltungskörpern, den Gemeinden, Betrieben (!?) und Ausbildungsstätten“. Nun, nach allem was uns das Programm schon vorgeführt hat, wundert es uns nicht mehr wirklich, dass in einer bürgerlich-demokratischen Gesellschaft selbst Betriebe zu Selbstverwaltungskörpern mutieren. Es geht den AktivistInnen der Werkstatt vor allem darum den Einfluss der mit dem „Establishment verbundenen Parteien“ (Welche Parteien sind das und welche nicht?) zurückzudrängen und eine „alternative Staatmacht“ aufzubauen.Was ist aber ein Staat anderes als ein Instrument der herrschenden Klasse zur Unterdrückung? Wie sieht „alternative“ Unterdrückung aus? Dafür brauche es eine „Organisation, die sich mythischen Erklärungszusammenhängen verschließt“ und die „praktischen Erfahrungen der Menschen zum Kriterium der Bewertung politischer Projekte“ mache.Also weg mit all den Büchern und jahrzehntelangen Erfahrungen im Klassenkampf unserer Vorfahren? Es lebe der Hausverstand? Schlussfolgerungen Die Werkstatt verzichtet auf eine konkrete Analyse kapitalistischer Gesellschaften und den ihnen innewohnenden klassengesellschaftlichen Widersprüchen. Die Entwicklung einer System überwindenden Perspektive verwirft sie mit der lapidaren Absage an „zeitlich entfernte Utopien“. Der Gedanke, an klassenkämpferischen Traditionen anzuknüpfen, kommt ihr nicht in den Sinn. Der Aufbau einer revolutionären Partei, welche die Interessen der Lohnabhängigen vertritt, wird nicht einmal andeutungsweise in Erwägung gezogen. Sie propagiert den Austritt aus der Europäischen Union und die Errichtung einer Friedensrepublik Österreich, welche als bürgerlich-demokratischer Staat mit direkt-demokratischen Elementen angedacht ist. Privates Eigentum an den Produktionsmitteln, mit Ausnahme einer wieder verstaatlichten Industrie, soll offensichtlich unangetastet bleiben. Ihr Glaube an ein Überleben der Friedensrepublik im imperialistischen Weltgefüge beruht auf der kleinbürgerlich pazifistischen Illusion, dass Neutralität und Solidarität mit den „armen Ländern des Südens“ (basierend auf bilateralen Verträgen!?), ausrei-
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Friedensrepublik chen würden. Dies sei Grundlage „wirklichen Internationalismus“. Der Weg zur Friedensrepublik führe über Gemeindedemokratie und Selbstverwaltung bei gleichzeitigem Zurückdrängen der „mit dem Establishment verbundenen Parteien“. Damit reiht sich die Friedensrepublik ein in die zurzeit populären zivilgesellschaftlichen Vorstellungen, welche den unversöhnlichen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ausklammern. Ohne ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass es in Zeiten verschärften Konkurrenzdrucks keine wohlmeinende oder fortschrittliche Bourgeoisie, die als potentielle Bündnispartnerin auf „geduldige evolutionäre Strategien der Überzeugung und Gewaltlosigkeit“ hören würde, geben kann, wird das Lied von einer anderen möglichen Welt angestimmt. Diese letztlich reaktionären Vorstellungen von Klassenkollaboration und Reformismus werden von uns entschieden zurückgewiesen. Auch wenn Modelle dieser Art keine Chance auf reale Umsetzung haben, sind sie trotzdem von einer gewissen Bedeutung. Sie tragen dazu bei die Jugend, die fortschrittliche Intelligenz und die ArbeiterInnenklasse ideologisch zu entwaffnen und von den entscheidenden Aufgaben des Klassenkampfs abzulenken. In diesem Sinne ist auch die Idee der Friedensrepublik nicht Sand im Getriebe der herrschenden Klasse, sondern nur eine Art Sandmännlein kleinbürgerlicher Zauderer.
1 Mit der Volksfrontlinie reagierte die stalinistische Bürokratie in der Kommunistischen Internationale (Komnitern) mit einem 180-gradigen Kurswechsel auf die von ihr wesentlich mitverschuldeten Niederlage der deutschen ArbeiterInnen gegen den Nationalsozialismus (Jänner 1933). Hatten KPD und Komintern bis kurz vor der Machtergreifung Hitlers jede Einheitsfront mit der SPD kategorisch abgelehnt und die Sozialdemokratie sogar als “gefährlicheren Zwillingsbruder des Faschismus” denunziert, sollten nun Bündnisse sogar mit offen bürgerlichen, angeblich “demokratischen”, Kräften, geschlossen werden. Dazu musste natürlich das Programm der ArbeiterInnen in dieser Volksfront auf das Programm der beteiligten Bürgerlichen zurückgestutzt werden. Seltsame Blüten trieb diese Politik in Österreich, wo die kleine Kommunistische Partei in einigen Bundesländern an die austrofaschistische Vaterländische Front appellierte, doch bitte mit ihr eine “Volksfront” gegen den Hitler-Faschismus einzugehen ...
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Rechtsextreme Die Rolle der extremen Rechten in der EU Frage Auch Parteien, die in der österreichischen Parteienlandschaft weit bis ganz weit rechts stehen, vertreten zumindest nach außen hin eine kritische Position zum EU Reformvertrag.Wie die Haltung dieser Organisationen zu verstehen ist, soll im folgenden Kapitel erörtert werden. Das größte Sammelbecken der extremen Rechten in Österreich ist nach wie vor die FPÖ. Dabei ist das Verhältnis der FPÖ zur EU ein durchaus ambivalentes. Zum einen will sie sich als nationale Heimatpartei positionieren, die die Eigenständigkeit Österreichs ebenso wie seine Neutralität mit Zähnen und Klauen verteidigt. Gleichzeitig ist die FPÖ in ihrer Tradition auch eine wirtschaftsliberale Partei, die in den 80er und 90er Jahren erfolgreich Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung bekämpft hat und lieber heute als morgen so manches Arbeitsgesetz für null und nichtig erklären würde. Bei der so genannten Liberalisierung des Arbeitsmarktes, also der Aushöhlung und Abschaffung von Arbeitsgesetzen sind der FPÖ die diesbezüglichen Anstrengungen der EU durchaus willkommen. Der Kampf der FPÖ gegen die EU ist daher ein durchwegs halbherziger. Diese gespaltene Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch die EU-Politik der FPÖ. Bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs empfahl sie ein Nein, wohl wissend, dass das Ergebnis mit und ohne FPÖ Empfehlung ein klares Ja sein würde. Die FPÖ hat damals keineswegs eine aktive Nein Kampagne initiiert. Ein Nein wäre auch ganz und gar nicht im Sinne finanzstarker Kreise wie eines großen Papierindustriellen oder eines bekannten Möbelhauses gewesen, die die FPÖ persönlich und finanziell unterstützten. In der Frage der EU-Osterweiterung versuchte die FPÖ auf populistische Weise rassistisches und revanchistisches Gedankengut in der Bevölkerung für ihre Zwecke zu nützen. Eine besondere Rolle spielte dabei die Thematisierung der Benes Dekrete, bei der sie bei den aus dem Sudetenland Vertriebenen punkten konnte. In der aktuellen Debatte um einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union versucht die FPÖ geschickt, rassistische Positionen gegen türkische Gastarbeiter mit aktivem Antiislamismus zu verbinden. Dabei positioniert sich die Partei verstärkt als Verteidigerin des christlichen Abendlandes und deren Werte. Das Verhältnis zur katholischen Kirche ist ein eher diffuses. Die FPÖ ist traditionell
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Rechtsextreme eine antiklerikal agierende Partei. Ewald Stadler hat diese Position aufgeweicht. Der gläubige Katholik abseits der Amtskirche hat die Parteilinie darauf getrimmt, dass Christentum und Nationalismus einander in der FPÖ nicht mehr ausschließen. Zu keiner Zeit waren die Verbindungen zur katholischen Kirche jedoch auch nur annähernd so stark wie jene der ÖVP. In der aktuellen politischen Praxis zeigt sich das in der im November 2007 erhobenen Forderung des FPÖ Politikers und EUAbgeordneten Andreas Mölzer, die EU möge ihre Präsenz im Kosovo verstärken anstatt im Tschad zu intervenieren (Anmerkung: die Bevölkerung des Kosovo ist zu über 90 % islamischen Glaubens). Frei nach dem Wahlkampfmotto „Daham statt Islam“ wirbt man um die Gunst der national orientierten SerbInnen, die sich im Kosovo als Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen den Islam verstehen. Bei der Propaganda gegen einen EU-Beitritt der Türkei lautet das Hauptargument, dass die Türkei laut FPÖ-Definition nicht zu Europa gehört. Dabei hat sich die EU schon bei ihrer Gründung als Wirtschaftsgemeinschaft verstanden. Geografische Gesichtspunkte waren immer nachrangig. Die FPÖ hat sich mittlerweile in die Reihe der BefürworterInnen einer Volksabstimmung zum EU-Reformvertrag eingereiht. Sie versucht, sich als Verteidigerin der Unabhängigkeit Österreichs, die angeblich durch den EUReformvertrag gefährdet wäre, aufzuspielen. Dabei übersieht sie, dass Österreich längst von der EU wirtschaftlich abhängig ist – mit und ohne Reformvertrag. Das Eintreten für eine Volksabstimmung war dabei nicht immer die Position der FPÖ. Im Mai 2005 stimmten die FPÖ Abgeordneten mehrheitlich für die EU-Verfassung, lediglich Barbara Rosenkranz verweigerte die Zustimmung mit dem Hinweis auf das fehlende Referendum. Die FPÖ hat in punkto Befürwortung einer Volksabstimmung zum EU-Vertrag also keineswegs eine Vorreiterrolle inne, wie sie jetzt weismachen will. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die FPÖ eine auf Grund ihrer Nähe zu bedeutenden Vertretern der österreichischen Wirtschaft in hohem Maße unglaubwürdige EU kritische Haltung vertritt. Sie versucht sich krampfhaft, als Bewahrerin der Unabhängigkeit der Heimat zu geben und garniert ihre bis zur Lächerlichkeit überspitzte Darbietung mit einem kräftigen Schuss Rassismus und Antiislamismus. Niemals jedoch würde sie ernsthaft einen Austritt Österreichs aus der EU oder gar eine Zerschlagung der EU als ihr Ziel bezeichnen. Das BZÖ spricht sich wie die FPÖ gegen den EU-Reformvertrag aus.Als „Beweis“ für die Seriosität dieses Vorhabens legt das BZÖ 15.000 Unterschriften vor, die für die Abhaltung einer Volksbefragung in Kärnten gesammelt wurden. Es kritisiert auch
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Rechtsextreme die FPÖ, die für die Ratifizierung der EU-Verfassung gestimmt hat. Als Begründung für Ihre Ablehnung führt das BZÖ an, dass durch den EU-Reformvertrag die Eigenständigkeit Österreichs gefährdet sei. Damit will sie das nationalistische WählerInnenpotenzial ansprechen, ohne die Konsequenzen der Ratifizierung des EU- Reformvertrages näher auszuführen. Es scheint um nicht mehr als populistischen Stimmenfang zu gehen. In der Kosovo Frage unterscheidet sich das BZÖ von der FPÖ, da sie – wie die NATO und die meisten EU Staaten – die Eigenständigkeit des Kosovo befürwortet. Eine Verankerung bei in Österreich lebenden nationalistischen SerbInnen scheint also nicht geplant zu sein. Insgesamt setzt die BZÖ genau so wie die FPÖ auf die Österreich-Borniertheit nationalistischer WählerInnen. Nach der Zerschlagung von Organisationen wie der NDP und der ANR in den 80er und 90er Jahren formiert sich die extreme Rechte außerhalb und rechts der FPÖ in den letzten Jahren neu. Als ein Beispiel sei die Politik der NVP (Nationale Volkspartei) angeführt. Das Wesen des Kapitalismus negierend verlangt sie einen Austritt Österreichs aus der EU, um die „Konkurrenzfähigkeit und Eigenständigkeit Österreichs zu sichern“ – als ob der inländische Kapitalismus besser wäre bzw. das EU Kapital sich durch den EU-Austritt Österreichs an den Grenzen würde aufhalten lassen. Diese isolationistische Politik, die selbstverständlich trotzdem ganz im Rahmen des Kapitalismus betrieben werden soll, geht – wie bei der FPÖ - Hand in Hand mit ausländerfeindlichen Parolen. Zielgruppen sind dabei sowohl das Lumpenproletariat als auch die klein- und mittelständischen Betriebe, die zu den großen Verlierern der Akkumulation des Kapitals in den Händen weniger gehören.
