Klassenkampf Nr. 01

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Editorial

Doppelnummer 1/2

September 2008

Gruppe Klassenkampf

Preis € 2,5

MSZ im Oktober 2008 Parlamentarismus und Wahltaktik....................S 11 Zahlen oder Verrecken? Zur Demontage des österreichischen Gesundheitswesens..... .S 12 Jour Fixe der GKK im Oktober 2008.....................S14 Alt und arm! Wenn Lohnabhängige ausgedient haben.................................... S 15

Ein politischer Nachruf

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ang- und klanglos hat sich die Große Koalition am 9. und 10. Juli 2008 – zunächst durch den Neuwahlbeschluss im Nationalrat, dann durch eine außertourliche Ministerratssitzung vom Wahlvolk verabschiedet. Tränen hat dieser Regierung niemand nachgeweint. Generell hörte man – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – zumeist Sätze wie: „Na endlich – besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“. Zwei Jahre Stillstand?! Im Gegenteil Unter dem Einfluss der KommentatorInnen der bürgerlichen Medien hat sich die Sicht eingebürgert, die kurzlebige SPÖVP-Regierung als unbeweglich, wenig tatkräftig, kurz: inaktiv darzustellen. Als Ablöse der letzten ÖVP-BZÖ-Regierung, die ihrerseits das missratene Kind

der „Wende“ vom Februar 2000 war, hat die Große Koalition, im Gegensatz zu dieser ideologischen Sicht, aber sogar sehr effizient gearbeitet. Der Sozialabbau der vorangegangenen offen bürgerlichen Regierungen wurde zementiert; mit der Beibehaltung der Studiengebühren (einem der zahlreichen gebrochenen Wahlversprechen der SPÖ) wurde nicht nur die prinzipielle Weichenstellung hin zur sozialen Selektion im Bildungsbereich abgesichert, zugleich wurden auch die letzten Chancen auf studentische Proteste erstickt. Zwar werden StudienbeihilfebezieherInnen die Studiengebühren refundiert – diese müssen aber dennoch vorgeschossen werden. Vor allem kann diese Regelung auch jederzeit wieder durch Mehrheitsbeschluss im Nationalrat ausgehebelt werden. ............................Fortsetzung auf Seite 4

Die „LINKE“ StalinistInnen, ZentristInnen und andere „PragmatikerInnen“....S 17 Das Elend der SP-Linken Auch keine Alternative...........S 21 Staatsterrorismus TierrechtlerInnen als Versuchskanninchen ................................S 23 Unheimliche Allianz “Zivilgesellschaft“ und rechte Recken gegen die EU.............S 25 Bruchlandung Christian Felber wollte hoch hinaus....................................S 27 Staatsrassismus Mumia Abu Jamal seit über 25 Jahren in der Todeszelle..........S 30 Stalins Comeback Transkript eines Vortrags von Vinzenz Kalam............................S 31


Editorial

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uss das sein? Schon wieder eine neue linke Zeitung? Schon wieder eine neue Organisation? Ja, es muss sein, und die erste Nummer des KLASSENKAMPF zeigt auch warum: Der österreichischen ArbeiterInnenklasse fehlt eine revolutionäre Partei. Wir sehen weit und breit keine Kraft, die gewillt oder im Stande wäre, einen Beitrag zur Führungskrise des Proletariats zu leisten. Die meisten bestehenden Organisationen, die sich auf die ArbeiterInnenbewegung berufen, sind vielmehr selbst Ausdruck dieser Krise des „subjektiven Faktors“. Wir halten diesen Faktor für entscheidend. Die Krise des kapitalistischen Systems lässt den Aufbau der eigenständigen und mit einem revolutionären Programm ausgestatteten ArbeiterInnenpartei zu einer dringlichen Aufgabe werden. Wir bedauern es – gelinde ausgedrückt -, dass andere Organisationen in Österreich, die sich ebenfalls als revolutionärmarxistisch begreifen, von dieser unmittelbaren Aufgabe zugunsten von Projekten der „Einheit der Linken“, der Bildung einer nicht-revolutionären „ArbeiterInnenpartei“ oder der „Revolutionierung“ sogenannter zivilgesellschaftlicher Strukturen Abstand genommen haben. Wir stehen vor Neuwahlen. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs hat in den vergangenen zwei Jahren in einem Regierungsbündnis mit der offen bürgerlichen ÖVP alles getan, um die reaktionären Weichenstellungen der blau-schwarzen Wenderegierung des Jahres 2000 zu zementieren. Schon vor den letzten Nationalratswahlen hat die SP-Bürokratie unter Alfred Gusenbauer alles daran gesetzt , um den „proletarischen Stallgeruch“ loszuwerden. Die Krise des ÖGB, ausgelöst durch den Skandal in der gewerkschaftseigenen BAWAG, war der willkommene Vorwand, auf Distanz zu den SP-GewerkschafterInnen zu gehen, die nichts anderes getan hatten, als das, was ArbeiterbürokratInnen im Rahmen des kapitalistischen Systems immer tun: Sich‘s im bürgerlichen Staat kuschelig einzurichten, es sich gut gehen zu lassen, durch „Realpolitik“ Konflikte mit der Bourgeoisie zu vermeiden und ansonsten darauf zu hoffen, dass man den ArbeiterInnen in den Betrieben gelegentlich mit sozialen Phrasen Sand in die Augen streuen könne. Haben die SP-BürokratInnen die enorme Unzufriedenheit in den Betrieben über die „Pensionreform“ Schüssels des-

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halb abgewiegelt, weil sie ohnehin Klassenkämpfe fürchten wie die Pest, oder weil sie wussten, dass der mystische Streikfonds des ÖGB in Wirklichkeit von SpekulantInnen bei Luftgeschäften faktisch versenkt worden war? Eigentlich ist die Antwort egal, denn beide Varianten zeigen eines: Von dieser Partei und ihrer Führung haben die österreichischen ArbeiterInnen nichts mehr zu erwarten – zumindest nichts Gutes. Wir illustrieren das an Hand der Bilanz der Politik der Großen Koalition und zweier besonders heißer Eisen: Der Gesundheits- und Pensionsdebatte Einer der letzten Streiche von SPÖVP war die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags der EU. Der Gegenwind, der den Koalitionären da aber um die Ohren wehte, war nicht zu ignorieren und führte letztlich zum Kniefall der SPÖGranden vor Hans Dichand und der „Krone“. Denn der Wind kam hauptsächlich von rechts, auch wenn einige Gruppierungen der „radikalen Linken“ oder der „AntiEU-Bewegung“ so taten, als hätten sie eine fortschritttliche Massenbewegung initiiert. Tatsächlich bot sich bei den Aktionen gegen den Lissabon-Vertrag ein buntscheckiges Bild: Bei der Demo von „Rettet Österreich“, für welche die „Krone“ die Werbetrommel rührte, trat die rechtsextreme NVP ebenso auf wie ein „schwarzer Block autonomer Nationalisten“. Die „Werkstatt Frieden und Solidarität“ bemühte sich besonders um zumindest für „ihre“ Demonstration am 5. April ein Bündnis mit den mehr als zweifelhaften Figuren von NFÖ herzustellen (siehe dazu den Artikel in dieser Zeitung!). Einige der Gruppen, die in der „Plattform Volxsabstimmung“ zusammen arbeiteten, präsentieren sich jetzt bei den Nationalratswahlen als angebliche Alternative. Ohne Programm, ohne Perspektive wird den Wahlen die Zauberkraft zugesprochen, Geburtshelferin einer künftigen „linken Partei“ zu sein. Da sich auch Organisationen, die sich auf den Trotzkismus berufen, federführend in der Liste “LINKE“ eingebracht haben, analysieren wir sie ausführlich. Die „Gruppe Klassenkampf“ ist aus dem „Marxistischen Studienzirkel“(MSZ) hervorgegangen, einer selbstorgani-


sierten Struktur zur Aneignung der revolutionären Theorie durch alle mitarbeitenden GenossInnen. Der MSZ wurde ursprünglich von GenossInnen initiiert, die aus einem Fraktionskampf in der „Gruppe für revolutionär-marxistische ArbeiterInnenpolitik“ hervorgegangen sind. Nachdem sich nun weitere GenossInnen aus verschiedenen Traditionen über den MSZ zusammengefunden haben, um auf der Grundlage einer seriösen Diskussion zu Programm und Strategie einer revolutionären Organisation in Österreich praktische Organisationsarbeit zu entwickeln, gehen wir nunmehr mit unserer neuen Zeitschrift an die Öffentlichkeit. Daher freut es uns, in der ersten Nummer des KLASSENKAMPF die Mitschrift eines Referats über die aktuellen Versuche, Stalin und den Stalinismus reinzuwaschen, veröffentlichen zu können. Die Herren Canfora und Losurdo genießen in KP-Kreisen und intellektuellen Zirkeln einige Reputation – das können wir nicht unwidersprochen lassen.

Unser Kaderkern ist gerade dabei, die programmatischen Grundlagen für seine weitere Entwicklung zu erarbeiten. Wir wollen uns nicht damit begnügen, uns abstrakt auf die „Schriften der Klassiker“, der ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale, der Linken Opposition und der IV. Internationale zu berufen, der programmatischen und methodischen Basis, von der unserer Auffassung nach auf Grund der historischen Erfahrungen der Aufbau einer revolutionären Organisation ausgehen muss. Wir wollen unser theoretisches Erbe gemeinsam prüfen und daraus unseren weiteren politischen Kurs ableiten. Wer an dieser lohnenden und spannenden Aufgabe mitarbeiten will, kann uns jederzeit kontaktieren: Gruppe Klassenkampf, Stiftgasse 8, 1070 Wien gruppe.klassenkampf@gmail.com www.klassenkampf.net.tf Für Rätemacht und Revolution! Die Gruppe Klassenkampf (GKK)

http://www.labournetaustria.at 3


Rot-Schwarz

Das war Rot-Schwarz – ein politischer Nachruf ..........................Fortsetzung von Seite 1 Bei allen „Zuschüssen“ profitieren letztlich übrigens wieder nur die Banken, welche 2 % der Zinsen der zwielichtigen „Studiendarlehen“ vom Wissenschaftsministerium refundiert bekommen. Möglichst kurze Studienzeiten, um der finanziellen Ausblutung zu entgehen, machen Proteste und Streiks der Studierenden so gut wie unmöglich – solange es keine reale Chance gibt, einen derartigen Kampf auch zu gewinnen. Natürlich konnte die Große Koalition auch die arbeitende Jugend nicht ungeschoren davon kommen lassen: Was für die einen die Studiengebühren, war für die anderen die Lockerung des Kündigungsschutzes für Lehrlinge.

ken, entpuppte sich als hervorragender Kämpfer gegen die Arbeitslosen. Die „Grundsicherungsdebatte“ diente als Vehikel für Verschlechterungen. Indem das Gesetz die „Arbeitswilligkeit“ als Voraussetzung für den Erhalt der „Grundsicherung“ definiert, den Landessozialämtern aber letztlich die Entscheidung überlassen wird, wer „willig“ ist und wer nicht, ist neuer Willkür Tür und Tor geöffnet. Vor allem wird beispielswiese in Vorarlberg und Kärnten von Arbeitslosen eine weit stärkere „Mobilität“ gefordert als in anderen Bundesländern. Was im Extremfall ein komplettes Auspendeln während der Arbeitswoche bedeuten kann.

Die schwarz-rote Koalition unter Alfred Gusenbauer (SPÖ) war Vollender und Sachwalter ihrer schwarz-blauen/ schwarz-orangen Vorgängerregierungen. Die SPÖ-Bürokratie präsentierte sich bis zur fast völligen Selbstaufgabe der Partei als „vernünftige“ und systemstabilisierende Kraft:

Die Jubelmeldungen über die „faktische Vollbeschäftigung“ sind ein zynischer statistischer Trick, weil die Zahl der Teilzeitbeschäftigten, der Geringfügigen und der Scheinselbständigen zugenommen hat, und Menschen, die Arbeit suchen, in hirn- und zukunftslose „Maßnahmen“ gesteckt werden, damit sie aus der Arbeitslosenstatistik eliminiert werden können.

Die Angriffe auf das Pensionssystem wurden festgeschrieben und lediglich durch eine kosmetische Reform (Anhebung der Ausgleichszulage um 21 Euro, womit die „Mindestpension“ jetzt bei 747 Euro liegt) „sozial abgefedert“. Für chronisch kranke PensionistInnen gab es eine Deckelung der Rezeptgebühren. Diese Maßnahme kann jedoch nur dann als „Fortschritt“ interpretiert werden, wenn man auf dem Standpunkt steht, dass es bereits fortschrittlich ist, Menschen, die dem kapitalistischen System nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, nicht verhungern zu lassen. A-Sozialminister Buchinger, die große „rote“ Hoffnung der Partei-Lin-

Die Verteilung von Armut und Reichtum spricht für sich: rund einer Million Armer oder Armutsgefährdeter stehen dank Schwarz-Rot 77.000 Euro-Millionäre gegenüber. Anders ausgedrückt: Ein Prozent der Bevölkerung verfügt über immerhin ein Drittel des gesamten Volksvermögens. Da die Große Koalition die Steuerpolitik der Vorgängerregierungen übernommen hat, ist Österreich ein Steuerparadies, in dem weniger als 1,5 Prozent der Steuereinnahmen aus der Vermögenssteuer kommen. Davon sollen aber nicht nur die einheimischen Reichen profitieren, wie „Die Presse“ vom 10. Juni 2007 zu berichten wusste:

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„Die Ansiedlungsagentur der österreichischen Regierung hat ein neues Argument gefunden, mit dem sie in persönlichen Briefen an deutsche Unternehmer für Investitionen in der Alpenrepublik wirbt. Wie das deutsche Magazin „Focus“ berichtet, weist die Austria Business Agency in den Schreiben gleich im dritten Satz fett gedruckt auf den Beschluss der Wiener Koalition hin, ‚die Erbschaftssteuer zur Gänze abzuschaffen‘“. Hand in Hand damit geht das Auslaufen der Schenkungssteuer. Die Zeitung „Österreich“ hat am 31. Juli 2007 dazu folgende Zahlen veröffentlicht: „Individuell am stärksten profitieren wird von der Abschaffung allerdings naturgemäß die überschaubare Gruppe mit einem ‚steuerpflichtigen Erwerb‘ von über einer Million Euro. Im Vorjahr waren das 24 Erbschaften und Schenkungen, die 8,8 Mio. Euro an Steuern einbrachten. Wäre die Erbschafts- und Schenkungssteuer schon 2007 gefallen, hätte sich jeder aus dieser Gruppe durchschnittlich 366.186 Euro erspart. Allein die fünf größten Fälle - vier Erbschaften und eine Schenkung im Wert von jeweils über 4,38 Mio. Euro - haben der Staatskasse im Vorjahr 4,9 Mio. Euro gebracht. Noch extremer war das Verhältnis im Jahr 2006: Damals brachten die größten vier Erbschaften 23,5 Mio. Euro, das entspricht einem Viertel der Gesamteinnahmen.“ Damit aber wieder Gerechtigkeit herrscht im Land wird diese massive Entlastung durch die - Halbierung des Eingangssteuersatzes im Stiftungsrecht begleitet. Wieder das Unternehmerblatt „Die Presse“ (4.6.2008):


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„Heimische Stifter werden bei der Einbringung von Vermögen in eine Stiftung weiterhin eine ‚Eingangssteuer‘ zahlen, diese wird aber auf 2,5 Prozent halbiert. Die geplante rückwirkende Erstattung der bisher bezahlten Eingangssteuer entfällt allerdings. Auf diesen Kompromiss haben sich SPÖ und ÖVP bei ihrer Klausur am Mittwoch geeinigt.“ Das gar zu unverfrorene Ansinnen der ÖVP, die Eingangssteuer ganz abzuschaffen und letztlich über neue Absetzregelungen faktisch rückwirkend zurückzuzahlen, ging diesmal sogar der SPÖ zu weit. Stattdessen haben SPÖVP die Massensteuern drastisch erhöht, etwa die Mineralöl- und Tabaksteuern. Die Erlöse werden nicht zweckgebunden, sondern zur „Budgetstabilisierung“ verwendet, während im Gesundheits- und Bildungswesen abwechselnd abgezockt (Erhöhung der Selbstbehalte, Beibehaltung der Studiengebühren) und eingespart (geplante aut-idem-Regelung, also die bloße Verschreibung von Wirkstoffen durch ÄrztInnen und konkrete Medikamentenwahl durch die ApothekerInnen; Gesetzesänderungen zur Plünderung der Krankenkassen...) wird. Bildung und Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung wurden von SchwarzRot als luxuriöse Belastung eingeschätzt und genauso behandelt. Gleichzeitig hatte die sparsame Koalition ein offenes Händchen, wenn es um die Kernkompetenzen des bürgerlichen Staates geht: Militär und sonstige Repressionskräfte. (Dazu Friedrich Engels: „Diese besondre, öffentliche Gewalt ist nötig, weil eine selbsttätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung unmöglich geworden seit der Spaltung in Klassen ... Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und

Zwangsanstalten aller Art, von denen die Gentilgesellschaft nicht wußte.“) Engels Analyse aus dem 19. Jahrhundert ist nach wie vor aktuell: Jeder Staat ist Ausdruck der Herrschaft einer Klasse über die andere, und die herrschende Klasse setzt alles daran, ihre Macht militärisch abzusichern. Hatte die SPÖ noch im letzten Wahlkampf vollmundig den Eurofightern mit der großen rosaroten Fliegenklatsche gedroht, war es nach der Regierungsbildung damit vorbei. Unter Streichung besonders größenwahnsinniger Wünsche der heimischen Luftwaffenchefs (15 statt 18 „Fluggeräte“, Reduktion der Innenausstattung auf die Bedürfnisse der Luftraumüberwachung und nicht die von den Generalstäblern gewünschte vollen Palette an elektronischem Schnickschnack für „offensive Kampfeinsätze“) wurden so immer noch zwischen vier und 5,6 Milliarden Euro in neues Kriegsgerät gebuttert. Anfang Mai schrieb das sozialdemokratisch verwaltete „Verteidigungsministerium“ dann noch rasch einen Auftrag über 400 „Allzweckfahrzeuge“ aus - Auftragsvolumen: 200 Mio. Euro. Nachgerade bescheiden sind da die 43 Mio. Euro für das „Upgrading“ der Transporthubschrauber AB-212. Das deckt sich mit der Einschätzung des in London angesiedelten Internationalen Instituts für Strategische Studien (ISS), das in seiner jüngsten Länderanalyse zum Schluss kommt, dass die Neutralität zwar von enormer Bedeutung für die österreichische Identität, in der Militärpolitik aber faktisch irrelevant sei. „Österreich sei bei internationalen Einsätzen ‚überdurchschnittlich stark engagiert‘, sagte Giegerich [vom ISS] . Seit 2005 seien nach den Angaben des wissenschaftlichen Mitarbeiters rund 1.200 österreichische Soldaten bei Auslandsein-

sätzen weltweit tätig. Bis 2012 wäre eine Aufstockung auf bis zu 4.400 Soldaten im Ausland möglich. Gleichzeitig werde die Gesamtzahl der Soldaten verringert. Damit könnten die Personalkosten reduziert, und dafür die Anzahl der für internationale Einsätze qualifizierten Soldaten erhöht werden.“ Der österreichische Imperialismus hat natürlich nicht die Kraft, auf eigene Faust militärische Operationen durchzuführen oder anzuzetteln. Sehr wohl aber kann er den mächtigeren Imperialismen signalisieren, dass auch er bereit ist, die Verwertungsinteressen des Kapitals nötigenfalls mit Waffengewalt zu verteidigen oder zu erzwingen. Das ist wohl auch die Ursache für das Engagement des österreichischen Bundesheers in Afrika: Im Tschad konnte sich die österreichische Bourgeoisie unter einem sozialdemokratischen „Verteidigungs“minister dem aggressiven französischen Imperialismus andienen, der ja nun bis Jahresende 2008 die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Ein besonders zynisches Schmankerl sei am Rande erwähnt: Zu Recht stellte das ISS fest, dass die österreichischen Militärausgaben niedrig seien. Kein Wunder – die Kosten des Tschad-Einsatzes etwa scheinen im Regierungsbudget in der Rubrik „Entwicklungshilfe“ auf … Aber nicht nur in den Lüften und den Kasernen setzte Schwarz-Rot auf Innovation und Modernisierung – auch bei der Stärkung der „Inneren Sicherheit“ war die Regierung GusenbauerMolterer alles andere als einfallslos. Die Überwachungsbestimmungen für Telefonie und Internet wurden im Rahmen des Sicherheitspolizeigesetzes, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, verschärft. Ohne richterliche Anordnung darf die Polizei nun Handyortungen vornehmen und Internetprovider zwingen, Adressen und

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persönliche Daten sowie IP-Nummern offenzulegen, womit beispielsweise der e-mail-Verkehr jeder InternetnutzerIn transparent gemacht werden kann. Im Rahmen der Fußball-EM startete man einen Probegalopp, inwieweit der Einsatz ausländischer Polizeikontingente auf österreichischem Territorium geschluckt wird oder nicht. Eine wahre Eiterbeule im Innenressort platzte im Zusammenhang mit der BAWAG-Affäre: Nicht einmal eine noch so koalitionstreue SPÖ konnte es wegstecken, dass auf Weisung der verstorbenen Innenministerin Liese Prokop fleißig Material gegen die SPÖ gesammelt wurde. Ein eilig einberufener Untersuchuchungsausschuss brachte nahezu berlusconiartige Zustände ans Licht: Die Existenz von sich gegenseitig bespitzelnden Fraktionen der StaatsschützerInnen, Weisungen aus dem Ministerbüro, Verwendung ministerieller Kreditkarten in Bordellen und Nachtlokalen... In der Politik gegenüber MigrantInnen gab die ÖVP unter Minister Günther Platter den fremden- und menschenfeindlichen Kurs vor. Die „Bleiberechtsdiskussion“ war ein markantes Beispiel. Einzelfälle wurden thematisiert, das zugrunde liegende System der willkürlichen Abschiebungen, fehlende oder nicht praktikable Einspruchsmöglichkeiten für MigrantInnen oder AsylwerberInnen hingegen kaum. Die SPÖ als Kanzlerpartei hat sich auch in dieser Frage nicht nur mitschuldig an der Spaltung der Gesellschaft entlang ethnischer, religiöser und kultureller Grenzen gemacht - sie selbst hat unter den unseeligen Innenministern Löschnak und Schlögl die einschlägigen Weichenstellungen vorbereitet. Mit der weiteren Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten auf bis zu 72 Wo-

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chenstunden wurden für die Handelsangestellten - oft Frauen, oft teilzeitbeschäftigt - die Schrauben noch weiter angezogen. Jede Ausdehnung der Öffnungszeiten bedeutet nicht nur einen Verlust an Lebensqualität im Sinne von Eingriff in Freizeitmöglichkeiten und Pflege sozialer Kontakte. Für Eltern und AlleinerzieherInnen wird die Frage der Kinderbetreuung oft zu einem unlösbaren Problem.

Gusis „Befreiungsschlag“ Den Anfang vom Ende der Großen Koalition leitete schließlich die Debatte um den EU-Vertrag von Lissabon ein. Für österreichische Verhältnisse große Proteste gegen die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages erhielten zusätzliches Gewicht dadurch, dass die größte Boulevardzeitung des Landes, die Kronen-Zeitung Hans Dichands, massiv zu Demonstrationen und Protesten aufrief. Davon profitierten in erster Linie die Strache-FPÖ und diverse rechte bis extrem-rechte „EU-GegnerInnen“. Zu diesem Zeitpunkt (April/Mai) war Alfred Gusenbauer in der eigenen Partei bei den meisten regionalen SP-Granden bereits in Ungnade gefallen. Die oben beschriebene Regierungsbilanz fiel den Landesparteiorganisationen ebenso auf den Kopf wie die offensichtliche Missachtung jeglicher Kritik (und war sie auch noch so knieweich formuliert) durch den immer abgehobener agierenden Kanzler und seine Umgebung. Mitte Juni präsentierte Gusenbauer in einer denkwürdigen Präsidiumssitzung (er selbst hatte das Führungsgremium zusammengetrommelt und ließ dann in demütigender Weise seine Mitglieder drei Stunden warten) Werner Faymann als „geschäftsführenden Parteivorsitzenden“ - eine Funktion, die das SP-Statut gar nicht kennt! - und warf anschließend die überrollten ParteiführerInnen

den lauernden JournalistInnen zum Fraß vor. Mit ihren Putschplänen gegen Gusenbauer gescheitert, mussten nun SP-Spitzenmänner wie Häupl oder Voves saure Mine zum bösen Spiel machen. Denn in der österreichischen Sozialdemokratie gilt das eherne Gesetz: Königsmord – ja, aber nicht vor laufenden Kameras. In den folgenden Tagen zeigte sich aber, dass Gusenbauer mit seinem prinzipiell kleveren Schachzug den Bogen überspannt hatte. In den Landesparteien grollte es, und der Unmut gedieh bis hin zu dräuenden Ankündigungen à la „Fredi, beim nächsten Parteivorstand is‘ aus mit dir“. Bezeichnend: Die SPÖBasis, ohnehin jedweder Mitsprache entwöhnt, reagierte nicht einmal auf die Inthronisierung von Faymann als Gusenbauer II. Den endgültigen Befreiungsschlag versuchte die neue SP-Doppelspitze dann Ende Juni mit ihrem mittlerweile legendären „Brief an den Herausgeber“ (Hans Dichand) der Kronen-Zeitung. Werner Faymann unterhält seit vielen Jahren ein fast schon familiäres Verhältnis zu Dichand. Der Wiener Wohnungsstadtrat, einer der Architekten der Privatisierung der Wiener Gemeindebauten - unter seiner Amtsführung wurden ab 2001 die ersten 700 gemeindeeigenen Wohnungen in Wien an private Immobilienfirmen verkauft und die Umwandlung der zuständingen Magistratsabteilung in die „marktwirtschaftlich orientierte“ Struktur „Wiener Wohnen“ durchgeführt - erfreute sich immer wieder einer fast schon byzantinischen Jubelberichterstattung in Österreichs größtem Kleinformat. Dichand, seit Jahren und Jahrzehnten Verfechter eines beschränkten chauvinistischen „Österreich-Patriotismus“, war nach einem kurzen EU-Flirt 1994


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Gusenmann und Faybauer: Ehemaliger Ministrant übergibt das Amt an christlich-sozialen Hoffnungsträger; „Ich bin Mitglied der katholischen Kirche. (...) Für mich zählen christlich-soziale Werte“ (Faymann in „Heute“ vom 25.7.08) in den letzten Jahren auf einen offen EU-feindlichen Kurs eingeschwenkt. Der Anti-EU-Kurs der „Krone“ zeichnet sich dabei vor allem durch eine penetrante AusländerInnenfeindlichkeit und starke Kulturkampftendenzen aus – unter anderem in der ständigen Hetze gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei.

rinnen und Österreicher 1994 für einen Beitritt zur Europäischen Union gestimmt hat, begegnen wir heute einer Stimmung der Verunsicherung und manchmal auch Ablehnung. Viele Menschen sind enttäuscht und verärgert über die geringen Fortschritte, die die EU auf dem Weg zu einer Sozialunion erreicht hat.

Laut Faymann soll dieser Brief übrigens auch an andere Zeitungen gegangen sein. Inwiefern diese auf die Veröffentlichung verzichteten, um die innenpolitische Krise zuzuspitzen sei aber ebenso dahingestellt wie Faymanns diesbezügliche Äußerung. Im Brief von Faymann und Gusenbauer heißt es dementsprechend:

Viele Menschen beklagen das Demokratiedefizit der EU und die mangelnde Transparenz. Und viele Menschen haben den Eindruck, dass sich die EU nicht mit ihren tatsächlichen Problemen beschäftigt, sondern primär mit sich selbst. Wir wollen diese Sorgen ernst nehmen und unseren Beitrag dazu leisten, dass die EU auf die Kritik positiv reagiert. Österreich soll sich als aktives Mitglied dafür einsetzen, dass die EU zu einer echten Sozialunion wird. Die Auswirkungen europäischer Entscheidungen auf Arbeitnehmer und klein- und mittelständische Unternehmen müssen wesentlich stärker berück-

„Die SPÖ respektiert das Ergebnis der irischen Volksabstimmung uneingeschränkt und vorbehaltlos. Auch in Österreich besteht gegenwärtig eine weit verbreitete Skepsis gegenüber der EU. Nachdem eine überwältigende Mehrheit der Österreiche-

sichtigt werden. (...) Die SPÖ wird sich in der Bundesregierung für eine bessere Informationsarbeit einsetzen, die die Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft in der EU objektiv und nachvollziehbar darstellt. Auf der Basis einer kontinuierlichen Information und einer offenen Diskussion sind wir der Meinung, dass zukünftige Vertragsänderungen, die die österreichischen Interessen berühren, durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden sollen. Sollte also ein geänderter Reformvertrag neuerlich von Österreich ratifiziert werden müssen, so wollen wir den Koalitionspartner von dieser Vorgangsweise überzeugen. Dies gilt auch für einen möglichen Beitritt der Türkei, der unserer Ansicht nach die derzeitigen Strukturen der EU überfordern würde. Wir wollen an einem Europa arbeiten, das sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen auf diesem Kontinent orientiert, und damit das Vertrauen in dieses

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große Einigungswerk wiederherstellen.“ Mit diesem klaren Einschwenken auf den Kurs der „Kronen Zeitung“ wollten Gusenbauer und Faymann mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: - das nahezu organische Bündnis zwischen FPÖ und „Krone“ zerschlagen. Bisher hatte ja die Partei H.C. Straches mit ihrem dumpfen Nationalismus von der Propagandadampfwalze „Kronen Zeitung“ am meisten profitieren und entsprechendes Lob einheimsen können; - den Eindruck einer „Demokratisierung“ ihrer EU-Politik erwecken. Mit einer gewissen Demut (… „respektiert das Ergebnis“ … „wachsender Unmut“... „Volksabstimmung“...) und vielen Tricks wird hier versucht, an die Anti-EU-Stimmung der Massen anzuknüpfen. (Dass diese AntiEU-Stimmung oft genug von rechten DemagogInnen aufgepeitscht wird und in Richtung eines selbstgefälligen „Mir san mir“-Standpunktes

geht, steht dabei auf einem anderen Blatt!) - ausländerInnenfeindliche Ressentiments bezüglich des türkischen EUBeitritts für die SPÖ instrumentalisieren. Dieser absolut unerwartete opportunistische Schlenker versetzte die ÖVP in helle Panik (wobei, nebenbei gesagt, eine genaue Lektüre des Briefes zeigt, dass sich an der EU-Haltung der SP nichts Substanzielles geändert hat). Im ersten Reflex ließen sich ÖVP-SpitzenpolitikerInnen zu Äußerungen hinreißen, die in ihrer Offenheit wenig zu wünschen übrig ließen: Dass Entscheidungen über EU-Fragen zu heikel seien, um sie Abstimmungsprozessen zu unterziehen, oder dass sich auch durch das irische Nein ohnehin nichts ändern werde. Ins selbe Horn stieß die Fraktion der europäischen SozialdemokratInnen im Europaparlament und die europäischen Grünen. In dieser Hinsicht also hatte Gusenmann bzw. Faybauer ihr Ziel erreicht:

Endlich in der Koalition das Gesetz des Handelns an sich zu reißen.Überhaupt hatte es die ÖVP zu diesem Zeitpunkt nicht leicht. Die Partei, die sich seit Jahrzehnten mit Spott und Häme über Parteikrisen der Konkurrenz lustig machte (wenn sie nicht gerade dabei war, den eigenen Parteiobmann abzusägen), sah gerade mit Entsetzen in einem ihrer Kerngebiete, dem „heiligen Land Tirol“, dass ein populistischer christlich-sozialer Querkopf (Ex-ÖAAB-Vorsitzender Dinkhauser) ohne viel Federlesens mit der Landes-Partei Schlitten fuhr und aus dem Stand 19 Prozent der WählerInnenstimmen auf sich vereinigen konnte.

Qual der (Neu-)Wahl Eine Beendigung der schwelenden innenpolitischen Krise ist von Neuwahlen nicht zu erwarten. Im Gegenteil, wenigstens in diesem Punkt ist Österreich nun endlich „europareif“. Für die herrschende Klasse – die KapitalistInnen – ist die bürgerliche Demo-

Bartenstein und Leitl: Zwei Kapitalisten einig im Kampf gegen Lohnabhängige für bessere Ausbeutungsbedingungen

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kratie mit ihren um die politische Vorherrschaft streitenden unterschiedlichen Parteien, mit Wahlen, Meinungs- und Pressefreiheit, dem Versammlungsrecht, gewerkschaftlichen Freiheiten, etc. eine mögliche, aber nicht die einzige Herrschaftsform. Und sie ist mit Sicherheit nicht ihre liebste Herrschaftsform, denn sie ermöglicht es mitunter auch von ihr nicht vollständig kontrollierbaren Parteien, die Regierungsmacht auszuüben. Wenn wir die Geschichte des österreichischen Parlamentarismus hernehmen, finden wir (in der ersten Republik) eine ganze Reihe von Fällen, wo die Bourgeoisie trotz gewählter „VolksvertreterInnen“ auf Notverordnungen und Erlässe zurückgegriffen hat, um ihren Willen durchzusetzen – bis hin zur Auflösung des Nationalrats 1933. In der 2. Republik haben eine Reihe von Bestimmungen (Zweiteilung des Parlaments in eine gewählte und ungewählte Einheit [Bundesrat], Unterstützungserklärungen als Voraussetzung für Kandidaturen, parlamentarische Geschäftsordnung...) zwar das äußere Bild der „Volksvertretung“ gewahrt, in Wahrheit aber damit nur verhüllt, wie undemokratisch die politische Macht in Wirklichkeit ausgeübt wird. Seit der blau-schwarzen Koalition, also ab 2000, ist ganz offensichtlich geworden, dass „ExpertInnen“, „KonsulentInnen“ und „Beiräte“ und damit völlig unlegitimierte Strukturen und Individuen den Kurs der Politik bestimmen. Das war aber auch früher schon so – zur Zeit der funktionierenden „Sozialpartnerschaft“ waren die Regierungen letztlich den VertreterInnen der Wirtschaftsverbände rechenschaftspflichtig und verantwortlich. Damals wie heute fielen die wichtigen Entscheidungen in Unterauschüssen und Kommissionen, das Plenum des Nationalrats ist eine

bloße Abstimmungsmaschine (siehe die Methode Bundeskanzler Schüssels, am 11. Juni 2003 in einer Blockabstimmung insgesamt 91 „Budgetbegleitgesetze“ durch das Parlament zu peitschen, wobei sich hinter den „Begleitgesetzen“ „Kleinigkeiten“ wie die Pensions“reform“ versteckten). Bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts hinauf präsentierte sich die heimische Parteienlandschaft sehr stabil: Die Sozialdemokratie als bürgerliche ArbeiterInnenpartei nahm auf Seiten der lohnabhängigen Bevölkerung die dominante Stellung ein. Ihre Kontrolle über die ArbeiterInnenklasse, vor allem dank ihrer Beherrschung der Gewerkschaften, machte sie für die Bourgeoisie zu einem brauchbaren Instrument ihrer Machtausübung. Angriffe auf soziale Errungenschaften (Liberalisierung der Arbeitszeit, Erhöhung von Massensteuern, Subventionierung oder Steuerbefreiung für Großunternehmen) wären in anderen Ländern mit anderen Klassenkampftraditionen nicht so reibungslos über die Bühne gegangen. Die Bourgeoisie wiederum konnte mit der ÖVP lange alle Interessen ihrer unterschiedlichen Fraktionen unter einen Hut bringen. Als Sammelpartei hatte die ÖVP ja den Vorteil, Industrielle, Mittel- und KleinunternehmerInnen, BäuerInnen und christliche ArbeiterInnen in einer politischen „Holding“ zusammen zu fassen und Konflikte zwischen den unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Bünde durch einen internen „Interessensausgleich“ beizulegen. Der VdU, später die FPÖ, als Interessensvertretung der deutschnationalen und rechtsextremen Fraktionen vor allem der „freien Berufe“ und des Bürgertums nahm lange Jahre eine Randstellung ein. Es war die SPÖ, die 1983 den Freiheitlichen unter ihrem „liberalen“

Vorsitzenden Steger aus der Isolierung half, was wiederum 1986 Jörg Haider die Gelegenheit zum „Putsch von Innsbruck“ gab. In einer geänderten internationalen politischen und wirtschaftlichen Lage, in der die Sozialdemokratie nicht mehr im Stande war, durch reformistische Geschenke ihre Basis bei der Stange zu halten, preschte die Haider-FPÖ als angebliche „Partei des kleinen Mannes“ vor und präsentierte sich als Sammelbewegung aller Unzufriedenen und Zukurzgekommenen. Haiders Stärke bestand darin, hemmungslos Fragen aufzugreifen, auf die von der organisierten ArbeiterInnenbewegung – also den verräterischen Führungen – keine Antworten kamen oder die selbst Teil des Problems waren: Korruption, Privilegien, Arbeitslosigkeit – um dann vereinfachende und falsche reaktionäre Antworten zu geben. Arbeitslosigkeit? „Die Ausländer“ nehmen uns die Jobs weg. Geldprobleme bei den Krankenkassen? „Die Sozialschmarotzer“ sind schuld!... Auch an der ÖVP gingen die Umwandlungsprozesse des Kapitalismus nicht spurlos vorbei. Die sozialpartnerschaftliche Behäbigkeit sollte nach dem Willen aggressiverer Kapitalfraktionen durch einen Konfrontationskurs mit den Gewerkschaften ersetzt werden. Auch aus diesem Eck kam es nun zur Verstärkung der FPÖ (Prinzhorn, Mautner Markhof ). Dass sich viele der Galionsfiguren des Großkapitals persönlich wieder zurückzogen, als Haiders Stil immer wilder wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass sich die FPÖ einen festen Platz als für die Bourgeoisie wertvolle Partei geschaffen hatte. Die Wenderegierung des Jahres 2000 war der Gipfelpunkt dieser Entwicklung. Befreit vom Ballast der Rück-

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sichtsnahme auf eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei in der Regierung, konnte das österreichische Kapital weitgehend ungehemmt zur Sache kommen. Zwar zeigte die Anti-Schwarz-Blau-Bewegung in den ersten Monaten des Jahres 2000, welche Potenziale in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung stecken, und die Streiks des Frühsommer 2003 bedeuteten einen markanten Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte – letzten Endes aber retteten wieder einmal die sozialdemokratischen KompromisslerInnen eine bürgerliche Regierung vor ArbeiterInnenprotesten.

rin, egal welcher ethnischen Herkunft, näher als die in der FPÖ den Ton angebenden Spediteure, Hoteliers, TaxiunternehmerInnen, Versicherungs- und Immobilienmakler usw.

Die Quittung in Form von Demoralisierung, Rückzügen aus den Aktivitäten der Partei und der Gewerkschaften folgten auf den Fuß; die Skandale um BAWAG und ÖGB taten ein Übriges, um die dominierende Stellung der SPÖ in der ArbeiterInnenklasse zu untergraben.

Der „Idealfall“ bei Wahlen ist die eigenständige Kandidatur der revolutionären Organisation auf Basis des kommunistischen Programms. Ziel einer solchen Kandidatur wäre es nicht, Illusionen in den bürgerlichen Parlamentarismus zu fördern oder auf Abgeordnetensitze zu schielen. Vielmehr würde eine solche Kandidatur dazu dienen, vor der Masse der Werktätigen das revolutionäre Programm zu erläutern und die Vorhut davon zu überzeugen, sich der revolutionären Organisation anzuschließen und aktiv an der Vorbereitung der sozialistischen Revolution teilzunehmen.

Auch bei diesen Wahlen haben die österreichischen ArbeiterInnen, die Lohnabhängigen und die Jugend keine Wahl. Keine einzige kandidierende Partei ist im Stande oder gewillt, auch nur im mindesten die ArbeiterInneninteressen zu vertreten. Prinzipiell gilt das, was bei allen Wahlen gilt: Keine Stimme den bürgerlichen Parteien! Wir warnen alle ArbeiterInnen eindringlich davor zu glauben, dass eine „Proteststimme“ für die Freiheitlichen „denen da oben“ irgendwie zu denken geben könnte. Im Gegenteil – die Freiheitlichen mit ihrem Gerede vom „kleinen Mann“, den „Fleißigen und Ehrlichen“ sind selbst in der Koalition mit Schüssel Architekten des Sozialabbaus, der Reformkürzungen und der Zerschlagung der verstaatlichten Betriebe gewesen. Mit ausländerfeindlichen Parolen wollen sie die Lohnabhängigen spalten – dabei steht uns jeder Arbeiter, jede Arbeite-

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Prinzipiell ist jede mit dem Proletariat politisch-historisch verbundende Partei wählbar. Eine weitere Option besteht darin, ungültig zu wählen. Nicht also, der Wahl fernzubleiben! Wir müssen auf jeden Fall zeigen, dass wir das Wahlrecht als wesentliche Errungenschaft der ArbeiterInnenbewegung nicht aufgeben.

In der gegenwärtigen Situation sind wir von dieser Möglichkeit aber noch weit entfernt. Als Revolutionäre sehen wir derzeit, in einer Situation der Klassenruhe und der Entpolitisierung, die in erster Linie dem Verrat der sozialdemokratischen Führung zu „verdanken“ ist, keine Möglichkeit, zur Stimmabgabe für irgendeine der aus der Krise der österreichischen ArbeiterInnenklasse hervorgegangenen Listen aufzurufen. Wir werden daher bei diesen Nationalratswahlen ungültig wählen. Wir anerkennen aber natürlich, dass es KollegInnen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen die SPÖ, die KPÖ oder die LINKE wählen werden. Die-

sen GenossInnen sagen wir: Auch wenn ihr nur zähnekrnischend eure Stimme einer Partei gebt, die ihr für ein „kleineres Übel“ haltet, solltet ihr das dennoch nicht kritiklos tun. Wenn ihr die SP wählen wollt - geht zu den Wahlkundgebungen dieser Partei, fordert die Führer der SPÖ auf, mit der Bourgeoisie zu brechen! Wenn die SPÖ wirklich eine „soziale“ Politik machen möchte, wie sie immer wieder in Wahlzeiten verspricht, soll sie sich dazu verpflichten, im Falle einer entsprechenden Mehrheit allein zu regieren, ernsthafte Maßnahmen gegen die Teuerung zu ergreifen, wie die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation, soll sie sich verpflichten, die fremdenfeindlichen Gesetze der vergangenen Jahre aufzuheben und allen ArbeiterInnen, egal ob mit migrantischem Hintergrund oder nicht, gleiche Rechte auf allen Ebenen zu sichern; dann soll sie sich für den Abzug aller österreichischen Truppen aus allen Ländern einsetzen. Die Liste wäre beliebig erweiterbar... Das gleiche Kriterium - „brecht mit der Bourgeoisie“ - muss natürlich auch auf die KPÖ angewendet werden. Wer heute die KPÖ wählt muss sich bewusst sein, dass die Bundes-KP, ebenso wie die gewichtigere steirische Partei, im Namen ihrer zivilgesellschaftlichen Orientierung Bündnisse mit der Bourgeoisie durchaus für gut befindet. Der ehemalige KPÖ-Vorsitzende Baier hat im Rahmen einer von „Anti-Nationalen“ organisierten Hetzveranstaltung gegen den Iran aus Anlass der infamen „Stop the bomb“-Kampagne eine Resolution unterschrieben, die sich für einen imperialistischen Militärschlag gegen den Iran ausspricht. Die KPÖ ist bestenfalls fähig, Forderungen aufzustellen, die dem klassischen sozialdemokratischen Reformismus entlehnt sind. Eine sozialistische Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist von dieser durch ihre


Rot-Schwarz

stalinistische Vergangenheit diskreditierte Partei nicht zu erwarten. Eine Auseinandersetzung mit der „LIN-

KEN“ findet sich in einem eigenen Artikel unserer Zeitung. Die Vorwahlzeit, die heuer vermutlich um einiges politisierter sein wird als der letzte Wahlkampf, wird für uns Revolutionäre jedenfalls

die Gelegenheit bieten, unsere eigenen Losungen, unser eigenes Programm in die Diskussionen einzubringen...

„Quo vadis, SPÖ?“: Flugblatt zum 1.Mai 2008; als pdf-download auf www.klassenkampf.net.tf

MSZ im Oktober: „Revolutionärer Marxismus, Parlamentarismus und Wahltaktik - Lehren der Vergangen heit, Perspektiven für die Zukunft“ Ort: Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070 Wien Termin wird auf www.klassenkampf.net.tf bekannt gegeben;

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Gesundheitswesen

Die Misere des österreichischen Gesundheitswesens: Zahlen oder Verrecken?