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Soziale EU ATTAC – auf der Suche nach dem menschlichen Kapitalismus in der nachhaltigen, sozialen EU Am Anfang stand die Krise: Unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Turbulenzen in Asien, die 1997 die gesamte Weltwirtschaft erschütterten, veröffentlichte der Chefredakteur der bürgerlichen französischen Monatszeitung „Le Monde diplomatique“ Ignacio Ramonet im Dezember des gleichen Jahres einen Leitartikel, in dem er die Einführung einer Kapitalbesteuerung auf Devisengeschäfte forderte. Mit den Einnahmen sollten Maßnahmen zur „sozialen Abfederung“ der Folgen von Spekulationsgeschäften finanziert werden. Peter Waldorf und Peter Wahl von ATTAC Deutschland fassten in ihrer Broschüre „Devisenumsatzsteuer: Ein Konzept mit Zukunft“ die Grundidee dieser „Tobinsteuer“ folgendermaßen zusammen: „Die kurzfristigen Kapitalbewegungen müssen (...) reduziert werden. Eine Devisenumsatzsteuer erfüllt diese Funktion, indem sie kurzfristige Anlagen, die auf geringe Kursdifferenzen spekulieren, unrentabel macht. Damit werden die Menge und das Tempo der kurzfristigen Transaktionen reduziert, ohne dass Handelsgeschäfte, langfristige Kredite und Realinvestitionen abgeschreckt würden (Filterfunktion). Es wird Sand ins Getriebe geworfen, ohne dass das Getriebe seine Funktionsfähigkeit verliert. Eine Devisenumsatzsteuer ist daher ökonomisch sinnvoll und insbesondere entwicklungspolitisch wünschenswert.“ ATTAC Frankreich, im Juni 1998 als „Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Nutzen der Bürger“ gegründet, wurde die „Mutter“ der „ATTAC-Internationale“, die heute in 50 Ländern nach eigenen Angaben 90.000 Mitglieder organisiert. Sie alle eint die gemeinsame Ideologie: Sand ins Getriebe zu werfen, ohne das Getriebe zu beeinträchtigen. ATTAC Österreich umfasst, so wie die anderen nationalen ATTAC-Organisationen, eine Vielzahl von NGOs (70, wenn man der Homepage glauben darf): Neben Gewerkschaften finden sich kirchliche Organisationen bis hin zur Basisgruppe Senfkorn in Dornbirn, das Renner-Institut der SPÖ und der Weltladen Gloggnitz, die österreichische Sektion des „Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale“ SOAL und der „Wolf Tribe – Verein für spirituelle Lebensführung“.Auch eine buntscheckige Liste von EinzelunterstützerInnen darf nicht fehlen.
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Soziale EU ATTAC ist nicht antikapitalistisch. Das betonen die SprecherInnen der Organisation immer wieder – und wie könnte oder wollte das eine Organisation auch sein, die den breiten Reformkonsens bürgerlicher, kleinbürgerlicher und reformistischer Kräfte auszudrücken versucht? In der Charta von ATTAC Österreich wird das „Maximalprogramm“ des Bewegung klar festgeschrieben: „Wir wollen das Primat der Politik über die Wirtschaft wiederherstellen, beginnend bei der demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte. Wir wollen Handlungsspielräume für die regionale und nationalstaatliche Wirtschaftspolitik zurückgewinnen, um eine global nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, in deren Zentrum eine gerechte Verteilung steht.“ Es ist ein Ausdruck der internationalen Krise der ArbeiterInnenbewegung nach der Restauration des Kapitalismus in Russland und den anderen deformierten ArbeiterInnenstaaten, dass Organisationen wie ATTAC heute als „fortschrittliche“, „linke“ oder gar „radikale“ Kräfte durchgehen. Die von ATTAC angebotenen Lösungsvorschläge hätten in den 70er Jahren gerade noch als Teil eines rechts-sozialdemokratischen Regierungsprogramms getaugt. Die drei Säulen von ATTAC - „demokratische Kontrolle der Finanzmärkte“, nationale Wirtschaftspolitik und „gerechte Verteilung“ – zeigen deutlich, dass die „Bewegung der Bewegungen“ voll und ganz im Rahmen des bestehenden kapitalistischen Systems agiert und daher auch nur Vorschläge anbietet, die sich in diesem Rahmen bewegen. Die Wurzel des Kapitalismus, seiner Krisen und der von ihm verursachten Übel wird mit keinem Wort erwähnt oder gar in Taten angetastet: Das Privateigentum an den Produktionsmitteln, die Ausbeutungsverhältnisse in den kapitalistischen Unternehmen, die private Aneignung des produzierten Mehrwerts. Es kann daher nicht wirklich erstaunen, dass ATTAC (sowohl in Österreich als auch in anderen Ländern) keine prinzipielle Ablehnung der EU kennt. Die ATTACis glauben an eine demokratische, entmilitarisierte, sozial abgesicherte EU. Ihre SprecherInnen und ExpertInnen, die revolutionär-marxistische Antworten auf die „Intregrationspolitik“ der europäischen ImperialistInnen, eine radikale Ablehnung des Lügengespinstes einer „bürgerlichen Demokratie“ oder einer „BürgerInnenbeteiligung“ oder die vorantreibende Forderung nach den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa gerne herablassend als „utopisch“ abtun, machen sich selbst zu Herolden der utopischsten aller Phantasien – nämlich der von einem harmonischen, krisenfreien Kapitalismus, welcher dem Wohl der Allgemeinheit dient.
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Soziale EU In der Präsentation eines Papiers von 17 ATTAC-Organisationen vom März 2007 schreibt ATTAC Österreich: „Die europäischen Attacs haben vorgeschlagen, einen demokratischen Prozess zur Ausarbeitung und Annahme des gesamten neuen Vertrags zu starten. Allem voran muss eine von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte Versammlung eingesetzt werden. Die nationalen Parlamente müssen wirksam am Prozess beteiligt werden. Alle Mitgliedsstaaten müssen bei der Ratifizierung ein bindendes Referendum durchführen. Wir wollen einen kurzen Vertrag, der für sich alleine steht und von allen Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden kann. Demgegenüber wird uns wiederum ein langer und unlesbarer Text vorgelegt, der zudem hinter verschlossenen Türen abgefasst wurde. Er soll nun in der Mehrzahl der Mitgliedsländer von den Parlamenten ohne Änderungen abgesegnet werden“. Im 10-Punkte-Dokument der europäischen ATTAC-Gruppen wird deutlich ausgesprochen, dass die Stärkung der nationalen Parlamente ein wesentliches Ziel der „Bewegung“ ist: „Wir fordern eine Stärkung der nationalen Parlamente sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene: Die nationalen Parlamente müssen eine effektive Rolle in der europäischen und nationalen Gesetzgebung spielen.“ Die nationalen ATTAC-Organisationen befinden sich in einem eigenartigen Dilemma: Sie sind betont „pro-europäisch“ (was immer das heißen mag). Gleichzeitig müssen sie aber akzeptieren, dass die „EU“ nach wie vor eine bloße Summe von Nationalstaaten darstellt, deren Regierungen versuchen, gemeinsame Interessen kontinental durchzusetzen. Wobei dieses Durchsetzungsvermögen in erster Linie von der ökonomischen Macht der einzelnen Länder abhängt, wodurch Deutschland und Frankreich die einzigen echten „global player“ sind. Volksabstimmungen sollen also einen neuen, verständlichen „EU-Vertrag“ legitimieren. Gleichzeitig bezweckt ATTAC mit den Referenden aber noch mehr: „Dies [das Referendum] ist der einzige Weg, um den Graben, der zwischen der europäischen Elite und den Bürgerinnen und Bürgern aufgerissen worden ist, zumindest ein wenig zu verkleinern“. (Erklärung europäischer Attac-Organisationen zum EU-Reformvertrag, Frankfurt am Main 13.12.2007) ATTAC will also die (selbsternannten) europäischen „Eliten“ nicht beseitigen, sondern lediglich die Kluft zwischen ihnen und den „BürgerInnen“ verkleinern. Das