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er Wunsch nach Gesundheit steht bei den Neujahrswünschen der ÖsterreicherInnen stets an erster Stelle. Daher könnte man meinen, dass auch dem österreichischen Staat die Gesundheit seiner Einwohner ein wichtiges Anliegen sei. Immer wieder ist den bürgerlichen Medien zu entnehmen, dass das Gesundheitssystem in Österreich auf Grund der gestiegenen Lebenserwartung und der immer aufwändigeren und technisch verbesserten Medizin nicht mehr finanzierbar sei und deshalb gespart werden müsse. Lösungsansätze sind dabei der Umstieg auf Generika, Kürzung von Leistungen, Erhöhung von Selbstbehalten. Tatsache ist jedoch, dass die Ausgaben für Gesundheit in Österreich seit 1994 stets rund 10 % des Bruttoinlandsprodukts betragen haben. Die Zahl der durchschnittlichen Krankenstandstage pro Lohnabhängigem ist in den letzten Jahren trotz der erhöhten beruflichen Belastungen und der Arbeitshetze aus Angst um den Arbeitsplatz stets gesunken. Gesundheitliche Langzeitfolgen auf Grund der Nichteinhaltung von notwendigen Krankenständen sind die zu befürchtenden Folgen. Von gestiegenen Ausgaben für Gesundheit in Österreich kann daher überhaupt keine Rede sein. Dass die ExpertInnen, auf die sich die bürgerlichen PolitikerInnen dabei in ihrer Argumentation stützen, alles andere als unabhängig sind, beweist z. B. in der Pensionsdebatte der deutsche Wirtschaftswissenschafter Bert Rürup, der im Aufsichtsrat eines Versicherungskonzerns sitzt und Beraterverträge mit mehreren Versicherungsgesellschaften

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hat. Noch unausgesprochen ist die kapitalistische Logik, dass sich Arbeitskraft, die sich aus Altersgründen selbst nicht mehr reproduzieren kann, unnütz und somit eine Belastung für die Gesellschaft ist und daher so wenig wie möglich in die Erhaltung dieser Menschenleben investiert werden soll. Das österreichische Gesundheitssystem basiert auf dem seit 1956 in Kraft getretenen ASVG (Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz). In diesem ist festgelegt, dass die Finanzierung zu je einem Drittel von den Lohnabhängigen, den KapitalistInnen und dem Staat zu erfolgen hat. Jedem Arbeitnehmer werden die Sozialversicherungsbeiträge von der Lohnverrechnung seines Arbeitgebers abgezogen. Diese werden von den KapitalistInnen jedoch keineswegs immer schnurstracks gemeinsam mit den zu leistenden ArbeitgeberInnenbeiträgen abgeliefert. Für 2006 ergeben sich so Beitragsrückstände von 934 Mio. EUR, davon 134 Mio. EUR gelten als uneinbringlich. Auffallend ist, dass sich die Höhe der uneinbringlichen Außenstände seit 1998 fast verdreifacht hat. Hauptverantwortlich dafür sind vor allem Gründungen von Scheinfirmen in der Baubranche. Diese enormen Beitragsrückstände der UnternehmerInnen sind einer der Hauptgründe für die schlechte wirtschaftliche Lage der österreichischen Krankenkassen. Aber auch andere, von der Politik herbeigeführte gesetzliche Änderungen und Entwicklungen (immer mehr geringfügig Beschäftigte, höhere Krankenkassenbeiträge für die Spitalsfinanzierung

an die Bundesländer u. a. m.) lassen die Krankenkassen krank aussehen. Die Begehrlichkeiten der KapitalistInnen Die Situation im österreichischen Gesundheitssystem ist für das Großkapital alles andere als erfreulich: Der Großteil der Menschen lässt sich in öffentlichen Spitälern behandeln, beim Verschreiben der – aus ihrer Sicht – „richtigen“ Medikamente sind die Pharmakonzerne gar auf das Wohlwollen der niedergelassenen Ärzte angewiesen. Diese vielen Ärzte bedürfen einer regelmäßigen Betreuung durch die AußendienstmitarbeiterInnen der Pharmaunternehmen. Dieser Aufwand fällt weg, wenn nur noch die Apotheken auf den Verkauf der „richtigen“ Produkte getrimmt werden müssen. Das ist einer der Hintergründe, warum die Ärzte per Gesetz nur noch die Wirkstoffe für die Behandlung verschreiben sollen und nicht mehr ein bestimmtes Medikament. Das würde also eine Verlagerung auf die Apotheken bedeuten, die schon jetzt ihre KundInnen bei nicht rezeptpflichtigen Produkten nach ihren eigenen Vorstellungen und – da profitorientiert – so beraten, dass das Produkt mit den höchsten Gewinnspannen empfohlen wird. Künftig sollen die ApothekterInnen verpflichtet sein, beim vom Arzt verschriebenen Wirkstoff das billigste Produkt – also wenn möglich ein Generikum – auszugeben. Die Zulassung von Ärzten soll künftig damit verknüpft sein, dass sie möglichst lückenlos nicht die beste, sondern die billigste Therapie verschreiben. Zufällig ist es Wirtschaftsminister


Gesundheitswesen

Bartenstein, der mit der Pharmafirma Genericon ein großes Unternehmen für Produktion und Vertrieb von Generika betreibt. Ein Schelm, wer da etwas Böses denkt.

anstalten dürfen sich über mehrstellige Zuwachsraten beim Abschluss von privaten Krankenversicherungen und medizinischen Zusatzversicherungen freuen.

dem Motto „Zahlen oder Verrecken“ mehr als 50 Mio. Menschen keine Gesundheitsversorgung haben, weil sie sich die Versicherungsbeiträge nicht leisten können.

Der Pharmaindustrie und dem Handel ist auch das Apothekergesetz, welches den Vertrieb der meisten medizinischen Produkte ausschließlich über Apotheken mit Beratung vorsieht, ein Dorn im Auge. Schließlich würde man liebend gern die Profite selbst einsacken.

Es soll nach Möglichkeit – wie bei der Pensionsvorsorge – bei den Menschen der Eindruck entstehen, dass nur wer privat versichert ist, auch eine ausreichende Leistung zur Verfügung hat und optimale Gesundheitsversorgung nur von privaten Ärzten und in privaten Krankenhäusern gewährleistet ist.

Die Rolle der Sozialdemokratie

Wir können uns darauf gefasst machen, dass ein Vertrieb über Drogeriemarktketten wie DM, Bipa oder Müller auf der Tagesordnung einer der nächsten Gesundheitsreformschritte stehen wird. Schließlich wäre der Drogeriehandel, der in Österreich von wenigen Ketten dominiert wird, ein wesentlich leichter zu betreuender und kontrollierender Partner für die Pharmaindustrie als die hunderten Apotheken in Österreich. Eine Vorleistung für die von den KapitalistInnen herbeigesehnte Privatisierung des Gesundheitssystems in Österreich ist die von ÖVP und SPÖ geplante Umwandlung des Hauptsverbands der Sozialversicherungsträger in eine Holding. Einen radikalen Denkansatz hat die extreme Rechte. FPÖ-Führer H.C. Strache spricht in einem „Standard“Interview vom 14.7.2008 vom Wunsch nach eingeschränkten Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung für MigrantInnen. Von Zahnersatz bis Hüftprothese verlangt der gelernte Zahntechniker Strache, dass nur österreichische StaatsbürgerInnen diese Versicherungsleistungen erhalten. Ein großer Profiteur der durch die laufende Gesundheitsdebatte ausgelöste Verunsicherung der Bevölkerung ist auch die österreichische Versicherungswirtschaft. Nicht wenige Versicherungs-

Tatsächlich kann dieser Eindruck entstehen. Viele PatientInnen waren und sind von monatelangen Wartezeiten auf einen Kassenarzt-Termin oder gar auf eine Operation betroffen. Die mittlerweile selige Ambulanzgebühr der schwarzblauen Bundesregierung und die in deren Regierungsprogramm angedachte Einführung eines 20 %igen Selbstbehalts beim Arztbesuch waren Vorboten einer radikalen Verschlechterung des österreichischen Gesundheitssystems. Das ist eine von den Herrschenden bewusst herbei geführte Verunsicherung und Aushöhlung von medizinischen Leistungen, für die es keine begründbare Veranlassung gibt – außer der Absicht nach neuerlicher Umverteilung von Arm zu Reich. Das Endziel der KapitalistInnen ist die völlige Zerschlagung des österreichischen Gesundheitssystems und eine Umstellung auf ausschließlich private Krankenversicherung. Dieser „freie“ Markt würde nicht nur freie Bahn für die Versicherungsunternehmen, sondern auch den Wegfall der Unternehmerbeiträge für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung bedeuten. Damit wären Zuständen wie in den USA Tür und Tor geöffnet, wo nach

Im Wahlprogramm der SPÖ war vollmundig von „erstklassiger medizinischer Versorgung mit weniger Selbstbehalten“ die Rede. Dass dann ab Jänner 2008 beispielsweise die Rezeptgebühren und die Selbstbehalte für Sehbehelfe mit SPÖ-Regierungsbeteiligung beschlossen wurden, ist nur Ausdruck für eines von vielen gebrochenen Wahlversprechen der sich ehemals ArbeiterInnenpartei nennenden SPÖ. Darüber kann auch nicht die viel gepriesene Deckelung der Rezeptgebühren für chronisch Kranke hinweg täuschen. Die Realpolitik der Sozialdemokratie sieht so aus, dass sie all diese Selbstbehalte (Rezeptgebühr, Spitalselbstbehalt, Selbstbehalt für Heilbehelfe, Kurselbstbehalt, Krankenscheingebühr – jetzt ECard-Gebühr) eingeführt und immer wieder erhöht hat. 2008 wurde sogar die automatische Wertanpassung all dieser Gebühren mit Zustimmung der SPÖ im Parlament beschlossen. Die Absicherung des Gesundheitssystems, die die SPÖ für die nächste Legislaturperiode verspricht, ist eine gefährliche Drohung, die nichts anderes als erhöhte Selbstbehalte, Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen bedeutet. Die österreichische ArbeiterInnenklasse hat sich von der SPÖ also auch im Bereich Gesundheitsversorgung nichts, aber auch gar nichts zu erwarten. Die Zeiten, in denen die SPÖ Teil der ArbeiterInnenbewegung war und das österreichische Gesundheitswesen miterkämpft hat, sind längst vorbei.

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Gesundheitswesen

Perspektiven für das österreichische Gesundheitswesen Es kann – nein, es muss einen anderen Weg für das österreichische Gesundheissystem geben. Es kann und darf nicht sein, dass der individuelle Umfang der Brieftasche künftig über ein Menschenleben entscheiden soll. Zu den angeblich unvermeidlichen Einschnitten im Gesundheitswesen sehen wir folgende Alternativen: - Kostenlose Gesundheitsversorgung unter ArbeiterInnenkontrolle! - Medizinische Ausbildung, die nicht der Profitlogik des Kapitals unterworfen ist ohne Zugangsbeschränkung! - Vergesellschaftung der Pharmaindustrie und des Arzneimittelvertriebs! - Orientierung auf die Bedürfnisse der Bevölkerung und nicht auf Profite! - Beseitigung der berufsständischen Unterscheidung zwischen ÄrztInnen, ApothekerInnen und Pflegepersonal!

Jour Fixe der GKK

- Gemeinsames Arbeiten in vergesellschafteten Gesundheitszentren als GesundheitsarbeiterInnen!

jeden Montag im Oktober 2008 Ort: Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070 Wien

- Verbesserung der Versorgung in ländlichen Gebieten!

Änderungen werden auf www.klassenkampf.net.tf bekannt gegeben

- Ausbau der medizinischen Versorgung in den Betrieben

IMPRESSUM: Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: Die in Gründung befindliche politische Partei „Gruppe Klassenkampf“. Alle: Stiftgasse 8, 1070 Wien. Druckort: Wien Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: 100%-iger Eigentümer der periodischen Druckschrift KLASSENKAMPF ist die (in Gründung befindliche) politische Partei „Gruppe Klassenkampf“. Die Partei ist an keinem anderen periodischen Druckwerk finanziell beteiligt. Blattlinie: Informationen und Analysen im Interesse der arbeitenden Klassen.

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Pe n s i o n e n

Alt zu werden ist nicht schwer - alt zu sein dagegen sehr

M

it der Verabschiedung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) 1955 wurde die Grundlage der sozialen Absicherung bei Unfall, im Krankheitsfall und für die Altersversorgung geschaffen. Erst mit 1962 wurde der Begriff der Pension statt der in Deutschland immer noch gebräuchlichen Rente eingeführt. Zu deren Finanzierung wurde das Umlageverfahren herangezogen. Dieses landläufig auch unter der Bezeichnung Generationenvertrag bekannte System verwendet die einbezahlten Beiträge direkt zur Deckung der fälligen Pensionen: je ein Drittel wird von Beschäftigten, UnternehmerInnen und vom Staat beigesteuert - so zumindest der Grundgedanke. Dass der sogenannte Arbeitgeberanteil direkt von den Lohnabhängigen erwirtschaftet wird und der Staat seinen Beitrag aus dem allgemeinen Steuertopf bestreitet, soll die Beitragsbelastung in ein etwas anderes Licht rücken. Hier sehen wir auch schon die Ähnlichkeit mit dem 3-Säulen Modell, das seit 2000 von der schwarz-blauen Wenderegierung vehement propagiert und gefördert wurde: staatliche (mit der zuvor beschriebenen Drittelfinanzierung), betriebliche und private Vorsorge, allerdings mit einer völlig anderen Absicht, wie wir später noch sehen werden. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es im Pensionswesen eine weitere auf drei Stützen basierende Unterteilung gibt: die Rentenversicherung, die Gesundheitsvorsorge und die Rehabilitation bilden in ihrer Gesamtheit unser staatliches Pensionsystem.

Zur Durchsetzung des 3-Säulen Modells – Staat, Privat, Betrieb – bedarf es natürlich der dazu passenden Begleitmusik. Denn in Österreich liegt der staatliche Anteil an der Altersversorgung bei beachtlichen 91%. Dieser Schatz muss gehoben werden, denken sich nicht nur der Kapitalmarkt und der Finanzminister. Schon seit mehreren Jahren wird die Festung medial sturmreif geschossen: da sind die ins Rampenlicht gezerrten Pensionsmillionäre, Mehrfach- und FrühpensionistInnen, nicht zu vergessen die BeamtInnen und die ehemals verstaatlichte Industrie, die die Neidgesellschaft letzten Endes dazu bringen soll, den Generationenvertrag lieber heute als morgen in tausend Stücke zu zerreissen. Als nächste Stufe die „egoistischen“ Babys, die partout Nichts von ihrem Fläschchen hergeben wollen – ein wahrer Anreiz zur privaten Pensionsvorsorge mit dem Kalkül des eigenen kompletten Versagens in Erziehungesfragen. Dann gibt es da aber auch für die intellektuell etwas Anspruchsvolleren unter uns die unübersehbare Steigerung der Lebenserwartung, mit wissenschaftlichen Studien - und somit unfehlbar - zur latenten Bedrohung aufbereitet. Dabei sollte es einem zu denken geben, wenn Politiker, die sonst im günstigsten Fall einen Horizont von vier - bald fünf - Jahren bis zur nächsten Wahl haben, sich plötzlich für einen Zeitraum von 30, 40 und mehr Jahren zu interessieren beginnen! Was steckt also dahinter? Das liebe Geld natürlich: Die Pensionen sind nicht mehr leistbar! Private Vorsorge für einen gesicherten Lebensabend! Das Budget entlasten! Besonders perfide: Unseren Kindern nicht die Zukunft verbauen!

Schauen wir uns einmal den Bundeszuschuss, also die eigentlich aus dem Budget zu berappende Größe, an. Der höchste Anteil von gut 34% liegt schon eine Weile zurück und datiert aus dem Jahre 1977. Außerdem, wir erinnern uns, entspricht er in etwa dem, was als Staatsbeitrag ursprünglich angedacht war. Aktuell bewegt er sich in der Größenordnung von ca. 20%. Was nichts anderes heißt, als dass die restlichen 80% über das Umlageverfahren direkt in die Pensionskassen kommen - also von den zukünftigen PensionistInnen als Prämie bezahlt werden. Dass bei über 2 Millionen PensionistInnen auch 20% ein schönes Sümmchen sind, liegt auf der Hand. Im Laufe der Jahrzehnte kamen immer mehr Bevölkerungsteile in den Genuss der staatlichen Altersvorsorge, zum Teil, wie bei den Industriellen Anfang der 50er Jahre, auch gegen deren Widerstand. Dass es sich dennoch gelohnt haben dürfte, zeigt eine genauere Aufschlüsselung des Bundesbeitrages für das Jahr 2001: so kommen Arbeiter auf 18,5%, Angestellte sogar nur auf 9,2% Bundeszuschuss; gewerbliche Selbständige hingegen bekommen 41%, Bauern und Landwirte ca. 85% vom Staat bezuschusst! Oder in einem anderen Zusammenhang in Zahlen des Instituts für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aus einem Artikel des Jahres 2000 ausgedrückt: „Für 1,6 Mio. Pensionen im Bereich der Unselbstständigen werden 37,7 Mrd. S Bundesbeitrag geleistet, für 340.000 bei Gewerbetreibenden und Bauern 25,3 Mrd. S!“ Dass Unternehmer und Bauern keinen Arbeitgeberanteil beitragen können, liegt ja auf der Hand, könnte man zynischerweise sagen. Wenn das keine Umverteilung bedeutet, was dann?

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Pe n s i o n e n

Im Weiteren nur eine Anmerkung zur Überalterung der Gesellschaft. Wenn man die steigenden Belastungen des Pensionssystems der letzten Jahrzehnte hernimmt, so kann man diese durchaus mit den auf uns zukommenden vergleichen. Der Verweis auf die Position Österreichs unter den zehn reichsten Ländern der Erde dient in diesem Zusammenhang nur dazu, den ewigen Jammerern aus der „Leistungsträger“Ecke und den Umverteilungsgegnern den argumentativen Wind aus den Segeln zu nehmen. Ein einfaches Beispiel aus dem Jahr 2004 soll uns veranschaulichen, wovon eigentlich die Rede ist: nimmt man 100€ aus dem Jahre 1964 und vergleicht man diese 40 Jahre später mit der durch die Inflation bewirkten Wertveränderung, so kommt man auf 500€, also eine Verfünffachung. Orientiert man sich aber für den selben Ausgangsbetrag an der Steigerung der Wirtschaftsleistung, dann ergibt sich ein Betrag von 1.800€! In der Einbindung dieser Steigerung der Wertschöpfung in die Finanzierung unseres Sozialsystems liegt der zentrale Schlüssel zu dessen Sicherung auch über Jahrzehnte hinaus! Wir sollen also dazu animiert werden, wegen der herbeigeredeten Unfinanzierbarkeit unserer Pensionen in die Privatvorsorge zu investieren. Das Geld, dass wir an der öffentlichen Pension sparen? Da ist der Finanzsektor schon ganz scharf drauf, und hierbei sind die Betriebspensionskassen wohl am besten aufgestellt. Die Abhängigkeit vom Finanzmarkt und das damit verbundene Risiko werden dabei weniger hervorgehoben, ebenso wie der beträchtlich höhere Verwaltungsanteil. Und natürlich muss entsprechend geworben werden, damit es sich gut verkauft, denn von selbst verkaufen sich ja nur die sprichwörtlichen warmen Semmeln.. Warum man das Ganze auch noch staatlich för-

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dern muss? Das sollen jene erklären, denen die meiste Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird und die sonst immer gleich von zuviel Staat reden. Der erste große Schritt in der Systemänderung wurde mit der Pensionsreform 2003 – zynischerweise auch „Pensionssicherungsreform“ genannt – bereits durchgeführt. Es kam auch zu überraschend großem Protest, der allerdings gegen „kleinere“ Zugeständnisse nicht weiter geführt wurde: durch die ursprünglich geplanten Änderungen etwa könnte es zu Pensionskürzungen von bis zu mehr als 40% kommen, diese wurden daraufhin mit 10% gedeckelt – aber Vorsicht, ein einfacher Parlamentsbeschluss, und der Deckel fliegt weg! Nicht zu vergessen, die um ein Jahr verzögerte erste Pensionsanpassung. Das macht derzeit etwa 2% aus, also in Summe 12% oder 1,5 Monatspensionen im Jahr. Nicht zu vergessen der verstärkte Zwang zur Erreichung des gesetzlichen Pensionsantrittsalter – aber wird auch dafür Sorge getragen, dass die älteren Menschen dann Arbeit finden können? Entschuldigung, darum geht’s ja nicht. Hauptsache die Abschläge bei vorzeitigem Pensionsantritt fallen saftig aus (4,2% statt 3% pro Jahr). Und um es noch geschmacklich abzurunden wird der Bemessungszeitraum sukzessive von 15 auf die besten 40 Jahre erhöht – alleine diese Maßnahme bewirkt im Endausbau eine durchschnittliche Pensionskürzung von 25%, wovon Frauen naturgemäß am Stärksten betroffen sind. Wie oft pochen unsere bourgeoisen „Freunde“ auf das Recht - denn es ist ihr Recht - wenn sie sagen, „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten)? Vertrauen ist grundlegend wichtig für ein Rechtssystem, man muss sich darauf verlassen können. Wie ist das dann mit dem Generationenvertrag? Warum

sollen die bisher erworbenen Pensionsansprüche weniger gelten? Und warum ist für die erworbenen Beitragsjahre keine Wertanpassung vorgesehen? Freuen wir uns doch über eine höhere Lebenserwartung, sie könnte ja als Errungenschaft unserer Lebensweise gesehen werden: - staatlich garantierte Altersversorgung - Drittelfinanzierung für alle Gruppen, - Erhöhung der Mindestpensionen - Zurücknahme der Verschlechterungen durch die Pensionsreform 2003 - Einbindung der Wertschöpfung zur Finanzierung Jeder von uns sollte die Möglichkeit auf einen gesicherten Lebensabend haben!

„Du wirst sehen - wir werden bald bis 80 arbeiten müssen!“ „Ja, damit wir den Jungen helfen können, die keine Arbeit kriegen!“ (Bildunterschrift: Logik)


LINKE

Die „LINKE“ - Zwischen „linker Alternative“ und „zivilgesellschaftlichem“ Treibsand

Z

u den kommenden Nationalratswahlen (NRW) treten neben den im Parlament vertretenen Parteien eine Reihe von Listen, Gruppen und Kleinparteien an. Darunter auch die Liste „LINKE“, welche sich ihrem Namen entsprechend als „linke Alternative“ präsentiert. Wir meinen, dass sie diesem Anspruch auf Grund der gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen und der völlig überstürzten und unseriösen Herangehensweise bei ihrer Kandidatur nicht gerecht werden kann.

Die Vorgeschichte Im Herbst 2007 gründete sich ein von „zivilgesellschaftlichen“ Gruppen dominiertes Bündnis mit dem Namen „Plattform Volxabstimmung“ (PV)1, welches für ein Referendum über den „Vertrag von Lissabon“ der EU eintrat. Die PV war sehr heterogen und halboffiziell arbeiteten auch Parteien und Kaderorganisationen wie „Kommunistische Initiative“ (KI), KPÖ, „Liga für die sozialistische Revolution“ (LSR, vormals AST) und die „Sozialistische Linkspartei (SLP) mit2. Schon sehr früh wurde über eine etwaige weitere Zusammenarbeit für die Zeit nach der, von den meisten Beteiligten erwarteten, Ratifizierung des „EU-Reformvertrags“ durch das österreichische Parlament diskutiert. Die Ansätze waren unterschiedlich. Die „Steuerinitiative im ÖGB“, vertreten durch die Brüder Kohlmaier, trat für eine „Wahlgemeinschaft“ „zivilgesellschaftlicher“ Organisationen ein. Dieses sollte, liest man die Einträge im Gästebuch ihrer Website, auch für reaktionä-

re und rassistische Gruppen, Parteien und Bürgerinitiativen offen stehen (im Widerspruch zu vorgeblicher Abgrenzung von solchen Erscheinungen!). Andere dachten an ein „linkes“ Bündnis, wobei eine Kandidatur zur NRW weder ausgeschlossen noch konkretes Ziel war. Rund um letztere KollegInnen sollte sich später die "LINKE" formieren.

„Linker Ratschlag“

Veränderung der politischen Situation nicht und konnte dem Gedanken eines „offenen Fensters“ nichts abgewinnen. Begrüßt wurde seitens der KP-Vertreter allerdings ein Bündnis für Aktivitäten gegen die Teuerungen. Zwei Tage später, am 7. Juli 2008, stand fest, dass die rot- schwarze Koalition auseinander gebrochen war und die NRW vor der Tür standen.

Eine Konferenz

Für den 5.Juli 2008 wurde zu einem „bundesweiten Linken Ratschlag“ in Wien aufgerufen. Dieser war, trotz des sehr sommerlichen Wetters, besser besucht, als es sich die InitiatorInnen gedacht hatten. Eine größere Teilnahme relevanter Teile der ArbeiterInnenbewegung war aber nicht erkennbar. Dennoch stieg die Erwartungshaltung und man beschloss die Einrichtung von „offenen Arbeitsgruppen“, um für Spätsommer/Herbst eine bundesweite Konferenz vorzubereiten. Im Falle vorgezogener Neuwahlen sollte diese rechtzeitig vorher – auch in Hinblick einer möglichen, aber noch nicht beschlossenen Kandidatur – stattfinden.

Überrumpelt von den Ereignissen wurde für den 19.Juli wieder im Wiener Amerlinghaus eine Konferenz einberufen, die, zurückhaltend ausgedrückt, skurril war. Nach einer einleitenden Rede von Hermann Dworczak (Austrian Social Forum, Initiative für einen kämpferischen und demokratischen ÖGB)3 folgten zahlreiche Redebeiträge. Viele davon waren von LSR-, Revolution (LSR- Jugendorganisation)- und SLP- Mitgliedern vorbereitet worden. Überwiegend sprach man sich für eine Kandidatur aus. Eine „wann, wenn nicht jetzt“ - Stimmung stellte sich ein.

Beim Treffen der "Linken" wurde deutlich, dass sowohl LSR als auch SLP ein breiteres Wahlbündnis anstrebten. Schon war die Rede von einer Partei der „ganz anderen Art“ und vom in weiterer Folge strapazierten Begriff des „offenen Zeitfensters“. Dieses würde sich bald wieder schließen, weswegen man jetzt die Chance nützen müsse. Gegen ein Wahlbündnis sprach sich bereits damals ein Vertreter der steirischen KP aus. Für sie sei, im Falle von Wahlen, die Bundes-KP die erste Ansprechpartnerin. Ein Vertreter der KP-Oberösterreich teilte die Einschätzung einer qualitativen

Nach vielen pro und wenigen kontra Stellungnahmen, darunter eine vom Landessprecher der KPÖ-Wien, die äußert ablehnend aufgenommen wurde, stimmten die KonferenzteilnehmerInnen über einen Antritt zur NRW ab. Einige Wenige, darunter zwei Beobachter der GKK, enthielten sich der Stimme. Das für uns Irritierende war, dass im Vorfeld nicht über programmatische Erwartungen, geschweige denn über ein Rohkonzept eines politischen Programms diskutiert wurde! Niemand konnte oder wollte sagen, welche konkreten politischen Ziele das zu diesem

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LINKE

Zeitpunkt noch namenlose Projekt vertreten wolle. Trotzdem stimmte die überwältigende Mehrheit für eine Kandidatur! Die Euphorie war spürbar. Ein Mitglied der LSR sprach gar von einem „historischen Tag“!? Nur einige Wenige waren skeptisch oder sahen bereits das Ende „ihres“ Projekts heran brechen. Es sollte nicht lange dauern, bis sich Manche von der „LINKEN“ scharf distanzierten oder gar zum Stopp dieses Projekts aufriefen – darunter auch welche, die noch kurz davor enthusiastisch für die Kandidatur gestimmt hatten ...

Eine Pressekonferenz Die in den Massenmedien einiges Aufsehen erregende Pressekonferenz der künftigen Wahlliste führte zu den ersten Turbulenzen innerhalb der "LINKEN“. Eine Vertreterin der LSR wagte einen Vorstoß während des offensichtlich nicht gut vorbereiteten Auftritts für die Medien. Sie forderte eine „Enteignung der oberen Zehntausend“. Was der „LINKEN“ das bisher einzige relativ große Echo in der medialen Öffentlichkeit bescherte. Dies war aber alles andere als gewünscht. Die Forderung der LSR führte zu Beschwichtigungs- und Distanzierungsversuchen innerhalb der „LINKEN“ um das „plurale“ und „breite“ Projekt nicht durch radikale Ansichten zu gefährden.

Man bemühte sich, zumindest in Wien, „programmatische Eckpunkte“ zu entwickeln, die zum Teil hinter die beim „Linken Ratschlag“ angesprochenen Forderungen (die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von MandatarInnen wurde nicht mehr erwähnt) zurückfielen. Innerhalb kürzester Zeit kristallisierte sich die „LINKE“ als ein reformistisches Wahlbündnis heraus, wie wir es bereits in unserer Stellungnahme vom 22. Juli diesen Jahres voraus gesagt hatten. Im Gegensatz zu den verschiedenen KritikerInnen der „LINKEN“, die sich in einer Phraseologie wie „trotzkistischstalinistisches“ oder „steinzeitkommunistisches“ Bündnis ergehen, halten wir die „LINKE“ weder für das Eine noch für das Andere. Den Begriff „Steinzeitkommunismus“ lehnen wir prinzipiell wegen seiner diffamierenden antikommunistischen Bedeutung ab. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen tatsächlich kommunistische Gesellschaften in Ostanatolien rund 6000 v.d.Z..zu belegen scheinen (siehe dazu www.urkommunismus.de). Die Wiener „programmatischen Eckpunkte“ der „LINKEN“ haben mit ihrem sozialdemokratischen Charakter gar nichts mit Trotzkismus zu tun. Und wenn die KPÖ ihren ehemaligen Mitgliedern, die sich zum Teil in der KI zusammen gefunden haben, Stalinismus vorwirft, können wir dazu höchstens milde lächeln.

LSR – allein gegen Alle Die „LINKE“ kam nicht zuletzt deswegen in Erklärungsnotstand, weil sie – natürlich - noch immer kein Programm vorweisen konnte. Die Folge des LSRAusritts war der Rückzug einiger oben erwähnter Aktivisten und eine gehässige Propaganda der KPÖ, die an ihre stalinistische Tradition erinnern ließ und gleichzeitig ihre tatsächlich konterrevolutionäre Haltung aufzeigte.

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Wie nicht anders zu erwarten, stellte sich sehr schnell das gewohnte HickHack zwischen LSR auf der einen Seite und KI, SLP, diversen „PluralistInnen“ und penetrant-ignoranten „zivilgesellschaftlichen“ AntikommunistInnen auf der anderen ein. Von außen betrachtet entsteht der Eindruck, dass die LSR marginalisiert werden soll (kein direk-

ter Zugriff auf die Website, keine LSRKontaktadressen bei Presseaussendungen der LINKEN etc.). Hier ist kaum ein Unterschied zur PV zu erkennen, in der solche Methoden ja ebenso üblich waren. Als die LSR ihren Programmentwurf einbrachte, der im Vergleich zum „Wiener Programmentwurf“ deutlich klassenkämpferischer ist, war das für einen Attac-Sympathisanten, der wohl der Ansicht ist, die LINKE sei etwas ähnliches, zu viel. Er schrieb: „Als ich die LINKE begann zu unterstützen, ginge ich davon aus, dass dahinter eine Plattform der Solidarisierung zwischen alle schaffenden Menschen - Arbeiter, Angestellte, Beamte-an-der-Kippe, Selbständige-am-Rande-der-Existenz sich konsolidiert, zumal alle unter dem Neoliberalismus leiden. Pragmatisch, begründet argumentierende und nüchtern denkende Leute ... so wie ATTACis. .. stellte ich mir die Gründer der Plattform vor. In der e-mail die Sie ausgeschickt haben, finde ich aggressive und herumschreiende ‚REVOLUTIONÄRE' vor, die einen Vorschlag für ein Programm nicht in gemeinsame Diskussion und durch Überzeugung entstehen lassen, sondern es gerade zu aufzwingen. Und nicht zu übersehen.. es scheint mir ein vorprogrammiertes Gewaltpotenzial durch die Wortwahl zu finden: "Deswegen richten wir das Hauptaugenmerk unserer Arbeit auf die Mobilisierung und Organisierung des Widerstandes von unten und nicht auf die Beteiligung an Wahlen oder die Arbeit in einem Parlament."[…] Ich glaube dass dieses stürmisches Aufzwingen des Programmvorschlages kontraproduktiv - im Sinne eine Konsolidierung breit durch die Gesellschaft - ist und einige der avancierten Ideen unrealistisch


LINKE

oder "Fehlgeburt" sind.In dem Sinne gehe ich auf Distanz zu dem Vorschlag und die Art diesen „anzubringen“. Das könnte direkt von einem Vertreter der PV stammen. Ein Programmentwurf, der in die Diskussion eingebracht wird, wird als „stürmisches Aufzwingen“ denunziert, die Kader der LSR werden als „aggressive und herumschreiende Revolutionäre“ abgestempelt und „Widerstand von unten“ gilt als unschicklich, weil darin „ein vorprogrammiertes Gewaltpotenzial“ angelegt sei. Die Dummheit dieser Stellungnahme ist bemerkenswert. Wie bitte sehr sollte man sich wehren ohne Widerstand zu mobilisieren!? SLP und KI haben sich dazu sicherheitshalber vorerst nicht schriftlich geäußert. Wer sich mit allen möglichen und unmöglichen Leuten ins politische Bett legt, muss vorsichtig sein und orientiert sich eben, um das „breite, plurale, kantige Linksprojekt“ nicht zu gefährden, potentiell an den rückständigsten Kräften. Wie weit zum Beispiel die SLP bereit ist zu gehen, zeigt, dass sie zugelassen hat, dass ein Arbeitslosensprecher an der ersten Pressekonferenz als Repräsentant der "LINKEN" auftreten konnte, der zum Jahreswechsel mit rassistischen Äußerungen aufgefallen war! Auch von außen wird auf die LSR "geschossen". Gegen die LSR beziehen sowohl Antinationale als auch Franz Parteder (KP-Steiermark), der die LSR in einem Posting im online-Standard als „Psychosekte“ bezeichnet, Stellung. Offensichtlich will er hier ganz populistisch mit dem großteils rückständigen Standard-Community-Mainstream mitschwimmen und hofft auf die Rückgratlosigkeit und die Eifersüchteleien innerhalb der "LINKEN". In einem

anderen Posting versucht er scheinbar eine Annäherung für die Zeit nach den Wahlen vorzubereiten und schreibt: „Ehrenwert. Ich halte den Versuch, eine Bündniskandidatur zu schaffen, für ehrenwert. Er wurde aber mit untauglichen Mitteln unternommen. Spott darüber ist nicht angebracht. Nach dem 28. September geht das Leben weiter.“

- Arbeitszeitverkürzung und Mindestlohn statt Flexibilisierung und Angriff auf Arbeitslose - Ausbau des öffentlichen Dienstes, ein öffentliches Investitionsprogramm in Wohnen, Gesundheit und Verkehr statt Privatisierungen und Sozialabbau. - Gleiche Rechte für alle in Österreich lebenden Menschen statt soziale und politische Diskriminierung und Rassismus.

Die Einen sind also „ehrenwert“, die Anderen sind Psychos! Die steiermärkische Welt des „Kommunismus“ ist recht einfach...

- Für ein vereinigtes Europa der ArbeitnehmerInnen, gegen rassistische Hetze, Aufrüstung und kapitalistische Profitwirtschaft

Wie lange die LINKE diese Spannungen aushalten wird können, wird sich zeigen. Zumindest als LieferantIn von Unterstützungerklärungen für die Kandidatur ließ sich die LSR gebrauchen und vielleicht kann sie auch im Wahlkampf noch die Rolle des Laufburschen spielen. Aber alles andere sollen dann doch lieber die „Ehrenwerten“ übernehmen. Unwillkürlich fragt man sich, wieso die LSR immer wieder die Rolle des Buhmanns einnimmt und sich seit langem auf „zivilgesellschaftliche“ Bündnisse und Projekte, die solchen nicht unähnlich sind, einlässt. So beharrlich fruchtlose Arbeit zu leisten, anstatt sich um einen ernsthaften Aufbau einer revolutionären Partei zu bemühen, ist unsere Sache jedenfalls nicht!

Ein bemerkenswerter Satz schwächt diese ohnehin schon sehr zahme Stellungnahme zusätzlich ab:

Das doppelte Spiel der SLP Die SLP trat von Anfang an bedeutend vorsichtiger und kompromissbereiter auf. Das dürfte ihr bewusst und gegenüber der eigenen Internationale, dem "Committee for a Workers' International" (CWI), unangenehm sein. Im „Schriftlichen Beitrag zum Linken Ratschlag“ der SLPBundesvorsitzenden wird folgendes gefordert:

„Ich denke, dass ein alternatives, sozialistisches Gesellschaftssystem die Antwort sein kann und ist, die wir anbieten sollten“ (Hervorhebung der Redaktion). Wir vertreten die Meinung, dass der Sozialismus die einzige Alternative ist und nicht nur sei kann, wenn es ein paar „Linken“ gerade angenehm ist. Für die eigene Internationale gibt man sich revolutionär und schreibt unter dem Titel „Political establishment in turmoil”: “ During the conference we also argued for democratic structures - for a co-ordinating committee to be elected and for regional conferences, as well as for a programme including the following points: A shortening of the working week, a minimum wage, and wages automatically increased with inflation, instead of precarious jobs, rising costs of living and attacks on the unemployed Increase the budget for public services, the health system, public housing and public transport, instead of job cuts, privatisation and social cuts

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Public childcare and care for the elderly, as well as equal pay for equal work for women Against all forms of privileges for politicians For fighting and democratic unions For a united socialist Europe, instead of the neo-liberal EU of the bosses For a democratically socialist planned economy - a society without exploitation and oppression (Hervorhebung der Redaktion) Für das internationale Publikum, welchem man zumindest sozialistische Rhetorik zutraut, wird also von einem "sozialistischen Europa" und "demokratischer, sozialistisch geplanter Wirtschaft" gesprochen. Wir wissen nicht, ob die SLP die österreichischen KollgInnen für solche Forderungen zu rückständig hält, oder sie selbst nicht wirklich ernst nimmt. Wir ersparen uns auch an dieser Stelle den Kommunikationsstil innerhalb des CWI zu kommentieren und halten fest, dass bis zum Redaktionsschluss unserer Zeitung kein verbindliches Programm der "LINKEN" vorlag.

Keine bundesweite Kandidatur - aber Achtungserfolg Die "LINKE" hat eine bundesweite Kandidatur auf Grund der undemokratischen gesetzlichen Regelungen nicht geschafft. Eine Kandidatur konnte zuerst wenig überraschend in Wien, dann in Salzburg, Oberösterreich, Burgenland und Tirol eingereicht werden. Gerade in Oberösterreich stand sie auf Messers Schneide. Dies ist bemerkenswert, denn in diesem Bundesland zeigten sich für österreichische Verhältnisse relativ kämpferische Teile des Proletari-

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ats, die für die "LINKE" aber schwer zu gewinnen waren. Trotz aller Kritik gratulieren wir den KollegInnen zu ihrem Erfolg. Schade nur, dass diese Energie in ein unsinniges Projekt gesteckt wird. Ein positiver Aspekt der "LINKEN" ist jedenfalls die Zusammenarbeit mit Organisationen aus dem MigrantInnenBereich wie z. B. ATIGF und ADHF.

Warum wir uns an der „LINKEN“ nicht beteiligen Das Bedürfnis nach einer politischen Alternative ist absolut verständlich. Allerdings haben die jahrzehntelang andauernde bürgerliche Propaganda und die Niederlagen der (revolutionären) ArbeiterInnenbewegung deutliche Spuren im Bewusstsein der Lohnabhängigen hinterlassen. Heute scheinen Ansichten, die noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten als rückständig eingeschätzt wurden, Hoffnungen zu wecken. Für viele ist schon eine etwas gerechtere, etwas sozialere und etwas friedlichere Welt der Fokus ihrer Überlegungen. Eine Überwindung des tatsächlichen Übels, nämlich das der kapitalistischen Ausbeutung, ist schon jenseits des Denkhorizonts vieler „zivilgesellschaftlicher“ AktivistInnen. Für Manche, die einer revolutionären Umgestaltung der Welt zwar nicht prinzipiell ablehnend gegenüber stehen, scheint das Ziel zu ferne, um dafür heute einzutreten. Andere, welche sich auf den revolutionären Marxismus (leider ist es notwendig, dieses Adjektiv vor einen an sich für revolutionäre Politik stehenden Begriff zu setzen) berufen, versuchen über eigenartige, an eine Art Etappentheorie erinnernde Taktik dem Ziel näher zu kommen. Die „LINKE“ scheint so etwas wie ein kleines Sammelbecken für all diese KollegInnen zu sein.

Ein Vorbild ist hier die deutsche WASG. Es ist nicht unsere Absicht in diesem Beitrag eine Einschätzung dieses deutschen Bündnisses abzugeben. Im Zusammenhang mit der „LINKEN“ ist es aber wichtig auf die Unterschiede zwischen der Situation in Deutschland und der konkreten österreichischen Situation hin zu weisen. Um es kurz zu machen: In Österreich sind keine relevanten Entwicklungen innerhalb der SPÖ oder den Gewerkschaften erkennbar, die Anlass zur Hoffnung geben, dass die „LINKE“ durch eine Kandidatur gewichtige Teile der organisierten Lohnabhängigen gewinnen könnte. Hinzu kommt, dass es in Österreich, im Gegensatz zu Deutschland, keine weitere bürgerliche ArbeiterInnenpartei, wie die PDS, die eine potentielle Bündnispartnerin sein könnte, gibt. Auf Grund der historischen Entwicklung in Österreich hat die KPÖ niemals eine vergleichbare Verankerung erzielen können und kann sich daher nur in Ausnahmefällen (siehe Steiermark) als alternative reformistische Partei profilieren. Ein Bündnis mit einer solchen Partei wäre ohnehin wieder mit einem Anpassungsprozess an die kapitalistische Herrschaftsideologie verbunden und demnach nicht anstrebenswert. Die "LINKE" selbst kann auf keine Verankerung unter den Lohnabhängigen verweisen und ist somit maximal in einem Keimstadium einer neuen reformistischen Partei. Sie hat kaum Erfahrungen mit sich selbst, versuchte innerhalb kürzester Zeit ein, bis zu Redaktionschluss nicht vorliegendes, Programm zu formulieren, während sie sich auf die Sammlung um Unterstützungserklärungen konzentrieren musste. Gleichzeitig musste sie versu-


SPÖ - Linke

chen die unausweichlichen internen Differenzen, so gut es ging, unter dem Schleier des „Pluralismus“ zu verdecken. Das ist kein geeigneter Rahmen zur Entwicklung einer durchdachten und tragfähigen Basis, die in konkreten politischen Kämpfen oder gar im Falle eines unwahrscheinlichen Mandatsgewinns Bestand haben könnte. Die "LINKE" unterscheidet sich von der KPÖ v.a. durch ihre noch offenere und nicht ausstrukturierte Organisationsform und von „zivilgesellschaftlichen“ Gruppen durch die Erwähnung des Begriffs "Sozialismus“, der aber ebenso wenig wie von der KPÖ ernst genommen wird. Wir sind der Überzeugung, dass es heute notwendig ist eine Organisation aufzubauen, die ein revolutionäres Programm (weiter) entwickelt und propagiert. In Anbetracht der gravierenden programmatischen Mängel der

"LINKEN", im Bewusstsein darüber, dass Wahlen, wie die kommenden, auf Grund der größeren politischen Aufmerksamkeit der Lohnabhängigen, die Möglichkeit bieten revolutionäre Propaganda zu verbreiten, lehnen wir die Kandidatur der "LINKEN" als reformistisches Unterfangen, welches Illusionen in bürgerlich-demokratische Wahlen verbreitet, ab.

Eine Unterordnung gegenüber Sozialdemokratismus und Zentrismus ist für uns nicht denkbar. 1 Siehe dazu die Beiträge auf unserer Website, unsere Broschüre „Alternativen zum Reformvertrag?“ und den Artikel auf Seite 25“ 2 In der Liste der UnterstützerInnen auf der Website der PV wurden diese Organisationen nicht angeführt. Angeblich um dem „zivilgesell-

Die Fantasie von einem aktuellen Zeitfenster, welches Revolutionäre zur Kandidatur zu solchen Wahlen heute quasi verpflichten würde, halten wir für ein Hirngespinst. Sollte sich tatsächlich ein „Fenster“ geöffnet haben, dann würde sich dieses für revolutionäre Propaganda auch in nächster Zeit nicht schließen.

schaftlichen“ Charme nicht abträglich zu sein... Dahinter steckt vor allem die antikommunistische Grundhaltung maßgeblicher ProponentInnen, wie ATTAC, „Werkstatt Frieden und Solidarität“ und anderer. 3 Dworczak trat offensichtlich nicht als Sprecher der „Sozialistischen Alternative“ (SOAL) auf. Diese hatte bereits im Vorfeld ihre ablehnende Haltung gegenüber diesem Kandidatur-Projekt

Gerade heute ist es notwendig revolutionäre Propaganda und nicht anpasslerische Plattitüden wie die der "LINKEN" zu verbreiten.

zum Ausdruck gebracht.