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Soziale EU erinnert frappierend an die Rechtfertigungen der österreichischen Gewerkschaftsbürokratie für ihren Sozialpartnerschaftskurs: In ihrer kapitalitischen Logik darf die Kapitalistenklassen nicht beseitigt werden, weil man ja dann niemanden mehr zum Verhandeln hat. Die soziale Ungleichheit soll ein „bisserl kleiner“ werden, denn man kann ja die „Kuh, die man melken will, nicht schlachten“ - wobei sich die Frage stellt, wer da eigentlich die Kuh ist ... Wenn man den Kapitalismus und damit auch seine politischen Ausdrucksformen nicht in Frage stellt, kann man keine alternativen Vorstellungen von einer „anderen Welt“, die nicht nur möglich, sondern nötig ist, entwickeln. Und das muss eine Welt jenseits des Kapitalismus sein, nicht seine „Vollendung“ oder „Verbesserung“ sondern seine Aufhebung, sein Sturz, seine Ersetzung durch eine sozialistische Gesellschaft als Vorstufe einer klassenlosen Gesellschaft. Daher kann sich ATTAC bei seinen Handlunsschemata auch nicht vom real existierenden Kapitalismus und seinen Staatsapparaten trennen. Auch wenn die Bürgerbeteiligung strapaziert wird – das Politik-Modell von ATTAC ist unzweifelhaft vom Geist und der Struktur des bürgerlichen Parlamentarismus geprägt: „Das Volk“ soll abstimmen, die bürgerlichen oder reformistischen Parteien in den nationalen Parlamenten sollen dann diesen „Volkswillen“ umsetzen. Das Beispiel Irland zeigt schlagend, dass der „Elite“ die Meinung des Volkes herzlich egal ist. Mobilisierungen sollen Druck auf die Herrschenden machen, „ohne dass das Getriebe seine Funktionsfähigkeit verliert“. Das maximale Ziel der ATTACis sind aufgeklärte Regierungen, denen die ExpertInnen der NGOs Ratschläge mit auf den Weg geben (dürfen). Die Zeiten und Spielräume für die Umsetzung der ATTAC-Vorstellungen sind aber vorbei. Konnten die europäischen ImperialistInnen in der Phase des Nachkriegsbooms bis in die späten 60er Jahre durch materielle Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse soziale Eruptionen verhindern und zügig die Integration von ArbeiterInnenfunktionärInnen (GewerkschafterInnen, sozialdemokratische PolitikerInnen...) in die staatlichen Institutionen betreiben, machte die Krise ab Beginn der 70er Jahre für die weltweite und daher auch europäische Bourgeoisie einen Schwenk nötig. Ein Verzicht auf Teile des Profits zwecks Ruhighaltung der arbeitenden Bevölkerung oder Korrumpierung der “ArbeiterInnenaristokratie” war in der kapitalistischen Logik nun nicht mehr vorgesehen, statt dessen wurden Frontalangriffe gegen die
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Soziale EU Gewerkschaften und die sozialen und politischen Rechte der ArbeiterInnen vorgetragen. Zum Vorbild für diese brachialen Attacken wurde die englische „Eiserne Lady“ Maragaret Thatcher, deren Pläne zur Zerschlagung der Bergarbeiter schon hart in Richtung Militärdiktatur gingen. Liest man die Zusammenfassung der „10 Punkte“ der internationalen ATTACis „Ein anderes Europa ist möglich und nötig“ kann man nur sagen: Solch eine „Opposition“ können sich die europäischen ImperialistInnen wirklich nur wünschen: „1. Einen demokratischen Prozess starten Ein neuer Konvent muss demokratisch von den EU-BürgerInnen gewählt und ein neuer Vertrag durch Referenda in allen Mitgliedsstaaten legitimiert werden. 2. Die Demokratie stärken Das Europäische Parlament muss das Gesetzesvorschlags- und Mitentscheidungsrecht in allen Politikfeldern erhalten sowie das Recht, die Kommissionsmitglieder einzeln zu wählen und abzuwählen. 3. Transparenz schaffen Alle Sitzungen und Arbeitsgruppen des Rates und der ständigen VertreterInnen müssen öffentlich sein. LobbyistInnen, Mitglieder des Parlaments sowie der Kommission müssen ihre Finanzierung offen legen. 4. Partizipation und direkte Demokratie fördern Der Bevölkerung soll nicht nur ein Vorschlagsrecht für Gesetze und das Instrument des Volksbegehrens gegeben werden, sondern auch das Instrument des Volksentscheids. 5. Grundrechte verbessern Die fortschrittlichsten Grundrechte müssen einklagbar verankert werden. Die EU muss der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten. 6. Demokratische Errungenschaften schützen und verbessern Demokratische Errungenschaften müssen geschützt und ausgebaut werden. Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards müssen in Kooperation erhöht werden. 7. Offenheit gegenüber alternativen Wirtschaftsordnungen Ein Vertrag darf kein bestimmtes Wirtschaftsmodell festlegen und muss auf allen
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Soziale EU Ebenen alternative Entscheidungen zulassen. Der “freie” Wettbewerb darf kein allem übergeordnetes Prinzip der EU sein. 8. Nicht Mittel, sondern Ziele definieren Ein Vertrag muss Ziele, nicht deren Mittel definieren: Ökologische Nachhaltigkeit muss den Binnenmarktfreiheiten übergeordnet werden. In der Geldpolitik ist Vollbeschäftigung wichtiger als “Preisstabilität”. In der Verkehrspolitik ist nachhaltige Mobilität wichtiger als Autobahnen. In der Agrarpolitik sind kleinbäuerliche Strukturen und gesunde Lebensmittel wichtiger als “Produktivitätssteigerung”. 9. Spirale nach oben bei Sozial- und Steuerstandards Das Steuer-, Sozial-, Lohn- und Umweltdumping muss in eine Aufwärtsspirale gewendet werden - durch ehrgeizige Mindeststandards, Korridore oder das Vorausgehen von Ländergruppen. 10. Friedenspflicht und Solidarität Ein Vertrag muss eine Friedens- statt Aufrüstungspflicht festschreiben.“ Die ersten vier Punkte nähren Illusionen in parlamentarische Strukturen, die ganz offensichtlich – als Instrument der Bourgeoisie als herrschender Klasse – an sich schon nicht wirklich demokratisch sind und sein können. Schon in den engen Grenzen des ach so demokratischen Österreich sehen wir tagtäglich, wie die bürgerliche Demokratie aussieht: Ein Polizeiapparat, der auf Zuruf das Geschäft der bürgerlichen Parteien erledigt (Bespitzelung des „parlamentarischen“ Gegners, zielgerichtete Ermittlungen gegen politische Gegner...); ein Nationalrat, der sowohl unter schwarz-blau und jetzt unter rot-schwarz völlig losgelöst von den Interessen der WählerInnen Sozialabbau betreibt, militärische Abenteuer absegnet (TschadEinsatz des Bundesheers...), und... und... und... Statt zu sagen: „Die bürgerliche Demokratie ist als eine Form der Klassenherrschaft der AusbeuterInnenklasse nicht reformierbar – nur die Herrschaft des Proletariats, das sich in eigenen, basisdemokratischen und rechenschaftspflichtigen Strukturen, den Räten, organisieren muss, um seine vorübergehende Herrschaft zu errichten, ist eine wirkliche Alternative.Vorübergehend, weil sie dazu tendiert, den Staat letztlich gänzlich zu beseitigen und in eine klassenlose Gesellschaft zu münden, in der Menschen nicht mehr über Menschen herrschen werden. Ebenso utopisch sind die Punkte 5 und 6:Wer soll denn „die Grundrechte“ schützen? Die EU und ihre Regierungen? Die sind doch selbst die größten Feinde irgend-
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Soziale EU welcher Grundrechte, die Einpeitscher von Sondergesetzen im Namen des „Kriegs gegen den Terror“, diejenigen, die Streiks per Richterbeschluss untersagen (siehe Deutschland) oder faschistische Banden auf streikende ArbeiterInnen loslassen (Griechenland). Die einzigen, die Grundrechte wirklich verteidigen können, sind wieder nur die ArbeiterInnen, die sich auf möglichst breite Schichten der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend stützen müssen. Als es 2003 in Österreich erstmals unter dem Druck der Empörung in den Betrieben über die „Pensionsreform“ zu einer breiten, vom ÖGB gegängelten Streikbewegung kam, hat man auch in der klassenkampfmäßig verschlafenen Alpenrepublik gesehen, welche gesellschaftliche Kraft potenziell die Möglichkeit hätte, den Herrschenden in den Arm zu fallen. Diese können sich bei der ÖGB-Bürokratie dafür bedanken, dass sie ihnen „sozialpartnerschaftlich“ dabei geholfen hat, die Proteste einzudämmen und so letztlich ihre Pläne durchsetzen hat können. Punkt 7 – keine Festlegung auf eine bestimmte Wirtschaftspolitik - ist zwar „positiv“ antineoliberal gemeint. Aber: Die Idealisierung „verstaatlichter“ oder kommunaler Unternehmen ist keine Alternative zur derzeitigen Wirtschaftspolitik des Kapitals. Gerade in Krisenzeiten haben selbst die allerliberalsten Regierungen immer wieder zu Verstaatlichungen gegriffen, wenn es notwendig war, die Erhaltung strategisch wichtiger Wirtschaftszweige durch Überwälzung der Kosten auf die arbeitende Bevölkerung zu garantieren. Erhalten blieb freilich (vermittelt durch den bürgerlichen Staat) die Privatisierung der Gewinne...Verstaatlichungen und Kapitalismus schließen einander also keineswegs aus.Trotzdem sind wir bereit, Forderungen nach Wiederverstaatlichungen zu unterstützen, wenn sie von den betroffenen Arbeiterinnen oder aus der werktätigen Bevölkerung kommen. Gleichzeitig müssten wir aber vor der Illusion in „Verstaatlichungen als Allheilmittel“ warnen. Die Punkte 8 bis 10 schließlich sind die klassischen Appelle an die KapitalistInnenklassen, doch bitte endlich ein bisschen weniger grausam zu sein. Dass diese aber keinerlei Interesse an Vollbeschäftigung hat, sondern ganz im Gegenteil ein immer größeres Arbeitslosenheer als LohndrückerInnen benötigt; dementsprechend Sozialleistungen abbaut statt sie auszuweiten; und letztlich bereit ist,Truppen rund um den Globus zu schicken, wenn sich damit Marktanteile - nicht nur im übertragenen Sinn - erobern lassen.
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Soziale EU ATTAC bietet also keine Alternative zum bürgerlichen Entwurf der EU.ATTAC propagiert eine „EU reloaded“. In einer Frage sind wir aber bereit, eine Forderung von ATTAC aufzugreifen: In jener der Nachhaltigkeit.Wir können nämlich nicht nachhaltig genug vor dem prokapitalistischen Programm dieser „Bewegung der Bewegungen“ warnen.