Faymanns Gewissen - Das Elend der SPÖ - Linken

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ls sich vor ein paar Jahren , die sich als links verstehende WASG von der deutschen SPD abspaltete, traten plötzlich Organisationen wie "Parlamentarische Linke in der SPD" und "Demokratische Linke in der SPD" an die Öffentlichkeit. Auch als die Koalitionsvereinbarung der SPÖ mit der ÖVP so gar nicht den Erwartungen Mancher entsprach, erfuhr die erstaunte Öffentlichkeit, dass es doch tatsächlich in der SPÖ eine "Linke"gäbe. „Wir sind SPÖ“ war der schnell gefundene Name für die Sammlungsaktion

der Unzufriedenen, die sich - wir leben ja schließlich nicht mehr im 20. Jahrhundert - bald nicht etwa in einer Fraktion oder eigenen Organisation zusammenfanden, sondern eine „Plattform“ bildeten. Diese „Plattform“, die über keinerlei programmatische Orientierung verfügte,erschöpfte sich in der Folge in sporadischen Internetpostings und einigen wenigen Veranstaltungen, bei denen hauptsächlich denen, die man zu kritisieren vorgab, die Gelegenheit gegeben wurde, sich zu präsentieren. Eigene Strukturen in der Partei, wie in

Deutschland entstanden nicht. Nur in einigen Bundesländern (Oberösterreich, Tirol) wurden mehr oder minder konspirative „Protestsektionen“ und „Themeninitiativen“ gegründet, über deren weiteres Schicksal von da an kaum etwas zu erfahren war. Stattdessen orientierten sich bald schon die Verantwortlichen von „Wir sind SPÖ“ auf einen „Zukunftskongress“ im Herbst 2008, zu dem kaum mobilisiert wurde und bei dem in der Einladung wesentliche Themen wie Militarisierung und Rassismus außen vor blieben.

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SPÖ - Linke

Auch eine zweite "Linke" in der SPÖ rüstet derweil zu einem Kongress: im Jänner 2008 schlossen die stalinistische STAMOKAP-Strömung, die namentlich in Niederösterreich über Terrain verfügt und die sich auf den Trotzkismus berufende Gruppe DER FUNKE (ein Ableger der sozialchauvinistischen britischen Socialist Appeal-Tendenz des verstorbenen ehemaligen MilitantFührers Ted Grant) ein Fraktionsabkommen zur Bildung einer sogenannten "SP-Linken", die sich im Oktober dieses Jahres bundesweit treffen soll. Wie sich die beiden Gruppen die Basisarbeit dieser "SP-Linken" vorstellen, wurde im Mai bereits sehr deutlich. Ohne die geringste langfristige Vorbereitung wurde innerhalb von ein paar Tagen mitten unter der Woche in Wien ein sogenanntes bundesweites Treffen der Linken in der SPÖ ausgerufen, dessen Abschlusserklärung - mitten in der Auseinandersetzung um das Bleiberecht in Österreich! - ebenso wie das Kongressprojekt der "Wir sind SPÖ"Initiative jede Erwähnung der Situation von migrantischen ArbeiterInnen und der Rassismus-Frage versagt.

Parteiaufbau wird vom FUNKE rigoros abgelehnt. Letztlich lebt die Gruppe aus dem Bewusstsein heraus, es sei möglich, die SPÖ zu einer revolutionären Partei zu transformieren.

Da sich inzwischen ein prominenter Vertreter der STAMOKAP-Strömung öffentlich für die "LINKE"-Wahlkandidatur ausgesprochen hat (die Loyalität zur "Kommunistischen Initiative" zählt halt mehr als eine Fraktionsvereinbarung), werden die "Funken" nun wohl allein auf ihrem Kongress bleiben.

Dieser aber sind die Aktivitäten der sogenannten TrotzkistInnen der SJ ohnehin ein Gräuel. So bestehen schon seit Jahren Bemühungen, den FUNKE aus der sozialdemokratischen Organisation zu drängen und seine Strukturen zu zerschlagen. Diese Angriffe, die von einer wütenden antitrotzkistischen Kampagne innerhalb der SJ flankiert werden, stärken dabei nicht nur das Selbstbewusstsein der FUNKE-AktivistInnen, die einzig relevante politische Opposition im Land zu sein, sondern führen den FUNKE auch zur Notwendigkeit, entgegen der eigenen Position Strukturen außerhalb des sozialdemokratischen Apparats aufzubauen. So kommt es dann zur kuriosen Situation, dass FUNKE-AnhängerInnen, die nunmehr in der KJÖ aktiv werden mussten,

Die FUNKE-Gruppe vertritt eine besonders bornierte und opportunistische Variante des sogenannten "tiefen Entrismus" in der SPÖ: Danach sei die SPÖ die Verkörperung der österreichischen Arbeiterklasse schlechthin, sodass es "außerhalb der SPÖ für Linke nichts gibt." (Was die offizielle SJ-Führung freilich genauso sagt). Man müsse sich also als Marxist um jeden Preis innerhalb der SPÖ organisieren. Ein selbständiger

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Folglich erklärt die Strömung, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, die Entstehung selbständiger kommunistischer Parteien nach dem 1.Weltkrieg für einen Fehler. Zweifellos spielen für den Wunsch, unbedingt Teil der SPÖ bleiben zu wollen, auch profanere, nämlich materielle, Interessen eine Rolle. Dort nämlich, wo die FUNKE-Gruppe offizielle Strukturen insbesondere der SJ unter ihre Kontrolle gebracht hat, ist es ein Leichtes, FUNKE-Veranstaltungen als offizielle SJ-Veranstaltungen zu fnanzieren. Wer will da die Hand, die einen füttert, noch beißen? Aus gutem Grund bekümmert daher auch die Strömung in einer Aussendung vom Juni 2008, man müsse sich bemühen, nicht für die gehalten zu werden, die der Gusenbauer-, jetzt Faymann-Führung, die Deckung von links geben...

gleichzeitig eine Zeitung verkaufen, in der dringend davor gewarnt wird, sich etwa in der KJÖ zu organisieren... Auch andere "linke" Kräfte haben in den letzten Monaten da und dort (wieder) von sich hören lassen. Nach Jahren der Funkstille meldete sich wieder die beschauliche und nostalgische "Initiative für eine sozialistische Politik der SPÖ" zu Wort und ab und zu schimpft auch das maoistische "Österreichische Solidaritätskomitee", das selbst viel von österreichischer Neutralität aber nichts von der Notwendigkeit revolutionärer Politik schreibt, darüber, dass "sozialistische Grundsätze" nichts mehr gelten würden. Eine organisierte Oppositionsarbeit leisten auch diese nicht. Die Führungen der diversen Gruppen der SPÖ-Linken spielen ihre Rolle des "linken Gewissens" so gut, dass es wohl einige Menschen geben wird, die darauf vertrauen, dass es innerhalb der SPÖ eben auch anders denkende Kräfte gibt - und folglich noch Hoffnung besteht, dass sich innerhalb der SPÖ etwas ändert. Auf diese Weise tragen diese Strömungen dazu bei, unzufriedene ArbeiterInnen an die SPÖ zu ketten. Nichts kann das deutlicher machen als der Umstand, dass der neue SP-Chef Faymann gerade nach dem als spektakulär empfundenen offenen Brief der Prominentengruppe um Lacina, die zur "Besinnung auf die Wurzeln und Grundsätze der Sozialdemokratie" aufrief, mit einem überragenden Ergebnis gewählt wurde und sein Wahlprogramm ("strategische Allianzen", sprich Privatisier-ungen,"Modernisierung" der Exekutive, Auslandseinsätze des Bundesheeres) einstimmig (!) auf dem Parteitag in Linz verabschiedet wurde. Wo war da die vielzitierte Opposition? Etwa in den paar FUNKE-AktivistInnen, die sich einmal in die Kamera des ORF drängten?


Staatsterror

Die aus gutem Grund unzufriedenen Teile der Arbeiterklasse haben inzwischen eine ganz andere Form gefunden, sich gegen die Politik der SPÖ-Führung auszudrücken: Bei den Landtagswahlen in Tirol verlor die SPÖ in ihren traditionellen Hochburgen die Hälfte (!) ihrer Stimmen. Massenhaft blieben ehemalige StammwählerInnen den Urnen fern.

Die Aufgabe von MarxistInnen muss es sein, diesen Menschen und denen, die noch innerhalb der SPÖ für sozialistische Positionen meinen kämpfen zu können, eine glaubwürdige Alternative zu bieten. Diese Alternative besteht darin, alle Kräfte zusammenzuführen, die heute schon bereit sind, auf der Grundlage einer klaren, marxistischen

programmatischen Orientierung eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei in Österreich aufzubauen.

Repressionen gegen TierrechtsaktivistInnen – Rechtsstaat Österreich? Vorbemerkung der Redaktion: Wir stellen diesen Raum in unserer Zeitschrift aufgrund der allgemeinen Bedeutung der Vorkommnisse für einen Gastkommentar zur Verfügung. Wir verstehen dies nicht als Solidarisierung mit den konkreten ideologischen Positionen der gesamten Tierrechtsbewegung - vor allem nicht dort, wo diese Strömung bzw. Teile davon Standpunkte gegen die ArbeiterInnenbewegung einnimmt oder eine offene Flanke zu rassistischen und antisemitischen Vorstellungen beweist. Ein Gastkommentar von Renate Vodnek („Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften“)

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eit 21.05.08 werden neun TierrechtsaktivistInnen nach Actionfilm-gerechten Hausdurchsuchungen mit fadenscheinigen Begründungen in Untersuchungshaft festgehalten (einer wurde mittlerweile nach über 2 Monaten U-Haft freigelassen). Begründung ist der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Organisation gemäß dem „Mafia Paragraphen“ §278a StGB. Polizei und Staatsanwaltschaft können jedoch keinen einzigen konkreten Tat-

vorwurf vorbringen. Begründet wurde die lange Untersuchungshaft mit Verdunkelungsgefahr, da die Betroffenen zb mit verschlüsselten Mails kommuniziert haben, sowie Tatbegehungsgefahr, weil die Betroffenen seit langem in der Tierrechtsszene aktiv sind. Beide Argumentationsstränge stehen in eklatantem Widerspruch zur Unschuldsvermutung. Vollkommen willkürlich wird eine kriminelle Organisation konstruiert, die für sämtliche unaufgeklärten Straftaten der letzten Jahre verantwortlich gemacht wird. Laut Printmedien seien durch Tierrechtsaktivitäten Schäden im Ausmass von rund 2 Mio Euro entstanden. Könnte es sein, dass es dabei v.a. auch um Schäden infolge negativer Publicity durch diese Aktionen und damit die Behinderung des freien Warenverkehrs geht? Und sich dadurch gleichzeitig eine gute Möglichkeit ergibt, (aktive und potentielle) KritikerInnen der herrschenden Verhältnisse einzuschüchtern und zu kriminalisieren sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit weiter auszuhöhlen? Das reiht sich ein in zahlreiche Gesetzesänderungen innerhalb und außerhalb Österreichs zur Verschärfung der Sicherheitskontrollen sowie Einschrän-

kung der Meinungsfreiheit unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung. Das Neue bei den Maßnahmen ist die Abkehr vom Prinzip des Tatverdachts hin zum Risiko einer Tatbegehung. Die Politik setzt immer mehr auf Verunsicherung; wenn alle (potentiell) verdächtig sind, müssen alle überwacht werden. Es müssen die Rechte Vieler eingeschränkt werden, damit einige überführt werden können. Der Staat übt selbst Gewalt aus, um potentielle Gewalt zu verhindern. Vor kurzem wurde eine Aktion von GentechnikgegnerInnen in Portugal von Europol als „terroristisch“eingestuft: Bei der Aktion im August 2007 wurden ein Hektar Maispflanzen umgeknickt und ausgerissen. An der Aktion hatten rund 150 Personen teilgenommen, die öffentliches Bewußtsein für die Gefahren von Gensaat schaffen wollten.1 Dieses Beispiel zeigt die mittlerweile immer öfters angewendete Praxis einer weiten Auslegung des Terrorismusbegriff. Auch hierzulande sind die ersten Gesetzesänderungen schon in Kraft getreten bzw. befinden sich noch in der Warte-

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Staatsterror

schleife, wie Vorratsdatenspeicherung, Überwachung von Internet- und Handy-Kommunikation sowie Flugpassagierdatenspeicherung. Verschärfungen im Bereich Sicherheit sind gleichzeitig Bestandteil in den EUVerträgen. Österreich versucht hier Vorzugsschüler zu sein: schon 2007 verlautbarte die Regierung in einem gemeinsamen Vortragspapier: „Gerade in diesem Gebiet kann Österreich durch die 'Online-Durchsuchung' Vorbild für die anderen europäischen Staaten sein." 2 Und das ist Österreich auch: die Datenschutzvereinigung Privacy International stufte Österreich 2007 (noch vor der SPG-Novelle) um zwei Stufen in der siebenteiligen Werteskala zurück.3 In die gleiche Richtung weisen die Versuche, die Handlungsmöglichkeiten politischer AktivistInnen einzuschränken: sei es durch die Privatisierung des öffentlichen (Plakatflächen)raums, wodurch in Wien plakatieren abseits der offiziellen kostenpflichtigen Flächen

mit Anzeigen und Geldstrafen geahndet wird – verantwortlich ist dabei die im Impressum aufscheinende Organisation, wodurch bei jedem aufgeklebten Plakat die „Schuldigen“ sofort zur Verantwortung gezogen werden können. Oder durch die aktuellen EuGh-Urteile, wonach gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen die vier Grundfreiheiten (Warenverkehr, Dienstleistungs-, Personenverkehr, Kapital- und Zahlungsverkehr) nicht behindern dürfen und Kampfmaßnahmen in so einem Fall nicht zulässig seien. Die §278 (Kriminelle Vereinigung), 278a (Kriminelle Organisation) sowie 278b (Terroristische Vereinigung) sind in dem Zusammenhang das Tüpfelchen auf dem I, um politischen Aktivismus und Kritik an den Herrschenden zu verhindern und ins terroristische Eck zu stellen. Wer entscheidet, was eine „unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen“ ist oder welche „Handlungen, das Vermögen bedrohen, schwere Sachbeschädigung oder Nötigung darstellen“ und „dadurch erheblichen Einfluss auf

Politik oder Wirtschaft“ anstreben? (§ 278) Strebt nicht jede politische Organisation einen Einfluss auf Politik bzw. Wirtschaft an? Gehört ein auf der Erde liegendes verteiltes Flugblatt bereits in die Kategorie „Sachbeschädigung“? War der Oktoberstreik 1950 in Wirklichkeit eine breit angelegte terroristische Aktion der Lohnabhängigen? In Zukunft könnte also ein Streik für bessere Arbeitsbedingungen nicht nur als nicht zulässig erklärt, sondern die Streikenden als TerroristInnen verhaftet werden. Mit diesen Vorgehen sollen unangenehme politische AktivistInnen kriminalisiert werden. Betroffen sind derzeit AktivistInnen der Tierrechtsbewegung, aber treffen kann es jedeN von uns - gemeint sind wir alle. Informationen aus Sicht der Betroffnen: www.solidaritaetsgruppe.lnxnt.org/ 1 zit. nach „guernica“ 2/2008, S. 2, gekürzt 2 http://futurezone.orf.at/it/stories/229407/; 23.10.2007 3 Aussendung der „Arge Daten“, 28.01.2008

GEMEINT SIND WIR ALLE! Freiheit für die wegen §278a einsitzenden TierrechtsaktivistInnen Großdemonstration gegen die Beugehaft gegen TierrechtsaktivistInnen und für die Abschaffung der Kriminalisierungsparagraphen: §278 (Kriminelle Vereinigung) §278a (Kriminelle Organisation) §278b (Terroristische Vereinigung) Samstag, 06. September 2008 - Auftaktkundgebung: 14 Uhr - Justizministerium Route: Landesgericht – Innenministerium - Abschlusskundgebung: 16:30 Uhr – Ballhausplatz.

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EU, „Zivilgesellschaft“ und Rechtsextreme

Hand in Hand mit ReaktionärInnen gegen den Vertrag von Lissabon!

E

ines der wichtigsten politischen Themen im ersten Halbjahr 2008 war die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon, der als EU-Reformvertrag verkauft wurde. Die Proteste gegen dieses Machwerk der ImperialistInnen wurden von zwei nicht klar von einander abgegrenzten Strömungen getragen. Die eine - tief reaktionär - nannte sich Plattform „Neutralität retten: Nein zum EU-Vertrag!“ und formierte sich um Gruppen wie „Die Christen“, „Rettet Österreich“ und „Neutrales Freies Österreich“ (NFÖ). Die andere, die sogenannte „Plattform Volxabstimmung“ wurde von ATTAC und der „Werkstatt Frieden und Solidarität“ dominiert.

Im Sumpf der Prinzipienlosigkeit

hier versuchte ATTAC die Plattform für ihre Zwecke zu missbrauchen und ließ über den Chef von ATTAC-Österreich Christian Felber ausrichten, dass die Plattform „die EU neu bauen“ wolle („Der Standard“, 14./15.06.08). Dies ist absurd, da die „Werkstatt Frieden und Solidarität“ schon seit Jahren den Austritt aus der EU und ihre utopische Idee einer „Friedensrepublik Österreich“ vertritt1. Auch andere Organisationen, von denen einige offiziell nicht als Teil der Plattform auf der Website angeführt werden, vertreten die Idee einer „sozialen EU“ nicht. Die Website wird von ATTAC und der „Werkstatt Frieden und Solidarität“ kontrolliert und entsprechend missbraucht. So kam es schon mal vor, dass einer unliebsamen Gruppe längere Zeit ein Auftritt auf der Website verwehrt wurde. Die Kontrolle über den Email-Verteiler unterlag ebenso ATTAC. Gruppen, die als Parteien oder parteiähnliche Organisationen betrachtet wurden, wurden prinzipiell nicht als UnterstützerInnen auf der Website angeführt! Das heißt nichts anderes, als dass die werten Damen und Herren der „Zivilgesellschaft“ das Engagement von u.a. KPÖ, SLP und LSR für ihre Ziele benutzten und diese gleichzeitig diskriminierten. Dazu gehört allerdings auch die Bereitschaft dieser Gruppen sich benutzen zu lassen.

Sowohl inhaltlich als auch personell gab es Überschneidungen. So war lange Zeit auf der Website der „Plattform Volxabstimmung“ ein Artikel und später ein Statement von einem Proponenten von „Rettet Österreich“ zu lesen. In der Plattform wurde aufkeimender Protest dagegen, insbesondere von der „Werkstatt Frieden und Solidarität“ und ATTAC, zurück gewiesen. Beide Organisationen wollten sich von Anfang an die Tür zum rechten Rand offen halten und verwendeten die offizielle Abgrenzung gegenüber Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus als Camouflage ihrer tatsächlichen Absichten.

Gruselshow mit „zivilgesellschaftlichem“ Sanktus

Die Zusammenarbeit in der „Plattform Volxabstimmung“ basierte auf einem gemeinsamen Nenner, nämlich der Forderung nach einer Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon. Auch

Eine der ekelhaftesten Ereignisse im heurigen Jahr waren mit Sicherheit die Großdemo am 29. März und die Kundgebung am Wiener Ballhausplatz am 4. April. Dazu schreibt „Antifa Kittens“2:.

„Wenn es um die vermeintliche „Rettung Österreichs“ geht, ist offenbar jeder Bündnispartner willkommen. Selbst an stolz zur Schau getragenen Tattoos mit der Aufschrift „Arier“ störten sich die Kronen-Zeitungs-bewegten Anti-EU-AktivistInnen in keinster Weise. Insgesamt konnten so alleine am 29. März weit über 100 Neonazis in mehreren Gruppen an der Demonstration teilnehmen. Mitten drinnen auch einiges an Prominenz aus der Szene: So marschierten zwei der zentralen Figuren der Neonaziszene der Achtziger und Neunziger Jahre, der ehemalige Führer der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO), Gottfried Küssel, und der ebenfalls einst in der VAPO aktive Franz Radl jun. wiedervereint Seite an Seite. Ebenfalls mit dabei aber auch die etwas jüngere Abteilung des österreichischen Neonazismus: Hinter dem Transparent „Für Familie, Volk und Vaterland“, versammelte sich das Umfeld des primär in Oberösterreich agierenden „Bund freier Jugend“ (BFJ). Dieser hat derzeit ja bekanntlich mit noch ganz anderen Problemen als mit dem „Diktat aus Brüssel“ zu kämpfen. Mehrere der BFJ-AktivistInnen sehen sich momentan mit einem Verfahren wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung konfrontiert. Nur wenige Tage später, am 4. April, dann wieder ein ähnliches Bild: Eine Anti-EU-Veranstaltung am Wiener Ballhausplatz, dieses Mal organisiert von der FPÖ. Im Publikum wieder zahlreiche Neonazis, bestens im Gespräch mit den KameradInnen aus Strache-Partei. Von NS-Black-Metal-Fans bis zu „klassischen“ Nazi-Skins spannte sich dieses Mal der Bogen. Wieder war einiges an eindeutiger Symbolik zu sehen - von Thors Hammer

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EU, „Zivilgesellschaft“ und Rechtsextreme

über SS-Totenköpfe bis zum unvermeidlichen „88“ (Nazi-Code für „Heil Hitler“). Zumindest die Nähe zur FPÖ kann nicht wirklich überraschen, sind doch ähnliche „KameradInnen“ so etwas wie StammgästInnen bei Straches Ansprachen.“ Trotz dieser erschreckenden Tendenz wollte die „Plattform Volxabstimmung“ ganz offensichtlich nicht auf Distanz zu den Verantwortlichen dieser Ereignisse gehen. Während sich Hermann Dworczak, ein Vetreter der „Plattform Volxabstimmung“, über „rechtsextreme Unterwanderungsversuche“ entrüstete3, hofierte Boris Lechthaler, der starke Mann der „Werkstatt Frieden und Solidarität“, das NFÖ und lud es „herzlich“ zur Teilnahme an der Demonstration vom 5.4.08 ein. Es ist wenig wahrscheinlich, dass diese Einladung plenar in der Plattform diskutiert und besprochen wurde. Möglicherweise gab es Absprachen mit ATTAC. Noch wahrscheinlicher ist ein Alleingang von Lechthaler, der damit ähnlich wie Felber bewies, was er von demokratischen Entscheidungen hält. Ganz in diesem Sinne verlief dann auch die Demonstration, die als „linke“ Demonstration angekündigt wurde. Einmal mehr zeigte sich, dass mit dem Begriff „links“ alles mögliche gemeint werden kann. Diese Begriffsverwirrung diente „Zivilgesellschaftern“ wie Lechthaler, Felber und Co dazu ein Bündnis auf der Strasse mit allen VetragsgegnerInnen eingehen zu können ohne sich um deren politische Orientierung zu kümmern. Zumindest für ein paar Stunden waren für Lechthaler alle TeilnehmerInnen „liebe FreundInnen“. Mit dabei waren natürlich auch das NFÖ, junge FPÖ´lerInnen, „Rettet Österreich“ usw. Nicht zu unrecht kommentierte Wolgang Fellner in der Tageszeitung „Österreich“ am 7.04.08: „Die „Demo“ geriet zur Peinlichkeit.“

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Für Felber und Lechthaler ist das wohl anders. Es ist ihnen unangenehm, wenn klassenkämpferische Gruppen auf der Website der Plattform angeführt werden. Eine öffentliche Verbrüderung mit dem rechten Rand finden sie offensichtlich nicht bedenklich! Daraus lässt sich schließen, dass beide Herren und ihre Gruppen aus dem Spektakel nichts lernen werden und weiterhin als entgegen kommende Plattformbieter für rechten bis rechtsextremen Müll zur Verfügung stehen werden.