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Linksparteien Die „Europäische Linke“, die KPÖ und der “Kampf ” für ein friedliches, soziales, feministisches Europa Die InitiatiorInnen der österreichischen Initiative für eine Volksabstimmung gegen den Lissabon-Vertrag haben sich bemüht, die „Überparteilichkeit“ ihrer Plattform dadurch zu manifestieren, dass politische Parteien nicht als UnterstützerInnen genannt werden.Andererseits sind bekannt „überparteiliche“ Jugendorganisationen wie der Kommunistische Studentinnenverband oder Revolution („Jugendorganisation“ der Liga für die sozialistische Revolution) auf der Startseite der „Plattform“ verlinkt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass sich vor allem die Kommunistische Partei Österreichs mit Feuereifer in die Kampagne für eine Volksabstimmung einbringt. Die gesamte KPÖ? Nein – denn in einem kleinen Bundesland, in dem die Partei, gemessen am Rest Österreichs ausgesprochen gut dasteht, leistet eine Landesorganisation erbitterten Widerstand. In der Steiermark nämlich... Dahinter verbergen sich Meinungsunterschiede, die mit der fundamentalen europapolitischen Ausrichtung der KPÖ-Führung in Wien zusammenhängen. Ihren wichtigsten Ausdruck findet diese Ausrichtung in der Tatsache, dass die Baier-KPÖ zu den Gründungsmitgliedern der „Europäischen Linken“ zählt. Die im Mai 2004 gegründete „Europäische Linke“ ist keine im Europaparlament vertretene Fraktion (die der EL angehörenden Europaparlamentsabgeordneten gehören der Fraktion der „Vereinten Europäischen Linke/Nordische Grüne Linke“ an), sondern eine eigenständige suprantionale Partei – oder zumindest beansprucht sie das zu sein. Federführende Kraft bei der Gründung der EL war die italienische Rifundazione Comunista, also eine der Nachfolgeorganisationen der alten italienischen Kommunistischen Partei. Auf welcher Grundlage steht nun diese „Europäische Linke“, der in Österreich ein Flügel der Rest-KPÖ angehört? „Wir fühlen uns den Werten und Traditionen des Sozialismus, des Kommunismus und der Arbeiterbewegung, der feministischen Bewegung und der GeschlechterGleichheit, der Umweltbewegung und einer nachhaltigen Entwicklung, des Friedens und der internationalen Solidarität, der Menschenrechte, des Humanismus und des Antifaschismus, des progressiven und liberalen Denken im nationalen und internationalen Rahmen verpflichtet“, erklärten die Gründermütter- und väter der EL in ihrem Programm vom 8. und 9. Mai 2004. „Für uns bestehen Rolle und Aufgabe der
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Linksparteien politischen Linken in Europa darin, einen Beitrag zur Herstellung eines breiten sozialen und politischen Bündnisses für eine radikale Veränderung der Politik zu leisten, indem wir konkrete Alternativen und Vorschläge für diese notwendige Transformation der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaften entwickeln. Darin sehen wir unsere Verantwortung und die Möglichkeit, all jene anzusprechen, die sich für eine gerechtere Gesellschaft als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben des Individuums einsetzen. Wir wollen linke Politik dauerhaft als selbständiges, selbstbewusstes politisches Projekt etablieren, das zur Durchsetzung von Solidarität und Demokratie, von sozialen und ökologischen Alternativen beitägt“. Das klingt nett, aber nicht neu. Seien wir ehrlich – klingt das nicht genau wie die programmatische Erklärung einer x-beliebigen sozialdemokratischen Partei? Da gibt’s das unvermeidliche Bekenntnis zu den Traditionen des Friedens, der Solidarität, des Antifaschismus – und wozu? Nicht, um den Kapitalismus in Europa (und damit meinen wir mehr als die EU) zu stürzen und die Ausbeutung zu beenden, sondern – um die kapitalistische Gesellschaft zu „transformieren“, eine „gerechtere“ (also nicht eine gerechte!) Gesellschaft zu schaffen. Die Gründungsmitglieder der EL stammen samt und sonders aus der Tradition des Stalinismus.Wir meinen damit nicht, dass die ParteiführerInnen oder Mitglieder dieser Parteien zu Hause Stalinbilder hängen hatten und haben oder ununterbrochen aus den Schriften Stalins zitieren. Der Stalinismus kennzeichnet eine politische Ideologie, die grundlegend in der Sowjetunion unter Josef W. Stalin, dem führenden Vertreter der nachrevolutionären Bürokratie, entwickelt wurde und daher untrennbar mit seinem Namen verbunden ist. Die Merkmale des Stalinismus waren: Die Ablehnung der Idee der Weltrevolution, um die ImperialistInnen „nicht zu reizen“; die Propagierung der reaktionären Vorstellung, dass der Sozialismus in einem Land (in der UdSSR) aufgebaut werden könne (während der Kapitalismus sich immer mehr internationalisierte, wurde so ein engstirniger, dem Sozialismus wesensfremder Nationalismus propagiert, dem alle Interessen der kommunistischen Bewegung außerhalb der Sowjetunion untergeordnet wurden). Die Bildung von Volksfronten oder „antiimperialistischen Einheitsfronten“, also organischen Bündnissen mit bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien in vorrevolutionären oder revolutionären Situationen (Frankreich und Spanien 1936 ...), in denen das Programm des Proletariats auf das Programm der bürgerlichen Klassen
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Linksparteien zurückgestutzt wurde. Und natürlich auch die gewaltsame Beseitigung jeder Opposition gegen die herrschende bürokratische Linie. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus (nicht nur in Russland, sondern auch in den anderen deformierten ArbeiterInnstaaten, die fälschlich als „realer Sozialismus“ bezeichnet wurden) gerieten die internationalen KPen in eine tiefe Krise. Eines der wesentlichen Merkmale ihrer Existenz war plötzlich abhanden gekommen – die Unterordnung unter die Kreml-Bürokratie und dafür im Gegenzug diverse ökonomische und politische „Geschenke“. Sie mussten sich also in der veränderten Welt nach 1989 neu orientieren und positionieren. In Osteuropa verwandelten sich führende FunktionärInnen der alten stalinistischen Parteien bruchlos in „Liberale“, mutierten als „Bisnesmen“ zu Sachwaltern des internationalen imperialistischen Kapitals und wurden konservative NationalistInnen; in Westeuropa versuchten die KPen, den von den meisten sozialdemokratischen Parteien schon längst aufgegebenen Platz der „klassischen“ reformistischen Partei einzunehmen. Genau diese reformistischen Ideale spiegeln sich in der programmtischen Erklärung der EL wider. Ganz massiv werden in den Schlussabsätzen des EL-Programms die einschlägigen Phrasen gedroschen: „Wir setzen uns für eine alternative, eine sozial-ökologische und nachhaltige Entwicklung, für einen Umbau der Wirtschaft ein, der auf dem Schutz von Umwelt und Klima, auf dem Grundsatz der Vorsorge, dem Einsatz umweltfreundlicher Technologien, auf lebenslangersozialer Solidarität, der Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Unterstützung benachteiligter Regionen der Erde beruht. Wir wollen, dass der Ausschuss der Regionen sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss als wesentliche Institutionen einer demokratischen Regionalpolitik der EU stärker an der Entscheidungsfindung der europäischen Institutionen beteiligt werden. In der EU stoßen Interessengegensätze aufeinander. Uns gibt das neuen politischen Raum für den Klassenkampf zum Schutz der Arbeiterinteressen, der Demokratie sowie der europäischen Gesellschaft mit ihren Organisationen und Institutionen, darunter das Europäische Parlament. Die EL verpflichtet sich, dazu beizutragen, dass die großen Veränderungen, die sie anstrebt, Realität werden, was zu einer ständigen Vertiefung von Frieden,
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Linksparteien Demokratie und sozialer Gerechtigkeit führen wird. Kämpfen wir gemeinsam für eine neue Gesellschaft, für eine Welt, frei von Ausbeutung und Krieg. Wir sagen heute: Eine andere Welt ist möglich. Die Zukunft ist hier. Es gibt kein Ende der Geschichte.“ Besonders bemerkenswert ist das Bekenntnis zur Stärkung des Europäischen Parlaments. Hier findet die generelle Linie der „Europäischen Linken“ ihren klarsten politischen Ausdruck: Nämlich die Rolle der „begeisterten linken EuropäerInnen“, der VerteidigerInnen der EU „von links“. Die nationalen Mitgliedsorganisationen der „großen, europaweiten Linkspartei“ haben dadurch einen wunderbaren Fluchtweg, wenn der Klassenkampf im jeweiligen Land ein Eingreifen an der Seite der ArbeiterInnen, der Jugend oder anderer werktätiger Schichten erforderlich macht: Sie konzentrieren ihr rhetorisches Feuer auf „Brüssel“ und tun so, als ob ihre nationalen Bourgeoisien arme, liebenswerte Menschenfreunde wären, die von raffgierigen und bösartigen „Eurokraten“ zu Sozialabbau, Rentenklau und der Zerschlagung öffentlicher Dienstleistungen gepeitscht würden, ganz gegen ihren Willen. Statt den europäischen ArbeiterInnen zu sagen, dass die reaktionären Maßnahmen der Regierungen durch entschiedenen Widerstand auf nationaler Ebene – aber natürlich im solidarischen Bündnis mit den ArbeiterInnen anderer Ländern, in denen ähnliche Angriffe durchgeführt werden! - bekämpft werden müssen, verschafft dieses mit-dem-Finger-auf ’s-ferne-Brüssel-zeigen den europäischen Bourgeoisien oft genug eine unverdiente Atempause. Der Widerstand der steirischen KP gegen den Europakurs der Wiener Parteileitung fand vor allem bei den mittlerweile aus der KPÖ ausgeschiedenen Hardlinern der „Kommunistischen Initiative“ freudige Unterstützung. Mit einer klassenkämpferischen Terminologie kritisieren die Steirer ihre Mutterpartei. So heißt es in einer Erklärung von Landesvorsitzenden Parteder anlässlich des 1. Kongresses der EL in Athen 2005: „Es gibt bei der EU-Linkspartei demnach nur die vage Vorstellung eines ‘neuen Sozialkontrakts für das 21. Jahrhundert’. Es fehlt jede Erwähnung des Sozialismus als eines strategischen Zieles oder der Schaffung einer Gesellschaftsordnung, die eine Alternative zum Kapitalismus darstellt. Die Kommunistische Bewegung werde überhaupt nicht erwähnt.“ Dieser Kritik können wir durchaus zustimmen. Aber – welche Alternative schlägt die steirische KPÖ vor? Ihr Kurs geht in Richtung der Propagierung eines EU-
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Linksparteien Austritts. Damit verknüpft sind Illusionen in die Möglichkeit einer „besseren“ Sozial- und Friedenspolitik, wenn das österreichische Kapital die Fesseln des „transnationalen“ europäischen Imperialismus (der eine Fiktion ist) abgeschüttelt hat. Die beiden Flügel der KPÖ weisen in entgegengesetzte Richtungen, aber: Beide sind Sackgassen. Die eine Sackgasse ist die der Integration in das imperialistische EUKonzept, die andere ist die eines nationalen Rückzugs zwecks einer kleinstaatlerischen Krisenlösung. Als Revolutionäre sind wir in der EU-Debatte verpflichtet, auf die „Argumente“ unserer Gegner einzugehen. Wir sind aber nicht gezwungen, das von ihnen vorgegebene Spielfeld auch als unser Terrain zu akzeptieren. Das heißt: Die Alternative ist nicht „Hie EU, da Nationalstaat“. Die Perspektive liegt außerhalb dieser falschen Orientierungen – sie liegt im Ziel der Schaffung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.
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Vereinigte Sozialistische Staaten Für die Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa! Im Gegensatz zu den in dieser Broschüre kritisierten reformistischen (Eurolinke), zentristischen (diverse „Linksradikale“ in der Volksabstimmungs-Plattform) und sozialdemokratischen Positionen treten wir weder für eine Reform der EU ein, noch für einen Austritt und den Heilsweg eines noblen nationalen Isolationismus. Beide Perspektiven sind die Kehrseite der gleichen Medaille – des Glaubens daran, dass der Kapitalismus eine Zukunft hat, von der sich die Ausgebeuteten irgendeine Verbesserung ihrer Lage erwarten können. Das ist der Traum von der Rückkehr des goldenen Zeitalters des kapitalistischen Booms nach dem 2. Weltkrieg, als sich die Bourgeoisie den Luxus leisten konnte, in den entwickelten Industrieländern durch Zugeständnisse an die Massen den Klassenfrieden zumindest teilweise erkaufen zu können. Dass dieser Boom durch Aufrüstung und Krieg (Stichwort: Koreakrieg) genährt wurde, wird nur allzu gerne vergessen. Gestützt auf die Klassenruhe in den Metropolen und die Integration der ArbeiterInnenbürokratien (Parteien und Gewerkschaften) in die Staatsapparate und Regierungen versuchte der Imperialismus freie Hand für die Unterdrückung der Aufstände der Ausgebeuteten in den kolonialen und halbkolonialen Ländern zu erlangen. Die EU-Befürworter argumentieren folgendermaßen: Der Imperialismus ist heute, im Zeitalter der “Globalisierung”, in eine neue Phase eingetreten, in der er sich noch höher entwickeln kann, als bisherige Theorien angenommen haben. Er ist fortschrittlich, weil er die Welt noch mehr umspannt, nationale Grenzen verwischt und letzten Endes überflüssig macht. Europa (wie immer dieser Begriff auch politisch und geographisch definiert werden mag) kann zu einem “Superstaat” zusammenwachsen, womit kontinental Spannungen zwischen den Staaten verschwinden, die Kriegsgefahr minimiert und der Weg zu einer Expansion der kapitalistischen Ökonomie geebnet wird. Oft und gerne wird das Beispiel der Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika herangezogen um zu zeigen, wie dieses “nation building” funktionieren kann. Dabei fällt in erster Linie eines auf - nämlich die völlige Ignoranz derjenigen, die diese Vergleiche anstellen. Die Vereinigten Staaten sind aus der Erhebung der jungen amerikanischen Bourgeoisie gegen die britische Kolonialmacht im ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden. So wie die französische Bourgeoisie war die ame-
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Vereinigte Sozialistische Staaten rikanische damals noch eine aufstrebende, revolutionäre Klasse, welche die Nation gegen die feudale Fremdherrschaft einte und deren Joch abschüttelte, um ihre eigene Klassenmacht zu errichten. Dieser - objektiv - fortschrittliche Charakter einer jungen KapitalistInnenklasse drückte sich dann im amerikanischen Bürgerkrieg in der Niederwerfung der sklavenhalterischen Großgrundbesitzer der Südstaaten aus. Denn die amerikanische Bourgeoisie konnte sehr wohl noch eine Höherentwicklung der Gesellschaft ermöglichen. Der Großgrundbesitz im Süden war das überkommene Überbleibsel feudaler Strukturen, die aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits überholt waren. Daher auch das Festklammern der Südstaaten-Oligarchie an der Sklaverei. Im Norden der USA hatte inzwischen eine zügige Industrialisierung begonnen, die zur Herausbildung einer modernen Bourgeoisie und ihres notwendigen Gegenstücks, einem modernen Proletariat, geführt hatte. Der Stagnation im Süden stand die Dynamik im Norden gegenüber. Zugleich zeigte sich aber auch, dass die Bourgeoisie im Augenblick ihres revolutionärsten Sieges bereits gegenüber den werktätigen Massen zutiefst konterrevolutionär wird: Weder wurde die versprochene SklavInnenbefreiung verwirklicht (auch wenn am Papier die Sklaverei abgeschafft wurde, blieb die schwarze Bevölkerung weiterhin in den meisten Belangen rechtlos. Bis zum heutigen Tag sind Schwarze, aber auch Latinos, Zuwanderer aus Asien oder den arabischen Ländern Opfer des imperialistischen Staatsrassismus) noch die Entstehung einer unabhängigen ArbeiterInnenbewegung toleriert oder die Unterdrückung und Ausrottung der indigenen Bevölkerung beendet. Bereits sehr früh setzten die amerikanischen KapitalistInnen private paramilitärische Truppen gegen streikende ArbeiterInnen ein (das war zum Beispiel einer der Haupteinnahmequellen der legendären Detektei Pinkerton) oder benutzte sie, um die Versammlungslokale der ArbeiterInnen oder die Redaktionen proletarischer Zeitungen zu verwüsten. Das nationale Zusammenwachsen der Staaten Nordamerikas diente der kontinentalen Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise, der Schaffung des bestmöglichen staatlichen institutionellen Rahmens zur Sicherung der Ausbeutung der Arbeitskraft und der Akkumulation von noch mehr Kapital. Die Idee der “Europäischen Gemeinschaft”, der “Wirtschaftsgemeinschaft” und heute der EU hingegen entstand zu einem Zeitpunkt, als die europäische Bourgeoisie ihre fortschrittliche Rolle bereits seit Jahrzehnten erschöpft hatte. Zwei Weltkriege hatte das Kapital im 20. Jahrhundert hervorgebracht, und jedem dieser Kriege folgten Revolutionen oder zumindest revolutionäre Eruptionen, welche die herrschenden Klassen aller Länder in Angst und Schrecken versetzten und ihre konterrevolutionäre Energie anstachelten. Zugleich hatte jeder dieser
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Vereinigte Sozialistische Staaten Weltkriege den Schwerpunkt der imperialistischen Machtentfaltung immer deutlicher nach Übersee verlagert.Während die europäischen ImperialistInnen im Kampf um die Vorherrschaft in der Welt Millionen und Abermillionen Menschen auf den Schlachtfeldern ihrer Kriege opferten, profitierten die nordamerikanischen ImperialistInnen von der wechselseitigen Schwächung ihrer europäischen RivalInnen. Nach dem zweiten imperialistischen Weltkrieg sahen sich die US-ImperialistInnen angesichts der drohenden Gefahr revolutionärer Erhebungen in Italien, Griechenland und Frankreich, aber auch der Entstehung antifaschistischer Komitees in Deutschland, die teilweise räteähnliche Züge annahmen, gezwungen, sich stärker dem alten Kontinent zu zuwenden. Hier sollte ihr strategisches Ziel erreicht werden - die Zerschlagung der mittlerweile unter Stalin entarteten Sowjetunion, die aber, trotz alledem,als Produkt der ersten siegreichen proletarischen Revolution nach wie vor ein Attraktionspol für revolutionär gesinnte ArbeiterInnenschichten war und zugleich ein Sechstel der Erde dem Zugriff des kapitalistischen Weltmarktes entzog. Der Marshall-Plan und die Gründung der NATO sollten die europäischen kapitalistischen Staaten stabilisieren und in die große antikommunistische Allianz mit den USA eingliedern. Selbst die Wiederaufrüstung Deutschlands wurde seitens der USAdministration in Kauf genommen, um den eisernen Würgegriff gegen die Sowjetunion und die nach 1946/47 entstandenen deformierten ArbeiterInnenstaaten verstärken zu können. Nach der Zurückdrängung der revolutionären Welle mit Unterstützung der reformistischen und stalinistischen Parteien (Stalin hatte 1945 auf den Konferenzen von Yalta und Potsdam der Aufteilung der Welt in Einflusssphären zugestimmt und damit in Westeuropa und Griechenland den ImperialistInnen freie Hand bei der Unterdrückung der Partisanen- und ArbeiterInnenbewegungen gegeben) zeigten die erstarkten europäischen KapitalistInnen aber wenig Dankbarkeit. Durch wirtschaftliche und auch militärische Bündnisse wollten sie sich gegenüber dem dominanten “großen Bruder” USA größeres Gewicht verschaffen, um zum richtigen Moment als RivalInnen in die internationale Arena treten zu können. Angebliche “Erbfeinde” wie Frankreich und Deutschland - genauer: deren jeweilige bürgerliche Staatsführungen! - begannen im Namen der “Montanunion” miteinander zu turteln. Mittlerweile ist die EU auf 27 Mitgliedsstaaten angewachsen. Den Ton geben nach wie vor der deutsche und französische Imperialismus an. Die englische Bourgeoisie hat sich durch ihre servile Anpassung an den US-Imperialismus selbst aus der führenden Riege Europas herauskatapultiert.
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Vereinigte Sozialistische Staaten EU-Mitgliedsstaaten –Konkurrenten mit gemeinsamen Interessen Ist diese Ausweitung der EU nun ein Ausdruck eines “europäischen Erwachens”, eines Verschmelzens, einer neuen Etappe der imperialistischen Zentralisierung? Nun - halten wir eines einmal fest: Während in Festreden die Einheit Europas beschworen wird, nimmt die Zahl der Staaten in Europa nicht ab, sondern zu. Der nationalstaatliche Rahmen ist und bleibt nach wie vor die Ebene, auf der Kapital akkumuliert wird, das Finanzkapital seine Hauptquartiere errichtet und die Ausbeutung organisiert und durchgezogen wird. Zugleich zerschlagen die westeuropäischen Imperialismen in Zentral- und Osteuropa bedenkenlos Staaten und fördern eine skurrile Kleinstaaterei, die aber (Stichwort Ex-Jugoslawien) für die dort lebenden arbeitenden Menschen verheerende Konsequenzen hat. Andererseits gehen sie mit brutaler Repression gegen Kräfte vor, welche die “Integrität” der “kerneuropäischen Staaten” (Stichwort: baskische NationalistInnen in Frankreich und im Spanischen Staat, irische RepublikanerInnen) in Frage stellen. Aber entsteht nicht vor unseren Augen ein neues, mächtiges gesamteuropäisches Finanzkapital, das keine Nationalität mehr kennt? Nun - zweifelsohne geht weltweit der Konzentrationsprozess des Kapitals weiter. Sehr deutlich aber zeigt sich auch die wechselseitige Verbindung zwischen imperialistischen Nationalstaaten und “ihren” jeweiligen Konzernen. Am Beispiel EADS betont Jean-Pierre Froehly als Leiter der Arbeitsstelle Frankreich im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin: „So bleibt trotz weitgehender deutsch-französischer Annäherung im Zeichen des angelsächsischen Modells die Rolle von Kommunikation und von Diplomatie so wichtig wie eh und je.“1 Die Financial Times Deutschland berichtet am 07.03.2008 unter dem Titel „Verschärfter Staatsschutz für EADS“ über geplante Satzungsänderungen, die den Einfluss von Paris und Berlin sichern sollen. Im vergangenen Sommer hätte es darüber Gespräche zwischen Sarkozy und Merkel gegeben. Thema wäre der Schutz vor feindlichen Übernahmen aus dem Ausland gewesen. Im Sinne des „angelsächsischen Modells“ verfolgen die Mitgliedsstaaten der EU allerdings auch gemeinsame Ziele. Um ihre Profitgier zu befriedigen, erklären sie
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Vereinigte Sozialistische Staaten Deregulierung und Privatisierung zur Doktrin. Mit dem EU-Reformvertrag soll eine “offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb” durchgesetzt werden, die nun auch den Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung den Schutz durch die nationalen Parlamente entziehen soll (Art. 207,VAE). Dies bedeutet nichts anderes als den Versuch die öffentlichen sozialen Sicherungssysteme auf Kosten der Mehrheit einer raffgierigen Minderheit zu opfern. Um diese Angriffe auf die Lebensqualität der Lohnabhängigen auch möglichst ohne Widerstand durchführen zu können, wird das „EU-Recht“ entsprechend formuliert und angewandt. EU-Recht und Gewerkschaftsbürokratie – Giftmischung für Lohnabhängige! Im folgenden beziehen wir uns auf eine Analyse der EURechtssetzung von Armin Kammrad 2 Entsprechend der freimarktwirtschaftlichen und zynischen Logik des EUReformvertrages ergeben sich schwerwiegende rechtliche Konsequenzen für gewerkschaftliche Handlungsspielräume. Kollektivvertragsverhandlungen unterliegen Verträgen, welche – rein juristisch betrachtet – die Rahmenbedingungen für Gewerkschaftspolitik einschränken können und dies tatsächlich auch tun. Dies betrifft insbesondere gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen wie Streiks. Nach Artikel 28 der Grundrechtscharta bzw. Art. II-88 EU-Verfassung unterliegen KV-Verhandlungen und Kollektivmaßnahmen (also auch Streiks) „dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“. Letztere gelten aber nur, wenn sie dem EU-Recht nicht widersprechen. Art. 28 der Grundrechtscharta sieht zwar das Recht „Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenskonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen“ vor, schränkt dieses aber ein: „Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte (....) erfolgt (nur) im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen und Grenzen“ (Art.52 Abs.2). „Einschränkungen der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheit“ sind möglich, sofern sie „gesetzlich vorgesehen“ sind „und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten“ (Art. 52 Abs.1).