Eine verpatzte Chance Wer die Szene kennt wird sich darüber wenig wundern. Traurig ist es aber allemal, dass die Chance, eine fortschrittliche, klassenkämpferische Opposition gegen Imperialismus, Rassismus, Nationalismus und Nazismus aufzubauen, vergeben wurde. Die wenigsten der GegnerInnen des Lissabon-Vetrags werden erwartet haben, dass eine Volksabstimmung in Österreich zustande kommen wird. Demnach wäre es notwendig gewesen, eine Basis für einen längerfristigen Widerstand mit klassekämpferischer Ausrichtung aufzubauen. Stattdessen nützten Felber, Lechthaler und Co. ihre Chance für ein Bad in der Menge, verbreiteten ihre reaktionärutopischen Fantasien wie „soziale EU“ oder „Friedensrepublik Österreich“ und bedienten die Interessen von RassistInnen, NationalistInnen und anderen ReaktionärInnen.

und ihre ProtagonistInnen öffentlich kritisieren. Die „Zivilgesellschaft“ hat eine gewisse Ausstrahlungskraft auf Menschen, die eine Möglichkeit für politisches Engagement suchen. Diese Menschen müssen von RevolutionärInnen über die Rückständigkeit der Ideen von ATTAC und „Werkstatt Frieden und Solidarität“ aufgeklärt werden. Gruppen, die sich auf den Trotzkismus berufen und in der „Plattform Volxabstimmung“ mitarbeiten, spielen die Rolle des „linken Feigenblatts“ und erweisen den unterdrückten Massen damit einen Bärendienst. Auch wenn wir ein Engagement gegen die imperialistische EU für richtig finden – die trotzkistischen Gruppen glänzten bisher nicht gerade mit Aktivitäten in dieser Sache – kann es für RevolutionärInnen nicht Ziel sein, die HandlangerInnen für kleinbürgerliche ReaktionärInnen zu spielen! Kein Frieden dem Imperialismus! Keine Solidarität mit Rechtsextremen und anderen ReaktionärInnen! Für Rätemacht und Revolution! 1 In unserer Broschüre „Alternativen zum EUReformvertrag?“ haben wir uns mit den unsinnigen Ideen beider Organisationen ausführlicher beschäftigt. 2

http://de.indymedia.org/2008/04/212647.

shtml 3 Als der Versuch unternommen wurde, in der

Wir behaupten nicht, dass alle „zivilgesellschaftlichen“ Gruppen eine dermaßen schändliche politische Funktion erfüllen. Bündnisse, in denen undemokratische und prinzipienlose „zivilgesellschaftliche“ Organisationen die Oberhand haben, dürfen von RevolutionärInnen aber keinesfalls unterstützt werden! Im Gegenteil - sie müssen die Mängel der kleinbürgerlichen, zivigesellschaftlichen Vorstellungen aufzeigen

Plattform Volxabstimmung eine tatsächliche Abgrenzung gegenüber Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus durchzusetzen, hielt sich Dworczak auffallend zurück. Er meldete sich selbst dann nicht zu Wort, als ein Aktivist der Plattform von Karl Nowak (Rettet Österreich) indirekt mit einer Klage bedroht wurde.


Satire

Christians wundersame Reise über die globale Tapete Einige teilweise satirische Anmerkungen zu Herrn Felbers Gedankenwelt! Von Roland Kaiser

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o manche „zivilgesellschaftliche“ AktivistInnen geben sich wild und fordern „radikale Reformen“, andere wollen mittels Menschenketten Parlamente „umarmen“, wieder andere, so wie Christian Felber, Chef von ATTAC-Österreich, wollen „bloß eine kleine Umpolung“ um damit nicht nur den Neoliberalismus, sondern sogar den Kapitalismus (huch!) zu beseitigen. Wie einfach das geht, gewaltfrei und ohne bedrohliche Spannungen in Staat und Gesellschaft erklärt uns Hr. Felber in seinem neuen Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ Mehr als 150-Jahre Irrungen und Wirrungen der ArbeiterInnenbewegung sind nun Geschichte. Denn Felber bringt uns den Schlüssel, der Marx und Co. wie Deppen da stehen lässt. Aber sehen Sie selbst…

Vorbilder, Esoterik und „Rettet Österreich“ Jesus und Gandhi seien unsere größten Vorbilder, meint Felber. Wen er mit diesem „wir“ zwangsvergemeinschaften möchte, wird nicht klar. Da er nicht einschränkt, muss ich annehmen, Felber meint damit die Gesellschaft (welche?), die Menschen (die noch lebenden oder auch die bereits hinüber gegangenen – sorry, ich sehe zuviel „ghost whisperer“) oder alle Geschöpfe der „heiligen Mutter Erde“ (O-Ton Felber). Mit ihm ist Pachamama1, eine „unersetzliche und unerschöpfliche Quelle der Inspiration und Regeneration“, bei der er sich bedankt. Ebenso dankt er dem „Energiefeld“ ATTAC (Anführungszeichen von Felber) und Peter Weish

(„Rettet Österreich“), einem Mann der breite Bündnisse so sehr schätzt, dass ihn selbst Nazis bei Demonstrationen für eine Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon nicht wirklich stören. So vielfältig sich Felbers Freundes- und Bekanntenkreis erweist, so buntscheckig sind die Quellen, die er für sein Buch heranzieht. Neben Marx treffen wir auf Jesus (Chávez-Syndrom?), Hayek, Friedman, das I Ging, Fritjof Capra und viele andere mehr. Sie sehen, geneigte LeserInnen, es handelt sich hier um eine Kapitalismuskritk der extra ganzheitlichen Art. Besonders im neunten Kapitel „Ökologische Ethik“ kommt es dick und man wartet fast auf Vorschläge wie Bachblütenbehandlung für verirrte Konzernmanager oder kontemplative Workshops in Benediktinerklostern zur Überwindung der „großen Abspaltung des Geistes von der Materie, des Intellekts von unseren Gefühlen und unserem Körper“. Man möge mir meine Polemik verzeihen. Aber meine „Esoterik-Phase“ ist schon länger her und ich glaubte sie überwunden. Doch dieser Felber stochert in der Schlacke meiner Vergangenheit, wühlt sie auf (Oh, hallo Castaneda!), solange bis ich mir unwillkürlich die Frage stelle: „Bin ich wirklich Trotzkist?“ Ich mein, Vegetarier bin ich ja auch… Kann es also sein, dass ich mir die letzten Jahre nur was vorgemacht habe und Felber mir die Augen öffnet!? Plötzlich ist sie da, die meine Identität als Revolutionär bedrohende Frage: „Bin ich ein alternder Hippie mit zu kurzen Haaren!?“ Schluck! Aber dann schreibt der einfühlsame Felber

das zehnte Kapitel, fast so als ob er mir helfen wollte. Ich bin gerettet! Uff, danke Christian!

Fakten, Daten und Achtung vor der Würde des Menschen Sie werden jetzt vielleicht erwarten, dass ich Hrn. Felbers Buch verreißen werde. Hm, was soll ich sagen? Trotz meiner politischen Überzeugung, halte ich führende Köpfe kleinbürgerlicher Sekten für teilweise geeignet kritische Kommentare abzugeben oder zumindest ein paar gute Recherchen zu liefern. Aber ich gebe schon zu, auf Grund meiner Erfahrungen mit der „Plattform Volxabstimmung“, nahm ich dieses Buch mit der Absicht es lächerlich zu machen in die Hand. Nicht im Buchgeschäft! Ich hatte nicht vor für ein Buch von Hrn. Felber Geld auszugeben – obwohl, überlegt hab ich schon. Es kam, wie es der Zufall will, aber anders und das mit dem lächerlich Machen hat Felber schon selber besorgt. Eines verkaterten Morgens, auf dem Balkon eines Ferien-Appartements, sagte ich zu einer mir nahe stehenden Person: „Weißt eh, der Felber, hat schon wieder ein neues Buch geschrieben. Das wird was sein…“ Stellen Sie sich besonders den letzten Satz gesprochen mit dem Unterton tiefster Verachtung gegenüber „zivilgesellschaftlicher“ Heuchelei vor. (Dabei fällt mir unwillkürlich die „Werkstatt Frieden und Solidarität“ ein, die sich bis heute nicht entscheiden kann, ob die NVP2 eine potentielle Bündnispartnerin ist oder nicht. Aber vielleicht will sie das nur mir nicht sagen…) Bevor ich so richtig loslegen konnte, wurde mir gegenwärtig, dass ich so zu sagen in Begleitung von Fel-

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Satire

bers Elaborat urlaubte! Wir waren zu viert. Die Besitzerin des Buches fand es gut! Scheiße! Fettnäpfchen! Langer Rede kurzer Sinn: ich bekam das Buch geliehen! Sorry C.F.! Felbers Buch hat seine Stärken. Er hat eine Vielzahl von Beispielen zusammengetragen, welche die Skrupellosigkeit und Menschenverachtung der herrschenden Klasse belegen und aufzeigen, wie sie ihre Macht benutzt, um sich immer mehr zu bereichern – zum Schaden der überwiegenden Mehrheit der Menschen und der Natur. Nur um ein paar Beispiele herauszunehmen: er zeigt die Verlogenheit der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR) bzw. Unternehmenssozialverantwortung verschiedener Konzerne auf, mit denen diese von ihren schmutzigen Geschäften abzulenken versuchen. Mit seinem starken Hang zum Psychologisieren bricht er eine Lanze für die Menschenwürde, klagt die kapitalistische „Logik“ eines unendlichen Wachstums und dessen Wertesystem an. Nicht sozial umsichtige, sondern gewinnsüchtige, dem Eigennutz verhaftete Charakteren würden mit gesellschaftlicher Anerkennung belohnt werden. Felber stellt dem einseitigen und diskriminierenden Begriff der „Leistungsträger“ die angeblich Faulen gegenüber, die oftmals vielleicht „hochgradig kooperativ, sozial intelligent, aber nicht gemacht für die Konkurrenz und nicht fähig oder willens, bei Bewerbungsgesprächen gegen 115 andere KandidatInnen anzutreten“ wären. Streckenweise ist sein Buch interessant und informativ. Doch erst nach 273 langen Seiten kommt er zu seiner angeblichen Alternative. Es entsteht der Eindruck, dass es ihm mehr um die Vermittlung seiner liberal-esoterischen Weltsicht, als um die Entwicklung einer ernsthaften politischen Alternative

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geht. In den letzten 56 Seiten skizziert er endlich seine Vorstellung einer postkapitalistischen Gesellschaft, die sich ohne weiteres an das übliche zivilgesellschaftliche Sammelsurium des Wünschdir-was hinzufügen lässt.

Wo bitte sind die Alternativen!? Felber nimmt sich viel Zeit für die Darlegung seiner „ganzheitlichen“ Sicht der Welt. Dafür kümmert er sich wenig um eine seriöse Begründung einer seiner „theoretischen“ Voraussetzungen, die sich wie ein roter Faden durch dieses Buch zieht. Felber ist Antikommunist der eher plumpen Sorte. Während er sich bemüht den Neoliberalismus mit Argumenten und konkreten Beispielen zu widerlegen, genügt es ihm Kommunismus und Stalinismus in einem Topf zu werfen, mit ein paar Stehsätzen abzutun und sinkt dabei auf ein Niveau, das mich schon etwas an die „Kronen Zeitung“ erinnert. Es lohnt sich nicht weiter darauf einzugehen. Klar, Felber ist ein Gegner revolutionärer Veränderung – wir wussten es. Doch geht er in seinem antikommunistischen Beißreflex soweit, dass er sich in einen reaktionären Zynismus versteigt: „Schleichende Evolution, nicht brachiale Revolution bringt uns zu einer neuen Form des Zusammenlebens und Wirtschaftens“ faselt der Laienprediger von der ATTACKanzel und kann sich des Wohlwollens von Kirche und Kapital sicher sein. Nur ein Schelm denkt: „So kann man auch an einer Karriere basteln!“ Nicht umsonst findet man Beiträge und Interviews dieses tiefen Denkers in Qualitätsblättern wie „Der Standard“ und „Kurier“. Wer sich so ankuschelt, darf auch manchmal Marx zitieren, Manager als Säuglinge bezeichnen und die EU kritisieren – die selbstverständlich zumindest ursprünglich als „Friedensprojekt“ zu verstehen war und heute der Rettung durch ATTAC bedarf.

Solche „Kritiker“ sind willkommen, da völlig zahnlos und vorzüglich als Aufputz für das widerliche Demokratiegeheuchel der Massenmedien geeignet. Ich kann nicht beurteilen, ob - und wenn ja wie viel - Eigennutz und Berechnung hinter der „Alternative“ Felbers stecken und bin deswegen auch nicht in der Lage einzuschätzen in wie weit Felbers Hang zur „Ganzheitlichkeit“ fatale Störungen des Denkprozesses verursachen. ATTAC möchte ja bekanntermaßen Sand im Getriebe sein. Bei Felber muss zumindest die Frage erlaubt sein, ob er nicht eher Sand in die Augen streuen will oder vielleicht Kopf voran in die Sandkiste gefallen ist (Gusenbauer-Syndrom?). Zu viel Polemik? Mag sein. Als Lohnabhängiger, und das gebe ich offen zu, sage ich aber lieber „schleich dich“ als „schleichen wir uns in die Evolution“. An wie viele Schleichwege, die angeblich zu einer besseren Zukunft führen, sollen wir noch glauben? Verstehen sie mich bitte nicht falsch, Herr Felber. Ich bin einer von diesen Faulen, die vielleicht nicht ganz so „hochgradig kooperativ“ sind um ihre Meinung „sozial intelligent“ dem zivilgesellschaftlichen Populismus zu verkaufen. Wie auch immer. Felber entwickelt in seinem Buch keine Alternative. Der Untertitel dieses Buches ist eine Lüge, Täuschung oder einfach nur Ausdruck kleinbürgerlicher Quacksalberei. Sein Angebot ist kein neues, sondern aufgewärmter reformistischer Käse, garniert mit Firlefanz vom Jahrmarkt der Beliebigkeit. Also was schlägt er eigentlich vor? Felber möchte den Kapitalismus nicht stürzen, sondern irgendwie austricksen. Er nimmt da wieder Mal einen Begriff aus der Ökologie. Ach das ginge, einfacher, als die meisten ver-


Satire

muten: „in einer schleichenden Metamorphose“, vergewissert uns Bruder Christian. „Nach vielleicht zehn Jahren würde das System kippen!“?! Die „Säuglinge“ müssen sich übrigens auch nicht fürchten, denn Felber führt die Gerechtigkeitsformel 20-10 ein: „Spitzeneinkommen dürfen maximal das 20-fache der Mindestlöhne betragen, und niemand soll sich mehr als 10 Millionen US-Dollar Privatvermögen aneignen dürfen.“ Eine Kritik sei hier erlaubt. Hier ist nicht festgelegt, ob dieses Vermögen an die Inflation angepasst werden soll. Um Spannungen in der Gesellschaft zu vermeiden plädiere ich für eine gleitende Vermögensskala und die Errichtung von Reichen-Gewerkschaften. Der ÖGB blickt da auf eine gewisse Tradition zurück und Hundstorfer würde diesen Job sicher gerne übernehmen.

„Wenn das Ziel der Einzelakteure mit dem der Gesamtveranstaltung übereinstimmt, haben wir die heute schizophrene Ethik wieder zusammengeführt.“ Halleluja, dröhnt es uns aus der Welt des „demokratischen ViererKleeblatts moderner Allmenden“ entgegen (Felbers neues Führungsgremium). Dazu braucht es natürlich eine neue Generation von Menschen, ausgebildet in Schulen neuen Typs, die Werte, Gefühlskunde und Naturerfahrung vermitteln. Dann nehmen wir noch eine Brise Glauben in Pachamama, etwas Hoffnung in die Menschenvernunft, Gesetze, Verträge, den Staat, die UNO und in das Beispiel der brasilianischen „Solidarischen Ökonomie“. Da gibt es nämlich nicht weiter definierte 20.000 „alternative Unternehmen“. Mehr will uns der Lauser noch nicht verraten. Vielleicht kaufen sie sein nächstes Buch: „Am

Anfang stand das brasilianische Morgenrot“? Bevor ich ihr Buch wieder zurück gebe, hab ich noch eine Frage an sie, Hr. Felber: Was ist, wenn den Säuglingen das alles gar nicht gefällt und sie wieder auf die „schizophrene“, aber sehr effiziente, gute alte Methode der Todesschwadronen zurückgreifen. Na!? Ach verstehe! Ein elftes Kapitel war nicht vorgesehen. 1 Quechua für „Mutter Erde“ 2 Nationale Volkspartei – aus dem Programm: „Der Ausländer wurde zum Menschen erster Klasse – vor dem Einheimischen. Wir sind weder das Sozialamt der Welt, noch ein Sammelbecken für Ausländer, die mit krimineller Absicht nach Österreich einwandern. Wir werden den Zuzug ausländischer Arbeitsloser stoppen und werden ein Ausländerrückführungsgesetz beschließen, das friedlich und gesetzmäßig die Ausländerproblematik in unserem Staat beendet“.“

Demoflyer 5.04., Volksabstimmung-Vertrag von Lissabon, pdf-download www.klassenkampf.net.tf

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Staatsrassismus

Freiheit für alle politischen Gefangenen im Kampf gegen Kapital, Rasissmus und Imperialismus! Freiheit für Mumia Abu-Jamal! mias Verteidigung haben sie bis zum 20. Oktober Zeit, einen entsprechenden Antrag an den Supreme Court einzureichen. … In der Unterstützungs-Bewegung für Mumia Abu-Jamal wird jetzt darüber nachgedacht, wie diese Totalblockade seitens der Gerichte überhaupt noch überwunden werden kann. Klar ist, dass Mumias juristische Chancen auf Freiheit oder überhaupt auch nicht vom Staat ermordet zu werden, immer geringer werden.“

Mumia Abu Jamal

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eltweit sind tausende Menschen inhaftiert, die im Klassenkampf und im Kampf gegen Rassimus und Imperialismus die volle Repression des Systems zu spüren bekommen.

Einer der bekanntesten politischen Gefangenen ist der US-amerikanische schwarze Journalist Mumia Abu-Jamal, der seit über 25 (!) Jahren in der Todeszelle sitzt. Im März wurde die Todesstrafe gegen ihn zwar einstweilen aufgehoben, ihm aber zugleich ein neues Verfahren verweigert - was für ihn „mindestens“ lebenslängliche Haft bedeuten würde. Das Berliner Bündnis „Mumia-Hörbuchgruppe“ berichtet zum aktuellen Stand in ihrem August 2008-Rundbrief: „Der vergangene Monat hat einmal mehr gezeigt, wie rassistisch und von Ignoranz bestimmt US-Gerichte mit Mumia und seinem Kampf um Freiheit umgehen. Hatte Mumias Verteidigung

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erst am 27. Juni einen Antrag auf „En Banc“ (Überprüfung einer Gerichtsentscheidung durch jeden einzelnen Richter - Anm.) gestellt, antwortete das 3. Bundesberufungsgericht unter Beteiligung von zehn Richtern bereits am 21. Juli ohne weitere Beratung oder juristische Begründung, dass sie es ablehnen, ihren Rechtsbruch vom März 2008 überhaupt nur noch mal zu überdenken. Damals hatten zwei Richter entschieden,trotz nachgewiesenem Rassismus bei der Juryauswahl in Mumias ursprünglichen Verfahren von 1982, ihm nicht das nach der gängigen Rechtssprechung erforderliche neue Verfahren zu zugestehen…“ Zwar stellt dies in mehrfacher Hinsicht einen Rechtsbruch geltenden US-Rechts dar. Es ist aber fraglich, ob die letzte, verbleibende Instanz diesen Fall überhaupt annimmt, da der Supreme Court der USA äusserst selten Klagen von Privatpersonen behandelt und sowieso ca. 95% aller Anträge abweist. Laut Mu-

Als revolutionäre MarxistInnen haben wir keinerlei Illusionen in den rassistischen bürgerlichen Staat - weder in den USA noch hier. Es ist die notwendige Erfahrung, dass die Freiheit der politischen Gefangenen nur im entschiedenen Kampf gegen das System, das diese Menschen ihrer Freiheit beraubt, erreicht werden kann.

Unsere Publikationen sind erhältlich in:

Lhotzkys Literaturbuffet

Rotensterngasse 2 (Ecke Taborstraße 28) 1020 Wien Tel. +43(1)276 47 36 +43 6991 585 16 68 office@literaturbuffet.com Öffnungszeiten: Montag - Freitag 8.00 - 19.00 Uhr Samstag 9.00 - 17.00


Theorie

Stalinismus heute: Stalin-Renaissance und die Ideologie des Realismus - Vortrag von Vincenz Kalam beim Marxistischen Studienzirkel

Die Totengräber der Revolution (Stalin, Molotow, Kaganowitsch, Woroschilow, 1937 beim Begräbnis von Ordschonikidse)

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n diesem Vortrag geht es nicht um die Merkmale und den historischen Charakter des Stalinismus als solchem, auch nicht um Stalin als einer historischen Figur. Die Frage, um die es bei mir jetzt geht, ist die der StalinFrage als einer aktuellen Fragestellung; und zwar einer Fragestellung, die ihre Aktualität dadurch bezieht, dass es momentan eine geistige Strömung gibt, die sich darum bemüht, die historische Position Stalins und des historischen Stalinismus zu rechtfertigen, um damit Positionen zu begründen, die für politische Einschätzungen hier und heute relevant sein sollen. Eine These dieses Vortrags ist es daher, dass diese Art der Aktualität der Stalin-Frage ein Haupthindernis für die Wiedergewinnung einer sozialistischen Perspektive und der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus heute darstellt. Um es namhaft zu machen: Es gibt heute vor allen Dingen zwei Namen, die sehr stark in die Öffentlichkeit hineingetragen worden sind, zwei Autoren, deren Schriften sehr stark rezipiert werden: Luciano Canfora und Domenico Losurdo, zwei italienische Autoren, für die im deutschsprachigen Raum schon dadurch Aufmerksamkeit erregt wird, dass zwei

Bücher von ihnen, das eine von Luciano Confora „Eine kurze Geschichte der Demokratie“ und das andere von Domenico Losurdo „Kampf um die Geschichte“, von bürgerlichen Verlagen nicht gedruckt worden sind. Die Autoren werden also mit dem Argument verkauft, es handele sich um ein Wissen, das von bürgerlichen Kreisen unterdrückt wird - und das daher umso glaubhafter erscheint. Dass es heute Positionen gibt, die offen die Politik Stalins rechtfertigen, ist in der Form und vor allem in der Resonanz die es findet, eine neue Erscheinung. Wenn man auf das Jahr 1989 zurückblickt, so hatte man seinerzeit die dominante Situation, die unter dem Stichwort gelaufen ist: der antistalinistische Grundkonsens. Der antistalinistische Grundkonsens, der für viele dadurch vermittelt worden ist, dass im Zuge der Glasnost-Politik unter Gorbatschow Zusammenhänge ins Bewusstsein gekommen sind, die dazu führten, dass Menschen auch in den KPen die historische Figur Stalin ablehnten. Gleichzeitig war dieser „antistalinistische Grundkonsens“ die ideologische Position einer bürokratischen Fraktion, die eine Politik betrieb, die letztlich in die Restauration des Kapitalismus gemündet hat. Dadurch wurde er zur spezifischen ideologischen Form der Wiederherstellung kapitalistischer

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Theorie

Produktionsverhältnisse in den osteuropäischen Arbeiter- und Bauernstaaten. In der Auseinandersetzung mit Glasnost war es damit auch vorgezeichnet, dass es zumindest eine Position geben würde, die den Antistalinismus als ein Instrument der kapitalistischen Restauration angreift. Schon zu Beginn der GlasLuciano Canfora nost-Politik gab es solche Entwicklungen in der Sowjetunion. Es gab den berühmten Artikel von Nina Andrejewa „Ich kann meine Grundsätze nicht aufgeben“, eine Apologie der Position von Stalin gegenüber der Öffnung der Archive und des Bekanntwerdens der - im moralischen Sinne - Verbrechen der Stalinära. In Deutschland wurde hierfür etwas später die Literatur von Kurt Gossweiler maßgeblich, einem ehemaligen SED-Historiker und -Theoretiker, der ganz massiv innerhalb der sog. Kommunistischen Plattform der PDS eine Rechtfertigung der Position Stalins verbreitet hatte. Auf internationaler Ebene maßgeblich geworden ist vor allen Dingen der belgische Autor Ludo Martens mit dem Buch „Stalin anders gesehen“. Ludo Martens ist faktisch der Parteiführer der PTB, der Partei der Arbeit Belgiens, einer Partei maoistischen Ursprungs. Diese war in den 70er Jahren in einer extremen Form Vertreterin der sogenannten Theorie der drei Welten, die darauf hinauslief, dass es einen notwendigen politischen Block geben muss, gemeinsam mit den USA gegen den wirklichen Hauptfeind, nämlich den sowjetischen Sozialimperialismus und die PTB ist in den 70er Jahren unter anderem dafür eingetreten, dass die belgische Armee mit Nuklearwaffen ausgestattet würde, um einem angeblich drohenden sowjetischen Angriff mit Erstschlagskapazität entgegentreten zu können. Es ist also eine recht interessante Entwicklung, die diese Richtung genommen hat, zu einem Schwerpunkt zu werden für Strömungen, die die historische Rolle Stalins verteidigen und von daher auch Perspektiven gewinnen wollen für die aktuelle politische Situation, auch in den ehemals prosowjetischen, also nach Wahrnehmung der PTB der 70er Jahre folglich sozialimperialistischen, KPen. Wenn man sich diese Position und die dazugehörige Literatur anschaut, gibt es eigentlich drei Argumentationslinien, die sich dann in der aktuellen Stalin-Renaissance (wie ich das nenne) bei Canfora und Losurdo wiederfinden. Die erste Argumentationslinie ist schlicht und einfach: Stalin

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hatte recht. Die Argumentationslinie läuft so ab: Wenn es so ist, dass die um Gorbatschow versammelten Kräfte Stalin negativ bewerten und die kapitalistische Restauration vorbereiten bzw. durchführen, so ist damit bewiesen, dass der Antistalinismus durch und durch und notwendig die Ideologie der Restauration des Kapitalismus ist - und damit ist posthum bewiesen, dass Stalin darin recht hatte, alle gegen ihn gerichteten Positionen als prokapitalistisch und konterrevolutionär einzuschätzen und entsprechend zu behandeln. Die zweite Argumentationslinie läuft unter dem Stichwort: Stalinismus von unten. Sie findet sich vor allem bei Ludo Martens, aber auch bei der momentanen Stalin-Renaissance bei Canfora und Losurdo und ist letztlich ein Rückgriff auf Überlegungen aus der Denkrichtung der so genannten revisionistischen Schule der britischen und US-amerikanischen Soviet Studies (Sheila Fitzpatrick, Arch Geatty, Gábor Rittersporn, Robert Thurston), die die Auffassung vertritt, dass der Stalinismus und vor allen Dingen die sog. Säuberungen ein Ausdruck dafür waren, dass sich mittels dieses Stalinismus die sowjetischen proletarischen und bäuerlichen Schichten gegen die sowjetische Bürokratie gewandt hätten (womit natürlich letztlich die ideologischen Positionen des Stalinismus, die von diesem explizit vertreten wurden, als bloße Ausdrucksform eines untergründigen Widerstands gegen die Bürokratie und als symbolische Politik interpretiert werden). Mit anderen Worten: Der Stalinismus ist ein Instrument, um sich gegen die - in einer sozialistischen Revolution offensichtlich notwendigerweise sich herausbildende - bürokratische Herrschaftsschicht zur Wehr zu setzen. Teilweise entspricht dies dem Bewusstsein des historischen Stalinismus selbst, der ja stets behauptet hat, dass die Säuberung, die Verfolgung der innerparteilichen Oppositionen, sich nicht nur gegen den Feind gerichtet habe, die Agenten des Hitlerismus und Faschismus, sondern auch immer gegen den Bürokratismus. Luciano Canfora als Vertreter der aktuellen Stalin-Renaissance behauptet entsprechend, der Stalinismus hätte die bürokratische Herrschaft, die sich, und das gesteht er zumindest teilweise ein, selbst in der sowjetischen Gesellschaft entwickelt habe, immer selbst auch zerstört. Und erst in der Nach-Stalinära wäre die stalinistische Herrschaft gefestigt worden und es habe sich dann die äußere Schale von einem Organismus abgestoßen, in dem sich die sozialen Beziehungen grundlegend verändert hatten. (Allerdings gewinnt man natürlich in dem Punkt keine Erklärung dafür, wie es dazu gekommen ist, dass die sozialen Beziehungen sich grundsätzlich verändert hatten.) In der extremen Fassung läuft dieses Argument möglicherweise auch auf die Position hinaus, die man überspitzt ausdrücken könnte: Das russische Volk hat sich des Stalinismus bedient, um sich ge-


Theorie

gen den Kommunismus zu wehren. Das ist eine Position, die es so schon in den 20er und 30er Jahren im Umfeld des sog. Nationalbolschewismus gegeben hat: Der Stalinismus sei die arteigene bodenständige bäuerliche Kultur der Sowjetunion, des russischen Volkes, im Kampf gegen einen fremden, kolonisierenden und immer auch jüdisch konnotierten Kommunismus. (Zumindest Canfora würde diese Interpretation freilich zurückweisen: Für ihn ist der Stalinismus nun einmal die besondere historische Form, in der unter den Bedingungen der Sowjetunion der Sozialismus aufgebaut wurde, ob es uns gefällt oder nicht.) Peinlicherweise ist es aber so, dass die Gewährsleute dieser Position „Stalinismus von unten“ in den USA und England nach der Öffnung der sowjetischen Archive immer mehr von dieser Position abgewichen sind. Zumindest Getty und Thurston sind zunehmend zu dem Schluss gekommen, dass der Stalinismus mehrheitlich ein Phänomen von oben war und dass es Alternativen hierzu gegeben hätte. Die dritte, und wie ich denke, maßgebliche Position dieser traditionellen prostalinistischen Literatur der 80er und 90er Jahre, die ganz wesentlichen Einfluss auf die heutige StalinRenaissance hat, vertritt den Standpunkt: Es gab - realistischerweise - keine Alternative zum Stalinismus. Ludo Martens zitiert in seinem Buch „Stalin anders gesehen“ aus der Autobiographie von Alexander Sinowjew, einem sowjetischen Romancier, der zum Dissidenten wurde und in den 70er Jahren nach München emigrieren musste und der zunehmend in seiner Literatur selbst eine Apologie Stalins entwickelt hat. Er zitiert daraus ein Gespräch, das Alexander Sinowjew in den 50er Jahren mit einem Stalingegner geführt haben will, wobei er diesen sinngemäß fragt: Hätte sich die Sowjetunion gegen den Faschismus behaupten können ohne die Industrialisierung? Die Antwort des Stalingegners: Nein. Frage: Hätte die Industrialisierung in der Sowjetunion aufgrund der Bedingungen in der Sowjetunion anders verlaufen können als mittels der Instrumente des stalinistischen Terrors? Antwort des Stalingegners: Nein. Also, was folgt daraus? Antwort des Stalingegners: Nichts. Das ist ein Argument, das nicht neu ist. Schon Ende der 40er Jahre hat Maurice MerleauPonty, vereinfacht gesprochen ein Philosoph aus dem phänomenologisch-existentialistischen Bereich, der intellektuell in Frankreich eine sehr große Rolle gespielt hat, in seinem Buch „Humanismus und Terror“ ein Kapitel veröffentlicht, das heißt: Trotzkis Rationalismus - also hier der Gegensatz zwischen Rationalismus bei Trotzki und Realismus bei Stalin - wo er in einer Fußnote dem Sinn nach schreibt: Wenn wir uns eine Sowjetunion vorstellten, die ihre eigenen Prinzipien aufrecht erhalten würde und im Zweiten Weltkrieg untergeht, ein leuchtendes Beispiel gebend für die proletarische Weltrevolution; und wenn wir uns eine Sowjetunion vor-

stellten, die den einzig möglichen Weg geht, der historisch gegeben ist aufgrund ihrer Rückständigkeit und aufgrund der bäuerlichen Struktur und aufgrund der Erfahrungen mit dem Zarismus, nämlich terroristisch zu werden, stalinistisch zu werden und den Faschismus besiegt, welche Wahl würden wir dann treffen? Sinowjew und Merleau-Ponty unterstellen also, dass es aufgrund der Bedingungen in der Sowjetunion keine Alternative zum Stalinismus gegeben hat. Alle fraktionellen Auseinandersetzungen in der KPdSU zur Frage der korrekten Strategie und Taktik werden damit vom Ergebnis her (Stalin hat gesiegt - unter Stalin wurde die Sowjetunion gerettet) entwertet. Was wäre, wenn die Industrialisierung und Verteidigung der Sowjetunion unter Stalin in Wirklichkeit TROTZ Stalin zustandekam? Diese naheliegende Frage gilt schon nicht mehr als realistisch! Ich möchte jetzt überleiten zu den aktuellen Positionen und etwas sagen zu den Büchern, die momentan bestimmend für die Stalin-Renaissance sind: die Bücher von Luciano Canfora und Domenico Losurdo, wobei ich mich bei letzterem vor allem auf sein älteres Buch „Der Marxismus Antonio Gramscis“ stütze, wo meiner Meinung nach dieses letztgenannte Argument - es gab keine Alternative. Stalin war der Realist - am deutlichsten hervortritt; auch in der theoretischen Begründung und mit den Schlussfolgerungen, die daraus gezogen wurden. Die Methode von Luciano Canfora bezüglich des Stalinismus besteht darin, dass er Stalins Politik gewissermaßen an den heißen Punkten der Kritik daran rechtfertigt. Die heißen Punkte der Kritik an Stalins Politik sind insbesondere der Spanische Bürgerkrieg, die Säuberungen der 30er Jahre und der Hitler-Stalin-Pakt. Hinsichtlich des Spanischen Bürgerkriegs verteidigt Canfora die Position, es sei NUR darum gegangen, den Krieg gegen den Faschismus zu gewinnen und eben NICHT, die Revolution zum Sieg zu führen. Bezugnehmend auf eine isolierte Äußerung von Togliatti tritt er immerhin kritisch dafür ein, es sei ein Mangel der stalinistischen Politik gewesen, in Spanien nicht für demokratische Massenstrukturen gesorgt zu haben. Aber die entgegengesetzte Position zu seinem Realismus, den Sieg gegen den Faschismus von der Fortsetzung und der Vertiefung der Revolution abhängig zu machen, diese Position greift Canfora durch die Argumentation mit zwei (gerade einmal zwei!) Dokumenten an, bezüglich derer er behauptet, es gäbe eine geheime Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs und es sei aufgrund dieser Dokumente bewiesen, was der Stalinismus immer bewiesen haben wollte, nämlich, dass die Falangisten anarchistische und trotzkistische Organisationen infiltriert hätten, um eine Auseinandersetzung mit den Stalinisten zu inszenieren, und dass Goebbels gesagt habe, er habe einem Propagandasender den Auftrag erteilt, als Stimme Trotzkis aufzutreten,

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Theorie

um gegenüber der Sowjetunion Propaganda zu machen. Die Belege hierfür sind völlig unzusammenhängend, keine der Behauptungen wurde in irgendeiner Weise wissenschaftlich belegt. Aber das ist der Kern seiner „realistischen“ Einschätzung über den Charakter des Spanischen Bürgerkriegs, was ich interessant finde: Wird sonst chronisch von objektiven Bedingungen her argumentiert, müssen hier obskure subjektive Bemerkungen einzelner Protagonisten herhalten, um die erwünschte Gesamtcharakteristik der damaligen historischen Situation zu zeichnen. Bezüglich des Hitler-Stalin-Pakts erklärt Canfora ihn einmal damit, dass das polnische Regime ja selbst ein nationalistisches und expansionistisches gewesen war (also nicht besser als das Hitlerdeutschlands?); aber vor allen Dingen aus dem, wie er selbst schreibt, an Zynismus grenzenden Realismus Stalins, sich eine Atempause zu verschaffen und daher gegenüber dem Imperialismus nicht anders handeln zu können, als sich mit dem deutschen Faschismus zeitweise zu verbünden. Ja er geht sogar so weit zu sagen, das eigentliche Problem des Hitler-Stalin-Pakts sei die Verabsolutierung dieses momentanen Rückschritts gewesen, dadurch, dass man ideologisch eine Position übernommen hätte, die eigentlich die Position des Trotzkismus gewesen sei, nämlich die Differenz zwischen einem faschistischen und bürgerlich-demokratischen Staat hintanzustellen, weil ja beide kapitalistischen Charakters wären. Glücklicherweise habe dann Stalin - als echter Realist - diese Abweichung gegenüber Trotzkis Realitätsverlust, dem er offensichtlich zeitweise selbst erlegen ist, repariert, und die Kritik an diesem realistischen Zick-Zack-Kurs (von einer Verteidigung der bürgerlichen Demokratie zum Bündnis mit Hitler, dann zur bedingungslosen Zusammenarbeit mit dem britischen und US-amerikanischen Imperialismus) wird von ihm als rein gefühlsmäßig attackiert. Die Ablehnung jeder revolutionären Perspektive im Zweiten Weltkrieg wird aus der Fähigkeit des Faschismus, die Massen indoktrinieren zu können, abgeleitet, insbesondere die deutsche Arbeiterklasse - man könnte hinzufügen, die österreichische Arbeiterklasse ebenso - sei aufgrund dieser Indoktrination zum Widerstand völlig unfähig gewesen, sodass die Befreiung eben im Westen und in Österreich vor allen Dingen vom westlichen Imperialismus kommen musste. Auch hierzu gab es keine Alternative... An einem zentralen Punkt behauptet Canfora, die faschistische Propaganda und insbesondere der Antikommunismus des Kalten Krieges, hätten unmittelbar, quasi wörtlich, die trotzkistische Sichtweise der Sowjetunion eingenommen. Die trotzkistische und linkskommunistische Kritik hätten den

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westlichen Imperialismus dazu bewogen (!), eine demokratische Propaganda gegen die sog. Herrschaft über das Proletariat in der Sowjetunion zu entwickeln und die trotzkistische Interpretation (die er im Übrigen nur in intellektuellen Kreisen verortet) sei instrumentalisiert worden - eigentlich würde man an dieser Stelle nach seiner Argumentation lesen, sie ist nicht instrumentalisiert worden, sondern sie war ein Instrument - um, wie er schreibt, konsensuale Bereiche der Linken zu zerstören. D.h.: Es ist das Element der Zersetzung, der Zerstörung der Einheit der Linken im Widerstand gegen den Faschismus und später im Kalten Krieg im Widerstand gegen den Imperialismus, was der Trotzkismus eigentlich ist. Der Stalinismus sei nichts anderes als der Sozialismus wie er geworden war und in dieser Form - und da muss wieder gefolgert werden, NUR in dieser Form - habe er Bürgerkrieg, ideologische Spaltung und Aggression von außen überleben können. Und nur durch den Stalinismus sei das Wunder des Aufschwungs in Russland möglich gewesen. Hingegen - und das finde ich eine interessante Pointe - stimmt er der Position zu, die Stalin angeblich geäußert hat, dass bereits 1917 die Revolution im Westen unmöglich war. Hier nämlich habe die kollektive kulturelle Kontinuität einen revolutionären Bruch verhindert. Letzteres ist eine Überlegung, die einer rechtssozialdemokratischen Lektüre von Antonio Gramsci entspricht, der ja in den 70er und 80er Jahren sehr gern von Leuten wie Peter Glotz so gelesen wurde, dass seine Theorie der Rolle der kulturellen Apparate (wie Kirche und Schule) besagen würde, dadurch dass die Massen im Westen sehr stark dem Einfluss von kapitalistischen Institutionen ausgesetzt waren, die ihr Bewusstsein prägten, war die Revolution im Westen unmöglich. Im Osten und in Russland sei sie deswegen möglich gewesen, da diese kapitalistischen Institutionen keinen realen Einfluss gehabt hätten. Damit ist aber auch gesagt, dass es ABSOLUT keine Möglichkeit der Revolution im Westen gegeben hat - nicht aufgrund der Politik der sozialdemokratischen Führungen, sondern deswegen, weil die ArbeiterInnen kein anderes Bewusstsein hatten! Und dementsprechend ist es auch interessant, dass der Vorläufer von Canfora, Domenico Losurdo, seine Position des „Realismus“ in der Alternativlosigkeit der Position Stalins anhand eines Textes über den Marxismus von Antonio Gramsci entwickelt, wo er versucht, Antonio Gramsci gegen den Vorwurf oder die Interpretation in Schutz zu nehmen, ein Vertreter des sog. westlichen Marxismus gewesen zu sein, der dem Leninismus entgegengesetzt wäre. Antonio Gramsci wurde ja in den 70er und 80er Jahren häufig zusammen mit Lukacs und der Frankfurter Schule in eine Richtung gesetzt, die sich im Gegensatz zur Position des Leninismus in der Les-


Theorie

art der damals gegenwärtigen sowjetischen Ideologie befinden würde. Losurdo propagiert in seinem Buch einen Antonio Gramsci, der eine antiutopistische Herangehensweise verfolgt und der einen robusten Sinn für die Realität an den Tag gelegt hätDomenico Losurdo te. Also auch hier sind die Feindbilder ziemlich klar: Es gibt auf der einen Seite Gramsci mit seinem Realismus und auf der anderen Seite gibt es den Utopismus und dieser wird von Losurdo als die Romantik bezeichnet. (Ich möchte daran erinnern, dass in dem Text von Trotzki „Ihre Moral und unsere“ geschrieben wird, es gebe das klassische Vorurteil: Trotzkismus = revolutionäre Romantik.) Diese Romantik wird nicht in einer Klassensituation verortet, nicht in einer politischen Situation, sondern in einer kulturellen Prägung, und zwar durch die Eschatologie, durch die messianische Erwartung, die im Umfeld der jüdischen Intellektualität entspringen würde. Die jüdische Intellektualität ist also daran Schuld, dass in der Arbeiterbewegung eine nicht-realistische Position, die extremistisch, ultimatistisch und utopistisch ist, besteht und Schaden anrichtet! Diese jüdische Intellektualität bringt dann namentlich die Autoren dieser Position hervor, wobei er für mich überraschend - neben Lukacs und Bloch - als Referenzpunkt Johann Gottlieb Fichte nennt. Also, dass Fichte ein Exponent der jüdischen Intellektualität war, ist mir bisher nicht bekannt. Er galt immerhin lange Zeit und gilt vielen immer noch als einer der Stammväter des modernen Antisemitismus. Aber da Fichte ja in herkömmlicher Lesart DER Vertreter des Subjektivismus in der klassischen deutschen Philosophie war (und darüberhinaus sogar behauptet hat, dass die Dialektik gegenüber jeder Ontologie (also jedem Realismus!) Vorrang hat, muss er entsprechend auch ein Repräsentant des Extremismus und daher der jüdischen Intellektualität sein... Das eigentliche Feindbild für Losurdo aber ist dementsprechend die unrealistische, eben jüdische, utopistisch-zersetzende Position von Trotzki. Dieser nämlich erweist sich als unfähig, die proletarische Revolution in der einzig realistischerweise erfolgreichen Variante aufzulösen, nämlich der national-populären Revolution. Die proletarische Revolution könne nur siegen, wenn sie sich gewissermaßen zurücknimmt und nur noch im Rahmen einer klassenübergreifenden (also klassenkollaborationistischen) national-populären Revolution untergründig wirkt, und das Vorbild dieser Revolution ist - wen wundert das - die Politik Stalins: Die ideologische