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Vereinigte Sozialistische Staaten Diese für Nicht-JuristInnen verwirrenden Formulierungen zeichnen den EUReformvertrag aus. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) macht allerdings klar, wie diese Regelungen zu verstehen sind. Die schwedische Gewerkschaft Byggnadsarbetareförbundet scheiterte 2004 am EU-Recht, als sie von der lettischen Baugesellschaft Laval un Partneri vor dem schwedischen Arbeitsgericht, welches seinerseits den EuGH anrief, auf Schadensersatz geklagt wurde. Anlass dafür waren die Blockaden der Baustellen der Tochtergesellschaft Lavals, L&P Baltic Bygg AB, durch die Gewerkschaft, weil sich diese weigerte, für alle lettischen Kollegen Löhne zu bezahlen, die dem schwedischen Bautarif (KV) entsprechend, über den nach dem schwedischen Arbeitnehmerentsendegesetz geregelten Mindestarbeitszeit- und Beschäftigungsbedingungen liegen. Der EuGH befand diesen Streik für „gemeinschaftsrechtswidrig“. Er meinte, dass es Schweden der Gewerkschaft nicht hätte überlassen dürfen, selbst KV-Verhandlungen mit ausländischen EU-Dienstleistern zu führen. Denn nach der Richtlinie 96/71/EG ist es einem Aufnahmemitgliedsstaat nicht erlaubt, Forderungen zu stellen, die „über ein Mindestmaß an Schutz hinausgehen“ (EuGH C- 341/05). Dieses Mindestmaß legt der Gesetzgeber fest, nicht die Gewerkschaft, Armin Kammrads schließt daraus: „Für die Gewerkschaften bedeutet dies, dass Tarifverhandlungen mit ausländischen Unternehmen nur über ein von der EU abgesegnetes Mindestniveau geführt werden sollen, was über staatliche EU-konforme Regelungen nicht hinausgehen soll. Verlegt z. B. ein deutsches Unternehmen seine Produktion nach Polen, können polnische Gewerkschaften zwar um ein deutsches Lohnniveau kämpfen, nicht jedoch deutsche den Kampf ihrer polnischen Kollegen durch Streik unterstützen. Der europäischen Kapitalfreiheit steht also ein Verbot europäischer Streikfreiheit gegenüber, was die eine Seite stärkt, die andere jedoch zugleich schwächt. „Streikrecht“ bedeutet nach EU-Verständnis nur das Recht im nationalen Rahmen Tarifauseinandersetzungen zu führen, ein europäisches – also europaweites – Streikrecht existiert nicht.“ Auf diese Weise wird also ein EU-weites Lohndumping rechtlich abgesegnet. Natürlich handelt es sich hier „nur“ um juristische Bestimmungen, die gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen zwar schwer behindern können, aber nicht völlig verunmöglichen müssen. Dies ist vor allem eine politische Machtfrage und eine Frage der Kampfbereitschaft der Gewerkschaften selbst. Wenn wir uns aber am Beispiel des ÖGB vergegenwärtigen wie staatstragend politisch korrumpierte
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Vereinigte Sozialistische Staaten GewerkschaftsbürokratInnen agieren, können wir uns gut vorstellen, was wir Lohnabhängige zu erwarten haben. Lassen wir einfach den Präsidenten der österreichischen Gewerkschaftsbürokratie selbst sprechen: “Auf dem was drinnen ist können wir aufbauen”. Darin „waren sich ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer, Vizepräsident Norbert Schnedl sowie die Abgeordneten zu EU-Parlament Othmar Karas und Harald Ettl in der Einschätzung des EU-Reformvertrages einig“ und präsentierten bei einer Pressekonferenz in Wien am 04.12.2007 gemeinsam eine Broschüre mit dem Titel “Einer für alle - Worum geht es beim EU-Reformvertrag?”. „Festung Europa“ - Abschottung nach außen, Kontrolle nach innen Die geplanten und bewusst angepeilten sozialen Zuspitzungen bedürfen nicht nur repressiver Anti-Gewerkschafts-Gesetze sondern machen auch den Ausbau von Überwachungsgesetzen und eine fortschreitende technische Aufrüstung polizeistaatlicher Einrichtungen notwendig. Dabei stellt die Abwehr von MigrantInnen, die „illegal“ in die EU einreisen wollen, mit ihren ausgefeilten Techniken sozusagen eine Generalprobe vor einem Einsatz gegen die „eigene“ Bevölkerung dar. In den letzten zehn Jahren sind an den europäischen Außengrenzen über 5.000 Flüchtlinge (Organisation Pro Asyl) ums Leben gekommen. 1999 wurden mit dem Schengen-Protokoll die Kontrollen an den Binnengrenzen aufgehoben. Die Überwachung der EU-Außengrenzen wurde aber verschärft. Digitale Datenbanken mit millionenfachen Personen bezogenen Daten und anderen Überwachungs- und Abwehreinrichtungen wie z.B. FRONTEX, sorgen dafür, dass möglichst wenige unerwünschte Menschen in die EU gelangen können.3 Elias Bierdel (Kölner Journalist und Buchautor;Träger des Georg-Elser-Preis 2007) berichtete darüber wie die EU dabei geltendes Völkerrecht missachtet.4 Über kleine Inseln wie Chios oder Samos, die nur wenige hundert Meter vom asiatischen Festland entfernt sind, versuchen viele Flüchtlinge auf EU-Territorium zu gelangen. Ein Flüchtling berichtete von Folterungen auf hoher See bis hin zur Scheinhinrichtung. Er sei von der Küstenwache mit dem Kopf unter Wasser getaucht worden, man habe ihm eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und zugehalten, bis er keine Luft mehr bekommen hätte. Diese Berichte haben sich als so
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Vereinigte Sozialistische Staaten überzeugend und beschämend erwiesen, dass zumindest der zuständige Chef der Küstenwache in den Ruhestand gehen musste. Bierdel berichtet davon, dass es zu den gängigen Techniken gehöre, dass Boote nicht nur gestoppt und die Insassen verprügelt und ausgeraubt würden. Sie würden auch auf unbewohnten Felseilanden ausgesetzt, wo sie teils tagelang ohne Kleidung, Nahrung usw. ausharren müssten, bis sie von irgend jemanden gerettet würden. Es würden Flüchtlinge ins Wasser gestoßen und verschiedenen Foltertechniken angewendet werden. Dies erinnere ihn an die Verhörpraktiken, die aus Guantanamo und Abu Ghraib bekannt seien. Er spricht von einem Krieg gegen Flüchtlinge, der von der EU-Behörde FRONTEX mit Sitz in Warschau koordiniert wird.5 In Seenot geratene Flüchtlingsboote würden ihrem Schicksal überlassen, obwohl entsprechende Funkstellen die Koordinaten der Boote hätten. Nur in Ausnahmefällen würde versucht die Ertrinkenden zu retten, obwohl das Mittelmeer und das Seegebiet rund um die Kanaren von Boten, Flugzeugen und Satelliten lückenlos überwacht und die Daten durch NAVTEX-Meldungen (Navigational Warnings via Telex) zur Verfügung gestellt würden! D. h. die technischen Möglichkeiten, den hilflosen Menschen beizustehen, sind vorhanden. Aber es besteht kein Interesse daran! Das 2001 beschlossene Schengener Informationssystem II (SIS II) ist ein ausbaufähiges Informationssystem, dessen Schwerpunkte auf „Prävention und Erkennung von Bedrohungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit” liegen. Darin sollen auch Daten über Menschen gespeichert werden, die den Schengen-Raum nicht verlassen dürfen, weil sie als UnruhestifterInnen (!) gelten oder als politische AktivistInnen (!) aufgefallen sind.6 Die herrschende Klasse scheint sich aber trotz dieser Überwachungs- und Unterdrückungsanstrengungen seitens ihrer Staaten, nicht ausreichend geschützt zu fühlen und will gegebenenfalls auf militärische Gewalt zurückgreifen können. So sieht der EU-Reformvertragentwurf eine „Solidaritätsklausel“ (Art. 188) vor. Diese Klausel verpflichtet die EUMitgliedsstaaten „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel“ zu mobilisieren, um „terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden“7 Militarisierung und aggressive Militärdoktrin Die Bourgeoisien der EU rüsten aber nicht nur zum Kampf gegen die „eigenen“ Bevölkerungen, sondern denken, wenn es um die gewaltsame Durchsetzung ihrer
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Vereinigte Sozialistische Staaten Ansprüche geht, in einem globalen Maßstab. Ebenso wie die USA entwickeln auch EUSicherheitsstrategen „Bedrohungsanalysen“, in denen „gescheiterte Staaten“, Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, als die Gründe für mögliche „Militärinterventionen“ angeführt werden.Wir kennen den „war on terror“ und wissen, dass diese Propagandalüge nur die Machtgelüste verschleiern soll, die hinter dem mörderischen Überfall der USA auf den Irak, seine Drohungen gegen den Iran und die völkerrechtswidrigen Misshandlungen in Guantanamo stehen. Nur wer immer noch völlig borniert an die propagierten „europäischen Werte“ glaubt, wird davon ausgehen, dass sich die EU in diesem Punkt von den USA unterscheidet. Der EUReformvertrag bringt auch hier den Charakter der EU und seiner herrschenden Klasse zum Vorschein. Mit dem Art 28, 1 gibt sich die EU selbst die Erlaubnis für einen weltweiten Antiterrorkrieg „unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ Um dieser anspruchsvollen Aufgabe gerecht zu werden, gibt es künftig eine Aufrüstungsverpflichtung. Entsprechend heißt es dazu in Art. 27, 3: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ und eine bereits eingerichtete EU-Verteidigungsagentur (früher Rüstungsagentur) soll „Maßnahmen zur Bedarfsdeckung“ an Rüstungsgütern fördern, zur „Stärkung der industriellen und technologischen Basis“ des Rüstungssektors beitragen und sich „an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung“ (Art. 27, 3) beteiligen. Sie ist zuständig für Rüstungsforschung (Art. 30, 1d) und soll „für einen wirkungsvolleren Einsatz der Verteidigungsausgaben“ sorgen. In Hinblick auf eine offensive militärische Interventionspolitik der EU sollen ihre Mitgliedstaaten „für die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (Art. 27, 3) ihre „militärische Fähigkeiten“ zur Verfügung stellen. So sollen „außerhalb der Union“ „Abrüstungsmaßnahmen“, „Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung“ und „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung“ durchgeführt werden.8 Für besonders gewaltbereite Mitgliedsstaaten gibt es die Möglichkeit in einem elitären Kreis der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ) aufgenommen zu werden. Diese Mitgliedstaaten sollen „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf
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Vereinigte Sozialistische Staaten die militärischen Fähigkeiten erfüllen“. Bestimmte Rüstungspflichten der Mitglieder der SSZ sollen eine globale Kriegsfähigkeit innerhalb von fünf bis 30 Tagen gewährleisten.