Position des Großen Vaterländischen Krieges, in dem die Sowjetunion eben dadurch siegen konnte, so Losurdo, weil sich das Stalinsche Regime religiös und patriotisch gegeben hat (und nicht etwa weil die sowjetischen ArbeiterInnen ihren Staat verteidigten). In theoretischer Hinsicht und um diese Position zu rechtfertigen, kommen vor allem zwei Autoren in den Blick: Auf der einen Seite Hegel und auf der anderen Seite - dies ist auch recht bemerkenswert - der, wie er schreibt, entheiligende Elan des profaschistischen Autors Vilfredo Pareto (heute ein wieder vielgelesener Gewährsmann der Neokonservativen), den er uns als einen realistischen Autor gegen den Extremismus Trotzkis empfiehlt. Losurdos Wendung gegen die Romantik (die nebenbei Anklänge an den traditionellen antiromantischen Affekt der italienischen und französischen Rechten bietet) und den Extremismus und seine Parteinahme für einen Autor der extremen Rechten steht nicht isoliert in der heutigen prostalinistischen Literatur. Der wesentliche deutschsprachige Autor der Strömung, Hans Heinz Holz, agitierte schon 1976 gegen den Extremismus, die von ihm so genannte abenteuerliche Rebellion und widmete das gleichnamige Buch dem Naziphilosophen Karl Schlechta! Er war es auch, der in den 50er und 60er Jahren mit freundlich empfehlenden Anmerkungen die Schriften des französischen Faschisten Charles Mayer auf Deutsch editierte (Vgl. Wolfgang Harich: Nietzsche und seine Brüder. Schwedt 1994). Ich möchte nun auf die konkreten politischen Aspekte dieser geistigen Strömung, die ich Stalin-Renaissance nenne, eingehen. Es geht, nochmals gesagt, dabei nicht vorrangig darum, wie geschichtliche Entwicklungen zu deuten sind, sondern darum, wie in historischer Perspektive gegenwärtige politische Forderungen und Möglichkeiten einzuordnen sind. Die wesentlichen Punkte sind: Erstens: Ausschließlich eine nationalstaatliche Politik. Das ist ein Motiv, das man immer wieder findet. Ich erinnere mich, dass vor gar nicht allzu langer Zeit die Werkstatt für Frieden und Solidarität in Linz einen Kongress gegeben hat, in der ein Vertreter des traditionellen Flügels der KPÖ aufgestanden ist und gesagt hat: Es wird jetzt darüber geredet, welche Rolle nationalstaatliche Politik spielt und ich sage: Die einzig fortschrittliche Politik heute ist ausschließlich eine nationalstaatliche Politik. Was bedeutet das in Konsequenz? Die Dimension eines Internationalismus, eines selbstständigen Klasseninternationalismus der Arbeiterbewegung, die über einen nationalstaatlichen Rahmen hinausweist, ist damit eliminiert. Nicht mehr die Klassenbewegung, die Klassenkämpfe, sind demnach maßgeblich und bestimmend als Moment der

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Geschichte, sondern die Eigeninteressen von Nationalstaaten. Die Aufgabe der Arbeiterbewegung ist es daher NUR NOCH, die Politik nationalstaatlicher Formationen zu unterstützen, wodurch die Rolle der Arbeiterbewegung durch nationalstaatliche Akteure ersetzt wird. Man kann das immer wieder sehen, Antonio Gramsci meinetwegen darin, dass bestimmte Gruppierungen gegenwärtig etwa der Meinung sind, man müsse jetzt die Militärdiktatur in Burma unterstützen und es könne in Burma keine Kraft geben, die gegen die Militärdiktatur kämpft und die nicht ein Instrument des westlichen Imperialismus ist. (Bzgl. dem Mugaberegime in Zimbabwe hat man sich zu einer solchen Position noch nicht durchgerungen.) Der zweite bestimmende Punkt ist die sog. breite Bündnisperspektive, vor allem in der Form der Volksfrontpolitik und vor allem in der Form der Renaissance der Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (STAMOKAP), die eigentlich interessanterweise unter diesem Titel erst nach Stalins Tod das wesentliche Werk war „Imperialismus heute“, erschienen in der DDR 1961 - populär gemacht worden ist. Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen der traditionellen Volksfrontpolitik der Stalinära (von deren Selbstdarstellung her) und dem, was eine breite Bündnisperspektive in der rein nationalstaatlichen Politik der Stalin-Renaissance heute sein soll. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass diese breite Bündnisperspektive ausdrücklich auf Bündnispartner ausgeweitet wird, von denen nicht mehr behauptet wird, dass sie einen historisch fortschrittlichen Charakter hätten. Die historische Volksfrontpolitik hatte ja den Ansatz zu sagen: Der Feind ist jener Imperialismus, der besonders aggressiv ist (der deutsche Imperialismus sei eben besonders aggressiv), d.h., es gibt einen Imperialismus, der weniger aggressiv ist, der damit Bündnispartner ist und es gibt die besonders reaktionären Kräfte der Monopolbourgeoisie, die im Faschismus ihre unmittelbare Diktatur errichten, d.h., es gibt weniger reaktionäre Kräfte der Bourgeoisie, die Bündnispartner dann in der Volksfrontperspektive sind. Und insgesamt wurde damit gesagt: Der Imperialismus, der Kapitalismus hat seine historische Rolle, seine fortschrittliche Rolle noch nicht erschöpft und an diesen fortschrittlichen Punkten, die ideologisch sich im Liberalismus, Humanismus und dgl. zeigen, müssen wir anschließen, um eine Bündnisperspektive gegen den Faschis-

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mus zu entwickeln. Schon in der ursprünglichen prostalinistischen Position im Gegensatz zu der Gorbatschowschen Perestroikapolitik und in der späteren Politik der KP in Russland war die Bündnisperspektive in diesem nationalstaatlichen Rahmen dagegen explizit eine, die zurückgegriffen hat auch und z.T. vorrangig auf Gruppierungen, die nationalistisch, rassistisch und antisemitisch waren und sich teilweise auf den historischen Faschismus berufen haben. Der Slogan in Russland war die sog. nationalpatriotische Front, die gewissermaßen die spezifische Form der sog. national-populären Revolution im Sinne von Losurdo war. Diese Konzeption - gerne wird neuerdings von Querfront gesprochen - wirkt in der heutigen Stalin-Renaissance lebendig weiter. Wir sehen das heute etwa in der Form, wie die KP Griechenlands, die explizit eine Gegnerin eines Antistalinismus ist, letztes Jahr ein Bündnis mit rechtsnationalistischen Kräften in Kauf genommen und es bewusst betrieben hat, dass sie die Polizeigewalt und die Angriffe faschistischer Banden gegenüber streikenden Studenten deckte. Es gibt schlimmere Beispiele, wie ich behaupten würde, die auch in Kräfte hineingehen, die einen ganz anderen Ursprung haben, die sich aber dennoch dieser politischen Logik fügen. Nehmen wir Workers World Party in den USA, die übrigens wegen Ungarn 1956 mit dem Trotzkismus gebrochen hat, weil sie die Zerstörung der Ungarischen Revolution, die Repression durch den Stalinismus verteidigt hat. Sie vollzieht bereits jahrelang eine Bündnispolitik mit Gruppierungen wie dem Serbischen Einheitskongress in den USA (SUC), der von Nazikollaborateuren in den USA gegründet worden ist und zur Wahl von rechten und extrem rechten Präsidentschaftskandidaten aufruft. Und in zumindest einem Fall hat es eine gemeinsame Demonstration des sog. International Action Center, einer Frontorganisation der Workers World Party, mit einer faschistischen Gruppierung gegeben, dem National Traditionalist Caucus. Ich finde, dass in dem Zusammenhang auch interessant ist, dass die Antiimperialistische Koordination (AIK) in Wien in der vorletzten Ausgabe ihrer Zeitschrift „Bruchlinien“ die ungarischen Faschisten mit dem beschönigenden und von ihnen gern gehörten Decknamen Ethnopluralisten belegt, was offensichtlich nur zu verstehen ist, wenn man in eine breite Bündnisperspektive auch faschistische Gruppierungen in Ungarn als Bündnispartner aufnimmt. Der dritte Punkt ist eine selektive und apologetische Imperialismustheorie. Selektiv deswegen, weil es danach imperialistische Strömungen gibt, die sich gegen die neue Weltordnung unter Führung der USA wenden und damit einen fortschrittlichen Charakter haben würden; apologetisch darin, dass dem Imperialismus überhaupt die Möglichkeit zugeschrieben wird, so etwas wie eine neue Weltordnung zu errichten.


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Denn damit wird behauptet, dass der Imperialismus, der amerikanische oder gleich welcher, in der Lage ist, langfristig Strategien zu entwickeln, umzusetzen und auch durchzuhalten - und damit wird vorausgesetzt, dass dieser Imperialismus in sich selbst keinen krisenhaften Charakter hat. Denn auf diese Weise ist der wesentliche Charakter des Imperialismus als einer krisenhaften und daher auch nicht strategisch steuerbaren Entwicklungsform des Kapitalismus eliminiert. Der vierte Punkt ist das hauptseitige ideologische Verständnis des sog. Kräfteverhältnisses. Dieses wird als absolut determinierend dargestellt und schließt eine gegenwärtige Perspektive seiner Überwindung aus. Böse gesagt: Vom Kräfteverhältnis reden immer diejenigen, die auf das Kräfteverhältnis ihre politische Existenz stützen! Der Parole der zivilgesellschaftlichen Ideologie, dass eine andere Welt möglich ist, dieser Parole wird widersprochen, nicht, weil diese Parole „eine andere Welt ist möglich“ zu allgemein, klassenneutral und inhaltsleer oder perspektivisch nichtssagend ist, sondern weil aufgrund des Kräfteverhältnisses eine andere Welt derzeit nicht möglich sein KANN. Die Welt, die man lediglich anstreben kann, anstreben muss, ist die sog. multipolare. Das ist auch ein typisches Schlagwort in diesen Zusammenhängen, dass im Übrigen längst von geopolitischen Szenarien, insbesondere des deutschen Managements, aufgegriffen worden ist. Die multipolare Welt ist ein Bündnis von Nationalstaaten, die sich gegen die Hegemonie eines besonders aggressiven Imperialismus richtet. Um eine solche multiplurale Welt zu erreichen, muss es wiederum die Aufgabe der nationalen ArbeiterInnenbewegungen sein, mit sog. antiimperialistischen Bourgeoisien, nationalpatriotischen Flügeln von Kompradorenbourgeoisien, Oligarchien und Bürokratien ein Bündnis zu schließen und alle anderen Interessen sind dem unterzuordnen. Insbesondere ist dem das nationale Selbstbestimmungsrecht unterzuordnen, wie man bei den Bewertungen etwa der Situation in Tschetschenien durch derartige Gruppierungen immer wieder sieht. Hingegen ist auf jeden Fall immer die territoriale Integrität und Stabilität der Nationalstaaten zu verteidigen. Ich habe vor kurzem erst auf der Internetsite www.german-foreign-policy.com gelesen, dass man jetzt herausgefunden hat, es sei vorrangig auch Aufgabe, dass die territoriale Integrität des spanischen Staates gegen die baskische Nationalbewegung verteidigt werden muss, weil diese ein Instrument des deutschen Imperialismus sei. (Franco war also zu seiner Zeit schon ein - gewissermaßen verfrühter - natürlicher Antiimperialist.) Aus dem Blick gerät damit selbstverständlich immer, dass es gerade das Kapital ist, dass an einer Stabilität von Nationalstaaten ein vitales Interesse hat.

Alles das fokussiert letztlich in der Behauptung des Realismus einer solchen politischen Perspektive. Immer wird eine andere Perspektive, die über die unmittelbare Konfrontation - die man als Kräfteverhältnis, als geopolitische Situation usw. feststellen möchte - hinausgeht, als extremistisch und schädlich abgelehnt. Und das ist wiederum das wesentliche Argument, die historische Position Stalins zu rechtfertigen: Dass Stalins Politik realistisch gewesen sei und daher auch Vorbildfunktion für die politische Orientierung heute haben müsse. Was ist jetzt der Kern dieses Verständnisses von Realismus? Im Grunde genommen ist es ein METAPHYSISCHES Verständnis von Realität. Der metaphysische Begriff von Realität ist ja, dass Realität eine Kategorie ist, um die Qualität von Phänomenen auszudrücken, die gegenüber dem Bewusstsein vorgegeben sind, ohne dass sie veränderbar sind. Realität ist das, was uns vollständig und ausschließlich positiv, gleichzeitig und widerspruchsfrei entgegentritt. Das ist der metaphysische Begriff von Realität - und dieser ist dem Wirklichkeitsverständnis der materialistischen Dialektik strikt entgegengesetzt. Realität als metaphyische Kategorie ist alternativlos, sie bestimmt immer nur eine Richtung, hat in sich keine Dimension, die zur Veränderung führen könnte bzw. die dazu führen könnte, dass es ein aktives Eingreifen in sie geben würde, sondern Realität bestimmt das Eingreifen derer, die politische Positionen ihr gegenüber entwickeln. Dieses Verständnis von Realität ist genau dasselbe wie das berüchtigte TINA-Prinzip von Margaret Thatcher: There is no alternative. Wir müssen so handeln, wir können nicht anders handeln, weil es keine Alternative gibt. Ein marxistisches Realitätsverständnis ist dem eben exakt entgegengesetzt. Realität wird in einem marxistischen Verständnis in ihren Widersprüchen und Entwicklungsperspektiven interpretiert, wobei diese Interpretation immer darauf ausgerichtet ist und im notwendigen Zusammenhang damit steht, diese Realität auch zu VERÄNDERN. D.h., es gibt immer einen organischen Zusammenhang zwischen einer objektiven Realitätsanalyse mit einer programmatischen politischen Perspektive, die sich an der Totalität der Widersprüche und den historischen Entwicklungsmöglichkeiten dieser Wirklichkeit, die man analysiert, orientiert. Würde man diese Perspektive verlassen, so würde die politische Analyse der Entwicklungen der Realität zu einem bloßen ideologischen Spiel mit sog. Sachzwängen, wie man sie in weiten Teilen der Sozialdemokratie immer wieder sieht. Sie wird schematisierend, in dem etwa die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Prozesses, wie es klassischer Weise im Stalinismus geschehen ist, in selbstständige Etappen unterteilt (wobei man immer bestimmte Etappen durchlaufen muss, bevor eine historische revolutionäre Perspektive erreicht werden kann) oder,

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wie man das in der Denkschule um Michael Pablo gesehen hat, indem man den gesellschaftlichen Prozess in Sektoren unterteilt, die gewissermaßen nachträglich untereinander in Beziehung gesetzt werden, etwa in der Behauptung, dass erst in einem kolonialen Sektor eine revolutionäre Entwicklung stattgefunden haben muss, bevor in einem imperialistischen Zentrum eine derartige Perspektive überhaupt denkbar ist. Oder aber die Analyse wird impressionistisch, d.h., es werden immer bestimmte einzelne Elemente herausgegriffen und dadurch möglicherweise in ihr Extrem gekippt, indem man behauptet, dieses bestimmte einzelne Element zeige an, dass jetzt willkürlicherweise momentan eine revolutionäre Situation plötzlich konstatiert werden muss, die man sonst immer ausgeschlossen hat. Vor allem bei Luciano Canfora wird dieser metaphysische Realismus in Bezug auf die Stalinära noch dadurch gerechtfertigt, dass man sich davon lösen müsse, an die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft Vorstellungen von außen aus bürgerlichen Konzeptionen der Emanzipation heraus anzulegen. Aber Canfora selbst legt an die Entwicklung zum Sozialismus Maßstäbe von außen an, indem er behauptet, die äußeren Bedingungen der Rückständigkeit Russlands, der sprichwörtlichen russischen Barbarei hätten die Möglichkeiten der sowjetischen Entwicklung, des Sozialismus, wie er geworden war, absolut und alternativlos determiniert. Der Slogan „Sozialismus oder Barbarei!“ ist folglich für Canfora im Zeichen der objektiven Realität durch Sozialismus UND Barbarei ersetzt worden. Jean-Jacques Marie, ein Vertreter der Tradition des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, spricht bzgl. des Umgangs mit dem Begriff der objektiven Realität von einer radikalen Abspaltung von Theorie und Praxis, wobei die Theorie formalisiert, schematisiert und auf einzelne Erscheinungen reduziert wird, die sich in der Praxis auf Erwartungen in der Zukunft reduziert und im bloßen Nachvollziehen angeblicher absoluter Grenzen gegenwärtiger Möglichkeiten revolutionärer Politik. Und Stefane Just führt in „Defense du Trotskysme“ aus, dass Marxisten eine sog. objektive Situation nicht einfach zur Kenntnis nehmen und sie kommentieren, sondern analysieren, um in sie hinein zu intervenieren. Also nicht um zu sagen: Es gibt jetzt keine andere Möglichkeit, in dieser historischen Situation, sondern aus der historischen Entwicklungslinie heraus gibt es diese und jene Möglichkeiten, zu intervenieren und dadurch die Situation auch zu verändern. Nicht etwa darum, weil die objektive Realität den Absichten zuwiderhandelt, die ein revolutionäres Eingreifen hat, sondern weil die objektive Realität, denen sich eine revolutionäre Position gegenübersieht, selbst die Krise

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und der Verlauf der Klassenkämpfe ist. Das halte ich für eine sehr wichtige Position und es muss jetzt nicht unbedingt namentlich an diesen zwei Autoren, die ich zuletzt genannt habe, festgemacht werden. Ich denke, das ist eine Position, die unmittelbar aus einer marxistischen Sichtweise folgt, die entgegengesetzt ist diesem sog. Realismus, der herangeführt wird, um die Position Stalins heute als alternativlos zu propagieren, um dadurch Schlüsse zu ziehen über Möglichkeit und v.a. Unmöglichkeit von revolutionärer Politik heute. Dieser Standpunkt ist nicht der des vielverschmähten Sozialismus der schönen Seele; nicht der, der sich darüber ereifert, dass die böse Realität nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, sondern dieser Standpunkt ist derjenige, dass die ArbeiterInnenbewegung, die proletarische Revolution selbst eigene Maßstäbe und inhärente Aufgaben besitzt, die sich nicht aus Vorstellungen der bürgerlichen Emanzipation linear ab- oder aus alternativlos gedachten äußeren Bedingungen herleiten lassen. Dass also eine revolutionäre Politik programmatisch und strategisch eigene Maßstäbe entwickeln kann und muss, die ein Eingreifen in die gesellschaftlichen Widersprüche, die Krisentendenzen des Kapitalismus und die konkreten ideologischen Differenzierungen und Erwartungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse ermöglichen. Es ist auch eine Position - damit möchte ich abschließen - die nicht mit den anderen Extremen übereinstimmt, die es heute auch gibt: Also das andere Extrem eines Slavoj Zizek, der eine sog. Leninsche Geste propagiert, wonach revolutionäre Politik darin besteht, sich völlig souverän über alle Möglichkeiten der Situation hinaus zu lehnen, sich über sie zu erheben, nur um den Willen zu demonstrieren, dass man die Situation verändern will, oder etwa bei Che Guevara, der zwar oft als Leiberl getragen und als Pickerl angeklebt, aber nicht gelesen wird, wo die Idee besteht, dass eine revolutionäre Organisation die Bedingungen ihrer eigenen Existenz vollständig selbst herstellen kann.


Alternativen zum „EU-Reformvertrag“? Diese Broschüre ist ein Produkt der Arbeitsgruppe EU des Marxistischen Studienzirkels, einem losen Zusammenschluss von GenossInnen, die sich auf den revolutionären Marxismus berufen. Als revolutionäre MarxistInnen erscheint es uns notwendig aufzuzeigen, dass die teilweise haarsträubenden Illusionen in die Reformierbarkeit des Imperialismus, der viel zu oft nur als Neoliberalismus, quasi eine entartete Form des ansonsten akzeptablen Kapitalismus, verharmlost wird, nicht fortschrittlich sondern gefährlich und letztlich reaktionär sind. Wir treten gegen patriotische und/ oder nationalistisch-rassistische Austrittspropaganda, aber auch gegen die Ideen einer Europäischen Sozialunion im Rahmen kapitalistischer Produktionsverhältnisse auf. Ein vereinigtes Europa betrachten wir als großes und anstrebenswertes Ziel. Dieses in die Tat umzusetzen kann aber nur gelingen, wenn wir offen und ohne opportunistische Scham für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas eintreten. Wir wenden uns mit dieser Broschüre vor allem an kritische KollegInnen aus der ArbeiterInnenbewegung, an die fortschrittlichsten Teile zivilgesellschaftlich organisierter Menschen und politisch interessierte Einzelpersonen, die mit nur scheinbar fortschrittlichen Losungen nicht zufrieden sind

und an einer tatsächlich System überwindenden Politik In teresse haben. Wir laden all diese Menschen ein, mit uns in Kontakt zu treten, uns ihre Meinungen zu unseren Positionen mitzuteilen und freuen uns auf eine intensive und solidarische Diskussion.

Diese und andere Publikationen der GKK sind erhältlich in: „Lhotzkys Literaturbuffet“ Rotensterngasse 2(Ecke Taborstraße 28)1020 Wien Tel. +43(1)276 47 36 oder +43 6991 585 16 68 office@literaturbuffet.com 39


MARXISTSCHER STUDIEN ZIRKEL

Der „Marxistische Studienzirkel“ veranstaltet in unregelmäßigen Abständen Diskussionsveranstaltungen mit Vorträgen zu unterschiedlichen Themen, die allen interessierten KollegInnen offenstehen. Dabei setzten wir uns bislang mit Themen aus den Bereichen Ökonomie, Philosophie, „Urkommunismus“ u.a auseinander. Aus der Zusammenarbeit im MSZ heraus entstand die „Gruppe Klassenkampf“ (GKK). Wir begreifen uns als eine in Aufbau befindliche Kadergruppe, deren Ziel die Gründung einer Organisation ist, die ihrerseits den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei und der revolutionären ArbeiterInneninternationale vorantreiben soll. Wer Interesse daran hat, sich auch selbst aktiv mit theoretischen Fragen zu beschäftigen, die durchaus auch in der Praxis umgesetzt werden sollen, ist herzlich eingeladen sich am MSZ zu beteiligen. Ziel ist es, Theorie nicht passiv zu konsumieren, sondern durch aktive Mitarbeit den Gang der Diskussion mitzugestalten. Nähere Informationen zu Terminen und Diskussionsthemen finden sich auf der website der GKK

www.klassenkampf.net.tf


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