Quelle: Werkstatt
In diesem Zusammenhang gibt es zum Eurofighter-Ankauf ein interessantes Papier der Publikationsreihe “Strategische Analysen” (Ausgabe Oktober 2005) des Sicherheitsbüros des österreichischen Verteidigungsministeriums. Darin heißt es, dass Österreichs Neutralität obsolet sei und die Eurofigther der “stärkeren europäischen Einbindung Österreichs” durch “systemidentische Militärkapazitäten” dienen würden. Ziel sei eine “Aufstellung eines mitteleuropäischen bi- beziehungsweise multinationalen Luftkampfverbands (etwa mit Deutschland und/oder Italien), dessen gemeinsamer Host aufgrund der zentralen Lage durchaus in Österreich liegen könnte.” Österreich solle sich frühzeitig an der “Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit” beteiligen um bei der so genannten “sicherheitspolitischen Avantgarde” der EU dabei sein zu können.9 Im „European Defence Paper“ (2004), einem im Auftrag des EU-Rates entstandenen Strategiepapier, beklagen die EU-Eliten: „Die Fähigkeit, Kriege in einem anspruchsvollen Szenario zu wagen und zu gewinnen, ist noch sehr beschränkt [...] Noch fehlt es der EU an militärischer Eskalationsdominanz [...]“. Es ginge um „die Transformation Europäischer Streitkräfte von der Landesverteidigung in Richtung Intervention und Expeditionskriegszüge. Die EU muss sich auf „militärische Herausforderungen im Mittleren Osten von der gleichen oder sogar einer größeren Dimension als der Golfkrieg von 1990-1991“ einstellen. Bei diesem Krieg wurden rund 300.000 IrakerInnen getötet. Außerdem wurde der Erstschlag mit britischen und französischen Atomwaffen diskutiert.10
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Vereinigte Sozialistische Staaten Art. 27, 7 will die EU-Militärpolitik an die NATO binden, was z. B. in Afghanistan bereits bestehende Praxis ist.11 Über das künftige strategische Konzept der NATO gibt das „Naumann-Papier“, benannt nach dem ehemaligen Vorsitzenden des NATO-Militärkomitees Klaus Naumann, Auskunft. Darin heißt es unter anderem, „der Ersteinsatz von Nuklearwaffen muss im Arsenal der Eskalation das ultimative Instrument bleiben, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern.” Weiter unten wird Carlo Masala vom NATO Defense College zitiert: “Protektorate sind in. Von Bosnien über Kosovo, nach Afghanistan bis in den Irak, das Muster westlicher Interventionspolitik ist immer dasselbe. Nach erfolgreicher militärischer Intervention werden die ‘eroberten’ Gebiete in Protektorate umgewandelt und die westliche Staatengemeinschaft ist darum bemüht, liberale politische Systeme, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft in diesen Gebieten einzuführen.” Gibt es eine Alternative zum Imperialismus? Die EU ist ein Zusammenschluss imperialistischer Staaten (mächtigen wie schmächtigen) unter deutsch-französischer Dominanz. Ihr Ziel ist nicht die weltweite Verbreitung von Demokratie, Menschenrechten oder sonstiger angeblich „europäischer Werte“, sondern die Durchsetzung der Interessen ihrer einzelnen Nationalstaaten. Diese stehen sowohl miteinander als auch mit den übrigen weltweit agierenden Imperialismen (USA, Russland, China, Indien...) in Konkurrenz. Wie fragil das Verhältnis der Mitgliedsstaaten zu einander ist, zeigte die im Verlauf des Irakkriegs aufgetretene Spaltung in ein „altes“ und ein „neues“ Europa. Aber auch die zwiespältige Rolle Deutschlands, welches sich einerseits gegen den Angriff auf den Irak aussprach, der USA aber als wichtigstes europäisches Hinterland für ihre Truppen zu Verfügung stand.Auch der jüngste Vorstoß des französischen Präsidenten Sarkozy im Zusammenhang mit der Mittelmeerunion und die französischen Exporte von Rüstungsgütern und Nukleartechnologie an Libyen sind ein Beispiel dafür. Aufgrund der kapitalistischen Produktionsverhältnisse (Privateigentum an Produktionsmittel, Aneignung des produzierten Mehrwerts durch Ausbeutung der Lohnabhängigen) besteht ein unauflösbarer Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Eine wesentliche Aufgabe der Institutionen der EU ist die Niederhaltung der arbeitenden Massen zur Gewährleistung der Profitmaximierung der schmarotzenden Bourgeoisien und ihrer Klassenherrschaft.
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Vereinigte Sozialistische Staaten Die Bourgeoisien aller Nationalstaaten stehen also sowohl national als auch international in einem permanenten Wettstreit zueinander und im Widerspruch zu den unterdrückten Massen. Die EU ist demnach nichts anderes als ein Projekt der herrschenden Klasse. Sie war als solches angedacht , wurde dem entsprechend in die Tat umgesetzt und weiterentwickelt. “Die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft von 1957”, als Beispiel herausgenommen, “war mit dem Projekt der französischen Atomwaffen untrennbar verwoben. Auch Bonn hoffte über EURATOM den raschen Zugriff auf die Bombe zu bekommen. Dem Protokoll einer Kabinettssitzung zufolge hatte Adenauer 1956 vor dem Bundeskabinett erklärt, er wolle `über EURATOM auf schnellstem Weg die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen´. Ende 1957 unterbreitete der französische Verteidigungsminister Chaban-Delmas Westdeutschland und Italien den Vorschlag einer gemeinsamen Atomwaffenproduktion. Franz Josef Strauß enthüllte später in seinem Memoiren, dass sich die Verteidigungsminister der drei Länder 1958 weitgehend verständigt hatten:`Im Mittlepunkt stand die gemeinsame Entwicklung und Produktion von Atomsprengkörpern. (...) Das Abkommen wurde parphiert, und jeder Unterzeichner nahm eine Kopie mit.` Doch im Herbst kam Charles de Gaulle an die Macht. Er sistierte das Abkommen und trieb die Entwicklung der Atombombe im Alleingang voran.”12 Der so genannte EU-Reformvertrag ist der konsequente Ausdruck dieser Tatsache, veranschaulicht wie sehr die bürgerlichen Demokratien eigentlich Diktaturen der jeweiligen Bourgeoisien gleichkommen und wirft ein bezeichnendes Licht auf die „demokratische“ Gesinnung der im Parlament vertretenen Parteien, den Charakter der Nationalstaaten und der EU selbst. Daraus ergibt sich klar und deutlich, wie unsinnig und hoffnungslos naiv Forderungen nach einem „sozialen Europa“ im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sind. Besonders absurd erscheinen diese Forderungen in Anbetracht der Tatsache, dass seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der damit einhergehenden Restauration des Kapitalismus in seinen Nachfolgestaaten, der Kampf um die Neuaufteilung der Welt im vollen Gange ist und sich zuspitzt. Daher die immense Aufrüstung der EU und Österreichs! Deswegen und in Folge der andauernden Krise des Weltkapitalismus die fortschreitende Zerschlagung von „Sozialstaaten“! Darum die zunehmende Einschränkung von BürgerInnenrechte (Vorratsdatenspeicherung, „Bundestrojaner“, EU-weite Verknüpfung von personenbezogenen Daten durch technisch immer ausgeklügeltere und mächtige Überwachungssysteme)!
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Vereinigte Sozialistische Staaten Die treibende Kraft dahinter ist die nicht enden wollende Gier der herrschenden Klasse nach immer mehr Profit! Genau an diese Klasse und i h r e n Staat richten sich aber die zahnlosen Appelle zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Attac. Dieselben „Eliten“, welche sich am Imperialismus schamlos bereichern, sind die AdressatInnen, an die sich die mehr oder weniger „humanen“ Vorschläge richten, welche angeblich dazu geeignet sein sollen, den „Neoliberalismus“ wieder in die geordneten Bahnen eines „zivilisierten“ Kapitalismus zurück führen zu können. Solche Illusionen zu verbreiten heißt nicht nur die Natur des Kapitalismus schlichtweg nicht zu begreifen, sondern stellt auch eine reale Behinderung bei der Herausbildung eines Bewusstseins der unterdrückten arbeitenden Klasse über die eigene Rolle im Klassenkampf dar. Attac vertritt nichts weiter als die Unterordnung des Proletariats unter die Interessen der KapitalistInnen, die ihrerseits doch bitte die Güte haben sollten ihrer Verantwortung dem Gemeinwohl gegenüber nachzukommen.Attac will keine gerechte, sondern nur eine gerechtere Welt, die doch bitte möglich sein soll. Nun, ja – das Sandmännlein lässt Grüßen Ein anderer Teil der GegnerInnen des EU-Reformvertrags vertritt völlig rückwärts gewandt den Austritt aus der EU und propagiert die reaktionäre Kleinstaaterei.Während die BefürworterInnen einer „sozialen EU“ meinen, die EU könne auf kapitalistischer Basis eine Vereinigung Europas erwirken und den Nationalstaat überwinden, vertreten die AustrittsbefürworterInnen die Ansicht, ein souveräner Nationalstaat, wenn er sich im Kleid einer „Friedensrepublik“ zeige, wäre ein Garant für ein fortschrittliches und soziales Österreich und bilde die Voraussetzung für internationale Solidarität! Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass man vom selben Punkt ausgehend (Kritik an der EU) zu den unterschiedlichsten „möglichen Welten“ gelangen kann, wenn man nur beharrlich eine ernstzunehmende und tiefer gehende Analyse der gegebenen Verhältnisse samt ihren Triebkräften verweigert. Abgesehen davon, dass hinter den propagierten „möglichen Welten“ oft handfeste materielle Interessen stehen können (welche kleinbürgerlichen VertreterInnen des Kapitals haben schon ein Interesse an einer Überwindung der Ausbeutung?), ist auch die Angst vor revolutionären Erhebungen und die damit verbundene Gewalt ein Grund, so fest an den „möglichen“ (Schein)welten festzuhalten. Das mag bis zu einem gewissen Grad menschlich verständlich sein, ist aber nichts anderes als die bekannte Vogel Strauß-Politik.
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Vereinigte Sozialistische Staaten Natürlich bringen Revolutionen Gefahren mit sich.Wir sind auch davon überzeugt, dass der bürgerliche Staat die Privilegien seiner Bourgeoisie mit brutaler und menschenverachtender Härte verteidigen wird. Diese Gewalt lehnen wir ab, halten aber fest, dass diese heute schon allgegenwärtig ist. Sei es in Form struktureller Gewalt oder ganz offen und direkt wie der rassistische Terror gegen MigrantInnen zeigt. Die gegenwärtige Entwicklung zu immer größerer Verteilungsungerechtigkeit und Militarisierung zeigt uns die Richtung in welche der Imperialismus bereit ist zu gehen und seinen inneren Zwängen folgend auch gehen muss. Wir alle kennen die Berichterstattung der Massenmedien, die trotz ihres manipulativen Charakters, das immense Elend und den grauenhaften Terror, welchen die kapitalistische Schreckensherrschaft weltweit verbreitet, nicht verheimlichen kann. Kriege, Hungersnöte, Genozid! Massenhaftes Elend hier wie dort! Auch in Europa, in der EU und in Österreich werden die Auswirkungen dieser Herrschaft immer drückender und sichtbarer. Die daraus hervorgehenden Ängste sind ganz konkret und nicht von der Hand zu weisen. Mehr und mehr schleicht sich die Angst vor einem sozialen Abstieg ein. Sei es die Angst vor Arbeitslosigkeit, vor immer weniger leistbarer gesundheitlicher Versorgung oder vor einem würdelosen Dahinvegetieren in der Altersarmut. Auch Teile der kapitalistischen Klasse entwikkeln Ängste. Die Angst, der Konkurrenz der Konzerne nicht standhalten zu können, nährt ihre Hoffnung in rückwärts gewandte Vorstellungen, die an den gescheiterten sozialdemokratisch-keynesianistischen Modellen eines regulierten Kapitalismus mit vermeintlich menschlichem Antlitz anknüpfen. Die Plattform Volxabstimmung hat ganz in diesem Sinne und wohl auch mit einer gehörigen Portion Selbstüberschätzung den „Links“-Sozialdemokraten Lafontaine als Redner bei der Demonstration am 5.April 2008 gegen den EU-Reformvertrag eingeladen.Allein, er hat „abgesagt“. Andere suchen ihr „Heil“ in autoritären, rassistischen, rechtsextremistischen oder offen faschistischen Ideologien. Doch all diese Vorstellungen haben eines gemeinsam. Sie gehen davon aus, dass die Überwindung der Klassengesellschaft entweder nicht möglich oder gar nicht wünschenswert sei. Die AnhängerInnen von Utopien wie „soziale EU“ oder „Friedensrepublik“ wollen den Kapitalismus nicht anrühren. Sie vertreten damit, ob gewollt oder ungewollt, die Prolongierung der Gewaltherrschaft der Bourgeoisie. Der Niedergang des Kapitalismus als Gesellschaftsformation, die längst schon einen destruktiven Charakter globalen Maßstabes angenommen hat, wird seine verheerende Wirkung aufgrund schöngeistiger Appelle an die Vernunft, das Völkerrecht,
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Vereinigte Sozialistische Staaten oder die Vereinten Nationen, die selbst eine Agentur des Imperialismus sind, nicht ablegen. Wer ihn nicht abschaffen will, spricht sich schlicht und einfach für die Zerstörung alles Lebens- und Liebenswerten das wir (noch) vorfinden aus. Die Angst vor revolutionärer Gewalt verleitet diese Menschen dazu ein gewalttätiges Regime zu verteidigen, welches das Potential zur Zerstörung der menschlichen Existenz in sich trägt! Wir weisen diese feige und zum Scheitern verurteilte Politik der Scheuklappen entschieden zurück! Wer heute immer noch meint, der Kapitalismus sei reformierbar, negiert historische Tatsachen. Das 20. Jahrhundert war geprägt vom ersten Weltkrieg, der gegen sein Ende die Oktoberrevolution hervorbrachte. Nach einem hoffnungsvollen Anfang scheiterte die Weiterentwicklung zum Sozialismus an der Isolation der Sowjetunion und dem Erstarken der stalinistischen Bürokratie. Die Krise des Imperialismus und die verräterische Führung der Kommunistischen Internationale (Sozialfaschismus-Theorie, Bündnis mit der Guomintang in China), sowie die zurückweichende Rolle der Sozialdemokratie ließen Hitler an die Macht gelangen und es kam zum zweiten Weltkrieg und zum Holocaust. Hitler war ein Agent des Kapitals, der gegen die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung von der Klasse gefördert wurde, die auch heute die Macht im Staat inne hat und morgen, wenn es darauf ankommt, ihre Macht zu verteidigen, bereit sein wird, erneut einen faschistischen Tyrannen einzusetzen! Reden von sozialen Ideen alleine werden diese Leute nicht daran hindern, erneut weltweite Kriege anzuheizen und uns zumKanonenfutter zu degradieren. Die EU selbst und ihr aktuelles Machwerk, der „EU-Reformvertrag“ bestätigen dies sehr anschaulich! Wir müssen deswegen heute schon die Wahrheit über den Charakter der herrschenden Klasse verbreiten – es ist höchste Zeit! Wir müssen unseren Klassengeschwistern reinen Wein einschenken und sie davor warnen, den reaktionären Ideen von Attac und Co Glauben zu schenken. Schon die angebliche Abgrenzung gegenüber “Parteien, Organisationen und Einzelpersonen, die die Forderung nach einer Volksabstimmung mit ausländerInnenfeindlichen und/oder nationalistischen und/oder sexistischen Motiven vermengen”, sollte uns sehr aufmerksam machen. Die Plattform Volxabstimmung erlaubt es einen Proponenten von Rettet Österreich, auf ihrer Website ein Kurzstatement abzugeben. Für den 29.03.08 hat diese rechte Organisation gemeinsam mit Heimat und Umwelt, NFÖ, Die Christen und anderen zum Teil obskuren Organisationen zu einer Demonstration gegen den EUReformvertrag in Wien aufgerufen. Die Plattform Volxabstimmung will sich also ent-
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Vereinigte Sozialistische Staaten gegen ihrer behaupteten Abgrenzung von rechtem Gedankengut eine Tür zu diesen Leuten offen lassen. Welche Gesinnung diese vertreten, lässt sich zum Beispiel bei Helmut Schramms (NFÖ) Website nachlesen. Dort verlinkt er in seiner Rubrik „Gute Webseiten“ die Website des ultrarechten CSU-Mitglied Dr. Peter Gauweiler. Andererseits lassen es Attac und Werkstatt aus Angst vor dem in Österreich verbreiteten Antikommunismus nicht zu, dass unterstützende Parteien (KPÖ, SLP) oder parteiähnlichen Organisationen (LSR, KI) auf der Website angeführt werden, obwohl diese Teil der Plattform sind! Um zivilgesellschaftliche Gefühle aus der Ökologie-Bewegung nicht zu verletzten wird Univ. Doz. Dr. Peter Weish, besagter Vertreter von Rettet Österreich, zwar nicht mehr zugestanden, seine Gedanken zum EU-Reformvertrag in Form eines kurzen Aufsatzes auf der Plattform-Website zu veröffentlichen. Er darf aber ein Kurzstatement, etwas verschämt weit unten angebracht, abgeben. Wen scherts, mit wem der Herr Professor politisch zusammenarbeitet! Akademische Titel gehen in der Plattform öfter mal vor politischen Haltungen. So wurde zum Beispiel eine gewisse Zeit lang der FPÖ-nahe Univ. Prof. Dr.Adrian Hollaender seitens der Werkstatt ins Spiel gebracht, bis dieses Versehen (?) erkannt wurde und im Anschluss von ihm nicht mehr die Rede war. Wir lehnen jedes Bündnis mit rassistischen, rechtsextremistischen, sexistischen oder wie auch immer reaktionären Gruppierungen ab! Wenn wir es mit unserem Widerstand gegen die EU, gegen den Imperialismus und gegen die „eigene“ Bourgeoisie wirklich ernst meinen, dann müssen wir die Dinge beim Namen nennen und dürfen uns nicht davor fürchten: Wir leben in einer Klassengesellschaft, in der eine Klasse, die Bourgeoisie, Millionen von Lohnabhängigen, Werktätigen oder ProletarierInnen (wie immer wir sie nennen wollen) unterdrückt. Mit dieser Klasse streben wir keine Bündnisse an, sondern stehen ihr feindlich gegenüber! Wir müssen aus eigener Kraft die Herrschaft der AusbeuterInnen beenden um nicht wieder in verheerende Kriege und Elend gezogen zu werden. Dies ist nur durch eine proletarische Revolution möglich. Dazu braucht es eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei und eine revolutionäre ArbeiterInneninternationale, aber keine pseudofortschrittlichen zivilgesellschaftlichen Bündnisse. Unser politisches Ziel ist das einzig wirklich fortschrittliche und im Gegensatz zu zivilgesellschaftlichen Fantasien keine fadenscheinige Utopie! Wir propagieren die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa! Denn nur der Sturz des Kapitalismus wird es möglich machen, dass sich die europäischen Völker vereinigen und die notwendige
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Vereinigte Sozialistische Staaten andere Welt, von der die kleinbürgerlichen UtopistInnen so gerne schwafeln, aufbauen können! Sozialismus oder Barbarei!
1„Globale Brücke über den Rhein: Der neue deutsch-französische Kapitalismus“ erschienen in DOKUMENTE - Zeitschrift für den deutsch-französischenDialog, Nr. 2/2000 2 “Europa-Recht gegen Arbeiterinteressen“ http://www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/index.html 3 “Das panoptische Gehirn der Festung Europa” http://de.indymedia.org/2007/11/199949.shtml 4 “Die militärische Abschottung Europas” http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26583/1.html 5 “EU-Grenzpolitik - Organisierter Massenmord an Flüchtlingen” http://www.vsp-vernetzt.de/soz0710/sozflys2.pdf 6 “Das panoptische Gehirn der Festung Europa” http://de.indymedia.org/2007/11/199949.shtml 7 “ EU: Aufrüstung und Militarisierung” http://www.imi-online.de/2007.php3?id=1616 8 ebenda 9 guernica 3/2007 10 guernica 1/2005 11 “Horrorkatalog zur Münchner Sicherheitskonferenz “ http://www.imionline.de/2008.php3?id=1688 12 “Auf dem Weg zur Supermacht - Die Militarisierung der Europäischen Union”, Gerald Oberansmayr; Promedia; ISBN 3-85371-216-9
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Impressum: Medieninhaber, Herausgeber,Verleger: Marxistischer Studienzirkel (MSZ) im Auftrag der Redaktion Der Neue Kurs.Alle: Stiftgasse 8, 1070 Wien Druckort:Wien Kontakt: derneuekurs@gmx.at. www.derneuekurs.net.tf Unsere Publikationen erhalten sie in:
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Angesichts der fortschreitenden Zerschlagung des “Sozialstaates” und der rasanten Militarisierung der EU entwickeln unterschiedliche Gruppierungen die verschiedensten “Alternativmodelle”. Sie alle propagieren aber mehr oder weniger deutlich die Zusammenarbeit mit der herrschenden Klasse. Wir halten das für ungefähr so intelligent, wie den Käfig eines ausgehungerten Tigers zu betreten um diesen eine Salatgurke anzubieten.... Die zivilgesellschaftlichen Traumtänzereien wie “Friedensrepublik Österreich” oder “soziale EU” sind nichts anderes als kleinbürgerliche Utopien. Nichts destotrotz müssen sie analysiert werden, um deren letzlich reaktionären Charakter aufzuzeigen und die Augen für die einzig reale Alternative, die der Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas, zu öffnen.